Wenn zärtliche Wünsche sich erfüllen

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Die erfolgreiche Karrierefrau Isabel kann sich jeden Wunsch erfüllen – nur nicht ihren sehnlichsten: den nach der großen Liebe! Bis sie im romantischen Süden Englands ihre Jugendliebe Will wiedertrifft. Aber er scheint ihre zärtlichen Gefühle nicht zu erwidern...


  • Erscheinungstag 08.02.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787912
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Izzy. Die große Drei mit der Null. Fantastisch!

Izzy rang sich mühsam ein Lächeln ab. Seit Stunden hatte sie bereits über die witzigen Bemerkungen ihrer Kollegen gelacht, sich an dem sündhaft teuren Büfett schadlos gehalten, und jetzt hatte sie endgültig genug. Wenn sie nicht in fünf Minuten gehen könnte, würde sie anfangen zu schreien.

Und zwar ganz laut.

Dies war ihr dreißigster Geburtstag, und sie war auf einer Party. Nicht auf ihrer Party, obwohl sie in gewisser Weise ihr zu Ehren gegeben wurde. Gleichzeitig sollte der Börsengang einer Firma gefeiert werden, die sie vor dem sicheren Untergang bewahrt hatte.

Ja, ich habe es wieder einmal geschafft, dachte Izzy. Sie merkte plötzlich, wie erschöpft sie war. Aber alle anderen amüsierten sich prächtig, und natürlich wollte sie ihnen nicht den Spaß verderben. Schließlich waren es ja ihre Freunde.

Freunde? Sie lachte leise. Außer Kate kannte sie diese Menschen erst seit einem Jahr. Waren es tatsächlich ihre Freunde? Oder waren sie nur wegen ihres Images hier?

Aber wer war sie wirklich? Natürlich wusste Izzy, wie sie von außen gesehen wurde. Das verdankte sie der Boulevardpresse. Die Journalisten erfanden mit Freude immer neue Spitznamen für sie.

Die Frau, die andere auszieht. Der Firmenkiller. „Godzilla“ war der letzte Name, mit dem sie bedacht worden war. Alles nur deshalb, weil sie sich auf ein Terrain begeben hatte, auf das andere sich nicht wagten. Es war nun einmal ihr Beruf, schwächelnden Firmen wieder auf die Beine zu helfen. Doch weil sie eine Frau war und dazu noch sehr jung, hatte ihre Arbeit viel Aufsehen erregt.

Mehr, als sie verdient hatte. Natürlich war sie nicht die Einzige, die diesen Beruf ausübte. Aber nur wenige waren so erfolgreich wie sie. Sie hatte Glück gehabt, sehr viel Glück. Bisher hatte sie sich erst einen einzigen Fehlschlag geleistet. Das war für die Presse natürlich gleich ein gefundenes Fressen gewesen.

Doch der letzte Auftrag war wieder ein voller Erfolg geworden. Izzy wusste, dass sie jetzt eigentlich nicht mehr zu arbeiten brauchte.

Aber natürlich würde sie weiterarbeiten, denn was sollte sie sonst mit ihrem Leben anfangen? Ohne Arbeit wäre es völlig leer.

Unproduktiv.

Unsinn, sagte sie sich. Du besitzt ein traumhaftes Apartment mit Blick auf die Themse am Canary Wharf, du hast eine erstklassige Assistentin und auch sonst alles, was du dir wünschen kannst – außer einem Privatleben.

Ja, das war der Preis, den sie für ihren Erfolg zahlen musste. Über sie wurde in der Klatschpresse öfter berichtet als über die Royals. Jedes Mal, wenn sie sich mit einem Mann verabredete, stand es am nächsten Tag in den Zeitungen. Kein Wunder, dass sich die meisten Männer vor ihr fürchteten. Und es war ebenfalls kein Wunder, dass sie hier herumstand und von Leuten umgeben war, die sie kaum kannte.

