Wachgeküsst von einem Earl

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Unerfüllte Sehnsucht kann so schmerzhaft sein! Deshalb erscheint Lady Felicity Weston die Vernunftehe mit dem attraktiven Richard Durant, Earl of Stanton, die perfekte Lösung. Keine Liebe – kein Leid! Aber schon die sinnliche Hochzeitsnacht mit ihrem Ehemann bringt Felicitys Herz in höchste Gefahr …


  • Erscheinungstag 12.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507264
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Devon, August 1810

Der ledige Stand ist wirklich empfehlenswert, überlegte Lady Felicity Weston auf dem Weg zur Treppe von Cheriton Abbey. Keinem Mann war sie verpflichtet, keiner kritisierte ihre äußere Erscheinung, keiner schrieb ihr vor, was sie zu tun oder zu lassen hatte. Und am allerwichtigsten – keiner drohte die Mauer, die sie rings um ihr Herz errichtet hatte, einzureißen.

Oh ja, sie war sehr zufrieden mit ihrer Lebensweise.

Auf dem Absatz der imposanten Treppe erstarrte sie. Nur mit einem Hemd und Breeches bekleidet, stürmte ein Mann herauf und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Die hochgekrempelten Ärmel entblößten gebräunte, muskulöse Unterarme. Da er kein Halstuch trug, zeigte der offene Hemdkragen seinen kraftvollen Hals. Mit seinem dichten, feuchten, zerzausten dunkelbraunen Haar wirkte er überaus viril und ein bisschen gefährlich. Felicitys Mund wurde trocken. Nur zwei Stufen von ihr entfernt, blickte er auf und blieb abrupt stehen.

Als sie den Earl of Stanton erkannte, pochte ihr Herz schneller.

Einer der begehrenswertesten Junggesellen des ton, wurde Stanton von übereifrigen Mamas und ehrgeizigen Töchtern verfolgt. Sogar reizlose alte Jungfern, die ihn aus der Ferne beobachteten, fragten sich wehmütig, wie es wohl sein mochte, die Aufmerksamkeit eines solchen Mannes zu erregen.

Bei Felicitys Debüt vor fünf Jahren hatte – von all den Gentlemen – nur Stanton ihren Blick immer wieder auf sich gezogen. Doch er hatte sie nicht bemerkt, niemals zum Tanz aufgefordert, nie zum Supper geführt. Und das war ihr schon damals sehr angenehm gewesen. In den letzten Jahren hatte sie ihn nur selten gesehen. Aber sie hätte wissen können, dass er zu den Gästen auf der Hausparty ihres Cousins Leo zählen würde. Immerhin waren die beiden eng befreundet.

Ein tiefer Atemzug weitete seine Brust. In seinen schokoladenbraunen Augen las sie eine Bitte um Entschuldigung, aber kein Wiedererkennen.

„Verzeihen Sie mir.“ Seine Stimme war ein wohlklingender Bariton. „Offenbar habe ich mich verspätet und nicht bedacht, dass die Gäste schon jetzt zum Dinner hinuntergehen würden.“

Mit der Hand strich er durch sein lockiges Haar, stieg die restlichen Stufen zum Treppenabsatz herauf und blieb neben Felicity stehen. Sein Geruch drang zu ihr, nach Regen und Pferden und Leder – sehr maskulin. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Seine Lippen zuckten.

„Auch für meine derangierte Erscheinung muss ich mich entschuldigen. Ich kam völlig durchnässt von den Stallungen ins Haus und ließ mein Reitjackett in der Halle zurück, wo es zweifellos eine peinliche Pfütze verursacht.“ Dann deutete er eine Verbeugung an. „Stanton. Miss …?“

Sofort bezwang sie ihre Feigheit und den Impuls, einen falschen Namen zu nennen. Was nützte das, wenn sie das ganze Wochenende auf derselben Hausparty verbringen würden?

Und sie würde sich gewiss nicht in eine dumme Gans verwandeln, die sich von einem attraktiven Gentleman in Hemdsärmeln einschüchtern ließ. Trotzdem senkte sie gegen ihren Willen den Blick, betrachtete seine breiten Schultern, und als sie aufschaute, sah sie ihn amüsiert grinsen. Entschlossen hob sie ihr Kinn. Arroganter Rüpel! Natürlich durfte sie nicht vergessen, wie oft Reichtum, Status und ein hübsches Gesicht zu unerträglicher Überheblichkeit verleiteten. „Felicity Weston, Sir.“

Nachdenklich runzelte er die Stirn. Kein Wunder … Seit einiger Zeit nahm sie nur noch selten an gesellschaftlichen Ereignissenn teil. Deshalb erinnerte sich die Hautevolee kaum noch an Felicity. Wann immer sie sich vorstellte, reagierten die meisten Leute ein wenig ratlos und versuchten sie in der Weston-Familie einzuordnen. Anscheinend konnten sie nicht glauben, dass Felicity von solch erlauchter Herkunft war.

Nun meldete sich ihr Humor und bewog sie, Seine Lordschaft freundlich anzulächeln. „Bemühen Sie sich nicht, meine Position im Weston-Clan zu erraten, Sir, das wäre sinnlos. Wenn ich Sie aufklären darf, ich bin die Schwester von Ambrose, dem Earl of Baverstock.“

„Seine Schwester?“

„Bedauerlicherweise. Ziemlich skandalös, nicht wahr?“

„Nein, keineswegs“, beteuerte er hastig. „Entschuldigen Sie mein schlechtes Gedächtnis …“

„Oh, ich fühle mich nicht gekränkt. An solche Erinnerungslücken bin ich gewöhnt – und sogar enttäuscht, wenn ich keine Verwirrung stifte. Denn ansonsten würde man mich völlig übersehen.“

Stantons Augen verengten sich. „Nun sind Sie …“

„So freimütig, dass Sie es unerfreulich finden?“ Felicity hob die Brauen.

