Wenn das Herz entscheiden muss

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WENN DAS HERZ ENTSCHEIDEN MUSST von CRYSTAL GREEN

Allaires Herz klopft wie verrückt, als sie ihren Jugendfreund D. J., inzwischen ein erfolgreicher Unternehmer, wiedertrifft. Ist sie etwa in ihn verliebt? Unmöglich! Tapfer wehrt sie sich gegen ihre Gefühle. Sie ist schließlich immer vernünftig. Aber es ist ein aussichtsloser Kampf, denn zwischen ihnen knistert es einfach zu heftig. Dabei sollte Allaire doch gleich aus mehreren Gründen vorsichtig sein. Eine böse Überraschung in ihrem Leben reicht schließlich. Und zudem kann sie sich als Lehrerin in einer Kleinstadt eine Affäre nicht leisten – schon gar nicht mit D. J., dem Bruder ihres Exmannes! Das würde die Gerüchteküche überkochen lassen …


  • Erscheinungstag 21.05.2024
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524209
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Allaire Traub hatte den Mann auf dem Parkplatz gar nicht bemerkt. Es war Tori Jones, Allaires Freundin und Lehrer-Kollegin, die ihn entdeckte, als sie gemeinsam über den Schulhof der Thunder Canyon Highschool gingen. Beide trugen Schulbücher und Stapel von Heften und hatten vom kühlen Septemberwind gerötete Wangen.

„Bitte lass das den Vater einer meiner Schüler sein, der in meine Sprechstunde kommen will“, sagte Tori hoffnungsvoll.

Allaire strich sich eine blonde Haarsträhne aus den Augen und sah einen Mann von hinten, der interessiert verfolgte, wie sich die Schulband auf dem benachbarten Sportplatz zum Üben aufstellte. Er trug einen mit Fell abgesetzten Wildledermantel, der seine breiten Schultern betonte, und sein dunkelbraunes Haar war vom Wind zerzaust.

Ganz unbewusst ließ sie den Blick weiter wandern. Gut sitzende Jeans, muskulöse Beine. Er stand lässig da, wirkte selbstbewusst. Sofort meldete sich die Kunstlehrerin in ihr – zu gern hätte sie diesen gut gebauten männlichen Körper in Ton geformt und dann ihre Hände darüber gleiten lassen. Oder direkt über das Original …

Doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder, denn eigentlich hatte sie genug von Männern. Sich zu verabreden, auszugehen, sich auf jemanden einzulassen – das kostete alles viel zu viel Energie, die sie seit ihrer Scheidung vor vier Jahren einfach nicht mehr aufbrachte.

Außerdem hatte sie sich daran gewöhnt, als Single zu leben, und es gefiel ihr gar nicht so schlecht.

Meistens.

Sie nickte Tori aufmunternd zu. „Dann hoff mal gleich mit, dass er nicht der Vater eines Problemschülers ist, sonst wird es nicht sehr spaßig.“

Ihre rotblonde Freundin zog die Nase kraus, als sie zurücklächelte. Ihre Sommersprossen und das kurze, stufig geschnittene Haar ließen sie jünger wirken als dreißig, und sie war immer topmodisch gekleidet. Man sah ihr sofort an, dass sie aus der Großstadt Denver hierher gezogen war. „Ich trenne strikt zwischen Arbeit und Vergnügen. Nur ansehen, nicht anfassen. Jedenfalls, wenn dieses Bild von einem Mann nicht direkt zu mir ins Büro marschiert und mir die Hand schütteln will.“

„Na, dann mal los …“, begann Allaire, unterbrach sich aber, als der Mann sich umdrehte.

Es war, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt und sofort gemerkt, als sie näherkam. Aber so war es zwischen ihnen immer schon gewesen.

Wie Zwillinge, dachte Allaire, als der Mann sie anlächelte. „D. J.?“, flüsterte sie.

Lässig kam er auf sie zu.

„Wer ist D. J.?“, fragte Tori.

