Wag den Schritt ins Glück

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Warum nur klopft Rachels Herz so laut, seit der Unternehmer Gabriel Webb sie in ihrem Café um ein Gespräch bat? Sie wollte das Leben mit ihrer kleinen gelähmten Tochter doch allein meistern. Aber der stolze Gutsbesitzer lässt nichts unversucht, ihr den Alltag sonniger zu machen …


  • Erscheinungstag 22.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729868
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„He, ist das nicht Gabriel Webb da hinten am Fenster? Wow!“ Neugierig blickte Stephanie in die Richtung. „Was macht er denn hier? Mischt er sich unters gewöhnliche Volk?“

„Macht es dir etwas aus?“ Rachel bückte sich, um ein Blech mit Scones aus dem Backofen zu nehmen. „In mein Café zu kommen heißt nicht, sich unters gemeine Volk zu mischen.“

„Du weißt, was ich meine.“ Stephanie band sich die Schürze um. „Aber ich habe ihn hier noch nie gesehen. Du etwa?“ Sie schnitt ein Gesicht. „Du musst zugeben, dass ‚Rachel’s Pantry‘ nicht zu den Orten gehört, an denen er sich normalerweise aufhält.“

„Ich weiß nicht, wo er morgens normalerweise seinen Kaffee trinkt.“ Rachel wollte nicht zugeben, dass sie auch schon seit zwanzig Minuten darüber nachdachte. „Wichtig ist nur, dass er seine Rechnung bezahlt.“

Stephanie warf ihr einen ironischen Blick zu. „Es ist dir also egal, wenn er hierher kommt. Kingsbridge ist nicht groß, ich weiß. Aber es gibt ein paar gute Hotels, und wenn die leitenden Mitarbeiter von Webb’s Pharmaceuticals hier sind, wohnen sie normalerweise im County.“ Verstohlen sah sie über die Schulter. „Was hat er gesagt?“

„Ich habe nicht mit ihm gesprochen“, erwiderte Rachel. „Patsy hat seine Bestellung entgegengenommen.“

„Und das war?“

„Du meine Güte, Steph! Eine Kanne Tee, wenn du es genau wissen willst. Bist du nun zufrieden?“

„Tee!“ Stephanie blickte wieder zum Fenstertisch. „Keinen Kaffee?“

„Tee“, wiederholte Rachel leise. „Würdest du jetzt bitte mit der Lasagne anfangen?“

„Okay, okay.“ Gespielt ergeben hob Stephanie die Hände. „Ich fange sofort damit an.“ Sie nahm einige Schüsseln aus dem Regal hinter sich. „Und es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, aber ich habe Mrs. Austen in der High Street getroffen, und sie hat mir von ihrem Besuch bei Mark und Liz in Australien erzählt. Die beiden haben ein ganz tolles Haus in einem Vorort von Sydney, und Mark will mit jemandem, der Rennboote, Jetskis und so etwas herstellt, ein Geschäft gründen. Ganz schön aufregend, nicht?“

„Was? Oh, ja.“

Rachel hatte gar nicht richtig zugehört, denn sie musste ständig an Gabriel Webb denken und hatte das ungute Gefühl, dass er vielleicht in ihr Café gekommen war, um über Andrew zu sprechen.

Rachel presste die Lippen zusammen. Das war lächerlich. Sie hatte Andrew schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Soweit sie informiert war, lebte er in London. Vor Kurzem hatte sie zwar gehört, dass sein Vater Gabriel wieder in das Herrenhaus zurückgekehrt war, das sie in Kingsbridge besaßen, doch es hatte sicher nichts mit ihr zu tun. Und das war auch besser so. Andrew hatte sie verletzt, und sie wollte nichts mehr mit ihm oder seiner Familie zu tun haben. Sicher, seine Mutter war tot, aber wenn Gabriel Webb hier war, um ihr mitzuteilen, dass sie seinen Sohn in Ruhe lassen sollte, verschwendete er nur seine Zeit.

