Wen küsst der Prinz um Mitternacht?

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Zu spät erfährt Ruby, wer der geheimnisvolle Fremde ist, in den sie sich in der Silvesternacht in Paris verliebt hat: Alexander, Kronprinz von Euronia! Ganz schnell sollte Ruby ihn vergessen. Doch der Mitternachtskuss des Prinzen geht ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf …


  • Erscheinungstag 04.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767945
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Paris vor zehn Jahren

Freudige Spannung lag in der Luft. Die halbe Welt schien nach Paris gekommen zu sein, um das neue Jahr zu begrüßen.

Ruby Wetherspoon und ihre Clique ließen sich mit der Menge von den Champs-Élysées in Richtung Eiffelturm treiben. „Wo kann man Silvester besser feiern als in Paris?“, fragte ihre beste Freundin Polly begeistert.

Besser als zu Hause zu sitzen und über den Traumjob nachzugrübeln, den man nicht bekommt, ist es allemal, dachte Ruby. Oder über den untreuen Freund.

„Das Feuerwerk fängt in einer Stunde an. Lass uns möglichst nah an den Eiffelturm herangehen.“

„Ich muss erst noch schnell auf die Toilette.“ Ruby deutete auf eines der zahlreichen Cafés an den Champs-Élysées. „Geht schon einmal vor. Ich komme nach.“

Die zehn Freunde wollten sich nach einem köstlichen Dinner an Bord eines Seineboots und nach einigen Drinks im Hotel das Feuerwerk am Eiffelturm ansehen. Für den Fall, dass sie einander verloren, was in dem Trubel leicht passieren konnte, hatten sie einen Treffpunkt vereinbart.

Der Andrang auf die Toiletten war groß, und es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Ruby ihren Weg zum Eiffelturm fortsetzen konnte. Inzwischen war die Menschenmenge größer geworden. Ruby ahnte, dass sie ihre Freunde nicht so schnell wiederfinden würde. Angst hatte sie jedoch nicht. Die Passanten waren bester Stimmung, tranken Wein und sangen. In der gelösten Atmosphäre – und im Schutz eines großen Polizeiaufgebots – fühlte sie sich sicher.

Um sie her hörte sie englische, italienische, japanische und französische Sprachfetzen, bunte Leuchtreklamen erhellten die Straßen. Es herrschte klirrende Kälte.

Als sie endlich den Eiffelturm erblickte, klingelte ihr Handy, woraufhin sie ihre Handtasche öffnete und es herauszog.

Polly hatte ihr eine SMS geschickt und fragte, wo sie sei.

Ich schaffe es vermutlich nicht bis zum Treffpunkt, antwortete Ruby ihr, als jemand sie von hinten anrempelte, sodass ihr das Handy aus der Hand flog.

Ruby versuchte vergeblich, es wiederzufinden. Leute traten ihr dabei auf die Füße, stießen sie mit den Ellbogen an, und schließlich geriet sie in eine Gruppe ungehobelter, nach Bier stinkender junger Männer.

„Pardon!“, entschuldigte sie sich. Doch die Männer lachten nur und rissen Witze, taten ihr aber nichts. Dennoch wurde Ruby zunehmend nervös. Die Menschenmasse um sie her drohte sie zu zerquetschen, als einer der Typen ihr unvermittelt eine Hand auf den Rücken legte und sie an sich presste. Sein nach Bier riechender Atem streifte ihre Wange.

„Lasst mich raus, lasst mich raus!“, schrie sie voller Panik.

Plötzlich wurde sie unter den Achseln gepackt und nach oben gezogen. Dann umfasste ein starker Arm ihre Taille und hob sie hoch auf eine knapp zwei Meter hohe Mauer.

„Alles in Ordnung?“ Sie schwankte und griff Halt suchend nach dem Arm ihres Retters. „Ist alles okay?“, wiederholter er. „Oder sind Sie etwa betrunken?“

Empört wollte Ruby fragen, wie er auf diese absurde Idee käme, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, als sie in strahlend blaue Augen blickte.

