Weihnachtswunder in Port Orchard

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Erik Sullivan ist attraktiv, erfolgreich - und will nur weg aus seiner Heimatstadt. Denn hier erinnert ihn alles an seine Scheidung. Doch dann tritt kurz vor Weihnachten die bezaubernde Rory in sein Leben. Und weckt in ihm Gefühle, gegen die er sich heftig sträubt. Anfangs …


  • Erscheinungstag 14.09.2020
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719272
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Was steht auf Ihrem Wunschzettel für das bevorstehende Weihnachtsfest? Alles, wonach Sie suchen, finden Sie in Seattles Warenhaus …“

Rory schaltete schnell das Autoradio aus, während sie darauf wartete, dass ihr fünfjähriger Sohn aus der Vorschule kam. Um sich von ihren Sorgen abzulenken, hatte sie die Musik ganz laut gestellt. Aber der Werbespot hatte sie an genau das erinnert, was sie zu verdrängen versuchte: Letztes Jahr waren die Feiertage entsetzlich gewesen. Also hoffte sie, Weihnachten diesmal für ihren Jungen zu einem besonderen, wundervollen und märchenhaften Fest zu machen.

Doch seit drei Tagen war es nicht einmal mehr sicher, dass sie ein Dach über dem Kopf haben würden – von einem Weihnachtsbaum ganz zu schweigen.

Wegen des Personalabbaus bei Hayes, Bleaker & Stein war Rorys Arbeit als Phonotypistin im Homeoffice nicht länger gefragt. Aber sie brauchte diesen Job, um den Lebensunterhalt für sich und Tyler bestreiten und eine Hypothek aufnehmen zu können.

Jetzt konnte sie das Haus im Cape-Cod-Stil nicht mehr kaufen, das für sie und Tyler perfekt gewesen wäre. Sie konnte nicht einmal hoffen, irgendein Haus kaufen oder mieten zu können.

Der Verkauf ihres schönen Zuhauses, das sie mit ihrem Ehemann geteilt hatte, würde nächste Woche abgeschlossen sein. Also blieben ihr vier Tage, um ein Apartment zu finden – und einen Job dazu, mit dem sie Geld für die Miete verdienen konnte.

Jemand klopfte an die Fensterscheibe auf der Fahrerseite. Eine Blondine, die durch ihre Hochsteckfrisur, die Hornbrille und einen Mantel aus weißem Kunstpelz auffiel, beugte sich zu ihr hinunter und lächelte sie an. Rory kurbelte die von der Kälte beschlagene Fensterscheibe herunter.

„Sind Sie Aurora Jo Linfield?“

Sie zögerte. Sie gab ihren vollen Namen ausschließlich auf Ausweispapieren und Urkunden an. „Ja.“

„Ich bin Felicity Granger.“ Sie streckte die Hand durch das geöffnete Fenster. „Aber bitte nennen Sie mich Phil. Ich bin eine Mitarbeiterin von Cornelia Hunt. Sie haben schon von Cornelia Hunt gehört, nicht wahr?“

Rory schüttelte ihr die Hand. „Ja.“ Fast jeder in Seattle hatte schon von Mrs. Hunt, der ehemaligen Cornelia Fairchild, gehört. Sie war die Jugendliebe des Computergenies Harry Hunt, der den Softwarekonzern HuntCom gegründet hatte und inzwischen Milliardär war.

Letzten Sommer hatten die Medien ausführlich über die Hochzeit von Cornelia und Harry Hunt berichtet. Sogar Rory erinnerte sich daran. Obwohl ihre Welt zusammengebrochen war und sie zu dieser Zeit sehr zu kämpfen gehabt hatte. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Oh, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Mr. Hunt hat von Ihrer Situation gehört …“

Harry Hunt? „Von meiner Situation?“

„Er hat gehört, dass Sie Ihren Job verloren haben und sich deshalb kein neues Zuhause leisten können.“

