Weil es nur eine große Liebe gibt

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Donovan ist zurück! Als Ravens große Liebe nach zehn Jahren plötzlich wieder auftaucht, steht ihre Welt Kopf. Trotz ihrer Wut, dass er einst spurlos verschwand, fühlt sie sich insgeheim sofort zu ihm hingezogen. Doch gerade erst hat sie den Heiratsantrag eines anderen angenommen …


  • Erscheinungstag 23.01.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536295
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Alles sieht tatsächlich aus wie früher.

Nach zehn Jahren in der Fremde, in denen er sich gefragt hatte, ob er die Ranch, auf der er geboren und aufgewachsen war – die Cordero-Ranch –, jemals wiedersehen würde, kehrte Donovan Cordero nach Hause zurück.

Es überraschte ihn schon, dass sich nichts verändert zu haben schien. Das große Haus war noch immer im Weißton gestrichen, den seine Mutter so schätzte. Die Fensterläden waren noch immer schwarz. Beides zusammen bildete den perfekten Hintergrund für den prächtigen Blumengarten, in dem seine Mutter jeden Tag mehrere Stunden verbracht hatte. Zu seinen ersten Erinnerungen gehörte es, mit ihr zusammen Unkraut in den Blumenbeeten zu jäten und alles über Pflanzen zu erfahren.

Später war er seinem Vater über die Ranch gefolgt und hatte ein schlechtes Gewissen bekommen, weil er seine Mutter auf diese Weise vernachlässigte, doch wenn er sich dafür entschuldigte, lachte diese nur und schickte ihn zum Vater zurück. Nachdem er den Tag über viel über Pferde und Kühe gelernt hatte, rannte er ins Haus und zu seiner Mutter, die ihn jedes Mal umarmte und küsste. Als er älter geworden war, verbrachte er die meiste Zeit mit seinen drei besten Freunden – auf der Double J Ranch mit Jericho Jones sowie Tony Wilson und Billy Campbell. Egal, wie spät er heimkehrte – seine Mutter wartete jeden Abend mit offenen Armen auf ihren Jungen, um ihn daheim willkommen zu heißen.

Würde sie das auch jetzt tun? Heute? Sie hatte die vergangenen zehn Jahre geglaubt, dass er tot sei.

Aus Furcht um ihr Leben und das der anderen, die ihm nahestanden, hatte er seine eigene Mutter in diesem Irrglauben gelassen. Damals war er jung und vollkommen verängstigt gewesen und hatte keinen anderen Ausweg gesehen, als unterzutauchen. Was wäre ihm anderes übrig geblieben, nachdem er miterlebt hatte, wie Karl Rivers kaltblütig einen anderen Mann getötet hatte? An wen hätte er sich wenden können? An den Sheriff? Wohl kaum, denn der Sheriff hatte neben Rivers gestanden und bei der Tat zugesehen. Zweifellos hatte der Sheriff mitgeholfen, die Sache zu vertuschen.

Bis heute erinnerte Donovan sich an das Entsetzen, das ihn packte, als die beiden ihn bemerkt hatten. Er flehte um sein Leben und schwor, keiner Menschenseele zu erzählen, was er gerade gesehen hatte. Er war fest davon überzeugt, dass sie ihn umbringen würden. Dann ließ Rivers seine Waffe allerdings sinken und erklärte ihm, ihn am Leben zu lassen, weil sich Donovan in der Schule immer für seinen Sohn Carson Rivers eingesetzt hatte. Allerdings stellte Rivers die Bedingung, dass Donovan sofort die Stadt verließ und niemals zurückkehrte. Wenn er jemandem erzählte, was er gesehen hatte, würde Rivers nicht nur ihn und seine Eltern töten, sondern auch seine Freundin Raven Reynolds – die Leiche, die in einer Blutlache auf der Erde lag, bewies, dass Rivers seine Drohung ernst meinte.

Karl Rivers war in North Carolina ein mächtiger Mann gewesen, der sowohl Demokraten als auch Republikanern Geld spendete und mit dem Gouverneur und einem US-Senator verwandt war. Als Sohn eines einfachen Ranchers war Donovan ihm sowieso nicht gewachsen. Also war er geflüchtet und hatte seine Eltern und Raven zurückgelassen, um sie und sich selbst vor einem gewaltsamen Tod zu bewahren.

