Wenn er mich nur ansieht

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Zuerst findet es Abbie äußerst amüsant, wie ungeniert der smarte Geschäftsmann Jarrett Hunter über sie herzieht. Er ahnt natürlich nicht, dass die schöne Frau, die im Restaurant neben ihm sitzt, genau die Erbschleicherin ist, die er so verachtet. Erst am nächsten Tag, als sich Jarrett bei Abbie einfindet, um über den Verkauf ihrer Hotelkette zu verhandeln, erkennt er seinen Fauxpas. Doch so eiskalt wie Abbie ihn gerne abblitzen lassen möchte, gelingt es ihr nicht: Jarretts erotische Ausstrahlung auf sie ist so gewaltig, dass sie nur in der Flucht ihr Heil sieht. Am nächsten Morgen verlässt Abbie Norwegen, um Jarrett nie wiederzusehen ...


  • Erscheinungstag 03.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759711
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Es ist ja nicht so, dass ich den Vorschlag, euch beim Dinner Gesellschaft zu leisten, nicht zu schätzen wüsste, Stephen“, sagte der Mann gelangweilt. „Ich habe lediglich keine Lust, mich mit einer Fremden zu unterhalten, nur damit die Viererrunde komplett ist. Nach meiner Erfahrung ist jede Frau, die abends allein unterwegs ist, entweder auf der Jagd nach einem reichen Mann oder – noch schlimmer – ein Mauerblümchen!“

Die Frau, der unterstellt wurde, „entweder auf der Jagd nach einem reichen Mann oder – noch schlimmer – ein Mauerblümchen“ zu sein, hatte die Hotelbar erst vor wenigen Sekunden betreten und nach ihren Gastgebern Ausschau gehalten – ihrer Freundin Alison und deren frisch angetrautem Ehemann Stephen –, als sie zufällig die beleidigende Bemerkung des Mannes hörte.

Sie hatte Alison und Stephen entdeckt – sie waren nicht allein. Abbie konnte sie allerdings nicht sehen und war selbst durch eine üppige Grünpflanze, die den eleganten Raum teilte, ihrer Sicht entzogen. In Anbetracht der taktlosen Worte des Mannes war es vielleicht auch besser so.

„Ich finde das ein bisschen stark, Jarrett“, protestierte Alison empört. „Heutzutage können Frauen überall hingehen und alles tun, was ihnen behagt. Und das sogar ohne die männliche Begleitung.“

Nun, zumindest kannte Abbie jetzt seinen Namen. Jarrett … Er sagte ihr nichts.

„Heiraten diese ‚überall-hingehenden‘ Frauen auch?“, erkundigte sich der Jarrett genannte Mann ironisch.

„Natürlich, wenn sie den Wunsch dazu haben – so wie ich“, konterte Alison hitzig. „Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass wir zum Leben nicht unbedingt einen Mann brauchen, so wie unsere Großmütter und vielleicht auch unsere Mütter. Wir machen selbst Karriere, verdienen unser eigenes Geld, und daher ist eine Ehe keine solche Notwendigkeit mehr wie früher …“

Stephens leises Lachen unterbrach sie. „Ich habe das Gefühl, dass man dich absichtlich auf die Palme bringen will, Liebes.“

Der andere Mann lachte ebenfalls. „Du hast mich erwischt. Entschuldige, Alison, das war nicht nett von mir, zumal ihr noch in den Flitterwochen seid. Ich finde es fabelhaft, dass ihr beide geheiratet habt. Es tut mir nur leid, eure Hochzeit verpasst zu haben. Umso mehr freut es mich, dass ich euch hier begegnet bin. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr zum Skilaufen nach Kanada wolltet!“

Auch Abbie hatte die Hochzeit der beiden verpasst, deshalb hatte sie – nach langem Zögern – eingewilligt, den Abend mit ihnen zu verbringen. Dieser Jarrett hingegen hatte das junge Paar offenbar zufällig getroffen.