„Woher weiß er das?“

„Von Ihrer Immobilienmaklerin. Mr. Hunt kennt den Besitzer des Maklerbüros, für das sie arbeitet. Letzten Monat hat er durch die Vermittlung dieser Maklerin ein Gebäude gekauft, das der Hauptsitz des neuen Unternehmens seiner Ehefrau wird. Als er erfahren hat, warum Sie das Haus nicht kaufen können, das Sie sich ausgesucht hatten, kam ihm Mrs. Hunts Projekt in den Sinn.“

Phil lächelte strahlend. „Er hat sie uns empfohlen, und wir haben Sie überprüft. Sie sind tatsächlich perfekt für uns. Cornelia kennt ein Gebäude, das Sie vielleicht kaufen wollen. Sie ist über ihre momentane Arbeitslosigkeit informiert. Aber sie hat gesagt, dass Sie sich im Moment über dieses kleine Detail keine Gedanken machen sollen.“

Sie holte eine Visitenkarte aus der Manteltasche. „Wenn Sie interessiert sind, können zwischen Ihnen und dem Verkäufer geeignete Modalitäten gefunden werden. Das Gebäude wird laut Maklerin nicht Ihren Vorstellungen entsprechen. Aber es könnte perfekt für Sie und Ihren kleinen Jungen sein. Sie müssen offen für alle Möglichkeiten sein.“

„Hier.“ Sie reichte Rory die Visitenkarte. „Die Adresse steht auf der Rückseite. Um zehn Uhr morgen früh treffen Sie dort Erik Sullivan, den Vertreter des Verkäufers. Er kennt das Gebäude sehr gut. Also stellen Sie ihm alle Fragen, die Ihnen bei der Entscheidung helfen könnten. Auch was ihn angeht, sollten Sie für alle Möglichkeiten offen sein.“

Ohne näher auf die letzte Bemerkung einzugehen, fügte Phil hinzu: „Ich muss jetzt los. Ich habe in der zweiten Reihe geparkt. Wenn Ihnen das Angebot gefällt, treffen wir uns morgen Nachmittag.“

Rory warf einen Blick auf die Visitenkarte. Auf der Rückseite war handschriftlich eine Adresse am Rand von Port Orchard notiert, das eine kurze Fahrt mit der Fähre über den Puget Sound von Seattle entfernt war. Sie hatte so viele Fragen und sah wieder hoch. Aber die Frau war wie vom Erdboden verschluckt.

Nach den niederschmetternden Ereignissen in den vergangenen vierzehn Monaten vertraute sie auf fast nichts und niemanden mehr. Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns bei einem Verkehrsunfall war sie am Boden zerstört gewesen.

Die geflüsterten Kommentare über ihre Ehe, die sie bei der Beerdigung zufällig mitgehört hatte, waren vernichtend gewesen. Leute, die einmal ihre Familie und ihre Freunde gewesen waren, hatten sich abgewandt und sie allein gelassen – und jetzt hatte sie auch ihren Job verloren.

Die reizende Phil war wie eine gute Fee aus dem Nichts aufgetaucht und genauso spurlos wieder im kalten, feinen Nebel verschwunden. Bestimmt setzen mir die schlaflosen Nächte zu. Rory legte die Visitenkarte weg. Was gerade passiert war, musste entweder zu gut sein, um wahr zu sein – oder es gab einen großen Haken.

Dennoch würden sie und Tyler sich morgen früh mit dem Immobilienteil der Zeitung auf Wohnungssuche begeben. Die Anzahlung auf das Haus, das sie nicht kaufen konnte, hatte sie gerade zurückerhalten. Mit diesem Geld könnte sie drei oder vier Monate lang für die Miete und die anderen Ausgaben aufkommen.

In der Zwischenzeit war ein Wunder genau das, was sie brauchte. Jedenfalls hatte sie nichts zu verlieren, wenn Sie zu der auf der Visitenkarte angegebenen Adresse fahren würde.

Sie hoffte nur, dass dieser Erik Sullivan ihre besonderen Umstände genauso akzeptieren würde wie Cornelia Hunt.