„Und, wie lange ist er schon da?“

Obwohl Stephanie sich über den Tresen beugte, wusste Rachel genau, wovon sie redete. Da sie allerdings nicht mehr über Gabriel Webb reden wollte, tat sie so, als hätte sie ihre Freundin falsch verstanden. „Über fünf Jahre, glaube ich. Liz und er sind in dem Jahr nach Hannahs Geburt ausgewandert. Hat Mrs. Austen erzählt, ob sie inzwischen Enkelkinder hat?“

Stephanie wandte den Kopf. „Oh, wahnsinnig komisch!“, rief sie. „Du weißt genau, dass ich nicht über Mark Austen rede. Was ist mit dir los? Hast du Angst vor dem Mann?“

„Vor Gabriel Webb?“ Rachel spürte, wie sie errötete. „Natürlich nicht. Ich verstehe nur nicht, was das ganze Theater soll. Er ist nur ein Kunde! Nur weil ich mal mit seinem Sohn ausgegangen bin …“

„Das klingt ja, als wäre es bloß ein One-Night-Stand gewesen“, protestierte Stephanie, die gerade Käse auf die Soße streute. „Ihr beide wart einige Monate zusammen. Alle dachten, es wäre etwas Ernstes mit euch, bis sein Vater euch auseinandergebracht hat.“

„Es war nicht …“

Rachel verstummte. Es war besser, ihre Freunde in dem Glauben zu lassen, als zuzugeben, dass Andrew für das Scheitern ihrer Beziehung verantwortlich war. Und auch für Hannah war es besser so, wie sie sich bitter eingestand. Sie hatte ihre Tochter aus allem heraushalten wollen, und sie zweifelte nicht daran, dass Gabriel Webb genauso erleichtert gewesen war wie sein Sohn.

„Ich möchte nicht darüber sprechen“, erklärte sie schließlich. „Oh, Patsy.“ Sie wandte sich an den Teenager, der gerade die Tische abgeräumt hatte und jetzt zurückkam. „Kannst du bitte das Geschirr hier wegstellen? Und dann geh, und frag den … Gentleman am Fenster, ob er noch etwas wünscht.“

„Okay.“

Widerstrebend warf Rachel einen Blick in Richtung ihres unwillkommenen Gasts und nahm dann die Tafel herunter, um die Tagesgerichte darauf zu schreiben.

„Wie viel schulde ich Ihnen?“

Seine Stimme war tiefer als Andrews und so sinnlich, dass Rachel ein Schauer über die Rücken lief. Obwohl Andrew einige Monate mit ihr zusammen gewesen war, hatte er sie nie seiner Familie vorgestellt. Es war das erste Mal, dass sie Gabriel Webb begegnete.

Ihr Mund wurde plötzlich ganz trocken, und sie stellte fest, dass er jünger war, als sie erwartet hatte – etwa Mitte vierzig. Allerdings sah er nicht gut aus. Sein dunkles Haar hatte graue Strähnen, und er war hager und hatte Ringe unter den Augen, die in diesem Licht fast schwarz wirkten. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er krank gewesen war. Im nächsten Moment schalt sie sich jedoch, weil sie sich überhaupt Gedanken darüber machte.

„Ich …“ Am liebsten hätte sie ihm gesagt, es ginge aufs Haus, und ihn gebeten zu gehen. Nachdem sie Stephanie davon zu überzeugen versucht hatte, dass seine Nähe sie nicht aus der Fassung brachte, musste sie allerdings so tun, als hätte sie alles unter Kontrolle. „Hm … einsfünfundneunzig.“

„Einsfünfundneunzig?“ Gabriel Webb nickte. „Okay.“ Dann nahm er einen Fünfpfundschein aus der Hosentasche, legte ihn auf den Tresen und wandte sich ab. „Danke.“

„Warten Sie!“, rief Rachel und hob die Hand, als er sich wieder umdrehte. „Sie haben Ihr Wechselgeld vergessen.“

„Ich habe es nicht vergessen“, entgegnete er ausdruckslos und wollte das Café verlassen.

