Warme Nacht und heiße Küsse

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Für die junge Masseurin Lisa Renshaw ist alles wie ein Traum: der neue Job auf der Karibikinsel und der süße Flirt mit dem reichen Brad Sanderson! Erst als sie an eine gemeinsame Zukunft mit ihm glaubt, wird sie seine Geliebte. Aber schon am nächsten Tag erlebt sie eine bittere Enttäuschung...


  • Erscheinungstag 02.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779252
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Geld her“, forderte der dunkelhäutige Puerto-Ricaner drohend. „Na los! Wird’s bald?“

Lisa versuchte, möglichst ruhig und gelassen zu wirken, und schüttelte den Kopf. „Ich habe keines bei mir.“

Sie musste sich eingestehen, dass es wohl keine gute Idee gewesen war, so spät noch allein spazieren zu gehen. Denn obwohl sie sich auf einer Hauptstraße befand, waren kaum Fußgänger unterwegs, und im Augenblick war weit und breit niemand zu sehen.

„Was ist?“ fragte der Fremde schroff. „Soll ich es mir selbst nehmen?“

Lisa hatte wirklich kein Geld bei sich, aber der Mann schien ihr nicht zu glauben. Allmählich wurde ihr bewusst, in welcher Gefahr sie sich befand, und ihr Herz schlug schneller. Sie spielte mit dem Gedanken davonzulaufen, doch der Puerto-Ricaner schien es zu erraten und verstellte ihr den Fluchtweg. Dann packte er sie, drückte ihr die schweißnasse Hand auf den Mund und versuchte, sie in eine finstere Seitengasse zu zerren. Von Panik erfasst, fing Lisa an, sich aus Leibeskräften zu wehren, doch unbeirrt schleifte der Mann sie weiter mit sich fort.

Erst als ein Wagen mit quietschenden Reifen am Straßenrand stehen blieb, ließ der Mann sie los. Sie hörte, wie ein unbekannter Mann ihrem Angreifer etwas zurief, dann wurde sie zur Seite gestoßen und fiel auf die Knie. Sekunden später war der Puerto-Ricaner in einer Seitengasse verschwunden.

Einen Augenblick war Lisa wie gelähmt. Als jemand sie fest am Ellbogen fasste, um ihr wieder auf die Beine zu helfen, zuckte sie zusammen.

„Keine Angst, ich tue Ihnen nichts“, hörte sie eine männliche Stimme sagen. „Sind Sie verletzt?“

Lisa schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie leise. „Nur etwas geschockt.“

„Kein Wunder. Schließlich sind Sie um Haaresbreite einer Vergewaltigung entgangen. Wer weiß, vielleicht hatte er sogar Schlimmeres mit Ihnen vor!“

„Er wollte nur mein Geld“, antwortete sie und beobachtete, wie der Unbekannte spöttisch den Mund verzog.

„Aber sicher! Schließlich findet man in dieser Stadt an jeder Straßenecke Blondinen mit blauen Augen!“ Ohne ihr Gelegenheit zu geben, etwas darauf zu antworten, fuhr er fort: „Wo wohnen Sie?“

Offensichtlich hielt er sie für eine Touristin, und das konnte sie ihm nicht verdenken. Schließlich benahmen sich nur Touristen so töricht, wie sie sich verhalten hatte.

„Im Ambassador Plaza“, antwortete sie zögernd.

Er zog die dunklen Brauen hoch. „Das ist nicht gerade in der Nähe.“

„Ich wollte einen kleinen Spaziergang machen, und dabei habe ich mich verlaufen“, gab Lisa zu.

