Wenn die Christrose erblüht

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Nach einem Skandal flieht Rose über die Feiertage nach Yorkshire. Aber auch hier findet sie keine Ruhe: Sir Miles, der die unschicklichen Gerüchte über sie kennt, umwirbt sie. Hat er sich verliebt - oder glaubt er, Rose hätte nichts zu verlieren?


  • Erscheinungstag 21.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759872
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Nein! Unmöglich! Sie musste sich irren! Sie konnte doch nicht diesen langen Weg nach Morton Castle im nördlichsten Yorkshire auf sich genommen haben, nur um diesen Menschen, diesen Sir Miles Heyward, ihren Todfeind, nun in den Salon eintreten zu sehen. Hier bei ihrer Cousine Isabel hatte sie die Weihnachtszeit in seliger Anonymität verbringen wollen!

Miss Rose Charlton, bekannt für ihre stoisch-gelassene Haltung, verlor beinahe ihre Selbstbeherrschung ob dieses unerwarteten und unwillkommenen Anblicks. Um die Sache noch ärger zu machen, hatte der Mann sich wie stets vollkommen in der Hand und schaute ihr, die Brauen leicht erhoben, direkt ins Gesicht.

Wenn sie so bestürzt war, ihm zu begegnen, konnte es möglich sein, dass es ihn ebenso erstaunte, hier auf sie zu treffen, als ob sie ihn erwartete? Wichtiger war, würde er ihr Dinge sagen, die ihren zerbrechlichen Seelenfrieden zerschmetterten? Denn Frieden hatte sie, fern der Londoner Gesellschaft mit ihrem bösartigen Klatsch, hier in Isabel Mortons Heim zu finden gehofft. Rose erinnerte sich nur zu gut an das Gespräch mit Isabel, kurz bevor sie zum Dinner hinuntergegangen war. Und an deren unglückliche Miene während der Unterredung …

„Meine liebe Rose“, hatte Isabel so behutsam wie möglich begonnen, „zwar war ich persönlich sehr froh, dich zum Fest einzuladen, musste mich jedoch dafür meinem Gemahl widersetzen. Er sucht ja London gar nicht mehr auf und weiß daher nicht viel über den ton und seine Skandale. Nur erhielt er unglücklicherweise unmittelbar nach meinem Schreiben an dich einen Brief von seinem Freund Lord Sheffield, der ihm neben diversem anderen Klatsch auch erzählte, dass das letzte Gerücht dich betrifft und jene elende Geschichte bezüglich Lord Attercliffes. Mein Eindruck war ja, dass das Ganze vertuscht wurde und seit Jahren schon vergessen sei. In der Tat weiß ich selbst nichts Genaues darüber, da dein Vater und der meine damals die öffentliche Verbreitung der Angelegenheit mit Erfolg verhinderten.“ Sie holte tief Luft und fuhr fort: „Anthony befahl mir auf der Stelle, die Einladung an dich zurückzuziehen, doch ich weigerte mich dieses Mal, ihm zu gehorchen. Immerhin bist du meine Cousine, und du warst damals noch sehr jung. Du warst meine beste Freundin, bevor dein Vater starb und du dich aufs Land verkrochst. Mir war bekannt, dass du dieses Jahr die Saison in London verbrachtest – weswegen der Skandal vermutlich wieder aufgerührt wurde. Ich versicherte Anthony, dass du ganz schuldlos bist, und schließlich erklärte er sich bereit, dich zu empfangen. Allerdings vertraue ich darauf, dass du dich hier bei uns eines Betragens befleißigst, das ihm keine Gelegenheit gibt … nun, ich brauche wohl nicht mehr zu sagen.“

Isabel war sich unangenehm bewusst, dass es ihr trotz ihres festen Entschlusses nicht besonders gut gelungen war, Rose nicht allzu sehr zu kränken.

Rose wiederum mühte sich sehr, ihre kühle Haltung zu wahren, die ihr in den Jahren, die seit dem Tod ihres Vaters verstrichen waren, zur zweiten Natur geworden war.

Sie antwortete so gemessen, wie es ihr möglich war. „Angesichts dieser Lage wirst du es mir nicht übelnehmen, wenn ich mich morgen, so früh es nur geht, auf den Heimweg mache.“

Isabel war entsetzt. „Ach, du darfst mich nicht Anthonys erneutem Lamentieren aussetzen. Sein dauerndes ‚Hab ich’s nicht gesagt‘! Unter uns, er ist ein wahrer Brummbär geworden. Du musst einfach bleiben. Beweise ihm mit deinem besten Betragen, dass er endlich einmal unrecht hat.“

Rose hatte nicht bemerkt, dass Isabels Ehe nicht mehr ganz glücklich war. In ihren nur unregelmäßig eintreffenden Briefen klang es nämlich stets so, als ob sie und ihr Ehegemahl das glücklichste Paar der Welt wären.