„Freimütig, ja. Unerfreulich?“ Er trat näher, betrachtete sie eindringlich, und seine Stimme nahm einen noch tieferen Klang an. „Hmmm. Eher ungewöhnlich.“

Sie widerstand der unwillkürlichen Versuchung, noch einen Schritt zurückzuweichen, und ignorierte das Prickeln in ihrem Bauch. Natürlich gehörten solche anzüglichen Wortgefechte zu den üblichen Avancen aller Männer von Stantons Sorte. „Das muss ich wohl als ein Kompliment deuten, Sir. Niemand will für gewöhnlich gehalten werden.“

„Da haben Sie völlig recht, Lady Felicity.“ In seinen Augenwinkeln bildeten sich Lachfältchen. „Zweifellos werden wir uns später wiedersehen, wenn ich etwas angemessener gekleidet bin, und ich entschuldige mich erneut für meinen ungehörigen Aufzug.“

„Nicht nötig. Allerdings erstaunt mich …“

„Was?“

„Gehört der Verzicht auf Halstücher zur neuen Gentleman-Mode? Bedauerlicherweise bin ich nicht auf dem Laufenden. Außerdem – ist es wirklich en vogue, die Hemdsärmel hochzukrempeln? Oder passt eine solche Lässigkeit nicht eher zu Gentlemen, die lieber dem Sport frönen, als gesellschaftliche Amüsements zu genießen?“

Stanton presste die Lippen aufeinander, und Felicity fürchtete, sie sei zu weit gegangen. Nur wenige Männer wussten es zu schätzen, wenn sie geneckt wurden. Doch dann funkelten seine braunen Augen. Lachend warf er den Kopf in den Nacken und lenkte ihren Blick auf das dunkle Haar in seinem offenen Hemdkragen. Ein seltsamer Schauer rann durch ihren Körper.

„Jetzt erscheinen Sie mir nicht nur ungewöhnlich, sondern auch noch unverbesserlich, Lady Felicity. Wenn Sie herausfinden wollen, warum meine nachlässige Kleidung nicht nur mit dem tropfnassen Reitjackett in der Halle zusammenhängt, sollten Sie danach fragen.“

„Mylord!“ In gespieltem Entsetzen berührte sie ihre Stirn. „Wie können Sie so etwas vorschlagen? Es wäre höchst unschicklich, würde eine Dame einem Gentleman, über dessen Aktivitäten sie nichts weiß, solche Fragen stellen.“

„In der Tat. Aber da Sie so kühn waren, das Thema anzuschneiden, möchte ich Ihre Neugier befriedigen. Ich half meinem Reitknecht im Stall, ein Pferd mit einem Breiumschlag zu behandeln.“

Sofort verflog Felicitys heitere Stimmung. „Lahmt das arme Tier? Das tut mir leid. Hoffentlich erholt es sich bald.“

„Danke“, erwiderte er lächelnd. „Nur eine Vorsichtsmaßnahme, es besteht kein Grund zur ernsthaften Sorge.“ Er verneigte sich. „Nun bitte ich Sie noch einmal um Entschuldigung, Lady Felicity.“

„Schon gut, Lord Stanton. Ich versichere Ihnen – niemand wird von Ihrem kleinen Lapsus erfahren.“

Liebenswürdig lächelte sie den Earl an. Dann stieg sie die Stufen hinab, den Kopf hoch erhoben. Das hatte sie bei ihren raren Begegnungen mit der vornehmen Gesellschaft gelernt: Man sollte sich auf unerwartete Weise benehmen und immer zuerst das Weite suchen, damit man nicht stehen gelassen wurde und nach Luft schnappen musste.

1. KAPITEL

Bath, Ende August 1811

Mama, würdest du bitte eine Heirat für mich arrangieren?“ Felicity lehnte im Privatsalon ihrer Mutter an der Tür und hielt den Atem an.

In einem Morgenmantel aus hellrosa Chiffon, mit Schwanenfedern besetzt, ruhte Lady Katherine Farlowe auf einer rosa Chaiselongue und starrte die jüngere ihrer beiden Töchter an, die – im Gegensatz zur anderen – am Leben geblieben war. Ihre blauen Augen weiteten sich. „Oh, mein liebes Mädchen, ich freue mich so für dich!“ Anmutig erhob sie sich und eilte zu Felicity. „Wer ist der Glückliche?“

Felicity versuchte in der herzlichen Umarmung Mut zu fassen. „Das weiß ich nicht.“ Ihre Stimme klang am Busen ihrer Mama etwas gedämpft. „Deshalb bitte ich dich, eine Heirat zu arrangieren.“

Sofort wurde sie losgelassen, und Lady Katherine trat zurück. Auf der zarten weißen Haut ihrer Stirn bildete sich eine Falte. „Ich verstehe nicht … Warum? Was ist mit der Liebe? Willst du in deiner Ehe nicht glücklich sein?“

Nur mühsam verkniff sich Felicity eine zynische Bemerkung. Ihre Mutter war eine unbelehrbare Romantikerin. Doch Felicity wusste es besser. Die Liebe, insbesondere die unerwiderte, war eine reine Qual. Das hatte sie an ihrer Schwester beobachtet. Auch an ihrer Mutter, die ihre Augen und Ohren vor allen Unannehmlichkeiten verschloss. Nein, sie selbst wollte nur Freundschaft für ihren künftigen Ehemann empfinden und niemals, wie die anderen Frauen ihrer Familie, den Schmerz einseitiger Gefühle erleiden.

Zudem hatte sie – mit vierundzwanzig und sechs Jahre nach ihrem Debüt – kaum noch Chancen auf dem Heiratsmarkt. Kein Mann hatte ihr jemals besondere Aufmerksamkeit geschenkt, bestenfalls ihrer aristokratischen Herkunft und ihrer beträchtlichen Mitgift. Ihr ganzes bisheriges Leben war von der Schönheit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Emma überschattet worden, bis zu deren Tod.