Gute Frage, dachte Allaire. Wer war Dalton James Traub? Sie hatte immer gedacht, sie wüsste die Antwort – als sie noch zusammen auf der Highschool und beste Freunde waren. Und auch später, als er bei ihrer Hochzeit mit seinem älteren Bruder Dax ihr Treuzeuge gewesen war.

Nach kurzem Zögern antwortete sie: „Ein Freund von mir. Einer, den ich sehr, sehr lange nicht gesehen habe.“

„Dann lass ich euch jetzt allein“, sagte Tori sofort. „Ich muss sowieso noch einen Stapel Aufsätze benoten. Ich kann es kaum abwarten, mir die ganzen Stilblüten zu notieren. Das wird ein unterhaltsamer Nachmittag.“

Allaire hatte gerade noch Zeit zu nicken, bevor ihre Freundin zu ihrem Kleinwagen eilte und sie mit D. J. allein ließ.

Nicht nur, dass sie ihn ewig nicht gesehen hatte – sie hatten auch seit zehn Jahren nicht mehr miteinander geredet. Nach der Highschool hatte er sich für ein College an der Ostküste entschieden und war aus Thunder Canyon weggezogen. Nur zu Allaires Hochzeit war er kurz zu Besuch gekommen, aber da gab es kaum Gelegenheit, ein paar persönliche Worte zu wechseln.

Nach dem College hatte er Thunder Canyon endgültig verlassen und war nur ein einziges Mal zurückgekehrt – vor fünf Jahren, zur Beerdigung seines Vaters. Das war kurz vor ihrer Scheidung von Dax gewesen. Aber auch bei diesem Anlass hatte Allaire ihn nur in der Kirche gesehen, und er war sofort danach wieder abgereist.

Dass D. J. ihr so offensichtlich aus dem Weg ging, verletzte sie, und so hatte sie nie Kontakt zu ihm aufgenommen. Insgeheim hatte sie immer gedacht, dass er für Dax Partei ergriff und ihr die Schuld am Scheitern ihrer Ehe gab, obwohl sich die beiden Brüder sonst nicht sehr nahestanden. Aber Blut war nun mal dicker als Wasser. Sie hatte sich nie bei ihm gemeldet, denn eine offene Zurückweisung von ihm hätte ihr zu wehgetan.

Als er jetzt auf sie zukam, wurde er immer langsamer, und auch seine Selbstsicherheit schien mit jedem Schritt zu schwinden.

War er wegen ihrer Scheidung befangen? Oder lag es daran, dass er – genau wie sie – nicht wusste, wie sie sich nach all den Jahren begrüßen sollten?

Je näher er kam, desto schneller schlug ihr Herz. Das war neu, und sie hatte keine Ahnung, warum sie plötzlich so auf ihn reagierte. Vielleicht war sie ja einfach nur nervös? Schließlich fiel es ihr nicht leicht, auf Menschen zuzugehen. Nachdem sie so jung geheiratet hatte, war sie ganz in der Ehe aufgegangen und hatte keine neuen Freundschaften geschlossen. Und wenn Tori sich nicht immer wieder um sie bemüht hätte, wären sie sicherlich auch nicht so schnell Freundinnen geworden.

Als D. J. vor ihr stehen blieb, sah sie sofort, dass seine Augen so wunderbar schokoladenbraun waren wie früher, dass seine Wangen sich bei Kälte immer noch röteten, und dass sein widerspenstiges dunkles Haar nach wie vor jedem Kamm widerstand.

Trotzdem war irgendetwas anders an ihm. Entscheidend anders. Er wirkte erwachsener, sein Gesicht war schmaler und hatte ausgeprägtere Züge – hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn mit Grübchen.

Schon wieder spürte sie ihren aufgeregten Herzschlag.

„Dachte ich mir doch, dass du es bist“, sagte er. Auch seine Stimme klang tiefer und männlicher als früher. War ihr das entgangen, als sie sich bei der Beerdigung kurz begrüßt hatten?

