Wenn zart die Liebe erwacht

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Es beginnt als Vernunftehe: Lord Selborne braucht unbedingt eine Frau, um sein Erbe antreten zu können - die schöne Jemima möchte ihrem gewalttätigen Vater entfliehen. Schon in der Hochzeitsnacht spürt er aber, dass sie sich leidenschaftlich zueinander hingezogen fühlen. Wäre da nur nicht diese Testamentsklausel: Wenn er es nicht schafft, enthaltsam zu leben, hat er keinerlei Anspruch auf das Vermögen!


  • Erscheinungstag 18.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754082
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Anwaltskanzlei Churchward & Churchward in High Holborn genoss großes Ansehen. Die Geheimnisse vieler Menschen waren dort gut und sicher aufgehoben. Die Klienten, die überwiegend den besten Kreisen angehörten, schätzten die Diskretion der Rechtsbeistände und zweifelten nicht an der Kompetenz der Mitarbeiter.

Auch der Earl of Selborne, der an einem Augusttag des Jahres 1808 die Büroräume der Sozietät betreten hatte, wusste, dass er dem älteren Mr. Churchward vertrauen konnte. Selborne war gekommen, um eine Erbschaftsangelegenheit zu klären.

Mr. Churchward begrüßte ihn höflich, drückte ihm sein Beileid zum Tod seiner Angehörigen aus und bat ihn, Platz zu nehmen. Dann holte er die Akte, die sowohl das Testament des Vaters als auch das der Großmutter des jungen Gentleman enthielt. „Ist es Ihnen recht, Mylord, wenn wir mit dem letzten Willen des verstorbenen Earl beginnen?“, meinte er, wobei er sein Unbehagen nicht ganz verbergen konnte.

Fünfzehn Minuten später starrte Lord Robert Selborne den Anwalt fassungslos an. Die Stirn hatte er in grimmige Falten gelegt. Sein schmales Gesicht, gebräunt durch den langen Aufenthalt in Spanien, wo der junge Earl gegen Napoleon gekämpft hatte, zeigte einen verwirrten und zugleich verärgerten Ausdruck. Mr. Churchward wiederum wirkte ungewöhnlich blass. Und in diesem Moment hatte er die Lippen fest aufeinander gepresst.

Lord Selborne warf einen Blick auf die Dokumente, die sein Gegenüber vor sich auf den Schreibtisch gelegt hatte, und sagte: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Bedingungen, die mein Vater testamentarisch festgelegt hat, noch einmal erläutern könnten. Ich bin nicht sicher, ob ich alles verstanden habe.“

„Gern, Mylord.“ Mr. Churchward zweifelte nicht daran, dass Robert Selborne jede Einzelheit begriffen hatte. Der junge Earl war mit seinen sechsundzwanzig Jahren kein unerfahrener Mann, und er hatte von jeher über eine rasche Auffassungsgabe verfügt. Die Jahre, die er als Offizier in Indien und Spanien verbracht hatte, hatten ihn zudem schneller reifen lassen als viele seiner in der Heimat gebliebenen Altersgenossen.

„Wenn ich zusammenfassen darf …“, begann der ältere Herr, „… so erben Sie als einziger Sohn des vierzehnten Earl of Selborne den gesamten Landbesitz. Das Barvermögen fällt Ihnen allerdings nur zu, wenn …“

„Ja?“ Die dunklen Augen des neuen Earl spiegelten Resignation wider.

„… wenn Sie heiraten“, beendete Churchward seinen Satz. „Ich zitiere den entsprechenden Passus:

‚Ich wünsche, dass mein Sohn sich eine Braut unter den Hochzeitsgästen seiner Cousine Anne Selborne auswählt und sie innerhalb der vier darauf folgenden Wochen heiratet. Ich erwarte, dass er anschließend sechs Monate lang auf seinem Landsitz Delaval lebt. Wenn er diese Bedingungen nicht erfüllt, so soll mein gesamtes Barvermögen meinem Neffen Ferdinand Selborne zufallen‘.“

„Danke, Mr. Churchward. Ich habe mich also nicht verhört, als Sie diesen Abschnitt zum ersten Mal vorgelesen haben.“

Der Anwalt schenkte Seiner Lordschaft ein kurzes, mitfühlendes Lächeln.

„Meinem Vater ist es also zu guter Letzt doch gelungen, mir seinen Willen aufzuzwingen“, erklärte Selborne und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Er hatte geschworen, einen Weg zu finden, mich gefügig zu machen …“

Mr. Churchward räusperte sich. „So sieht es aus …“

„Er hat mich schon vor Jahren gedrängt, zu heiraten und für einen Erben zu sorgen.“

„Das ist verständlich, Mylord. Schließlich sind Sie der einzige Sohn.“

Der Earl hob die Augenbrauen. „Vermutlich hätte ich mich in seiner Situation ähnlich verhalten.“

„Vermutlich.“

„Möglicherweise hätte ich sogar ein Testament mit ähnlich strikten Anweisungen aufgesetzt.“

Das allerdings mochte der Anwalt nicht recht glauben. Also zuckte er nur mit den Schultern.