„Jetzt wünsche ich mir einen eigenen Haushalt“, beantwortete Felicity die Fragen ihrer verstörten Mutter. „Und vielleicht Kinder …“

Bei den letzten Worten spürte sie heißes Blut in ihren Wangen. Diesen Wunschtraum hatte sie noch niemandem gestanden, nicht einmal ihrer alten Nanny Beanie. Wegen ihrer Sehnsucht nach Kindern fand sie den zuvor unvorstellbaren Entschluss wenigstens erträglich. Deshalb würde sie heiraten – falls ihre Mutter einen geeigneten Mann fand, denn eine Ehe war noch die beste der reizlosen Möglichkeiten, die sich ihr boten.

„Komm, setz dich zu mir, Liebes.“ Offenbar war Mama hocherfreut. Seit so vielen Jahren verzweifelte sie an Felicitys unscheinbarem Aussehen, an deren Weigerung, sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten anzupassen und einen Ehemann zu suchen. Schließlich hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, während das Mädchen älter geworden war, und immer weniger erwartet.

Das war Felicity sehr angenehm gewesen. Bis zu diesem Jahr … Doch sie verdrängte den Gedanken an ihren neuen Stiefvater, Mr. Quentin Farlowe – den einzigen Grund für ihren drastischen Heiratsplan neben dem Wunsch nach Kindern. Das durfte sie ihrer Mutter nicht verraten. Sogar die subtilste Kritik an der neuen Liebe in Lady Katherines Leben würde zu Tränenausbrüchen und heftigen Protesten führen.

„Also wirklich“, begann die Mutter, ergriff Felicitys Hand und drehte sie zwischen ihren lilienweißen Fingern hin und her, „wenn du mir erlauben würdest, deine Haut mit Bloom of Ninon zu behandeln, hättest du schon bald so wunderbare Hände wie ich.“ Triumphierend streckte sie einen Arm aus und spreizte die rundlichen, mit Juwelen geschmückten Finger. „Sicher willst du, dass dein Mann stolz ist, wenn du seinen Ring trägst.“

Will ich das? „Nun, Mama? Wirst du eine Heirat für mich arrangieren?“

„Keine Ahnung, wie ich ein so poesieloses Mädchen wie dich auf die Welt bringen konnte!“ Lady Katherine seufzte resignierend. „Sogar dein lieber Papa, Gott sei seiner Seele gnädig, war romantischer veranlagt.“

Felicity hatte die Ehe ihrer Eltern beobachtet: die Mutter, hoffnungslos in ihren Gemahl vernarrt, der Vater, freundlich und nachsichtig – solange seine Frau seine Amüsements nicht störte. Natürlich hatte ihre Mutter unter den Affären ihres Gatten und der Vernachlässigung gelitten.

Und Mamas neuer Ehemann … Felicity zügelte ihren Groll. Offenbar gehörte es zum Lebensstil aller verheirateten Aristokraten, ihr Vergnügen mit anderen Frauen zu suchen, ohne zu bedenken, welchen Kummer sie ihren Gattinnen bereiteten.

„Also, wer käme in Betracht?“ Nachdenklich blickte Lady Katherine vor sich hin. „Da wäre der junge Avon. Mit dem hast du dich immer gut verstanden. Und er ist der Erbe des Duke.“

„Nein!“, widersprach Felicity vehement. „Ich würde jemand Älteren vorziehen. Und Dominic ist sogar jünger als ich. Für mich ist er wie ein Bruder. Niemals werde ich ihn heiraten. Nein, ich wünsche mir keinen hübschen, beliebten Mann, sondern einen ganz gewöhnlichen.“

Bloß kein attraktiver Bräutigam, in den ich mich verlieben könnte … Das riskiere ich nicht. Der Gedanke, ihr Gemahl würde sie lieben lernen, erschien ihr völlig absurd. Wenn weder Mama noch Emma trotz ihrer bezaubernden Schönheit die Herzen geliebter Männer gewonnen hatten – welche Chancen würde Felicity erhalten?

„Allzu erfreulich klingt das nicht“, meinte Lady Katherine enttäuscht. „Nun, du weißt ja, was du willst. Schon immer warst du ein seltsames Mädchen. Nicht so wie meine arme liebe Emma…“ Stets bereit, überzuquellen, rollten Tränen über ihre glatten Wangen. „Also gut, Felicity, ich werde mich mit dem Duke beraten. Sicher kennt er einen geeigneten Gentleman.“

Der Duke of Cheriton, Cousin Leo, teilte sich mit Lady Katherine die Vormundschaft für ihre Tochter, bis Felicity heiraten oder ihren dreißigsten Geburtstag feiern würde.

Hoffentlich fand er einen netten, unauffälligen Mann, mit dem sie ein ruhiges, unaufgeregtes Leben führen konnte.

„Stan, freut mich, dich wiederzusehen.“ Leo Beauchamp, der Duke of Cheriton, ging seinem Freund Richard Durant, dem Earl of Stanton, in der eleganten Halle auf dessen Familiensitz Fernley Park im County Hampshire entgegen.

„Bist du aus Cheriton hierhergekommen?“, fragte Richard und schüttelte ihm die Hand.

