Wenn heiße Sehnsucht erwacht

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Vier Wochen auf Nick Bluestones Ranch verändern Elainas Leben. Eigentlich sollte Liebe kein Thema mehr für sie sein, doch seit Nick von Heirat spricht, spürt sie, wie sehr sie sich nach den Zärtlichkeiten eines Mannes sehnt. Aber Nick scheint nur an eine Vernunftehe gedacht zu haben …


  • Erscheinungstag 07.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756444
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nick Bluestone wartete am Flughafen, bemüht, seine Ungeduld zu zügeln. Ihm blieben vier Wochen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, die Mission, die er sich gesetzt hatte.

Mission? Nick runzelte die Stirn. Dies war kein verdeckter Militäreinsatz. Nein, es ging um das Versprechen, das er seinem Bruder gegeben hatte. Der Schwur eines Komantschen.

Seine Gedanken wanderten zu Elaina, der Frau, die er gelobt hatte zu heiraten. Seit dem Sommer, als sie Grant begraben hatten, hatte er sie nicht mehr gesehen, dem Sommer, als sie Nicks Zwillingsbruder betrauert hatten. Und jetzt, zwei Jahre später, hatte sie sich endlich bereit erklärt, ihn über Weihnachten in Oklahoma zu besuchen und seine Nichte mitzubringen.

Ein Weihnachtsbesuch. Doch das war es nicht allein. Elaina wusste natürlich nicht, dass er beabsichtigte, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Wie sollte sie auch? Er hatte sein Versprechen geheim gehalten, sich innerlich auf den richtigen Moment vorbereitet.

Suchend huschte sein Blick über die Menge, die jetzt ins Terminal strömte. Sein Puls beschleunigte sich. Im Grunde kannte er Elaina kaum. Sicher, er mochte sie, doch er hatte sich nie gestattet, zu genau hinzusehen.

Da war sie endlich, groß und wohlgestaltet, mit einer Flut schulterlanger haselnussbrauner Haare – nicht zu übersehen in ihrer Attraktivität.

Selbst in Jeans erinnerte sie ihn an eine Lady, eine echte Lady, die Sorte, an die ein edler Ritter sein Herz verlieren würde. Was Grant wohl zuallererst an ihr fasziniert hatte? Ihre anmutige Schönheit? Ihre sinnliche Ausstrahlung?

Es ist meine Pflicht, die große Liebe meines Bruders zu beschützen, dachte er nervös. Ihr mein Leben zu opfern, meine befleckte Ehre. Sie vor Augen zu sehen, wie sie seine raue Welt betrat, machte diesen Schwur irgendwie realistischer. Intensiver.

Nick richtete die Aufmerksamkeit auf seine zwölfjährige Nichte. Lexie war größer als beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte, aber immer noch zu klein für ihr Alter. Eine tief in die Stirn gezogene Baseballkappe überschattete ihre großen, dunklen Augen. In ihren ausgebeulten Jeans und dem T-Shirt in Übergröße sah sie eher wie ein Junge aus als wie ein Mädchen.

Sie blickte auf, und er lächelte. Ihr Gesicht war schmal und eckig, ihre Haut sehr zart. Oh ja, dachte er. Kein Grund zur Sorge, sie ist ein richtiges Mädchen. Süß, dickköpfig und ziemlich verwirrend. Er trat vor, um sie zu begrüßen, wobei er Elaina aus den Augenwinkeln im Blick behielt. „Hey, Lexie.“

„Onkel Nick.“

Sie streckte die Arme nach ihm aus, und er zog sie an sich. Lexie war sein Patenkind, das kleine Mädchen, das in seinem Herzen wohnte. Sie war alles, was ihm von Grant geblieben war, und er wollte ihr die Geborgenheit geben, die sie verdiente.