Sein Tonfall rief ein wohliges Kribbeln in ihr hervor, das Allaire aber sofort im Keim erstickte. D. J. war der Bruder ihres Exmannes – da lief ja wohl gar nichts.

„Du bist also wieder in der Stadt.“ Na toll, etwas Schlaueres fiel ihr wohl nicht ein? Jeder hier wusste, dass Grant Clifton, der Manager des Thunder Canyon Resorts, D. J. angeboten hatte, eines seiner berühmten Steakhäuser in der luxuriösen Hotelanlage zu eröffnen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, D. J. ausgerechnet auf dem Schulparkplatz über den Weg zu laufen. Bestimmt hatte er doch jede Menge zu tun?

„Ich dachte, ich könnte mich hier mal wieder blicken lassen“, erwiderte er. „Und diesmal etwas länger als beim letzten Mal.“

Ihre Blicke trafen sich. Nach einer Weile, als sie es nicht mehr aushielt, sah Allaire schnell weg und drückte ihre Bücher fester an die Brust. Den Ausdruck in D. J.s Augen konnte sie nicht deuten. Er hatte eine Intensität, die ihr durch und durch ging. War das schon immer so gewesen?

Doch dann reichte D. J. ihr die Hand, als wären sie nur Bekannte. Die Geste wirkte viel weniger intim als der Blickkontakt. Hatte sie sich alles nur eingebildet?

Sie schüttelte seine Hand, fragte sich aber gleichzeitig, warum sie sich zur Begrüßung nicht einfach umarmten wie früher. Doch eigentlich kannte sie die Antwort schon. In all den Jahren und über die große Entfernung war die früher so selbstverständliche Vertrautheit zwischen ihnen wohl verloren gegangen.

Seine Hand war groß und rau, obwohl er eigentlich nicht körperlich arbeiten musste. Er hatte mit seiner Steakhauskette Rib Shack ein Vermögen verdient und verbrachte wahrscheinlich mehr Zeit am Schreibtisch als in der Küche.

Ein erfolgreicher Geschäftsmann also – ihr D. J., der Musterschüler, der damals zu schüchtern gewesen war, um ein Mädchen zum Abschlussball einzuladen. Daran sieht man schon, wie sehr sich die Dinge geändert haben, dachte Allaire.

Doch als er ihre Hand weiter festhielt und sie die Wärme spürte, breitete sich das Kribbeln erneut in ihr aus. Nicht nur ihre Finger schienen plötzlich zu glühen, sondern auch andere Körperregionen, an die sie schon lange keinen Gedanken mehr verschwendet hatte.

Völlig überrascht von ihrer Reaktion beschloss sie, sich wie die patente Siebenundzwanzigjährige zu benehmen, die alle Leute in der Stadt so schätzten. Obwohl sie sich selbst kaum noch an das fröhliche und optimistische Mädchen erinnerte, das sie mal gewesen war, bemühte sie sich doch ständig, diese Rolle für die Welt zu spielen.

„Dalton James Traub“, sagte sie, um unverfänglichen Smalltalk bemüht. „Was führt dich zu unserer hoch angesehenen Schule?“

D. J. hob eine Augenbraue, als ob er ihren plötzlichen Stimmungswandel durchschaute. „Am besten komme ich gleich zur Sache.“

„Tut mir leid, es ist nur, dass ich einfach nicht damit gerechnet habe … Ich dachte, du wärst im Resort drüben und hättest alle Hände voll mit dem Umbau zu tun.“

„Du musst doch gewusst haben, dass wir uns sehen, wenn ich zurückkomme.“

„Ehrlich gesagt war ich nicht sicher, dass ich dich jemals wiedersehe.“

Auf einmal wirkte er schuldbewusst, und an seinem Kiefer zuckte ein Muskel. Doch jetzt fing die Schulband mit einem besonders lauten Stück an, und man verstand sein eigenes Wort nicht mehr. D. J. machte eine Kopfbewegung in Richtung Park und nahm Allaire die Bücher ab.