Du liebe Güte, ich weiß ja selbst nicht, wer ich bin. Wo sind meine richtigen Freunde? Habe ich überhaupt welche?

„Bitte entschuldigen Sie mich“, sagte sie mit einem vagen Lächeln und machte sich auf den Weg zum Waschraum. Sie brauchte jetzt unbedingt ein paar Minuten für sich allein.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

Plötzlich stand Kate, ihre Assistentin, vor ihr. Sie war ihr sehr nah, fast so nah wie eine Freundin. Izzy rang sich ein Lächeln ab.

„Ja, mir geht es gut.“

„Tolle Party, findest du nicht? Sie sind wirklich alle sehr nett. Ich werde sie bestimmt vermissen. Na ja, bis die nächste Gruppe kommt. Das war bisher ja immer so.“

Kate schnatterte munter drauflos und begleitete ihre Chefin zum Waschraum. Nicht einmal diese kleine Ruhepause war Izzy vergönnt.

Sie dachte angestrengt darüber nach, wie sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen könnte.

„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte Kate. „Ich kann mich noch gut an meinen dreißigsten Geburtstag erinnern. Weißt du, was ich damals gemacht habe? Ich habe die Adressen meiner alten Klassenkameraden aus dem Internet herausgesucht. Mit einigen habe ich dann sogar Kontakt aufgenommen. Das war echt komisch.“

Sie erzählte Izzy begeistert von einem Paar, das sich auf diesem Weg wiedergefunden hatte. Aber Izzy hörte ihr gar nicht mehr zu. Die Worte „alte Klassenkameraden“ hatten ihre Aufmerksamkeit geweckt, und sie war plötzlich Lichtjahre entfernt. Lichtjahre.

Zwölf Jahre, um genau zu sein. Damals hatte sie in Suffolk gelebt. Es war die Zeit zwischen Schule und Universität. Izzy konnte sich noch an einen ganz bestimmten Sommertag erinnern, als sie und ihre Freunde auf einem Feld ein Picknick veranstaltet hatten. Stundenlang hatten sie miteinander gelacht und geredet, ohne Sorgen und ohne Verpflichtungen.

Was war nur mit ihnen geschehen? Wo waren sie jetzt alle?

Rob, Emma, Julia, Sam und Lucy. Und vor allem Will. Es traf Izzy mitten ins Herz. Wo war Will?

Damals hatte er sie zum ersten Mal geküsst, unten am Fluss im Schatten der Weiden. Es war der erste von vielen Küssen gewesen in jenem wunderbaren Sommer und ein Vorspiel zu mehr als nur Küssen. Zu sehr viel mehr als nur Küssen, dachte sie voller Sehnsucht.

Danach war sie auf die Universität gegangen, denn schließlich hatte sie ja etwas aus ihrem Leben machen wollen. Will hingegen hatte seinen Plan verwirklicht und war mit Julia, Rob und Emma um die Welt gefahren. Am Ende des Jahres war er dann zurückgekehrt und hatte all ihre Träume mit einem Mal zunichtegemacht. Ihre Freundin Julia, mit der Izzy alles teilte – offensichtlich auch Will –, war schwanger mit seinem Kind. Er liebte sie und wollte sie heiraten.

An diesem Tag war Izzys Welt zusammengebrochen. Danach hatte sie sich hinter eine dicke Mauer zurückgezogen, die so hoch war, dass niemand sie überwinden konnte. Sie hatte Will nicht wiedergesehen.

Wo war er jetzt? Was machte er? War er immer noch mit Julia zusammen? Und was war aus dem Kind geworden? War es ein Junge oder ein Mädchen? Gab es vielleicht noch mehr Kinder?

Die Sehnsucht nach ihm traf sie wie ein Dolch mitten ins Herz. Sie atmete tief durch und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren.