Ohne auf Stephanies ungläubigen Blick zu achten, folgte Rachel ihm und holte ihn an der Tür ein. „Der Service ist inklusive“, sagte sie angespannt und hielt ihm das Geld entgegen. „Sie hätten das Trinkgeld Patsy geben sollen.“

Seine Miene war resigniert, als er die Münzen entgegennahm. „Muss das sein?“, fragte er so leise, dass Stephanie es zum Glück nicht hören konnte. Mir ist klar, dass Sie mich wahrscheinlich nicht mögen, Rachel, aber ich dachte, Sie würden sich vor Ihren Angestellten zusammenreißen.“

Rachel war verblüfft. „Ich kenne Sie nicht, Mr. Webb“, erklärte sie, nachdem sie die Sprache wieder gefunden hatte.

„Stimmt“, bestätigte er trocken. „Und deswegen hätten Sie im Zweifelsfall zu meinen Gunsten entscheiden können. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Er zuckte die Schultern. „Jedenfalls möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen.“

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Irgendetwas an ihm beunruhigte sie, und sie verspürte einen Anflug von Panik. Vermutlich war es seine Ähnlichkeit mit Andrew, die sie aus der Fassung brachte.

Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es mehr als das war. Sie waren beide groß und schlank, hatten dunkles Haar und einen dunklen Teint, den sie von ihren südländischen Vorfahren geerbt hatten. Doch im Gegensatz zu Andrew war Gabriel nicht im herkömmlichen Sinne attraktiv, denn seine Züge waren schroffer.

„Es war gut, Sie endlich mal kennenzulernen“, bemerkte er.

Rachel nickte höflich, zweifelte aber daran, dass er es ernst gemeint hatte.

Er klappte den Kragen seines Mantels hoch und trat in die kühle Frühlingsluft hinaus. Obwohl der April sehr kalt gewesen war, hätte man ihrer Meinung nach trotzdem keinen Mantel tragen müssen. Sie ging zum Fenster und schob die Jalousie beiseite, um ihm nachzublicken. Die Begegnung mit ihm hatte sie aufgewühlt, und Rachel wünschte, nun nicht Stephanie gegenübertreten zu müssen.

„Das ist ein Mann, nicht?“, erkundigte Stephanie sich prompt neben ihr. „Was hat er gesagt? Es scheint ja ein sehr intensives Gespräch gewesen zu sein.“

„Das ist nicht wahr.“ Wieder errötete Rachel. „Findest du, dass er gut aussah?“

„Ist das eine ernst gemeinte Frage?“ Stephanie zog die Augenbrauen hoch, als sie zum Tresen zurückkehrten. „Ja, ich finde schon. So gut ein Millionär aussehen kann, schätze ich.“

Rachel seufzte frustriert. „Das habe ich nicht gemeint. Er sah aus, als wäre er krank gewesen. Er war so blass und hager im Gesicht.“

„Mir blutet das Herz!“, rief Stephanie ungerührt. „Wahrscheinlich hatte er nur eine schwere Nacht. Männer wie er haben immer eine schwere Nacht.“

„Du hast doch keine Ahnung“, entgegnete Rachel und war froh, als im nächsten Moment mehrere Gäste hereinkamen, um die sie sich kümmern konnte.

Als sie um fünf schlossen, brachte Rachels Mutter Hannah ins Café. Manchmal wartete sie mit den Einkäufen, bis Hannah aus der Schule kam, und dann kamen sie auf eine Kanne Tee und ein Stück Torte vorbei.

Rachel freute sich darüber, die beiden zu sehen. Obwohl Stephanie Gabriel Webb nicht mehr erwähnt hatte, war die Atmosphäre den ganzen Nachmittag ein wenig angespannt gewesen. Morgens öffneten sie meistens um halb neun, und an diesem Tag freute Rachel sich besonders auf den Feierabend.

„Hallo, Schatz.“ Sie bückte sich, um ihre kleine Tochter zu umarmen, und diese errötete.