Grinsend lüpfte er ihre Baseball-Kappe ein wenig und registrierte das kurze Haar, das im Nacken widerspenstig aufstieß. Anscheinend machte sich Lexie immer noch nichts aus einer schicken Frisur, eine Tatsache, die ihren Vater stets amüsiert hatte. Keine Schleifchen und Spangen für Grants kleine Tochter. Sie fand Baseball-Karten viel interessanter als Barbie-Puppen.

Und dann stand Elaina vor ihm, von der Natur großzügig mit weiblichen Kurven ausgestattet. Sie trug einen champagnerfarbenen Pullover, hautenge Jeans und geschmeidige Wildlederstiefel. Und ihre Augen erst, staunte er. Sie waren so blau wie der strahlendste Lapislazuli.

Elaina Bluestone, „blauer Stein“.

Der Name passte, was ihm seltsamerweise nie zuvor aufgefallen war.

„Hi“, begrüßte Nick sie. „Wie war der Flug?“

„Schön, aber ein bisschen anstrengend.“ Sie begegnete seinem Blick, sah aber sofort wieder weg. „Es gab einen Zwischenstopp in Texas.“

„Yeah. Reisen kann einen ganz schön mitnehmen.“ Sie umarmten einander nicht. Nick nahm ihr das Bordgepäck ab, versuchte, sich so unbefangen wie möglich zu geben. Offensichtlich mochte sie ihm nicht in die Augen schauen. Vermutlich irritierte sie seine Ähnlichkeit mit Grant. „Gehen wir zum Gepäckband.“

Schweigend warteten sie inmitten der anderen Passagiere auf ihre Koffer. Nicks Gedanken schweiften zwei Jahre zurück. Da hatte er Grant in Los Angeles besucht, was selten vorkam. Die Komantschen-Brüder sahen einander zwar zum Verwechseln ähnlich, doch was ihren Lebensstil betraf, so trennten sie Welten. Grant war von zu Hause weggegangen, um in Kalifornien Karriere zu machen, während Nick, von Beruf Sattler, seinen Wurzeln treu blieb.

Um Nicks letzten Abend in der Stadt zu feiern, hatten sie das Dinner in einem Steakhaus eingenommen. Anschließend hatten sie noch in einem Billard-Salon Halt gemacht. Obwohl beide nur ein, zwei Biere getrunken hatten, waren sie ziemlich übermütig aufgelegt und hänselten einander wie zwei halbwüchsige Jungs.

„Wenn du den nächsten Stoß verpatzt“, verkündete Nick, „dann schnappe ich mir deine düsenbetriebene Maschine zu einer Spritztour. Du weißt schon, die, die sich als Auto getarnt hat.“

Grant bedachte ihn mit einem spitzbübischen Lächeln und versenkte die Acht in der Ecktasche. „Da ich deine Fahrkünste kenne, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Kugel zu treffen.“

So war es Grant gewesen, der den Porsche durch die Nacht gesteuert hatte. Grant, der bei dem Überfall niedergeschossen worden war.

Ein wohl bekannter Schmerz durchfuhr Nicks Eingeweide. Immer noch konnte er alles ganz genau vor sich sehen: wie sein sterbender Bruder in seinen Armen lag. Verzweifelt versuchte Nick, die Wunde zu versorgen, zu verhindern, dass der dunkelrote warme Saft des Lebens Grants Körper entströmte.

Insgeheim hatte er gewusst, dass Grant nicht mehr zu helfen war, doch er weigerte sich, einfach aufzugeben. Ohne seinen Bruder konnte er nicht leben. Trotz ihres unterschiedlichen Lebensstils waren sie doch Brüder im Herzen, in der Seele. Es gab Momente, da las der eine die Gedanken des anderen, spürte seine Gefühle.