Izzy starrte ihr Spiegelbild an, und ihre Stimmung sank auf den Nullpunkt. Mausbraunes Haar, das an guten Tagen lockig war und an Regentagen zu Drahtwolle wurde. Graugrüne Augen mit braunen Flecken, die ihr jetzt glanzlos und trübe vorkamen. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig, ziemlich durchschnittlich. Richtig hässlich konnte man sie nicht nennen. Und für ihr Lächeln hatte sie schon viele Komplimente bekommen. Aber im Moment war ihr nicht danach. Sie schnitt ein Gesicht.

„Bist du fertig?“

Kate sah sie besorgt an. Izzy lächelte. „Ja, lass uns wieder zu den anderen zurückgehen.“

Steve wartete auf sie – der smarte, skrupellose Steve, der ein Ausbund von Charme war und sie trotzdem völlig kaltließ.

Aber die meisten Menschen ließen Izzy zurzeit völlig kalt. Selbst ihre Arbeit machte ihr nicht mehr so viel Spaß wie früher. Sie hatte das Interesse an allem verloren und war schon seit längerer Zeit in einer gereizten Stimmung, die sie sich nicht recht erklären konnte.

„Ich dachte schon, du hättest mich verlassen, Isabella“, sagte er mit einem öligen Lächeln.

„Das hättest du wohl gern“, erwiderte Izzy trocken. Er sah sie überrascht an. Offensichtlich war ihm nicht klar, ob sie es ernst gemeint hatte. Sie merkte plötzlich, dass sie schreckliche Kopfschmerzen bekam. Ihr Wunsch, sich endlich zurückziehen zu können, wurde noch stärker.

„Alles in Ordnung, Bella?“, fragte er besorgt. Wahrscheinlich sucht er nach einem Vorwand, um mich nach Hause bringen zu können, dachte Izzy angewidert. Das war das Letzte, was sie jetzt brauchte. Bestimmt war die Presse nicht weit. Weitere Gerüchte um ihre Person hätten ihrem Image noch mehr geschadet. Steve war erst vor Kurzem geschieden worden. Wenn man sie mit ihm in Verbindung brachte, würde sie in der Öffentlichkeit erneut als männermordender Vamp dastehen.

„Ich habe ziemliche Kopfschmerzen“, erwiderte sie kurz. „Bitte, nenn mich nicht Bella. Du weißt doch, dass das nicht mein Name ist.“

Er lachte und nahm ihren Tadel gleichmütig hin. Genau wie alles andere, dachte Izzy. Nichts schien Steve richtig treffen zu können. Sie fragte sich zum wiederholten Mal, wer sich eigentlich hinter der glatten Fassade versteckte und was ihn wirklich motivierte. Wahrscheinlich war es Geld, doch deswegen musste er sich jetzt keine Sorgen mehr machen. Es war seine Firma gewesen, die sie vor dem Ruin gerettet hatte. Jetzt war er plötzlich wieder unglaublich reich. Bestimmt würden die Frauen sich um ihn reißen.

Er spielte mit dem Träger ihres Kleides und sah sie eindringlich an.

„Du und ich, wir sollten uns zusammentun, Isabel“, meinte er. „Hast du am Freitagabend schon etwas vor? Wie wäre es mit einem Essen in einem hübschen, verschwiegenen Restaurant?“

„Verschwiegen klingt interessant“, erwiderte Izzy, um überhaupt etwas zu sagen. Sie wünschte sich weit fort von ihm. Doch ehe sie sich’s versah, hatte er sich bereits mit ihr verabredet. Er bestimmte, wo und wann sie sich treffen würden und was sie bei dieser Gelegenheit anziehen sollte. Wenn ihre Kopfschmerzen nicht schlimmer geworden wären, hätte sie bestimmt dagegen protestiert. Aber das war ihr in diesem Moment einfach zu anstrengend. Daher nickte sie nur ergeben und erklärte sich mit allem, was er vorschlug, einverstanden.