Sie gehörten einem jungen Mann mit dunklem Haar und breiter Brust. Er trug einen klassischen dunklen Mantel, Jeans und ein weißes T-Shirt – und sah unglaublich attraktiv aus.

Das glaubt Polly mir nie! schoss es Ruby durch den Kopf. Zu dumm, dass sie das Handy verloren hatte und von ihm kein Foto machen konnte.

„Bin ich nicht“, brachte sie mühsam heraus. „Ich wollte nur gegen den Strom anschwimmen.“

„Das Feuerwerk fängt gleich an. Sie wollen doch nicht etwa nach Hause gehen?“ Er sprach mit französischem Akzent – zumindest dachte sie das.

„Natürlich nicht. Ich suche nur meine Freunde. Wir sind getrennt worden, und ich kann unseren Treffpunkt nicht erreichen. Das Gedränge ist zu groß.“

Eigentlich hatte Ruby gar keine Lust, den sicheren Platz auf der Mauer aufzugeben. Sie hoffte inständig, dass die Freunde ihres Retters nicht gleich kommen und sie von dort vertreiben würden.

„Hier ist wirklich kein Durchkommen. Es tut mir übrigens leid, falls ich Sie gerade erschreckt habe. Ich hatte den Eindruck, dass Sie Angst hatten und gleich in Panik ausbrechen würden.“

„So war es auch. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ein solches Gewühl habe ich noch nie erlebt.“ Ihr war heiß, und sie knöpfte den roten Mantel auf und zog sich die ebenfalls rote Mütze vom Kopf. „So ist es besser.“

„Das finde ich auch.“ Das beifällige Lächeln des Mannes hätte Ruby irritiert, hätte er dabei nicht so freundlich gewirkt. Zugleich strahlte er so viel Sex-Appeal aus, dass ihr ganz schwindlig wurde.

„Menschenmassen sind manchmal … beängstigend“, meinte er, und es klang so eigenartig, dass Ruby ihn neugierig ansah.

„Was wollen Sie damit sagen?“

Er lächelte, ging aber nicht auf ihre Frage ein.

„Ich bin übrigens Ruby Wetherspoon aus England.“ Sie reichte ihm die Hand.

Seine fühlte sich warm an. „Alex.“

„Kommen Sie aus Paris?“

„Aus der Nähe.“

Er klingt irgendwie geheimnisvoll, dachte Ruby. Mysteriöse Männer flößten ihr sonst Unbehagen ein, Alex tat es nicht.

Verlass dich auf deinen Instinkt, hatte ihre Großmutter ihr immer wieder geraten. Wenn sie darauf gehört hätte! Dann hätte sie vermutlich nicht ihren Freund mit ihrer ehemals besten Freundin im Bett ertappt. Es wurde höchste Zeit, dass dieses vermaledeite Jahr zu Ende ging!

„Wo sind denn Ihre Freunde?“, fragte sie. Wurde er womöglich von einer Gruppe umwerfend schöner Frauen begleitet?

„Mir geht es wie Ihnen. Ich habe sie verloren und wollte Ausschau nach ihnen halten. Dabei habe ich gemerkt, wie toll der Blick von hier oben ist.“

Erst jetzt sah Ruby sich um. Alex hatte recht! Einige hundert Meter vor ihnen erhob sich der Eiffelturm in den Nachthimmel, Lichterketten hoben seine Konturen hervor. „Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich hier bin!“, platzte sie heraus.

Jemand stieß sie an, sodass sie das Gleichgewicht verlor. Sofort legte Alex ihr einen Arm um die Taille und fing sie auf. Er zog den Arm auch nicht zurück, nachdem sie die Balance wiedererlangt hatte.

