Weihnachtszauber in deinen Armen

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Ist die romantische Atmosphäre auf dem Weihnachtsmarkt schuld daran, der Duft von Glühwein und Zimtsternen, das Glitzern der Schneeflocken? Dann könnte Dr. Max Curtis seine Gefühle für seine bezaubernde Kollegin Lucy Harris ignorieren. Aber so leicht ist das nicht. Ausgerechnet er, der sich geschworen hat, nie wieder eine dauerhafte Beziehung einzugehen, will Lucy lieben, für immer und ewig! Aber das darf er nicht. Denn er weiß, was sie sich am meisten wünscht. Und diesen Wunsch kann er ihr niemals erfüllen. Weder zum Fest der Liebe noch später …


  • Erscheinungstag 19.10.2021
  • Bandnummer 212021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507066
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Und hier zu guter Letzt: Max Curtis, unser stellvertretender Oberarzt. Max, darf ich vorstellen? Lucy Harris, die neue Hebamme, die heute ihren Dienst antritt.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Lucy.“

„Ich freue mich ebenfalls, Dr. …“ Lucy wurde rot, als ihr klar wurde, dass sie seinen Nachnamen nicht mitbekommen hatte. Es war nicht leicht, ihre Verlegenheit zu übertünchen, als der dunkelhaarige Mann am Schreibtisch lachte.

„Curtis, aber die meisten hier nennen mich Max.“ Er lächelte zu ihr auf. „Ich bin da nicht pingelig. Mit einem ‚Hey‘ haben Sie meine Aufmerksamkeit ziemlich rasch.“

„Gut zu wissen.“ Erleichtert, weil er ihren Patzer so locker nahm, erwiderte Lucy sein Lächeln. Im Gegensatz zu so manchen Ärzten, mit denen sie gearbeitet hatte, war Max Curtis offenbar nicht der Typ, der sich selbst allzu wichtig nahm. „Aber ich verspreche, Ihren Namen von jetzt an nicht mehr zu vergessen. Ich würde es nicht wagen!“

Er lachte leise, und in den Winkeln seiner dunkelbraunen Augen zeigten sich kleine Fältchen. „Keine Sorge. Der erste Arbeitstag ist immer ein Albtraum. So viel Neues stürmt auf einen ein, dass man oft nicht weiß, wo oben und wo unten ist.“

„Stimmt“, pflichtete Lucy ihm bei. „Ich kann nur hoffen, dass alle anderen genauso verständnisvoll sind wie Sie, wenn ich ihre Namen durcheinanderbringe.“

„Das sind sie“, versicherte er. Als das Telefon klingelte, griff er nach dem Hörer. „Max Curtis, Entbindungsstation.“

Mit einem Seufzer wandte Lucy sich ab und hoffte, dass die Einführungstour nun ein Ende hatte. Sie glaubte wirklich nicht, dass sie es schaffen würde, sich sämtliche Namen zu merken. Joanna, die junge Hebammenschülerin, die sie herumgeführt hatte, grinste.

„Das war’s. Jetzt kennen Sie alle bis auf die von der Nachtschicht und Anna Kearny, unsere Oberärztin. Sie ist zurzeit im Mutterschutzurlaub.“

„Immerhin ein Name weniger, den ich vergessen könnte.“ Lucy verdrehte die Augen.

„Wie Max schon sagte, daran stört sich niemand“, versicherte Joanna. Sie ging über den Flur voran und blieb vor der Tür zu einem der Entbindungsräume stehen. Davon gab es insgesamt vier, und Lucy wusste, dass momentan alle belegt waren. Die Entbindungsstation des Dalverston General war zwar kleiner als die ihrer früheren Arbeitsstelle in Manchester, doch sie hatte das Gefühl, dass es deswegen nicht weniger hektisch zuging.