Hätte Abbie den Verdacht gehabt, ihre Freunde wollten sie mit diesem Mann verkuppeln, hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht, unbemerkt das Hotel verlassen und sich später telefonisch für ihr Ausbleiben entschuldigt. Sie glaubte jedoch nicht an ein Komplott, denn Alison kannte ihre Gefühle in Bezug auf Beziehungen ganz genau. Was Abbie betraf, so existierten sie einfach nicht.

Ehrlicherweise musste sie zugeben, dass Jarretts anfängliche Bemerkung sie gekränkt hatte. Unwillkürlich betrachtete sie sich in einem der hohen Spiegel, die hinter der Bar hingen. Ihre Beine waren lang und wohlgeformt, sie trug ein schwarzes Etuikleid, das ihre makellose Figur betonte und kurz über dem Knie endete. Dazu hatte sie einen dünnen Seidenblazer gewählt, der genau den gleichen violetten Farbton hatte wie ihre Augen und dessen lockerer Schnitt von dem weichen, anschmiegsamen Material ihres Kleides ablenkte. Das lange dunkle Haar hatte sie im Nacken zu einem strengen Chignon zusammengefasst, und auch ihr Make-up verriet äußerste Zurückhaltung.

Sie versuchte, sich mit Jarretts Augen zu sehen, und gelangte zu dem Schluss, dass er sie als kühl und reserviert einschätzen würde – kein „Mauerblümchen“, aber auch keine strahlende Schönheit.

„Nichtsdestotrotz“, fuhr Jarrett lässig fort, „muss ich eure Einladung ablehnen. Eure Freundin hat vielleicht nichts dagegen, den Anstandswauwau zu spielen, Alison, aber ich schon.“

Abbie spürte, wie ihr heiße Röte in die Wangen schoss. Auch sie hatte lange gezögert, als Alison sie gebeten hatte, sich mit ihr und Stephen zu treffen – immerhin befanden die beiden sich noch in den Flitterwochen. Alison hatte jedoch Abbies Einwand, sie wolle nicht stören, ignoriert und sie daran erinnert, dass sie und Stephen vor ihrer Hochzeit vor zwei Wochen bereits ein Jahr zusammengelebt hatten. Der erste Zauber von romantischer Zweisamkeit sei also bereits dahin!

Abbie entfernte sich von der Gruppe hinter der Pflanze ebenso unbemerkt, wie sie sich ihr genähert hatte, und suchte den ans Foyer grenzenden Waschraum auf. Dort entledigte sie sich des Blazers, frischte ihr Make-up nicht nur auf, sondern benutzte nun wesentlich mehr Farbe, und änderte ihre Frisur grundlegend, indem sie alle Nadeln entfernte, die den Chignon zusammengehalten hatten. Das Ergebnis war umwerfend: Eine üppige Mähne schwarzer Zigeunerlocken fiel ihr fast bis zur Taille, die dunkle Fülle betonte ihre hohen Wangenknochen, das intensive Veilchenblau ihrer Augen und die sinnliche Form ihrer Lippen.

Ein Mauerblümchen – pah!

Sie ließ den Blazer in der Garderobe, wo sie zuvor bereits ihren Mantel abgegeben hatte, und durchquerte die Halle mit geschmeidigen Schritten. Nur das herausfordernde Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie die bewundernden Männerblicke überhaupt bemerkte.

Die Reaktion der Männer auf ihr Äußeres sprach für sich selbst; Abbie war auch nicht „auf der Jagd nach einem reichen Mann“ – das bewiesen die glitzernden Diamanten an ihren Ohren und Handgelenken. Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen – zugegeben, es war vielleicht ein bisschen boshaft –, in welche Kategorie Jarrett sie nun einordnen würde.

Diesmal steuerte sie schnurstracks auf den Tisch zu, an dem Alison und Stephen mit dem anderen Mann saßen. Sie lächelte ihre Freundin strahlend an, als Alison aufschaute und sie bemerkte.

