Weihnachtsrezept für die Liebe

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Weihnachtszeit im Weißen Haus? Undercover soll David Goddard die unkonventionelle Kochbuchautorin Holly im Auge behalten. Er muss dafür sorgen, dass sie sich benimmt und nicht unangenehm in der Öffentlichkeit auffällt. Immerhin ist sie mit dem Präsidenten der USA verwandt. Eigentlich kein Problem für den erfahrenen Secret Service Agent. Doch bei den Klängen von romantischer Weihnachtsmusik und im Lichterschein der Kerzen fällt es David immer schwerer, Berufliches und Privates zu trennen …


  • Erscheinungstag 29.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955765712
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Weihnachtsrezept für die Liebe

Aus dem Amerikanischen von Jutta Zniva

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: State Secrets

Copyright © 1985 by Linda Lael Miller

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A.

Redaktion: Mareike Müller

ISBN eBook 978-3-95576-571-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Der hochgewachsene Mann mit den tiefblauen Augen strich sich durch die dunklen Haare und rutschte verärgert auf dem Stuhl hin und her. Die Kälte machte ihm selbst hier drinnen zu schaffen, obwohl er den dicken Wollmantel nicht ausgezogen hatte.

Rasch überflog er die erste Seite der Akte. „Was soll das, Walt?“ David Goddard runzelte die Stirn. „Sie ist die Cousine dritten Grades des zukünftigen Präsidenten! Seit wann stehen die unter dem Schutz des Secret Service?“

Walt Zigman seufzte genervt. Es war offensichtlich, dass dieser Auftrag ihn alles andere als begeisterte. „Hier geht es nicht um Personenschutz, Goddard“, presste er knurrend hervor, „sondern um eine Observation.“

David lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Observation“, wiederholte er und musste sich beherrschen, Walt die Akte über Holly Llewellyn nicht auf den Schreibtisch zurückzuknallen, auf dem ein heilloses Durcheinander herrschte. „Das ist nicht unser …“

„Schon klar, Goddard“, unterbrach ihn Walt, ließ sich auf dem Stuhl nieder und kramte in seiner tintenbefleckten Hemdtasche nach einem Streichholz, um sich einen der Zigarrenstummel anzuzünden, ohne die man ihn fast nie antraf. „Ich weiß, ich weiß. Ich wollte den Fall ja ans FBI abgeben. Sogar bei der CIA hab’ ich’s versucht, aber die haben ihn mir postwendend zurückgeschmissen. Ihrer Meinung nach fällt alles, was mit dem Präsidenten oder seiner Familie zu tun hat, in unseren Zuständigkeitsbereich.“

David stieß einen leisen Fluch aus, schließlich war er hundemüde, und der beißend kalte Novemberwind steckte ihm in den Knochen. Er wollte schleunigst raus aus Washington und endlich Thanksgiving mit seiner Schwester Chris und ihrer Familie in Arlington feiern. Er wollte Zeit mit seinen beiden Nichten verbringen und es sich vor dem großen Kamin gemütlich machen. „Okay, Walt, Ms Llewellyn ist also unser Problem. Doch wie komme ausgerechnet ich zu dieser Ehre?“

Walt lachte leise. „Reiner Zufall, nehme ich an. Komm schon, Goddard, wie schlimm kann es schon werden? Du bist ein paar Wochen, allerhöchstens ein paar Monate in Spokane. Sorgst dafür, dass die junge Dame dich sympathisch findet. Und vergewisserst dich, dass sie wirklich so harmlos ist, wie sie sich gibt – und keine Landesverräterin, die ihrem Bruder Informationen zuspielt.“

Da waren sie wieder, diese Kopfschmerzen. David schlug die Mappe erneut auf und überflog das Dossier über Holly Llewellyn. 27. Blond. Blaue Augen. Eins siebzig groß. 56 Kilo. „Wie kommst du darauf, dass sie Staatsgeheimnisse weitergeben könnte? Da steht, dass sie Kochbücher schreibt.“

„Kochbücher über die orientalische Küche“. Sein Vorgesetzter schaute ihn vielsagend an.

David grinste. „Das allein reicht natürlich, um sie für schuldig zu erklären“, gab er spöttisch zurück.

„Verflucht, Goddard, spar dir deine Witzchen. Geht es nicht in deinen Kopf, dass es sich hier möglicherweise um einen Skandal handelt, gegen den Watergate geradezu harmlos war?“

„Einen Skandal?“

„Ja doch! Wie sieht das denn aus, wenn sich herausstellt, dass die Cousine des neuen Präsidenten eine Landesverräterin ist? Schlimm genug, dass ihr Bruder uns verkauft und verraten hat. Sie könnte aus demselben Holz geschnitzt sein!“

David seufzte. „Komm schon, das ist eher unwahrscheinlich, Walt. Hier kann man auch lesen, dass sie ein Kochbuch über skandinavische Fleischbällchen geschrieben hat. Großer Gott, vielleicht spioniert sie für die Schweden!“

„Sehr witzig.“

„Oder für die Dänen. Vor diesem Völkchen kann man sich gar nicht genug in Acht nehmen. Allesamt raffinierte Teufelchen, einer wie der andere.“

„Goddard!“

„Hey, schau mal, ,Fiestas mit Tacosʻ ist auch von ihr“, fuhr David ungerührt fort. „Glaubst du, sie arbeitet für die Mexikaner? Heilige Avocado, glaubst du, die haben vielleicht vor, bei uns einzumarschieren und sich Texas wieder unter den Nagel zu reißen?“

Walt beugte sich über den Schreibtisch, die großen Hände auf die Tischplatte gestützt. Er ließ den Zigarrenstummel zwischen seinen Lippen auf und ab wippen, bevor er hervorbrachte: „Ich bin froh, dass du die Sache so saukomisch findest, Goddard, doch der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sieht das leider etwas anders. Die kleine Lady hat nämlich zufällig einen aktenkundigen Landesverräter zum Bruder!“

David blätterte die Papiere weiter durch, diesmal allerdings nicht ganz so schnell. Das Pochen im Schädel wurde jetzt schlimmer. „Craig Llewellyn“, murmelte er.