„Trotzdem verspüre ich, so respektlos es klingen mag, im Moment den Wunsch, den alten Herrn verfluchen!“

„Eine unter den gegebenen Umständen durchaus begreifliche Reaktion, Mylord.“

Robert Selborne ballte die Hände zu Fäusten. „Dann soll Ferdie das Geld eben bekommen. Ich beabsichtige nicht, nur wegen ein paar Pfund zu heiraten.“

Churchward schwieg einen Moment lang. „Ist Ihnen bewusst, Mylord, dass die Summe, über die wir hier sprechen, sich auf circa dreißigtausend Pfund beläuft?“

Der junge Mann senkte den Blick, und seine grimmige Miene wurde noch etwas finsterer. „Allerdings.“

„Ist Ihnen weiterhin bewusst, dass Delaval, obwohl es ein Anwesen ist, das unter normalen Bedingungen ausreichend Gewinn abwirft, seit jener Grippe-Epidemie, die Ihren Vater und so viele andere dahingerafft hat, sehr vernachlässigt worden ist?“

Der Earl seufzte. „Das war zu erwarten, nicht wahr? Aber ich nehme an, Sie wollen mir zu verstehen geben, dass der Zustand des Gutes noch wesentlich schlechter ist, als ich bisher vermutet habe.“

„Leider, Mylord.“

„Ich bin noch nicht dazu gekommen, Delaval einen Besuch abzustatten.“ Robert erhob sich, trat zum Fenster und starrte auf die Straße hinaus. „Sie sollen wissen, Churchward, dass ich England nicht verlassen habe, weil meine Familie oder der Besitz mir gleichgültig sind.“

Der Anwalt erwiderte nichts darauf. Er kannte den jungen Selborne seit Jahren und hatte nie daran gezweifelt, dass er seine Angehörigen ebenso liebte wie das Gut, auf dem er aufgewachsen war.

„Ich wünschte“, sagte Robert, „ich wäre nicht so lange weg gewesen.“ Obwohl er sehr leise sprach, brachte seine Stimme deutlich zum Ausdruck, was er fühlte.

„Ihr Herr Vater“, erklärte Churchward behutsam, „hat als junger Mann eine große Europareise gemacht. Er war damals drei Jahre lang fort.“

Selborne wandte sich um, und ihre Blicke trafen sich. „Danke.“

Schweigen senkte sich über den Raum. Schließlich nahm Robert seinen Platz vor dem Schreibtisch des Anwalts wieder ein. „Wann genau findet die Hochzeitsfeier meiner Cousine Anne statt?“

„Morgen Vormittag.“ Jetzt war es Churchward, der seufzte. Diese ganze Angelegenheit gefiel ihm nicht. Zu Beginn des Jahres hatte Lord William Selborne ihn rufen lassen, weil er im Sterben lag. Er hatte darauf bestanden, sein altes Testament um diesen ungewöhnlichen Zusatz zu erweitern. Churchward hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass er die Bedingung für unnötig hielt. Doch der todkranke Earl hatte sich nicht umstimmen lassen. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass sein Sohn den Titel erbte, ohne die Verantwortung für Delaval zu übernehmen. Er hatte befürchtet, das Soldatenleben könne Robert mehr bedeuten als der Familienbesitz.

Sobald der Anwalt nach London zurückgekehrt war, hatte er eine dringende Mitteilung an Robert Selborne geschickt, der sich zu jenem Zeitpunkt irgendwo in Spanien aufhielt. Unglücklicherweise hatte der Brief sein Ziel nie erreicht. Einen Monat später hatte Churchward erneut geschrieben, denn es gab traurige Neuigkeiten: Lord William Selborne hatte die Influenza dahingerafft, und seine Gattin sowie seine Mutter waren ebenfalls schwer erkrankt.

Diese Botschaft hatte Robert erhalten. Der junge Mann hatte sofort seinen Abschied genommen und sich auf die Rückreise nach England gemacht. Dennoch vergingen mehrere Wochen, ehe er schließlich in London eintraf. Zu diesem Zeitpunkt waren auch seine Mutter und seine Großmutter schon lange begraben.

Die Nachricht traf Robert Selborne zwar nicht unvorbereitet, aber der Tod so vieler Angehöriger musste trotzdem ein Schock für ihn sein. Zusätzlich erschwert wurde seine Situation durch die Tatsache, dass es in Delaval unendlich viel zu tun gab, wenn man den ehemals blühenden und inzwischen völlig verwahrlosten Besitz wieder in Stand setzen wollte. Das wiederum war nur mit großen, kostenträchtigen Investitionen zu leisten. Und diese konnte der neue Earl nur vornehmen, wenn er über eine Menge Geld verfügte. Das aber würde nur dann der Fall sein, wenn er die Bedingung erfüllte, die sein Vater testamentarisch festgelegt hatte. Denn andernfalls würde das so dringend benötigte Barvermögen Roberts Cousin Ferdie Selborne zufallen.