„Margaret hat jetzt bald Dienstschluss, und Amanda will, dass Sie übernehmen“, gab Joanna die Anweisungen der leitenden Hebamme weiter. „Ich bin jetzt für den Frühstücksdienst eingeteilt und muss Sie sich selbst überlassen. Ist das okay?“

„Klar“, beteuerte Lucy. Joanna eilte davon. Lucy strich ihr brandneues Dienst-Top glatt, bevor sie an die Tür klopfte, ins Zimmer trat und die Frau mittleren Alters anlächelte, die neben dem Bett stand. „Ich glaube, ich soll Sie ablösen.“

„Richtig.“ Margaret erwiderte ihr Lächeln. „Wir hatten gehofft, dass Sophies Baby noch während meiner Schicht zur Welt kommt, doch der Kleine scheint das Licht der Welt ein bisschen zögerlich erblicken zu wollen.“

„Offenbar ein resoluter kleiner Kerl, der weiß, was er will“, sagte Lucy leichthin. Sie trat ans Bett und stellte sich der jungen werdenden Mutter vor. „Hallo, Sophie, ich bin Lucy Harris und arbeite seit heute hier. Ich kümmere mich um Sie, wenn Margaret nach Hause geht.“

„Aber Sie sind doch eine ausgebildete Hebamme?“, fragte Sophie beklommen. „Keine Schülerin?“

„Nein, keine Schülerin. Ich bin seit vier Jahren Hebamme und habe schon zahlreiche Babys auf die Welt geholt“, erklärte Lucy. Es war nicht optimal, eine Patientin während der Geburt in andere Hände zu geben, und Lucy lag daran, der jungen Frau die Angst zu nehmen. „Vorher habe ich in einem Krankenhaus in Manchester gearbeitet.“

„Ah, verstehe. Na, dann ist ja wohl alles in Ordnung.“

Sophie hatte anscheinend immer noch leise Zweifel, doch das verstand Lucy. Die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer Hebamme war sensibel und musste auf Vertrauen basieren, um erfolgreich zu sein. Sie tätschelte Sophies Hand. „Alles wird gut, glauben Sie mir, Sophie. Wenn es Ihnen recht ist, informiert Margaret mich jetzt, wie weit die Geburt fortgeschritten ist.“

Sophie schloss die Augen, als Lucy sich von ihrem Bett entfernte. Sie wirkte erschöpft und zugleich extrem ängstlich, als sie sich in die Kissen sinken ließ. Besorgt musterte Lucy das angespannte Gesicht der jungen Frau.

„Wie geht es dem Kind?“, wollte Lucy wissen.

„Gut. Das Herz schlägt kräftig, es gibt keine Hinweise auf Störungen. Wie es aussieht, steht uns eben ein stockender Geburtsverlauf bevor, das ist schade. Ich hatte gehofft, wir könnten es schnellstmöglich hinter uns bringen.“ Margaret hatte wohl Lucys fragenden Blick aufgefangen. Sie senkte die Stimme. „Sehen Sie, Lucy, sie ist allein. Soviel ich weiß, hat der Vater sich vor ein paar Monaten aus dem Staub gemacht. Seitdem hat sie ihn nicht mehr gesehen.“

„Was ist mit Familie und Freunden?“, fragte Lucy voller Mitgefühl.

„Ihre Familie hat sie nie erwähnt. Ich habe keine Ahnung, wie es damit steht. Und was Freunde betrifft, tja, sie lebt noch nicht lange in Dalverston. Der Vater ihres Kindes hatte offenbar einen Job im Gewerbegebiet bekommen, deswegen sind sie hierhergezogen.“ Margaret seufzte. „Sie tut mir leid, denn sie ist ziemlich allein, seit er von der Bühne verschwunden ist.“

„Es ist ein Jammer.“

Es tat Lucy leid um die junge Frau, auch wenn sie unwillkürlich dachte, dass es Sophie womöglich auch nicht geholfen hätte, wenn Freunde und Familie sie unterstützen würden. Wie sie aus eigener Erfahrung wusste, bereiteten einem oft die Menschen, die einem am nächsten standen, die größten Enttäuschungen.

Der Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, aber sie wehrte ihn ab. Sie wollte nicht über die Vergangenheit grübeln, war sie doch nach Dalverston umgezogen, um ihr zu entkommen. Sie überflog Margarets Aufzeichnungen, dann prüfte sie Sophies Puls und Blutdruck, den Herzschlag des Babys und führte all die routinemäßigen Untersuchungen durch, die letztendlich so ausschlaggebend für das Resultat waren. Gerade, als sie fertig war, öffnete sich die Tür, und Max Curtis erschien.

„Hi! Ich wollte mal sehen, welche Fortschritte wir machen“, sagte er und trat ans Bett.