„Abbie!“ Alison stand auf und umarmte sie herzlich. „Du siehst toll aus“, erklärte sie bewundernd und zugleich ein wenig erstaunt.

Zusammen mit allen Freunden und Bekannten hatte Alison Abbie in den vergangenen Jahren immer wieder liebevoll vorgeworfen, ihr Aussehen, das einst das Interesse der mächtigsten Männer der Welt erregt hatte, herunterzuspielen. Vergeblich.

„Das stimmt.“ Stephen erhob sich ebenfalls und küsste sie leicht auf die Wange.

Die frisch Vermählten gaben ein schönes Paar ab; Alison war groß und rothaarig, Stephen groß und blond. Abbie kannte die beiden schon seit Jahren und hatte sich in ihrer Gesellschaft stets wohlgefühlt. Allerdings waren sie heute Abend nicht allein …

Sie wandte sich kühl zu dem Mann mit der tiefen Stimme um, dem Mann, den sie nur als „Jarrett“ kannte, und verspürte so etwas wie einen leichten elektrischen Schlag, als sie ihn zum ersten Mal sah. Er war einer der Männer, die man nie vergisst: teuflisch attraktiv!

Da er ungefähr zehn Jahre älter war als sie mit ihren siebenundzwanzig, wies sein Gesicht jene feinen Linien auf, die man nur durch Reife und Lebenserfahrung erwarb. Es waren wahrscheinlich diese Fältchen – und das zynische Funkeln in seinen faszinierenden braunen Augen –, die ihn davor bewahrten, einfach zu schön zu sein.

Als er höflich aufstand, erkannte Abbie, dass er groß und muskulös gebaut war. Das marineblaue Jackett, das hellgraue Hemd und die graue Hose verrieten, dass er nicht ein Gramm Fett zu viel mit sich herumtrug. Sein dunkles Haar war eine Spur zu lang und ringelte sich im Nacken. Sein Gesicht war perfekt geschnitten, das Kinn markant, aber am auffallendsten waren die bernsteinfarbenen Augen. Die Augen eines Tigers …

„Abbie, dies ist ein Freund von mir aus London“, stellte Stephen ihn vor. „Jarrett Hunter.“

Hunter – der Jäger. Das passt zu ihm, entschied Abbie. „Und ich bin Abbie.“ Sie reichte ihm die schmale, ringlose Hand mit den unlackierten, kurz geschnittenen Nägeln.

Er umschloss ihre Finger mit einem warmen, festen Griff, der nicht zu stark und auch nicht zu schlaff war. Daniel hatte immer behauptet, der Händedruck eines Mannes verrate viel über dessen Charakter. Falls das zutraf, war Jarrett Hunter weder schüchtern noch übertrieben freundlich!

„Nur Abbie?“, erkundigte er sich sanft.

„Nur Abbie“, bestätigte sie, bevor Stephen etwas sagen konnte.

„Unter diesem Namen ist sie auf dem Laufsteg berühmt geworden“, erklärte Alison, als alle wieder Platz nahmen.

Abbie saß nun neben ihrer Freundin und Jarrett Hunter ihr gegenüber. Mit neu erwachtem Interesse widmete er ihr seine ganze Aufmerksamkeit. „Sie sind demnach auch Model“, meinte er bewundernd.

„Ich war es“, entgegnete sie ruhig und bestellte ein Mineralwasser beim Kellner.

„Und nun nicht mehr?“, fragte Jarrett erstaunt.

„Nein, nun nicht mehr.“ Während sie sich ihren Freunden zuwandte, spürte sie, dass er sie noch immer prüfend betrachtete.

Er hat einige Probleme, mich in eine Schublade zu tun, dachte sie amüsiert. Solange er geglaubt hatte, sie würde wie Alison noch immer als Model arbeiten, hatte er sie insgeheim mit einem Etikett versehen und eingeordnet. Da sie aber kein Mannequin mehr war, aber dennoch selbstbewusst und halbwegs wohlhabend wirkte, fragte er sich offensichtlich, womit sie sich jetzt beschäftigen mochte. Sie bezweifelte, dass er es je erraten würde!