„Du erinnerst dich an ihn, nicht wahr?“, fragte Walt spöttisch, stand auf und trat an das vergitterte Fenster, durch das tagsüber nicht viel Licht in das schäbige kleine Bürozimmer drang.

Ob er sich erinnerte? Ja, David erinnerte sich nur allzu gut. Wie hätte er diese Sache je vergessen können! Craig Llewellyns Spionagetätigkeit war zwar wie durch ein Wunder nie öffentlich bekannt geworden, doch sämtliche Bundesbeamten im Land wussten über die schmutzige Geschichte Bescheid. „Die Tatsache, dass sie Llewellyns Schwester ist, macht diese Frau aber nicht gleich zu einem Sicherheitsrisiko, Walt“, wandte er gelassen ein.

„Vielleicht nicht. Wenn sie nicht mit unserem nächsten Präsidenten verwandt wäre, wäre ich auch nicht besorgt. Und wenn sie nicht eben erst zwei Monate im Iran verbracht hätte, würde ich auch nicht so besorgt sein. Aber so, wie die Dinge liegen, mache ich mir verdammt große Sorgen.“

„Wenn du das müsstest, hätte sich die Opposition vor der Wahl bestimmt auf dieses Thema gestürzt.“ David dachte an den scheidenden Präsidenten und den knallharten Wahlkampf, den der Mann geführt hatte, von den eigenen politischen Gegnern stets mit Argusaugen beobachtet.

„Tja, hat sie allerdings nicht. Ich erwarte deinen Bericht Anfang nächster Woche.“

„Also dann.“ David stand auf und streckte sich. Von der Erkältung, die ihn kürzlich geplagt hatte, taten ihm noch alle Muskeln weh. „Ach, übrigens, wird das eine verdeckte Ermittlung, oder klopfe ich einfach an Ms Llewellyns Tür und halte ihr meinen Dienstausweis unter die Nase?“

Walt Zigman bereitete das Gespräch, wie jetzt unschwer zu erkennen war, ebenfalls langsam Kopfschmerzen. „Dämliche Frage, Goddard. Du warst viel zu lang im Sicherheitsstab im Weißen Haus. Hast zu viel Zeit damit verbracht, mit dem Hund der First Lady Gassi zu gehen. Selbstverständlich handelt es sich um eine verdeckte Ermittlung!“

David zog die Schultern hoch. Allmählich fühlte er sich erschöpft. Möglicherweise hatte Walt recht; vielleicht war er durch den Job im Weißen Haus wirklich eingerostet. Anstatt den Fall von allen Seiten zu beleuchten, war er in Gedanken schon bei Chris und ihrer Familie. Die Kinder würden sich im Fernsehen „Macy’s Thanksgiving Day Parade“ anschauen, es würde überall nach gebratenem Truthahn duften …

Er griff nach der Akte. „Kann ich die mitnehmen?“

Walter machte eine ungeduldige Handbewegung. „Jaja, das ist deine Kopie.“

David klemmte sich die Papiere unter den Arm. Gewiss waren es die bevorstehenden Feiertage, die ihn ablenkten, wehmütige Erinnerungen und vage Hoffnungen weckten und ihm das Gefühl vermittelten, deutlich älter als vierunddreißig zu sein. Er versuchte, sich seine Exfrau Marleen vorzustellen, wie sie gerade einen Truthahn in den Ofen schob oder eine sommersprossige Kinderschar vor den Fernseher setzte, damit sie sich die Parade ansehen konnten. Es gelang ihm nicht. „Bleibst du hier, Walt?“, fragte er, die Hand schon auf der Türklinke. „Immerhin ist morgen Thanksgiving.“

Zigman verzog die Mundwinkel links und rechts des Zigarrenstummels zu einem Grinsen. „Nö. Ich fahre nach New York zu meiner Tochter. Happy Thanksgiving, Goddard.“

David lachte trotz der inneren Leere, die sich plötzlich in ihm ausbreitete. Marleen kam ihm wieder in den Sinn, die im Dienste der Wissenschaft gerade Schimpansen in Borneo beobachtete, und er fragte sich, ob sie überhaupt noch wusste, dass sie einmal eine ganz andere Art von Primaten hatte großziehen wollen. Mit ihm gemeinsam. „Ich ruf dich Montag an.“

„Geht klar.“

David trat hinaus in den breiten Korridor mit dem leicht abgewetzten Teppich, der sicher einmal richtig teuer gewesen war. Kleine Strahler beleuchten die Gemälde an den Wänden. Vor der schweren Doppeltür des Oval Office hielten zwei Sicherheitsleute Wache. Er nickte ihnen zu, und sie nickten ernst dreinblickend zurück.

Unten verließ David das Weiße Haus durch einen Nebenausgang und schlenderte über den leicht verschneiten Parkplatz zu seinem Wagen. An einem der hohen schmiedeeisernen Tore zeigte er vorschriftsmäßig seinen Dienstausweis vor – obwohl er hinaus- und nicht hineinwollte und obwohl er die jungen Marines vor sich (ebenso wie deren Frauen und Kinder, ja, sogar ihre jeweilige Kleidungsgröße) bestens kannte.

Wieder fühlte er sich einsam. Sogar irgendwie verzweifelt. Kurz bevor sich das Tor des Weißen Hauses mit dem gewohnten metallischen Klicken hinter ihm schloss, drehte er das Autoradio auf, um das Geräusch zu übertönen.