„Ich muss morgen also eine Braut finden“, stellte der junge Lord fest. Das Lächeln, das um seinen Mund spielte, war bitter. „Vermutlich sollte ich mir Gedanken um meine Garderobe machen und vor allem versuchen, mich daran zu erinnern, wie ein echter Gentleman sich verhält. Ich war so lange im Krieg, dass ich vergessen habe, wie man sich bei den Damen beliebt macht.“ Er schüttelte den Kopf und stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus. „Ich frage mich, welche Frau bereit ist, innerhalb von vier Wochen nach der ersten Begegnung mit ihrem Bräutigam vor den Traualtar zu treten. Papa hat, wie ich fürchte, nicht bedacht, welch umfangreiche Vorbereitungen eine Hochzeit erfordert.“

Der Anwalt atmete auf. „Sie haben sich also entschlossen, den letzten Willen des verstorbenen Earl zu erfüllen?“

„Mir bleibt offenbar keine andere Wahl … Wenn ich Delaval retten will, muss ich tun, was von mir verlangt wird. Sagen Sie, Churchward, haben Sie eine Idee, warum ich mich ausgerechnet mit einer jener Damen vermählen soll, die ich morgen bei meiner Cousine Anne treffen werde?“

„Ich denke, es hat damit zu tun, dass zu der Feier natürlich nur Freunde der Familie eingeladen sind. So kann sichergestellt werden, dass Sie eine passende Frau wählen.“

Robert lachte erneut auf. „Er hätte genauso gut selbst eine Gattin für mich aussuchen können. Bei Jupiter, dies ist schlimmer als eine von den Eltern arrangierte Ehe! Churchward, wünschen Sie mir Glück bei meiner Brautschau!“

„Sie werden nicht viel Glück benötigen, Mylord. Schließlich gelten Sie zu recht als gute Partie.“

„Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln. Drücken Sie mir lieber die Daumen. Ich hoffe, dass Cousine Anne sich für eine lange Gästeliste entschieden hat.“

„Das will ich Ihnen von ganzem Herzen wünschen.“ Der Anwalt war erleichtert, dass diese Angelegenheit so weit geregelt war. Trotzdem begann er unbehaglich mit einer Schreibfeder zu spielen. Schließlich galt es noch, Robert Selborne über die Bestimmungen im Vermächtnis seiner Großmutter zu informieren. Die alte Countess war schon immer etwas exzentrisch gewesen. Und nachdem ihr Gatte vor Jahren bei einem Jagdunfall umgekommen war, hatten manche ihr Verhalten sogar als zunehmend verrückt bezeichnet. „Können wir uns jetzt dem anderen Testament zuwenden, Mylord?“

„Ja, bitte.“

„Sie wissen ja selbst, dass Ihre Großmutter manchmal etwas … unkonventionell war.“

Sofort wurde Robert misstrauisch. „Sie wollen doch damit hoffentlich nicht andeuten, dass auch der letzte Wille der alten Dame eine Bedingung enthält?“

„Ich fürchte, doch …“ Churchward öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und holte eine dünne Akte hervor. „Sie waren darüber informiert, Mylord, dass die Countess Sie als Erben eingesetzt hat?“

„Sie hat es erwähnt, ehe ich England verließ. Ich war mir natürlich darüber im Klaren, dass sie nicht als reich gelten konnte. Der Familienschmuck war meiner Mutter schon bei ihrer Eheschließung zugefallen. Und Großmama besaß keine Ländereien.“

„Das stimmt. Aber bereits in jungen Jahren hatte sie begonnen, kleinere Summen in verschiedene Unternehmungen zu investieren. Sie scheint dabei eine sehr glückliche Hand gehabt zu haben. Jedenfalls hinterlässt Sie Ihnen beinahe vierzigtausend Pfund.“

Robert konnte sein Erstaunen nicht verbergen. „Sagten Sie vierzigtausend Pfund? Unglaublich …“

„Sie war Mitbesitzerin verschiedener Minen. Ein sehr einträgliches Geschäft, Mylord. Aber natürlich keines, über das man in Gesellschaft spricht.“

Robert zuckte die Schultern. „Großmama konnte sehr vornehm tun und manchmal ziemlich arrogant sein. Wer hätte gedacht, dass sie sich insgeheim mit so vulgären Dingen wie Bergbau beschäftigt? Nun, mir ist es völlig gleichgültig, woher das Geld kommt. Ich bin froh, es zu haben, um damit Delaval wieder herrichten zu können.“

„Die Summe wird Ihnen bestimmt helfen. Allerdings …“ Der Anwalt holte tief Luft.

„Allerdings?“, drängte Robert Selborne.

„Es ist eine Bedingung an das Erbe geknüpft.“

„Selbstverständlich“, meinte der junge Earl ironisch. „Selbstverständlich ist eine Bedingung daran geknüpft. Das erwähnten Sie ja vorhin schon. Lassen Sie hören, Churchward!“

Der Anwalt nahm seine Brille ab und begann umständlich, die makellos sauberen Gläser zu putzen. Jede seiner Bewegungen verriet, wie unbehaglich er sich fühlte.