Vor drei Tagen hatten die großen Fernsehsender berichtet, dass Rivers einem Herzinfarkt erlegen war. In ohnmächtigem Zorn hatte Donovan hören müssen, wie Politiker und Politikerinnen aus dem ganzen Land dem Verstorbenen Respekt zollten und sein Lebenswerk lobten. Niemand würde jemals erfahren, was für ein Ungeheuer der Verstorbene gewesen war. Dann kam die Erleichterung, denn jetzt konnte Donovan endlich nach Hause zurückkehren, ohne das Leben seiner Angehörigen zu riskieren.

Also hatte er den Job auf der Ranch aufgegeben, auf der er seit sieben Jahren unter falschem Namen arbeitete. Obwohl er Della und Gabe Turner sehr mochte, wollte er so schnell wie möglich nach Hause. Er hatte sich von den Männern und Frauen verabschiedet, die seine Freunde geworden waren, seinen Pick-up beladen und war nach Osten gefahren.

Jetzt sah er auf die Uhr: zwei Minuten vor sechs. Er saß seit drei Minuten in seinem Pick-up und fühlte, wie heftig sein Herz klopfte. Auf der Interstate 20 quer durch mehrere Bundesstaaten hatte er sich noch gut gefühlt, aber als er die Grenze zu North Carolina passierte, war er immer nervöser geworden. Je näher er seinem alten Zuhause kam, desto unsicherer hatte er sich gefühlt.

Abendessen gab es bei den Corderos immer um sechs, und Donovans Vater kam niemals zu spät, selbst wenn die Arbeit noch nicht erledigt war. Daher wusste Donovan, dass er gleich beiden Elternteilen begegnen würde.

Er atmete tief durch, stieg aus dem Wagen und rannte die Stufen zur Veranda hinauf. In seinen neunzehn Jahren in diesem Haus hatte er kein einziges Mal an der Tür geläutet, und es jetzt zu tun, fühlte sich eigenartig an. Aber nachdem er so lange fort gewesen war, hätte er es als falsch empfunden, einfach einzutreten und zu fragen, was es zum Abendessen gab. Sein Herz schlug schneller, als er Schritte hörte. Als sie näher kamen, hielt er unwillkürlich die Luft an.

„Ja?“

Es war die Stimme seiner Mutter. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er schaute durch die Fliegennetztür. „Ma?“

Sie schrie leise auf. Eine Sekunde lang glaubte er, sie würde in Ohnmacht fallen, aber dann hielt sie sich an der Tür fest. Tränen rannen über ihre glatten Wangen. „Donovan! Du bist wieder da. Mein kleiner Junge ist zu Hause.“

Er riss die Tür auf und zog seine schluchzende Mutter an sich. „Ich bin zu Hause, Ma. Ich bin zu Hause.“

„Lena, wer ist es?“ Donovans Vater kam nach vorn.

Donovan hob den Kopf. „Ich bin es, Dad.“

Sein Vater stieß einen Freudenschrei aus und legte die Arme um Donovan und seine Ehefrau. „Mein Sohn! Du bist zu Hause. Darauf habe ich zehn Jahre gewartet.“

Sie hielten sich lange fest, gingen Arm in Arm ins Wohnzimmer und ließen sich auf das Sofa fallen, in das seine Mutter sich im Möbelgeschäft auf Anhieb verliebt hatte.

Donovan sah sich um. Alles war herrlich vertraut. Die Möbel standen exakt so wie früher, und das Familienfoto hing noch immer über dem Kamin.

„Ich wusste, dass du nach Hause kommst!“, sagte seine Mutter und tupfte sich die Augenwinkel mit dem Saum ihrer Bluse ab. „Alle haben gesagt, dass du tot bist und dass wir nach vorne schauen müssen, aber ich wusste, dass du lebst. Ein Mutterherz weiß so etwas.“

„Ein Vaterherz auch.“

Donovan lachte.

„Du kommst gerade rechtzeitig zum Abendessen.“ Donovans Mutter stand auf, nahm seine Hand und zog ihn in die Küche.

Er wusch sich die Hände und setzte sich auf seinen alten Stuhl. Seine Mutter hatte einen Braten mit Gemüse zubereitet, eins seiner Lieblingsgerichte. Aber egal, was es gegeben hätte, er wäre begeistert gewesen. In all den Jahren hatte er an vielen Tischen gegessen, aber nichts war mit seinem Platz an der vernarbten Eichenholzplatte zu vergleichen.