„Sie wollten einen Spaziergang machen? In San Juan?“ fragte er ungläubig. „Sind Sie so naiv, oder kennen Sie keine Angst?“

„Weder noch“, entgegnete sie scharf. „Ich habe nur einen Fehler gemacht.“

„Ein Fehler, der Sie teuer hätte zu stehen kommen können.“ Er deutete auf eine elegante Limousine, die am Straßenrand wartete. „Kommen Sie, ich bringe Sie ins Hotel zurück.“

Lisa bemerkte, dass hinter dem Steuer des Wagens ein uniformierter Chauffeur saß. Es war also auszuschließen, dass sie vom Regen in die Traufe kam. Unter den gegebenen Umständen blieb ihr wohl gar nichts anderes übrig, als das Angebot des Unbekannten anzunehmen. Schließlich wusste sie nicht einmal, in welcher Richtung das Hotel lag.

Höflich forderte der Mann sie auf, in den Wagen zu steigen, und nahm neben ihr Platz. „Ins Ambassador Plaza“, wandte er sich an den Fahrer.

Dann lehnte er sich zurück und musterte Lisa interessiert. Dabei schien er jede Einzelheit ihres feinen, von goldblondem Haar umrahmten Gesichts in sich aufzunehmen.

„Wie alt sind Sie eigentlich?“ fragte er unvermutet.

Lisa ärgerte sich über die anmaßende Frage, verzichtete unter den gegebenen Umständen aber darauf, ihm eine schroffe Antwort zu geben.

„Dreiundzwanzig, falls das irgendetwas zur Sache tut“, sagte sie stattdessen.

„Also alt genug, um über gesunden Menschenverstand zu verfügen. Es wäre ratsam, ihn in Zukunft öfter einzusetzen, falls Sie Ihren vierundzwanzigsten Geburtstag noch erleben möchten.“

Dann wandte er sich von ihr ab und sah aus dem Fenster. Lisa beobachtete ihn verstohlen. Sie kam zu dem Schluss, dass er wahrscheinlich aus England stammte, seiner dunklen Hautfarbe nach zu urteilen aber schon lange nicht mehr dort lebte. Er war Mitte dreißig und offensichtlich daran gewöhnt, den Ton anzugeben. Das zeigte auch die arrogante Art, wie er sie für ihr unvernünftiges Verhalten getadelt hatte, und obwohl Lisa ihm für seine Hilfe dankbar war, ärgerte sie sich über seine Überheblichkeit.

Dennoch ließ sie sich nichts anmerken. Ihr Blick fiel auf seinen eleganten weißen Smoking, und sie sagte höflich: „Ich hoffe, Sie kommen meinetwegen nicht zu spät zu Ihrer Verabredung.“

Er zuckte die Schultern. „Auf ein paar Minuten kommt es nicht an. Reisen Sie allein?“

„Ja“, erwiderte Lisa und fügte dann trotzig hinzu: „Ich reise gern allein. So kann ich tun und lassen, was ich will.“

„Aber das könnten Sie doch auch, wenn Sie in Begleitung verreisen würden! Ich nehme an, Sie sind unverheiratet. Mit einer Freundin Urlaub zu machen ist für eine Frau fast genauso gefährlich, wie allein zu verreisen, aber Sie haben doch bestimmt auch männliche Freunde, die Sie gern begleiten würden.“

„Niemanden, mit dem ich auf Reisen gehen möchte“, konterte sie schroff. „Aber von jetzt an werde ich bestimmt vorsichtiger sein. Sie müssen sich um mich also keine Sorgen machen.“

„Es gibt schönere Urlaubsziele als Puerto Rico“, fuhr er fort und ignorierte ihre letzte Bemerkung. „Sie sollten auf eine der kleineren Inseln fliegen.“

Das hatte Lisa auch vor, allerdings nicht, um dort Urlaub zu machen. Aber das ging diesen Unbekannten nichts an. Durch die Windschutzscheibe erblickte sie die hell erleuchtete Fassade des Ambassador Plaza, und sie atmete erleichtert auf. Je eher sie sich von diesem Mann verabschieden konnte, umso besser.

