Was zählt im Leben

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Liebe ist wichtiger als alles! Schlagartig wird das dem Multimillionär Ron Egan klar, als sich seine Tochter Cynthia in höchster Not nicht etwa an ihn wendet, sondern an die bezaubernde Kathryn. Denn sie ist eine Frau, für die es sich lohnt, das Leben komplett zu ändern…


  • Erscheinungstag 07.10.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753467
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kathryn Roper sah sich unverhofft einem sehr gut aussehenden, sehr zornigen Mann gegenüber. Er war groß und gepflegt, und er sah zu jung aus für seine konservative Aufmachung. Der maßgeschneiderte graue Nadelstreifenanzug hätte zu ihrem Vater gepasst. Diesem Mann hingegen hätte ein sportliches Outfit besser gestanden, denn er besaß den Körper eines Athleten. Doch ihrer Erfahrung nach hatten Athleten einen schlechteren Geschmack in Kleidungsfragen.

„Stehen Sie nicht einfach so da und starren Sie mich nicht so an“, beschwerte er sich. „Ich bin um die halbe Welt geflogen und will sofort zu Miss Roper.“

Wenn sie auch zuerst daran gezweifelt hatte, dass dieser Mann Ron Egan war, so war das jetzt nicht mehr der Fall. Er besaß das anmaßende Auftreten eines Menschen, der nichts und niemanden für wichtig hielt außer sich selbst. „Ich bin Kathryn Roper, und ich gestatte keine Besuche nach halb zehn abends. Sie müssen morgen wiederkommen.“

Ein ärgerlicher Blick traf sie. „Sie sind zu jung und zu hübsch, um sich wie eine Furie aufzuführen.“

Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Wer sagt denn, dass eine Furie alt und hässlich sein muss?“

Abschätzig musterte er sie. Wie alle hochgestellten Persönlichkeiten, die sie bisher kennengelernt hatte, versuchte er, andere einzuschüchtern, die er für unwichtig hielt.

Doch ihre Reaktion auf ihn war alles andere als üblich. Sie fühlte sich zu diesem Mann hingezogen. Sie hatte nie geleugnet, dass die Chemie zwischen zwei Menschen auf Anhieb stimmen konnte, aber es passierte ihr zum ersten Mal.

Wie schade, dass sein Äußeres so wundervoll war, während sein Wesen so verderbt zu sein schien.

Offensichtlich war sie ebenso leicht zu beeindrucken wie die Mädchen, die bei ihr Hilfe suchten, die sich von Äußerlichkeiten verführen ließen. Doch sie war älter, erfahrener und hatte ihre körperlichen Bedürfnisse fest unter Kontrolle. Sie mochte heftig auf Ron Egan reagieren, aber das sollte er nie merken.

„Ich will meine Tochter sehen. Wo ist sie?“

„Im Bett, wie auch die anderen Mädchen in diesem Haus. Sie können sie morgen früh sehen.“

„Ich bin extra aus Genf hergekommen. Ich habe nach Ihrem Anruf das nächste Flugzeug genommen und sechs Zeitzonen hinter mich gebracht. Ich bin müde. Es wird ihr nicht schaden, wenn sie eine halbe Stunde Schlaf versäumt.“

„Ich sorge mich weniger um ihren Schlaf als darum, dass Ihr Besuch sie aufregen wird. Es ist äußerst wichtig, dass sie ruhig bleibt. Die Situation ist ohnehin schon sehr stressgeladen für sie.“

Sie standen sich immer noch in der Eingangshalle gegenüber wie Feinde.

„Sie ist minderjährig“, wandte er ein. „Ich kann Sie zwingen, sie herauszugeben.“

„Sie ist aus freien Stücken hergekommen. Sie will bleiben. Wenn Ihnen an ihr liegt, dann gestatten Sie es ihr.“

Ron wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Seit dem Moment, als er telefonisch von einer Fremden erfahren hatte, dass seine Tochter schwanger und von zu Hause ausgerissen war, wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Er hatte nicht erwartet, sie in einem eleganten alten Herrenhaus im Herzen des ältesten und vornehmsten Viertels von Charlotte untergebracht vorzufinden. Und auch Kathryn Roper entsprach nicht dem, was er sich vorgestellt hatte.