„Was macht eine Engländerin Silvester in Paris? Besuchen Sie Ihren Freund?“

Sein offensichtliches Interesse schmeichelte Ruby. Sie beschloss, dass er nicht die ganze Wahrheit zu erfahren brauchte. „Meine Freundin Polly wollte etwas Neues ausprobieren. Bisher haben wir Silvester fast immer in London gefeiert. Das eine Mal in Schottland war eine Katastrophe: Wir wurden total eingeschneit. Paris dagegen ist zauberhaft … Und, ehrlich gesagt, bin ich froh, wenn das alte Jahr vorbei ist.“

„War es so schlimm?“

„Grässlich!“

„Gab es denn gar keine Lichtblicke?“

„Doch, schon. Ich habe meinen Abschluss als Sprachtherapeutin geschafft.“

„Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke.“ Ruby strahlte. Sie hatte die dreijährige Schule mit Bestnoten abgeschlossen und durfte nun ihren Traumberuf ausüben.

„Eigentlich müssten Sie einen Freudentanz aufführen. Nicht jeder kann den Beruf seiner Wahl ergreifen.“ Alex klang fast ein wenig neidisch.

„Sie haben ja recht. Ich habe mich um eine ganz bestimmte Stelle beworben. Doch leider wurde jemand mit mehr Erfahrung genommen.“

„Was war das denn für ein Job?“

„Der einer Sprachtherapeutin in der größten Londoner Kinderklinik. Ich habe dort schon ein Praktikum gemacht. Das Personal war sehr nett, und die Kinder … sie waren einfach rührend.“

„Was haben Sie dort genau gemacht?“

„Ich habe mit Kindern, die unter Sprachfehlern und Sprachentwicklungsstörungen litten, gearbeitet. Sie waren einfach erstaunlich …“ Ruby lächelte versonnen. „Und ich hatte mit tauben Kindern zu tun. Die glücklichen Mienen, wenn das Cochlea-Implantat eingeschaltet wurde und sie zum ersten Mal hörten, vergisst man nie …“

Alex betrachtete sie fasziniert, was Ruby beinahe aus der Fassung brachte. Unter den mindestens zwei Millionen Menschen in Paris interessierte sich dieser umwerfend attraktive Mann ausgerechnet für sie! Wie sie das geschafft hatte, war ihr ein Rätsel. Er schien ebenso in ihren Bann gezogen zu sein wie sie in seinen.

„Sind Sie momentan etwa arbeitslos?“, erkundigte sich Alex besorgt. Seine tiefe Stimme jagte Ruby einen heißen Schauer über den Rücken. Plötzlich wurde ihr schwindlig. Das lag sicher am Rotwein, den sie zum Essen getrunken hatte.

Sie schüttelte verwirrt den Kopf, doch der Schwindel blieb. „Ich habe Arbeit in einer Stroke Unit gefunden. Dort betreue ich Patienten mit Sprachstörungen, die sie durch einen Schlaganfall erlitten haben.“

Alex lächelte, und Ruby bemerkte seine strahlend weißen Zähne. War er vielleicht ein Model und machte Werbung für Zahnpasta?

„Das ist sicher nicht weniger wichtig.“

„Schon“, gab Ruby verlegen zu. „Ich bin froh, dass ich überhaupt Arbeit habe. Es ist nur nicht mein Traumjob.“

„Nicht jeder bekommt immer, was er will“, sagte Alex traurig, und Rubys Neugierde wuchs. Zu schade, dass Polly ihr kein Wort glauben würde, wenn sie ihr von dem mysteriösen, attraktiven Typ erzählte.

„Was machen Sie denn, Alex? Arbeiten Sie in Paris?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nur auf Stippvisite hier und habe einen ziemlich langweiligen Beruf. Ich bin Anlageberater.“

Also kein Model, dachte Ruby enttäuscht. „Wenn es Ihnen keinen Spaß macht, warum machen Sie dann nichts anderes?“

„Es wird von mir erwartet. Außerdem ist es nur ein Job“, wich er aus.

Das fachte ihre Neugierde erst recht an.

In diesem Moment summte sein Telefon. Er zog es aus der Tasche und las die eingegangene Nachricht.

„Suchen Ihre Freunde Sie?“

Ohne zu antworten, schob Alex das Handy in die Hosentasche zurück.

„Ich habe vorhin mein Handy verloren. Es liegt irgendwo dort unten.“

Alex zog sie näher zu sich heran, und Ruby ließ es sich nur zu gern gefallen. Sie genoss es, seinen warmen Arm um ihre Taille zu spüren. „Suchen Ihre Freunde nach Ihnen?“, wiederholte sie ihre Frage.