Er stieg aus dem Wagen, und als Lisa neben ihm auf den Fußweg trat, stellte sie fest, dass er sie um Haupteslänge überragte. Unter seinem Smoking zeichneten sich breite Schultern und schmale Hüften ab, die darauf schließen ließen, dass er einen durchtrainierten Körper besaß. Lisa musste sich eingestehen, dass er ungemein männlich und attraktiv wirkte, und sie spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch. Zweifellos wusste dieser Mann, wie er auf Frauen wirkte.

„Nochmals vielen Dank“, sagte sie mit belegter Stimme. „Ich bin froh, dass Sie mir zu Hilfe gekommen sind.“

Er beugte sich zu ihr herunter, und in seinen grauen Augen lag leiser Spott. „Es war mir ein Vergnügen, Ihnen zu Diensten zu sein. Passen Sie in Zukunft gut auf sich auf.“

Als Lisa das Hotel betrat, hörte sie, wie der Wagen davonfuhr, doch sie drehte sich nicht um. In der Halle herrschte emsiges Kommen und Gehen, und viele der Gäste waren elegant gekleidet, um sich ins bunte Nachtleben von San Juan zu stürzen. Aus der Bar drang Musik in die Halle, doch Lisa war nicht nach Trubel zu Mute, und sie machte sich auf den Weg zum Lift. Da sie am nächsten Morgen bereits um acht Uhr abfliegen würde, war es nur vernünftig, früh zu Bett zu gehen.

Als Lisa kurze Zeit später die Tür ihres geräumigen Hotelzimmers hinter sich schloss, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Da ihre Maschine eine Stunde lang in New York aufgehalten worden war, war Lisa mit Verspätung in San Juan gelandet und hatte deshalb ihren Flug nach St. Thomas versäumt. Anfänglich war sie nur zögernd auf das Angebot der Fluggesellschaft eingegangen, ihr eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen, und hatte insgeheim befürchtet, in irgendeiner Bruchbude am Stadtrand untergebracht zu werden. Auf ein Luxushotel wie dieses war sie nicht gefasst gewesen.

Mit ihrem eigentlichen Reiseziel würde es das Ambassador Plaza aber bestimmt nicht aufnehmen können. Schließlich galt das Isle Royale Hotel als eine der feinsten Adressen in der Karibik. Dem Hotelprospekt nach zu urteilen, den Lisa studiert hatte, war es auch eine der teuersten. Natürlich hätte sie es sich niemals leisten können, an einem solchen Ort ihren Urlaub zu verbringen, aber es war sicher genauso schön, dort arbeiten zu können.

Es würde sicher nicht einfach sein, als Masseurin in einem Haus zu arbeiten, dessen Gäste allerhöchste Ansprüche stellten, aber Lisa traute sich durchaus zu, sie zufrieden zu stellen. Schließlich hatte sie eine erstklassige Ausbildung genossen und anschließend in einem der besten Massageinstitute von London gearbeitet. Gary Conway war von ihren Fähigkeiten sogar so beeindruckt gewesen, dass er ihr diesen Job angeboten hatte. Der Verlockung, drei Monate lang im Isle Royale zu arbeiten und eventuell sogar länger bleiben zu können, hatte Lisa nicht widerstehen können. In der Karibik schien die Sonne das ganze Jahr über, und das allein war Grund genug gewesen, die Stelle anzunehmen.

Als sie wenig später in ihrem Bett lag und gedämpfte Musik aus dem Erdgeschoss zu ihr heraufdrang, dachte Lisa wieder an den Mann, der sie gerettet hatte. Offensichtlich war er sehr vermögend und in gewisser Weise auch ein Gentleman, doch seine arrogante Art missfiel ihr sehr. Er schien zu den Männern zu gehören, die Frauen für minderwertige Geschöpfe hielten, die nichts im Kopf haben und vor ihren eigenen Dummheiten beschützt werden müssen. Lisa musste sich eingestehen, dass ihr Verhalten heute Abend nicht unbedingt dazu beigetragen hatte, dieses Vorurteil zu entkräften, aber Fehler waren schließlich dazu da, dass man daraus lernte.

