Weihnachtszauber im Paradies

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Surfen, Tauchen, unter Sternen schlafen: Sienna hat eine ganze Liste von aufregenden Dingen, die sie unbedingt ausprobieren möchte. Weshalb sie nach ihrer bitteren Scheidung genau über Weihnachten in die Südsee jettet. Und kaum in dem Inselparadies Bora Bora angekommen, begegnet ihr am weißen Strand ein sexy Surflehrer, der perfekt für alle Punkte auf ihrer Liste ist – zu der sie noch „heiße Affäre“ hinzufügt. Doch was sie nicht will, sind Tränen, wenn sie nach dem Fest der Liebe wieder nach Hause fliegt und Kai für immer verlässt …


  • Erscheinungstag 12.11.2024
  • Bandnummer 232024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525121
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sienna Kendall liebte Weihnachten in London – schillernde Schaufensterdekorationen, festliche Weihnachtslieder, spektakuläre Lichtinstallationen auf der Regents Street, den riesigen Baum am Trafalgar Square, Eislaufen im Hyde Park und Menschen, die mit Paketen beladen vorbeihasteten und völlig Fremden adventliche Grüße zuriefen. Wenn man Glück hatte, lag sogar Schnee.

Doch am meisten freute sich Sienna auf die Feier im Familienkreis mit ihren Eltern und ihren Schwestern Thea und Eliza. Sie alle trafen sich zum Fest der Liebe im Westlondoner Vorort Chiswick, in dem Haus, in dem sie aufgewachsen waren.

Das Weihnachtsfest verlief jedes Jahr gleich, selbst nachdem sie und ihre Schwestern das elterliche Heim längst verlassen hatten. Gemeinsam bereiteten sie das Festmahl zu – traditionell Truthahn mit allem Drum und Dran –, dann folgte ein Weihnachtsfilm, je sentimentaler, desto besser. Häufig gesellten sich am Weihnachtsabend auch noch Freunde oder wer sonst allein war ungezwungen dazu.

Die jährlich wiederkehrende Zeremonie begann damit, dass sie den Baum aufstellten und schmückten, wobei jedes Familienmitglied ein neues Anhängsel hinzufügte, was den Christbaum zunehmend überladen wirken ließ. Aber nur bis vor zwei Jahren ein Kätzchen, das Sienna mitgebracht hatte, sich herausgefordert fühlte, den Baum zu erklimmen, ihn dabei umriss und so einer Reihe von Schmuck den Garaus machte. Zum Glück waren es keine wertvollen Erinnerungsstücke gewesen, und nach dem ersten schockierten Aufschrei brachen alle in Gelächter aus, erleichtert, dass dem Übeltäter nichts passiert war.

So gesehen war das Weihnachtsfest bei den Kendalls eine bewährte Tradition, bei der sich Sienna mit ihren zweiunddreißig Jahren von familiärer Liebe gewärmt und getragen fühlte, egal, was sonst in ihrem Leben schieflief.

Nicht so in diesem Jahr …

Während eines sonntäglichen Familienessens Mitte Oktober, in einem beliebten Pub in Chiswick mit Blick auf die Themse, verkündeten ihre Eltern aus heiterem Himmel, dass sich dieses Jahr zu Weihnachten etwas ändern würde.

„Wir haben über die Festtage eine einmonatige Kreuzfahrt in die Karibik gebucht“, eröffnete ihr Vater den drei Töchtern. „Nur für uns beide …“ Er und ihre Mutter zwinkerten einander zärtlich und mit einem Lächeln zu, das ihre längst erwachsenen Kinder sanft, aber bestimmt ausschloss.

Sienna war zu schockiert und verletzt, um auch nur einen Ton herauszubringen. Ihren Schwestern schien es nicht anders zu ergehen, daher starrten alle drei die Eltern zunächst nur stumm an.

Eliza brach als Erste das lastende Schweigen. „Was …“

„Was zum …“, kam es von Thea, bis Sienna sich endlich gefasst hatte. „Warum solltet ihr so was Unerwartetes …“

„Dieses Jahr sind wir vierzig Jahre verheiratet und möchten endlich einmal etwas nur für uns selbst tun“, wandte ihre Mutter sich direkt an ihre älteste Tochter. „Du hast dein eigenes Leben, deinen eigenen Freundeskreis, und ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du dich über die Chance freuen würdest, das Christfest einmal anders feiern zu können.“

Sienna war zu betroffen, um auch nur im Ansatz zu verstehen, wovon ihre Mutter da sprach. Weihnachten war das Familienfest. Wie konnten ihre Eltern auf die Idee verfallen, eine so lange und wichtige Tradition plötzlich zu ändern?