Holly Llewellyn legte die elegante Einladung auf den Kaminsims in der Küche. Dann vergrub sie die Hände in den Taschen der kuscheligen blauen Joggingjacke und trat einen Schritt zurück, um das Kuvert gebührend zu bewundern.

„Das muss man sich mal vorstellen“, rief ihre Freundin und Assistentin Elaine Bateman von dem Stuhl am voll beladenen Tapeziertisch aus. „Eine Einladung ins Weiße Haus! Zu einem Amtseinführungsball! Du lieber Himmel, Holly, was ziehst du bloß an?“

Hollys hellblaue Augen funkelten, während sie die Hände aus den Jackentaschen zog und sich das kinnlange blonde Haar zu einem Knoten zusammensteckte. „Nichts“, säuselte sie und warf sich wie eine Diva in Positur.

„Das gäbe einen schönen Skandal!“

Holly schnitt eine Grimasse und lief wieder zu dem Drucker am anderen Ende des Tapeziertischs, der momentan noch als ihr Schreibtisch fungierte, wo sie nun die ersten Seiten von „Kebabspieße als Partyhäppchen“ ausdruckte – das Anfangskapitel ihres neuen Buches. „Damit wollte ich sagen, dass ich nicht hingehe“, erklärte sie resolut. „Schließlich muss Toby zur Schule, ich muss meinen Kochkurs halten und dieses Buch fertig schreiben. Du weißt doch, dass die ganzen Rezepte erst getestet werden müssen. Und dann ist da noch meine Zeitungskolumne …“

„Alles nur Ausreden.“ Elaine ignorierte das fertige Manuskript von „Suppen der Spitzenklasse“, das ausgebreitet vor ihr lag und für das sie ein Register erstellen sollte. „Großer Gott, Holly, wie oft passiert es einem schon, dass der eigene Cousin zum Präsidenten gewählt wird? Ich fasse es nicht, dass du das verpassen willst! Außerdem hast du doch bis Januar Zeit.“

Holly bekam von dem rhythmischen hohen Summen des Druckers langsam Kopfschmerzen. Sie schloss die Augen und strich sich über die Hosenbeine ihrer engen Jeans. „Ich gehe da nicht hin“, wiederholte sie barsch, bereute ihren scharfen Ton allerdings sofort, sowie sie Elaine seufzen hörte.

„Okay, wie du meinst. Hör mal, morgen ist ja Thanksgiving … Macht es dir etwas aus, wenn ich das Manuskript mitnehme und zu Hause weiterarbeite? Auf mich wartet ein Truthahn, der gefüllt werden will, und meine Pilger-Keramikfiguren sind auch noch nicht im Wohnzimmer aufgestellt."

Holly lachte. Jetzt konnte sie der Freundin wieder in die Augen schauen. „Hau schon ab“, sagte sie lächelnd. „Und lass das Manuskript hier. Das hat bis Montag Zeit.“

Elaine strahlte und ordnete die Seiten zu einem ordentlichen Stapel. „Du hattest schon immer eine Schwäche für Pilger-Keramikfiguren“, entgegnete sie schmunzelnd. „Bist du dir sicher, dass du mich ich am Freitag nicht brauchst?“

„Ganz sicher.“

Elaine blickte Holly mit großen grünen Augen besorgt an, während sie auf den Flur traten. „Du und Toby, ihr beide unternehmt doch irgendwas zu Thanksgiving, oder? Ich meine, du wirst doch nicht hier herumsitzen und Trübsal blasen?“

Holly spürte einen Anflug von Traurigkeit. „Wir verbringen den Tag bei Skylers Eltern, meine kleine Glucke. Sieh zu, dass du nach Hause kommst, bevor dein Mann versucht, die Füllung eigenhändig in den Vogel zu schieben. Erinnerst du dich an letztes Jahr? Da hat er sich beim Stopfen ordentlich geschnitten.“

Elaine lachte. „Roy meint es nur gut.“ Sie nahm ihren Mantel von der Garderobe neben der Hintertür, schlüpfte hinein und strich sich die glänzend braune Haarpracht über die Schultern nach hinten. „Wie soll er denn wissen, dass ein nur halb aufgetauter Truthahn tödlich sein kann?“

„Stimmt, wie sollte er das wissen.“ Holly kicherte. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie sich plötzlich so schwermütig fühlte. Skylers Eltern waren wirklich nett. Toby und sie würden sich bei ihnen wohlfühlen.

„Happy Thanksgiving“, meinte Elaine, als sie die Tür aufstieß und ein Schwall eisiger Novemberluft hereindrang. „Bis Montag.“

„Bis Montag.“ Holly lächelte tapfer, doch kurz nachdem ihre Freundin verschwunden war, ließ sie sich auf die lange Bank neben dem Arbeitstisch sinken und seufzte tief.

In diesem Moment kam Toby – eingemummelt in eine dicke Jacke, mit Ohrenschützern und Handschuhen ausgestattet – in die große Küche gestürmt. Mit seinen Stiefeln hinterließ er kleine Pfützen auf dem roten Steinboden, und in einer Hand hielt er einen bunten, aus Papier gefalteten Truthahn. „Guck mal, was wir gebastelt haben, Mom! Guck mal!“

Holly riss sich zusammen und lächelte ihm zu. „Wow“, rief sie, ohne sich die Mühe zu machen, den Jungen zu korrigieren und daran zu erinnern, dass sie seine Tante und nicht seine Mutter war. Das tat sie schon lange nicht mehr.

Der siebenjährige Junge versuchte, sich die Winterklamotten auszuziehen, ohne dabei den Truthahn aus violettem, grünem, rosa und schwarzem Papier zu zerknittern. Toby hatte von der Kälte gerötete Wangen, und seine blauen Augen strahlten.