Sein erster Impuls war, sie zurechtzuweisen für die Unterstellung, dass ihm nichts an seiner Tochter lag. Wie konnte sie sich anmaßen, ein derartiges Urteil zu fällen? Sie wusste nichts von ihm.

Doch irgendetwas an ihr veranlasste ihn, die Situation zu überdenken. Er war es gewohnt, dass Frauen sich sichtbar beeindruckt von seinem Auftreten zeigten. Sie hingegen zeigte keinerlei Reaktion. Sie wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert von seiner Größe, seinem Ruf, seinem Geschlecht. Sie sah jung und schlank aus, ja sogar zerbrechlich, aber sie verhielt sich, als wäre sie so zäh wie ein starker Mann.

„Ich könnte Sie wegen Kidnapping verhaften lassen“, erklärte er.

„Aber Sie werden es nicht tun.“

„Warum nicht? Bestimmt nicht, weil ich zu ehrenwert bin.“

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie reichlich schmutzige Tricks kennen, aber Sie wollen bestimmt nicht, dass diese Geschichte auf der Titelseite des Charlotte Observer erscheint.“

„Diese Zeitung ist mir völlig egal.“

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

„Was Sie glauben, ist unwichtig. Da wir über meine Tochter reden, ist allein entscheidend, was ich glaube. Und falls Sie das nicht verstehen, kann ich es Ihnen von einem Richter erklären lassen.“

„Wen beabsichtigen Sie denn zu bemühen? Frank Emery? Der ist mein Patenonkel. Emily Anders ist eine Freundin meiner Mutter. Meine Brüder haben meines Wissens mit jedem anderen Richter in Charlotte zusammengearbeitet.“

„Wollen Sie damit sagen, dass die Richter bestechlich sind?“

Zu seiner Überraschung errötete sie. „Nein. Und es war falsch von mir, etwas Derartiges anzudeuten. Wir sollten uns setzen und in Ruhe reden. Kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer.“

„Ich will nicht reden, und ich will mich nicht setzen.“

„Wenn Sie mich überzeugen wollen, dass Sie aus Sorge um Ihre Tochter um die halbe Welt geflogen sind, dann werden Sie sich setzen.“

„Warum sollte mich Ihre Meinung interessieren?“, hakte Ron nach.

„Weil sie Cynthia interessiert.“

Er wollte ihr nicht glauben, doch er fand keine andere Erklärung für Cynthias Anwesenheit in diesem Haus. Vielleicht war es besser, sich anzuhören, was Kathryn Roper zu sagen hatte. Nach dem Tod seiner Frau war es zunehmend schwierig für ihn geworden, mit seiner Tochter zu kommunizieren. Er konnte nicht nachvollziehen, wie sich das einst so liebenswerte, fügsame Mädchen in einen trotzigen, schmollenden Teenager hatte verwandeln können, der sich häufig sogar weigerte, die Mahlzeiten an einem Tisch mit ihm einzunehmen.

„Ich möchte gern etwas zu trinken“, sagte er.

„Ich serviere Gästen keinen Alkohol.“

„Ich trinke keinen Alkohol. Ein Glas Wasser wäre schön.“

„Ich bin gleich wieder da.“

Ron blickte ihr nach, und der Anblick ihrer Kehrseite erweckte eine überraschende Reaktion in seiner Lendengegend. Seit Jahren war ihm so etwas nicht mehr passiert. Aber Kathryn war auch nicht zu vergleichen mit den Frauen, mit denen er geschäftlich zu tun hatte.