Aus alter Gewohnheit fiel sie mit ihm in Gleichschritt, und auch er schien nicht vergessen zu haben, dass er neben ihr kleinere Schritte machen musste, weil sie ihm gerade mal bis zur Schulter reichte.

Sie gingen einen Hügel hinunter, hinter dem die Musik nur noch leise zu hören war. Eigentlich hätte D. J. jetzt auf ihre vorige Bemerkung reagieren können, doch er schwieg. Schon früher hatte er ihr immer aufmerksam zugehört und wunderbare philosophische Diskussionen mit ihr geführt, doch persönliche Dinge hatte er auch damals immer vor ihr verborgen gehalten.

Wie jetzt.

„Ich bin hier, um dich um einen Gefallen zu bitten“, sagte er schließlich. „Oder anders ausgedrückt, ich möchte dir ein Angebot machen.“

Da war es schon wieder, dieses Kribbeln, das sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete und Schmetterlinge in ihrem Bauch zum Flattern brachte. Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust, um diese Gefühle zu unterdrücken.

„Ein Angebot?“ Sie warf D. J. einen Seitenblick zu. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, warum er sich all die Jahre nie bei ihr gemeldet hatte. Andererseits kannte sie ihn gut genug – irgendwann würde er auf dieses Thema zu sprechen kommen. Wenn er überhaupt je darüber reden wollte. Jedenfalls brachte es gar nichts, ihn mit Vorhaltungen unter Druck zu setzen. Außerdem war es viel zu schön, ihn wieder in der Nähe zu haben.

Jetzt wirkte er wieder selbstbewusst, und er lächelte in sich hinein. „Es geht um Folgendes: Ich habe die Kulissen gesehen, die du für dieses Dinner-Theater gemalt hast – wie heißt die Show doch gleich?“

„Thunder Canyon Cowboys.“

Allaire wurde rot, als sie an die Touristen-Attraktion dachte, die gleich zu Beginn des Goldrausches Premiere gehabt hatte. Wie so viele Dinge, die sich in Thunder Canyon geändert hatten, seit hier in einer verlassenen Mine Gold entdeckt worden war, gab es auch zu dieser harmlosen Dinner-Show geteilte Meinungen. Die Touristen strömten nach wie vor herbei, und das Stück lief schon seit Jahren erfolgreich, aber es war kitschig und albern.

„Hast du sie gesehen?“, fragte sie verlegen.

„Ich habe mal reingeschaut.“ Sein Lächeln verriet ihr, dass er nicht lange geblieben war. „Und dabei habe ich erfahren, dass du die Kulissen gemalt hast, die definitiv das Beste an der ganzen Show sind. Wirklich beeindruckend, Allaire. Aber das wusste ich ja vorher schon.“

Jetzt war sie tatsächlich ein bisschen stolz. Sie hatte an den Kulissen hart gearbeitet. In letzter Zeit fiel es ihr schwer, so viel Zeit und Mühe in ein künstlerisches Projekt zu stecken. Früher, als sie noch Träume gehabt hatte, war das einfacher gewesen.

„Und darum geht es bei meinem Angebot“, fuhr D. J. fort. „Ich habe mich gefragt, ob du ein Wandbild für das Rib Shack malen würdest.“

Überrascht blieb sie stehen – aber nicht wegen seines Angebots, sondern weil er trotz ihrer gescheiterten Ehe mit seinem Bruder immer noch mit ihr zu tun haben wollte. Sollte er sich nicht von ihr fernhalten, wo sie es doch nicht geschafft hatte, Dax glücklich zu machen?

„Natürlich würde ich dich gut dafür bezahlen“, fügte er hinzu. „Und mir ist auch klar, dass du es nur in deiner Freizeit machen könntest.“

„Ich …“ Allaire fehlten die Worte. Während sie noch nach einer Antwort suchte, joggte das Footballteam vorbei. Die Spieler grüßten sie im Laufen, und sie sah, wie einige ihr zuzwinkerten, als sie D. J. neben ihr bemerkten.