Beim Essen sprachen sie über alles und nichts. Sie waren viel zu gerührt, um ein ernstzunehmendes Gespräch zu führen, und wischten sich immer wieder die Freudentränen ab. Danach tranken sie Kaffee mit jeder Menge Zucker, bis sie zur Frage kamen, die noch niemand gestellt hatte.

„Warum bist du damals verschwunden, mein Junge?“, fragte Lena leise.

Donovan hatte gewusst, dass dieser Moment eintreten würde. Er hatte sich überlegt, wie er antworten konnte, ohne die schreckliche Vergangenheit zur Sprache zu bringen. Aber jetzt, da er die Liebe in den Augen seiner Eltern sah, konnte er die beiden nicht anlügen. Er schätzte sie zu sehr, und nach all den Jahren der Sorge verdienten sie nichts als die Wahrheit. „Ich habe etwas gesehen, was ich nicht hätte sehen sollen – einen Mord. Der Täter hat gedroht, uns und Raven etwas anzutun, wenn ich nicht sofort die Stadt verlasse und niemals wieder zurückkehre. Also bin ich gegangen.“

„Oh mein Gott“, flüsterte Lena.

„Bist du jetzt in Sicherheit?“, fragte Mario und stand auf. Zweifellos wollte er eine der Waffen holen, die er im Safe in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte.

„Ich glaube schon. Der Mörder ist zumindest tot.“

„Ich habe damals überhaupt nichts von einem Mord gehört.“ Mario setzte sich wieder. „Warum bist du nicht zu mir gekommen? Wir hätten zusammen zum Sheriff gehen können.“

Donovan schüttelte den Kopf. „Nein, das hätten wir nicht.“

Es dauerte nur eine Sekunde, bis sein Vater begriff, was Donovan andeutete.

„Oh, ich wusste immer, dass der Typ eine Schlange ist!“, sagte Mario zornig. „Kein Wunder, dass er vor drei Jahren unter verdächtigen Umständen gestorben ist. Wer weiß, wie viele Verbrechen er vertuscht hat?!“

„Das spielt jetzt keine Rolle mehr.“ Lena streichelte Donovans Wange. „Du bist zu Hause, nur darauf kommt es an.“ Sie sprang auf. „Und du musst müde sein, oder? Dein Zimmer wartet auf dich.“

Donovan war erschöpft, aber viel zu aufgedreht, um schlafen zu können. Dennoch folgte er den beiden. Die Zimmertür war geschlossen, aber als er sie öffnete, kam es ihm wie eine Reise in die Vergangenheit vor. Sein Zimmer sah genauso aus, wie er es zurückgelassen hatte. Nur das Bett war nicht bezogen. Seine Mutter nahm Laken aus dem Schrank und eilte hinüber.

„Das kann ich doch machen, Ma“, sagte Donovan.

„Ich weiß schon, aber ich habe mir so oft ausgemalt, wie du wieder in diesem Bett schläfst. Lass mich das für dich machen.“

Donovan verstand, warum es ihr so wichtig war, und gab nach. Während sie das Bett bezog, ging er umher und berührte all die Dinge, die ihn an seine Jugend erinnerten. Der altmodisch wirkende Computer stand noch auf dem Schreibtisch, zusammen mit einem aufgeschlagenen Comicheft.

„Fertig.“ Seine Mutter strahlte ihn an.

„Danke, Ma.“ Er drückte sie an sich und brachte sie zur Tür. Sie hatte ihn nicht mehr zugedeckt, seit er sieben oder acht Jahre alt gewesen war, aber er sah ihr an, wie gern sie es jetzt wieder täte, wenn er sie nur ließe. Er küsste sie auf die Stirn. „Wir sehen uns morgen früh.“

Nach einer letzten Umarmung wünschten seine Eltern ihm eine gute Nacht, und er schloss die Zimmertür hinter ihnen. Donovan nahm ein Foto von seinem Bücherregal: Raven. Sein Herz schlug schneller, als er das Mädchen betrachtete, das er liebte, seit er sechzehn war. Mit ihrer schwarzen Haut und den großen dunklen Augen war sie eine Schönheit gewesen. Ihr langes, dichtes Haar war rabenschwarz und passte bestens zur Bedeutung ihres Vornamens Raven.