„Vermutlich schon, aber ich will nicht immer gefunden werden“, erwiderte Alex.

Noch ein Geheimnis, dachte Ruby. Und wie geschickt er meinen Fragen ausweicht!

In diesem Moment drehte er sie zu sich herum, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Wie geht es Ihnen ohne Ihre Freunde, Ruby? Haben Sie Lust, das Feuerwerk mit einem Fremden anzusehen, der Sie aus der Menge herausgefischt hat?“

In seinen Augen funkelte es vergnügt, und Ruby stockte der Atem. Ein Windstoß wehte ihm einige Strähnen ihres langen Haars ins Gesicht. Lachend schob er sie beiseite und ihr hinters Ohr.

Ruby legte ihm eine Hand auf die Brust. Durch das dünne T-Shirt konnte sie kräftige Muskeln und warme Haut spüren. In diesem Moment wollte sie nirgendwo anders sein. „Sie sind doch kein Fremder – Sie sind Alex.“

„Ja, heute bin ich nur Alex“, sagte er, und in diesem Moment schien die Welt um sie herum zu explodieren.

Überall knallte und knatterte es, gleißend bunte Lichter erhellten den Himmel, als Alex sich vorneigte und Ruby küsste.

Das Feuerwerk am Himmel war nichts im Vergleich zu dem, was in Ruby vorging. Sie konnte kaum glauben, was sie da tat, dennoch fühlte es sich absolut richtig an.

Es war wie im Märchen, und Rubys Körper prickelte an Stellen, die sie lange nicht mehr gespürt hatte.

Alex hielt sie fest umschlungen, streichelte ihr Haar und erforschte ihren Mund. Als er sie schließlich freigab, hätte Ruby ihn am liebsten gleich wieder an sich gezogen. Lächelnd sah sie ihm in die Augen.

Alex erwiderte ihren Blick. Während die Leute zu ihren Füßen jubelnd das neue Jahr begrüßten, raunte er ihr ins Ohr: „Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr.“

„Ich dir auch“, erwiderte Ruby und ging unwillkürlich auch zum Du über. Dabei strahlte sie übers ganze Gesicht.

Eine Weile bestaunten sie schweigend das Feuerwerk, dann ergriff Alex ihre Hand. „Sollen wir uns irgendwo hinsetzen und etwas essen und trinken?“

Ruby ließ den Blick zum Eiffelturm, ihrem Treffpunkt, schweifen. Er war immer noch dicht von Menschen umlagert. Die Entscheidung fiel ihr leicht. „Das hört sich gut an.“

Alex sprang von der Mauer, umfasste Ruby an der Taille und half ihr behutsam herunter. Dann bahnte er ihnen einen Weg durch die Menschenmenge. Irgendwann bemerkte Ruby eine Gruppe seltsamer Männer in schwarzen Anzügen und mit einem Knopf im Ohr. Es sah aus, als folgten sie ihnen. Doch im nächsten Augenblick waren sie verschwunden, und sie vergaß sie.

Die Restaurants in der Avenue George V waren noch geöffnet. Vor der Tür des Vier Jahreszeiten zögerte Alex kurz, zog Ruby dann aber weiter zu einem der benachbarten Cafés, vor dem Tische im Freien standen. Er rückte ihr einen Stuhl zurecht, dann setzte er sich ihr gegenüber. So viel Höflichkeit war sie nicht gewöhnt.

„Ist dir kalt? Möchtest du lieber reingehen?“, fragte Alex besorgt, als sie sich die Hände rieb.

„Nein.“ Durch die Fenster konnte man das Gedränge im Restaurant sehen, sodass sie beschlossen, im Freien zu bleiben.

Ein Kellner kam an ihren Tisch, und Alex erkundigte sich nach Rubys Wünschen.