Verlegen wandte sie sich ab. Die Reaktion der Footballer zeigte ihr nur zu deutlich, wie man über sie reden würde, weil sie hier mit einem Mann im Park stand. Schon jetzt gab es wegen ihrer gescheiterten Ehe reichlich Klatsch über sie. Was für eine Schande die Scheidung für sie gewesen war. Und dass man ausgerechnet von ihr mehr erwartet hatte.

Auf keinen Fall durfte sie für noch mehr Klatsch sorgen, indem sie sich mit dem Bruder ihres Exmannes einließ. Sonst würden alle Leute sofort sagen, dass sie es jetzt mit dem zweiten Traub versuchte, nachdem sie schon den Bruder unglücklich gemacht hatte.

Sie konnte es förmlich hören: Das Mädchen lässt einfach nicht locker. Es muss wohl unbedingt ein Traub sein …

Natürlich war ihr klar, dass D. J. ihr nur einen Job anbot, aber darum ging es ja gar nicht. Sie wollte den Klatschmäulern erst gar keinen Anlass bieten, die Gerüchteküche anzuheizen. Ihr Leben verlief in letzter Zeit angenehm und friedlich; warum sollte sie das aufs Spiel setzen?

„Ich kann dein Angebot leider nicht annehmen“, antwortete sie, obwohl es ihr einen Stich versetzte. „Danke, dass du an mich gedacht hast, aber du musst wohl jemand anderen finden.“

Als sie sah, wie D. J. daraufhin die Schultern hängen ließ, hätte sie ihm gern erklärt, warum. Schließlich war er jahrelang ihr bester Freund gewesen. Aber sie fand einfach nicht die richtigen Worte.

D. J. fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Verdammt, er hatte so gehofft, dass das Wiedersehen mit Allaire anders verlaufen würde. Sein halbes Leben lang war er vor seiner unerfüllten Liebe zu ihr geflüchtet – und er hatte wirklich geglaubt, jetzt endlich über sie hinweg zu sein.

Doch als er Allaire auf dem Parkplatz gesehen hatte, schien die Zeit stehen geblieben zu sein … Seine große Liebe war noch immer so schön. Das lange Haar hatte sie zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt, in dem zwei kleine Pinsel steckten. Wie damals war sie schlank, auch wenn sie ihre Figur jetzt unter einer langen, bunten Strickjacke versteckte, zu der sie einen schwarzen Rollkragenpullover, dunklen Rock und Stiefel trug. Und wie früher nahmen ihm ihre tiefblauen Augen und ihr heller Teint den Atem.

Sie sah aus, wie er sie in Erinnerung hatte – nur dass ihr Blick nicht mehr so strahlend war. Und er wusste auch, warum. Sein verdammter Bruder hatte sie verletzt.

Natürlich ahnte Allaire nicht, wie sehr D. J. seinen Bruder verachtete – für die Scheidung und für alles, was dazu geführt hatte.

Er und Allaire waren befreundet, seit sie in der Grundschule eine Klasse übersprungen und sich zu Beginn des neuen Schuljahres neben ihn gesetzt hatte. Seitdem waren sie unzertrennlich gewesen, und er hatte sich jedes Jahr mehr in sie verliebt.

Doch er ließ sich nie etwas anmerken – denn schließlich war sie seine beste Freundin, und diese Freundschaft wollte er auf keinen Fall aufs Spiel setzen, falls sie seine Liebe zurückwies.

Und dann bemerkte Dax, der in die Klasse über ihnen ging, was für ein wundervolles Mädchen sie war. Und bevor D. J. es richtig mitbekam, wickelte Dax sie mit seinem Charme ein, und es war zu spät, ihr seine Gefühle zu gestehen.

Die beiden wurden das Traumpaar der Schule. Nur D. J. stand immer in Bereitschaft, um für Allaire da zu sein, wenn der notorische Frauenheld Dax ihr das Herz brach und sie wegen einer anderen sitzen ließ. Doch erstaunlicherweise blieben die beiden zusammen und verlobten sich sogar, als Dax mit der Schule fertig war.

