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Bitter musste Lucia für ihre grenzenlose Naivität bezahlen! Sie hatte für ihren Freund Alec bekannte Gemälde kopiert - in der Annahme, dass er sie in sein neues Apartment hängen würde. Weit gefehlt! Der Betrüger bot die Bilder als Originale zum Verkauf an. Ein grauenvolles Jahr verbrachte Lucia im Gefängnis. Als sie ihre Strafe abgesessen hat, wartet eine unglaubliche Überraschung auf sie: Die sozial engagierte, sehr reiche Rosemary Calderwood holt sie auf ihren Landsitz und macht Lucia ein wunderbares Angebot! Sie soll sie auf einige Exkursionen begleiten, um ihr Tipps für ihre Malstudien zu geben. Unendlich dankbar genießt Lucia die herrlichen Reisen, doch den schönsten Trip nach Alicante wird sie nie vergessen: Rosemarys Sohn Grey begleiten sie - der attraktivste Mann, den Lucia je kennen gelernt hat. Sie verliert ihr Herz an ihn...


  • Erscheinungstag 29.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759193
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Am Morgen ihrer Entlassung war Lucia Graham aufgeregt und ängstlich zugleich.

Seit ihrer Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis hatte sie sich nach Freiheit gesehnt. Sie hatte nicht die volle Strafe abgesessen, sondern wurde vorzeitig entlassen.

Doch sie wusste, dass die Welt, in die sie zurückkehren würde, nicht mehr dieselbe war. Nun war sie vorbestraft und würde sicher keinen guten Job finden. Wer stellte schon eine Kriminelle ein?

Nachdem Lucia ihre eigenen Sachen angezogen hatte, die nach der langen Zeit im Lager muffig rochen, brachte man sie ins Büro der stellvertretenden Direktorin.

„Bestimmt haben Sie Angst“, sagte die Frau mittleren Alters. „Versuchen Sie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und noch einmal von vorn zu beginnen. Ich weiß, es ist leichter gesagt als getan, aber zum Glück gibt es jemanden, der Ihnen dabei helfen will.“

„Wer?“, fragte Lucia verwirrt.

„Das werden Sie bald herausfinden. Draußen wartet ein Wagen auf Sie. Leben Sie wohl – und viel Glück.“ Die stellvertretende Direktorin schüttelte ihr zum Abschied die Hand.

Als Lucia kurz darauf das Gefängnisgelände verließ, rechnete sie damit, einen Kleinwagen zu sehen, wie Sozialarbeiter ihn fuhren. Ihrer Meinung nach konnte es nur ein Sozialarbeiter sein, der ihr helfen wollte.

Auf dem Parkplatz stand allerdings nur ein Wagen, eine offenbar neue schwarze Limousine. Noch während Lucia sie verblüfft betrachtete, stieg ein Chauffeur aus und kam auf sie zu.

„Miss Lucia Graham?“

„Ja.“

„Folgen Sie mir bitte.“

Er führte sie zur Limousine und öffnete ihr den Schlag.

Sie fuhren durch eine Gegend, die im Gegensatz zu den meisten in Südengland nur spärlich besiedelt war. Nachdem sie durch ein hübsches Dorf gekommen waren, bog der Chauffeur schließlich auf ein großes Anwesen mit einem großen Haus, das größtenteils mit wildem Wein bewachsen war. In der Nähe des Hauses gabelte sich die Auffahrt. Ein Weg führte zur Rückseite des Gebäudes, der andere endete auf einem ovalen kiesbestreuten Platz. Dort stoppte der Chauffeur den Wagen.

Fünf Minuten zuvor hatte Lucia ihn durch die Trennscheibe per Handy telefonieren sehen. Offenbar hatte er jemanden über ihre Ankunft informiert. Als er ihr den Schlag aufhielt, wurde die Haustür geöffnet, und eine Frau erschien.

Lucia stieg aus. Auf den ersten Blick schätzte sie die Frau auf Ende vierzig, Anfang fünfzig. Sie trug eine weiße Bluse und einen Jeansrock, war blond und trug einen klassischen Bubikopf. Bis auf den Lippenstift schien sie ungeschminkt zu sein.

„Miss Graham … Herzlich Willkommen. Mein Name ist Rosemary.“ Sie schüttelte ihr die Hand. „Sicher können Sie jetzt eine Tasse Kaffee vertragen. Kommen Sie herein, dann erkläre ich Ihnen alles. Sie möchten sicher wissen, warum Sie hier sind.“

Dann hakte sie sie unter und führte sie ins Haus, als wäre sie ein gern gesehener Gast.