1. KAPITEL

„Haben wir uns verfahren, Mom?“

„Nein, Schatz.“ Rory, die das Auto auf dem unbefestigten Seitenstreifen einer Landstraße geparkt hatte, betrachtete stirnrunzelnd das Gebäude in etwa vierzig Meter Entfernung. „Ich bin nur nicht sicher, ob es die richtige Adresse ist.“

„Können wir zu dem Weihnachtsplatz fahren, wenn wir das Haus nicht finden?“

„Mal sehen. Im Moment suchen wir nach einem neuen Haus, in dem wir wohnen können.“

„Ich will kein neues Haus.“

„Das weiß ich.“ Sie strich Tyler die zerzausten Haare aus der Stirn. Als sie das Fenster geöffnet hatte, um die Adresse auf dem Briefkasten am Straßenrand besser sehen zu können, war eine kalte Brise ins Auto geweht.

Sie lächelte ihn an. „Aber wir brauchen ein neues Haus. Und du musst mir helfen, es auszusuchen. Das ist unser gemeinsames Abenteuer, erinnerst du dich?“

„Und dann können wir zum Weihnachtsplatz fahren?“

Als sie von der Fähre gekommen waren, hatten sie ein Werbebanner für einen Weihnachtsmarkt in Port Orchard gesehen. Seitdem fragte Tyler immer wieder danach. Gestern Abend hatte sie sich im Internet über die Gemeinde an der Küste informiert. Alles hatte fast idyllisch geklungen.

Aber sie wollte sich keine zu großen Hoffnungen machen. Vielleicht handelte es sich nur um gutes Marketing. Sie hoffte inständig, dass diese Hausbesichtigung sich nicht als fruchtloses Unternehmen herausstellen würde.

„Ich fürchte nicht, Schatz. Dazu haben wir keine Zeit.“ In fünf Minuten sollten sie den Vertreter des Verkäufers treffen. Sie warf wieder einen Blick auf das Gebäude, das von ein paar Bäumen und Gras umgeben war. Dahinter war ein Kiefernwald zu sehen. Eine Kiesfläche diente offenbar als Parkplatz.

Die Adresse auf dem Briefkasten stimmte mit der auf der Visitenkarte angegebenen Adresse überein. Das zweistöckige, rechteckige Gebäude mit Flachdach und Blick auf einen kleinen Jachthafen ganz in der Nähe hatte jedoch keine Ähnlichkeit mit einem Wohnhaus.

„Harbor Market & Sporting Goods“ stand auf einem Schild, das über der Veranda angebracht war. „Frischer Espresso“, „Würmer“ und „Geschlossen bis zum Frühjahr“ war auf drei Schildern an der Tür zu lesen.

Angesichts der Briefkästen, die weiter hinten entlang der Straße standen, schien es möglich, dass sich dort zwischen den Bäumen Wohnhäuser befanden. Doch es war kein einziges Fahrzeug zu sehen. Eine schmale Zufahrt führte um das Gebäude herum zur Rückseite. Vielleicht stand dort noch ein kleines Landhaus, auf das die Sicht versperrt war.

Sie griff nach ihrer Schultertasche und sagte ihrem kleinen Sohn tapfer, dass sie sich umsehen würden, während sie auf den Vertreter der Verkäufer warteten. Als sie auf das Gebäude zugingen, fiel eine Tür krachend ins Schloss. Tyler erstarrte.

Ein großer, breitschultriger Mann, der einen Fischerpullover und Jeans trug, überquerte die Veranda und lief schnell die drei Stufen hinunter.

„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich vergesse immer wieder, den Türdämpfer zu reparieren.“

Die dunkle Stimme passte zu dem sehr männlichen Prachtkerl mit den schiefergrauen Augen, dem athletischen Körperbau und den markanten Gesichtszügen. Die Brise zerzauste seine dunklen Haare. Als er auf sie zukam, warf er einen Blick auf Tyler. Dann schaute er wieder sie an.

„Sind Sie Mrs. Linfield?“ Er musterte sie. Von den rotbraunen Haaren, die ihr über die Schultern fielen, über die beige Cabanjacke und die Jeans bis zu den Stiefeln.