D. J. war am Boden zerstört, und er dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen. Doch dann bat Allaire ihn, bei der Hochzeit mit Dax ihr Trauzeuge zu sein.

Normalerweise hätte er ihr nie etwas abgeschlagen, aber das war zu viel verlangt. Er versuchte, sich mit einer taktvollen Ausrede aus der Affäre zu ziehen, doch Allaire ließ nicht locker. Schließlich gab er nach – was hätte er auch sonst tun sollen? Und noch immer schaffte er es nicht, ihr seine Gefühle zu gestehen. Während der Trauung lächelte er stoisch und spielte den glücklichen Schwager. Sofort danach fuhr er zurück nach Atlanta aufs College. Dort versuchte er, sein gebrochenes Herz zu kurieren und sich ein Leben aufzubauen, in dem sein Bruder und seine Schwägerin nicht vorkamen.

Zuerst stellte er sich immer noch vor, dass er für Allaire da sein und sie trösten würde, wenn sein Bruder sie fallen ließ, und rechnete damit, dann endgültig nach Hause zurückzukehren. Doch die Ehe hatte erstaunlicherweise recht lange gehalten – und damit war sein Traum von einem Leben in Thunder Canyon endgültig vorbei.

Also war D. J. in Atlanta geblieben und hatte seinen Abschluss gemacht. Um sich etwas dazuzuverdienen, hatte er in einem Steakrestaurant gearbeitet. Dort war er auf die Idee gekommen, eine neue Barbecue-Soße zu kreieren. Und nun, sechs Jahre später, besaß er bereits seine eigene Restaurant-Kette.

Jetzt war er zurückgekehrt, besser gestellt und selbstbewusster als damals. Und doch, wie die erneute Zurückweisung von Allaire bewies, noch immer nicht gut genug.

Aber du hast dich ja auch nicht mir ihr getroffen, um sie zurückzugewinnen, du Idiot. Du wolltest, dass sie die Wände im Rib Shack bemalt. Also nimm ihre Ablehnung nicht persönlich.

Als ihm klar wurde, dass Allaire immer noch vor ihm stand und ihn fragend ansah, weil er so lange schwieg, setzte er schnell ein Lächeln auf. „Schade, dass du es nicht machen kannst. Du warst meine erste Wahl.“

Und das, seit ich denken kann.

Sie malte mit der Schuhspitze kleine Kreise ins Gras. „Ich möchte schon, es ist nur, dass …“ Seufzend sah sie ihm in die Augen.

„Handelt es sich um Dax?“, fragte er sanft und versuchte, sich den Ärger über seinen älteren Bruder nicht anmerken zu lassen. „Du fragst dich, was er dazu sagen würde?“

„Es geht nicht darum, was er sagt, sondern darum, dass ich … dass wir … Es könnte merkwürdig wirken, wenn wir beide viel Zeit miteinander verbringen, wo ich doch mit Dax kaum noch rede.“

Dass zwischen Allaire und Dax Funkstille herrschte, hatten seine alten Freunde Grant, Marshall, Mitchell und Russ ihm auch schon erzählt. Seltsam, dass Menschen sich einfach ignorierten, wenn es zwischen ihnen nicht mehr gut lief – ganz gleich, ob sie mal ein Paar oder Freunde gewesen waren.

„Ich sehe ihn manchmal im Supermarkt oder auf der Straße“, fuhr Allaire fort. „Er ist nicht mehr der Alte, D. J., und ich will es nicht noch schlimmer machen.“

Die Ironie blieb D. J. nicht verborgen: Während er selbst in Atlanta als erfolgreicher Geschäftsmann das Selbstvertrauen gewonnen hatte, das ihm immer gefehlt hatte, schien es für Dax genau umgekehrt gelaufen zu sein.