„Hallo, Mummy.“ Hannah umfasste ihren Arm. „Kann ich heute eine Cola haben? Bitte!“

„Mal sehen.“ Rachel schob Hannah mit ihrem Rollstuhl an den nächsten Tisch. „Und du, Mum? Tee, wie immer?“

„Gern.“ Mrs. Redfern setzte sich auf den Stuhl neben Hannah. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein“, entgegnete Rachel etwas zu schnell, während sie zum Tresen ging. „Eine Cola und ein Tee.“

„Hole ich“, erklärte Stephanie.

Erleichtert begegnete Rachel ihrem zurückhaltenden Blick. „Oh, machst du das?“

„He, für meine Kleine tue ich doch alles.“ Stephanie winkte Hannah zu. „Hallo, Schatz. Wie war’s in der Schule?“

„Ich hab einen golden Stern bekommen“, rief Hannah stolz. „Willst du ihn sehen?“

„Kann ich?“ Stephanie machte den Tee und stellte zwei Tassen auf ein Tablett. Anschließend öffnete sie eine Colaflasche und brachte sie Hannah. „Mensch, bist du ein kluges Mädchen!“ Sie bewunderte den goldenen Stern, den Hannah am Revers ihres Blazers trug. „Wofür hast du den bekommen? Fürs Schwatzen im Unterricht?“

„Nein, du Dummerchen!“ Hannah kicherte, und Rachel nahm ebenfalls an dem Tisch Platz. „Wir haben buchstabiert.“ Sie strahlte sie an. „Ich hab zwanzig von zwanzig Punkten bekommen!“

„Du meine Güte!“ Rachel tat erstaunt. „Dafür hast du dir eine Belohnung verdient. Wie wär’s mit einem Bananensplit?“

„O ja!“

Nachdem Rachel Hannah den Bananensplit und ihrer Mutter ein Stück Kuchen gebracht hatte, verabschiedete Stephanie sich. Rachel drehte das Schild an der Tür um, ließ die Jalousien herunter und setzte sich wieder an den Tisch.

„Du siehst müde aus“, bemerkte ihre Mutter. „Du arbeitest zu viel, Rachel. Nimm dir ab und zu mal einen Tag frei.“

„Ich habe jeden Sonntag frei.“ Rachel trank einen Schluck Tee und lächelte Hannah an, bevor sie fortfuhr: „Erinnere mich daran, dass ich vor dem Wochenende mit Joe Collins reden muss. Der zweite Ofen funktioniert nicht richtig.“

Ihre Mutter nickte. „Wahrscheinlich wird er dir sagen, dass du einen Neuen brauchst.“

„Wenn er repariert werden kann, wird Joe ihn reparieren“, verkündete Rachel und betrachtete einen Moment lang ihre Tochter, deren Mund mit Eis verschmiert war. „Anscheinend schmeckt es dir.“

„Hm.“ Hannah war zu sehr mit ihren Bananensplit beschäftigt, und Mrs. Redfern nutzte die Gelegenheit und fragte leise:

„Hast du dich mit Stephanie gestritten? Die Atmosphäre war vorhin zum Zerreißen gespannt.“

„Sag das nicht.“ Rachel stöhnte. „Schließlich kommen die Leute hierher, um abzuschalten.“

„Ihr habt euch also gestritten.“ Mrs. Redfern schnitt ein Gesicht. „Na ja, es hat bestimmt niemand gemerkt. Ich kenne euch eben gut. Was war los? Ist sie wieder zu spät gekommen?“

„Ja, aber darum ging es nicht.“

„Worum dann?“

„Wenn du es unbedingt wissen willst – Gabriel Webb war heute Morgen hier.“

„Gabriel Webb?“ Mrs. Redfern war verblüfft. „Andrews Vater? Was wollte er hier?“

Rachel seufzte und warf ihrer Mutter einen missbilligenden Blick zu. „Er wollte eine Kanne Tee. Was sonst?“