„Nein, aus Bath.“

„Aus Bath?“ Richard hob die Brauen. „Näherst du dich schon jetzt dem Greisenalter?“

„Sei nicht so frech, Kleiner!“ Grinsend stieß Leo dem nur sieben Jahre jüngeren Earl seinen Ellbogen zwischen die Rippen. „Dort war ich nicht, um die Heilquellen zu nutzen, sondern um mit Lady Katherine, meiner Cousine, eine Familienangelegenheit zu erörtern.“

„Ah, Baverstocks schöne Witwe …“

„Jetzt ist sie nicht mehr verwitwet. Im April hat sie Farlowe geheiratet.“

Richard stieß einen leisen Pfiff aus. „Also bist du nach Bath gefahren, um ihn in der Familie willkommen zu heißen?“

„Wohl kaum“, erwiderte Leo. „Vor diesem Kerl habe ich Katherine gewarnt, leider vergeblich. Sie wollte ihn unbedingt für sich gewinnen – so wie er ihr Einkommen, das ihm ein Luxusleben ermöglicht.“

„Was für ein Glückspilz …“ Richard seufzte. „Ich wünschte, Charles würde genauso auf die Füße fallen. Nun, vielleicht schafft ihn mir eine reiche Witwe vom Hals.“

Charles Durant, ein entfernter Verwandter, war sein Erbe und drängte ihn ständig, seine Schulden zu bezahlen. Entschlossen verdrängte Richard das Unbehagen, das er stets bei dem Gedanken empfand, der Bursche könnte jemals den Stanton-Titel und die Ländereien übernehmen. Immerhin war er selbst kerngesund und plante, noch sehr lange zu leben.

Während die beiden Freunde die Halle durchquerten, öffnete ein Lakai die Tür zum Salon. Dort hatten sich die anderen Gäste, die Richard eingeladen hatte, bereits versammelt. Morgen würden sie gemeinsam auf die Jagd gehen. Nur Gentlemen nahmen an diesem Ereignis teil, denn Richards Mutter war abgereist, um eine alte Freundin zu besuchen.

Am zweiten Abend der Hausparty traf ein Bote ein und informierte Richard über den Tod seines alten Schulfreundes Lord Craven, der einen Jagdunfall erlitten hatte.

Diese Nachricht bedrückte alle Anwesenden. Für Richard war sie besonders schmerzlich, denn sie erinnerte ihn an seinen älteren Bruder Adam, den bei einem Jagdausflug vor sechzehn Jahren eine verirrte Kugel tödlich getroffen hatte.

Damals noch im Internat, war Richard von Craven getröstet worden. Richards Eltern hatten den Verlust nie überwunden. Schon bald folgte der Vater dem älteren Sohn ins Grab. Im zarten Alter von siebzehn Jahren hatte Richard die Grafschaft geerbt. Seither schien er seine Mutter nur noch zu interessieren, weil es ihm oblag, den Fortbestand der Dynastie zu sichern.

Aber er wollte sein Junggesellendasein noch nicht aufgeben. Viel zu sehr genoss er seine Freiheit, seine amourösen Affären, und er perfektionierte seine Reit-, Fecht- und Schießkünste. Sogar im Boxring tat er sich hervor. Das führte zu regelmäßigen Streitigkeiten mit seiner Mutter, die ihn ermahnte, seine waghalsigen Aktivitäten würden sein Leben gefährden. Beharrlich weigerte sie sich, ins Witwenhaus zu ziehen, bevor eine neue Herrin auf Fernley Park residieren würde.

Und jetzt? Cravens Tod zwang Richard, seinen Standpunkt zu überdenken. Wenn er nichts unternahm – würde sich die Befürchtung seiner Mutter bewahrheiten, Charles könnte das Stanton-Vermögen und die Ländereien verschleudern?

Nach dem Dinner herrschte eine beklemmende Atmosphäre. Einige Gäste spielten Karten. Aber Richard mochte sich nicht zu ihnen gesellen. Stattdessen ging er in die Bibliothek, wo er Leo antraf. Der Freund saß vor einem Schachbrett und schob lustlos Figuren umher. „Wie wär’s mit einer Partie?“

Achselzuckend nahm Richard Platz. Doch er konnte sich nicht auf das Spiel konzentrieren und fluchte leise, als sein Läufer von Leos Springer entfernt wurde. Irritiert hob er den Kopf und begegnete dem forschenden Blick seines Freundes.

„Woran denkst du, Stan?“

„An Craven … Unfassbar, nicht wahr?“

„Ja, sehr traurig. Und es weckt bedrückende Erinnerungen.“

„Allerdings.“

Leo war eng mit Adam befreundet und früher ein häufiger Gast auf Fernley Park gewesen. Einfühlsam hatte er damals Richard geholfen, den Tod des Bruders und dann den des Vaters zu verkraften. Da er selbst schon in jungen Jahren die Verantwortung von Macht und Reichtum übernommen und Erfahrungen gesammelt hatte, hatte er dem jüngeren Mann zur Seite gestanden, das Stanton-Erbe und die damit verbundenen Schwierigkeiten anzutreten.

Zögernd griff Richard nach seinem Läufer und hielt inne. Wenn er die Figur bewegte, würde er seine Dame preisgeben.

„Wie alt war Craven?“, fragte Leo. „Über dreißig?“

„Zweiunddreißig, wie ich. Wir waren zusammen in Eton.“ Nach einer kurzen Pause fügte Richard hinzu: „Sein Tod führt mir meine Pflichten vor Augen. Ich muss an die Zukunft denken.“ Aufs Geratewohl schob er einen Bauern nach vorn. „Obwohl ich Charles mag – ich darf es nicht riskieren, dass er das Landgut ruiniert.“

„Keinesfalls. Ziemlich verschwenderisch, der junge Mann.“ Leo benutzte seine Dame, um den Bauern zu eliminieren, den Richard gerade nach vorn gerückt hatte. „Wie ich hörte, sind ihm die Schuldeneintreiber auf den Fersen.“

„Schon wieder? Erst letztes Jahr habe ich ihm aus der Klemme geholfen. Ich dachte, alle seine Schulden seien getilgt.“

„Oft genug habe ich dich gewarnt. Wirf nicht dauernd gutes Geld in ein Fass ohne Boden.“

„Hätte ich bloß auf dich gehört! Noch nie hast du mich schlecht beraten.“

„Freut mich, dass ich trotz meines hohen Alters noch zu was nütze bin.“ Lächelnd ergriff Leo seinen Turm. „Du willst also heiraten? Darf ich fragen, wer die Glückliche ist?“

Richard lachte freudlos. „Keine Ahnung. Auf Anhieb fällt mir niemand ein. Aber ich werde sicher eine passende Frau finden. Aus guter Familie, gefügig, und was am wichtigsten wäre – sie darf sich nicht in mein Leben einmischen.“ Seinen Läufer in der Hand, entfernte er einen Bauern seines Gegners.