Lucy machte ihm Platz. Mit einiger Überraschung registrierte sie, wie groß er war. Bei der Vorstellungsrunde hatte er gesessen, und sie hatte nicht geahnt, dass er mindestens eins achtzig groß war und sich ein schlanker, muskulöser Körperbau unter der gut geschnittenen dunkelgrauen Hose und dem hellgrauen Hemd verbarg. Plötzlich war sie sich ihrer kleinen Statur sehr deutlich bewusst. Sie war knapp eins sechzig groß und konnte als zierlich bezeichnet werden, doch schöne feminine Rundungen machten die geringe Körpergröße wett.

„Offenbar ist alles ins Stocken geraten, Dr. Curtis“, meinte Sophie verzweifelt. „Ich verstehe nicht, was passiert ist.“

„Das ist manchmal so, Sophie“, beruhigte er sie. „Zunächst ist alles in Ordnung, und dann geht es plötzlich nicht mehr weiter. Haben Sie noch Wehen?“

„Nein. Seit einer Ewigkeit nicht mehr.“

„Lassen Sie mich mal schauen, dann überlegen wir, wie es weitergeht.“

Er untersuchte sie behutsam und erklärte ihr sein Vorgehen. Lucy war froh, dass er nichts überstürzte. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, und Lucy wusste, dass es beruhigend auf Sophie wirken würde. Sehr erfreut sah sie, dass die junge Frau nicht mehr so verängstigt wirkte, nachdem Max seine Untersuchung beendet hatte und erklärte, dass er ihr ein Wehenmittel verabreichen würde. Als er hörte, dass Margarets Schicht beendet war, gab er Lucy die entsprechenden Anweisungen.

„Damit kommt die Sache hoffentlich wieder in Gang“, schloss er. „Wir helfen der Natur ein bisschen nach und lassen sie dann das Ihrige tun.“

„Das ist immer die beste Lösung“, pflichtete Lucy ihm bei. Sie war nie eine Befürworterin unnötiger Eingriffe gewesen, und es war schön zu wissen, dass sie und Max in diesem Punkt einer Meinung waren.

Max winkte ihr zu und ging mit langen Schritten den Flur hinunter. Lucy blickte ihm kurz nach, dann schloss sie die Tür und richtete den Tropf. Merkwürdigerweise hatte ihr Max’ Anwesenheit gutgetan. Max Curtis hatte eine entspannte, freundliche Art, die ihr die Befangenheit nahm und sie die Veränderungen, die sie kürzlich in ihrem Leben hatte vornehmen müssen, in einem positiveren Licht sehen ließ. Es ließ sie hoffen, dass der Umzug nach Dalverston die richtige Entscheidung gewesen war.

Sie seufzte, als sich plötzlich wieder Zweifel einstellten. Es war ihr schwergefallen, ihre vorherige Stelle aufzugeben, in der sie so glücklich gewesen war. Noch härter traf es sie, alle Freunde und Verwandten zurücklassen zu müssen, doch sie hatte keine Wahl. Zwar hatten ihre Eltern versucht, sie zum Bleiben zu überreden, doch Lucy wusste, wie schwierig es für sie gewesen wäre. Und schließlich war es nicht die Schuld ihrer Eltern, dass ihre Cousine und ihr Ex-Verlobter eine Affäre hatten.

Lucy holte tief Luft und bezwang ihre Panik. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, und auch, wenn es sich nicht so gut entwickeln sollte, wie sie es erhoffte, bekam sie doch immerhin eine Atempause, Zeit, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Sie durfte einfach nicht vergessen, wie viel schlimmer alles gewesen wäre, wenn sie erst nach der Hochzeit von Richards und Amys Affäre erfahren hätte.

Max suchte den Aufenthaltsraum auf, nur um festzustellen, dass er nicht einmal mehr die Energie aufbrachte, sich einen Kaffee zu brühen. An der Tür machte er kehrt und ging in Richtung Aufzug. Die Cafeteria würde bald öffnen, und der Gedanke an einen doppelten Espresso war überaus verlockend.

Als er ankam, wurde gerade geöffnet. Max gab seine Bestellung auf, setzte sich und spürte, wie ihn eine Woge der Erschöpfung überrollte. Die lange Nacht verlangte ihren Tribut, zumal es die zweite Nacht in Folge war, in der er gerufen wurde. Seit Anna im Mutterschutz war, hatte er unverhältnismäßig viele Überstunden angehäuft. Das war beileibe nichts Neues. In medizinischen Berufen war es nicht anders zu erwarten. Zu einer bestimmten Zeit war er außerdem froh gewesen, jederzeit, wenn er gebraucht wurde, arbeiten zu können. Der Umgang mit den Problemen seiner Patienten war nicht annähernd so stressig wie das, was in seiner Ehe geschah.