„Ich hätte nie gedacht, dass jemand wie Gabriel Webb hierher kommen würde.“

„Nein“, meinte Rachel resigniert. „Du bist heute schon die Zweite, die das sagt.“

„Und die Erste war Stephanie“, mutmaßte Mrs. Redfern. „Habt Ihr Euch deswegen in die Haare bekommen?“

„Nein.“

„Na, ich hoffe, du hast ihm zu verstehen gegeben, was du von ihm und seiner Familie hältst.“

„Mum!“ Starr sah Rachel sie an. „Das hier ist ein Café! Ich kann mich meinen Kunden gegenüber doch nicht so verhalten.“

„Nur gegenüber den Kunden, die du nicht magst.“

Rachel schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Natürlich kannst du das. Gibt es ein Gesetz, das dir das Recht abspricht, unwillkommene Gäste nicht zu bedienen?“

„Das hier ist ein Café und keine Gaststätte.“ Rachel wischte ihrer Tochter mit einer Papierserviette den Mund ab. „Jedenfalls hatte ich keinen Grund, etwas zu sagen. Patsy hat ihn bedient, er hat seinen Tee getrunken, seine Rechnung bezahlt und ist gegangen.“

„Und warum hast du dich dann mit Stephanie gestritten?“, fragte ihre Mutter gereizt. „Ich wette, sie findet es nicht gut, dass er hier war.“

„Von wem redet ihr?“, erkundigte Hannah sich unvermittelt, und Rachel warf ihrer Mutter einen ungeduldigen Blick zu.

„Du kennst ihn nicht, Schatz“, versicherte sie und fügte an ihre Mutter gewandt hinzu: „Und es ist mir egal, ob Stephanie ihn mag oder nicht.“

„Ah.“ Mrs. Redfern schniefte. „Ich wusste ja, dass er etwas damit zu tun hat. Ehrlich, Rachel, du hast die Webbs seit Jahren nicht gesehen, aber kaum hast du mit ihnen zu tun, machen sie Ärger.“

„Das ist lächerlich!“ Rachel hatte keine Ahnung, warum sie das Bedürfnis verspürte, Gabriel Webb zu verteidigen. „Ich habe mich über Stephanie geärgert, weil sie eine Bemerkung über sein Äußeres gemacht hat.“ Sie seufzte und fuhr dann fort: „Der Mann sah krank aus, Mum. Und es lag sicher nicht daran, dass er einige Nächte zu wenig geschlafen hat.“

Nun wirkte ihre Mutter beleidigt. „Ich hätte nie gedacht, dass es dich kümmert.“

„Habe ich denn behauptet, dass es so ist?“, konterte Rachel entnervt. „Du bist ja noch schlimmer als Steph! Der Mann hat schließlich das Recht, mal abzuschalten, und was sollte ich dagegen haben, wenn er ausgerechnet hierher kommt?“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich es noch einmal miterleben würde, wie du einen der Webbs verteidigst“, erwiderte ihre Mutter angespannt. „Ich hatte gehört, dass er wieder auf Copleys wohnt, aber ich hatte gehofft, du wärst so vernünftig und wolltest nichts mit ihm zu tun haben.“

„Ich hatte auch nichts mit ihm zu tun“, protestierte Rachel. „Ich habe heute das erste Mal überhaupt mit ihm gesprochen. Jedenfalls hatte ich keinen Streit mit ihm, sondern mit Andrew. Und du hast recht. Ich möchte Andrew nie wieder sehen.“

„Andrew hat nur getan, was sein Vater ihm gesagt hat“, antwortete ihre Mutter ungeduldig. „Ich wüsste nur gern, warum er plötzlich beschlossen hat, Kingsbridge wieder mit seiner Anwesenheit zu beehren. Als ich das letzte Mal von ihm hörte, war er gerade in Italien. Er hätte dortbleiben sollen.“

Rachel schwieg. Falls Gabriel Webb vor Kurzem in Italien gewesen war, sah man es ihm nicht an. Vermutlich war er in seinem Apartment in London gewesen. Das erklärte jedoch nicht seine Blässe.