Ihren Eltern gehörte die Nachbarranch. In den ersten Jahren seiner Kindheit war Raven für ihn nur ein Kumpel gewesen. Ihre Mütter waren befreundet, also spielten Raven und er zusammen. Als er neun oder zehn war, gründeten er und seine drei besten Freunde Jericho, Tony und Billy einen Klub nur für Jungen. Er erinnerte sich an die Tränen in Ravens Augen, als er ihr erklärte, dass Jungen und Mädchen nicht zusammen spielten und dass sie beide deshalb nicht länger miteinander befreundet sein konnten.

Als er sechzehn wurde, sah er Raven am Zaun entlangreiten, der die beiden Ranches trennte. Er rief ihren Namen, aber sie ritt davon. Er wollte sie einholen, aber sie war eine großartige Reiterin und ließ ihn in einer riesigen Staubwolke zurück. Verzaubert von Ravens Schönheit, war er entschlossen, ihre Freundschaft wiederzubeleben. Zwei Tage später nahm er all seinen Mut zusammen und erschien unangemeldet vor ihrer Haustür. Sie war zuerst völlig unbeeindruckt und nahm ihn erst dann richtig wahr, als er ihr einen Strauß pinkfarbener Rosen überreichte. Sie lächelte, und sein Herz machte einen Freudensprung.

An jenem Tag saßen sie stundenlang auf ihrer Terrasse, und Ravens Mutter Marilyn lud ihn zum Abendessen ein. Als er danach nach Hause ging, wusste er, dass Raven das Mädchen war, das er heiraten würde. Raven war zwar nicht überzeugt, dass er es ernst meinte, und es kostete ihn große Mühe, ihr Herz zu gewinnen. Am Ende des Sommers aber war es ihm gelungen. Sie waren unzertrennlich gewesen – bis zu dem Tag, an dem er sie zurücklassen musste, ohne auch nur ein Wort zum Abschied sagen zu können.

Ob sie inzwischen verheiratet war? Als jüngstes von fünf Kindern hatte sie immer eine eigene große Familie gewollt. Nur weil seine Eltern auf ihn gewartet hatten, musste Raven es nicht auch getan haben.

Donovan zog die Vorhänge zurück und schaute aus dem Fenster. Der Vollmond und die Sterne erhellten die Nacht. Plötzlich sehnte er sich danach, mehr von der Cordero-Ranch zu sehen. Auf Zehenspitzen ging er nach unten, um seine Eltern nicht zu wecken, und nahm seine Stiefel mit auf die hintere Veranda. Rasch zog er sie an und eilte zu den Stallungen.

Er zog das Tor auf und ging langsam den Mittelgang entlang. An der dritten Box blieb er stehen. Zeus. Sein Pferd. Er hatte Zeus zum fünfzehnten Geburtstag bekommen. Er streckte den Arm aus und streichelte den Kopf seines Pferds. Zeus schnaubte und stampfte aufgeregt mit den Hufen. Als sich der Hengst beruhigt hatte, führte Donovan ihn aus dem Stall und sattelte ihn. Dann stellte er den Fuß in den Steigbügel und schwang sich hinauf.

Er und Zeus waren oft so unterwegs gewesen. Als er und Raven zusammen gewesen waren, hatten sie einen besonderen Treffpunkt gehabt. Er befand sich auf dem Land der Corderos, aber nicht allzu weit von der Ranch der Reynolds entfernt an einem plätschernden Bach. Donovan hatte beiderlei Initialen in den Stamm eines der vielen großen Bäume geschnitzt. Die Inschrift R + D war keine sehr originelle Idee gewesen, aber Raven hatte trotzdem vor Rührung geweint.

Als er sich jetzt dem Bach näherte, hörte er Hufgetrappel und sah, wie in der Ferne jemand davonritt. Ob es ein Mann oder eine Frau war, konnte er nicht erkennen, und als er sein Ziel erreichte, dachte er auch schon nicht mehr daran. Er war hier, um einen Ort wiederzuentdecken, der ihm einmal viel bedeutet hatte.