„Wenn du darauf bestehst“, sagte sie zögernd. „Lieber jedoch würde ich abreisen, denn ich möchte auf keinen Fall zwischen dir und deinem Gemahl stehen. Noch möchte ich den einen oder anderen Gast in Verlegenheit bringen, der von den Gerüchten gehört haben könnte.“

„Da wird nichts passieren, sie sind alle hier aus der Gegend, ländlicher Adel, der keinen Bezug zum haut ton hat. Nein, verlass dich darauf, alles ist gut, und du wirst ein fröhliches Fest weit weg von der Londoner Gerüchteküche genießen. Anthony wird sich bald beruhigen, und du kannst dich leichten Herzens in das muntere weihnachtliche Treiben stürzen.“

Rose dachte, dass sie möglicherweise nie wieder leichtherzig sein würde, behielt die Bemerkung allerdings für sich. Stattdessen versuchte sie, ihre trüben Ahnungen zu unterdrücken. Letztendlich hatte Isabel vielleicht recht. Yorkshire und London lagen weit voneinander entfernt, und es wäre nicht nett, Isabels Freundlichkeit trotzig abzulehnen. Sie würde sich bemühen, die Weihnachtszeit gebührend zu genießen und die unglückselige Vergangenheit zu vergessen.

Früher am gleichen Tag hatte Sir Miles Heyward in einer Poststation an der Straße von London nach York ein ziemlich miserables Mahl eingenommen. Er war auf dem Weg nach Morton Castle, das am Rande Yorks lag, und fragte sich immer noch, warum er zugesagt hatte, das Weihnachtsfest bei einem Freund zu verbringen, den er seit ihren Universitätstagen in Oxford nicht mehr gesehen hatte. Damals, nach ihrem Abschluss, waren sie gemeinsam nach London gegangen und hatten sich dort eine Weile recht königlich amüsiert.

Jedoch war Anthonys Vater, noch jung, gestorben, und Anthony hatte sich daraufhin heimbegeben in den Norden, um die Leitung des Familienbesitzes zu übernehmen, und war weder in den Süden des Landes noch nach London je wieder zurückgekommen. Er hatte früh geheiratet, und obwohl er ursprünglich davon gesprochen hatte, im Parlament eine Rolle spielen zu wollen, war er nun zufrieden mit seinem Dasein als adeliger Gutsherr. Anfang des Jahres erhielt Miles einen Brief von ihm, in dem er sich nach einem anderen alten Freund erkundigte und sich in Erinnerungen an frühere, heiterere Tage erging.

„Wie ich hörte, hat deine Mutter erneut geheiratet“, schrieb er, „und lebt nun in der Nähe von Selby. Falls du ihr in diesem Jahr keinen Weihnachtsbesuch abstattest, frage ich mich, ob du vielleicht Lust hättest, nach Morton Castle zu kommen; dann könnten wir ein wenig über die alten Zeiten plaudern – so langsam vermisse ich sie.“

Miles hatte den Brief beiseitegelegt, um ihn später, mit mehr Zeit, zu beantworten und die Einladung abzulehnen. Denn kurz vor Weihnachten würde er, wie geplant, die Honorable Emily Sansome heiraten und dann die Flitterwochen in Brighton verbringen.

Leider fand die Hochzeit nicht statt. Seine Emily hatte einen reicheren, bedeutenderen Zukünftigen gefunden, und nach einem ihm aufgezwungenen Streit über eine Nichtigkeit hatte sie den Verlobungsring zurückgegeben, mit der Begründung, dass sie nicht zueinander passten. Großzügig nahm er offiziell die Schuld für den Bruch des Verlöbnisses auf sich, und Emilys Vermählung mit ihrem Marquis stand kurz darauf in der Morning Post und fand zwei Tage nach dem Datum statt, an dem er – Miles – sich mit ihr hatte verbinden wollen.

Nach reiflicher Überlegung betrachtete er es als Segen, dass sie ihm den Laufpass gegeben hatte – anders konnte man es nicht nennen – denn es stellte sich heraus, dass sie ihren neuen Bräutigam schon insgeheim getroffen hatte, bevor sie jenen Streit vom Zaun brach, der das Verlöbnis beendete. Dennoch fühlte Miles sich ob ihrer rücksichtslosen Zurückweisung erniedrigt.