Holly stand auf, strich ihm durch den unwiderstehlich süßen blonden Haarschopf und nahm dem Kleinen das bereits etwas mitgenommene, mit Klebstoff verschmierte Kunstwerk ab. „So einen Truthahn habe ich noch nie gesehen“, erklärte sie.

Als Toby lachte, gab es ihr einen Stich ins Herz. Wie sehr er doch ihrem Bruder ähnelte! Der arme Craig, immer auf der Flucht.

„Ich wollte, dass er einzigartig aussieht, Mom …“ Für einen Moment wirkte der Junge verlegen. „Außerdem war das braune und das orangefarbene Papier schon alle. Und das goldene auch.“

Holly stellte sich vor die riesige Kühlschranktür und befestigte den Truthahn mit ein paar Magneten daran, nachdem sie den vom letzten Monat entfernt hatte. „Egal“, meinte sie. „Mir gefällt er. Ist eben ein Charaktervogel. Bist du hungrig?“

„Und wie!“ Der Junge schob ein paar Papierstöße und Bücher auf dem Tisch beiseite und setzte sich.

Holly holte Aufschnitt, Käse, Salat und Senf aus dem Kühlschrank und stellte fest, dass sie dringend wieder einkaufen fahren musste. Sie legte die Zutaten für die Sandwichs auf die Küchentheke und klappte die altmodische Holzbrotdose auf.

„Es bleibt doch dabei, dass wir morgen zu Skyler gehen?“, fragte Toby.

Holly verschloss die Brottüte und packte sie zurück in die Dose. Sie seufzte. „Eigentlich nicht. Wir fahren zum Haus seiner Eltern, schon vergessen? Sie leben auf dem Land.“

„Oh.“

„Du magst Skyler nicht besonders, Toby, stimmt’s?“ Sie schmierte Butter auf eine Scheibe Brot und belegte sie mit Käse, Wurst und einem Salatblatt.

„Heiratest du ihn?“ Ernst blickte er Holly an.

Die Frage war durchaus berechtigt, doch da Holly die Antwort darauf selbst nicht kannte, konnte sie auch Toby keine geben. „Ich weiß es nicht. Ich mag Skyler.“

„Sehr?“

„Doch, ich mag ihn sehr“, erwiderte sie nach einer kurzen Pause.

„Liebst du ihn?“

Holly stocherte mit dem Messer im Senfglas herum. „Nun ja …“

„Man sollte denjenigen schon lieben, den man heiratet. So wie Elaine ihren Roy liebt. Sie küsst ihn andauernd, und wenn er irgendetwas sagt, guckt sie ihn so an, als wäre jedes Wort megawichtig.“

Holly schwieg. Tobys Worte hatten sie ziemlich aus der Fassung gebracht. Schließlich grinste sie ihren Neffen schief an. „Du hast schon wieder Dr. Phil geschaut.“

Verdutzt starrte Toby sie an. „Hä?“

„Vergiss es. Wie war’s heute in der Schule?“

Der Junge seufzte. „Ich hab’ kein orangefarbenes Papier mehr abgekriegt.“

„Ich weiß.“ Holly legte das fertige Sandwich auf einen Teller und stellte ihn vor Toby auf den Tisch. „Warum eigentlich? Bist du etwa zu spät zum Kunstunterricht gekommen?“

Toby griff rasch nach dem Sandwich. „Ich musste zum Rektor.“

„Toby Llewellyn! Hast du etwas angestellt?“

„Nee“, nuschelte Toby mit vollem Mund. „Er will, dass ich nächste Woche bei der Schulversammlung etwas über den nächsten Präsidenten der USA erzähle.“

Holly spürte eine Mischung aus Sorge und Wut in sich hochsteigen und musste tief durchatmen, ehe sie einigermaßen ruhig weiterreden konnte. „Wie bitte? Woher weiß er, dass …“

Toby zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hat irgendetwas in der Zeitung gestanden. Mr Richardson war ziemlich enttäuscht, als ich ihm erklärt habe, dass ich den Präsidenten gar nicht kenne.“

Holly vergrub die Hände in den Gesäßtaschen ihrer Jeans und begann, nervös in der Küche auf und ab zulaufen. Als Kochbuchautorin eine Art Star zu sein war eine Sache – das interessierte nur wenige Menschen –, aber diese entfernte Verwandtschaft mit dem zukünftigen Präsidenten konnte sich zu einem echten Problem entwickeln. Was, wenn zur Sprache kam, was Craig getan hatte, und die Presse von all dem erfuhr? Diese Meute würde Toby auflauern, ihn vielleicht sogar verletzen!

„Hast du irgendwo Leute von der Zeitung entdeckt, Schatz? Hat dir irgendjemand Fragen gestellt?“

Toby schüttelte den Kopf. „Darf ich fernsehen?“

Abwesend nickte Holly. „Du sagst es mir, falls jemand mit dir reden will, den du nicht kennst, in Ordnung?“

„Klar. Haben wir noch Saft?“

Holly war immer noch beunruhigt, doch sie zwang sich, nicht mehr unruhig im Raum herumzutigern. Es gab keinen Grund, in Panik auszubrechen. Schließlich waren sie und Craig nur entfernt mit dem neuen Präsidenten verwandt.

„Mom?“

„Kakao. Ich mache dir eine Tasse Kakao. Es ist zu kalt für Saft.“

„Okay“, rief Toby und stürmte vergnügt aus der Küche.

Im nächsten Moment, während Holly im Küchenschrank nach einem Topf für den Kakao suchte, hörte sie bereits das Dröhnen des Fernsehers von nebenan. Mit zitternden Händen stellte sie kurz darauf Milch, Zucker und Schokolade auf die Küchentheke.