Die geräumige Eingangshalle wurde von einer breiten Treppe beherrscht, und als Erstes fielen Lucia die Bilder an den Wänden auf.

Im Wohnzimmer hingen ebenfalls zahlreiche Gemälde. Durch die geöffneten Terrassentüren hatte man einen herrlichen Blick auf den großen, gepflegten Garten. In der Nähe der Türen stand ein gedeckter Tisch.

Nachdem sie Lucia bedeutet hatte, in einem Sessel Platz zu nehmen, setzte Rosemary sich ebenfalls und griff nach der Porzellankanne.

„Miss Harris und ich sind auf dieselbe Schule gegangen“, erklärte sie. Miss Harris war die Gefängnisdirektorin. „Sie ist viel jünger als ich und gehörte zu den Mädchen, die ich unter meine Fittiche nehmen musste, als ich im letzten Jahr war. Wir haben uns bei den Schulfesten immer mal wieder getroffen. Wenn sie mich nicht gekannt hätte, dann hätte sie vielleicht nicht eingewilligt, dass ich Sie hierher bringe.“

Lucia schwieg. Im Vergleich zu ihrer Gefängniszelle wirkte dieser Raum geradezu überwältigend luxuriös. Sie fühlte sich, als würde sie nur träumen und jeden Moment aufwachen.

Rosemary reichte ihr eine Tasse Kaffee. „Bitte nehmen Sie sich Milch und Zucker, wenn Sie mögen.“

Erst jetzt stellte Lucia fest, dass Rosemary älter sein musste. Die Vorderseite des Hauses hatte im Schatten gelegen. Hier, in der hellen Morgensonne, waren die feinen Fältchen um ihre Augen und ihren Mund zu sehen. Sie musste mindestens fünfundsechzig sein.

„Ich möchte Sie nicht länger auf die Folter spannen“, fuhr Rosemary lächelnd fort. „Als ich die Schule verließ, wollte ich Künstlerin werden. Im ersten Jahr an der Kunsthochschule lernte ich meinen Mann kennen. Er wollte, dass ich mich ganz auf meine Rolle als Hausfrau und Mutter konzentrierte. Und da ich ihn über alles liebte, brach ich das Studium ab.“

Sie machte eine Pause und schien sich an die Zeit zu erinnern.

„Vor zwei Jahren starb mein Mann. Wie die meisten Witwen fand ich es sehr schwer, mich auf ein Leben allein einzustellen. Ich habe vier Kinder, die mich sehr unterstützen, aber sie leben ihr eigenes Leben. Eines von ihnen schlug mir vor, wieder mit dem Malen anzufangen, und das habe ich auch getan. Jetzt brauche ich jemanden, der mich auf meine Malreisen ins Ausland begleitet. Ich dachte, Sie könnten mich begleiten – um mir beim Malen Gesellschaft zu leisten und als eine Art private Reiseleiterin. Was halten Sie davon?“

Für Lucia war es ein Geschenk des Himmels. Doch ihrer Ansicht nach musste Rosemary verrückt sein.

„Warum ausgerechnet ich?“, erkundigte sie sich.

„Weil Sie nicht wissen, wohin, und die entsprechende Qualifikation haben. Sie sind eine begabte Malerin und sehr fürsorglich, wie Sie durch die aufopferungsvolle Pflege Ihres Vaters bewiesen haben.“

Verblüfft blickte Lucia sie an. „Wie können Sie mir vertrauen?“

„Meine Liebe, Sie wurden wegen Betrugs verurteilt, nicht wegen Mordes. Meiner Ansicht nach war es eine zu harte Strafe, Sie ins Gefängnis zu schicken. Es gibt Situationen, in denen wir nun einmal dazu gezwungen sind, Dinge zu tun, die wir sonst nie tun würden. Was Sie getan haben, war nicht richtig. Aber meiner Meinung nach war es auch nicht so schlimm, dass man Sie nun aus der Gesellschaft ausstoßen sollte.“

In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein großer, dunkelhaariger Mann in einem Anzug und mit einem Mantel über dem Arm kam herein. Er nahm seine Krawatte ab und öffnete seinen obersten Hemdknopf.