Dann sah sie, wie ihre Mutter ein paar leise Worte mit Eliza wechselte, und sie begann zu verstehen. Bei ihrer Schwester, die sieben Jahre jünger war als sie, war im Alter von sechs Jahren eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden und ein zweites Mal, als sie vierzehn war. Auch zwischendurch ging es Eliza immer wieder schlecht. In diesen schweren Zeiten hatte jedes Familienmitglied sein Bestes gegeben, um die Kranke zu unterstützen, und ihre Mutter hatte ihre geliebte Arbeit als Lehrerin ganz aufgegeben. So war diese bedrohliche Krankheit mit einer der Gründe gewesen, jedes Weihnachten zu etwas Besonderem zu machen, solange sie Eliza noch zu Hause gelebt hatte.

Inzwischen war sie aus der Krankenhausfürsorge entlassen worden, ohne weitere Nachuntersuchungen. Die Belastung für ihre Eltern musste in all diesen Jahren immens gewesen sein, selbst wenn alles, was sie für ihr Kind taten, aus Liebe geschah. War es da ein Wunder, dass sie sich eine Auszeit zu zweit wünschten?

„Verstehen kann ich das natürlich“, versuchte Eliza so überzeugend wie möglich zu sagen. „Ihr werdet eine fantastische Zeit haben … Sightseeing, dazu noch bekocht und verwöhnt zu werden. Das habt ihr wirklich verdient.“

„Auf jeden Fall“, pflichtete Thea ihr bei.

Sienna schluckte trocken, gab ihren beiden Schwestern aber absolut recht. Trotzdem war sie in ihrer durch die Scheidung auf den Kopf gestellten Welt gefühlt darauf angewiesen, dass wenigstens dieser Teil ihres Lebens Bestand hatte: Weihnachten im vertrauten Kreis der Familie. Natürlich hatten ihre Eltern diese Kreuzfahrt verdient, aber das Weihnachtsfest wäre ohne sie einfach nicht dasselbe. Momentan konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, es allein mit ihren Schwestern zu feiern. Und, wie sich herausstellen sollte, war nicht mal das eine Option …

„Sienna, Thea, los kommt, wir holen etwas, womit wir auf diese unerwartete Überraschung anstoßen können.“

Offenkundig hatte sich Eliza als Erste vom dem Schock erholt. Doch kaum waren die drei Schwestern außer Sichtweite der Eltern, zeigte sie auf Stühle an einem Tisch, und ein Blick reichte Sienna, um die Anspannung ihrer Schwester wahrzunehmen.

„Bist du okay?“, fragte sie leise und streckte die Hand nach ihr aus. Thea tat instinktiv dasselbe. Obwohl es Eliza wieder gutging, fiel es Sienna schwer, ihre Rolle als beschützende große Schwester aufzugeben.

„Wir dürfen ihnen kein schlechtes Gefühl vermitteln. Sie haben sich jahrelang rührend um mich gekümmert und ihre eigenen Bedürfnisse stets hinten angestellt … ihr alle habt das getan“, führte Eliza rau an. „Jeder verdient die Chance, sich wieder allein auf sich selbst konzentrieren zu können.“

Sienna seufzte. „Du hast ja recht. Aber ist es wirklich falsch, dass ich auch als Erwachsene immer noch Weihnachten im Kreis meiner Familie feiern möchte?“

„Das geht mir genauso …“, kam es wehmütig von Thea.

„Darin sind wir uns einig“, gab Eliza zu. „Aber dieses Jahr läuft es eben anders. Jeder von uns bekommt unverhofft die Gelegenheit, ein eigenes Weihnachtsabenteuer zu erleben. Ich schlage vor, auch wir verlassen unsere Komfortzone und verreisen ebenfalls.“

„Allein?“, hakte Sienna schockiert nach. „Sogar du?“

„Ja, was ist mit dir?“, wollte auch Thea wissen.