Doch darüber konnte er sich nicht freuen. Schon früher hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt, dass er Dax um sein gutes Aussehen und sein Charisma beneidete. „Ich kann verstehen, dass du Rücksicht auf Dax nehmen willst“, sagte er.

„Ehrlich?“

„Natürlich. Du hattest immer schon ein Gespür dafür, wie andere Menschen sich fühlen. Aber Dax kann gut auf sich selbst aufpassen. Ich glaube nicht, dass er sich ständig fragt, wie du darüber denkst, was er tut.“

Als sich ihr Blick verdüsterte, hätte D. J. sich am liebsten geohrfeigt. Er hatte nicht gemeint, dass Dax keinen Gedanken mehr an sie verschwendete. Niemand konnte Allaire einfach so vergessen. „Ich wollte damit sagen, dass er wahrscheinlich versucht, sein eigenes Leben zu leben“, verbesserte er sich hastig.

Sie lachte kurz auf. „Du brauchst nichts zu beschönigen. Er ist über mich hinweg – und ich über ihn. Ich hätte der Scheidung niemals zugestimmt, wenn ich ihn noch so lieben würde, wie es sich für eine Ehefrau gehört.“

D. J. atmete erleichtert auf. Lieber Himmel, er sollte besser aufhören, sich über solche Dinge Gedanken zu machen.

Vorsichtshalber steckte er seine freie Hand in die Manteltasche. Er hätte so gern Allaires Wange gestreichelt oder ihr die Haarsträhne hinters Ohr gestrichen, die im Wind flatterte. Verdammt, das bedeutete wohl, dass er immer noch etwas für sie empfand. Und nach wie vor hatte sie nicht die leiseste Ahnung.

Wollte er das alles wirklich noch einmal durchmachen? War er nach Thunder Canyon zurückgekehrt, nur um wieder der gute Freund zu werden, der niemandem auf die Füße trat und sich nie das nahm, was er wirklich wollte?

Natürlich nicht. Jetzt war er schließlich ein erfolgreicher Geschäftsmann. Und in wenigen Augenblicken würde er sich auch wieder so fühlen.

Als er weiter schwieg, lächelte Allaire ihn an, und all seine guten Vorsätze lösten sich in Luft auf. Verdammt.

„Ich habe dich wirklich vermisst“, gestand sie. „Dich und unsere endlosen Gespräche. Und dass wir stundenlang einfach so nebeneinander sitzen konnten, ohne zu reden. Du hast mir gefehlt.“

„Du hast mir auch gefehlt.“

Die Untertreibung des Jahrhunderts.

Ihr Lächeln vertiefte sich. „Na ja, wenn ich schon nicht stundenlang bei dir im Restaurant sein kann, hättest du dann vielleicht Lust, mich nach dem Tag der offenen Tür morgen in der Schule abzuholen? Ich will doch wissen, wie es dir in all den Jahren ergangen ist.“

Ein unverfängliches Treffen, dachte er. Wie nett.

„Am liebsten würde ich dich gleich heute sehen, aber ich muss vor der nächsten Vorstellung noch ein paar Stellen in den Kulissen vom Dinner-Theater ausbessern und danach dringend Arbeiten korrigieren. Aber passt dir morgen?“

„Ich hole dich ab“, versprach er. Wie früher konnte er ihr einfach nichts abschlagen.

Wie es sich eben für einen besten Freund gehörte.

Auf dem Weg zum Parkplatz sprachen sie darüber, wie es Allaires Eltern ging, wie sich Thunder Canyon durch den Goldrausch verändert hatte und über ihre Arbeit.

Und die ganze Zeit über ärgerte sich D. J. darüber, dass er sich so völlig selbstverständlich wieder in seine alte Rolle als stiller – und heimlicher – Verehrer einfand. Zwischen ihm und Allaire hatte sich nichts geändert.