Sie hielt es noch bis Mitternacht aus, dann konnte sie sich endlich verabschieden. Erleichtert stieg sie in ein Taxi und freute sich schon auf ihre ruhige, gepflegte Wohnung. Ja, das war es, was sie jetzt brauchte, ihre Privatsphäre.

Seufzend zog sie ihre hochhackigen Schuhe aus, ging in die ultramoderne Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Damit ließ sie sich auf ihr Sofa sinken und betrachtete von dort aus die helle Skyline von London.

Sie sah hinunter auf ein Meer von Lichtern. Isabel musste an die vielen Menschen denken, die dort unten ihrem Leben nachgingen. In den Clubs, in den Bars, in der pulsierenden Metropole dieses Landes. Selbst zu dieser späten Stunde war noch eine ganze Menge los. Für London war es sogar noch recht früh, das Nachtleben hatte nicht einmal richtig begonnen. Bei der Vorstellung, wie sich alle Leute amüsierten, wurde ihr ganz schlecht. Allein der Gedanke war ermüdend.

Seufzend rieb sie sich die Schläfen und entfernte die Nadeln aus ihrem Haar. Es fiel ihr in dichten Locken auf die Schultern. Sofort fühlte sie sich besser. Sie lehnte sich nach hinten und schloss die Augen.

Am liebsten wäre sie nach draußen auf ihre Dachterrasse gegangen. Aber dann wäre sie wieder vom Lärm der Stadt umgeben, und der Gedanke an lautes Hupen und Verkehrsgeräusche war ihr einfach unerträglich.

Auf dem Land ist es jetzt bestimmt ganz still, dachte sie wehmütig. Dort konnte man nachts außer dem Rascheln der Blätter im Wind und den Schreien der Tiere nichts hören. Erneut musste sie an das Picknick denken, das sie und ihre Freunde vor so vielen Jahren veranstaltet hatten. Die Sehnsucht an diese friedliche Zeit drohte sie zu überwältigen. Sie spürte plötzlich das starke Verlangen, an diesen Ort zurückzukehren.

Mit einem Mal musste sie wieder an Kates Worte denken. Sie erhob sich und schaltete ihren Computer an.

Schnell war sie im Internet, und nach wenigen Minuten hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. Es war nicht schwer, ihren Freunden von damals auf die Spur zu kommen. Sie durchforschte die lange Liste der Namen.

Als Erstes stieß sie auf Robs Website und klickte sie an. Er war Anwalt geworden, war mit Emma verheiratet, sie hatten drei Kinder und wohnten noch immer in dem Dorf in Suffolk, aus dem sie alle stammten.

Unglaublich! Nach all diesen Jahren waren sie immer noch dort. Izzy konnte es kaum fassen. Sie spürte so etwas wie Eifersucht und unterdrückte dieses Gefühl sofort. Worauf hätte sie auch eifersüchtig sein sollen? Sie führte ein wunderbares Leben mit allem, was dazugehörte – Erfolg, Reichtum, Ansehen und viel Trubel.

Was fehlte ihr sonst noch zu ihrem Glück?

Will.

Der Gedanke traf sie wie ein Schock, sie schob ihn schnell als ihrer unwürdig beiseite. Aber sie entschloss sich spontan dazu, Rob eine E-Mail zu schicken und sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Bestimmt wusste er auch, wie es ihren anderen Freunden ging. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, formulierte sie die Nachricht rasch und schickte sie dann zusammen mit ihrer Telefonnummer ab.

Vielleicht würde er sich ja tatsächlich melden, dann konnte sie sich auf den neuesten Stand bringen.

„Michael, ich sage dir das jetzt nicht noch einmal. Mach erst deine Hausaufgaben, dann kannst du auch mit deinem Gameboy spielen. Rebecca? Beccy, wo bist du? Deine Sachen liegen hier überall herum. Wann wirst du endlich lernen aufzuräumen?“

Rebecca trat schmollend ins Zimmer. Missmutig bequemte sie sich dazu, ihre Bücher wieder in die Schultasche zu stopfen und die Bleistifte ordentlich wegzupacken. Dann verließ sie hocherhobenen Hauptes das Zimmer.