Donovan stieg ab und ging zum Baum. Obwohl es ein Jahrzehnt her war, hätte er das in die Rinde geschnitzte Herz wahrscheinlich mit verbundenen Augen gefunden. Er strich über die Buchstaben und setzte sich darunter. Morgen würde er die Nachbarranch besuchen und herausfinden, wie es Raven ergangen war.

Sein Pferd wieherte, und er stand auf. Auf einer Ranch begann die Arbeit früh, und er wollte seinem Dad helfen, wie er es immer getan hatte. Nachdenklich stieg er wieder in den Sattel und ritt nach Hause.

Raven Reynolds schlich in die Küche und hoffte, dass sie es in ihr Zimmer schaffen würde, ohne jemandem zu begegnen. Nicht, dass sie etwas Verbotenes getan hatte – sie hatte einfach nur keine Lust, mit ihrer Mutter darüber zu diskutieren, wo sie gewesen war. Marilyn Reynolds war nämlich keineswegs naiv und konnte schneller als jeder andere eins und eins zusammenzählen. Eigentlich war es kein Geheimnis, wohin ihre Tochter so spät am Abend geritten war. Als Teenager war sie oft genug erwischt worden, wenn sie von einem Treffen mit Donovan heimkam. Sie beide waren so verliebt gewesen, dass sie es nicht aushielten, eine ganze Nacht getrennt zu sein.

Aber dann war der Nachbarsjunge vor zehn Jahren spurlos verschwunden. Alle Rancher und Einwohner von Sweet Briar, der nächstgelegenen Stadt, hatten nach ihm gesucht und keinerlei Hinweis auf seinen Verbleib gefunden. Es war, als hätte Donovan von einem Tag auf den anderen aufgehört zu existieren. Raven hatte jedoch nie daran gezweifelt, dass er noch lebte, und selbst jetzt konnte sie nicht glauben, dass er tot sein sollte.

Trotzdem war es an der Zeit, nach vorn zu schauen. Selbst wenn Donovan noch am Leben war, würde er wohl nicht zurückkehren. Damit hatte sie sich abgefunden, und sosehr sie ihn auch liebte, sie musste ihm Lebewohl sagen. Sie war davon ausgegangen, es getan zu haben, als sie vor fünf Monaten Carson Rivers’ Heiratsantrag angenommen hatte, doch anscheinend täuschte sie sich. Ein Teil von ihr hielt noch immer an Donovan fest und an der gemeinsamen Zukunft, von der sie beide geträumt hatten. Doch eine Zukunft würde es nicht geben. Wenn sie ehrlich und aufrichtig zu Carson sein wollte und ihrer Ehe eine Chance gab, dann musste sie Donovan für immer hinter sich lassen.

Also war sie heute Abend zu ihrem alten Treffpunkt geritten und hatte beobachtet, wie die Sonne verschwand und der Mond aufging. Eine Erinnerung nach der anderen war ihr gekommen, und sie hatte mehr als nur ein paar Tränen vergossen.

Zum Glück war jetzt niemand in der Küche, und sie schaffte es nach oben in ihr Zimmer, ohne dass jemand sie bemerkte. Sie schaute nach Elias und sah, dass er mal wieder beim Lesen eingeschlafen war. Sie schaltete seine Nachttischlampe aus, markierte die Seite mit einem Lesezeichen und legte das Buch auf das Nachtschränkchen. Seine Mathehausaufgaben machte er äußerst ungern, aber er las mindestens zwei Bücher pro Woche, ohne die Comics einzurechnen, von denen er ein halbes Dutzend verschlang. Sie küsste ihren Sohn auf die Stirn und schloss die Tür leise hinter sich.

In ihrem Zimmer warf Raven sich aufs Bett und schluchzte. Sie hatte geglaubt, die letzten Tränen vergossen zu haben, als sie mit der Hand über die in den Stamm geschnitzten Buchstaben strich – R + D –, aber das war offensichtlich ein Irrtum gewesen. Es waren noch welche da, und als sie ihnen freien Lauf ließ, schwor sie sich, dass dies das letzte Mal war. Sie musste sich zu hundert Prozent auf die Gegenwart und ihre Verlobung konzentrieren und Donovan Cordero endgültig in der Vergangenheit belassen.