Und in jener dunklen Sommernacht spürte Nick, wie sein Zwilling von ihm ging. Doch zuvor entrangen sich den blassen Lippen des Sterbenden noch die Worte, die Nick niemals vergessen sollte: „Kümmere dich um meine Familie … auf die althergebrachte Art. Sei der Komantsche, der ich nie war. Unterweise meine Tochter … beschütze meine Frau …“

Die althergebrachte Art. Der letzte Wunsch eines Sterbenden. Die größte Furcht eines Lebenden. Grant hatte Nick aufgefordert, seinen Platz einzunehmen – der Frau und Tochter, die er hinterließ, Ehemann und Vater zu ersetzen.

„Da ist es.“ Elainas Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.

„Was?“

„Unser Gepäck.“

„Oh, natürlich. Zeig mir eure Koffer.“

Er straffte die Schultern, in Gedanken noch immer weit weg. Elaina zu heiraten und Lexie großzuziehen war eine Verantwortung, der er sich zwei Jahre lang entzogen hatte.

Zu gern hätte er gewusst, wie schwer der Weg sein würde, der noch vor ihm lag. Würde Elaina tatsächlich zustimmen, seine Frau zu werden? Und was war mit seiner Mitschuld an Grants Tod? Sie wusste nichts von dem Fehler, der Nick unterlaufen war, dem tödlichen Irrtum, der Grant das Leben gekostet hatte.

Keiner wusste davon. Nicht einmal die Cops, die den Bericht aufgenommen hatten. Die Wahrheit hielt Nick sorgfältig in seinem Herzen verborgen, tagtäglich gemartert durch die entsetzlichsten Schuldgefühle.

Nicks Haus war eines jener malerischen Landhäuser mit riesiger Veranda, einer kiesbestreuten Auffahrt, einem saftig grünen Rasen und hohen, alten Bäumen ringsum. Es lag ein Stück abseits von der Hauptstraße, und die nächsten Nachbarn wohnten weit entfernt.

„Dein Dad und ich sind hier aufgewachsen“, wandte sich Nick an Lexie, als er die Tür aufschloss. „Das alte Haus habe ich allerdings abgerissen und ein neues gebaut.“

Lexie nickte stumm. Nach der spontanen Umarmung am Flughafen hatte sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückgezogen.

Nick trug das Gepäck herein. „Du hast ‚ne Menge Zeug mitgebracht.“

„Vier Wochen Ferien sind ja auch eine lange Zeit“, versetzte Elaina. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen, dachte sie besorgt. Lexie wirkt nicht gerade begeistert.

Grants gewaltsamer Tod hatte Lexie völlig aus der Bahn geworden, und in den vergangenen beiden Jahren war es nicht besser mit ihr geworden, eher im Gegenteil. Zu allem Überfluss war auch noch ihre beste Freundin vor drei Monaten in eine andere Stadt umgezogen und hatte Lexie einsam zurückgelassen. Elaina seufzte. Sie war Grundschullehrerin, besaß also genug Erfahrung im Umgang mit Kindern, und doch konnte sie ihrer eigenen Tochter nicht helfen. Welch eine Ironie des Schicksals!

Sie hatte sich sogar für einige Zeit vom Dienst beurlauben lassen, aber das hatte auch nichts gebracht. Lexie sehnte sich nach ihrem Vater, den sie ihr nicht ersetzen konnte. Das war auch der Grund gewesen, warum sie Nicks Einladung angenommen hatte. Zumindest hatte Lexie ein gewisses Interesse bekundet, ihren Onkel zu besuchen.

Elaina musterte Nick verstohlen. Was für ein Mensch er wohl war? Sie wusste nur wenig über ihn. Irgendwie war er ihr immer ein bisschen verwegen vorgekommen, ein rauer Typ, ungezügelt und temperamentvoll.