Sein Lächeln verschwand und wich einem überraschten Gesichtsausdruck, als er Lucia sah. Es war offensichtlich, dass er sie nicht erkannte.

Sie hingegen erkannte ihn sofort wieder. Wie hätte sie ihn je vergessen können? Dies war der Mann, der bei ihrer Verurteilung eine wichtige Rolle gespielt hatte. Seine verächtlichen Blicke, als er im Zeugenausstand gesessen und sie schwer belastet hatte, hatten sie in den langen, oft schlaflosen Nächten in ihrer Zelle verfolgt.

„Oh … Hallo, mein Schatz … Ich wusste gar nicht, dass du heute kommst“, sagte Rosemary und wandte sich dann an Lucia. „Das ist mein Sohn Grey. Grey, das ist Lucia Graham.“

Auch ihr Name schien ihm nicht bekannt vorzukommen. Während der Verhandlung hatte sie den Eindruck gehabt, dass Grey Calderwood ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte. Allerdings war dieser Tag für ihn auch nicht so schicksalhaft gewesen wie für sie. Vermutlich hatte Grey Calderwood sie danach aus seinem Gedächtnis gestrichen.

Außerdem hatte sie damals anders ausgesehen. Ihr Haar war modisch kurz und getönt gewesen. Jetzt war es lang und wieder hellbraun. Und sie hatte abgenommen. Nur wenige Leute hätten sie als die junge Frau wieder erkannt, deren Gesicht in allen Boulevardzeitungen abgebildet gewesen war.

Grey Calderwood kam auf sie zu.

Instinktiv stand Lucia auf und wappnete sich innerlich, weil sie damit rechnete, dass er sie doch erkannte.

„Guten Tag.“ Er reichte ihr die Hand.

Sie rang sich ein Lächeln ab. Deswegen hatte Rosemary also ihren Nachnamen nicht genannt. Weil sie gewusst hatte, dass sie, Lucia, sonst sofort die Flucht ergriffen hätte.

Grey Calderwood wandte sich nun an seine Mutter und küsste sie auf die Wagen.

„Ich habe eine harte Woche hinter mir“, erklärte er. „Deswegen war mir nach einem Tag auf dem Land.“

Nun betrat noch jemand den Raum – eine grauhaarige Frau, die eine schlichte Bluse und einen Rock trug und eine Tasse mit Untertasse in der Hand hatte. „Ich habe Sie kommen sehen, Mr. Grey“, sagte sie lächelnd.

„Danke, Braddy.“ Er nahm ihr die Tasse ab und schenkte sich ein, während sie wieder das Zimmer verließ. „Ich störe hoffentlich nicht?“ An Lucia gewandt, fügte er hinzu: „Da Sie nicht mit dem Wagen da sind, nehme ich an, dass Sie in der Nähe wohnen.“

„Ich hoffe, Lucia wird hier wohnen“, verkündete Rosemary Calderwood. „Ich habe ihr gerade angeboten, mich auf meine Malreisen zu begleiten.“

„Oh, tatsächlich?“ Er zog einen Ohrensessel heran, setzte sich darauf und kreuzte die Beine. Dann betrachtete er Lucia genauer.

Gleich … dachte sie.

Und dann passierte es.

Plötzlich funkelten seine grauen Augen kalt. „Wir sind uns schon einmal begegnet … im Gericht. Sie sind die Fälscherin.“

Im Stillen verabschiedete sie sich von dem Geschenk des Himmels. Sie hätte sich denken können, dass es nicht klappen würde.

„Ja“, erwiderte sie leise.

„Was, zum Teufel, machen Sie in diesem Haus?“, erkundigte er sich leise, während er sie durchdringend ansah.

„Ich habe Lucia eingeladen“, antwortete seine Mutter. „Ich wusste, dass sie heute Morgen entlassen werden sollte, und habe sie von Jackson abholen lassen. Wie du weißt, war ich nie glücklich über das Urteil, aber jetzt ist es vorbei. Sie braucht Hilfe, und ich brauche eine Reisebegleitung.“

„Du hast den Verstand verloren, Mutter.“

Bevor Mrs. Calderwood etwas erwidern konnte, begann das Telefon auf dem kleinen Tisch neben ihr zu klingeln. Nachdem sie sich bei Lucia entschuldigt hatte, nahm sie ab.