Ganz offensichtlich sah sie von oben auf ihn herab. Ein Grund mehr, böse auf sie zu sein. Doch es war ihm so gut wie unmöglich, zornig auf eine Frau zu sein, die ihn faszinierte. Wie sollte er sich auf ihre Unzulänglichkeiten konzentrieren, wenn ihr Körper ihn ablenkte?

Sie kehrte mit einem Glas Wasser zurück. Ihre Vorderseite war ebenso attraktiv wie die Rückseite. Zum Glück konnte sie seine Gedanken nicht erraten. Sonst hätte sie ihm das Wasser vermutlich ins Gesicht geschüttet.

Sie reichte ihm das Glas. „So, jetzt lassen Sie uns über Ihre Tochter reden.“

„Erzählen Sie mir, womit Sie sich beschäftigen“, forderte Ron sie auf. „Ich kann mir immer noch nicht erklären, wieso Cynthia sich an Sie gewendet hat.“

Sie schien es als persönliche Beleidigung aufzufassen. Doch ein Vater konnte schließlich nicht einfach davon ausgehen, dass sie qualifiziert war, sich um seine Tochter zu kümmern.

„Ich stelle dieses Haus als Obdach ledigen jungen Mädchen, die schwanger sind, zur Verfügung.“

„Und wovon unterhalten Sie dieses Haus?“

„Es gehört mir. Meine Tante hat es mir vererbt.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Nachbarn von Ihrer Tätigkeit begeistert sind.“ Wer zahlte schon gern über eine Million Dollar für ein vornehmes Haus, um neben einem Heim für schwangere Teenager zu leben?

„Nicht jedem gefällt, was ich tue, aber ich bin eine gute Nachbarin. Die Mädchen sind ruhig und benehmen sich anständig. Ich gestatte Männerbesuch nur von Verwandten oder den werdenden Vätern.“

„Wie viele Mädchen haben Sie hier?“

„Ich habe Platz für zehn, aber momentan sind nur vier hier.“

„Wer kümmert sich um sie, wenn Sie zur Arbeit sind?“

„Das hier ist meine Arbeit.“

„Das heißt, Sie besitzen ein Treuhandvermögen, das es Ihnen gestattet, nichts zu tun.“

„Ich habe ein Einkommen, das es mir gestattet, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen.“

Das hatte er sich gleich gedacht. Eine reiche Frau, die nichts zu tun hatte und sich einbildete, den Mädchen eine unersetzliche Hilfe zu sein. „Wie erfahren die Mädchen von Ihnen? Machen Sie Werbung?“

Offensichtlich verärgert saß sie da, die Hände im Schoß verkrampft, den Rücken kerzengerade, die Knie zusammengepresst. „Sie hören von mir durch ihre Freunde oder Mädchen, die hier waren. Ich dränge sie immer, sich an ihre Eltern zu wenden. Ich bin stolz darauf, dass die meisten wirklich nach Hause zurückkehren. Zwei sind wieder hierhergekommen, aber die meisten stellen fest, dass ihre Angehörigen hilfsbereiter sind als erwartet. Die Mädchen fürchten vor allem, dass ihre Eltern sie hassen für das, was sie getan haben.“

„Sie können mir nicht einreden, dass Cynthia glaubt, ich würde sie hassen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber sie …“

„Sie glaubt, dass Ihnen Ihre Arbeit wichtiger ist als sie.“

„Mein Beruf hält mich oft von zu Hause fern, aber nichts ist mir wichtiger als Cynthia. Was glauben Sie wohl, warum ich so viele Leute für ihre Fürsorge eingestellt habe?“

„Ich nehme an, sie wollte und brauchte Ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Sie hat mir gesagt, dass sie hergekommen ist, weil sie nicht will, dass sie Ihnen in ihrem Zustand im Weg steht.“

Er konnte kaum fassen, dass Cynthia eine derart lächerliche Aussage gemacht haben sollte. „Cynthia würde mir nie im Weg stehen. Ich habe vier Leute engagiert, die sich um sie kümmern. Wenn sie etwas haben will, braucht sie es nur zu sagen.“