Rasch überflog sie die Karte. „Ich nehme einen Cocktail, den Royal Pink Circus, und dazu das größte Stück Kuchen, das es gibt.“

Lachend schaute Alex ebenfalls in die Karte. „Mal sehen, woraus der Cocktail besteht“, erklärte er. „Oh, aus Wodka, Champagner, Himbeeren und rotem Sirup. Das verspricht interessant zu sein!“, meinte er und gab bei dem Bediensteten auf Französisch die Bestellung auf.

Ihr Platz war gut beleuchtet, und Ruby sah den Mann, der sie kurz zuvor geküsst hatte, zum ersten Mal richtig. Im Dämmerlicht auf der Mauer war er ihr bereits umwerfend erschienen, doch bei Licht besehen … Wow!

Das glaubt Polly mir nie! schoss es ihr erneut durch den Kopf. Wirklich zu dumm, dass sie weder Handy noch Fotoapparat parat hatte. Alex’ strahlend blaue Augen bildeten einen starken Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut und zu seinem Dreitagebart.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte Alex.

Ruby zuckte mit den Schultern. „Da ich mein Handy verloren habe, kann ich meine Freunde nicht kontaktieren, aber das ist kein Problem. Von hier aus finde ich den Weg zurück zum Hotel bestimmt.“ Sie deutete auf das Vier Jahreszeiten. „Einen Moment lang dachte ich schon, du wolltest mit mir dort hineingehen. Mich hätten sie bestimmt nicht hereingelassen.“ Sie deutete auf ihren roten Mantel, die Jeans und Stiefel.

„Du wärst ganz gewiss reingekommen“, widersprach Alex im Brustton der Überzeugung. Er ergriff ihre Hand. „Wie lange bleibst du noch in Paris?“

„Noch zwei Tage. Wir fahren erst am Freitag. Und du?“

„Ich habe noch keine festen Pläne. Was hältst du davon, wenn ich dir in den nächsten Tagen die Stadt zeige?“

Vor Freude klopfte ihr Herz wie wild. Da sie zu mehreren Leuten unterwegs waren, würde Polly ihr nicht böse sein, wenn sie die Tage mit einem sexy Franzosen verbrachte. Sie würde sie im Gegenteil dazu ermutigen.

„Das wäre schön.“

In diesem Moment brachte der Kellner die Getränke, und Ruby nippte an ihrem pinkfarbenen Cocktail. Er war stärker als gedacht. Dann kam ihr Stück Kuchen, bestehend aus sieben dicken Schichten Sahne und Himbeeren. Ruby nahm den ersten Bissen. „Oh, wie lecker! Möchtest du mal probieren?“

Alex schüttelte den Kopf. „Hauptsache, es schmeckt dir.“

„Hast du dir denn nichts bestellt?“

„Doch. Ich habe den Kellner gebeten, erst deinen Kuchen zu servieren.“

Ruby ließ es sich weiter schmecken. „An so viel Aufmerksamkeit könnte ich mich gewöhnen.“

Ein Muskel in Alex’ Gesicht zuckte, und Ruby fragte sich unwillkürlich, ob sie etwas Falsches gesagt hatte. Doch da lächelte er bereits wieder.

„Und ich könnte mich an Ruby Wetherspoon gewöhnen, die ein gutes Stück Kuchen zu würdigen weiß.“

Genüsslich aß sie weiter. „Tun die Leute bei dir zu Hause das etwa nicht?“

„Sie zeigen es zumindest nicht so offen wie du“, erwiderte Alex lächelnd.

In diesem Moment erschien der Kellner wieder und stellte einen Teller mit einem riesigen Steak und einer großen Portion Pommes frites vor Alex hin. Ungeniert schnappte Ruby sich eine Fritte.

„Das Café muss ich mir merken. Die Portionen hier sind wirklich groß. Wie heißt es eigentlich?“ Sie versuchte, die Leuchtschrift zu entziffern, gab es aber schnell auf. „Dann merke ich mir einfach, dass es neben dem Märchenhotel liegt.“

„Märchenhotel?“

Ruby deutete auf das Vier Jahreszeiten. „Träumt nicht jedes Mädchen davon, einmal dort zu wohnen?“

„Nicht im Cinderella-Schloss in Disneyland?“

„Große Mädchen haben andere Vorstellungen.“ Skeptisch betrachtete sie ihren Cocktail. „Sei mir nicht böse. Ich hätte doch lieber einen Kaffee. Der Cocktail steigt mir zu Kopf.“

Ohne eine Miene zu verziehen, winkte Alex dem Kellner und gab die Bestellung auf.