Mein Gott, Craig, dachte sie, was hast du uns bloß angetan? Was hast du uns allen bloß angetan?

Sie dachte über die Probleme ihres Bruders nach, während sie den Kakao zubereitete und die Tasse dann zu Toby ins Wohnzimmer trug. Plötzlich riss das schrille Klingeln des Telefons sie unsanft aus den Gedanken, und sie eilte zurück in die Küche, um abzuheben.

„H… Hallo?“

„Hallo, Kleines“, sagte die vertraute Stimme am anderen Ende.

Mit zitternden Knien ließ sich Holly auf einen Stuhl fallen. Skyler. Es war nur Skyler. Sie war so froh, dass sie ihn nicht einmal bat, sie nicht mehr mit diesem albernen, herablassend klingenden Spitznamen anzureden. „Hi.“

Skyler räusperte sich. Skyler räusperte sich immer, wenn er einen Vorschlag machen wollte, von dem er befürchtete, Holly würde ihn ablehnen. „Hör mal, Holly, ich hab mir überlegt, ob du, der Junge und ich nicht schon heute Abend zu meinen Eltern fahren sollten. Warum bis morgen warten? Ich könnte den Laden früher zusperren.“

Holly nagte an der Unterlippe. Sie hasste es, wenn er Toby immerzu „den Jungen“ nannte. Als hätte ihr Neffe keinen Namen. Aber Skyler darauf anzusprechen zeigte ungefähr die gleiche Wirkung, wie ihn zu bitten, sie nicht „Kleines“ zu nennen. Nämlich keine.

„Holly?“, fragte Skyler nach, da ihm das Schweigen zu lange zu dauern schien. „Bist du noch da?“

„Ich habe nur … ich habe nur nachgedacht.“

„Ist es denn eine so schwere Entscheidung?“, erwiderte er ungeduldig.

Sie atmete tief ein und langsam wieder aus, ehe sie antwortete. „Nein, natürlich nicht. Aber, nun ja …“

Genervt stöhnte Skyler auf. „Ich nehme an, du hast Angst, ich könnte mit dir schlafen wollen. Im Haus meiner Eltern? Das traust du mir doch nicht ernsthaft zu, oder?“

Er ist heute ungewöhnlich empfindlich, dachte Holly. Andererseits war Sex nun mal ein heikles Thema bei ihnen. Holly war zwar längst nicht mehr unbedarft, was das anging, aber noch nicht bereit für diese Art von Intimität, jedenfalls nicht mit ihm. „Sky…“

„Na? Das denkst du doch, oder?“

Holly massierte sich seufzend die pochenden Schläfen. „Ja, wenn du’s genau wissen willst. Und ich weigere mich, darüber am Telefon mit dir zu diskutieren.“

Man konnte fast hören, wie Skyler um Fassung rang. „Gut“, beeilte er sich zu sagen. „Also, soll ich dich heute Abend abholen oder nicht, Holly?“

„Wann würden wir losfahren?“

„Ich kann in ungefähr anderthalb Stunden fertig sein. Wir könnten unterwegs irgendwo einen Happen essen, wenn du magst.“

Holly merkte, dass sie trotz der merkwürdigen Gereiztheit, die Skyler immer in ihr hervorrief, lächelte. „Hört sich gut an. Mir ist heute wirklich nicht nach Kochen.“

Er lachte leise. „Kein Wunder.“

„Andererseits habe ich hier einen Kühlschrank voller Kebabspieße. Vom Testen der Rezepte gestern.“

„Und mir ist heute nicht danach, das Versuchskaninchen zu spielen“, warf Skyler eilig und erschreckend energisch ein. „Wir sehen uns um …“, er machte eine Pause, und Holly sah ihn vor sich, wie er gerade auf seine schmale goldene Armbanduhr schaute, „… halb sieben.“

„Halb sieben“, bestätigte sie, und nach ein paar belanglosen Abschiedsworten legten beide auf.

Einer von uns beiden hätte „Ich liebe dich“ sagen sollen, dachte Holly, während sie die Küche verließ.

Skyler stand vor dem Kaminsims und betrachtete stirnrunzelnd die Einladung zum Ball im Weißen Haus. Er war groß gewachsen, hatte helles glattes Haar, ein ebenmäßiges Gesicht wie ein Chorknabe und lange, schlanke Finger. Als Inhaber einer äußerst erfolgreichen Verkaufsvertretung für Musikanlagen und Fernseher verdiente er mehr als gut, was er auch aller Welt zu zeigen gedachte – heute trug er eine maßgeschneiderte Hose und einen eleganten Kaschmirpullover.

Holly vergrub die Hände in den Taschen ihres schwarzen engen Rocks und blickte Skyler abwartend an. Zu dem Rock trug sie hohe Lederstiefel, eine weinrote Bluse und ihren schwarzen Blazer. Ihr Haar – stufig geschnitten, leicht zu föhnen – glänzten, und sie war perfekt geschminkt.

„Du hast mir gar nicht erzählt, dass du ihn …“, begann Skyler nachdenklich und betrachtete sie stirnrunzelnd.

„Ich kenne viele berühmte Leute.“

„Schon klar.“ Er zog eine seiner perfekt geformten Augenbrauen hoch. „Doch jemandem in der Today Show die Hand zu schütteln und zum Antrittsball des Präsidenten eingeladen zu werden sind zwei verschiedene Dinge.“

Holly verschränkte die Arme und lächelte, obwohl sie innerlich bebte. So ging es ihr immer mit Skyler; in seiner Gegenwart schien sich ihr Selbstbewusstsein in nichts aufzulösen. „Howard ist ein entfernter Cousin. Ich hab’ ihn nie erwähnt, weil ich es nicht für wichtig hielt.“

„Howard! Du nennst den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten ‚Howard‘?“

„So heißt er nun mal.“

„Aber …“

Jetzt wurde Holly plötzlich ungeduldig. „Ich gehe ohnehin nicht auf diesen Ball“, entgegnete sie und griff nach ihrer Tasche, die auf dem Tisch lag. „Wollen wir los? Es herrscht bestimmt schrecklich viel Verkehr, und es schneit immer noch.“

Skyler nickte abwesend, doch als er aus der Küche ging, schaute er noch einmal zurück zu der Einladung.