„Sie glaubt trotzdem nicht, dass sie Ihnen so wichtig ist wie Ihre nächste Fusionierung.“

„Natürlich ist sie das. Wenn sie will, kann sie mit mir in die Schweiz gehen, sobald die Schule vorbei ist.“

„Sie will hierbleiben. Sie will Ihnen oder dem werdenden Vater nicht zur Last fallen.“

„Wo finde ich den Jungen, der das getan hat?“

„Es gehört zu meinen Regeln, nie nach dem Namen des werdenden Vaters zu fragen und ihn nie zu enthüllen, selbst wenn ich ihn kenne.“

„Sie sind ein wahrer Ausbund an Tugend, wie?“

„Mein einziges Ziel ist, diesen Mädchen zu helfen. Ich will ihnen einen sicheren Aufenthaltsort bieten, wo sie ihre Ausbildung fortsetzen, ihre Babys bekommen und dann entscheiden können, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollen. Ich biete keine Dauerlösung, nur eine vorübergehende Zuflucht vor all dem Druck.“

„Das klingt alles sehr edel, aber was springt für Sie dabei heraus?“

„Wie bitte?“

„Niemand tut derartige Dinge ohne Entlohnung. Es muss einen Grund dafür geben, dass Sie Babysitter für schwangere Teenager spielen. Und es hat keinen Sinn, mich so finster anzustarren. Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

„Ich auch nicht.“

„Gut. Dann beantworten Sie meine Frage. Warum tun Sie das alles?“

„Weil meiner Schwester so etwas passiert ist“, erwiderte sie zögernd. „Ich habe erlebt, welcher Schaden angerichtet wird, wenn die Situation schlecht gehandhabt wird.“

Es ist ihr selbst passiert, dachte er. Die Leute schoben traumatische Ereignisse immer auf Verwandte, Freunde oder Nachbarn ab.

Er musterte sie, wie sie so steif im Sessel ihm gegenübersaß, und sein Ärger schwand ein wenig. Es war bestimmt schwer für sie. Vermutlich durchlebte sie ihre Erfahrung jedes Mal erneut, wenn ein Mädchen sich an sie um Hilfe wandte. Die meisten Leute hätten Vergessen gesucht, aber sie besaß den Mut, ihre private Tragödie zum Wohl der Gemeinschaft zu nutzen. Das verdiente seine Bewunderung.

Er fragte sich, was aus dem Baby geworden sein mochte. Und was hatte Cynthia mit ihrem Baby vor? Nun erst wurde ihm bewusst, dass er werdender Großvater war, und dabei war er gerade erst vierzig geworden.

„Ich will Cynthia sehen.“

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie im Bett ist.“

„Und ich habe es gehört. Aber Sie glauben doch wohl nicht wirklich, dass ich einfach wieder gehe?“

„Es wäre besser, wenn Sie bis morgen warten würden.“

„Es wäre besser, wenn es nicht passiert wäre, aber es ist passiert, und ich werde mich um die Sache kümmern. Ich will jetzt meine Tochter sehen.“

Kathryn rührte sich nicht.

„Entweder Sie holen sie, oder ich tue es selbst. Es ist Ihre Entscheidung, aber ich lasse mich nicht abweisen.“

„Ich lasse nicht zu, dass Sie Cynthia anschreien oder zwingen, hier wegzugehen.“

„Ich hoffe, dass ich nicht schreien werde. Ich kann mir denken, dass sie bereits nervös ist, aber ich kann nichts versprechen. Wie würde es Ihnen gefallen, Ihr einziges Kind in der Obhut einer Fremden zu lassen?“

„Ich würde es nicht tun, aber Sie haben es ihr Leben lang getan.“

„Meine Arbeit macht es mir unmöglich, ständig zu Hause zu sein. Mein Personal kümmert sich seit über zehn Jahren um Cynthia.“

„Ich frage sie, ob sie herunterkommen möchte“, sagte Kathryn widerstrebend und verließ den Raum.