„Churchward?“

„Mylord?“ Noch immer schien der Anwalt nicht gewillt, das Testament zu verlesen.

„Geben Sie mir die Papiere!“, befahl Robert Selborne.

Mit sichtlicher Erleichterung und einem Seufzer reichte ihm sein Gegenüber die Akte.

Der junge Mann begann zu lesen. Bereits nach den ersten Worten runzelte er die Stirn. Er schüttelte den Kopf. Und begann noch einmal von vorne zu lesen.

Churchward wartete ein wenig ängstlich auf den unvermeidlichen Ausbruch.

Doch als der Earl schließlich den Kopf hob, verrieten seine Augen nicht Zorn, sondern Belustigung. „Weiß der Himmel“, rief er aus, „es ist wirklich schade, dass mein Vater und seine Mutter sich nicht abgesprochen haben!“

„Wie wahr!“, stimmte der Anwalt zu.

Robert las das Testament zum dritten Mal. „Korrigieren Sie mich, wenn ich etwas falsch verstanden habe, Churchward“, sagte er dann. „Also: Ich erbe dreißigtausend Pfund von meinem Vater, allerdings nur, wenn ich innerhalb von vier Wochen heirate.“

Der Anwalt nickte.

„Weiterhin erbe ich vierzigtausend Pfund von meiner Großmutter, allerdings unter der Bedingung, dass ich …“

Churchward errötete.

„… hundert Tage lang enthaltsam oder besser gesagt keusch lebe.“

„Richtig, Mylord.“

„Das heißt, dass ich innerhalb eines Monats heiraten muss, um dann weitere zwei Monate das Leben eines Mönchs zu führen.“

„So ist es.“ Das Gesicht des Anwalts wies jetzt eine ungesunde Röte auf. „Sie dürfen, um die Bedingung zu erfüllen, an die das Vermächtnis der Countess geknüpft ist, die Ehe in dieser Zeitspanne nicht vollziehen.“

„Genau! Nur auf diese Art erweise ich mich – ich zitiere:

‚… als würdig, das Erbe anzutreten. Denn Mäßigkeit im privaten Bereich ist meist verbunden mit Mäßigkeit im Umgang mit Geld. Schließlich ist beides auf ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung zurückzuführen. Zwar denke ich, dass es meinem Enkel Robert Selborne nicht an Selbstdisziplin fehlt, doch habe ich leider die Erfahrung machen müssen, dass die jungen Leute heutzutage nur zu oft ihr Vergnügen über alles andere stellen. Deshalb wünsche ich, dass Robert beweist, dass er zu einem vernunftbestimmten Leben in Mäßigung fähig ist‘.“

Robert legte die Papiere auf den Schreibtisch und grinste. „So etwas ist doch nicht zulässig, oder?“

„Leider doch, Mylord. Der letzte Wille Ihrer Großmutter ist in jeder Beziehung rechtskräftig. Sie hat das Testament eigenhändig verfasst und, wie Sie sehen können, sogar dafür gesorgt, dass es von zwei Zeugen unterschrieben wurde. Möglicherweise könnten Sie die Bedingung mit Erfolg anfechten, wenn Sie vor Gericht gingen. Ich möchte Ihnen aber dringend davon abraten. Ein solches Verfahren kostet viel Zeit und Geld. Und von beidem haben Sie nicht genug, wenn Sie Delaval retten wollen. Außerdem“, er errötete wieder, „werden Sie kaum wünschen, dass bekannt wird, was die Countess in ihrem Vermächtnis festgelegt hat.“

„Man würde sich köstlich über die Bedingung amüsieren …“ Robert zuckte die Schultern. „Nun, ich werde mich wohl damit abfinden müssen, einige Monate im Zölibat zu leben. Himmel, wenn Großmama wenigstens nicht auf die Idee verfallen wäre, ebenfalls Ferdie als Erben einzusetzen, wenn ich nicht tue, was sie verlangt! Dabei wäre der Gute nicht einmal in der Lage, zehn Tage lang wie ein Mönch zu leben. Nicht ohne Grund warnen die Mütter ihre heiratsfähigen Töchter vor ihm. Er ist ein Frauenheld der schlimmsten Sorte.“

Dem hatte Churchward nichts hinzuzufügen.