Will stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr sich durch das dichte Haar. Eigentlich musste er sich um die Buchhaltung kümmern, eine Tätigkeit, die er hasste. Wenn er etwas verabscheute, war es dieser endlose Stapel von Formularen. Wenn er damit fertig war, waren die Schafe an der Reihe. Es war April, die Geburt der Lämmer stand kurz bevor.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Erleichtert griff er nach dem Hörer. Ihm war jede Ablenkung recht, um sich vor dem Papierkram zu drücken.

„Hallo, hier ist die Valley Farm.“

„Will? Ich bin’s, Rob. Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass du die Party nicht vergisst.“

Oje, die Party! Will seufzte erneut. „Nein, natürlich habe ich sie nicht vergessen“, log er. „Wann ist es noch einmal?“

„Am Freitag ab halb acht. Du kommst doch, oder? Emma freut sich schon sehr auf dich. Sie macht mir die Hölle heiß, wenn du nicht kommst.“

„Keine Angst, ich komme auf jeden Fall“, versicherte er. „Ich kann dir nur noch nicht sagen, ob ich es pünktlich schaffen werde. Ich bin die meiste Zeit über im Stall, der Lämmer wegen. Aber ich komme, sobald ich kann.“

„Vergiss die Lämmer“, erwiderte Rob fröhlich und legte den Hörer auf die Gabel.

Rob hatte leicht reden. Als Farmer konnte man seinen Bauernhof nicht so einfach im Stich lassen. Andererseits würde dies eine ganz besondere Party werden. Rob und Emma wollten ihren Hochzeitstag und ihren dreißigsten Geburtstag mit ihren Freunden feiern. Da durfte er auf gar keinen Fall fehlen.

Er brauchte ja nicht länger als unbedingt nötig zu bleiben. Seine beruflichen Pflichten gingen nun einmal vor.

Höchstens zwei Stunden, dachte er. Danach kann ich ja dann wieder nach Hause fahren und …

Ja, und was? Allein mit einem Glas Whisky im Wohnzimmer auf der Couch sitzen? Oder im Bett liegen und die Decke anstarren? Das waren keine sehr erheiternden Aussichten.

Will schüttelte den Kopf. Wenn ihm nichts anderes einfiel, konnte er sich immer durch den Stapel von Papieren und Formularen arbeiten, der ihn langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

Als er in die Küche kam, sah er, dass Michael sich inzwischen tatsächlich an seine Hausaufgaben gemacht hatte, dabei lief der Fernseher. Rebecca hatte es sich mit dem Hund in dem großen Ohrensessel gemütlich gemacht und blickte wie gebannt auf die Mattscheibe.

Will griff nach seinen Gummistiefeln. „Ich gehe nur kurz in den Stall und sehe nach den Schafen“, teilte er den Kindern mit. „Beccy, in zwanzig Minuten ist hier Feierabend, hast du mich verstanden? Und Michael, in einer Stunde bist du fertig mit deinen Hausaufgaben, oder es gibt Ärger.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die Küche und schlug die Tür hinter sich zu. Draußen war es recht kühl, alles war still. Er ging hinüber zur Scheune, aus der das leise Blöken der Tiere klang.

Er sah kurz bei den Schafen nach dem Rechten und vergewisserte sich, dass im Stall alles in Ordnung war. Die Hühner und Enten waren in ihren Verschlägen, die Kuh mit ihren Kälbern befand sich draußen auf der Weide hinter dem Bauernhaus. Als Letztes kümmerte er sich um die Pferde auf der Koppel, die ein Nachbar bei ihm in Pflege gegeben hatte. Wasser und Futter waren in genügender Menge vorhanden, alles machte einen guten Eindruck.