Nachdem sie Toby und den kleinen Koffer, in dem sich auch Hollys Klamotten befanden, auf dem winzigen Rücksitz von Skylers elegantem Sportwagen verstaut hatten, warf Holly noch einen kurzen wehmütigen Blick auf das altmodische Backsteinhaus. Mit einem Mal fühlte sie sich merkwürdig einsam.

Du lieber Himmel, sie tat ja fast so, als würde sie ihr gemütliches Zuhause nie mehr wiedersehen!

Auf den Straßen war es chaotisch, genau wie Holly prophezeit hatte. Stadtein- und stadtauswärts herrschte nahezu gleich dichter Verkehr, vor der Windschutzscheibe tanzten so große Schneeflocken, dass man fast nichts erkennen konnte.

„Wir sind im Hyperraum“, rief Toby begeistert von hinten.

Aus dem Augenwinkel sah Holly, wie Skyler das Gesicht verzog und die Hände fester um das Lenkrad schloss.

Sie lehnte sich gegen die Nackenstütze und senkte die Lider. Skyler Hollis, beruflich erfolgreich und noch dazu attraktiv, war wahrscheinlich genau das, was ihre Mutter als eine „gute Partie“ bezeichnet hätte. Doch seine – wenn auch sorgfältig versteckte – Ablehnung Toby gegenüber störte Holly. Sie fragte sich, ob er überhaupt keine Kinder mochte oder bloß speziell ihren Neffen nicht.

Anderthalb Stunden später, als sie in einem Restaurant an der Straße gegessen hatten und Toby auf dem Rücksitz eingeschlafen war, sprach sie das Thema an. „Willst du mal Kinder, Skyler?“

Er warf ihr einen Seitenblick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße vor ihnen. „Eigene? Das wollen doch die meisten Männer, Holly.“

Sie setzte sich aufrechter hin. Was für eine merkwürdige Antwort. „Heißt das, Toby wäre für dich nicht wie dein eigener Sohn?“

Unter Skylers glatt rasierten Wangen arbeiteten die Muskeln, und seine Schultern verkrampften sich sichtlich. „Dein Bruder kommt wahrscheinlich irgendwann zurück und nimmt ihn zu sich. Das hast du mir selbst gesagt.“

Holly seufzte und starrte aus dem Fenster hinaus ins wilde Schneegestöber. Es stimmte, sie hatte das mal zu Skyler gemeint. Aber mittlerweile hatte sie erhebliche Zweifel, dass ihr Bruder seinen Sohn jemals zu sich nehmen, geschweige denn in der Lage sein würde, für ihn zu sorgen. Tobys Mutter war schließlich tot, und Craig wurde – obwohl das kaum jemand wusste – wegen Verdachts auf Spionage gesucht. Es war sogar möglich, dass er sich nicht einmal mehr in den USA aufhielt.

„Craig kommt nicht zurück“, sagte sie nach langem Schweigen leise.

„Warum sollte er nicht?“ Skyler klang missmutig. „Du hast immerhin sein Kind!“

Sein Kind. Immer, wenn Skyler diese Worte aussprach, hörte es sich für Holly völlig unpersönlich, fast unmenschlich an. „Und ich möchte ihn behalten, Skyler. Craig ist nicht imstande, für sein Kind zu sorgen, und außerdem liebe ich Toby. Ich liebe ihn sehr.“

Plötzlich schien es nichts mehr zu sagen zu geben. Skyler schob eine Klassik-CD in den CD-Player, und bald war das Innere des Wagens von Beethovenklängen erfüllt.

Chris’ Küche war hell, warm und gemütlich. An den Wänden hingen glänzende Kupferpfannen und -töpfe, und in dem riesigen Ofen in einer Ecke knisterte ein Feuer. In zwei langen Regalen stand die größte Kochbuchsammlung, die David je gesehen hatte.

Stirnrunzelnd nahm er das Buch „Fiestas mit Tacos“ in die Hand und betrachtete das Farbfoto der Autorin hinten auf dem Umschlag. Zerzauste honigblonde Haare, riesige blaue Augen. Holly Llewellyn.

„Interessierst du dich plötzlich fürs Kochen?“, fragte Chris skeptisch.

Wie ertappt stellte David das Buch wieder zurück ins Regal und schüttelte dann den Kopf.

Chris, eine hübsche Frau mit dunklen Haaren und ebenso dunklen Augen, lachte liebevoll und umarmte ihren Bruder. „Wir leben in einer neuen Ära, weißt du. Männer haben – unter anderem – das Kochen für sich entdeckt.“

Eine neue Ära. Die Worte ließen David nicht mehr los. Er war unruhig, fast nervös, und hatte das seltsame Gefühl, dass er an der Schwelle zu etwas Großem stand; etwas, das sein Leben für immer verändern würde. Er zog Holly Llewellyns Kochbuch wieder aus dem Regal und studierte das bezaubernde Gesicht auf dem Umschlag.

Wenn sich herausstellte, dass sie eine Informantin war, würde er das wohl nicht verkraften.

2. KAPITEL

Holly betrachtete missmutig den Santa-Claus-Roboter, der neben der Rolltreppe im Supermarkt vor sich hin nickte. Thanksgiving ist vorbei, dachte sie bitter, und schon geht der Weihnachtswahnsinn los. In der Spielwarenabteilung zankte sich gerade eine Horde Kunden um irgendwelche Stofftiere.