„Warst du schon auf dem Eiffelturm?“, wollte er dann wissen.

„Verrate es bloß niemandem: Mir ist beinahe übel geworden, als ich von dort nach unten gesehen habe …“

Alex lachte. „Und Versailles und der Louvre?“

„Wir mussten eine Ewigkeit in der Schlange stehen, um die Mona Lisa zu sehen.“

„Wie hat sie dir gefallen?“

„Sie ist kleiner, als ich erwartet habe, und sehr dunkel. Dennoch hätte ich sie am liebsten berührt.“

„Dann hat sie dich genauso gefesselt wie Leonardo. Warst du auch schon in der Notre Dame?“

Ruby nickte.

„Da wart ihr aber fleißig!“

„Wir haben versucht, so viel wie möglich in die Tage hineinzupacken.“

„Gibt es noch etwas, was du gern sehen möchtest?“

„Aber ja! Ich möchte Sacré Cœur besuchen, den Montmartre und den Friedhof Père Lachaise.“

„Du willst Tote besuchen?“ Kopfschüttelnd lehnte Alex sich in seinem Stuhl zurück.

Ruby lachte. „Es soll wunderschön sein dort. Bist du noch nie auf einem Friedhof spazieren gegangen? Ich lese zu gern die Inschriften auf den Grabsteinen. Auf manchen sind Totenköpfe und gekreuzte Knochen eingraviert, was bedeutet, dass dort Opfer der Pest begraben liegen. Ist das nicht faszinierend?“

Alex lächelte. „Immer wenn ich denke, ich kenne dich ein wenig, sagst du etwas, das mich überrascht.“

„Ist das schlecht?“

„Im Gegenteil!“ Erneut ergriff er ihre Hand. „Ich bin sicher, es gibt genügend Dinge, die wir in den kommenden Tagen unternehmen können.“

„Heute ist aber fast alles geschlossen.“

„Ich lasse mir etwas einfallen.“

Völlig in Alex’ Bann, bemerkte Ruby die Männer in den schwarzen Anzügen erst, als sie vor ihrem Tisch standen.

Einer legte Alex eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ruby sah, wie Alex zunächst verärgert, dann zutiefst bestürzt aussah. Er stand so abrupt auf, dass sein Stuhl umkippte.

„Alex? Was ist los?“

Die Männer in Schwarz ignorierten sie völlig.

„Es tut mir unendlich leid, aber ich muss gehen.“ Dann zog er sein Handy hervor. „Gib mir deine Nummer, ich rufe dich an.“

Ruby griff schon nach ihrer Handtasche, als es ihr einfiel. „Ich habe mein Handy doch verloren. Was ist denn passiert, Alex?“

Blass schüttelte er den Kopf. Er wirkte total schockiert. „Ein Notfall in meiner Familie. Wo wohnst du? Ich schicke dir eine Nachricht.“

Sie nannte ihm den Namen des billigen Hotels, in dem sie abgestiegen war.

„Es tut mir schrecklich leid, ich muss los. Du hörst bald von mir.“ Er kam um den Tisch herum und küsste sie flüchtig auf die Lippen. Dann ging er davon, die dunkel gekleideten Männer im Schlepptau. Rubys Märchen schien zu Ende zu sein.

Januar

Autor

Scarlet Wilson
<p>Scarlet Wilson hat sich mit dem Schreiben einen Kindheitstraum erfüllt, ihre erste Geschichte schrieb sie, als sie acht Jahre alt war. Ihre Familie erinnert sich noch immer gerne an diese erste Erzählung, die sich um die Hauptfigur Shirley, ein magisches Portemonnaie und eine Mäusearmee drehte – der Name jeder Maus...
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