Obwohl das ursprüngliche Labor in Kingsbridge erbaut worden war, gab es mittlerweile überall in Europa Geschäftsstellen. Der Firmensitz war allerdings immer noch in London. Das wusste sie von Andrew, der ihr auch erzählt hatte, wie hart sein Vater arbeitete. Sicher war dies auch der Grund für sein schlechtes Aussehen, nicht ein ausschweifendes Leben, wie Stephanie angedeutet hatte.

Rachel war froh über die Ablenkung, als Hannah ihr im nächsten Moment ihren leeren Teller zeigte, und hoffte, das Thema wäre für ihre Mutter damit ebenfalls erledigt.

2. KAPITEL

In den nächsten Tagen blickte Rachel oft zur Tür, wenn Gäste hereinkamen, vor allem wenn es ein Mann war. Doch Gabriel Webb kam nicht wieder, und sie sagte sich, dass es besser so wäre.

Am Sonntagmorgen kam Joe Collins, der Elektroinstallateur war, um sich den defekten Backofen anzusehen. Er war Ende dreißig und geschieden und hatte im Lauf der Jahre viel Zeit und Energie darauf verwendet, ihr Avancen zu machen. Doch obwohl er gut aussah und nett war – auch zu Hannah –, wollte sie sich mit keinem Mann mehr einlassen. Ihre Erfahrungen mit Andrew Webb hatten sie misstrauisch gemacht, und sie lehnte seine Einladungen, mit ihm auszugehen, nach wie vor ab, trotz der Beteuerungen ihrer Mutter, dass sie keinen besseren Mann als Joe finden würde.

Genau wie ihre Mutter riet er ihr, sich einen neuen Ofen zu kaufen. „Das Problem ist, dass die Ersatzteile für diese alten Geräte nicht leicht zu bekommen sind“, erklärte er, nachdem er Schaden provisorisch behoben hatte. „Es hält eine Weile, aber ich weiß nicht, wie lange.“

Rachel seufzte. „Na ja, momentan kann ich mir keinen neuen Ofen leisten“, gestand sie, während sie ihnen Espresso machte. „Die kosten ein Vermögen. Ich muss warten, bis ich wieder in den schwarzen Zahlen bin, bevor ich Mr. Lawrence um einen weiteren Vorschuss bitte.“

„Ich könnte dir vielleicht einen aus zweiter Hand beschaffen.“ Joe lehnte sich an den Tresen und tat zwei Stücke Zucker in seinen Kaffee. „Wahrscheinlich hast du davon gehört, dass die Bäckerei Chadwick’s schließt? Ja? Man hat mich damit beauftragt, die alten Öfen rauszureißen. Ich besorge dir einen Guten und warte ihn noch einmal, bevor ich ihn bei dir einbaue.“

Rachel lächelte zerknirscht. „Das ist sehr nett von dir, Joe, aber ich kann mir zurzeit nicht einmal einen aus zweiter Hand leisten. Vielleicht in sechs Monaten …“

Joe wurde rot. „Du müsstest mir das Geld nicht sofort geben, Rach. Wir könnten vereinbaren, dass du ihn auf Probe annimmst, und später sehen wir weiter.“

„Nein.“ Sie wusste genau, was er damit meinte. „Außerdem fallen womöglich noch Fliesen und Malerarbeiten an, wenn du den alten Ofen rausreißt. Trotzdem vielen Dank für das Angebot. Ich weiß es zu schätzen.“

„Tatsächlich?“ Er betrachtete sie skeptisch. „Ich dachte, wir wären Freunde, Rach. Freunde helfen einander, auch ohne Hintergedanken.“

„Ich weiß.“ Nun fühlte sie sich unbehaglich, denn sie wollte seine Gefühle nicht verletzen. „Ich werde darüber nachdenken.“ Sie trank einen Schluck Espresso und wechselte anschließend das Thema. „Wie geht es deiner Mutter?“