Sie hoffte inständig, dass die kommenden vier Wochen nicht eine einzige krampfhafte Suche nach Gesprächsthemen wurde. Wenn Nick sie in L.A. besucht hatte, war es immer Grant gewesen, der seinen Bruder unterhalten hatte. Abgesehen von den Tagen nach Grants Tod, war es das erste Mal, dass Lexie und sie allein mit ihm waren. Immerhin unternahm er den Versuch, ihnen beiden näher zu kommen. Das rechnete sie ihm hoch an. Er hatte sie bereits für die Frühjahrs- und Sommerferien eingeladen, doch da es beide Mal nicht geklappt hatte, war er schließlich auf Weihnachten ausgewichen.

Nick zeigte ihnen ihre Zimmer und dirigierte sie dann ins Wohnzimmer, die Tüte mit den Hamburgern in der Hand, die sie unterwegs gekauft hatten. „Wir können hier essen. Wie ihr seht, bin ich in solchen Dingen nicht besonders pingelig.“

Elaina lächelte gezwungen. Überreste einer Mahlzeit standen auf einem Tablett auf dem Fernseher.

Als sie um den Couchtisch herum versammelt dasaßen und ihre Pommes in große Pfützen Ketchup eintauchten, ließ Elaina den Blick verstohlen durch den Raum schweifen. Die Einrichtung war ziemlich rustikal, ja derb. An der Wand hing ein Ölschinken, der eine Szene aus dem „Wilden Westen“ zeigte. Auf dem robusten Bücherschrank aus Eichenholz thronte ein aus Hirschhorn gefertigter Kerzenständer. In die Ecke gequetscht stand ein Stuhl, dessen Sitz und Lehne aus Rohleder bestanden. Über das Sofa gebreitet lag ein Lammfell, und Kissen im Western-Look luden zum Anlehnen ein. Auf dem Tisch stapelten sich Berge von alten Zeitungen und Magazinen. Elaina überkam das dringende Bedürfnis aufzuräumen. Sie war von Natur aus sehr ordentlich, und diese chaotische Umgebung verursachte ihr Unbehagen.

Das Fenster gab den Blick auf eine harsche Winterlandschaft frei, über die sich die Abenddämmerung senkte.

Zwar waren Grant und Nick beide in dieser ziemlich unwirtlichen Umgebung aufgewachsen, aber nur Nick fühlte sich hier auch zu Hause. Er war Sattler, ein Indianer, der das Leben eines Cowboys führte. Während Grant Designer-Kleidung bevorzugt hatte, sah man Nick nur in ausgeblichenen Wrangler-Jeans. Seltsam, wie zwei Menschen sich derart ähnlich sehen konnten und im tiefsten Inneren doch so völlig verschieden waren! Elaina wünschte, Nick besäße nicht Grants Züge, das gleiche rabenschwarze Haar, die gleichen hohen Wangenknochen, das gleiche energische Kinn. Das rief nur schmerzliche Erinnerungen an ihren Mann wach, den sie auf so brutale Weise verloren hatte.

Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, hierher zu kommen. Lexie würde womöglich darunter leiden, in Nick ständig ein Abbild ihres toten Vaters vor Augen zu haben.

Nick schaltete den Fernseher ein, und Elaina atmete erleichtert auf. Die seichte Unterhaltung der Flimmerkiste würde ihnen helfen, den ersten Abend in dieser fremden Umgebung zusammen mit diesem im Grunde fremden Mann irgendwie zu überstehen. Danach würden sie sich zurückziehen, um auszupacken, und früh zu Bett gehen.

Am nächsten Morgen erwachte Elaina alles andere als ausgeruht. Sie warf einen Blick auf den Wecker und schlüpfte in ihren Morgenrock. Der Tag wirkte grau und düster, was genau zu ihrer Stimmung passte.

Oklahoma. Grant hatte nicht gern hier gelebt. Wie war sie da bloß auf die Idee verfallen, vier Wochen winterlicher Einöde könnten Lexies Depressionen kurieren?