2. KAPITEL

„Ich organisiere eine Party!“, sagte Lena und legte drei Scheiben Schinkenspeck auf Donovans schon überquellenden Teller. Er war beim Morgengrauen aufgewacht und aufgestanden, um seinem Vater bei den ersten Arbeiten des Tages zu helfen. Seine Mutter war auch schon wach gewesen und hatte sich fröhlich summend in der Küche zu schaffen gemacht. Sie hatte für sie immer ein herzhaftes Frühstück zubereitet, aber die heutige Portion war mehr, als sie jemals auf den Tisch gestellt hatte.

„Was für eine Party?“, fragte Donovan und hob eine Hand, damit seine Mutter ihm nicht auch noch Kochschinken auftat.

„Na für die Nachbarn und alle in Sweet Briar. Jeder soll wissen, dass du wieder zu Hause bist.“ Lena setzte sich zu ihnen. „Wir könnten groß grillen.“

Donovan überlegte, wie er es ihr ausreden konnte. Er verstand ihre Begeisterung, wollte aber nicht im Mittelpunkt stehen. Am liebsten würde er aus seiner Rückkehr keine allzu große Sache machen. „Vielleicht später. Im Moment wäre es mir zu viel. Ich möchte zur Ruhe kommen und Zeit mit meiner Familie und den besten Freunden verbringen.“

„Ich freue mich nur so sehr, dass du zurück bist, und will es der ganzen Welt erzählen.“

„Ich sage nicht, dass du ein Geheimnis daraus machen sollst. Du kannst es jedem erzählen. Ich möchte nur keinen großen Trubel.“

Seine Mutter seufzte enttäuscht.

„Lena, lass den Jungen erst mal richtig ankommen.“ Mario tätschelte ihre Hand. „Du kannst ja deine Riesenparty planen, damit wir loslegen können, sobald er bereit ist.“

„Na gut“, gab Lena nach.

Beim Essen unterhielten sie sich angeregt. Danach stand Mario auf, und Donovan folgte ihm. Er hatte die letzten zehn Jahre auf anderen Ranches gearbeitet und sich jeden Cent, den er bekam, redlich verdient. Jetzt tat es gut, auf dem Land seiner Familie ebenso hart zu arbeiten. „Wir sehen uns beim Lunch.“

Donovan verbrachte den Vormittag mit seinem Vater und den Rancharbeitern, von denen er nur zwei kannte. Die anderen hatte sein Vater im Lauf der Jahre eingestellt. Mario zahlte einen fairen Lohn und erwartete von seinen Leuten, dass sie ihn sich verdienten. Erst jetzt, nach seiner Zeit in der Fremde, wusste Donovan es zu schätzen, wie sein Vater mit den Männern umging.

Nach dem Lunch fühlte er sich rastlos und beschloss, dass er Raven sehen musste. Er schnappte sich seine Autoschlüssel und den Hut, erzählte seinen Eltern, dass er eine Weile wegbleiben würde, und fuhr zur Ranch der Reynolds. Vielleicht war Raven wie ihre älteren Brüder schon ausgezogen. Sie konnte durchaus verheiratet sein und Kinder haben. Er hätte seine Eltern fragen sollen. Jetzt war es zu spät dafür, aber wenn sie nicht mehr dort lebte, würden ihre Eltern Marilyn und Rudy ihm sicher erzählen, wie er sich mit ihr in Verbindung setzen konnte.

Während der zehnminütigen Fahrt erinnerte Donovan sich an ihre letzte Begegnung. Er hatte sich mit Raven an ihrem ganz besonderen Ort getroffen. Sie wollte ihm etwas erzählen, aber sein Freund Billy Campbell war auf Heimaturlaub von der Armee gewesen und rief Donovan an, bevor Raven ihr Geheimnis mit ihm teilen konnte. Er wollte bei ihr bleiben, aber sie schlug ihm vor, erst einmal zu seinem Freund zu fahren. Er versprach, später bei ihr vorbeizukommen, aber dann war er Augenzeuge des Mords geworden, und sein Leben änderte sich unwiderruflich.

Jetzt wünschte er zum wiederholten Mal, er wäre bei Raven geblieben.

Seitdem waren zehn Jahre vergangen. Ihr letztes Treffen war ihm nicht aus dem Sinn gegangen, aber er bezweifelte, dass es sich bei ihr auch so verhielt. Als er vor dem Haus der Reynolds hielt, sah er, dass sie – anders als seine Eltern – einige Veränderungen vorgenommen hatten. Die Hollywoodschaukel, auf der er und Raven viele angenehme Abende verbracht hatten, war durch dunkelbraune Korbmöbel mit geblümten Polstern ersetzt worden.