Selborne erhob sich und begann, rastlos im Raum auf und ab zu gehen. „Ich nehme an, es wird Ihre Aufgabe sein, darüber zu wachen, dass die Bedingung auch erfüllt wird? Wie gedenken Sie dabei vorzugehen?“

„Mylord“, der Anwalt schien gekränkt zu sein, „Bitte machen Sie keine Scherze darüber. Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Großmutter sich in dieser Angelegenheit ganz auf Sie und Ihr Gewissen verlassen hat.“

„Natürlich.“ Robert nickte ihm zu. „Bitte verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten sein sollte. Ich bin – wie Sie sich vorstellen können – etwas verwirrt. Meine Zukunft sieht nicht gerade rosig aus, nicht wahr? Erst eine überstürzte Eheschließung und dann eine lange Periode der Enthaltsamkeit!“ Er trat zum Schreibtisch und streckte Churchward die Hand hin. „Ich danke Ihnen für alles, was Sie für mich und meine Familie getan haben.“

Der Anwalt ergriff Selbornes Hand und schüttelte sie kräftig. „Darf ich Ihnen nochmals versichern, dass ich sowohl Ihren Vater als auch Ihre Großmutter gebeten habe, auf die Bedingungen zu verzichten. Leider waren meine Bemühungen vergeblich.“

„Ich zweifle nicht daran, dass Sie alles getan haben, was in Ihrer Macht stand. Auf Wiedersehen, Churchward. Ich werde mich bei Ihnen melden, sobald ich mich in der Lage sehe, die erste der Bedingungen zu erfüllen.“

Miss Jemima Jewell beugte sich nach vorn, umfasste den Metallgriff der schweren Holzkiste und zog sie aus der Ecke in die Mitte des Raums. Dann öffnete sie den Deckel und starrte einen Moment lang, ohne sich zu rühren, auf die Kleidungsstücke, die in der Truhe lagen und einen schwachen Duft nach Lavendel verströmten.

„Was ist?“, fragte ihr Bruder Jack, der es sich auf der Bettkante bequem gemacht hatte.

Jemima holte einen Rock heraus, schüttelte ihn und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf. „Er muss gebügelt werden. Das ist alles.“

„Dann passt er dir also noch? Du bist nicht schon wieder gewachsen?“

Die junge Frau lachte. „Also wirklich, Jack! Manchmal bist du schlimmer als ein kleines Kind. Hast du vergessen, dass ich einundzwanzig bin? Da wächst man nicht mehr.“

„Nun, ich finde, dass der Rock ein bisschen kurz ist. Man wird deine Fußknöchel sehen.“

Mit einem tiefen Seufzer warf Jemima das Kleidungsstück aufs Bett. Sie hasste ihr so genanntes Hochzeitskostüm. Tatsächlich war es nichts anderes als das, was eine Kaminkehrerin am Sonntag anzog, wenn sie sich besonders fein machen wollte: ein schwarzer Rock aus glänzendem Stoff, eine weiße Bluse, die unter einem engen schwarzen Spencerjäckchen mit großen, an Kohlestücke erinnernden Knöpfen getragen wurde, schwarze Seidenstrümpfe und schwarze Escarpins.

Nun ja, eigentlich gab es keine erwachsenen Frauen, die als Schornsteinfegerinnen arbeiteten, nur kleine Mädchen, die – genau wie kleine Jungen – in die rußigen, meist heißen Kamine klettern mussten, um diese zu säubern. Das war eine überaus gefährliche und unangenehme Arbeit. Viele der Kinder starben bei Unfällen oder weil sie krank wurden.

Jemima hatte überlebt. Trotzdem dachte sie verständlicherweise nicht gern an die Zeit zurück, in der sie als Kaminkehrerin hatte arbeiten müssen. Das war einer der Gründe, warum sie ihr Kostüm nicht mochte. Der andere Grund war, dass sie es verabscheute, auf Hochzeiten als Glücksbringerin aufzutreten. Schon als Baby hatten ihre Eltern sie in ein winziges Schornsteinfegerkostüm gesteckt und sie mitgenommen zu Hochzeitsfeiern, wo unzählige Bräute sie geküsst hatten, weil sie glaubten, das würde Glück bringen.

Ihrem Bruder Jack war es nicht anders ergangen. Auch jetzt noch – er war inzwischen dreiundzwanzig und ein attraktiver junger Mann mit dunklen Augen und Locken – leuchtete es in den Mienen der Damen auf, wenn er in seiner Schornsteinfeger-Sonntagskleidung erschien. Sie schämten sich nicht, ihn vor aller Augen zu küssen. Schließlich taten sie es – angeblich – nur, um ihr zukünftiges Glück zu sichern. Jemima allerdings zweifelte nicht daran, dass Jack das eine oder andere unzüchtige Angebot erhalten und angenommen hatte. Offenbar fanden Damen aus den besten Kreisen es sehr reizvoll, sich heimlich mit gut aussehenden Handwerkern einzulassen.

Natürlich hatte auch Jemima eine ganze Reihe solcher Angebote von Gentlemen aller Altersgruppen erhalten. Mit einem charmanten Lächeln und ein paar freundlichen Worten hatte sie sie abgewiesen. Dabei war ihr meist eher danach zu Mute gewesen, die betreffenden Herren zu schlagen und zu treten, und zwar dorthin, wo es wirklich wehtat. Sie hasste es, wie eine käufliche Frau behandelt zu werden.

„Nimmt Vater auch Sooty mit?“, fragte sie ihren Bruder.