Max furchte die Stirn. Er dachte nur selten an die Vergangenheit, und dass er es jetzt tat, überraschte ihn. Er war seit drei Jahren geschieden, hatte mit diesem Kapitel in seinem Leben abgeschlossen. Seitdem mied er feste Beziehungen, doch seiner Meinung nach war das nur logisch. Gebranntes Kind scheut das Feuer, das war in seinen Augen ein vernünftiges Motto, und er wollte sich solchem Schmerz nie wieder aussetzen.

Seine Gedanken wanderten von dem unschönen Thema seiner gescheiterten Ehe zu dem bedeutend interessanteren der neuen Hebamme. Lucy Harris wirkte höchst kompetent und tüchtig, und er war froh darüber, dass sie ähnliche Ansichten hatten. Einige von den älteren Hebammen waren ein bisschen eingefahren in ihren Gewohnheiten; da wäre es gut, eine Seelenverwandte auf der Station zu haben.

Dass sie zudem ausgesprochen hübsch war mit diesen riesigen blauen Augen und den glänzenden rotblonden Locken, war ebenfalls ein Punkt zu ihren Gunsten. Auch wenn Max vor Beziehungen zurückschreckte, zeigte er doch ein normales Interesse am anderen Geschlecht, und Lucy Harris war eine sehr attraktive Vertreterin desselben. Urplötzlich verflog seine Müdigkeit, und er grinste. Die Zusammenarbeit mit der hübschen Lucy könnte sich als äußerst belebend erweisen.

2. KAPITEL

Sophie Jones’ Baby erblickte schließlich am Nachmittag das Licht der Welt. Amanda, Lucys Chefin, half bei der Entbindung. Lucy vermutete, dass Amanda sie auf Herz und Nieren prüfen wollte, ließ sich dadurch aber nicht beirren.

Am Ende ihrer Schicht holte Lucy ihren Mantel und ging. Gegen Mittag hatte es zu regnen begonnen, und auf ihrem Weg zur Bushaltestelle sprudelte in den Rinnsteinen das Wasser. Als ein Wagen vorbeifuhr und eine Wasserfontäne auf den Gehsteig spritzte, wich Lucy bis an eine Hauswand aus, doch an der Haltestelle angekommen, waren Schuhe und Hose trotzdem durchnässt. Sie stellte sich in der Schlange an in der Hoffnung, nicht zu lange warten zu müssen. Doch eine halbe Stunde später stand sie immer noch da. Ein Wagen fuhr an den Straßenrand, Max Curtis spähte aus dem Seitenfenster.

„Darf ich Sie mitnehmen?“ Er warf einen Blick auf ihre nassen Hosenbeine und verzog das Gesicht. „Sie holen sich den Tod, wenn Sie noch länger hier herumstehen. Steigen Sie ein.“

Lucy zögerte, wusste nicht, ob sie sein Angebot annehmen sollte. Es erschien ihr nicht fair, sich nach seinem langen Arbeitstag von ihm nach Hause fahren zu lassen. Aber es war zu verlockend, dem Regen entkommen zu können. Sie schlüpfte auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu.

„Danke, das ist wirklich nett von Ihnen“, sagte sie. „Ich weiß nicht, wieso der Bus nicht kam. Ich habe schon eine halbe Ewigkeit gewartet.“

„Dann kommen gleich wahrscheinlich zwei auf einmal“, sagte Max leichthin und fuhr an. „Wie war Ihr erster Tag? Hoffentlich nicht allzu schaurig?“

„Nein, alles war gut“, beteuerte Lucy. „Alle waren sehr hilfsbereit, was viel ausmacht, wenn man eine neue Stelle antritt.“

„Es ist ein gutes Team“, versicherte Max. Er bremste vor einer roten Ampel. „Die meisten arbeiten schon lange auf der Station, das spricht für sich.“

„Bestimmt“, pflichtete Lucy ihm bei. Max war zwar nicht schön im klassischen Sinne, aber eindeutig attraktiv. Seine männlichen Züge – kräftiges Kinn, gerade Nase und perfekt geschnittene Lippen – waren sehr ansprechend. Zerzaustes dunkelbraunes Haar, das ihm in die Stirn fiel, verlieh ihm ein leicht verwegenes Aussehen, das sicherlich vielen Frauen gut gefiel. Lucy fand ihn ausgesprochen anziehend, was sie angesichts ihrer jüngsten Erlebnisse verwunderte.