Frauen waren allesamt leichtfertig, war seine grimmige Schlussfolgerung – alle hechelten der günstigsten Gelegenheit nach, und wenn sie kam, mochte alles und jeder zum Teufel gehen. Unversehens erschien ihm ein Besuch bei Anthony Morton im fernen Norden Englands recht verlockend. Dort wäre er den mitleidigen Blicken der Londoner nicht mehr ausgesetzt, mit denen er letztlich bedacht worden war.

Außerdem langweilte ihn das Stadtleben so langsam, und er bedauerte es, keinen Landbesitz, sondern nur ein großes Vermögen ererbt zu haben und ein prächtiges Stadtpalais. Er war als noch sehr junger Mann in die Armee eingetreten und hatte unter Wellington im Krieg auf der iberischen Halbinsel gedient. Nach einer schweren Verwundung im Kampf um Salamanca war er gerade eben rechtzeitig genesen, um an der Schlacht um Waterloo teilzunehmen.

Nach Waterloo kam seine militärische Karriere zum Ende, und damit fehlte ihm eine Beschäftigung, was ihn nach und nach bekümmerte, denn seine Arbeit war sein Leben gewesen – besonders, nachdem er in Wellingtons Kommandostab aufgenommen worden war.

Kürzlich hatte er den Entschluss gefasst, ein Landgut zu erwerben und es selbst zu leiten. Er hatte beschlossen, Mr Coke aus Norfolk und dem Duke of Bedford nachzueifern, die beide ihre Ländereien persönlich geführt hatten, anstatt es Angestellten zu überlassen. Ein alter Freund, der im Agrarministerium arbeitete, hatte ihm eine Liste von Büchern und Schriften über Ackerbau und Viehzucht und die Verwaltung von Landgütern zusammengestellt. Das Studium dieser Werke führte dazu, dass sich sein Interesse insbesondere auf die Verbesserung der Zucht von Vieh und Feldfrüchten richtete, und so hatte er kürzlich einen Makler beauftragt, ihm einen passenden Besitz zu suchen, vorzugsweise in der Mitte oder im Süden Englands.

Als er die Sache mit Emily erneut überdachte, wurde ihm jäh klar, dass höchstwahrscheinlich sein ständiges Reden über diese seine Träume, aufs Land zu ziehen, der Auslöser dafür gewesen war, ihn zu verlassen. Sie war ein Stadtkind, hatte fürs Landleben nichts übrig und hatte nur schmollend seinen begeisterten Ausführungen über die Reize des bäuerlichen Lebens und der Viehzucht gelauscht.

Zum ersten Mal gestand er sich auch ein, dass sie, so hübsch und lebhaft er sie gefunden hatte, doch nicht die Art Frau war, die er sich im Grunde als Gefährtin wünschte. Aber seine Mutter hatte ihn wegen seines Junggesellenstands getadelt, und vielleicht hatte er deshalb um Emily angehalten, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie genauer kennenzulernen.

Seufzend legte Miles das Besteck ab. Nun, da er auf dem Weg nach York war, kam ihm die Aussicht, Weihnachten unter wildfremden Menschen zu verbringen, nicht mehr ganz so verlockend vor. Er erhob sich und schickte nach Blagg, seinem Kammerdiener. Es wurde Zeit aufzubrechen, wenn er noch vor Einbruch der Dunkelheit Morton Castle erreichen wollte. Er musste durch einen unsicheren Landstrich, wo aufrührerische Arbeiter und mittellose ehemalige Soldaten das Moor durchstreiften und einsame Reisende als ihre rechtmäßige Beute betrachteten. Es wäre ein Fehler, sich von der Nacht überraschen zu lassen.

Immerhin war es durchaus möglich, dass sich unter den Gästen im Schloss eine attraktive junge Dame befand, die einem Mann nicht abgeneigt war, dessen Ehrgeiz darin gipfelte, ein Landwirt in großem Stil zu werden. Ob dieser unwahrscheinlichen Vorstellung lachte er leise und murmelte abermals in sich hinein: „Leichtfertig, alle, wie sie da sind …“ Bis das Schloss in Sicht kam, verbrachte er die Zeit damit, die Papiere bezüglich infrage kommender Güter durchzusehen, die ihm der Makler geschickt hatte.

Zumindest würde er, spät wie er eintraf, nicht mehr lange aufs Dinner warten müssen.