Es dauerte nur einen Moment. Dennoch hatte sie das nervöse Gefühl, dass er sich jede Rundung und Kurve ihres Körpers vorstellte. „Ich hatte hier niemanden erwartet“, sagte sie. „Ich habe kein Auto gesehen. Also wollten wir uns ein bisschen umsehen.“

„Ich bin mit dem Wasserflugzeug hergekommen.“ Mit dem Kopf deutete er auf den Jachthafen, bevor er zu ihr trat und ihr die Hand hinstreckte. „Ich bin Erik Sullivan und erledige diesen Verkauf für meine Großeltern.“

„Sind Sie Immobilienmakler?“ Er strahlte Mut und Kraft aus, und sein Lächeln vermittelte eine absolut tödliche Mischung aus Selbstbeherrschung, Durchsetzungsvermögen und lässiger Ungezwungenheit.

„Tatsächlich baue ich Boote. Ich kümmere mich nur für meine Großeltern darum.“

Rory schüttelte ihm die kräftige Hand. Er trug eine Rolex am Handgelenk. Offenbar war er in seinem Metier sehr erfolgreich. Sein Händedruck war fest. Er wirkte kompetent und kultiviert.

Doch vor allem nahm sie eine völlig unerwartete Verbindung zu ihm wahr, als sie sich in die Augen sahen. Alles in ihr schien ruhig zu werden. So etwas hatte sie bislang nur einmal empfunden. Damals hatte Curt ihr zum ersten Mal die Hand gegeben. Dieses flüchtige Gefühl hatte von diesem Moment an ihr Leben bestimmt, und der Verlust ihres Ehemanns hatte eine große Leere in ihrem Herz hinterlassen.

Hastig entzog sie Erik ihre Hand und trat einen Schritt zurück. Ihre abrupte Reaktion war ihr peinlich. Aber sie lehnte den Gedanken an irgendeine Art Verbindung – ob eingebildet oder nicht – zu diesem Mann instinktiv ab. Sie traute ihren Empfindungen nicht.

Denn laut der Unterhaltung, die sie nach Curts Beerdigung mitgehört hatte, war es sehr gut möglich, dass die von ihr empfundene Liebe und Nähe zwischen ihr und ihrem Ehemann einseitig gewesen war. Sie legte die Hand auf die Schulter des Jungen. „Das ist mein Sohn Tyler.“

Erik lächelte den Jungen an und deutete auf das Gebäude. „Der Haupteingang zum Wohnbereich ist hinten. Aber wir können durch den Laden gehen. Kommen Sie. Ich führe Sie herum.“

„Gibt es kein separates Haus?“

„Wenn der Käufer ein Haus bauen will, gibt es dafür auf dem sehr großen Grundstück viel Platz. Doch es hat gewisse Vorteile, wenn das eigene Geschäft im Haus ist. Man muss nicht pendeln.“

Er konnte nicht erkennen, ob sie über die Bemerkung lächelte, denn ihre Haare verdeckten ihr Profil, während sie den Jungen zum Haus führte.

Mrs. Rory Linfield war völlig anders, als Erik erwartet hatte. Allerdings hatte Cornelia Hunt ihm kaum etwas über die Kaufinteressentin erzählt. Er war nicht sicher, was die elegante Ehefrau von Harry Hunt mit dem Gebäude neben dem Kundenbüro von Merrick & Sullivan vorhatte. Das Gebäude, das derzeit komplett renoviert wurde, hatte davor Eriks Großeltern gehört.

Gestern hatte Cornelia angerufen und gesagt, dass sie eine Witwe kennen würde, die sofort ein Zuhause benötigte – und die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Unter einer Witwe hatte er sich eine Frau mindestens Mitte oder Ende Fünfzig mit ergrauten Haaren und zumindest einigen Falten vorgestellt. Die sehr attraktive und elegante Frau, die jetzt die Veranda überquerte, sah dagegen verführerisch aus.