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr wir uns freuen, dich bei uns zu haben, Abbie.“ Alison tätschelte ihren Arm. „Wir sehen uns viel zu selten“, fügte sie bedauernd hinzu.

Obgleich er scheinbar völlig entspannt und gelangweilt auf seinem Stuhl saß, spürte Abbie, dass Jarrett Hunter interessiert der Unterhaltung lauschte. Offenbar war er ein Mann, der Geheimnisse nicht mochte – und allmählich wurde sie eines für ihn.

„Ich weiß auch nicht, wo die Zeit bleibt“, erwiderte sie reumütig. „An einem Tag bin ich in London, am nächsten in Hongkong, und heute bin ich in Kanada.“

„Sie reisen gern, Abbie?“ Jarrett Hunter betrachtete sie ziemlich geringschätzig. Vielleicht hielt er sie für eine oberflächliche Jetset-Schönheit.

Abbie hielt seinem verächtlichen Blick unbeeindruckt stand. „Eigentlich nicht, Mr. Hunter“, sagte sie ausweichend.

Unverhohlene Ratlosigkeit spiegelte sich in den bernsteinfarbenen Augen wider. „Aber warum …“

„Ich glaube, unser Tisch ist gerichtet“, unterbrach ihn Stephen, als der Kellner sich ihnen erneut näherte. An Jarrett gewandt, sagte er betont unschuldig: „Ich weiß, du sagtest zwar, du seist heute Abend beschäftigt, Jarrett, aber willst du uns wirklich nicht Gesellschaft leisten?“

Ein leichtes Lächeln umspielte Abbies Lippen. Sie hätte wetten mögen, Stephen ahnte, dass sie vorhin die taktlosen Bemerkungen seines Freundes mit angehört hatte. Oder fand er einfach nur Jarretts Reaktion auf die Frau amüsant, die er noch vor wenigen Minuten unwissentlich beleidigt hatte? Wie auch immer, Stephen genoss die Situation maßlos!

„Ich …“

„Sie müssen meinetwegen Ihre Pläne wirklich nicht ändern“, beteuerte Abbie. „Die Zeiten, da eine Frau einen männlichen Begleiter brauchte, um auszugehen, sind längst vorbei. Zum Glück!“

Alison warf ihr einen scharfen Blick zu, bevor sie zum Eingang der Bar hinüberschaute. Als sie die hohe Kübelpflanze bemerkte, trat ein wissender Ausdruck in ihre Augen. Abbie verriet sich jedoch mit keinem Wimpernzucken.

Jarrett Hunter sah sie ebenfalls misstrauisch an, allerdings aus einem völlig anderen Grund. Er bemühte sich noch immer, eine passende Nische für sie zu finden – und scheiterte kläglich. „Eigentlich habe ich heute Abend nichts weiter vor“, verkündete er. „Ich wollte nur nicht …“

„Das ist ganz reizend von Ihnen“, unterbrach Abbie ihn zuckersüß. „Alison und ich haben uns so viel zu erzählen.“

„… dass Alison und Stephen auf ihrer Hochzeitsreise gestört werden“, beendete Jarrett Hunter den Satz mit einem herausfordernden Funkeln in den bernsteinfarbenen Augen.

Er hatte das Blatt geschickt zu seinen Gunsten gewendet und Abbie in die Defensive gedrängt. Aber die Rettung war nah.

Stephen eilte ihr zu Hilfe. „Alison und ich sind jetzt fast zwei Wochen verheiratet und wollen übermorgen ohnehin abreisen. Die Flitterwochen sind also vorbei.“

Besitzergreifend hakte Alison sich bei ihm ein. „Nur dem Namen nach“, warnte sie.

Stephen stöhnte auf. „Hör auf meinen Rat, Jarrett: Heirate niemals eine jüngere Frau!“

Abbie und Alison waren siebenundzwanzig, während die Männer sich den Enddreißigern näherten. In Anbetracht der unübersehbaren Fitness der beiden Freunde war sowohl Abbie als auch Alison klar, dass Stephen nur gescherzt hatte.