„Aha!“, rief Leo triumphierend und schnappte sich Richards Dame.

Seufzend musterte Richard seine Figuren. Nur noch wenige standen auf dem Brett. Er konnte sich wirklich nicht auf das Spiel konzentrieren.

„Also eine Vernunftehe?“, fragte Leo. „Willst du das? Eine fügsame Frau?“

„Was spricht dagegen? Für eine Liebesehe interessiere ich mich nicht. Wenn ich mich nach aufregender Erotik sehne, werde ich sie außerhalb meiner häuslichen Arrangements zur Genüge finden. Nein, eine nette, treu ergebene Gemahlin, die mir den Haushalt führt, meine Kinder großzieht und sich damit zufriedengibt – das wäre genau die Richtige für mich.“

„Wenn das so ist, kenne ich ein Mädchen, das sich eignen würde“, erklärte Leo. „Und jetzt … Schachmatt.“

2. KAPITEL

Mitte September 1811

Felicity saß am Toilettentisch ihres Schlafzimmers in Cheriton Abbey und ließ sich von der Zofe frisieren, die Cousine Cecily ihr zur Verfügung stellte, die jüngere unverheiratete Schwester des Duke. Nach dem Tod seiner Frau hatte sie seine Kinder großgezogen.

Wenn es Felicity auch misslang, Annas Künste enthusiastisch zu würdigen, musste sie sich jedoch – mit illoyalem Unbehagen – eingestehen, dass das Ergebnis die üblichen Bemühungen der armen Beanie übertraf.

Miss Bean, die Nanny aller drei Weston-Kinder, war seit Felicitys sechzehntem Geburtstag ihre Zofe. Wegen ihres Alters und des schwindenden Augenlichts wäre für Beanie die Reise zu Cousin Leos Landgut zu beschwerlich gewesen. Nun akzeptierte Felicity eine unausweichliche Tatsache – ihre geliebte Beanie, die ihr stets mütterlicher zur Seite gestanden hatte als ihre Mama, müsste endlich in den Ruhestand treten.

Um den siebzehnten Geburtstag Olivias zu feiern, der Tochter des Duke, fand eine Hausparty statt. Zudem wurde ihr Debüt im nächsten Frühling vorbereitet. Wie Cecily erwähnt hatte, als Felicity und ihre Mutter vor einer Stunde aus Bath eingetroffen waren, würden außer der Familie vierzehn Gäste an dem Fest teilnehmen.

„So, Mylady, Ihre Frisur ist fertig“, verkündete Anna. „Jetzt muss ich mich um Lady Cecily kümmern. Um sechs Uhr versammelt sich die Familie im Salon.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Anna. Sind die Gäste schon angekommen?“

„Ja, das vermute ich, Mylady“, antwortete die Zofe und eilte aus dem Zimmer.

An diesem Abend sollte Felicity ihren künftigen Ehemann kennenlernen. Ihr wurde die Kehle eng, und sie wünschte, sie könnte einfach eines Tages in die Kirche gehen und einem Fremden vor dem Traualtar begegnen. Wäre das nicht angenehmer als diese lächerliche Farce? Seufzend verdrängte sie die Gedanken an die Tortur, die ihr bevorstand, und erinnerte sich an Cousin Leos ältesten Sohn Dominic, Lord Avon, den Spielkameraden ihrer Kindheit, der erst am nächsten Tag erwartet wurde. Auf dieses Wiedersehen freute sie sich, und sie hoffte auf Neuigkeiten über das Waisenhaus Westfield in London, das sie gemeinsam mit Dominic unterstützte.

Würde ihr Gemahl ihr diese wohltätigen Aktivitäten verbieten, so wie es ihr Stiefvater versucht hatte? Dieses Recht stand ihm zu – das Recht, ihr Befehle zu erteilen und über sie zu bestimmen. Bei dieser Erkenntnis fröstelte sie.

Noch länger konnte sie diesen beklemmenden Gedanken nicht nachhängen. Nach einem tiefen Atemzug verließ sie ihr Schlafzimmer und ging zur Treppe. Am Absatz erinnerte sie sich an die Szene vor einem Jahr – an Stanton in Hemdsärmeln und Breeches, an ihre prickelnden Gefühle. Würde er auch dieses Wochenende hier verbringen? Wahrscheinlich, sagte sie sich voller Vorfreude, die sie sofort unterdrückte. Auf dieser Hausparty würde er sie genauso ignorieren wie auf jener anderen. Trotz der denkwürdigen Begegnung am Treppenabsatz hatte er sie nicht mehr beachtet und die anderen weiblichen Gäste mit seinem Charme betört. So würde es auch diesmal sein.

Wer immer ihr zukünftiger Gemahl sein mochte – neben dem attraktiven Earl würde er verblassen, wie die meisten Männer.

Willst du das nicht? Einen ruhigen, unscheinbaren Gentleman?

Entschlossen bekämpfte sie ihre wachsende Aufregung und stieg die Stufen hinab.

Leo führte Richard zum Ende der Bibliothek, wo zwei Lehnstühle und ein Sofa vor dem lodernden Feuer im steinernen Kamin standen.

„Nun? Sagst du mir endlich, wer sie ist?“ Während des Dinners hatte Richard die Identität seiner Braut zu erraten versucht. Warum zum Teufel hatte er diese Information nicht vor der Reise nach Devon verlangt? Bisher wusste er nur, dass seine Zukünftige ihre Mutter gebeten hatte, eine Heirat für sie zu arrangieren.