Ihre helle, zarte Haut und der schöne, mit rosafarbenem Lipgloss in Szene gesetzte Mund waren verlockend. Er schätzte sie auf Ende zwanzig. Demnach wäre sie zehn Jahre jünger als er. Auf den niedlichen kleinen Jungen war er überhaupt nicht gefasst gewesen.

In seiner Familie gab es keine kleinen Kinder, und in den Kreisen, in denen er verkehrte, ging es ausschließlich um Boots- und Segelsport. Den einzigen Kontakt zu Kindern hatte er, wenn ihn sein Geschäftspartner zu einer Familienfeier einlud. Also machte er sich nur selten Gedanken um Kinder. Nicht mehr.

Er hielt ihr die Tür auf. Als sie an ihm vorbeiging, nahm er den überraschend aufreizenden Duft ihres Parfüms wahr. Welche Empfindungen sie in ihm ausgelöst hatte, als er ihren sinnlichen Mund betrachtet und dann in ihre großen braunen Augen gesehen hatte, war genauso überraschend gewesen.

Offenbar hatte auch sie die besondere Verbindung zwischen ihnen gespürt. Denn in ihren Augen war eine Mischung aus Verwirrung und Vorsicht aufgeschienen, bevor sie zurückgewichen war.

Jetzt betrachtete sie verwirrt die leer geräumten Regale für Lebensmittel und die leere Kühlauslage für Milchprodukte in der Nähe der Kasse. Die Lebensmittel hatte er vor Monaten einer städtischen Essensausgabe gespendet. Sportartikel und Schwimmhilfen füllten noch immer die übrigen Regale. Dann entdeckte sie das Kajak, das an der Decke hing.

„Warum ist das Boot da oben, Mom?“

„Damit die Leute es besser sehen als die Boote da hinten.“ Sie zeigte auf ein Gestell im hinteren Bereich, an dem noch drei Kajaks hingen. Ruder und Wasserski standen in Reihen auf der anderen Seite.

„Werden wir in einem Geschäft wohnen?“

„Nein, Schatz. Wir … schauen uns nur um“, antwortete sie unsicher und wandte sich dann an Erik. „Sie sagten, dass die Immobilie Ihren Großeltern gehört?“

„Sie haben sich in San Diego zur Ruhe gesetzt. Das wurde auch Zeit. Mein Großvater hatte sich verletzt, als er eine der Neonröhren an der Decke ausgetauscht hat. Sie betrieben das Geschäft über fünfzig Jahre lang.“

Er hatte seinem Grandpa versprochen, sich um die Neonröhre zu kümmern. Im Lauf der Jahre hatte er seinen Großeltern viele Reparaturen abgenommen. Aber John Sullivan konnte manchmal ein wenig ungeduldig sein.

„Ist er gestürzt?“, fragte sie besorgt.

„Nein, es war nur eine Zerrung. Aber es hat zwei Monate gedauert, bis er wieder etwas heben konnte. Grandma ist für ihn eingesprungen, so gut sie konnte. Aber während dieser Zeit haben sie entschieden, sich zur Ruhe zu setzen.“

Rory wirkte immer noch unsicher, sie musterte den Dielenboden und die Akustikdeckenfliesen. Wie würde sie es wohl meistern, auf einer Leiter zu stehen und die über einen Meter langen Neonröhren auszuwechseln? Oder wie würde sie es schaffen, die schwere Holzleiter vom Erdgeschoss in den ersten Stock zu tragen?

Cornelia hatte ihn ausdrücklich gefragt, ob eine Frau das Geschäft übernehmen konnte, die auf sich gestellt war. Er hatte Ja gesagt. Aber er war davon ausgegangen, dass die Kaufinteressentin ein bisschen kräftiger sein würde.

„Ursprünglich war das Gebäude einstöckig. Als meine Großeltern dann auch Sportartikel verkaufen wollten, haben sie den Wohnbereich in die Geschäftsfläche integriert, den zweiten Stock hinzugefügt und noch hinten am Gebäude angebaut.“

Da sie keine Fragen stellte, fuhr er fort: „Sie haben das Geschäft immer im April geöffnet und am ersten Oktober geschlossen. Denn während der Feriensaison im Sommer und Herbst haben sie den meisten Profit erwirtschaftet. Dadurch hatten sie die Winter frei, um selbst Urlaub zu machen und andere Projekte zu verfolgen.“

Erik fügte hinzu, dass seine Großeltern dauerhaft gute Einnahmen mit dem Laden erzielt hatten. Für eine Frau, die offenbar allein für ein Kind aufkommen musste, war das bestimmt wichtig.