„Ganz besonders ich.“ Eliza hob ihr Kinn so vehement, wie Sienna es noch nie bei ihr gesehen hatte. „Lasst uns einen Pakt schließen.“

„Einen Pakt? Das haben wir seit unserer Kindheit nicht mehr getan.“

„Einen Weihnachtspakt …“ Fast hätte Eliza vor wachsender Aufregung auch noch in die Hände geklatscht. „Jede von uns muss über die Feiertage verreisen … für zwei Wochen. Den Zielort sucht eine für die andere aus und packt dazu passend den Koffer. Das jeweilige Reiseziel erfahren wir erst am Flughafen. Wie findet ihr das?“

Ihre Schwestern starrten erst sie und dann sich gegenseitig an.

„Sie hat den Verstand verloren!“ Thea schüttelte den Kopf, sah Sienna an – und lächelte.

Sienna schluckte trocken. „Auf jeden Fall hat sie das“, meinte sie rau. „Aber ehrlich gesagt, ist es gar keine so schlechte Idee.“

Könnte das eine verträgliche Alternative zu einem ‚elternlosen‘ Weihnachten sein? Anstatt bei Freunden rumzuhängen, die alle eigene Familien hatten? Warum nicht die Gelegenheit nutzen, einmal etwas ganz anderes zu machen?

„Mir gefällt daran, dass wir uns selbst herausfordern“, sagte Sienna.

„Und mir, dass wir die Reiseziele gegenseitig aussuchen“, lachte Thea.

„Dann seid ihr mit meinem Plan einverstanden?“, fragte Eliza erleichtert.

Sienna nickte. „Ich auf jeden Fall“, gab sie sich selbstbewusst. „Und du, Thea?“

Ihre Schwester nickte ebenfalls und lachte dann. „Himmel! Worauf lasse ich mich da nur ein?“

Sienna hob lachend ihr Glas. „Worauf schon? Auf unseren Weihnachtspakt!“

„Auf unseren Weihnachtspakt!“, antworteten Thea und Eliza gleichzeitig.

1. KAPITEL

Jedes Mal, wenn Sienna Kendall hörte oder las, wie jemand die französisch-polynesische Insel Bora Bora als Paradies beschrieb, sah sie sich im Geist im Bikini am Strand mit einem gekühlten Cocktail aus tropischen Früchten in der Hand. Den Blick auf aquamarinblaues Wasser und die bunten Segel der Kitesurfer gerichtet, dazu als Hintergrundkulisse den majestätischen Mount Otemanu und als Garnierung zuckerweißer Sand, Sonne, Palmen.

Thea und Eliza hätten sich kein perfekteres Ziel für Siennas erstes Weihnachtsfest fern von zu Hause aussuchen können. Wie oft hatte sie an trüben Wintertagen in London davon geträumt, auf eine Südseeinsel zu entfliehen. Es war perfekt und dennoch …

Dennoch hatte sie sich noch nie zuvor so einsam gefühlt, weil ihre Schwestern ein wichtiges Detail übersehen hatten. Bora Bora war vor allem ein Paradies für verliebte Paare, das Traumziel für Hochzeitsreisende.

Und was bedeutete das für sie mit ihren zweiunddreißig Jahren? Nach der übelsten aller Scheidungen verunsichert und alleinstehend auf dieser Trauminsel zu landen, umgeben von schwer verliebten Pärchen?

Alles in ihrem schicken strohgedeckten Domizil war für zwei Personen eingerichtet, von Toilettenartikeln bis hin zu kuscheligen Bademänteln für Sie und Ihn. In der vergangenen Nacht hatte sie sich in ihrem luxuriösen Doppelbett so einsam und verloren gefühlt wie nie zuvor in ihrem Leben. Ein deprimierendes Gefühl, das sich mit der Aussicht auf das in zehn Tagen drohende Weihnachtsfest – ohne Eltern und Schwestern – dramatisch verstärkte.

Sienna seufzte abgrundtief. Dass Thea und Eliza das Gleiche bevorstand, war ihr auch kein Trost. Inzwischen erschien ihr dieser Weihnachtspakt, dem sie alle drei zugestimmt hatten, nur noch als verrückte, nicht wirklich durchdachte Schnapsidee. Andererseits …

Ein Abenteuer und eine Herausforderung war es auf jeden Fall, oder?