„Ich freue mich darauf, Teil eines eingespielten Teams zu werden“, sagte sie, um ihren Gedanken schnellstens eine andere Richtung zu geben. Für eine neue Beziehung war sie weiß Gott nicht bereit. Der Betrug ihres Ex-Verlobten hatte ihr Vertrauen zu Männern zerstört. Sie hatte immer von Liebe, Ehe und vor allem von einer Familie geträumt, doch das war vorbei. Nie wieder würde sie einem Mann Macht über sich geben. „Die Fluktuation innerhalb der Belegschaft an meinem vorigen Arbeitsplatz war ein Albtraum. Kaum hatte man sich an eine Kollegin gewöhnt, ging sie schon wieder.“

„In der Stadt ist das immer ein Problem. Dort wechselt man öfter den Arbeitsplatz als in ländlichen Gebieten. Sie waren am Royal, oder?“ Er warf einen Blick in ihre Richtung.

„Ja. Fast vier Jahre lang. Es ging oft sehr hektisch zu, aber ich habe dort gern gearbeitet.“

„Was führt Sie dann nach Dalverston?“, fragte er und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, als die Ampel auf Grün umsprang. „Ist Ihre Familie hierher übergesiedelt?“

„Nein, nur ich.“

„Ach ja?“ Er sah sie an, sie erkannte Überraschung in seinem Blick. „Es erfordert Mut, umzuziehen und alles einfach so hinter sich zu lassen.“

„Weiß nicht. Es fühlte sich einfach richtig an“, wich sie aus. Über die Gründe für ihre Entscheidung wollte sie nicht ins Detail gehen. Sie seufzte leise. Vielleicht war es albern, dass es ihr peinlich war, aber die Vorfälle hatten ihr Selbstbewusstsein angekratzt. Sie betrachtete sich plötzlich als Zurückgewiesene, zweite Wahl. Aus unerfindlichen Gründen wollte sie nicht, dass Max sie auch so sah.

„Mir wurde klar, dass ich gewissermaßen in einen Trott verfallen war und einen gründlichen Tapetenwechsel brauchte“, erklärte sie und fragte sich, wieso ihr wichtig war, was Max dachte. Sie kannte ihn kaum, deshalb kam es auf seine Meinung nicht so an. „Als ich dann die Annonce sah, habe ich mich in Dalverston um die Stelle beworben.“

„Und sie bekommen.“ Er lächelte, doch Lucy sah ihm an, dass er mehr hinter ihrer Geschichte vermutete. „Tja, ich kann nur sagen: Pech fürs Royal, Glück für uns.“

Er drang nicht weiter in sie, und sie war froh darüber. Vielleicht würde es ihr mit der Zeit leichter fallen, aber im Moment tat es noch zu weh, über die Geschehnisse zu sprechen. Sie fuhren ins Stadtzentrum, Lucy beschrieb ihm den Weg zu ihrer Wohnung.

Eine passende Wohnung zu finden hatte sich als schwieriger erwiesen als erwartet. Zwar war die Miete in Dalverston nicht so hoch wie in Manchester, sie verschlang dennoch einen großen Teil ihres Monatsgehalts. Sie und Richard hatten den Vertrag für ihre Wohnung gemeinsam unterschrieben, dieser lief erst in sieben Monaten aus. Nach seinem Auszug hatte Richard sich geweigert, seinen Anteil zu zahlen, und um weiteren Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, hatte Lucy nicht versucht, ihn dazu zu zwingen.

Entsprechend musste sie sich jetzt einschränken. Sie hatte sich schließlich für eine Wohnung in einem der alten Reihenhäuser nahe der Hauptstraße entschieden. Es war nicht die beste Wohngegend, reichte ihr aber zunächst. Wenn sie es sich leisten konnte, würde sie sich etwas Besseres suchen.