Da keine anderen vernünftigen Kaufangebote in Sicht waren, würde er sich Cornelias Angebot nicht entgehen lassen. Gesetzt den Fall, dass sie wirklich an der Immobilie interessiert war. Er hatte sich nicht einmal gegen die besondere Kaufbedingung gesperrt, laut der er seine Hilfe zusagen musste, das Geschäft wieder in Gang zu bringen.

Durch den Verkauf wäre er nicht länger verpflichtet, das Gebäude instandzuhalten. Noch wichtiger war, dass er nicht mehr wöchentlich von Seattle hierher kommen musste, um sich zu vergewissern, dass nichts kaputt gegangen war.

Er hätte keinen Grund mehr, jemals hierher zurückzukehren. Da fast alle Pläne, die er für sein Leben hier gehabt hatte, spektakulär gescheitert waren, war ihm das sehr recht. „Waren Sie schon jemals zuvor Geschäftsinhaberin?“

„Nein“, antwortete sie verwundert und warf einen Blick auf die geöffnete Tür hinter der Theke mit der Kasse. „Geht es dort zum Wohnbereich?“

„Ja, sie führt ins Foyer.“ Er folgte ihr. Sie hielt den Jungen noch immer an der Hand, der ihm über die Schulter einen Blick zuwarf, sich dann aber schnell wieder umdrehte. Erik zuckte die Schultern und konzentrierte sich auf die Mutter.

Sie wirkte wie der sehr gepflegte Typ Frau, mit denen einige seiner gut situierten Kunden verheiratet waren. Doch ihr Auto war dagegen praktisch und sparsam. „Treiben Sie Sport im Freien?“

„Wir haben Fahrräder“, erwiderte sie abgelenkt.

„Mountainbikes oder für die Straße?“

„Straße.“

„Für Radrennen oder zum Radwandern?“

„Nur fürs ganz normale Fahrradfahren.“

„Wissen Sie irgendetwas über Mountainbikes?“

„Gibt es da einen Unterschied?“

„Was ist mit Wassersport?“, fragte er. „Wasserski? Windsurfen? Paddeln?“

„Nicht wirklich.“

Also nein. „Wissen Sie irgendetwas über Sportartikel?“

Sie warf ihm einen verdutzten Blick zu und betrat das weiträumige Wohnzimmer mit dem wandhohen Kamin auf einer Seite und der langen Küchentheke auf der anderen Seite. „Kann ich mir die Küche ansehen?“

„Natürlich.“ Ihre Antworten gefielen ihm überhaupt nicht. Ihr Sohn lief zu einem der großen Panoramafenster an der gegenüberliegenden Wand. „Haben Sie jemals im Verkauf gearbeitet?“

„Nie.“

„Wow. Mom. Es hat einen Park!“, rief Tyler.

Rory schaute aus dem Fenster. Eine große Wiese erstreckte sich bis zum Kiefernwald. Der Mann hinter ihr hatte sie durch seine starke Präsenz abgelenkt, weshalb sie den schönen Ausblick erst jetzt bemerkte. Genau wie das Grinsen ihres Sohnes. Ihr Interesse an dem Gebäude nahm zu. „Ja, Schatz. Aber bleib bei mir. In Ordnung?“

Der Junge streifte die Jacke ab, lief schnell zu ihr und zeigte auf Erik. „Wohnt er hier?“

„Es ist unhöflich, auf jemanden zu zeigen“, murmelte sie. „Nein, er wohnt woanders.“

„Wo?“

„Das weiß ich nicht.“

„Aber weit weg, hm?“

„Wie kommst du darauf?“

Autor

Christine Flynn
Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...
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