„Aber sicher! Du weißt doch, dass die meisten Menschen davon überzeugt sind, dass eine schwarze Katze ihnen Glück bringt.“

„Wie kann man nur so einen Unsinn glauben!“

„Eigentlich solltest du dich über die Dummheit der Leute freuen. Schließlich verdienen wir damit gutes Geld. Und es ist eine viel angenehmere Arbeit, als Schornsteine sauber zu machen.“

Jemima seufzte nur.

„Bei deiner eigenen Hochzeit kannst du ja auf den ganzen Hokuspokus verzichten.“

Einen Moment lang weiteten die Augen der jungen Frau sich vor Angst und Zorn. Gegen ihren Willen war sie vor zwei Jahren verlobt worden. Jim Veale, ihr Bräutigam, war, ebenso wie ihr Vater Alfred Jewell, ein erfolgreicher Schornsteinfeger. Deshalb vertraten die Männer auch die Ansicht, dass es für alle Beteiligten eine vorteilhafte Verbindung sein würde.

„Ich werde nicht heiraten!“

„Papa wird dich dazu zwingen. Also finde dich besser damit ab, dass du Jims Frau wirst. Er ist kein schlechter Kerl.“

Unwillkürlich ballte Jemima die Hände zu Fäusten. Sie trat ans Fenster und starrte, ohne etwas wahrzunehmen, hinaus. Wie sehr wünschte sie, die Welt ändern zu können!

Schließlich sagte sie, ohne sich umzuwenden, zu ihrem Bruder. „Und du wirst Jims Schwester heiraten. Ich hoffe, du wirst glücklich mit Mattie.“

„Bestimmt. Sie ist ein liebes Mädchen. Alle Veales sind irgendwie nett. Und viel gutherziger als zum Beispiel Papa. Bei Jim wirst du keine Hiebe bekommen, da bin ich mir ganz sicher.“

„Papa hat mich glücklicherweise nicht oft geschlagen. Aber ich weiß natürlich, dass ich das dir zu verdanken habe. Du hast mich, wann immer du konntest, vor seinem Zorn beschützt.“

„Ich war älter und kräftiger als du. Ich konnte die Prügel leichter ertragen.“

Jemima wandte sich um und lächelte ihrem Bruder zu. Einen Moment lang herrschte Frieden und Einverständnis zwischen ihnen. Doch dann sagte die junge Frau: „Schade, dass du mir diesmal nicht helfen kannst oder willst …“

Jack hob die Brauen. „Manchmal wünschte ich wirklich, Papa hätte dich nicht auf diese Schule geschickt.“

„Du meinst, dass ich deshalb mehr verlange, als mir auf Grund meiner gesellschaftlichen Stellung zusteht?“

„Ich meine, dass du deshalb unglücklicher bist, als du es ohne diese so genannte Bildung wärest.“

Dem konnte Jemima nicht widersprechen. Seit sie das Mädchenpensionat verlassen hatte, fühlte sie sich nirgends mehr wirklich zugehörig. Gelegentlich kam sie sich vor wie ein eckiger Würfel, der in ein rundes Loch hineingezwungen werden sollte. Ihr tatsächliches Leben und ihre Erwartungen passten nicht mehr zusammen.

Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, war ihr Dasein einfacher gewesen, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, das in die Kamine klettern musste. Sie hatte diese Arbeit gehasst und gefürchtet, aber sie war davon überzeugt gewesen, keine andere Wahl zu haben. Also hatte sie sich mit der Realität abgefunden.

Irgendwann hatte ihr Vater, ein ehrgeiziger und geschäftstüchtiger Mann, genug Geld verdient, um einen Schornsteinfegerburschen einstellen zu können. Daraufhin hatte er seine Tochter auf Mrs. Elizabeth Montagus Schule geschickt. Mrs. Montagu war bekannt für ihre Gelehrsamkeit und ihr soziales Engagement. Eine ihrer Aufgaben hatte sie darin gesehen, die Kinder von Schornsteinfegern und anderen Handwerkern in eigens dazu von ihr gegründeten Schulen zu unterrichten.

Jemima liebte es zu lernen. Sie besaß eine rasche Auffassungsgabe und war zudem so fleißig, dass ihre Begabung auffiel. Mrs. Montagu bot Alfred Jewell an, seine Tochter mit einem Stipendium in das Mädchenpensionat von Strawberry Hill zu schicken. Jewell nahm an. Er war stolz darauf, als einfacher Handwerker eine Tochter zu haben, die gemeinsam mit gesellschaftlich weit höher stehenden Mädchen erzogen wurde.

Es dauerte lange, bis er erkannte, dass sich nicht alles so vorteilhaft gestaltete, wie er angenommen hatte. Irgendwann musste er sich eingestehen, dass er einen Fehler gemacht hatte. Jemima hatte sich auf eine Art verändert, die er nicht verstand und nicht gutheißen konnte. Doch da war es bereits zu spät, um diese Entwicklung aufzuhalten. Seine Tochter hatte gelernt, sich wie eine junge Dame zu benehmen. Aber das würde ihr nicht helfen, sich in das Leben als Gattin eines Schornsteinfegers zu finden. Nur gut, dass Jim Veale trotzdem bereit war, sie zu ehelichen!