Doch es war unwahrscheinlich, dass sie diesem Mann noch einmal begegnen würde, und daher auch gleichgültig, was er von ihr dachte. Lisa beschloss, nicht länger über ihn nachzudenken, und versuchte zu schlafen.

Sie erwachte um sechs Uhr morgens und war um sieben bereits am Flughafen. Die Frau am Abflugschalter schlug ihr vor, die Frühmaschine um sieben Uhr fünfzehn zu nehmen, und Lisa stimmte erfreut zu. Dann ging sie zum Flugsteig, wo bereits einige Passagiere darauf warteten, vom Steward zu dem kleinen Inselflugzeug gebracht zu werden.

Ein anderer Passagier reihte sich hinter ihr in die Schlange ein, und Lisa drehte sich um, um ihn freundlich anzulächeln, doch als sie in seine spöttisch funkelnden grauen Augen sah, erstarrte sie. Bei Tageslicht wirkte ihr Retter sogar noch größer als am Abend zuvor, und das hellblaue Hemd, das er offen trug, ließ seine Schultern noch breiter erscheinen. Bei ihrem Anblick zog er fragend eine Braue hoch.

„Sie haben meinen Rat also befolgt“, stellte er fest.

Allmählich gewann Lisa die Fassung wieder. „Ich wollte von Anfang an nach St. Thomas fliegen.“

„Das war eine kluge Entscheidung.“

„Schön, dass Sie damit einverstanden sind“, erwiderte Lisa zuckersüß. „Wollen Sie auch die Insel besuchen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich lebe dort. Zumindest zeitweise. Wie lange wollen Sie auf St. Thomas bleiben?“

„Vorläufig drei Monate.“ Erstaunt sah er sie an. In ihrer lässigen Leinenhose und dem schlichten T-Shirt sah sie wohl nicht so aus, als ob sie sich einen dreimonatigen Urlaub in der Karibik leisten könnte. Sie wollte zu einer Erklärung ausholen, besann sich dann aber eines Besseren. Schließlich ging ihn ihr Privatleben nichts an.

Als alle Passagiere am Flugsteig eingetroffen waren, öffnete der Steward die Glastür, sammelte die Bordkarten ein und ließ sie ins Freie. Lisa ging ziemlich schnell, doch es gelang ihr nicht, ihren Begleiter abzuschütteln. Schließlich holte er sie ein und ging neben ihr her.

„Sind Sie zum ersten Mal hier?“ versuchte er das Gespräch wieder in Gang zu bekommen. „Kaum jemand bleibt länger als eine Woche auf nur einer Insel. Sie haben alle ihren Reiz.“

„Die Geschmäcker sind verschieden“, erwiderte sie. „Ich lerne lieber einen Ort gut kennen als viele Orte oberflächlich. Sicher wird es mir auf St. Thomas nicht langweilig werden. Wer wie ich gerade einen englischen November erlebt hat, der braucht nur Sonne.“

Er nickte. „Der Herbst in England ist feucht und neblig. Ich kann verstehen, dass Sie diesem Klima für eine Weile entfliehen möchten.“

„Wie lange waren Sie nicht mehr in England?“ fragte Lisa neugierig.

„Das letzte Mal war ich vor einigen Jahren dort, und das nur für wenige Tage. Aber ich bin dort aufgewachsen. Meine Eltern sind hierher gezogen, als ich zwölf war.“

„Nach St. Thomas?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nach Tortola.“

Das ist eine der britischen Jungferninseln, dachte Lisa. Sie hätte gern gewusst, ob seine Eltern noch immer dort lebten, aber sie wollte ihm keine weiteren Fragen stellen.

Das Flugzeug war eine zweimotorige Propellermaschine, die offensichtlich schon seit vielen Jahren im Einsatz war und bei deren Anblick Lisa ein mulmiges Gefühl erfasste. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass die Maschine die kurze Strecke zwischen den Inseln schließlich mehrmals täglich zurücklegte, und suchte sich dann einen Fensterplatz. Zu ihrem Missfallen nahm ihr Gesprächspartner neben ihr Platz.