„Gut. Und deiner? Und Hannah natürlich.“

„Oh … gut, danke.“ Rachel entspannte sich ein wenig. „Hannah kommt in der Schule gut zurecht. Sie hat diese Woche einen goldenen Stern bekommen.“

„Kluges Mädchen.“ Joe lächelte jungenhaft. „Sie ist ein gutes Kind. Larry wäre stolz auf sie gewesen.“

„Ja“, erwiderte sie. Larry hatte nie Kinder gewollt, auch wenn er immer etwas anderes erzählt hatte. Insgeheim fragte sie sich, wie er wohl auf die Behinderung seiner Tochter reagiert hätte, wenn er noch am Leben wäre.

„Wahrscheinlich hast du schon gehört, dass Gabriel Webb wieder auf Copleys wohnt“, sagte Joe unvermittelt, und Rachel überlegte, was schlimmer war – über ihren verstorbenen Ehemann zu sprechen oder über den Mann, in den sie in dieser Woche viel zu oft gedacht hatte.

„Hm … Ja, ich weiß“, antwortete sie und ging schnell in die Küche, um ihre Tasse zu spülen. „Weißt du, warum?“

Er kam zur Tür und beobachtete sie. „Andrew ist nicht hier, soweit ich weiß.“

„Meinst du, es interessiert mich, wo Andrew Webb ist?“

„Ich dachte, vielleicht.“

„Du irrst dich.“ Überrascht stellte sie fest, dass sie es ernst meinte. „So, wie er sich benommen hat …“ Sie verstummte und fuhr ausdruckslos fort. „Es ist lange her. Ich habe mich weiterentwickelt.“

„Tatsächlich?“, meinte er skeptisch. „Du lässt doch keinen anderen Mann in dein Leben.“

„Ich brauche keinen Mann in meinem Leben. Ich will es nicht.“ Rachel errötete. „Tut mir leid, wenn es überheblich klingt, aber so empfinde ich nun mal.“

Joe presste die Lippen zusammen. „Liebst du Larry immer noch?“

„Nein!“, entgegnete sie heftig. Sie bezweifelte, dass sie Larry Kershaw je geliebt hatte. Als sie ihn geheiratet hatte, war sie davon überzeugt gewesen, doch ihr war schnell klar geworden, dass er ein Egoist war. Und sie hatte ihm nie verziehen, dass er den Unfall verursacht hatte und somit für Hannahs Lähmung verantwortlich war. „Ich glaube wohl nicht mehr an die Liebe.“

Joe schüttelte den Kopf. „O Rachel! Du hattest es mit Larry und Andrew nicht leicht, aber es gibt auch Männer, die anders sind, wie mich zum Beispiel. Du bist mir wichtig, das weißt du. Du und Hannah. Und ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen.“

„Ich weiß.“ Jetzt fühlte sie sich schrecklich. „Ich finde nur, du solltest deine Zeit nicht mit mir verschwenden.“

„Es wäre keine Zeitverschwendung.“

„Doch, glaub mir.“ Rachel legte das Geschirrhandtuch weg und straffte sich. „Was schulde ich dir?“

In der folgenden Woche hatte Rachel viel zu tun. Es wurde wärmer, und da Kingsbridge in der Nähe von Oxford und Cheltenham lag, kamen auch zahlreiche Touristen. Stephanie hatte Gabriel Webb nicht mehr erwähnt, und dafür war Rachel ihr dankbar, denn sie hätte ihn am liebsten vergessen.

Am Mittwochmorgen gegen halb elf kam er wieder. Er setzte sich an denselben Tisch am Fenster. Obwohl er nicht in ihre Richtung blickte, war sie sicher, dass er sie bemerkt hatte, und ihr Magen krampfte sich zusammen.

Leider hatte sie Patsy gerade zum Geldwechseln zur Bank geschickt, und wenn sie Stephanie nicht bitten wollte, ihn zu bedienen, musste sie es schon selbst tun. Also nahm sie ihren Bestellblock und durchquerte den Raum.