Voller Sorge um ihre Tochter trat sie auf den Flur hinaus und huschte in Lexies Zimmer. Lexie schlief unter einem Knäuel von Decken, das kurze schwarze Haar zerzaust. Sie hatte Grants Haar geerbt: glatt und kräftig mit seidigem Schimmer. Elainas Haar dagegen neigte dazu, kraus zu werden, besonders bei Feuchtigkeit. Wenn sie es nicht jeden Morgen mit Föhn und Rundbürste bändigte, umgab es ihren Kopf wie eine wilde Mähne.

Lexie bewegte sich, und Elaina seufzte. Sollte sie das Mädchen aufwecken oder noch eine Weile schlafen lassen? Zärtlich berührte sie die Wange ihrer Tochter. Sie vermisste die enge Verbundenheit, die einmal zwischen ihnen geherrscht hatte, das Lachen, das ihr Haus erfüllte.

Drei Jugendliche hatten ihre Familie zerstört. Ihre Gier, Grants Porsche in ihren Besitz zu bringen, hatte ausgereicht, um auch vor Mord nicht zurückzuschrecken.

Sie holte tief Luft, doch das schreckliche Bild wollte nicht weichen. Ihr geliebter Mann, tödlich getroffen am Straßenrand. Und was war mit Nick? Nie würde sie seinen Anblick vergessen, als die Polizeibeamten ihn in jener grauenvollen Nacht vor ihrer Haustür abgesetzt hatten. Sein Gesicht war aschfahl gewesen, Blut klebte an seinem Ärmel.

„Mom?“

Elaina hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzufinden. „Hi, Kleines.“

Lexie ordnete ihre Decken. „Wie spät ist es?“

„Sieben Uhr.“

„Fahren wir mit Onkel Nick heute irgendwo hin?“

„Nicht, dass ich wüsste.“ Elaina setzte sich auf die Bettkante. „Vermutlich muss er arbeiten.“ Was bedeutete, dass er den ganzen Tag in der Nähe sein würde. Seine Werkstatt lag hinter dem Haus.

„Dann kann ich also noch weiterschlafen?“

Elaina überlegte kurz. Sie wollten in diesen vier Wochen Ferien machen, einmal so richtig ausspannen. Keine stressige Morgenroutine, kein Abgehetze. Was war also dabei, wenn Lexie noch im Bett bleiben wollte? Vermutlich war sie übermüdet und musste sich erst noch an die Zeitverschiebung gewöhnen. „Ich wecke dich dann später, okay?“

„Okay.“ Lexie schloss die großen braunen Augen.

Ein hübscher kleiner Wildfang, mitten in den Wirren der Pubertät, dachte ihre Mutter zärtlich. Ein harter Kampf, wenn man bedachte, wie sehr sich Lexie sträubte, ein richtiges Mädchen zu werden.

Elaina kehrte in ihr Zimmer zurück und kleidete sich an: Jeans, eine Bluse aus Waschseide, ein Paar Schnürstiefel. Das Haar steckte sie mit einer großen Spange hoch. Begierig auf eine Tasse Kaffee, ging sie in die Küche, bereit, sich mit diesem fremden Haushalt vertraut zu machen. Doch als sie die Küche betrat, fand sie sich zu ihrer Überraschung Nick gegenüber, der am Tresen lehnte. Das schwarze Haar trug er straff aus der Stirn zurückgekämmt. Sein Denim-Hemd und seine Jeans hatten definitiv schon bessere Zeiten gesehen.

Elaina schnappte unwillkürlich nach Luft und zwang sich, sich zusammenzureißen. Es waren seine Haare, realisierte sie, die sie am meisten aus dem Konzept brachten. Nick hatte sie immer lang getragen, doch am Morgen nach Grants Tod hatte er sie abgeschnitten.

Aber warum? Damit er seinem Bruder ähnlicher sah?

Grant hatte ein Image gepflegt, das ihn nicht sofort als Indianer identifizierte. Dazu gehörte auch ein kurzer Haarschnitt. Er wollte, dass die Menschen ihn als die aufstrebende Führungskraft sahen, die er war. Typische Anzeichen, was seine indianische Herkunft betraf, würden ihm bei einer erfolgreichen Karriere nur im Weg stehen, davon war er überzeugt gewesen.