Jarrett Hunter hingegen schien die Worte bitterernst zu nehmen. „Ich habe nicht die Absicht, überhaupt jemals zu heiraten“, erklärte er herablassend.

Abbie musterte ihn interessiert. Sie beide hatten also doch etwas gemeinsam. Auch sie wollte nicht heiraten. Allerdings hatte sie ihre Gründe für diese Entscheidung. Unwillkürlich fragte sie sich, was wohl Jarrett Hunter dazu bewogen haben mochte …

Noch während sie darüber nachdachte, fuhr er fort: „Warum soll ich mich für den Rest meines Lebens auf ein köstliches Dessert festlegen, wenn mir doch so viele schmecken?“

Abbies Abneigung gegen ihn – und seine boshafte Ader – wuchs in rasantem Tempo.

„Ich habe festgestellt, dass ich eine Vorliebe für Erdbeertörtchen habe“, erwiderte Stephen mit einem liebevollen Seitenblick auf Alisons rotes Haar.

„Mag sein“, räumte Jarrett gelangweilt ein, „doch als ständige Diät können auch die lästig werden.“

„Sie haben eine Schwäche für Süßigkeiten, Mr. Hunter?“, erkundigte Abbie sich rasch. Sie hatte gemerkt, dass Alison kurz davor war, wegen dieser doppeldeutigen Äußerungen die Beherrschung zu verlieren. Unter den gegebenen Umständen war das nicht weiter verwunderlich.

Jarrett wandte sich ihr zu. „Nicht mehr als jeder andere Mann auch … Abbie.“

Sie bezweifelte nicht eine Sekunde, dass aufgrund seines guten Aussehens zahlreiche Frauen sich trotz seiner arroganten Art zu ihm hingezogen fühlten. „Ist das tatsächlich so? Da ich mir nichts aus Süßigkeiten mache, kann ich das nur schwer nachvollziehen.“ Sie provozierte ihn absichtlich, um seine Attacken von der wesentlich temperamentvolleren Alison abzulenken.

Das rote Haar der Freundin war ein Gradmesser ihres aufbrausenden Wesens, und wenn Jarrett Hunter nicht aufpasste, würde er gleich einen von Alisons denkwürdigen Wutausbrüchen erleben. Und das wäre schade, da das junge Paar bislang so viel Freude an den Flitterwochen gehabt hatte.

Der Blick der goldbraunen Augen glitt aufreizend langsam von Abbies wohlgeformten Beinen über das schmale schwarze Kleid hinauf zu ihrem schönen, von einer dunklen Lockenmähne umrahmten Gesicht. „Sie erstaunen mich, Abbie“, sagte er leise.

„So?“ Sie lächelte kühl.

„Nun ja, vielleicht auch nicht“, meinte er einschränkend. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schokoladeneclairs zwar köstlich aussehen, aber mehr oder weniger nach nichts schmecken.“ Er sah ihr unverwandt in die Augen.

Abbie spürte, wie die Zornesröte ihr in die Wangen stieg. Neben ihr schnappte Alison hörbar nach Luft. Er legte es gezielt darauf an, sie zu beleidigen! Andererseits hatte sie ihn zu diesem Wortwechsel herausgefordert, weil sie die vorhin belauschten Bemerkungen dazu aufgestachelt hatten.

„Zum Glück bleiben mir derartige Enttäuschungen erspart“, verkündete sie betont fröhlich. „Und nun lasst uns essen!“

„Jarrett?“, fragte Stephen, der den verbalen Schlagabtausch amüsiert verfolgt hatte.