„Hallo? Mary … Schön, von dir zu hören! Kannst du bitte einen Moment warten? Ich bin gleich wieder da.“ Sie stand auf und fügte an ihren Sohn und Lucia gewandt hinzu: „Ich nehme den Anruf im Arbeitszimmer entgegen. Bitte nehmen Sie sich noch Kaffee, Lucia.“ Dann stand sie auf und verließ das Wohnzimmer.

Grey Calderwood hatte sich ebenfalls erhoben. Er blieb stehen und betrachtete Lucia mit finsterer Miene. „Seit Ihrer Verurteilung ist nicht einmal ein Jahr vergangen. Warum sind Sie auf freiem Fuß?“

„Ich wurde vorzeitig entlassen.“ Sie beugte sich vor und nahm die Kaffeekanne. „Möchten Sie noch eine Tasse, Mr. Calderwood?“

Grey Calderwood schüttelte den Kopf. „Hatte meine Mutter Kontakt zu Ihnen, als Sie im Gefängnis waren?“

„Nein. Heute Morgen teilte mir die stellvertretende Direktorin mit, es gäbe jemanden, der mir dabei helfen wollte, noch einmal von vorn zu beginnen. Ein Chauffeur wartete draußen auf mich. Ich habe Mrs. Calderwood erst kennengelernt, als ich hier angekommen bin.“

„Meine Mutter lässt sich manchmal von ihren Gefühlen leiten“, sagte er kalt. „Sie können sich von Jackson überall hinbringen lassen und sein Handy benutzen, um bei den entsprechenden Behörden anzurufen. Dort wird man Ihnen Leute vermitteln, die Ihnen helfen können.“

Als Lucia sich Kaffee nachschenkte, musste sie sich zusammenreißen, damit ihre Hand nicht zitterte. Vor ihrer Haft war sie selbstsicher und kontaktfreudig gewesen. Gewisse Eigenschaften würde sie erst wieder erwerben müssen. Grey Calderwood machte sie allein durch seinen Blick unsicher.

„Ich würde den Job, den Ihre Mutter mir angeboten hat, gern annehmen“, erklärte sie.

„Das kommt überhaupt nicht infrage!“, entgegnete er scharf. „Meine Mutter braucht auf ihren Reisen jemanden, der hervorragende Referenzen hat und absolut zuverlässig ist, keine ehemalige Strafgefangene.“ Seine Stimme klang jetzt genauso wie damals im Gerichtssaal.

„Ich habe mich keines Verbrechens schuldig gemacht, das mich nicht befähigt, für Kinder oder ältere Menschen die Verantwortung zu tragen.“

„Das kommt darauf an. Meiner Meinung nach sind Sie keine geeignete Begleiterin für meine Mutter.“

„Sollte sie das nicht selbst entscheiden?“

Grey Calderwood presste die Lippen zusammen. Seine dunkelgrauen Augen funkelten kalt.

„Vielleicht kommen Sie ja dadurch zur Vernunft.“ Er ging zu dem Sessel, über den er seinen Mantel gehängt hatte, und nahm ein Scheckbuch und einen offenbar teuren schwarzen Füller aus der Innentasche.

Lucia beobachtete, wie er einen Scheck ausstellte, und überlegte dabei, welche Summe er wohl für angemessen hielt. Obwohl er ihr von dem Moment an, als er in den Zeugenstand getreten war und sie angesehen hatte, als wäre sie Schwerverbrecherin, unsympathisch gewesen war, bewunderte sie seine langen, schlanken Finger.

„So … damit müssten Sie klarkommen, bis Sie einen Job finden.“ Er reichte ihr den Scheck.

Sie nahm ihn entgegen, um einen Blick darauf zu werfen. Ihre Eltern waren nie besonders wohlhabend gewesen, obwohl sie beide berufstätig gewesen waren – ihr Vater als Reporter bei einem Provinzblatt, ihre Mutter als Bibliothekarin. Und auch sie, Lucia, hatte immer sparsam leben müssen.

Es handelte sich um eine vierstellige Summe, und ihr stockte der Atem. Natürlich wollte Grey Calderwood ihr nicht helfen. Selbst wenn ihre Strafe zehnmal so hoch gewesen wäre, hätte er sich nicht für sie interessiert.