Erst jetzt merkte Will, wie still die Nacht war. Er hielt einen Moment lang inne und lehnte sich gegen den Zaun.

Aus der Ferne hörte er einen Hund bellen, und vom nahe gelegenen Wald her klang der Ruf der Eulen zu ihm herüber.

Einem plötzlichen Impuls folgend, ging er zurück zum Hof und sah sich um. Hier hatte sich in den letzten Jahren viel verändert. Die alten Kuhställe und die Scheune waren umgebaut und modernisiert worden. Jetzt betrieb seine Mutter hier ein kleines Café mit angrenzendem Laden, in dem sie die heimischen Produkte der Farm verkaufte. Sein Vater kümmerte sich um die Holzwaren. Er stellte Gartenmöbel und Kinderspielzeug her. Beides fand bei den Leuten reißenden Absatz.

Man hatte ihnen gesagt, dass sie möglichst unterschiedliche Produkte herstellen und verkaufen müssten, daher hatten sie ihre Anbauweise umgestellt. Statt das Gras unten beim Fluss einfach wachsen zu lassen, hatten sie dort junge Weiden gepflanzt, aus deren Holz man später schöne Jalousien und Zäune machen konnte. Will bewirtschaftete die Farm inzwischen auf biodynamische Art und Weise. Den größten Profit erzielte er allerdings mit den Verkäufen aus der Schafzucht. Bald, wenn die Lämmer zur Welt kamen, würde er die Schafe hinunter auf die Weide neben dem Fluss bringen, wo ebenfalls organisch gedüngt wurde. Das zarte Fleisch wurde ihm von seinen Auftraggebern – ausnahmslos Spitzenrestaurants aus der näheren und weiteren Umgebung – mit hohen Preisen vergütet.

Erst vor ein paar Jahren hatte Will diese Weiden gekauft, die zur Farm von Mrs Jenks gehörten. Es war eine große Investition gewesen, mit der sie lange gezögert hatten. Aber sie hofften, dass sich das Risiko bezahlt machen würde. Allerdings würde es Jahre dauern, bis das investierte Geld durch den Verkauf ihrer Produkte wieder hereinkommen würde.

Bis dahin gab es jeden Tag sehr viel zu tun. Kein Wunder, dass er die ganze Zeit müde war. Nur das Wissen, dass die Zukunft seiner Kinder von seinem Einsatz abhing, gab Will Kraft.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging er zurück ins Haus. Bei seinem Eintreten sprang Beccy hastig auf und lief die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Will unterdrückte ein Lächeln und ging hinüber zu seinem Sohn.

„Wie kommst du voran?“

„Es geht so.“ Michael biss sich auf die Lippe. „Französisch ist nicht gerade meine Stärke.“

„Das geht mir genauso. Wenn du wirklich nicht weiterweißt, kannst du immer deine Großmutter fragen.“

Er setzte den Kessel auf und ging hoch zu Rebecca. Sie war schon halb am Schlafen, und es sah nicht so aus, als ob sie sich gewaschen oder sich die Zähne geputzt hätte. Daher ging er mit ihr noch einmal ins Badezimmer und brachte sie dann ins Bett.

„Bitte, lies mir doch noch etwas vor“, bat sie ihn. Trotz seiner Müdigkeit erfüllte Will ihr den Wunsch. Er holte ein Buch aus dem Regal, ließ sich neben ihr auf dem Bett nieder und begann zu lesen.

„Dad?“

Will hob erschrocken den Kopf und sah sich um. „Michael? Wie spät ist es denn?“

„Schon zehn. Du bist eingeschlafen.“

Will machte sich vorsichtig von Rebecca los und erhob sich.

„Sieht so aus“, erwiderte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Ich wollte Beccy eigentlich nur kurz etwas vorlesen. Dabei bin ich dann wohl eingenickt.“

„Du siehst ziemlich müde aus“, entgegnete Michael und sah ihn besorgt an. „Vielleicht ist die Arbeit einfach zu viel für dich.“

Will strich ihm über den Kopf und lächelte. „Unsinn! Wir werden schon durchkommen.“ Es klang wie ein Schwur, und er fragte sich insgeheim, ob dies Michael auch aufgefallen war.