All diese Probleme waren auch Jack bewusst. Er erhob sich und trat neben Jemima. Von plötzlichem Mitleid überkommen, schloss er seine Schwester in die Arme. „Ich mag dich sehr, Kleines“, flüsterte er ihr zu.

Einen Moment lang fühlte sie sich unbeschwert und geborgen.

Dann sagte Jack: „Du würdest am liebsten gar nicht heiraten, nicht wahr? Aber was würdest du tun, wenn du nicht für eine Familie sorgen müsstest?“

„Ich würde viel lesen. Ich würde zu Ausstellungen und wissenschaftlichen Vorträgen gehen. Ich würde Klavier spielen und …“

„… und dich bald langweilen.“ Er hatte sie losgelassen und schaute ihr lachend in die Augen. „Du gehörst nicht zu den Menschen, die ein Leben in Müßiggang genießen können.“

„Nun, ich könnte meine musikalische Begabung beruflich nutzen.“

„Unsinn. Als Musikerin aufzutreten ist keine achtbare Tätigkeit.“

„Aber die Gattin eine Schornsteinfegers zu werden ist etwas durch und durch Achtbares?“

„Natürlich. Alle Frauen sollten heiraten.“

„O nein!“ Jemimas Augen leuchteten zornig auf. „Ich finde es gut, dass es Lehrerinnen und Gouvernanten gibt, die …“

„… die wahrscheinlich viel lieber einen Ehemann hätten, der für sie sorgt“, unterbrach ihr Bruder sie.

„Ich jedenfalls möchte keinen Ehemann haben!“

Jack stieß einen tiefen Seufzer aus. „Du weißt, dass du keine Wahl hast, Kleines. Und ich hoffe sehr, dass du bald zur Vernunft kommst. Ich darf mir gar nicht ausmalen, wie Vater reagieren würde, wenn du es wagen solltest, dich seinen Plänen zu widersetzen. Du wirst dich doch nicht weigern, Jim Veale zu heiraten?“

Sie senkte den Kopf. „Nein, ich werde mich nicht weigern.“

Robert Selborne war, wie es seiner Gewohnheit entsprach, früh aufgestanden. Er hatte, während die meisten Mitglieder der guten Gesellschaft noch tief schliefen, einen langen Spaziergang im Park unternommen, um sich innerlich auf das vorzubereiten, was ihn erwartete: die Brautschau auf der Hochzeitsfeier seiner Cousine Anne.

Am Tag zuvor hatte er zum ersten Mal seit seiner Rückkehr von Spanien Kontakt zu seiner Familie aufgenommen. Nach dem Gespräch mit Churchward hatte er Annes Mutter aufgesucht, um ihr mitzuteilen, dass er wieder im Land weilte und sich freuen würde, zu den Hochzeitgästen zu zählen.

Zu seinem heimlichen Entsetzen hatte er erfahren, dass nur eine kleine Feier geplant war. Seine Tante hatte ihm erklärt, dass Anne und ihr Bräutigam auf einer raschen Eheschließung bestanden hätten. „Natürlich müssen wir nun darauf Rücksicht nehmen, dass dein Vater und deine Großmutter erst vor einigen Monaten dahingeschieden sind. Niemand hätte Verständnis dafür, wenn wir während des Trauerjahrs ein großes Fest gäben.“

Tatsächlich fand die Trauung – wie Robert feststellen musste, als er die Kirche betrat – im kleinsten Kreis statt. Die meisten Bänke waren leer. Robert schaute sich mit wachsender Sorge um. Und als gleich darauf sein Cousin Ferdie Selborne sich neben ihm niederließ, fragte er flüsternd: „Das kann doch nicht die ganze Hochzeitsgesellschaft sein?“

„Doch. Mama hat darauf bestanden, nur die engsten Angehörigen einzuladen.“

„Fünfzig Leute etwa?“

„Eher vierzig.“

Robert unterdrückte ein Stöhnen. Von vierzig Gästen mochte etwa die Hälfte weiblich sein, davon vielleicht ein Drittel noch ledig. Sieben junge Damen also, die zur Auswahl standen? Nein, das war falsch, denn bei den Selbornes hatte es stets mehr Söhne als Töchter gegeben. Seine Tante Clarissa beispielsweise hatte fünf Söhne, aber keine einzige Tochter. Andererseits würde es Brautjungfern geben. Man durfte also die Hoffnung noch nicht aufgeben.

Wenig später spürte er, wie Verzweiflung sich in ihm ausbreitete. Drei der Brautjungfern gingen zweifellos noch zur Schule. Die vierte war seine Cousine Augusta Selborne. Alle anderen anwesenden Damen waren, mit einer Ausnahme, längst über das heiratsfähige Alter hinaus. Die Ausnahme bildete Lady Caroline Spencer, die – wie jedermann wusste – eine leichtlebige Frau war. Warum, um Himmels willen, hatte man sie überhaupt eingeladen? Im Allgemeinen blieb sie wegen ihrem schlechten Ruf von allen vornehmen Gesellschaften ausgeschlossen.