Max hielt vor dem Haus. „Bitte sehr. Trautes Heim, Glück allein.“ Er schaute an dem Gebäude hinauf und furchte die Stirn. „Es sieht ein bisschen düster aus. Haben Sie nichts Besseres gefunden?“

„Es ist schon in Ordnung.“ Lucy öffnete die Tür, sie wollte nicht erklären, warum ihre Möglichkeiten so begrenzt waren. „Danke fürs Mitnehmen. Hoffentlich habe ich Ihnen keinen allzu großen Umweg zugemutet.“

„Überhaupt nicht. Ich wohne gar nicht weit entfernt von hier, kannte allerdings den Straßennamen nicht. Ich glaube nicht, dass ich schon mal hier war.“

„Da haben Sie nicht viel versäumt“, versicherte Lucy spöttisch und stieg aus. „Wir sehen uns vermutlich morgen.“

„Richtig.“

Max wartete, bis sie die Haustür aufgeschlossen hatte, dann fuhr er weiter. Lucy zögerte einen Moment, bevor sie ins Haus trat. Als sie die Schlusslichter des Wagens hinter einer Kurve verschwinden sah, überkam Lucy ein Gefühl der Einsamkeit. Plötzlich dehnte sich der Abend vor ihr aus, so viele leere Stunden. Unwillkürlich dachte sie an ihr früheres Leben, als Richard zu Hause gewesen war, wenn sie von der Arbeit kam.

Sie seufzte, denn sie hatte wirklich geglaubt, sie wären glücklich. Auch als Richard anfing, Ausflüchte zu machen und abends auszugehen, hatte sie keinen Verdacht geschöpft. Erst als Amy, getrieben von Schuldgefühlen, ein Geständnis ablegte, erfuhr Lucy, was los war. Dass sie sich daraufhin unfassbar dumm vorkam, machte alles noch schlimmer.

Sie atmete tief durch und schloss die Tür. Das alles war Vergangenheit, Lucy schaute jetzt nach vorn. Zwar war sie nicht mehr dieselbe, aber sie würde es überwinden und sich ein neues Leben aufbauen. Flüchtig tauchte Max Curtis’ Bild vor ihrem inneren Auge auf, und sie wehrte es ab. Max mochte eine kleine Rolle in ihrem Leben spielen, doch nie wieder würde ein Mann ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken.

Auf der Heimfahrt dachte Max an das, was Lucy ihm erzählt oder vielmehr nicht erzählt hatte. Er hatte die Traurigkeit in ihren Augen gesehen und vermutete mehr hinter ihrer Entscheidung für den Umzug. Hatte sie sich vielleicht von ihrem Partner getrennt? Falls das so war, musste es schmerzhaft gewesen sein, wenn sie deswegen alles hinter sich lassen wollte.

Er seufzte, als er auf den Parkplatz des modernen Apartmenthauses einbog, in dem er wohnte. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn man die Flucht ergreifen wollte. Er hatte es schließlich selbst erlebt. Nach dem Scheitern seiner Ehe hatte er London verlassen und war auf der Suche nach einem Neubeginn in den Norden gezogen. Zwar konnte er nichts daran ändern, dass sein Leben sich nie so gestalten würde, wie er es erwartet hatte, aber es tat gut, neue Leute kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen.

Mittlerweile betrachtete er das Leben viel gelassener. Er konnte also kein Kind zeugen? Und wenn schon. Es war ein Schlag gewesen, ja, aber inzwischen hatte er sich damit abgefunden und die Tatsachen akzeptiert. Zumindest kannte er die Wahrheit und lief nicht Gefahr, noch einmal das Leben einer Frau zu zerstören.

Aus naheliegenden Gründen kam eine Ehe für ihn nicht infrage, und Beziehungen dienten nur dem Vergnügen. Das war vielleicht nicht das Leben, das er sich einmal ausgemalt hatte, doch er konnte sich nicht beklagen. Er hatte einen Beruf, den er liebte, gute Freunde und genug Geld, um sich alle Wünsche erfüllen zu können. Im Grunde verstand er nicht, warum er überhaupt darüber nachdachte. War Lucy Harris der Auslöser? Aber wieso? Was hatte sie an sich, dass plötzlich der Wunsch in ihm wach wurde, etwas ändern zu können?

Er hatte keine Ahnung, durfte eines nicht aus den Augen verlieren: So hübsch Lucy auch war, er hatte nicht die Absicht, sich ein zweites Mal die Finger zu verbrennen.