„Guten Morgen.“ Nicks Stimme klang aufregend dunkel und ein wenig heiser. „Hast du gut geschlafen?“

„Ja, danke.“ Im Gegensatz zu Grant pflegte Nick die indianischen Traditionen. So glaubte sie zumindest. Er trug indianischen Silberschmuck an beiden Handgelenken, und sein Gürtel war mit ziselierten Silberplättchen beschlagen. Sein ganzer Aufzug ließ in ihm sofort den Indianer erkennen. Bis auf sein Haar. Die Frisur stammte aus einer anderen Welt, aus Grants Welt.

„Wo ist Lexie?“ wollte er wissen.

„Sie schläft noch.“

„Oh.“ Er runzelte die Stirn. „Ich hab mir überlegt, was ihr wohl zum Frühstück mögt.“

„Ich würde lieber noch auf Lexie warten, aber im Moment will ich sie noch nicht wecken. Iss du ruhig schon, wenn du möchtest.“

„Nein. Ich kann warten.“

Sie bemerkte, dass der Kaffee durchgelaufen war. „Kann ich bitte eine Tasse haben?“

„Gern. Er ist aber ziemlich stark, fürchte ich.“

„Das macht nichts.“ Sie brauchte dringend einen Koffeinstoß, um ihre Lebensgeister zu wecken. Elaina hatte nämlich geschwindelt, was ihre angeblich erholsame Nacht betraf. Statt tief und traumlos zu schlummern, hatte sie sich die ganze Nacht unruhig im Bett hin und her gewälzt. Quälende Schlaflosigkeit war zu einem festen Bestandteil ihrer Witwenschaft geworden.

„Hast du auch Zucker?“

„Ja, aber natürlich.“ Er nahm eine rote Blechdose aus dem Schrank und reichte sie ihr.

Mit einem amüsierten Lächeln rührte Elaina Zucker in ihren tiefschwarzen Kaffee. Das war typisch für einen Junggesellen, keine Zuckerdose auf dem Tisch. Und anders kannte sie ihn nicht, ihren Single-Schwager.

Während sie an der dampfend heißen Flüssigkeit nippte, überlegte sie, ob er wohl inzwischen eine Freundin hatte. Vermutlich nicht. Dann sähe es hier im Haus wahrscheinlich anders aus.

Elaina erinnerte sich an eine Unterhaltung zwischen den beiden Brüdern, die sie wenige Tage vor Grants Tod zufällig mit angehört hatte.

„Also, Bruderherz“, hatte Grant interessiert gefragt, während er es sich in einem schicken italienischen Ledersessel bequem gemacht hatte, „was macht das Liebesleben? Hat‘s endlich eine geschafft, dich an die Angel zu kriegen?“

„Kann ich nicht behaupten.“ Nick, der in der durchgestylten Umgebung ein wenig deplatziert wirkte, kickte die ausgetretenen Stiefel von den Füßen.

„Du begnügst dich also immer noch mit deinen Kalenderschönheiten?“

„Yeah, so bin ich nun mal. Eine Brünette im Mai und eine Rothaarige im Juni.“ Die Brüder zwinkerten einander verschwörerisch zu wie zwei Jungen, die ihr erstes Pornoheft durchblätterten.

Elaina räusperte sich vernehmlich, um die beiden Männer auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Nick war es sichtlich peinlich gewesen, dass sie seine machohafte Bemerkung mitbekommen hatte. Eines war ihr damals klar geworden: Nick war nicht der Typ für eine feste Bindung.

„Elaina?“ riss Nicks Stimme sie aus ihren Gedanken.