Leos silbergraue Augen funkelten. „Nur Geduld, mein lieber Junge.“

Diesen Blick kannte Richard seit dem Beginn der Freundschaft vor fünfzehn Jahren. Natürlich macht es ihm Spaß, mich auf die Folter zu spannen. Aber er bezwang seine Neugierde und sank auf das Sofa, während Leo zwei Gläser mit Brandy füllte und in einem der Lehnstühle Platz nahm.

Richard schwenkte sein Glas, genoss das belebende Aroma und wartete.

„Um dich nicht länger zu quälen“, begann Leo lächelnd. „Es ist mein Mündel, Lady Felicity Weston.“

Erstaunt hob Richard die Brauen. Beim Dinner hatte er nicht neben der jungen Dame gesessen, also auch nicht mit ihr gesprochen. Wie er sich entsann, hatte sie bedrückt gewirkt. War sie aufgeregt gewesen, weil sie ihrem künftigen Ehemann begegnen sollte? Er dachte an jenes seltsame Treffen, letztes Jahr, ebenfalls in Cheriton Abbey. An diesem Abend hatte sie nichts von dem freimütigen Witz gezeigt, der ihm damals aufgefallen war.

Hingegen bewies ihre Mutter fröhliches Temperament, für seinen Geschmack zu lautstark und etwas zu albern. Die andere Tochter – wie er sich erinnerte, war sie früh gestorben – hatte die Schönheit der Mutter geerbt. Lady Felicity nicht. Kein Wunder, dass sie vor einem Jahr gescherzt hatte, man würde sie „übersehen“. Das traf eindeutig zu. Hässlich war sie nicht, nur – unscheinbar.

Nun wählte er seine Worte sehr vorsichtig, denn er wusste, dass Leo sein Mündel mochte. „Ein bisschen langweilig, nicht wahr?“

„Neben ihrer Mutter verblasst sie. Aber sie ist nett und gutmütig. Jetzt wünscht sie sich eine Familie. Und sie ist die Tochter eines Earl. Lady Katherines Vater war ein Marquess. Also ist die Herkunft des Mädchens auf beiden Seiten untadelig. Oder hast du inzwischen gewisse Bedenken, Stan? Möchtest du aus Liebe heiraten? Bisher kennen weder Felicity noch ihre Mutter und ihr Stiefvater deine Identität. Die werden sie nicht erfahren, wenn du dich anders besinnst.“

Will ich das? Richard blickte in seinen Brandyschwenker. Wie hatte er seinem Freund die Gemahlin beschrieben, die er sich vorstellte? Aus guter Familie, gefügig, und was am wichtigsten wäre – sie darf sich nicht in mein Leben einmischen Diese Bedingungen schien Lady Felicity zu erfüllen. Und er war sich seiner Pflichten bewusst. Wenn er Leos Vorschlag ablehnte, musste er eine andere Braut suchen. Und der Gedanke an kupplerische Mütter junger Mädchen und deren mittelloser Väter, die ihn während der nächsten Monate in London belagern würden, zerstreuten seine letzten Zweifel. „Nein, mein Entschluss steht fest, es geht um die Zukunft meines Titels und der Ländereien. Aber – dein Mündel ist noch sehr jung, Leo.“

„Fast fünfundzwanzig. Älter, als sie erscheint.“

Verwundert runzelte Richard die Stirn. Er hatte sie für jünger gehalten. Vielleicht lag das an dem geschmacklosen Kleid, das sie an diesem Abend trug und das ihrer knabenhaften Figur nicht schmeichelte. Immerhin hatte sie eine interessante Persönlichkeit, Humor und Realitätssinn bewiesen, was er zu schätzen wusste. Und solange sie keinen mädchenhaften Illusionen nachhing und erwartete, ihr Mann würde sich in sie verlieben, wäre sie eine geeignete Gemahlin. „Also gut, ich bin einverstanden, ich werde dein Mündel heiraten. Wenigstens kann ich die Formalitäten mit dir klären und muss mich nicht mit Farlowe auseinandersetzen.“

„Willkommen in der Familie, Stan.“ Grinsend sprang Leo auf und schüttelte ihm die Hand. „Dann werde ich Felicity und Katherine hierherholen.“

Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit der jungen Dame und ihrer Mutter in die Bibliothek zurück. Richard stand lächelnd auf und hoffte, er würde seine wahren Gefühle besser verbergen als Lady Felicity.

Geradezu entsetzt starrte sie ihn an. Glaubte sie, der Earl of Stanton sei nicht gut genug für sie?

Richard erhielt nicht die Gelegenheit, seine Braut etwas länger zu beobachten. Denn Lady Katherine rauschte an ihrer Tochter vorbei, umfasste seine Hände und blieb so dicht vor ihm stehen, dass ihr blumiger Duft seine Nase kitzelte. Durch flatternde Wimpern schaute sie ihn an.

Aus den Augenwinkeln sah er den resignierenden Blick, den Leo und Felicity wechselten. Offenbar war er nicht der Einzige, der Lady Katherine ziemlich überwältigend fand.

„Oh, mein lieber, lieber Stanton!“ Atemlos kicherte sie. „Welch ein Glück! Sicher wird mein liebes Mädchen Ihnen genauso viel Freude bereiten wie mir und ihrem lieben Papa – Gott hab ihn selig – und jetzt meinem geliebten Farlowe.“

Mit sanfter Gewalt entzog er ihr seine Hände. „In der Tat“, murmelte er und musterte seinen Freund vorwurfsvoll.

Leo seufzte achselzuckend, manövrierte Lady Katherine zum Sofa vor dem Kaminfeuer und verwickelte sie in ein Gespräch, damit Richard seine Zukünftige kennenlernen konnte.