Ron war müde, aber zu aufgewühlt, um stillzusitzen. Er stand auf und wanderte im Raum umher. Ihm fiel auf, dass die Möbel sehr bequem und viel benutzt aussahen. Sie waren von einer zurückhaltenden Eleganz, die davon kündete, dass sie sehr teuer waren. Er kannte sich aus mit diesen Anzeichen des Wohlstands.

Gedankenverloren stellte er sein Glas in die Pralinenschale auf dem Tisch, um keine Wasserflecken auf der Glasplatte zu verursachen. Unwillkürlich fragte er sich, wie die Verhandlungen in Genf gelaufen sein mochten. Seine Kollegen Ted und Ben hatten gewiss überzeugend dargelegt, warum die beiden Firmen unter einem neuen Management besser dastehen würden. Doch er hatte nie zuvor Verhandlungen jemand anderem überlassen. Sein Ruf gründete sich zum Teil darauf, dass er sich persönlich um jedes Detail kümmerte. Nun fragte er sich, wie sich seine Abwesenheit auf sein Image auswirken würde.

Nun, am nächsten oder übernächsten Tag wollte er wieder in Genf sein. Er konnte im Flugzeug schlafen, falls ihn die Sorge um Cynthia nicht wieder wach hielt. Die „Fusionierung“ mit ihr würde schwierig werden, denn dabei ging es nicht um Geld und Papierkram, sondern um Menschen. Man musste einen Weg finden, beide Parteien auf eine gemeinsame Ebene zu bringen. Niemand verstand sich besser darauf als er. Damit hatte er sich von einem mittellosen Jungen zu einem steinreichen Mann emporgearbeitet.

Er war ein Experte darin, Menschen zu analysieren, ihre Motivation zu ergründen, sie auf seine Seite zu ziehen. Warum hatte er bei seiner eigenen Tochter derart versagt? Warum hatte sie sich an eine Fremde statt an ihn gewandt? Warum fürchtete sie sich vor ihm? Und wie hätte er reagiert, wenn sie zu ihm gekommen wäre?

Die Tür öffnete sich, und Kathryn kehrte zurück. Cynthia folgte ihr.

Ron fühlte sich, als würde er eine Fremde erblicken. Sie hatte sich Jeans und ein T-Shirt angezogen und die langen dunkelblonden Haare gekämmt. Nichts kündete von dem trotzigen Zorn, mit dem sie ihm das letzte Mal begegnet war. Sie blickte ihm mit einer neuen Gemütsruhe entgegen. Nur das Zucken ihrer Zehen – sie war barfuß – verriet einen Anflug von Unbehagen.

Ihm war bisher nicht bewusst geworden, wie sehr ihre Ähnlichkeit mit ihrer Mutter gewachsen war. Für ihn war sie sein kleines Mädchen geblieben. Ihm war entgangen, dass sie erwachsen geworden war. Und nun steckte sie in Schwierigkeiten, und er musste ihr irgendwie helfen.

„Warum bist du gekommen?“, fragte sie. „Ich will dich nicht hier haben.“

„Ich bin dein Vater.“

„Ich bin sechzehn.“

„Ich bin trotzdem dein Vater. Margaret hätte die Polizei eingeschaltet, wenn wir nicht bald von dir gehört hätten. Ich hätte dich vom FBI suchen lassen. Du hättest mir sagen sollen, dass du Probleme hast.“

„Du kannst nichts daran ändern.“

„Ich hätte versucht, dir zu helfen.“

„Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich komme allein klar.“

Trotz ihrer zuckenden Zehen wirkte sie nicht verängstigt oder trotzig. Es schien beinahe, als wäre er ein Hindernis, das sie beseitigen wollte.

„Wann wolltest du mir von dem Baby erzählen?“

Sie antwortete nicht.