Elaina blickte auf und begegnete seinem fragenden Blick. „Ja?“

Er hielt ihren Blick fest. „Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Du könntest mir helfen, die Pferde zu füttern.“

Der intensive Blick aus seinen dunklen Augen ließ ihr Herz schneller schlagen, aber sie zwang sich, ihm standzuhalten. Als Gast in seinem Haus konnte sie Nick schlecht meiden, und es wäre unhöflich, ständig seinem Blick auszuweichen.

„Ob ich wohl eine Jacke brauche?“ fragte sie, entschlossen, ihn zu begleiten.

„Schon möglich. Ich finde es draußen zwar nicht besonders kalt, aber du vielleicht.“ Er bedachte sie mit einem mutwilligen Grinsen. „Du hast dieses kalifornische Blut in den Adern.“

Und sein Lächeln ist zweifellos charmant, wie sie erstaunt feststellte. „Ich hole mir einen Pullover.“ Wenige Minuten später kehrte sie mit einem leichten Kaschmirpullover zurück, den sie sich um die Schultern gelegt hatte.

Die Morgenluft war frisch und klar. In der Ferne ragten die Wipfel majestätischer Berge in den Himmel. Sie ging an an Nicks Werkstatt vorbei auf die Scheune zu. Elaine bemerkte ein eingezäuntes Areal und einen kleinen, kreisförmigen Verschlag. Reiterzubehör, wie sie vermutete. Grant hatte die Landschaft hier immer als trostlos beschrieben, doch Elaine fand sie recht hübsch. Die Erde schimmerte golden, und die Bäume schüttelten ihr rot und gelb gefärbtes Laub ab. Sie konnte sich lebhaft eine dichte Schneedecke vorstellen, genug, um Ferienstimmung aufkommen zu lassen.

„Kannst du reiten?“ fragte Nick.

„Früher hab ich mir in den Hollywood Hills manchmal ein Pferd gemietet, aber das ist schon ewig her.“

„Es fällt mir schwer, mir Hollywood im Zusammenhang mit Natur vorzustellen“, meinte er. „Es ist irgendwie so verrückt dort.“

Elaina musste lachen. Er klang wie ein richtiger Hinterwäldler. Er fiel in ihr Lachen mit ein, ein warmer, freundlicher Bariton. Unwillkürlich streifte er sie an der Schulter, und ihr Herz machte einen Satz. Aus seinem straff zurückgekämmten Haar hatte sich eine Strähne gelöst und fiel ihm in die Stirn.

Plötzlich konnte sie nicht länger an sich halten und stellte die Frage, die sie bereits seit zwei Jahren bewegte. „Warum hast du dir das Haar abgeschnitten, Nick?“ Sie blieb stehen.

Er sah sie einen Moment lang schweigend an. „Wegen Grant“, erwiderte er mit gedämpfter Stimme.

„Um seine Art, die Haare zu tragen, nachzuahmen?“

„Nein. Es ist ein alter Komantschen-Brauch.“ Sein Blick umwölkte sich. „Mein Bruder ist tot. Ich trauere um ihn.“

Elaine fühlte sich beschämt. Darauf hätte sie auch selbst kommen können. Sie hätte es wissen müssen. Hatte sie Ähnliches nicht schon in Filmen gesehen? Indianer verstümmelten sich, wenn ein geliebter Mensch starb – fügten sich Fleischwunden zu, schnitten sich das Haar ab. Sie fragte sich, ob er wohl auch mit dem Messer Hand an sich gelegt hatte. Ob sein Körper Narben aufwies, Zeichen seiner Trauer.

Autor

Sheri White Feather
Sheri WhiteFeather hat schon viele Berufe ausprobiert: Sie war Verkaufsleiterin, Visagistin und Kunsthandwerkerin. All das gibt ihr für ihre Romances Anregungen, aber am meisten wird sie von ihrem Ehemann inspiriert. Er stammt von den Muskogee-Creek-Indianern ab und ist Silberschmied. Er ist sehr tierlieb, so dass in ihrem Haushalt eine ganze...
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