„Du meine Güte! Sieh dir das an, Emma!“ Rob starrte auf seinen Computer. Seine Frau war gerade ins Zimmer gekommen und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen.

„Was ist los?“, fragte sie alarmiert. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„So etwas Ähnliches.“ Rob atmete tief durch. „Du errätst nie, wer mir eine Mail geschickt hat. Isabel Brooke! Sie möchte mit uns in Verbindung treten. Ich habe sogar ihre Telefonnummer. Was meinst du, sollen wir sie anrufen?“

Emma kam näher und sah neugierig auf den Monitor. Dann pfiff sie durch die Zähne.

„Das ist ja unglaublich! Die berühmte Isabel! Wie kommen wir denn zu dieser Ehre? Vielleicht sollten wir sie zur Party einladen, was meinst du?“

„Das soll wohl ein Witz sein!“ Rob lachte. „Warum sollte sie auf unsere spießige Provinzparty kommen wollen? Bestimmt ist sie ein ganz anderes Leben mit viel mehr Glamour gewöhnt.“

„Na und?“ Emma sah ihn aufgebracht an. „Provinzparty ist nicht das richtige Wort. Dies wird unsere Party, und wir müssen uns deswegen nicht schämen. Es wird die beste Party, die die Leute seit Langem erlebt haben, das kann ich dir versprechen. Wer weiß, vielleicht macht es ihr ja sogar Spaß.“

„Möglich ist alles.“ Rob schien noch immer nicht ganz überzeugt zu sein. „Also lade ich sie ein, o. k.?“

„Wie du möchtest. Es liegt an ihr, ob sie kommt oder nicht.“

„Stimmt.“ Rob erhob sich und legte den Arm um seine Frau. „Jetzt ist es schon ein bisschen zu spät. Ich rufe sie morgen an. Im Moment habe ich etwas Besseres zu tun.“

„Isabel? Hier ist ein Anruf für dich. Ein gewisser Rob. Ich habe ihm gesagt, dass du in einer Besprechung bist, aber er sagte, er müsse dich unbedingt sprechen.“

Kate sah sie neugierig an. Izzy überlegte kurz.

„Ich habe im Augenblick wirklich keine Zeit, ich …“ Doch dann kam ihr ein Gedanke. „Hat er seinen Nachnamen genannt?“

Kate schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Er meinte nur, ihr würdet euch von früher kennen.“

Izzy entschuldigte sich bei ihren Geschäftspartnern. „Ich bin gleich wieder zurück“, versicherte sie und verließ rasch das Zimmer. „Kate, wärest du so nett, den Herren Kaffee zu bringen?“

„Natürlich, gern.“

Izzy ging in ihr Büro und nahm den Hörer auf.

„Ja, bitte?“

Eine vertraute Stimme klang an ihr Ohr. „Ich war mir nicht sicher, ob dein Angebot ernst gemeint war. Willst du wirklich dein jahrelanges Schweigen brechen und wieder mit uns in Kontakt treten? Oder war das nur eine verrückte Idee von dir?“

„Keineswegs, ich meine es ganz ernst.“ Izzy nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz und legte die Füße hoch. „Bitte entschuldige, dass ich mich nicht gleich gemeldet habe. Aber ich bin wirklich in einer Besprechung und habe meine Assistentin gebeten, keine Gespräche durchzustellen. Mir war auch gar nicht klar, dass ich dir meine Büronummer gegeben hatte.“

„Hast du auch nicht. Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert.“

„Schlau von dir!“ Izzy lachte. „Wie geht es dir? Und Emma? Stimmt es, dass ihr inzwischen drei Kinder habt? Das ist ja großartig!“