„Aber glauben Sie ja nicht, dass Sie noch mehr erwarten können“, erklärte er scharf. „Es ist eine einmalige Zahlung. Ich gebe Ihnen das Geld unter der Bedingung, dass Sie für immer aus unserem Leben verschwinden … Unter den gegebenen Umständen ist es sehr großzügig von mir, Ihnen überhaupt Hilfe anzubieten. Wenn Sie hier wieder auftauchen, werden Sie es bereuen. Ich kann Ihnen große Probleme machen – und genau das werde ich auch tun.“

„Oh, das tue ich. Sie haben es ja bereits getan“, bemerkte Lucia trocken, während sie den Scheck zweimal faltete.

„Das haben Sie sich selbst eingebrockt, obwohl Sie es natürlich nie zugeben werden. Sie glauben vermutlich selbst an die rührselige Version, die Ihr Anwalt zum Besten gegeben hat.“

Es hatte keinen Sinn, sich mit ihm zu streiten. Schließlich war er privilegiert und würde nie verstehen, warum sie so gehandelt hatte.

Im nächsten Moment gesellte Mrs. Calderwood sich wieder zu ihnen. „Tut mir leid, dass ich euch allein lassen musste.“

„Ms. Graham hat ihre Meinung geändert“, erklärte Grey. „Ihr ist klar geworden, dass es nicht der geeignete Job für sie ist.“

Sie wirkte enttäuscht. „Hat Grey Sie zu der Entscheidung bewogen, oder haben Sie sie selbst getroffen?“

Instinktiv hatte Lucia den Scheck mit der Hand umschlossen. „Mr. Calderwood hätte es gern, dass ich mich so entscheide, aber es ist nicht der Fall. Wenn Sie sich wirklich sicher sind, würde ich gern für Sie arbeiten.“

„Das ist hervorragend“, erwiderte Rosemary Calderwood und ignorierte die Tatsache, dass ihr Sohn wütend war. „Bestimmt würden Sie jetzt gern baden und sich umziehen. Ich habe schon ein paar Sachen für Sie herausgesucht, die meine Töchter hier gelassen haben und die Sie erst mal tragen können.“

Die grauhaarige Frau betrat wieder das Wohnzimmer. „Ich habe noch mehr Kaffee gekocht“, verkündete sie.

„Das ist Mrs. Bradley, meine Haushälterin“, erklärte Rosemary. „Miss Graham zieht hier ein, Braddy. Würden Sie ihr bitte zeigen, wo sie vor dem Mittagessen baden und sich umziehen kann?“

„Moment mal“, sagte Grey scharf. „Mutter, ich mische mich nicht oft in deine Angelegenheiten ein, aber diesmal muss ich es tun. Ich kann nicht zulassen, dass du diese junge Frau einstellst.“

Er wirkte so autoritär, dass Lucia schon fürchtete, seine Mutter würde nachgeben. Schließlich hatte sie es damals bei ihrem Mann auch getan.

Es sah allerdings so aus, als hätte sie inzwischen mehr Durchsetzungsvermögen. „Ich weiß deine Sorge zu schätzen, mein Lieber“, antwortete sie sanft, „aber rede bitte nicht in dem Ton mit mir. Dein Vater hat fünfzig Jahre lang über mich bestimmt. Von jetzt an werde ich tun, was ich für das Beste halte.“ Sie bedeutete Lucia und Mrs. Bradley, dass sie gehen konnten, bevor sie sich wieder an ihn wandte. „Du bleibst doch zum Essen, mein Schatz? Heute koche ich. Es gibt Lammkoteletts.“

Es war schon lange her, dass Lucia das letzte Mal in einer Wanne gelegen hatte, und selbst zu dem Zeitpunkt war es nicht in einem so luxuriösen Badezimmer wie diesem gewesen. Neben flauschigen hellblauen Handtüchern gab es einen großen Schwamm sowie eine Bürste, und in einem Regal hinter der Wanne standen verschiedene Flaschen und Tuben mit Schaumbad und Badeölen. An einem Haken neben den Duschen hingen sogar ein Bademantel und eine Duschhaube.

Als sie den Föhn auf der Ablage neben dem Waschbecken gesehen hatte, hatte sie Mrs. Bradley gefragt, ob sie es noch schaffen würde, sich die Haare zu waschen. Die Haushälterin hatte geantwortet, sie hätte genug Zeit, da erst um eins gegessen würde.

Gerade als Lucia ins Wasser tauchte, um ihr Haar nass zu machen, klopfte es an der Tür, und Grey Calderwood kam herein.