Thea und sie hatten für Eliza ein Feriendomizil in einem Baumwipfel-Resort im Regenwald von Costa Rica gebucht. Und zusammen mit Eliza hatte sie für Thea eine Reise ins Winterwunderland eines der angesagtesten japanischen Skigebiete organisiert.

Sie selbst hatte am vierzehnten Dezember am Flughafen Heathrow Tränen der Freude und Rührung vergossen, als sie von ihren Schwestern erfahren hatte, dass ihr Überraschungsziel Bora Bora sein würde.

Sienna lächelte unter Tränen. Ihre Schwestern kannten sie so gut.

Ihr Ex-Mann Callum war passionierten Skiläufer, darum hatten sie während ihrer gemeinsamen Jahre alle Urlaube grundsätzlich im Schnee verbracht, während Sienna sich danach gesehnt hatte, dem britischen Winter auf eine tropische Insel zu entfliehen.

Bora Bora war wirklich die perfekte Wahl, und Sienna hoffte von ganzem Herzen, dass Thea und Eliza ebenso glücklich mit ihren Weihnachtsferienorten sein würden. Ungeachtet sämtlicher irritierenden Gefühlswallungen war sie wild entschlossen, jede Minute ihres Aufenthalts hier zu genießen. An diesem Morgen, ihrem zweiten Tag auf der Insel, entfloh sie der Einsamkeit ihrer luxuriösen Bleibe an einen ebenso beliebten wie belebten Strand, der etliche Hochglanzprospekte zierte.

Hier tummelten sich neben den unvermeidlichen Liebespaaren auch Familien mit Kindern, Teenager und ein offenkundig entspanntes Großelternpaar, das einem kleinen Mädchen im rosa Rüschenbadeanzug seine volle Aufmerksamkeit schenkte.

Sienna musste ihren Blick von dem Kleinkind förmlich losreißen und versuchte, sich auf ihren Kriminalroman zu konzentrieren. Doch die aufsteigenden Tränen ließen Wörter und Sätze vor ihren Augen verschwimmen. Sie hatte sich schon immer eigene Kinder gewünscht und fälschlicherweise angenommen, ihrem Ex-Mann würde es ebenso gehen. Dass sie sich darin getäuscht hatte, war ein Schmerz, der nicht verging, ebenso wie die bitteren Gedanken und Selbstvorwürfe, weil sie so dumm gewesen war, zehn Jahre lang an dieser bedrückenden Ehe festzuhalten.

Mädchenhaftes Gekicher ließ sie von ihrem Buch aufschauen.

Das Gelächter kam von zwei Teenagern auf Surfbrettern, die nah am Ufer vorbeiflogen. Sienna seufzte unwillkürlich und hörte selbst, wie sehnsüchtig und eine Spur neidisch das klang. Die beiden wirkten so glücklich und unbeschwert. Wie lange war es her, dass sie selbst so eine überschäumende Freude verspürt hatte?

Sie konnte sich nicht erinnern.

So leicht wie ein Vogel über die Wellen zu schweben, musste ungeheuer befreiend sein, zumindest in ihrer Fantasie. Vielleicht sollte sie sich zumindest den Versuch gönnen, etwas Ähnliches zu erleben, solange sie in diesem Inselparadies war. Sich selbst herauszufordern, gehörte schließlich auch zu dem mit ihren Schwestern geschlossenen Weihnachtspakt.

Zu den Teenagern gehörte offenbar ein Mann in den Dreißigern, wahrscheinlich ihr Surflehrer. Auch er lachte frei heraus, rief den beiden immer wieder ermutigende Kommentare auf Französisch zu und brachte sein Board nah genug an sie heran, um im Bedarfsfall eingreifen und helfen zu können.

Als der Mann näher in Siennas Sichtfeld geriet, stockte ihr der Atem, dafür spürte sie ihr Herz unerwartet ganz oben im Hals schlagen. Er war … heiß. Richtig heiß! Sie konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Groß, stark, mit Muskeln ausgestattet, die durch den kurzärmeligen schwarzen Neoprenanzug perfekt in Szene gesetzt waren. Dazu dichtes dunkles Haar, ein bronzefarbener Teint und ein breites Lächeln, das perfekte weiße Zähne präsentierte und sie dazu brachte, zurückzulächeln, obwohl er überhaupt nicht in ihre Richtung schaute.