In der nächsten Etage angekommen, sah sie, dass Elaine bereits in der Haushaltsabteilung auf sie wartete. Sie hatte die Haare hochgesteckt und ein Klemmbrett in der Hand.

„Was ist da unten los?“, fragte Holly gereizt. Das Wochenende mit Skyler und seinen Eltern war eine Katastrophe gewesen.

Elaine kicherte, sah jedoch nicht von der Liste auf, deren Punkte sie gerade durchging. „Eine Lieferung Webkinz ist eingetroffen.“

Holly zog ihren Wintermantel aus und sah sich um. Im Laden war gute Arbeit geleistet worden; man hatte Tische aufgestellt, und es gab Schürzen und Kochmützen für die Kursteilnehmer. Im Kochbereich, wo Holly die Kunst des Obstkuchenbackens demonstrieren wollte, lagen schon Backformen aus Kupfer sowie andere Kochutensilien auf der Arbeitsplatte.

Sie überflog die Liste auf Elaines Klemmbrett. Normalerweise konnten zwölf Teilnehmer an ihrem Kochkurs teilnehmen, doch diesmal waren 13 angemeldet. „David Goddard? Wer zum Teufel ist das?“

Elaine bedachte ihre Freundin und Arbeitgeberin mit einem verständnisvollen, geduldigen Blick. „Einer mehr hat doch immer Platz, stimmt’s?“ Sie grinste. „Der Typ wollte unbedingt mitmachen …“

Holly war genervt und müde. Alles, was sie wollte, war ein Abend daheim vor dem Fernseher oder, noch besser, mit einem Buch in der Badewanne. Alles wäre besser, als hier in diesem schicken Supermarkt 13 Leuten beizubringen, einen Obstkuchen zu backen. „Elaine“, sagte sie missmutig, „die Nachfrage nach diesem Kurs ist groß, wie du weißt. Er ist auf sieben Monate ausgebucht, und es gibt – falls dir das entfallen ist – eine lange Warteliste. Was hast du dir bloß dabei gedacht, irgendeinen Blödmann, der einfach so hier reinschneit, auf die Liste zu setzen, weil er unbedingt mitmachen will?

Elaine errötete. „Eigentlich ist er kein Blödmann. Eher ein Traumtyp.“

„Na toll! Du lässt ihn also mitmachen, weil er gut aussieht!“

Elaine zuckte die Schultern. „Was soll ich sagen? Ich habe in diese tiefblauen Augen geguckt und konnte dem Mann den Wunsch nach zehn Kurseinheiten und einer Kochmütze einfach nicht abschlagen.“

Holly fluchte leise und warf Mantel und Tasche auf einen Stuhl. „Dann erledige ich das für dich. Sogar mit dem größten Vergnügen.“ Sie wusch sich die Hände in der blitzenden Edelstahlspüle, die zu der voll ausgestatteten Küche des Supermarkts gehörte. „Wo ist er?“

„Unten, glaube ich. In der Spielzeugabteilung“, antwortete Elaine ungerührt, während sie eine weitere Liste überflog und sich vergewisserte, ob genug Mehl, Zucker und auch alle andere Zutaten vorhanden waren. „Er hat gesagt, er will ein paar Stofftiere für seine Nichten kaufen oder so.“

Holly fand eine Schürze und band sie sich um. Trotz wiederholter Bitte des Marketingchefs des Supermarkts weigerte sie sich, eine Kochmütze aufzusetzen. „Ich habe ohnehin keine Ahnung, warum ich diese Kochkurse halte“, brummte sie.

„Du hast einen Vertrag mit dem Laden“, kam die fröhliche Antwort ihrer Assistentin. „Und sie zahlen richtig gut.“

„Danke, dass du mich daran erinnerst.“

Elaine sah von dem Klemmbrett auf und schnitt eine Grimasse. „Gern geschehen, Boss.“

Holly musste wider Willen grinsen. „Ich weiß nicht, wie du es mit mir aushältst. Ich habe schon den ganzen Tag schlechte Laune, tut mir leid.“

Elaine seufzte. „Nach einem Wochenende mit Skyler Hollis würde es jedem so gehen. Kann ich jetzt gehen, Holly? Roy und ich wollen schon mal ein paar Weihnachtseinkäufe erledigen und schick essen gehen.“

„Geh nur. Lass mich ruhig im Stich. So bleibt mir das Vergnügen, diesem Traumtypen zu erklären, dass er heute nicht lernen wird, wie man Obstkuchen bäckt.“ Holly machte eine Pause und seufzte dann theatralisch. „Hach, gutes Personal ist heutzutage ja so schwer zu finden.“

Elaine lachte. „Wenn du ihn erst mal gesehen hast, schickst du ihn nicht mehr weg. Glaub mir, Gott hatte einen besonders guten Tag, als er diesen Kerl geschaffen hat. Alles sitzt eindeutig an der richtigen Stelle.“

„Elaine Bateman, du bist eine glücklich verheiratete Frau!“

Die hübsche Brünette zog ihren Mantel an. „Ja, das schon. Aber ich bin nicht blind“, sagte sie augenzwinkernd, ehe sie sich ihre Handtasche schnappte und zur Rolltreppe ging.

Holly war ungefähr fünf Minuten allein, als ein dicker, ernst guckender Mann auftauchte. Sie fragte ihn nach seinem Namen – Alvin Parkins – und hakte ihn auf Elaines Liste ab. Nach und nach kamen die anderen Kursteilnehmer hinzu. Manche von ihnen hatten Hollys Buch dabei, um es signieren zu lassen.

Und dann erschien Nummer 13. Der Lästige. Bei seinem Anblick spürte Holly ein nervöses Flattern im Magen.