„Wie wolltest du es geheim halten?“

„Ich bleibe bis nach der Geburt hier. Ich muss nicht mehr zur Schule gehen. Hier gibt es Hauslehrer. Ich kann meinen Hauptschulabschluss hier machen.“

Er hatte Tausende von Dollar bezahlt, um sie in die beste Privatschule in Charlotte zu schicken, und sie sprach von einem Hauptschulabschluss! Wusste sie wirklich nicht, wie wichtig es war, die richtige Schule zu besuchen?

„Darüber reden wir noch. Geht es dir gut? Du siehst blass aus.“

„Weil ich schwanger bin. Mrs. Collias macht uns besonderes Essen für Schwangere. Sie sorgt dafür, dass das Baby genug kriegt und ich trotzdem nicht fett werde.“

„Alle werdenden Mütter nehmen zu.“ Seine Frau hatte zwanzig Kilo zugenommen und innerhalb weniger Monate wieder verloren.

„Wenn ich fett werde, werde ich es nie wieder los.“

Ron konnte nicht nachvollziehen, wie das Gespräch auf etwas so Triviales gekommen war. Er hatte beinahe vergessen, dass Kathryn noch immer im Raum war. Sie saß bei der Tür und blätterte in einer Zeitschrift. Offensichtlich wollte sie ihn nicht mit seiner Tochter allein lassen, aber zumindest verhielt sie sich diskret und tat so, als würde sie nicht zuhören.

„Was ist mit deinem Freund? Dem Vater des Babys.“

„Er weiß es nicht.“

„Du musst es ihm sagen.“

„Nein. Es ist mein Baby. Außerdem will ich nicht sein Leben auch noch ruinieren.“

„Es wird dein Leben nicht ruinieren.“

„Ich bin ein schwangerer, lediger Teenager“, entgegnete Cynthia heftig. „Daran kann dein Geld nichts ändern.“

„Du musst es ihm trotzdem sagen. Es ist genauso sein Baby wie deins. Er hat das Recht, es zu erfahren.“

„Hat er nicht.“

„Er wird es sich bestimmt denken, wenn du nicht zur Schule zurückgehst.“

„Ich habe allen erzählt, dass wir nach Connecticut ziehen.“

Ron wusste, dass es selbst dann kein Geheimnis bleiben würde, aber damit wollte er sich später befassen. „Geh deine Sachen holen. Ich bringe dich nach Hause.“

Cynthia wich zurück. Ihre Miene änderte sich, sodass sie plötzlich weniger wie ein Kind und mehr wie eine Frau wirkte. „Ich gehe nicht nach Hause. Ich bleibe hier.“

„Warum?“

„Das habe ich doch gerade gesagt“, entgegnete sie ungehalten. „Ich will nicht, dass es jemand erfährt.“

„Sie werden es sowieso erfahren.“

„Nicht, wenn ich hierbleibe und du wieder in die Schweiz fliegst. Alle werden glauben, dass wir wirklich nach Connecticut gezogen sind. Ich habe erzählt, dass wir das Haus und das Personal behalten für den Fall, dass es uns dort nicht gefällt. Ich habe gesagt, dass ich nicht wegziehen will, aber dass du wegen deiner Geschäfte näher bei New York sein musst.“

„Warum willst du nicht mit nach Hause? Wir können uns beide richtig ausschlafen und morgen einen Plan machen.“

„Wofür denn?“

„Alles wird sich ändern.“

„Das weiß ich. Ich bin doch nicht blöd.“

„Das habe ich nie gesagt. Aber selbst intelligenten Menschen fällt es manchmal schwer, eine ungewohnte Situation zu durchdenken. Es gibt so viele Dinge, die du in deinem Alter nicht wissen kannst.“

„Wenn du auch nur einmal sagst, dass ich es nicht verstehe, weil ich zu jung bin, dann gehe ich sofort.“

„Du kannst es nicht verstehen“, entgegnete Ron. „Nicht nur, weil du zu jung bist, sondern weil es deine Erfahrung übersteigt. Deine Mutter und ich haben es auch nicht verstanden, obwohl wir dich drei Jahre geplant hatten.“