„Wir werden rechtzeitig zum Frühstück auf St. Thomas sein“, stellte er fröhlich fest. „Haben Sie ein Apartment gemietet, oder wohnen Sie in einem Hotel?“

„In einem Hotel“, erwiderte Lisa. Und um weiteren Fragen zuvorzukommen, fügte sie hinzu: „Im Isle Royale.“

„Drei Monate?“ Er klang skeptisch. „Haben Sie reserviert?“

Es hatte keinen Sinn, noch länger mit verdeckten Karten zu spielen. Schließlich wusste dieser Mann genauso gut wie sie, dass es sich nur Millionäre leisten konnten, drei Monate in einem Hotel wie dem Isle Royale zu verbringen.

„Ich bin kein Hotelgast“, erklärte sie. „Ich gehöre zum Personal.“

„Wirklich?“ Er runzelte die Stirn. „Was sind Sie denn von Beruf?“

„Ich bin Masseurin.“

Seine Antwort ging im Lärm der startenden Motoren unter, doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie nicht allzu freundlich gewesen.

„War die Stelle denn in England ausgeschrieben?“ fragte er, als der Lärm etwas nachgelassen hatte.

„Eigentlich nicht.“ Obwohl es den Fremden nichts anging, hatte Lisa das Gefühl, ihm eine Erklärung schuldig zu sein. „Als der Manager des Hotels vergangenen Monat in London war, hat er sich beim Joggen durch den St. James Park einen Muskel gezerrt. Zufällig war ich in der Nähe und konnte ihm helfen.“

„Und da hat er Ihnen auf der Stelle diesen Job angeboten?“

„Nein. Er kam noch einige Male in das Massageinstitut, in dem ich arbeitete, und ließ sich von mir massieren.“

„Ich nehme an, die Behandlung war nicht gerade billig?“

„Nicht teurer als üblich.“ Der Ton der Unterhaltung missfiel Lisa allmählich.

In diesem Augenblick beschleunigte das Flugzeug, und sie lehnte sich zurück. Es war das erste Mal, dass sie mit einer Propellermaschine flog, und sie war ein wenig ängstlich.

Doch der Start verlief sanfter als erwartet. Nachdem sich das Flugzeug in die Lüfte erhoben hatte, schwebten sie relativ niedrig über dem aquamarinfarbenen Meer, das sich zu einem tiefen Blau verfärbte, wo es die vorgelagerten Inseln umbrandete. Fasziniert betrachtete Lisa die idyllische Szene und freute sich über die strahlende Sonne, die prächtigen Farben und die Tatsache, dass sie in der Karibik und somit Lichtjahre von der Welt entfernt war, die sie gerade hinter sich gelassen hatte.

Der Mann an ihrer Seite schwieg, und verstohlen betrachtete sie ihn von der Seite. Gedankenverloren blickte er geradeaus, und sein Gesicht verriet keinerlei Regung. Er hatte dunkles, gewelltes Haar und ein klassisches Profil mit einer hohen Stirn, einer scharf geschnittenen Nase, festen, wohlgeformten Lippen und einem markanten Kinn. Lisa fragte sich, wer dieser Fremde eigentlich war. Sie hatte ihm zwar einiges über sich selbst erzählt, doch sie wusste kaum etwas über ihn.

Andererseits hätte das auch nichts an ihrem Verhältnis zueinander geändert. Wer immer der Unbekannte auch war, sie beide verkehrten bestimmt nicht in denselben Kreisen. Während des restlichen Fluges sprach er kein Wort mehr.

Als die Maschine zur Landung ansetzte, war Lisa zu sehr von der Schönheit der vor ihnen liegenden Insel gefesselt, um sich Gedanken über eine sichere Landung zu machen. Fasziniert betrachtete sie die sanften grünen Hügel, die strahlend weißen Sandstrände und die pastellfarbenen Häuser. Sie hatte keinerlei Zweifel, dass sie hier glücklich sein würde.