Was sich als schwierig erwies. Denn Felicity, das Gesicht wachsbleich, setzte sich neben ihre Mutter auf das Sofa und starrte in die Flammen, während Richard in den Lehnstuhl an Leos Seite sank. Ihre Miene war unergründlich. Aber ihre steife Haltung und die im Schoß verkrampften Hände sprachen Bände. Irgendetwas an ihrem Bräutigam musste ihr missfallen. Seltsamerweise bestärkte ihn das in seinem Entschluss, die Heirat voranzutreiben.

„Nun, Lady Felicity, als wir uns damals in diesem Haus am Treppenabsatz trafen, wer hätte gedacht, dass wir ein Jahr später unsere Heirat besprechen würden?“

„Niemand, Mylord.“ Noch immer wich sie seinem Blick aus und betrachtete angelegentlich das Kaminfeuer.

Momentan aus dem Konzept gebracht, musterte er ihr ovales Gesicht. Etwas zu lang, regelmäßige Züge. Das Kinn erschien ihm zu eigenwillig, die gerade Nase zu kräftig. Kunstvoll war ihr dunkelblondes Haar hochgesteckt, im griechischen Stil, mit Löckchen, die sich aus der Frisur gestohlen hatten, neben den schmalen Wangen. Und der Mund? Die verkniffenen Lippen konnten nicht verbergen, wie voll und rosig sie im normalen Zustand aussehen würden. Wenigstens das wirkte anziehend. Auch die bernsteinfarbenen Augen könnten ihm gefallen – würden sie freudig strahlen, statt so ausdruckslos dreinzuschauen.

Woran mochte sie denken? Ihrer angespannte Pose änderte sich nicht. Hatte sie ihre Mutter tatsächlich ersucht, einen Ehemann für sie zu finden? Leo hatte es behauptet. Aber jetzt begann Richard daran zu zweifeln. Wurde die Ehe gegen ihren Willen arrangiert? Hoffentlich nicht. Nachdem er diesen wichtigen Entschluss gefasst hatte, musste er alle Hindernisse beseitigen und die junge Dame für sich gewinnen. „Was für ein schöner Abend, Lady Felicity! Möchten Sie auf der Terrasse spazieren gehen?“

Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, sah sie ihn an. Aber ihre Augen verrieten noch immer nicht, was sie dachte oder empfand.

Bevor sie antworten konnte, mischte Lady Katherine sich ein. „Natürlich will sie das, Stanton! Geh nur, Felicity. Wenn dein Verlobter dich begleitet, brauchst du keine Anstandsdame. Schon lange war ich nicht mehr so glücklich – abgesehen vom Heiratsantrag meines lieben Farlowe. Wer hätte gedacht, dass ich zur Schwiegermutter des Earl of Stanton avancieren würde? Alle Leute werden mich beneiden …“

„Bitte, Mama“, unterbrach Felicity die Tirade und erhob sich. Auch Richard stand sofort auf. Das Gesicht leicht gerötet, senkte sie die Wimpern. „Ja, Mylord, ich würde sehr gern frische Luft schnappen.“

Sie nahm den Arm, den er ihr reichte, und sie verließen die Bibliothek durch eine der Glastüren. Draußen war es ziemlich dunkel, nur wenige Lampen entlang der Balustrade warfen ein schwaches Licht auf die Terrasse. Richard berührte Felicitys Hand, die in seiner Armbeuge lag, und spürte trotz der milden Abendluft eiskalte Finger.

„Frieren Sie, Lady Felicity? Soll ich Ihren Schal holen?“

„Nein, danke, Mylord, mir ist warm genug“, erwiderte sie und hielt den Blick gesenkt.

„Bitte, nennen Sie mich Richard. Jetzt sind solche Formalitäten zwischen uns überflüssig. Es sei denn, Sie haben Bedenken gegen unsere Heirat?“

Nur sekundenlang schaute sie ihn schweigend an. Dann studierte sie wieder den Fliesenboden. Richard blieb unter einer der Lampen stehen und ergriff ihre Hände.

„Verzeihen Sie meine Offenheit …“, begann er zögernd. „Aber Sie erscheinen mir nicht allzu glücklich. Verdränge ich einen Bewerber, den Sie vorziehen würden?“

„Nein, es gibt keinen. Aber ich hatte nicht erwartet … Oh Gott, mir fehlen die Worte!“ Sie entriss ihm ihre Hände und starrte in den dunklen Garten. Plötzlich wirkte sie verletzlich, obwohl er bei früheren Begegnungen stets den Eindruck gewonnen hatte, sie sei sehr selbstbewusst.

Als er ihre Schultern umfasste, spürte er, wie zart sie war. „Versuchen Sie mir zu erklären, was Sie bedrückt. Wenn wir ein angenehmes Eheleben führen wollen, sollten wir von Anfang an ehrlich zueinander sein.“

Nach einem tiefen Atemzug lächelte wie ihn wehmütig an. „Ja, Sie haben recht. Wenn wir heiraten, müssen wir uns verstehen. Und wie ich zugeben muss, habe ich gewisse Zweifel. Niemals hätte ich gedacht, ich würde einen so – guten Fang machen, wenn Sie meine Ausdrucksweise verzeihen.“

Richard verbarg seine Belustigung. Schon oft hatte man ihn als „guten Fang“ bezeichnet. Aber das hatte noch nie eine ernsthafte junge Dame zu ihm gesagt, die zu glauben schien, sie sei einer so fabelhaften Partie nicht würdig. „Nennen Sie mich, wie Sie wollen – solange sie kein Wort benutzen, an dem ich Anstoß nehmen könnte.“

Lachend entblößte sie schneeweiße Zähne. „Anstoß nehmen? Eigentlich dachte ich, diese Formulierung sei älteren Witwen vorbehalten. Glauben die sportlichen Gentlemen neuerdings, sie müssten sich zum Ausgleich ihrer Lässigkeit einer besonders gewählten Sprache bedienen?“