Er brachte sie zu ihrem Wagen und stieg dann in seinen eigenen. Doch als er in den Rückspiegel blickte, besserte sich seine Stimmung etwas. Allaire stand noch immer neben ihrem Auto und sah in seine Richtung. Und was sich dabei auf ihrem Gesicht spiegelte, hatte er noch nie an ihr gesehen – ein nachdenkliches, sinnliches Lächeln, das man als weibliches Interesse interpretieren konnte.

Gab es vielleicht doch noch Hoffnung?

2. KAPITEL

„Es war so … merkwürdig“, erzählte Allaire, während sie einige abgeplatzte Stellen an den Kulissen ausbesserte.

Tori war es mit ihren Aufsätzen zu langweilig geworden, und sie hatte sich zu ihrer Freundin in den noch leeren Theaterraum gesellt. „Was meinst du mit merkwürdig?“, hakte sie nach.

„Na ja, ich kann es noch gar nicht so richtig einordnen“, erklärte Allaire, trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk kritisch. „D. J. war so anders als früher. Und trotzdem hat er sich kaum verändert. Verstehst du, was ich meine?“

„Nein.“

Allaire drehte sich zu Tori um, die an einem der runden Tische saß und ein Sandwich aß.

Doch bevor sie etwas sagen konnte, schüttelte ihre Freundin seufzend den Kopf. „Allaire, Allaire …“

„Was denn?“

Ungläubig hob Tori die Hände. „Ich kann es einfach nicht begreifen. Hast du wirklich nicht gemerkt, was da heute Nachmittag lief? Liebe Güte. Dabei habe ich mich extra so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht, als ich mitbekam, wie es zwischen euch knistert. Das war doch eindeutig.“

Allaire wurde klar, dass dies ein entscheidender Moment in ihrem Leben war: Entweder hörte sie Tori weiter zu – und bekam wahrscheinlich zu hören, was sie selbst schon wusste, aber nicht zugeben wollte – oder sie malte einfach weiter und tat so, als wäre sie damit zufrieden, wie die letzten Jahre ihres Lebens verlaufen waren. „Eindeutig?“, fragte sie.

„Ihr seid doch keine Kinder mehr. Und das wisst ihr beide auch – aber es kommt euch undenkbar vor … oder was weiß ich. Jedenfalls seid ihr nicht mehr das füreinander, was ihr früher mal wart, aber ihr habt Angst davor, euch mit anderen Augen zu sehen.“

Das stimmte nicht ganz. Allaire hatte auf dem Parkplatz sehr wohl gemerkt, wie breit D. J.s Schultern und wie kantig und ausdrucksstark seine Züge geworden waren. Und wie erfahren er wirkte.

Allein der Gedanke ließ es in ihrem Magen wieder kribbeln, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Was würden die Leute denken, wenn sie wüssten, dass sie sich in D. J. verguckt hatte? Ein Traub war wohl nicht genug? 

Und außerdem konnte sie geradezu hören, was ihre ältere Schwester Arianna dazu zu sagen hätte: „Wozu die Mühe? Die Liebe endet sowieso immer, ganz gleich, wie vielversprechend sie anfängt.“

Und am allerschlimmsten war der Gedanke an ihre Eltern. Mit dem Kleinstadt-Tratsch wurden sie schon fertig, aber Allaire hatte immer das Gefühl, ihnen vom Gesicht abzulesen, was sie dachten: Was war nur schiefgelaufen bei ihrer kleinen Tochter, auf die sie immer so stolz gewesen waren? In der Schule hatte sie geglänzt, aber eine glückliche Ehe brachte sie nicht zustande. Und obwohl sie nie ein Wort sagten, wusste Allaire doch ganz genau, wie enttäuscht sie von ihr waren.

Autor

Crystal Green
<p>Crystal Green – oder bürgerlich Chris Marie Green – wurde in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Doch sie blieb nicht lange: Sie zog zunächst nach Südkalifornien, von dort nach Kentucky und wieder zurück nach Kalifornien. Die Reisezeit vertrieb sie sich, indem sie Gedichte und Kurzgeschichten über die ultimativen Superhelden Supermann und Indiana...
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