„Alter und Erfahrung haben nichts damit zu tun. Du bist seit sechzehn Jahren Vater und verstehst trotzdem nichts von Kindern.“

„Ich verstehe nicht, warum es dich mehr aufregt, dass deine Freunde es erfahren könnten, als die Schwangerschaft selbst. Ich dachte, du wärst halb hysterisch und würdest mich anflehen, dir zu einer Abtreibung zu verhelfen.“

„Das würde ich nie tun! Ich will das Baby. Ich brauche es.“

„Cynthia, du bist gerade erst sechzehn geworden. Wie kannst du ein Baby brauchen?“

„Ich durfte nie eine Katze haben. Ich habe ewig darum gebettelt, aber du wolltest nicht.“

„Ich bin allergisch gegen Katzen. Das weißt du doch.“

Sie ging zur Tür. „Ich hätte sie in meinem Zimmer behalten. Da kommst du nie rein. Ich hätte mich ganz allein darum gekümmert“, erklärte sie mit Tränen in den Augen und lief hinaus.

Ron wandte sich an Kathryn, die während des gesamten Gesprächs stumm in der Zeitschrift geblättert hatte. Nun blickte sie ihn mitleidig an.

„Was ist?“, fragte er ein wenig ungehalten. „Warum sehen Sie mich so an?“

„Sie verstehen sie überhaupt nicht, oder?“

„Sie etwa?“

„Natürlich.“

„Hat sie Ihnen etwas erzählt, wovon ich nichts weiß?“

„Nicht ausdrücklich.“

„Wie wäre es, wenn Sie es so ausdrücken, dass es ein armer, dummer Mann verstehen kann?“

Sie stand auf und kam zu ihm. Sie war wirklich sehr hübsch und hatte eine wundervolle Figur. Es fiel ihm schwer, sich auf seine Tochter zu konzentrieren, während sein Körper so heftig auf diese Frau reagierte. Warum war sie nicht verheiratet? Was stimmte nicht mit den ledigen Männern in Charlotte, dass sie allein blieb und sich um die Kinder anderer kümmerte?

„Cynthia wollte etwas für sich allein haben, das sie lieben kann und das sie liebt“, erklärte Kathryn.

„Ich habe ihr angeboten, ihr einen Hund zu kaufen, aber sie wollte keinen.“

„Haben Sie ihr trotzdem einen besorgt?“

„Nein.“

Sie seufzte schwer.

„Was ist denn jetzt wieder?“, hakte er frustriert nach.

„Sie hätte den Hund angenommen.“

„Sie hat gesagt, dass sie keinen will, dass sie ihm nicht mal einen Namen geben würde.“

„Sie hätte ihn genommen und wäre glücklich geworden. Sie sollten mal die Frauen konsultieren, die sich um Ihre Tochter kümmern, und ihnen mehr Handlungsfreiraum einräumen.“

„Margaret ist befugt, alles zu kaufen, was Cynthia braucht.“

„Cynthias Wunsch nach einer Katze war ein Hilferuf. Sie wollte mehr Aufmerksamkeit, als sie bekommt.“

„Alle Jungen wünschen sich einen Hund. Wenn sie keinen bekommen, machen sie deswegen nicht ein Baby.“

„Sie verstehen Frauen nicht.“

„Das weiß ich.“

„Und Sie verstehen Ihre Tochter nicht.“

„Das weiß ich auch.“

„Ich nehme an, Sie haben sich bemüht.“

„Wie hochherzig von Ihnen.“

„Sie waren wahrscheinlich zu sehr mit Ihrer Arbeit beschäftigt, um sich die Zeit zu nehmen, ihr zuzuhören.“

„Ich höre ihr dauernd zu.“

„Mag sein, aber es dringt nicht zu Ihnen durch. Sie sind unempfänglich für Frauensachen. Sie müssen mehr Zeit aufbringen …“