Sobald die Maschine zum Stillstand gekommen war, sprang Lisas Sitznachbar auf. Mit einem Griff öffnete er das Gepäckfach und nahm Lisas Handtasche und seinen Kleidersack heraus.

„Danke“, sagte Lisa und nahm ihm die Tasche ab.

Sein Lächeln war oberflächlich. Seit er ihren gesellschaftlichen Status kannte, schien sich sein Verhalten ihr gegenüber geändert zu haben. Eigentlich hätte sie ihn nicht so eingeschätzt, aber es war nicht das erste Mal, dass sie sich in einem Menschen getäuscht hatte. Für sie selbst machte es keinen Unterschied, ob jemand viel oder wenig Geld hatte. Und Leute, die sich für etwas Besseres hielten, waren es gar nicht wert, dass man über sie nachdachte.

Nachdem sie zu Fuß über das Vorfeld gegangen waren, erreichten sie das kleine, aber überraschend moderne Flughafengebäude. Da Lisa die Zollformalitäten in San Juan erledigt hatte, konnte sie direkt zur Gepäckausgabe weitergehen. Der Mann, der im Flugzeug neben ihr gesessen hatte, ging in die andere Richtung davon. Lisa war erleichtert darüber, ihn endlich los zu sein, und hoffte, ihn niemals wieder zu sehen.

Nachdem sie eine halbe Ewigkeit darauf gewartet hatte, bekam sie endlich ihr Gepäck. „In der Karibik laufen die Uhren eben anders“, erklärte ihr der Mann, den sie gefragt hatte, ob das immer so lang dauern würde. „Hier gibt es keinen Stress und keine Hektik. Entweder man akzeptiert das, oder man verzweifelt daran.“

Lisa musste lachen. „Ich denke, damit werde ich leben können.“

„Sie werden Ihre Meinung noch ändern, wenn Sie es einmal wirklich eilig haben.“

Im Augenblick fiel ihr nichts ein, das keinen Aufschub dulden würde. Die lässige Lebenseinstellung der Inselbewohner gefiel ihr.

Ihre beiden Koffer waren schwer, doch es war weit und breit kein Träger oder Gepäckwagen zu sehen. Mit gesenktem Kopf schleppte Lisa ihr Gepäck zum Taxistand und nahm den Mann erst wahr, als er direkt vor ihr stand.

„Geben Sie das her“, hörte sie ihren Mitreisenden sagen. „Ich werde abgeholt.“

„Es geht schon“, versicherte sie ihm und bemühte sich, höflich zu klingen.

„Wollen Sie sich denn unbedingt auch eine Zerrung zuziehen?“ konterte er. „Seien Sie nicht so stur! Ich will auch ins Royale.“

„Ich dachte, Sie leben hier“, erwiderte sie erstaunt.

„Nur zeitweise. Und wenn ich hier bin, dann wohne ich im Royale.“

Er war also ein Stammgast. Das erklärte auch, weshalb er sich so für ihren Job interessiert hatte.

Resigniert stellte Lisa fest, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als mitzukommen, wenn sie nicht unhöflich erscheinen wollte. Widerstandslos ließ sie sich die Koffer aus der Hand nehmen und folgte ihm zu einem nagelneuen Kleintransporter.

Der Fahrer war ein junger Einheimischer, der sie beide ungezwungen und mit einem breiten Lächeln begrüßte.

„Haben Sie kein Gepäck?“ fragte sie neugierig, als der Wagen losfuhr und sie einen Blick in den Laderaum warf, in dem sich nur ihre eigenen Koffer befanden.