Erneut unterzog Jarrett Abbies verführerische Figur einer ausführlichen Musterung, sein Blick verweilte kurz auf ihren schmalen Hüften und den festen Brüsten, bevor er sich wieder ihren ebenmäßigen Gesichtszügen widmete. „Wenn Abbie nichts dagegen hat“, erwiderte er herausfordernd. „Schließlich werde ich ihr ja mehr oder minder aufgezwungen.“

Ein Abend in Jarrett Hunters nervenaufreibender Gesellschaft war das Letzte, was sie sich wünschte. Und da er das genau wusste, hatte er ihr den schwarzen Peter zugeschoben. „Sie sind Alisons und Stephens Gast, nicht meiner“, stellte sie unmissverständlich klar.

„In diesem Fall nehme ich die Einladung natürlich gern an.“

Sie hatte mit dieser Antwort gerechnet und geahnt, dass er der Versuchung nicht würde widerstehen können, mehr über sie herauszufinden. Er hielt sie also nicht länger für ein fades Schokolandeneclair oder ein Mauerblümchen!

„Du hast ihn vorhin reden hören, oder?“, flüsterte Alison ihr zu, als sie Seite an Seiten ins Hotelrestaurant vorausgingen. „Du bist in die Bar gekommen und hast zufällig …“

„Wer, um alles in der Welt, ist er?“, fragte Abbie ebenso leise. „Mir ist noch nie ein so arroganter, unerträglicher, taktloser …“

„Du hast ihn gehört!“ Alison kicherte schadenfroh. „Ist er nicht einfach unglaublich?“ Sie warf einen verstohlenen Blick auf die beiden Männer, die ihnen in einigem Abstand plaudernd folgten.

„Dieser Mann ist ein Dinosaurier!“, erklärte Abbie verächtlich. Sie spürte förmlich seinen Blick in ihrem Rücken. Dank der langen Jahre auf dem Laufsteg besaß sie jedoch das nötige Selbstvertrauen, um nicht zu stolpern.

„Der nichts von der Ehe hält“, ergänzte ihre Freundin fröhlich. „Ihr beide seid verwandte Seelen.“

„Mach dich nicht lächerlich, Alison“, protestierte Abbie empört. „Du hast ihn selbst gehört: Er liebt es, überall herumzunaschen, während ich …“

„… nichts für Süßigkeiten übrig hast“, beendete Alison lächelnd den Satz für sie. „Es war wirklich eine faszinierende Unterhaltung.“

„Als er sich über Stephens Schwäche für Erdbeertörtchen mokiert hat, fandest du das gar nicht lustig“, erinnerte Abbie sie stirnrunzelnd.

„Mir ist auch noch nie zuvor ein solcher Weiberfeind begegnet.“

„Er ist kein Frauenfeind, Alison, er verschlingt die Frauen ja geradezu!“, erklärte Abbie angewidert. „Und was ihm nicht schmeckt, spuckt er wieder aus!“

Alison schaute erneut zu den beiden Männern. „Wenn ich nicht so verliebt in Stephen wäre, könnte ich glattweg in Versuchung geraten, Jarrett zu beweisen, dass er sich irrt.“

„Auf diese Idee sind vor dir schon etliche Hundert andere Frauen gekommen“, erwiderte Abbie. „Das ist sein Trick, Alison. Auf diese Weise kann er von jedem Dessert kosten, weil jede Frau meint, sie könnte ihn länger als nur einen Monat für sich interessieren.“

„Trotzdem musst du zugeben, dass man ihn nur schwer ignorieren kann.“

Insgeheim musste Abbie ihrer Freundin zustimmen, doch laut würde sie das nie sagen. „Dir ist hoffentlich klar, dass ich mir als Entschädigung das teuerste Menü auf der Karte aussuchen werde“, warnte sie trocken. Es ärgerte sie maßlos, dass sie auch nur einen einzigen Gedanken an Jarrett Hunter verschwendete.

„Das ist okay“, versicherte Alison. „Wir wären schließlich nicht hier, wenn du uns diese wundervollen Flitterwochen nicht zur Hochzeit geschenkt hättest. Eine Einladung zum Dinner ist das Mindeste, was wir tun können, um uns zu bedanken.“

Diesem „Dankeschön“ hatte Abbie mit allen nur erdenklichen Ausreden aus dem Weg gehen wollen. Es war reiner Zufall, dass sie sich zum gleichen Zeitpunkt in Kanada aufhielt wie die beiden.

„Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, Alison …“

„Ich glaube, wir sind da, meine Damen“, unterbrach Jarrett Hunter das Gespräch der Freundinnen. Er und Stephen rückten ihnen die Stühle zurecht, nachdem für Jarrett ein viertes Gedeck auf den runden Tisch gelegt worden war.

Abbie saß zwischen Stephen und Jarrett. Das konnte ja nett werden!

Stephen und Alison schienen den Abend allerdings zu genießen. Abbie bemerkte, wie Stephen seiner Frau über den Rand der Menükarte hinweg verschwörerisch zuzwinkerte. Ihr selbst fiel es schwer, sich auf die angebotenen Gerichte zu konzentrieren, denn sie war sich des arroganten Mannes zu ihrer Linken überdeutlich bewusst.

Wer war Jarrett Hunter? Was tat er hier? Er schien nicht zu den Männern zu gehören, die allein verreisten. Eher würde er sich ein paar Wochen lang mit einer etwas eintönigen Diät aus einem einzigen Dessert begnügen, statt gänzlich auf Süßigkeiten verzichten zu müssen.

Nichtsdestotrotz war er offenbar allein hier, denn sonst würde er den Abend mit seiner Partnerin verbringen. Was also wollte er mitten im Januar ohne Begleitung in einem kanadischen Skiort? Ein verstohlener Blick auf seine undurchdringliche Miene zeigte Abbie, dass er nicht die Absicht hatte, dieses Geheimnis zu lüften.

„Was wäre denn nach Ihrem Geschmack, Abbie?“

Der Klang seiner tiefen, sinnlichen Stimme ließ sie zusammenzucken. Bildete sie es sich nur ein, oder hatte da tatsächlich ein anzüglicher Unterton mitgeschwungen? Das spöttische Funkeln in seinen Augen verriet, dass sie sich nicht getäuscht hatte.

Sie klappte die Karte zu. „Ein grüner Salat und danach gegrillter Lachs.“

Verwundert zog er die Brauen hoch. „Ich dachte, Sie wären kein Model mehr.“

„Bin ich auch nicht“, erwiderte sie. „Aber alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.“ Sie betrachtete ihn abschätzend. „Lassen Sie mich raten, was Sie bestellen werden: Austern und anschließend ein T-Bone-Steak. Blutig!“

„Was das Steak betrifft, haben Sie recht. Allerdings bevorzuge ich es medium. Und Austern …“ Er schnitt ein Gesicht. „Ich bin allergisch gegen Schalentiere.“

„Ach ja?“, warf Alison interessiert ein. „Was passiert denn dann mit dir?“

„Achte nicht auf meinen kleinen Plagegeist, Jarrett“, riet Stephen mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln in Richtung seiner Frau. „Wir müssen das wirklich nicht wissen.“

„Du bist überempfindlich, Stephen“, neckte ihn Alison liebevoll. „Er muss nämlich schon fast ins Krankenhaus, wenn er sich beim Rasieren schneidet“, vertraute sie Abbie und Jarrett an.

„Nicht gerade der ideale Geburtshelfer für dich, wenn es soweit ist“, meinte Jarrett.

„Geburtshelfer?“, wiederholte Alison verwirrt. „Aber ich bin doch gar nicht schwanger, Jarrett! Wie, um alles in der Welt, kommst du denn auf die Idee?“ Sie klang gekränkt.

Erstaunt registrierte Abbie, dass Jarrett aufrichtig betroffen wirkte. Und dazu hatte er auch allen Grund. Zynismus war eine Sache, dieses Thema jedoch eine ganz andere!