Sienna schluckte und setzte ihre dunkle Sonnenbrille auf, um ihn unauffällig beobachten zu können. Und natürlich auch seine Schülerinnen, die ebenso attraktiv waren wie ihr aufregender Lehrer. Alle drei steuerten ihre Bretter nun geschickt in Richtung Strand, sprangen elegant ab und zogen die Boards auf den Sand, worauf das ältere Paar sich von seinem Platz erhob und mit dem kleinen Mädchen an der Hand auf die kleine Gruppe zusteuerte.

Im nächsten Moment beobachtete Sienna mit klopfendem Herzen, wie der dunkle Adonis das Kind auf den Arm nahm und es zärtlich auf die Wangen küsste, während die Kleine vor Freude quiekte. Das Bild ging Sienna zu Herzen. Offensichtlich standen sich die beiden sehr nah. Ob er ihr Vater war?

Sie schluckte heftig. Das Schlimmste, was Callum ihr neben einer Unzahl anderer Grausamkeiten angetan hatte, war, ihr nach der Heirat zu sagen, dass er keine Kinder wollte. Sollte sie auf Nachwuchs versessen sein, müsste sie sich halt einen anderen Ehemann suchen.

Und das war wirklich das Letzte, was sie ihrem verletzten Herzen zumuten wollte.

Als Sienna sah, wie sich das ältere Paar mit der Kleinen zurückzog, nachdem sich alle noch einmal umarmt hatten, hielt sie den Atem an. Jeden Moment konnte auch der attraktive Surflehrer aus ihrem Blickfeld verschwinden, wenn sie nicht …

Ein schneller Blick ließ sie weder auf den Boards noch auf dem Drachensegel ein Logo erkennen. Wenn sie ihrem verrückten Impuls also nachgeben wollte, ihn zu fragen, ob er auch ihr das Kitesurfen beibringen könnte, musste sie wohl oder übel direkt auf ihn zugehen – und zwar sofort.

Na, dann tu es doch einfach!

War es nicht genau das, worum es bei diesem Urlaub auf Bora Bora ging? Neue Wege zu beschreiten, Risiken einzugehen und Dinge auszuprobieren, die ihr normalerweise nie in den Kopf gekommen wären? Kitesurfen könnte eines dieser Experimente sein. Sie musste nur den Mut aufbringen, diesen muskulösen Adonis anzusprechen und … ihr Ansinnen vorzutragen.

Je näher sie ihm kam, desto attraktiver und aufregender erschien er ihr. Der schwarze Neoprenanzug saß wie eine zweite Haut und die kurzen Ärmel verdeckten nur teilweise interessant aussehende Tahiti-Tattoos.

Kurz vor ihrem Ziel stockte ihr Fuß. Da er sie nicht zu bemerken schien, räusperte Sienna sich und versuchte ein möglichst selbstbewusstes Lächeln, als er von dem bunten Segel aufschaute, das er gerade zusammenfaltete.

„Ähm … ich frage mich gerade, ob ich eine Übungsstunde bei Ihnen buchen könnte“, brachte sie unbeholfen heraus. „Kitesurfen sieht so … so lustig aus, und ich würde es wirklich gern mal ausprobieren.“

Adonis richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und Siennas Herzschlag verdoppelte sich nahezu. Sie war hochgewachsen, aber er überragte sie fast um Haupteslänge. Nie in ihrem Leben hatte sie einen attraktiveren Mann gesehen.

Bitte, lass ihn Ja sagen!

Kai Hunter war von dem Ansinnen der attraktiven Brünetten im bronzefarbenen Bikini so verblüfft, dass er einen Moment brauchte, um seine Gedanken zu ordnen. Hielt sie ihn ernsthaft für einen Kite-Surflehrer, während ihn jeder hier als den Kopf, oder besser gesagt, als das Gesicht seiner Firma Wave Hunters kannte: der führenden Marke in Sachen Wassersport?

Und selbst wenn nicht, würde man ihn unter Garantie angesichts seiner Profiausrüstung als den internationalen Surf-Champion identifizieren, der Tahiti in jüngeren Jahren bei Surfwettbewerben rund um den Globus repräsentiert hatte. Oder als Spross seiner Familie, die nicht nur immens wohlhabend, sondern auch international gut vernetzt war … und in der er Le mouton noir, das schwarze Schaf war.