2. KAPITEL

Zuerst war Lucia zu erschrocken, um zu reagieren. Als Grey Calderwood dann näher kam, setzte sie sich schnell auf, sodass das Wasser beinah über den Wannenrand geschwappt wäre, und griff nach dem Schwamm, um ihre Brüste zu bedecken.

„Wie können Sie es wagen, hier hereinzuplatzen!“, fuhr sie ihn an.

„Wie können Sie es wagen, meinen Scheck anzunehmen und dann gegen unsere Abmachung zu verstoßen!“, konterte er, während er sie kalt musterte.

Im Gefängnis hatte es Zeiten gegeben, in denen sie den Mangel Privatsphäre besonders vermisst und sich unwillkommenen Annäherungsversuchen wehrlos ausgesetzt gefühlt hatte. Das hier war anders, aber genauso beunruhigend. Sie wusste, dass er ihr den Schwamm nicht wegnehmen oder sie berühren würde. Er war vielleicht ein Mistkerl, doch so schlimm nun auch wieder nicht. Zumindest hoffte sie es. Trotzdem war sie wütend, weil er sie nackt überrascht hatte.

„Der Scheck liegt auf der Frisierkommode. Ich hatte nie die Absicht, ihn einzulösen. Nehmen Sie ihn, und verschwinden Sie“, erklärte sie scharf.

„Erst wenn ich einige Dinge klargestellt habe. Meine Mutter will ja nicht hören. Aber glauben Sie ja nicht, Sie könnten in dem Job eine ruhige Kugel schieben. Wenn Sie sich irgendetwas zuschulden kommen lassen, werden Sie es bitter bereuen. Damals sind Sie glimpflich davongekommen. Das werden Sie nicht noch einmal, dafür werde ich sorgen.“

Lucia war versucht, ihm einige Wörter an den Kopf zu werfen, die sie im Gefängnis gelernt hatte. Doch selbst nachdem sie Monate mit den Frauen zusammen verbracht hatte, bei deren Ausdrucksweise sie zuerst immer zusammengezuckt war, konnte sie es nicht. Außerdem hätte sie in damit nur in dem Glauben bestärkt, dass sie keine geeignete Gesellschafterin für seine Mutter wäre.

„Ich bin Ihrer Mutter sehr dankbar für ihre Hilfe“, erwiderte sie daher. „Ich werde ihr Vertrauen nicht missbrauchen.“

„Sehen Sie zu, dass Sie es nicht tun.“ Er verließ das Bad.

Grey und seine Mutter saßen im Wohnzimmer und plauderten miteinander, als Lucia sich zu ihnen gesellte. Aus den Sachen, die Mrs. Calderwood für sie hingelegt hatte, hatte sie eine schlichte weiße Bluse und eine helle Kakihose herausgesucht.

Grey stand auf, als sie den Raum betrat. Allerdings war ihr klar, dass er es nur tat, weil er es aufgrund seiner Erziehung von klein auf gewohnt war.

„Was möchten Sie trinken, Lucia?“, fragte Mrs. Calderwood. „Grey trinkt Gin Tonic, und ich nehme immer Campari Soda als Aperitif – es sei denn, ich bin allein. Dann trinke ich nie.“

„Könnte ich bitte etwas Nichtalkoholisches haben?“ Nach monatelanger Enthaltsamkeit wollte Lucia keinen Schwips riskieren.

„Natürlich. Orangen- oder Pfirsichsaft?“

„Orangensaft bitte.“

Grey ging zu einem antiken Schrank, der eine Bar sowie einen Kühlschrank enthielt, und brachte ihr ein Kelchglas mit Saft und Eiswürfeln. Statt es ihr zu reichen, stellte er es jedoch auf den Tisch neben ihr. Sie hatte sich inzwischen zu seiner Mutter aufs Sofa gesetzt.

„Danke.“ Unwillkürlich fragte sie sich, ob er den Körperkontakt mit ihr bewusst mied. Sicher hatte er vorher noch nie mit einem ehemaligen Häftling zu tun gehabt.