Nach ihrem bedauerlichen Gespräch mit Isabel fand Rose sich in Morton Castles Salon inmitten einer Gruppe von Leuten wieder, die ihr unbekannt waren, und die, ihren gleichgültigen Mienen nach zu urteilen, auch sie nicht zu kennen schienen. Nun, dass der Name Rose Charlton ihnen nichts sagte, erleichterte Rose doch erheblich. Sie alle ergingen sich in dem lebhaften Klatsch über diverse Angehörige ländlicher Familien aus der Umgebung Yorks und Harrogates, alles nähere Bekannte und die meisten in irgendeinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu ihnen.

Zu Rose jedoch waren sie absolut höflich, nachdem sie als Isabels Cousine vorgestellt worden war, was immerhin zwei ältere Damen veranlasste, ihre Lorgnetten zu heben und sie eingehend zu mustern.

„Vermutlich ist dies Ihr erster Besuch in Yorkshire, Miss Charlton“, stellte die eine fest.

„In der Tat, ich muss gestehen, dass ich mich zum ersten Mal über Nottingham hinausgewagt habe – ich hätte nicht gedacht, dass die Landschaft hier von so wilder Schönheit ist.“

Diese durchaus der Wahrheit entsprechende Schmeichelei schien die Zuhörer zu freuen und setzte eine Debatte über die vielfältigen Ausprägungen landschaftlicher Schönheit in Gang. So sank Rose beruhigt in ihrem Sessel zurück, als sie einen billigenden Blick von Isabel auffing, die sie zuvor während Anthonys Willkommensansprache ängstlich im Auge behalten hatte.

Also war sie ganz inkognito, und wie sie hier so saß, ruhig und von der Wärme des prächtigen Raumes eingehüllt, fühlte sie sich so glücklich wie seit vielen Monaten nicht mehr. Leider sollte das nicht lange währen. Eine der Damen, müde der gelehrten Konversation über Capability Brown, Landschaftsarchitektur und der künstlerisch richtigen Platzierung von Bäumen, sagte affektiert: „Also, ich finde, die Natur sollte selbst entscheiden, wo ein Baum seine Wurzeln schlägt. Sagen Sie mir doch lieber, weiß jemand, ob Lord Attercliffe nach Yorkshire zurückgekehrt ist und sich in Cliffe House niederlassen will?“

Attercliffes Namen zu hören, störte Roses Wohlbehagen erheblich. Und es führte sofort dazu, dass die gesamte Gesellschaft sich lebhaft über ihn und seine vielen Skandale ausließ, in die er als junger Mann verstrickt gewesen war, wenn es auch in letzter Zeit ein wenig ruhiger um ihn geworden war.

Ein großer, energisch wirkender Mann beim Kamin, der sich bis dahin vertraulich mit Anthony Morton unterhalten hatte, meinte sardonisch auflachend: „Man sagt, er hält nach einer Ehefrau Ausschau, bevorzugt eine mit ansehnlichem Vermögen.“

„Soll er nur“, bemerkte eine dunkle Schöne, die Rose nicht aus den Augen ließ, „doch ich bezweifle, dass er eine findet. Er hat einer Braut nichts zu bieten außer seinem schlechten Ruf, einem heruntergekommenen Gut und dem drohenden Bankrott.“

„Aber sein Titel könnte zählen, wenn ein ambitionierter Bürgerlicher, um seine fade Tochter in den Adelsstand zu erheben, willens wäre, den Mann zu kaufen“, wandte der boshafte Mann ein, dessen Name Rose entfallen war. Er wandte sich an sie. „Ich meine, Anthony hätte mir erzählt, dass Sie kürzlich in London waren, Miss Charlton. Wie ist denn sein Ruf dort?“

Zum ersten Mal richteten sämtliche Anwesenden ihre Blicke auf Rose, worauf sie gut hätte verzichten können. Trotzdem gelang ihr ein klägliches Lächeln. „Schlecht, muss ich zugeben, wenn ich auch nichts Genaues weiß.“

„Natürlich“, spöttelte der boshafte Herr, „unpassend für die Ohren einer Dame. Ob ihn wohl irgendwer hier empfangen wird? Und umgekehrt, ob er überhaupt jemanden empfangen will?“

„Ich glaube, Major Scriven“, sagte Anthony zu dem Mann, „dass Cliffe House in schlechtem Zustand ist. Seit ewigen Jahren hat dort kein Attercliffe mehr gelebt.“