Er war groß, seine exakt geschnittenen kurzen Haare waren sehr dunkel und seine Augen tiefblau, genau wie Elaine erzählt hatte. Er trug Jeans, einen weißen Pullover, eine braune Lederjacke und unter jedem muskulösen Arm ein Plüschtier.

Holly schob das Kinn energisch vor, straffte die Schultern und ging auf ihn zu. „Mr Goddard?“

Er legte den Kopf leicht schief, was möglicherweise eine Bestätigung, ein Gruß oder vielleicht auch beides sein sollte. Sein Aftershave verströmte einen herben Duft, und Holly ertappte sich dabei, dass sie überlegte, wie es hieß.

Sie starrte nacheinander die beiden Stofftiere an und versuchte, den Moment hinauszuzögern, in dem sie diesem Mann erklären musste, dass in diesem Obstkuchenkurs einfach kein Platz für ihn war. „Mr Goddard, ich …“, Holly räusperte sich. „Es ist so, Mr Goddard, dass es einfach nicht … genug Platz für einen zusätzlichen Teilnehmer gibt. Es tut mir leid.“

Er legte die Stofftiere auf einen der Tische und zog gelassen seine Jacke aus. Es sah nicht so aus, als habe er vor, zu gehen. „Mit tut es auch leid. Dass es ein Problem ist, meine ich. Aber Ihre Assistentin hat mein Geld genommen und mir gesagt, ich hätte einen Kursplatz in ‚Obstkuchen für Anfänger‘, also bleibe ich.“

Holly merkte, dass sie rot wurde. „Sie scheinen ja ziemlich hartnäckig zu sein.“

David Goddard lächelte, verschränkte die Arme und verströmte dabei diesen anziehenden Duft, der irgendetwas tief in Hollys Innerem auslöste. „Wenn’s nötig ist“, antwortete er lapidar.

Um sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen, sah Holly auf die Armbanduhr. Zeit, mit dem Kurs anzufangen. Sie waren vollzählig, bereit, loszulegen. Es würde keinen guten Eindruck machen, Mr Goddard vor allen Anwesenden eine Szene zu machen, und außerdem hatte Elaine dem Mann zugesichert, er könne teilnehmen. „Na gut“, murmelte sie. „Sie können bleiben.“

„Danke.“ Die Wärme in seiner Stimme hatte einen beruhigenden Effekt auf Holly. Ihr Ärger über seine Unverfrorenheit verflog.

David Goddard entpuppte sich als wissbegieriger Schüler, der Holly förmlich an den Lippen hing und jede ihrer Bewegungen verfolgte. Sie konnte seinen messerscharfen Verstand fast körperlich spüren.

Als der Kurs vorbei war und Holly aufräumte, blieb er, um ihr zu helfen. Wortlos krempelte er die Ärmel hoch und ließ heißes Wasser in die Spüle laufen.

Holly sammelte die Rührschüsseln, Kochlöffel und Backformen ein und trug sie zur Küchentheke. Seltsam, dieses Gefühl gerade – als wären sie nicht zwei Fremde, sondern alte Freunde, die gemeinsam in der Küche zu Hause, und nicht in einem überfüllten Supermarkt, abwuschen.

„Für eine Supermarktküche ist das hier ja ziemlich weiträumig“, stellte er – beide Armen bis zu den Ellbogen im heißen Spülwasser – fest.

Holly musste lächeln. „Ich weiß. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich auch beeindruckt.“ Und als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, Nummer 13.

„Hat man das alles für Sie hier aufgebaut?“

Sie schüttelte den Kopf und nahm ein Geschirrtuch aus einer der oberen Schubladen. „Ich glaube, es war ursprünglich eine Schauküche. Sie wissen schon, damit die Leute sehen, wie die Geräte und die Möbel bei ihnen zu Hause aussehen würden. Als ich langsam bekannt wurde, hatte die Firma ,Cookware and Booksʻ die Idee, dass ich hier Kochkurse geben könnte.“

David lächelte. Ein nettes Lächeln, wie ihr auffiel, ein Lächeln mit einem Hauch von Ironie. Eines, bei dem die geraden weißen Zahnreihen zum Vorschein kamen. Aber woher kam diese traurige Distanziertheit tief in seinen blauen Augen?

„Nimmt das nicht viel Zeit in Anspruch? Diese Kurse, meine ich“, wollte er wissen.

Holly trocknete eine Rührschüssel aus Kupfer so sorgfältig ab, dass diese rotgolden glänzte. Ihr gefiel der Anblick. So strahlend und fröhlich. „Ich schätze schon. Ich reise ein bisschen, schreibe meine Bücher. Und ich habe auch eine wöchentliche Zeitungskolumne.“ Sie schwieg kurz, bevor sie fortfuhr. „Aber mir gefällt das Unterrichten. Da lernt man schnell neue Menschen kennen.“

„Sie lernen niemanden kennen, wenn Sie reisen?“

Wieder lächelte sie, diesmal ein bisschen wehmütig. „Eigentlich nicht. Ich besuche oft Workshops und Kurse in anderen Ländern, um mich weiterzubilden, und manchmal bin ich die einzige Teilnehmerin. Es ist anstrengend, erfordert viel Konzentration, und üblicherweise habe ich kaum Zeit, mir die Sehenswürdigkeiten anzugucken, geschweige denn echte Freundschaften zu schließen. Was machen Sie beruflich, Mr Goddard?“

„Nennen Sie mich David, sonst kann ich es Ihnen nie verraten.“ Obwohl der Blick, mit dem er sie bedachte, durchaus freundlich war, hatte Holly aus irgendeinem Grund das Gefühl, als würde er zögern.

„Okay, ich bin Holly. Was machst du beruflich, David?“ Sie beobachtete seine Reaktion genau.

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