„Nein“, erwiderte ihr Begleiter. „Übrigens, mein Name ist Sanderson. Brad Sanderson.“

„Lisa Renshaw. Danke, dass Sie mich mitnehmen, Mr. Sanderson.“

Er schien belustigt zu sein. „Wir haben ja denselben Weg. Wenn wir um diesen Hügel herumgefahren sind, werden Sie hoch oben über der Stadt das Royale erblicken. Der nächste Strand liegt einige Kilometer vom Hotel entfernt, aber die meisten Leute kommen wegen des herrlichen Ausblicks auf den Hafen von Charlotte Amalie. Er zählt zu den schönsten der Welt, vor allem bei Nacht.“

Vor ihrer Abreise hatte Lisa eifrig Reiseführer studiert und Bilder davon gesehen. Noch in dieser Nacht würde sie die fantastische Aussicht aus erster Hand genießen können und in vielen weiteren Nächten ebenfalls. Sie war fest entschlossen, ihren Aufenthalt hier zu genießen.

Charlotte Amalie, die Hauptstadt von St. Thomas, erstreckte sich vom Ufer des Meeres bis hin zu den umliegenden smaragdgrünen Hügeln und hatte genau jene karibische Atmosphäre, die Lisa in San Juan vermisst hatte. Das blassgrüne Amtsgebäude und die uneinnehmbare rote Festung von Fort Christian, in der sich die frühen Siedler vor Eindringlingen verschanzt hatten, kannte sie bereits von Fotografien. Darüber leuchteten die roten Dächer des Bluebeard Castle Hotel, das um einen alten Turm herum errichtet worden war, in dem der Legende nach einst ein berüchtigter Pirat gehaust hatte. Hoch oben aber schmiegte sich die strahlend weiße Fassade des Isle Royale Hotels in einem weiten Bogen sanft an den grünen Hügel.

Über eine schmale, kurvige Straße fuhren sie einen bewaldeten Hügel hinauf und passierten schließlich einen imposanten Torbogen, hinter dem eine herrliche Parklandschaft begann. Zwei braune Nagetiere suchten in den üppig blühenden Sträuchern neben der Straße nach Futter und ließen sich von dem vorbeifahrenden Wagen dabei nicht stören.

„Das sind Mungos“, erklärte Brad Sanderson, als Lisa sich nach den beiden umdrehte. „Davon gibt es hier viele. Manchmal sieht man sogar Leguane, obwohl die sonst eher in der Gegend des Limetree Beach zu finden sind.“

Die Straße machte noch eine letzte Kurve, und dann lag das beeindruckende, im Kolonialstil erbaute Portal des Royale vor ihnen. Nachdem Lisa ausgestiegen war, genoss sie schweigend die Aussicht auf den Hafen und die vorgelagerten Inseln. Drei Kreuzfahrtschiffe waren am Pier vertäut, und eine Vielzahl kleinerer Schiffe lag in dem blau schimmernden Hafenbecken vor Anker. Die flimmernde Hitze machte es schwierig, Entfernungen einzuschätzen, und bis auf wenige Schäfchenwolken war der Himmel wolkenlos. Es wehte eine sanfte Brise, und der süße Duft von Jasmin und Hibiskus lag in der Luft.

„Es ist sogar noch schöner als auf den Fotos!“ rief Lisa begeistert aus. „Ich kann kaum glauben, dass ich hier bin.“

Der Fahrer hatte ihr Gepäck aus dem Wagen geholt und auf der Treppe abgestellt. Ein junger Einheimischer in gelbem Hemd und weißer Hose kam aus dem Hotel und lächelte sie freundlich an.

„Ich werde das Gepäck an die Rezeption bringen, Ma’am“, sagte er und war schon verschwunden, ehe sie protestieren konnte.

Brad Sanderson bezahlte den Taxifahrer und deutete dann auf die Eingangstür. „Wollen wir hineingehen?“

Das Personal eines solchen Hotels meldet sich bestimmt nicht an der Rezeption an, ging es Lisa durch den Kopf. Aber wenn wir erst einmal in der Halle sind, wird Brad Sanderson mir schon sagen, wo ich hingehöre. Während sie nebeneinander die Treppe hinaufgingen, streifte er mit seinem nackten Unterarm ihren, und Lisa erschauerte. Er ist zweifellos ein attraktiver Mann, gestand sie sich ein.