Dazu nickten mehrere Köpfe wissend, dann sagte Isabel – Rose dachte, um ihr vielleicht die Pein zu ersparen: „Solange ich denken kann, höre ich verstohlenes Gerede über Attercliffes Missetaten, und meine daher, dass wir abwarten, bis wir sehen, ob das Gerücht stimmt, dass er neuerdings hier unter uns leben will.“ Sie schaute im Raum umher. „Das Dinner sollte jeden Moment angekündigt werden; ich glaube, es sind alle hier, Anthony – außer deinem alten Freund.“

„Der nach einer langen, schwierigen Anreise erst spät eintraf. Aber er sollte jeden Augenblick herunterkommen. Ich möchte ungern ohne ihn beginnen, wenn du so gut sein willst, meine Liebe – er hatte einen ermüdenden Tag.“

Anthony war kaum verstummt, als die Tür aufging und der Butler verkündete: „Sir Miles Heyward, wenn es beliebt, Sir, und das Dinner ist so gut wie bereitet.“

Außer Rose, deren Herz beim bloßen Anblick des Mannes sank, schauten alle den Neuankömmling erwartungsvoll an. Jeder Fremde, ob Mann oder Frau, der in einer so in sich geschlossenen Gesellschaft wie auf Morton Castle eintraf, musste einfach großes Interesse erregen, da er sehr wahrscheinlich Neuigkeiten aus der großen Welt draußen mitbrachte.

Rose allerdings wünschte, sie wäre überall sonst, nur nicht im Salon der Mortons mit Sir Miles, der sie geringschätzig musterte.

Es lief ihr kalt den Rücken hinab, als sie sich an ihre erste und einzige Begegnung mit ihm erinnerte. Nachdem sie damals einander vorgestellt worden waren, hatte sich ein zufälliges Alleinsein mit ihm ergeben, und da hatte er ihr wegen der Art, wie sie mit seinem Freund umgegangen sei, die bittersten Vorwürfe gemacht. Nicht ohne ihr einen äußerst merkwürdigen Blick zugeworfen zu haben, war er dann in steifer Haltung davonstolziert, mit den Worten, dass er ihr nie wieder zu begegnen, noch mit ihr zu sprechen wünsche.

Daher also war Rose schlagartig von Sorgen ergriffen, als sie ihn erblickte. Jede heimlich gehegte Hoffnung, dass der ihr anhaftende Skandal nicht aufgedeckt werden würde, war nun zerschlagen. Denn von all ihren Bekannten aus der Londoner Gesellschaft war Miles Heyward derjenige, der ihrem Gastgeber ihr schlechtes Ansehen bestimmt nicht vorenthalten würde.

Und was würde dann geschehen?

Mit großer Sicherheit würde sie wieder ihre Reisen aufnehmen müssen, auf der verzweifelten Suche nach einem Ort, an dem Miss Rose Charltons angeblich anrüchige Vergangenheit unbekannt bliebe.

2. KAPITEL

Wie Rose erraten hatte, war Miles nicht weniger überrascht. Die letzte Person, der er auf Morton Castle hätte begegnen wollen, war die in eleganter Gelassenheit dasitzende Circe direkt auf dem Sofa der Tür gegenüber, durch die er eingetreten war.

Anhand von Gesicht und Gestalt, die sie der Welt zeigt, kann man unmöglich auch nur erahnen, welch listenreiche Heuchlerin sie ist, dachte er wütend. Aufs Feinste herausgeputzt in einer Art, die keusche Arglosigkeit zu verkünden schien, war sie mit einer hellblau und weißen Musselinrobe bekleidet, ein zarter Maiglöckchenzweig zierte den dezenten Ausschnitt und die Taille. Außer einer zarten Kette mit einer einzelnen Perle um den schwanengleichen Hals trug sie keinen weiteren Schmuck.

Ihre Kleidung war sorgfältig gewählt, um die klassische Schönheit ihres Gesichts zu unterstreichen. Ihr Haar, goldblond und kurz geschnitten, lockte sich sanft und betonte das Blau ihrer Augen, den zarten Porzellanteint und den süß geschwungenen, weichen Mund. Kurz gesagt, sie wirkte wie ein Engel und nicht wie die Sirene, die sie in Wahrheit war.

Autor

Paula Marshall
Als Bibliothekarin hatte Paula Marshall ihr Leben lang mit Büchern zu tun. Doch sie kam erst relativ spät dazu, ihren ersten eigenen Roman zu verfassen, bei dem ihre ausgezeichneten Geschichtskenntnisse ihr sehr hilfreich waren. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie fast die ganze Welt bereist. Ihr großes Hobby ist das...
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