„Und sehr viel Arbeit! Aber ich will mich nicht beklagen. Wir sind eine tolle Familie. Nur schreibt niemand über uns, im Gegensatz zu dir. Du hast ja wirklich eine steile Karriere gemacht.“

Izzy zuckte die Schultern. „Ach, dabei geht es doch nur um Geld. Das ist wirklich nicht so wichtig.“ Sie meinte es ernst. Was war ihre Karriere gemessen an Robs und Emmas intaktem Familienleben? Doch dann verbat sie sich diesen Anfall von Selbstmitleid ganz schnell und setzte die Füße wieder auf den Boden.

„Hör zu, ich habe im Moment leider wirklich nicht viel Zeit. Aber ich würde euch alle gern sehen. Können wir uns treffen?“

„Deshalb rufe ich dich ja an. Emma und ich geben eine große Party zu unserem Hochzeitstag und weil wir beide dreißig werden. Es wäre einfach toll, wenn du kommen könntest. Das Problem ist nur, die Party findet schon morgen Abend statt. Deshalb rufe ich heute auch an. Wahrscheinlich bist du längst verabredet und hast etwas Besseres vor. Aber ich wollte es wenigstens probieren. Du würdest bestimmt viele alte Freunde treffen.“

Izzy hatte plötzlich einen Kloß im Hals, sie musste schlucken. Doch dann machte ihre Verlegenheit einem breiten Lächeln Platz.

„Das ist ja wunderbar! Natürlich werde ich kommen, ich freue mich schon darauf. Sag doch bitte meiner Sekretärin, wann und wo das stattfindet. Wir sehen uns dann am Freitag. Danke, Rob.“

Sie sprach kurz mit Kate und bat sie, alle wichtigen Informationen zu notieren und ihr ein Hotelzimmer zu buchen. Sie bat sie auch, bei Steven anzurufen und die Verabredung zum Abendessen zu stornieren. Izzy hatte zwar deswegen ein schlechtes Gewissen, aber es ließ sich nun einmal nicht ändern. Dann ging sie zurück zu den wartenden Geschäftsleuten.

„Bitte, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Also, wo waren wir stehen geblieben?“

Izzy merkte, wie nervös sie war, und ärgerte sich über sich selbst. Das war doch lächerlich! Sie hatte in ihrem Leben schon viel größere Hürden überwunden, und trotzdem hatte sie Angst vor dem, was sie möglicherweise auf der Party erwartete.

War es wegen Will? Wie sollte sie sich verhalten, wenn er auch da war? Und Julia? Vielleicht hätte sie gar nicht zusagen sollen.

Sie vergewisserte sich noch einmal, dass die Adresse auch richtig war, und betrachtete das Haus mit sehr gemischten Gefühlen. Zwölf Jahre waren eine lange Zeit, viel war inzwischen geschehen. Zu viel? Man sagte ja immer, dass es keinen Zweck habe, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Aber vielleicht war dies der einzige Weg, um die Dinge richtig abzuschließen.

Izzy betrachtete sich noch einmal prüfend im Rückspiegel und war mit ihrem Äußeren ganz zufrieden. Resolut stieg sie aus dem Auto und ging mit klopfendem Herzen auf das Haus zu. Als sie näher kam, drangen fröhliche Laute an ihr Ohr – Menschen feierten und lachten, Musik erklang. Es war so laut, dass man die Klingel wahrscheinlich gar nicht hören würde. Tatsächlich war die Tür offen. Sie atmete tief durch und trat ein. Ihr Lächeln hatte etwas Aufgesetztes.

Zuerst bemerkte sie niemand. Dann wurde es plötzlich ganz still, und alle sahen sie erwartungsvoll an. Ihr Lächeln verschwand, sie starrte all diese Fremden an und fragte sich, was, zum Teufel, sie hier zu suchen hatte.

Autor

Caroline Anderson
<p>Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills &amp; Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.</p>
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