Am nächsten Morgen war Lucy für die Schwangerschaftssprechstunde eingeteilt. Der Erste, der ihr begegnete, war Max. Er unterhielt sich mit der Rezeptionistin und lachte über etwas, was sie gesagt hatte. So entspannt wirkte er, dass sich Lucys Laune auf der Stelle hob. Die Nacht war lang gewesen, und sie hatte nicht gut geschlafen, aber Max hatte etwas an sich, was ihr ein positives Lebensgefühl vermittelte.

Er sah sich um, als er ihre Schritte hörte, und begrüßte sie mit einem Lächeln. „Aha! Wie ich sehe, haben Sie den Kürzeren gezogen, Lucy. Wir arbeiten heute Morgen zusammen. Ist das okay für Sie?“

„Prima.“ Sie erwiderte sein Lächeln und wunderte sich über die Wirkung, die er auf sie ausübte. Es lag nicht an dem, was er sagte, es war eher eine gewisse Ausstrahlung, die sie als äußerst angenehm empfand. „Damit habe ich kein Problem.“

„Schön.“ Er schenkte ihr ein herzliches Lächeln, ging voran zum Sprechzimmer, setzte sich an den Schreibtisch und rief die Terminliste auf dem Computer auf. „Heute haben wir hier eine bunte Mischung. Gewöhnlich versuchen wir, uns die Liste zu teilen, sodass einer von uns die Mütter betreut, die zum ersten Mal hier sind, und der andere den Rest übernimmt. Leider sind wir heute unterbesetzt, weil Diane krank ist. Das bedeutet, dass Sie nicht so viel Zeit für die neuen Mütter haben, wie es Ihnen lieb wäre.“

„Das kann ich bei einem späteren Termin wettmachen. Die meisten Frauen sind bei ihrem ersten Besuch ein bisschen verunsichert und haben Schwierigkeiten, sich alles zu merken. Meines Erachtens ist es besser, bei ihrem zweiten oder dritten Besuch alles zu besprechen.“

„Großartig. Ich bin froh, dass es Ihnen keine Probleme bereitet.“ Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu und suchte einen bestimmten Namen auf der Liste. „In diesen Fall hier würde ich Sie gern einbinden. Die Mutter heißt Helen Roberts. Sie erwartet ihr erstes Kind und litt schon vor der Schwangerschaft an einem Diabetes mellitus.“

„In der wievielten Woche ist die Frau?“

„In der zweiunddreißigsten“, antwortete Max wie aus der Pistole geschossen und ohne den Bildschirm zu konsultieren.

Es war unschwer zu erkennen, wie sehr ihn der Fall interessierte und dass er mehr als seinen Job darin sah, wofür Lucy ihn bewunderte. Es war ihr schon am Vortag aufgefallen, als er Sophie untersuchte. Seine Geduld und die Tatsache, dass er sich so viel Zeit nahm, bewiesen seine ehrliche Anteilnahme für seine Patientinnen. Lucy hatte bereits mit mehreren Ärzten zusammengearbeitet. Einige gingen leider reichlich gleichgültig mit den werdenden Müttern um. Es war gut zu wissen, dass Max nicht zu dieser Sorte gehörte.

Max schenkte ihr ein rasches Lächeln, und es durchrieselte sie warm, als sie die Anerkennung darin sah. Erneut hellte sich ihre Stimmung auf. Das war ein merkwürdiges Gefühl, nachdem sie in der letzten Zeit so niedergeschlagen war. Sie wusste nicht, wieso Max so auf sie wirkte, und ihr blieb auch keine Zeit, darüber nachzudenken, denn schon fuhr er fort:

„Gut. Fangen wir besser an, sonst sind wir um Mitternacht noch hier.“

Lucy ging zur Tür und rief die erste Patientin auf. Es machte ihr Freude, die Mütter kennenzulernen und an ihrer Betreuung mitwirken zu können, und an diesem Tag freute sie sich mehr denn je darauf. Das Wissen, dass sie Teil eines Teams war, dem diese Frauen mit ihren Babys wirklich am Herzen lagen, war sehr erfüllend.

Urplötzlich war sie froh darüber, dass sie nach Dalverston gezogen war, und zwar nicht nur, weil sie einer schwierigen Situation entkommen war. Durch die Arbeit hier würde sie eine Menge lernen, auch durch die Arbeit mit Max. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie etwas, worauf sie sich freuen konnte.

3. KAPITEL

„Bei Ihrem nächsten Besuch will Lucy mit Ihnen sprechen, Rachel. Dann können Sie überlegen, was zu tun ist. Richtig, Lucy?“

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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