„Sie wünschen?“

Gabriel Webb blickte auf und betrachtete sie mit einem unergründlichen Ausdruck in den dunklen Augen. Er sah nicht mehr ganz so schlecht aus wie beim letzten Mal, und sie fragte sich, wie sie ihn immer noch attraktiv finden konnte, obwohl er sich nicht einmal rasiert hatte.

„Eine Kanne Tee, bitte“, erwiderte er schließlich.

Rachel notierte es, damit sie ihm nicht in die Augen sehen musste. „Noch etwas?“

Gabriel Webb zögerte ganz bewusst, davon war sie überzeugt. „Was können Sie mir empfehlen?“

Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. „Oh … ich weiß nicht. Ein Stück Torte? Einen Donut? Einen Scone?“

Spöttisch verzog er den Mund. „Nein, danke.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Sie hätten nicht zufällig Lust, sich zu mir zu setzen, oder?“

„Ich?“ Ihre Stimme überschlug sich beinah. „Das geht leider nicht. Ich … ich habe zu tun.“

Er neigte den Kopf. „Natürlich. Tut mir leid.“

Ihr tat es auch leid, doch sie rang sich ein Lächeln ab und eilte in die Küche. Ihre Hand zitterte, als Rachel Milch und Zucker auf das Tablett stellte. Stephanie, die gerade Geschirr in die Maschine geräumt hatte, merkte es.

„Was ist …? Ach, er ist wieder da!“

„Würdest du ihm bitte seine Bestellung bringen?“ Rachel stellte die Kanne aufs Tablett und bemühte sich um einen ausdruckslosen Tonfall, aber ihre Freundin warf ihr einen missbilligenden Blick zu.

„Warum ich?“, fragte sie. „Offenbar will er dich sehen. Ich frage mich, warum.“

Rachel unterdrückte ein Stöhnen. „Fang nicht wieder damit an, ja? Ich mache es selbst.“

Irgendwie schaffte sie es, den Tee ohne Missgeschicke zu servieren. Als sie sich abwenden wollte, erkundigte sich Gabriel Webb: „Wie geht es Ihnen? Und Ihrer Tochter? Sie heißt Hannah, nicht?“

Sie war verblüfft. „Woher wissen Sie, dass ich eine Tochter habe. Ach, Andrew hat es Ihnen erzählt, stimmt’s?“

„Ja. Aber ich wusste es bereits“, erwiderte er ruhig. „Ich habe … Mitarbeiter, die mich über die Freundinnen meines Sohnes auf dem Laufenden halten.“

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. „Spione, meinen Sie?“ Es ärgerte sie, dass er sie so in Verlegenheit brachte. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, Mr. Webb …“

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Das habe ich auch nicht vor. Beleidigen Sie mich nicht, indem Sie so tun, als würden Sie oder Ihr Sohn sich für mich interessieren. Sie mochten mich damals nicht und mögen mich sicher auch jetzt nicht.“

Gabriel Webb presste die Lippen zusammen. „Ich kann mich nicht entsinnen, mir damals überhaupt eine Meinung über Sie gebildet zu haben“, erwiderte er ruhig. „Für Andrew kann ich natürlich nicht sprechen. Ich habe erst vor Kurzem herausgefunden, warum Ihre Beziehung mit ihm endete. Ich war – ich bin – entsetzt über sein Verhalten.“

Rachel betrachtete ihn spöttisch. „Ich soll also wirklich glauben, dass Sie nicht wussten, wie er über Hannah dachte?“

„Glauben Sie es oder nicht, niemand hielt es für nötig, mich darüber zu informieren, dass Hannah behindert ist.“ Sein Blick war bezwingend. „Schließlich war es nur eine kurze Affäre. Wie immer bei Andrew.“

Trotzig hob sie das Kinn. „Hannah ist nicht behindert. Sie ist ein ganz normales Kind, das – vorübergehend – an den Rollstuhl gefesselt ist.“

„Vorübergehend.“

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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