Nach der Trauung, die der Pastor mit der gebührenden Feierlichkeit vollzog, schritt das Brautpaar den Gästen voraus zum Ausgang. Robert, der es nicht eilig hatte, die Kirche zu verlassen, trat gerade aus der Tür, als ein hübscher, traditionell gekleideter Schornsteinfeger die frisch gebackene Ehefrau in die Arme schloss und ihr einen herzhaften Kuss gab.

Ich könnte wahrhaftig auch etwas Glück gebrauchen, fuhr es Robert durch den Kopf, aber von einem Mann würde ich mich deshalb wohl doch nicht küssen lassen.

Dann bemerkte er, dass der Schornsteinfeger offenbar seine Gattin mitgebracht hatte. Eine junge Frau in glänzendem schwarzen Rock, weißer Bluse und dunklem Spenzerjäckchen stand am Rand der Menge, die sich um das Brautpaar versammelt hatte. Sie hatte kohlschwarzes Haar sowie eine zierliche und dabei gleichzeitig überaus weibliche Figur. Ihr Rock war ein bisschen kurz und gab den Blick auf ein paar hübsche Fesseln frei. In diesem Moment wandte sie sich um, so dass Robert ihr ovales Gesicht, die großen, weit auseinander stehenden Augen und die überraschend helle Haut sehen konnte.

Ohne sich über seine Beweggründe Rechenschaft abzulegen, machte er sich auf den Weg zu ihr. Als er noch vier oder fünf Schritte von ihr entfernt war, wurde ihm klar, dass sie kleiner war, als er angenommen hatte. Sie reichte ihm kaum bis zur Schulter, und vermutlich hätte er ihre Taille mit seinen Händen umspannen können. Stattdessen steckte er die Finger in die Tasche seines Rocks und holte eine Goldguinee heraus. Er hielt sie der jungen Frau hin. „Ich brauche dringend ein bisschen Glück. Würden Sie diese Münze gegen einen Kuss tauschen?“

Jemima hatte mit einem amüsierten Lächeln beobachtet, wie die Braut strahlte, als Jack sie in die Arme schloss und küsste. Wahrhaftig, das Dummerchen sah aus, als sei es eher in den schmucken Schornsteinfeger verliebt als in den eigenen Ehemann! Nun ja, Jack war wirklich auffallend attraktiv. Kein Wunder, dass es immer wieder Damen aus den besten Kreisen gab, die seine zupackende männliche Art der farblosen Vornehmheit gewisser Gentlemen vorzogen und es genossen, mit ihm zu flirten!

Ein Schauer überlief sie. Und im gleichen Moment wurde ihr klar, dass er nichts mit ihren Überlegungen zu tun hatte. Irgendjemand schaute sie an!

Sie wandte den Kopf und bemerkte einen Gentleman, der ganz und gar nicht zu der farblosen Sorte gehörte. Seine Schultern waren beinahe genauso breit wie die ihres Bruders. Sein gebräuntes Gesicht trug einen entschlossenen Ausdruck, und sein kastanienfarbenes Haar glänzte im Sonnenlicht.

Er kam auf sie zu. Und ihr Herz machte einen Sprung.

Dann stand er auch schon vor ihr. In der Hand hielt er eine Goldguinee. „Ich brauche dringend ein bisschen Glück“, sagte er und hielt ihr das Geldstück hin. „Würden Sie diese Münze gegen einen Kuss tauschen?“

2. KAPITEL

Zu ihrem Entsetzen brachte Jemima kein Wort über die Lippen. Stumm bot sie dem Fremden die Wange zum Kuss. Er jedoch beugte sich lächelnd zu ihr hinab und drückte seine Lippen einen Moment lang fest auf die ihren. Unwillkürlich schloss sie die Augen.

„Ich fürchte, das muss reichen.“ Seine Stimme, angenehm tief und warm, holte sie in die Gegenwart zurück. „Schließlich möchte ich Ihren Gatten nicht verärgern.“

Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr sein Kuss sie erschüttert hatte, sondern erklärte ruhig: „Ich bin mit meinem Bruder Jack hier.“

Das war, wie sie sogleich erfahren sollte, ein Fehler. Der Gentleman nämlich beugte sich erneut zu ihr hinunter und meinte: „Dann steht mir für die Guinee wohl noch etwas mehr zu!“ Und schon küsste er sie noch einmal.

Autor

Nicola Cornick
<p>Nicola Cornick liebt viele Dinge: Ihr Cottage und ihren Garten, ihre zwei kleinen Katzen, ihren Ehemann und das Schreiben. Schon während ihres Studiums hat Geschichte sie interessiert, weshalb sie sich auch in ihren Romanen historischen Themen widmet. Wenn Nicola gerade nicht an einer neuen Buchidee arbeitet, genießt sie es, durch...
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