Aber ganz offenkundig war sie eine Touristin, ihrem Akzent nach zu urteilen Engländerin. Woher sollte sie wissen, wer ihr hier gegenüberstand? Ihr Ansinnen war also keine versteckte Anmache, sondern ein verzeihlicher Fehler, und am besten verwies er sie einfach an die hervorragenden Lehrer der Kite-Surfschule auf der Insel.

Doch bevor er den Mund aufmachen konnte …

„Ihre beiden Schülerinnen sahen so glücklich aus“, sagte die schöne Fremde mit einem Hauch von Wehmut. „Und sie schienen sich von Minute zu Minute sicherer zu fühlen und versierter zu werden.“

„Sie sind beide sehr gut“, bestätigte er trocken. Was daran lag, dass seine Nichten von klein auf diesem Wassersport frönten und ihm daher heute geholfen hatten, den neuen Gurttyp zu testen, den er für die Kitesurf-Sparte von Wave Hunters entwickelt hatte.

„Offensichtlich sind Sie ein guter Lehrer.“

Kai zuckte nur mit den Schultern.

„Ist Kitesurfen sehr schwierig?“, ließ Sienna nicht locker.

„Nicht so, wie es vielleicht aussieht“, gab er knapp zurück.

„Das klingt beruhigend.“

„Sie haben es noch nie probiert?“, fragte er spontan und ärgerte sich über sich selbst. Er wollte diesen Small Talk nicht, war aber wider Willen fasziniert. Diese Engländerin war so … so elegant und stilvoll, wie man es in einem Bikini nur sein konnte. Ihr schulterlanges Haar war perfekt geschnitten und mit goldenen Strähnchen versehen. Um den Hals trug sie eine massive Goldkette, an den Füßen stylische Ledersandalen.

Rein optisch ganz die Sorte Touristin, die gemeinhin nichts Aufregenderes unternahm, als dekorativ am Strand in der Sonne zu liegen und sich ab und zu im Wasser abzukühlen. Kitesurfen erforderte Energie, Kraft und Engagement.

„Nein, noch nie“, beantwortete sie seine Frage.

„Und Surfen?“ Himmel! Er verhielt sich tatsächlich wie der Wassersportlehrer, für den sie ihn irrtümlich hielt. Dabei …

„Nein, obwohl ich auch das gern mal versuchen würde“, bekannte sie lächelnd.

Aber nicht hier auf Bora Bora! Nur die erfahrensten Wassersportler surften am Teavanui Pass, wo die Wellen sich an tückischen Korallenriffen brachen. Es war definitiv nichts für Anfänger. Doch ihr das zu sagen, dazu kam er nicht.

„Ich bin aber ganz gut im Snowboarden. Und während ich Sie und die beiden Mädchen beobachtet habe, dachte ich mir, dass es vielleicht nützlich sein könnte.“

„Ja, aber …“

„Freut mich, dass Sie es genauso sehen“, strahlte Sienna ihn an, ehe ihr Gegenüber sie darüber aufklären konnte, dass er gar kein Surflehrer war. „Denn ich will es wirklich lernen und … und ich wäre Ihnen so dankbar, wenn Sie mir dabei helfen könnten.“

Jetzt nahm sie die dunkle Sonnenbrille ab und schaute zu ihm auf, aus gletschergrünen Augen, die ihn wider Willen gefangen nahmen.

„Bevor Sie fragen, ich bin eine erfahrene Schwimmerin, was sicher ein wichtiges Kriterium ist, da ich davon ausgehe, mehr als nur einmal ins Wasser zu fallen“, versuchte sie es angesichts seiner zurückhaltenden Miene mit einem Scherz. „Und ich bin stärker, als ich vielleicht wirke.“ Sie beugte ihren rechten Arm. „Sehen Sie? Alles trainierte Muskeln. Ich habe viel Zeit im Fitnessstudio in London verbracht.“

Offenbar spürte sie seine Zurückhaltung als Lehrer und wollte sich auf diese Weise als geeignete Schülerin verkaufen. Falls das ihr Ansinnen war … hatte es funktioniert. Was würde es ihn schon groß kosten, ihr eine kleine Einweisung in den Kitesurf-Sport zu gewähren?