„Ich habe nicht mehr Zeit“, unterbrach Ron. „Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie hart es auf dem internationalen Markt zugeht? Tagtäglich taucht irgendein neues Genie aus dem Nichts auf, das nur so übersprudelt von Ideen und das, was ich tue, schneller und billiger tun kann.“

„Ich bin mit der Geschäftswelt vertraut. Mein Vater hat sein ganzes Leben darin zugebracht, und er ist genau wie Sie.“

„Wollen Sie damit sagen, dass es hoffnungslos ist?“

„Nicht, wenn Sie bereit sind, sich wirklich zu bemühen. Wenn Sie es nicht tun …“

„Wäre ich sonst um die halbe Welt hierhergeflogen?“

Das Argument schien sie zu akzeptieren. Sie wandte sich ab und ging zu einem Bücherregal. „Ich kann Ihnen mehrere ausgezeichnete Bücher empfehlen.“

„Ich habe keine Zeit zu lesen.“

Mit ungehaltener Miene drehte sie sich zu ihm um. „Wie wollen Sie dann lernen, empfänglich für die Gefühle Ihrer Tochter zu werden? Sie brauchen Training.“

„Dann trainieren Sie mich.“

„Ich bezweifle, dass ich das kann.“

„Das kann doch nicht so schwer sein. Ich bin gescheit, ich bin willig, und ich bin bereit, sofort anzufangen.“

2. KAPITEL

„Ist wirklich alles glatt gelaufen?“

Ron hatte Ted angerufen, sobald er zu Hause eingetroffen war. In Genf war es kurz nach sieben Uhr morgens und somit Zeit, sich für den zweiten Verhandlungstag vorzubereiten. Ihm hingegen fehlte Schlaf, bereits mehr als sechs Stunden.

„Lord Hradschin ist für die Fusion“, erwiderte Ted. „Der alte Pirat liebt Geld über alles.“

Zu Beginn der Verhandlungen waren eigentlich keine großen Schwierigkeiten zu erwarten. Hauptsächlich mussten die Pläne für die Fusionierung, die Kostenberechnungen für die erforderliche Umstrukturierung und die Höhe des zu erwartenden Mehrgewinns dargelegt werden. Aber verstanden Ted und Ben sich darauf, die Verhandlungspartner richtig einzuschätzen, Schwierigkeiten zu antizipieren und die entscheidenden Gegenargumente vorzubringen? Das war immer Rons Aufgabe gewesen.

„Geh nicht zum zweiten Punkt über, solange du nicht völlig sicher bist, dass alle den ersten verstanden haben“, riet er. „Sonst wird es nachher nur schlimmer.“

Er hatte inzwischen den Plan verworfen, bereits an diesem Morgen nach Genf zurückzukehren. Irgendetwas war mit ihm geschehen, als Cynthia in Tränen aufgelöst aus dem Raum gerannt war. Diesmal ging es um mehr als einen Wutausbruch oder einen Anfall von Trotz. Sie war tief verletzt, und er hatte keine Ahnung, wie er das ändern sollte.

„Ruf mich an, falls es Probleme gibt … Nein, ich weiß noch nicht, wann ich komme. In ein paar Tagen. Du wolltest doch schon längst eine Chance, eine Sache allein durchzuziehen. Also, mach das Beste daraus.“

Er legte den Hörer auf und fiel auf das Bett, ohne sich auszuziehen. Dann traf ihn die allerwichtigste Frage.

Hatte er es mit Cynthia derart verdorben, dass sie ihm keine zweite Chance mehr geben wollte?

Er hoffte nicht. Bisher waren sie immer ohne größere Reiberein miteinander ausgekommen. Er konnte es kaum erwarten, den Jungen in die Finger zu bekommen, der sie geschwängert hatte. Denn nach seiner Erfahrung war es immer der Junge, der so auf Sex brannte, dass er die Konsequenzen vergaß.

„Will Daddy sich wirklich von dir beibringen lassen, Frauen zu verstehen?“, erkundigte Cynthia sich während des Frühstücks.

Autor

Leigh Greenwood
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