„Wie war das Essen im Gefängnis?“, erkundigte sich Rosemary Calderwood. „Ich schätze, wie im Internat … matschige Kartoffeln und zerkochtes Gemüse.“

Lucia nickte. „So ungefähr. Aber ein Gefängnisaufenthalt soll ja auch keine Vergnügungsfahrt sein.“

„Nein, aber man sollte den Insassen vernünftige Ernährung bieten. Sie sehen sehr dünn aus. Das werden wir bald ändern. Braddy und ich sind beide hervorragende Köchinnen, und wir haben einen großen Gemüsegarten. Ich bin eine richtige Gesundheitsfanatikerin. Meine Kinder ärgern mich immer damit, aber ich finde, man ist, was man isst.“

Rosemary, der die unverhohlene Feindseligkeit zwischen ihrem Sohn und Lucia nicht entging, hielt die Unterhaltung in Gang und erwies sich damit als perfekte Gastgeberin. Wäre Grey nicht gewesen, hätte Lucia sich wie im siebten Himmel gefühlt.

Allein der Anblick des eleganten Wohnzimmers, das mit Antiquitäten und Perserteppichen eingerichtet und mit frischen Blumen aus dem Garten dekoriert war, tat ihr nach dem Gefängnisaufenthalt gut.

Schließlich gingen sie ins Esszimmer, wo am Ende eines langen, polierten Tischs für drei Personen gedeckt war.

Grey rückte seiner Mutter den Stuhl zurecht, und Lucia setzte sich ebenfalls. Kurz darauf erschien Mrs. Bradley mit dem ersten Gang, gegrillten Auberginen mit Kräutern und Schafskäse.

„Trinken Sie Wein?“, fragte Grey, nachdem er seiner Mutter ein Glas eingeschenkt hatte.

Lucia beschloss, dass ein Glas nicht schaden konnte. „Ja, bitte.“

Er kam um den Tisch herum, und sie war sich überdeutlich seiner Nähe bewusst. Lag es daran, dass sie in den letzten Monaten nur Kontakt zu Frauen gehabt hatte? Der Gefängnisarzt und der Pfarrer waren die einzigen Männer gewesen, die sie gesehen hatte.

Die Auberginen schmeckten köstlich. Der zweite Gang waren die Lammkoteletts, bestrichen mit Olivenpaste, und dazu gab es einen Salat.

Während sie aßen, erkundigte Grey sich unvermittelt: „Tragen Sie eine PID?“

Lucia erschrak, weil er wieder so feinselig wirkte.

„Was ist eine PID?“, fragte seine Mutter.

„PID bedeutet ‚Personal Identification Device‘“, erwiderte Lucia ruhig. „Es ist ungefähr so groß wie eine Taucheruhr und kann sowohl ums Fuß- als auch ums Handgelenk getragen werden. Es ist ein Sender, mit dem man ehemalige Häftlinge überwacht, die wie ich vorzeitig entlassen wurden und sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten dürfen.“

Dann wandte sie sich an Grey. „Ich trage keine, Mr. Calderwood. Offenbar hielt man es nicht für nötig. Ich kann mich frei bewegen.“

„Vielleicht nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das Land verlassen dürfen“, sagte er streng. „Und wenn Sie nicht ins Ausland reisen dürfen, werden Sie meiner Mutter nicht viel nützen.“

Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Sie hatte das ungute Gefühl, dass er recht hatte.

„Miss Harris hat den Punkt angesprochen“, ließ sich Mrs. Calderwood vernehmen. „Zum Glück kenne ich jemanden im Innenministerium. Netterweise hat er seine Beziehungen für mich spielen lassen. Da ich zwanzig Jahre lang als Schiedsfrau tätig war, kam man zu dem Ergebnis, dass ich mich dafür eigne, Lucia zu überwachen, bis sie sich frei bewegen kann. Solange ich bei ihr bin, unterliegt sie keinerlei Einschränkungen.“

Grey wirkte jetzt noch furchteinflößender. Offenbar hatte er geglaubt, eine Trumpfkarte auszuspielen.

Lucia überlegte, ob er wohl auch Freunde in hohen Positionen hatte, die ihren Einfluss für ihn geltend machen konnten. Er war offenbar ein sehr willensstarker, ja rücksichtsloser Mann.

Autor

Anne Weale
Jay Blakeney alias Anne Weale wurde am 20. Juni 1929 geboren. Ihr Urgroßvater war als Verfasser theologischer Schriften bekannt. Vielleicht hat sie das Autorengen von ihm geerbt? Lange bevor sie lesen konnte, erzählte sie sich selbst Geschichten. Als sie noch zur Schule ging, verkaufte sie ihre ersten Kurzgeschichten an ein...
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