Die Empfangshalle des Isle Royale Hotels stellte jene des Ambassador Plaza noch bei weitem in den Schatten. Auf dem makellosen Marmorboden standen kostbare Möbel und üppige Topfpflanzen, und an der Decke surrten große Ventilatoren. Das ist ja wie aus einem Roman, dachte Lisa, als ihr Blick auf die geschwungene Treppe fiel.

Sie lächelte erleichtert, als sie die vertrauten Züge Gary Conways sah. Trotz seiner zweiundvierzig Jahre war er noch immer ein attraktiver Mann. Und er konnte mit Recht stolz darauf sein, Manager in einem Hotel wie diesem zu sein.

„Hallo“, begrüßte sie ihn. „Hier bin ich also.“

„Schön.“ Er schien sich unbehaglich zu fühlen, als er den Blick zu dem Mann an ihrer Seite schweifen ließ. „Wir haben Sie dieses Wochenende gar nicht erwartet, Brad.“

„Ich habe meine Pläne kurzfristig geändert.“ Brad Sandersons Stimme klang ruhig, doch der seltsame Unterton ließ Lisa aufhorchen. „Ich habe gehört, dass wir eine Masseurin eingestellt haben?“

Gary Conways Unbehagen wuchs. „Es war Ihre Idee, dass wir uns nach jemandem umsehen sollten.“

„War es wirklich nötig, extra jemanden aus England einzufliegen?“

„Ich habe Lisa zufällig kennen gelernt und war sofort von ihr begeistert. Sie ist eine fantastische Masseurin!“

Verständnislos sah Lisa von einem zum anderen. „Worum geht es hier eigentlich?“ fragte sie.

Erst jetzt schien Gary zu begreifen. „Ich dachte, das wüssten Sie bereits“, sagte er. „Mr. Sanderson ist der Besitzer des Isle Royale Hotels.“

2. KAPITEL

Als Lisa in Brad Sandersons spöttisch funkelnde graue Augen sah, wäre sie ihm vor Wut am liebsten ins Gesicht gesprungen. Dieser Mann hatte sie absichtlich zum Narren gehalten! Nur mit Mühe gelang es ihr, die Fassung zu bewahren.

„Warum haben Sie mir nicht gesagt, wer Sie sind?“

„Ich hielt es nicht für notwendig“, antwortete er gelassen. „Ich wusste, dass Sie es früh genug herausfinden würden.“

„Habe ich den Job denn überhaupt noch?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Das hängt davon ab, wie gut Sie wirklich sind. Ich gebe Ihnen sechs Wochen Zeit, es zu beweisen.“ Dann wandte er sich an Gary. „Wir haben beide noch nicht gefrühstückt. Miss Renshaw möchte vielleicht auf ihrem Zimmer essen, ich werde ins Restaurant hinübergehen.“

Dann drehte er sich um und ging davon. Aufgewühlt blickte Lisa ihm nach. Warum musste ich ausgerechnet meinem zukünftigen Chef in die Arme laufen? dachte sie verbittert. Unter den Umständen muss ich froh sein, dass er mich nicht auf der Stelle vor die Tür gesetzt hat.

„Es tut mir Leid“, stellte Gary Conway bedauernd fest. „Ich hatte gehofft, Sie würden Brad erst kennen lernen, wenn Sie sich bereits eingearbeitet und unentbehrlich gemacht hätten. Eigentlich war es seine Idee, einen Masseur einzustellen.“

Autor

Kay Thorpe
Als Kay Thorpe 1964 ein Baby bekam, hatte sie bereits in den verschiedensten Bereichen gearbeitet, u.a. bei der Women’s Royal Air Force und als Zahnarzthelferin. Nun stand sie vor der Frage: Was kam jetzt für sie beruflich in Frage, wo sie wegen des Kindes ans Haus gebunden war? Da sie...
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