Normalerweise war seine freie Zeit mehr als knapp, da ihn sein Job rund um die ganze Welt führte. Letzte Woche war er in Sydney gewesen, in der Woche davor in San Francisco und auf Hawaii. Zukünftige Trips nach Sri Lanka und Vietnam waren lange geplant, doch zu Weihnachten kam er immer nach Hause und für den Rest des heutigen Tages war nichts geplant.

„Nach dem Lunch hätte ich Zeit für eine Unterrichtsstunde“, hörte er sich sagen.

„Perfekt!“ Ihr breites Lächeln rührte ihn auf eine seltsame Weise an.

„Sagen wir vierzehn Uhr. Hier.“

„Was muss ich zum Unterricht mitbringen?“

„Nur Sie … nur dich selbst. Hier pflegen wir einen legeren Umgangston.“

„Einverstanden!“, entschied Sienna strahlend.

Ihr Lehrer nickte und tastete aus schmalen Augen ihre Figur ab, um die Größe des Neoprenanzugs einschätzen zu können, den er ihr mitbringen wollte. Sie war hochgewachsen und schlank. Ob er vielleicht deshalb eine Spur zu lange ihre wohlgeformten Brüste und sanft geschwungenen Hüften begutachtete?

Ihre Blicke begegneten sich, und ihrer verriet ihm, dass seine neue Schülerin sich seiner animierten Einschätzung ihres Körpers durchaus bewusst war. Es zu leugnen wäre zwecklos. Ihre ausdrucksstarken Augen leuchteten, ihr Lächeln signalisierte Amüsement, Wärme und Zustimmung.

Nicht zu registrieren, dass ihre Einschätzung seiner Erscheinung ebenso positiv ausfiel, war kaum möglich. „Dann treffen wir uns also um zwei wieder hier.“

Siennas Lächeln wurde, wenn überhaupt möglich, noch breiter. „Danke, ich freue mich darauf!“, versicherte sie enthusiastisch.

In einem Schreckmoment befürchtete Kai, sie würde ihm vor lauter Euphorie um den Hals fallen. Und im nächsten, sehr beunruhigenden Moment, wünschte er es sich sogar.

War es der Jetlag, der sie so zappelig machte und ihre Gedanken fliegen ließ? Es wäre kein Wunder nach dem langen Flug von London aus nach Papeete, inklusive eines Fliegerwechsels in Los Angeles. Danach war es in einem Miniflieger weiter auf die Insel Motu Mute gegangen, gefolgt von einem Bootstransfer zu ihrem Resort auf Bora Bora. 

Unwillkürlich schüttelte Sienna den Kopf und entschied: Kein Jetlag.

Also musste es an der Aussicht auf ihre erste Kite-Surfstunde liegen. Möglicherweise aber auch an ihrem unfassbar attraktiven Kite-Surflehrer!

Wie auch immer … auf jeden Fall hatte die Aussicht, ihn in Kürze wiederzusehen, sie dazu getrieben, sich, kaum zurück in ihrer Suite, einem komprimierten Schönheitsprogramm zu widmen. Sienna begutachtete sich kritisch im Hotelspiegel, um zu überprüfen, wie sie in ihrem stylischen schwarzen Lieblingsbadeanzug aussah, den ihre Schwestern zum Glück für sie eingepackt hatten. Auf jeden Fall war er besser fürs Kitesurfen geeignet als der Bikini, den sie heute Morgen am Strand getragen hatte.

Er war ein Überraschungsgeschenk, das ganz obenauf in ihrem Koffer gelegen hatte und mit einer Nachricht beschriftet gewesen war: Sofort öffnen! Nicht bis Weihnachten warten! Liebe Grüße von Thea

Der Bikini war mit einem exklusiven italienischen Label ausgezeichnet und musste Thea ein kleines Vermögen gekostet haben. Sienna war gerührt und liebte ihr Weihnachtsgeschenk. Nicht nur, weil es ein Designerstück war, sondern hauptsächlich wegen des Gedankens, der dahintersteckte. Thea wusste, wie Callum ihr Selbstvertrauen als Frau untergraben hatte. Stand nur zu hoffen, dass Thea die Thermosocken, die Eliza und sie in Theas Überraschungskoffer gepackt hatten, genauso zu schätzen wissen würde!