„Tut mir leid.“ Jarretts Entschuldigung schloss auch Stephen mit ein. „Ich hatte angenommen … Nun ja, mir fiel kein anderer Grund ein, weshalb ihr beide …“

„Sei ein guter Junge, und halt den Mund, Jarrett“, unterbrach Stephen ihn ruhig und drückte besänftigend die Hand seiner Frau. „Ich habe Alison nur deshalb gebeten, mich zu heiraten, weil ich sie liebe und …“

„Sie hat deinen Antrag nur deshalb akzeptiert, weil sie dich liebt“, schloss Abbie lächelnd. „Der bestmögliche Grund für eine Ehe.“ Sie warf Jarrett Hunter einen vernichtenden Blick zu.

Diesen Mann konnte man wirklich keine fünf Minuten sich selbst überlassen! Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch Freunde hatte, die er beleidigen konnte. Zugegeben, sie war selbst ein wenig überrascht gewesen, als Alison und Stephen nach so langem Zusammenleben ihre Heiratspläne bekannt gegeben hatten, aber im Gegensatz zu Jarrett Hunter hatte sie keine voreiligen Schlüsse daraus gezogen.

„Der allerbeste“, bestätigte Jarrett und lächelte Abbie dankbar an. „Um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, Alison – wenn ich Schalentiere esse, schwillt meine Kehle zu, und ich kann nicht mehr atmen.“

„Hast du nicht Lust, ein Dutzend Austern für ihn zu bestellen, Alison?“, erkundigte Abbie sich scherzhaft.

„Besser zwei.“ Alison entspannte sich wieder.

„Wir sollten nicht zu grausam sein“, befand Stephen. „Anderthalb Dutzend dürften reichen.“

„Okay, okay.“ Jarrett hob in komischer Verzweiflung die Hände. „Ich habe mich doch schon dafür entschuldigt, dass ich …“ Er verstummte, als er Abbies warnende Miene sah. „Na ja, jedenfalls habe ich mich entschuldigt. Und nun lasst uns das Essen bestellen – für mich ohne Austern –, und ich verspreche, dass ich mir alle Mühe geben werde, für den Rest des Abends meinen Zynismus zu zügeln.“

Ein ziemlich leichtfertiges Versprechen, dachte Abbie, während sie dem wartenden Kellner ihre Wünsche mitteilten, immerhin hat bislang jede von Jarretts Bemerkungen einen spöttischen oder gar bitteren Unterton gehabt. Nun, es könnte recht interessant werden, ihn dabei zu beobachten, wie er sich bemühte, Wort zu halten.

„Danke für Ihre Hilfe“, flüsterte Jarrett ihr zu, als die beiden frisch Vermählten sich miteinander unterhielten.

Abbie sah ihn kalt an. „Ich habe es nicht getan, um Ihnen zu helfen“, entgegnete sie ebenso leise. „Sie wissen offenbar nicht, dass Alison vor sechs Monaten eine Fehlgeburt erlitten hat. Die beiden waren darüber zutiefst verzweifelt. Und ihre Hochzeit vor zwei Wochen hatte damit überhaupt nichts zu tun, warum auch.“

Jarrett erbleichte. „Sie haben recht. Ich hatte keine Ahnung …“

„Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, wenn Sie Ihren Zynismus mal für einen Abend vergessen“, schlug Abbie vor. Sie wusste, dass sie kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte, denn Alison und Stephen hatten nie ein Geheimnis aus der Fehlgeburt gemacht. Und da dieser Mann die seltene Gabe besaß, genau zum falschen Zeitpunkt das Falsche zu äußern, musste er über die Hintergründe informiert werden, bevor er womöglich noch größeren Schaden anrichtete. „Hat Ihr frauenfeindliches Weltbild schon ein paar Kratzer bekommen?“

Er seufzte. „Ich sagte doch bereits, dass ich mir Mühe geben werde.“

Es würde schon ein bisschen mehr als nur Mühe erforderlich sein, wenn er unter dem Tisch keinen wohlgezielten Tritt mit der Spitze ihrer hohen Absätze abbekommen wollte!

„Ich schlage vor, wir fangen noch einmal ganz von vorne an, Mr. Hunter.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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