Als er läutete, wurde ihm bewusst, dass er zum zweiten Mal an zwei Tagen auf einer Veranda wartete – um jemandem zu erzählen, dass er noch am Leben war. Er überlegte kurz, ob er lieber wieder gehen sollte, aber er hatte Raven seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte sie zu sehr vermisst, um noch länger zu zögern. Er war mit anderen Frauen ausgegangen, hatte aber keiner davon sein Herz geschenkt. Er hatte eine Lüge gelebt, denn er hatte zu niemandem ehrlich sein können, ohne auch dessen Leben in Gefahr zu bringen. Falls er wieder abrupt untertauchen musste, hätte er niemanden mitnehmen können. Obwohl so viel Zeit vergangen war, gab es nur ein Mädchen, das er jemals geliebt hatte.

Die Tür ging auf, und da stand sie: Raven. Sein Herz schlug noch schneller, und er brachte kein Wort heraus.

Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Als Teenager war sie groß und schlaksig gewesen, jetzt war sie zu einer atemberaubenden jungen Frau herangewachsen. Das glatte schwarze Haar hing bis über die Schultern und umspielte die Brüste. Aber es war das Gesicht mit den großen braunen Augen, hohen Wangenknochen und vollen Lippen, das ihn faszinierte.

„Hi. Kann ich Ihnen helfen?“ Obwohl sie ihn fragend musterte, lächelte sie.

Jahrelang hatte er darüber nachgedacht, was er sagen würde, wenn er sie wiedersah. Was er fühlen würde. Jetzt verschwamm sie vor seinen Augen, und er musste heftig blinzeln. Er liebte sie nicht mehr so wie mit neunzehn, aber da war noch etwas – eine Verbindung, die ihn angezogen hatte, obwohl ihr Leben ohne ihn weitergegangen war.

„Sir? Geht es Ihnen gut?“

„Raven.“

Ihre Augen wurden groß, noch größer. Sie starrte ihn an. „Donovan?!“

„Ja.“

Sie erblasste. Dann begann sie zu zittern. Sie streckte die Arme aus und sank wie in Zeitlupe zu Boden. Donovan hielt Raven fest, hob sie hoch, trug sie ins Haus und legte sie aufs Sofa.

Wie hatte er nur so dumm sein können? Unangemeldet aufzutauchen, war egoistisch und rücksichtslos. Nachdem sie zehn Jahre nichts von ihm gehört hatte, musste sie ja glauben, dass er tot war. Er hätte mit ihrer Reaktion rechnen müssen. Selbst seine Mutter, die nie die Hoffnung aufgegeben hatte, war fast in Ohnmacht gefallen.

Er hätte seine Mutter ihre Willkommensparty veranstalten lassen sollen. Dann hätte ihn niemand für ein Gespenst gehalten. Er hatte seiner Mutter zwar gesagt, sie könne jedem erzählen, dass er zurück war, aber er wusste nicht, mit wem sie bisher gesprochen hatte – nicht, dass es jetzt eine Rolle spielte. Klar war, dass Raven nicht dazugehörte.

Das Haar war ihr ins Gesicht gefallen, und er strich es zur Seite. Er ließ sie nicht aus den Augen und wartete. Nach einer Minute zuckten ihre Lider, und sie begann sich zu bewegen. Sie öffnete die Augen und sah ihn an, dann hob sie eine Hand und berührte sein Gesicht. „Du bist es wirklich.“

„Ich bin es wirklich.“

Sie setzte sich auf und stellte die Füße auf den Boden. Obwohl die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte, wirkte sie noch angeschlagen.

„Mach langsam, lass dir Zeit.“ Donovan atmete den vertrauten Duft ein, als Raven die Arme um ihn legte. Sie roch nach Wind und Sonnenschein und einem Hauch Lavendelseife. Er schloss die Augen und genoss es, sie zu fühlen. Obwohl ihre Körper sich im Lauf des Jahrzehnts verändert hatten, passte sie noch immer perfekt in seine Arme.

Nach einem Moment hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen. Die Freude in ihrem Blick war unmissverständlich. „Seit wann bist du zurück?“

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