Oh ja, jetzt gefiel sie ihm besser. Ihre Augen funkelten, und sie erinnerte ihn an das lebhafte, unterhaltsame Mädchen, dem er vor einem Jahr begegnet war. „Vielleicht hätte ich es anders ausdrücken sollen. Wären Sie einverstanden, wenn ich sage, ich könnte ‚beleidigt‘ oder ‚empört‘ sein? Sicher nicht ‚entsetzt‘. Das wäre keine männliche Reaktion und würde Ihrem künftigen Gemahl nicht geziemen, eher alten Jungfern …“

Sofort erlosch der Glanz in ihren Augen. „Machen Sie sich nicht über mich lustig, Mylord! Nach Ihrer Ansicht mag ich eine alte Jungfer sein, ein armes Ding, das niemanden interessiert. Aber auch ich habe Gefühle und meinen Stolz.“

„Bitte, Felicity, ich wollte Sie nicht kränken, und ich – ich … Ach, verdammt, kommen Sie her!“

Weil er keine Worte fand, zog er sie einfach an sich, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. Forschend schaute er in ihre Augen, die ihm nichts verrieten. In seinem Arm machte sie sich ganz steif. Fürchtete sie ihn? War sie noch nie von einem Mann geküsst würden? Zu seiner eigenen Verblüffung erfreute ihn der Gedanke, seine Braut habe noch keine sinnlichen Erfahrungen gesammelt. Jedenfalls musste er vorsichtig sein. Er durfte ihr keine Angst einjagen. Langsam beugte er sich vor. Seine Lippen berührten ihre.

Beinahe wäre er erschrocken zurückgewichen. Er hatte Eis erwartet. Stattdessen spürte er ein betörendes Feuer.

3. KAPITEL

Wie rasend pochte Felicitys Herz. Richard hatte einen Arm um ihre Taille geschlungen, mit seiner anderen Hand umfasste er ihren Kopf. So weich und warm fühlten sich seine Lippen an. Und sie schmeckten nach Brandy. Langsam und lockend glitten sie über ihre, und überrascht stellte sie fest, dass ihr Mund antwortete, wie aus eigenem Antrieb.

Durch ihren ganzen Körper strömte prickelnde Erregung. Sie hielt sich an den Ärmeln von Richards Frack fest. In ihrem Bauch kribbelte es. Sonderbar, aber nicht unangenehm. Viel zu schnell endete der Kuss, die Realität kehrte zurück. Dieser Mann würde sie heiraten, das Recht beanspruchen, sie zu küssen und zu liebkosen, wann immer er wollte, und noch viel mehr …

Ihr stockte der Atem. Wie konnte sie der Versuchung widerstehen, einen solchen Mann zu lieben? Der Illusion, er könnte sie lieben lernen, gab sie sich nicht hin. Viel schönere Frauen als sie hatten unter unerwiderter Liebe gelitten, und sie sah eine trostlose Zukunft vor sich. Verzweiflung und Einsamkeit …

Lächelnd ließ er sie los. Sie betrachtete sein Gesicht und sah ihre Sorge bestätigt. Trotz des schwachen Lichts las sie Belustigung in den Tiefen seiner samtigen Augen. Warum auch nicht? Eine naive alte Jungfer und ein erfahrener Mann von Welt. Würde es ihr gelingen, ihr Herz zu schützen?

Durch ein Fenster der Bibliothek sah sie ihre Mutter und den Duke, die angeregt zu plaudern schienen. So bald wie möglich musste sie den beiden erklären, dass sie Lord Stanton nicht heiraten würde. Sie schaute ihn wieder an. Nun wirkte er gelangweilt, und da stand ihre Entscheidung endgültig fest. „Vielleicht sollten wir hineingehen. Mama wird sich schon fragen, wo wir so lange bleiben.“

„Wohl kaum.“ Richards sanfte, tiefe Stimme weckte verwirrende Erinnerungen an den Kuss und trieb ihr die Röte in die Wangen.

„Jedenfalls waren wir lange genug hier draußen.“

„Wie Sie meinen, Lady Felicity.“ Formvollendet verneigte er sich und reichte ihr seinen Arm.

Unter ihren Fingern spürte sie seine harten Muskeln. So umwerfend sah er aus in seinem maßgeschneiderten Frack, der die breiten Schultern betonte, mit seinen markanten Zügen, dem dunklen welligen Haar … Und er war nicht unfreundlich, er besaß Geist und Witz, ein fast perfekter Mann.

Nur nicht für mich.

Einen Schal um die Schultern, klopfte Felicity an die Schlafzimmertür ihrer Mutter. Schweren Herzens hatte sie erkannt, dass sie in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde, wenn sie ihre Mutter nicht über ihre Entscheidung in Kenntnis setzte. Und je früher sie der überschäumenden Begeisterung Lady Katherines für diese Heirat Einhalt gebot, desto besser.

Sie hörte eine schwache Stimme und betrat den Raum. In einer reizvollen Pose, von mehreren Kissen gestützt, ruhte Lady Katherine auf dem Vierpfostenbett. Als sie ihre Tochter erkannte, richtete sie sich schmollend auf. „Ach, du bist es, Felicity. Ich dachte, mein liebster Farlowe würde mich besuchen. Was führt dich zu mir? Wird es lange dauern?“

Zum Glück saß Felicitys Stiefvater immer noch mit den anderen männlichen Gästen unten im Salon. Auch ohne Farlowes Einmischung würde es ihr schwer genug fallen, das Verständnis ihrer Mutter zu gewinnen. Sie setzte sich auf die Bettkante. „Ich kann Lord Stanton nicht heiraten.“

„Was?“ Lady Katherines schriller Schrei ließ Felicity zusammenzucken.

„Tut mir leid …“

„Oh, du undankbares kleines … Was soll das? Du hast mich gebeten, eine Heirat für dich zu arrangieren. Den begehrenswertesten Junggesellen dieser Saison habe ich dir verschafft. Und du wagst es zu behaupten, er sei nicht gut genug für dich? Oh Gott, wo ist mein Riechsalz?“

Autor

Janice Preston
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