Auf dem Weg zu ihrer ersten Übungsstunde realisierte Sienna, dass sie nicht einmal den Namen ihres Lehrers kannte. Sie war so begeistert gewesen, dass er zugestimmt hatte, sie zu unterrichten, dass sie völlig vergessen hatte, ihn danach zu fragen. Sie hatte auch keinen Schimmer, zu welcher Surfschule er gehörte! Was, wenn er gar nicht auftauchte? Ein überraschend heftiges Gefühl von Enttäuschung schnürte ihr den Hals zu.

„Mach dich nicht lächerlich!“, rügte sie sich selbst. „Du weißt nichts über diesen Kerl … außer, dass er einen aufregenden Körper und ein umwerfendes Lächeln hat.“ Und der Vater eines kleinen Mädchens sein könnte, was bedeutete, dass er möglicherweise – oder sogar sehr wahrscheinlich – mit der Mutter der Kleinen verheiratet war.

Aber warum sollte das für sie wichtig oder auch nur relevant sein? Immerhin war sie nicht auf der Suche nach einem Date, sondern wollte spontan die Chance nutzen, eine neue Sportart auszuprobieren. Und damit möglicherweise einen weiteren Schritt weg von einem Leben zu machen, das hauptsächlich von den Bedürfnissen und Wünschen ihres Ex-Manns geprägt gewesen war.

Wenn ihr Lehrer zufällig ein Adonis war, umso besser! Außerdem glaubte Sienna gespürt zu haben, dass auch er sie attraktiv fand, was ihr ein gutes Gefühl vermittelte. Danke, bronzefarbener Bikini!

Unter Garantie war er ein Flirt-Typ, wie die meisten Snowboard- und Skilehrer, die sie im Lauf der Jahre auf den von Callum organisierten Urlauben kennengelernt hatte. Schon allein deshalb würde sie nicht Gefahr laufen, die eventuellen Avancen ihres Surflehrers ernst zu nehmen – was ja nicht hieß, dass sie sie nicht genießen durfte.

Ihre Befürchtungen, er könnte vielleicht gar nicht auftauchen, erwiesen sich als unbegründet. Sie selbst war fünf Minuten zu früh dran – zehn Minuten hätten übereifrig gewirkt und pünktlich zu sein, barg stets das Risiko in sich, eventuell aufgrund unvorhersehbarer Verzögerungen zu spät zu kommen.

Aber da war er! Etwas weiter unten am Strand im Schatten einer Palmengruppe und ganz allein. Wie viele Schüler sie wohl insgesamt waren? Sie hatte ganz vergessen, ihn danach zu fragen. Egal! Da er ihr den Rücken zuwandte, konnte sie ungestört den Anblick genießen, den er ihr bot: breite Schultern, straffer Hintern, lange, muskulöse Beine, noch betont durch den hautengen schwarzen Neoprenanzug. Solche Männer hatte London nicht zu bieten!

Sienna musste sich räuspern, um überhaupt einen Ton herausbringen zu können. Doch bevor sie dazu kam, wandte er sich um. Ihr stockte der Atem. Er war noch viel heißer, als sie ihn in Erinnerung hatte, mit dem schwarzen Haar, das inzwischen trocken war und ihm verwegen bis fast auf die Schultern reichte. Sein Gesichtsausdruck wirkte ruhig und konzentriert, als hätte sie ihn mitten in einem wichtigen Gedanken gestört.

Ihre Blicke trafen sich, und einen langen atemlosen Moment war sie sich seiner Stärke und Dominanz auf eine ebenso verblüffende wie beunruhigende Weise bewusst. Er wirkte wie ein Teil der aufregenden Kulisse, die sie umgab, mit dem aquamarinblauen Wasser der Lagune, das im Sonnenschein glitzerte, und den Palmen im Hintergrund. Die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren, als würde sie etwas Unsichtbares verbinden.

Siennas Herz klopfte zum Zerspringen.

Zwei fröhlich kreischende kleine Jungen rannten hinter ihm in Richtung Meer, und der magische Moment war vorbei. Dafür kam er mit dem einladenden Lächeln eines Lehrers auf sie zu, der seinen Schüler zur ersten Stunde erwartet. Sienna tat ihr Bestes, um sich von unsinnigen Fantasien zu verabschieden. Es musste am Jetlag liegen! Anders konnte sie sich ihren Zustand nicht erklären.

Ihr Lehrer nickte, sein Lächeln signalisierte Zufriedenheit. „Pünktlich, das ist gut.“

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