Wie ein Wolf in der Nacht

– oder –

 

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Es ist dunkel in dem kleinen Zelt - Lexie kann kaum Cashs Gesicht erkennen. Nur seine strahlend blauen Augen leuchten verführerisch in der Finsternis. Jetzt ist die Gelegenheit für Lexie, ihre sinnlichen Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Seit sie auf Cashs Ferienranch Urlaub macht, kann sie an nichts anderes mehr denken: dieser unglaublich athletisch gebaute Cowboy soll sie lieben. Doch Cash rührt sich überhaupt nicht. Worauf wartet er denn noch? Lexies Gedanken überschlagen sich - soll etwa sie die Initiative ergreifen? Noch nie in ihrem Leben hat sie einen Mann verführt - wie macht man das eigentlich?


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • Bandnummer 0995
  • ISBN / Artikelnummer 9783864949623
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Der Himmel über Idaho war von strahlendem Blau, die Berglandschaft atemberaubend, der Frühlingsnachmittag so verführerisch wie der Kuss eines Liebhabers – und Lexies Herz hämmerte voller Panik in ihrer Brust.

Sie hatte es schon immer geliebt, zu fliegen, und der Flug in diesem winzigen Flugzeug brachte mehr Spaß als eine Fahrt mit der Achterbahn. Das Fliegen war also nicht das Problem, sondern sie selbst.

Seit Monaten hatte sie die verflixten Symptome einfach ignoriert. Sie lebte schon so lange mit ihrer Schlaflosigkeit, dass die nichts Neues für sie war. Es waren die anderen Anzeichen. An einem vollkommen schönen Tag konnte ihr Herz plötzlich anfangen, wie wild zu klopfen, ihre Hände wurden kalt und ihr Magen zog sich vor Nervosität zusammen. Der Arzt hatte die Symptome als Angstzustände diagnostiziert, was natürlich absoluter Blödsinn war.

Sie brauchte vor nichts Angst zu haben. Mit ihren achtundzwanzig Jahren führte sie ein glücklicheres Leben, als die meisten sich vorstellen konnten. Sie verdiente ohne besondere Anstrengungen Unmengen von Geld, der Erfolg schien sie regelrecht zu verfolgen, ihr Job machte ihr Spaß und war eine Herausforderung. Jeder Tag war aufregend, herrlich turbulent und riskant, bot also alles, was sie so sehr liebte. Es gab nicht die geringste Rechtfertigung für diese plötzlichen Panikanfälle.

Dennoch spürte Lexie, dass es schon wieder losging. Da waren die Atemnot, das unruhige Rumoren in ihrem Magen, Verlassenheitsgefühle, was alles in einem völligen Widerspruch zu ihrer sonst so fröhlichen Persönlichkeit zu stehen schien.

“He, sind Sie okay, Miss Woolf?” Die Frage kam von Jed Harper, dem Piloten.

Jed war ein interessanter Typ mit seinen weißen Bartstoppeln, dem faltenreichen Gesicht und dem Hawaii-Hemd. Lexie nahm stark an, dass es sich bei der Ausbuchtung in seiner Wange um Kautabak handelte.

“Ja, ja”, versicherte sie. Zumindest würde sie es bald wieder sein. Denn sie hatte sich genau zu dem Zweck für einen Monat in den Silver Mountains eingemietet, um die idiotischen Probleme mit ihrer Gesundheit zu lösen.

“Wir landen gleich, Ma’am. In fünf Minuten sind wir unten. Silver Mountain ist einer der schönsten Flecken auf der ganzen Welt. Sie werden begeistert sein.”

Sie antwortete nicht. Nur Berge und Bäume und frische Luft – es genügte, um einem Übelkeit zu verursachen. Lexie schloss sekundenlang die Augen und träumte von ihrem Büro mit den schönen viktorianischen Möbeln, dem roten Samtsessel und den Vorhängen, alles üppig mit Fransen versehen, dem zarten Bostoner Farn und dem riesigen Fernseher im Hintergrund, der immer auf CNBC eingeschaltet war und wo jede Sekunde des Tages bis Börsenschluss die Einblendung mit den Aktienkursen vorbeilief.

Mein jetziger Anfall lässt sich eigentlich ganz einfach erklären, sagte sich Lexie. Immerhin litt sie nicht nur unter einem Dow-Jones-Entzug, sondern ein Aufenthalt in der Natur war für sie gleichzusetzen mit einer gehörigen Portion Hustensaft. Aber eine starke Frau wie sie, die hart im Nehmen war, nahm ihre Medizin, ohne mit der Wimper zu zucken – andererseits hieß das nicht, dass es ihr auch noch gefallen musste.

Das Miniflugzeug berührte den Grasstreifen, der die Landebahn darstellte, prallte ab, traf wieder auf und rollte dann mehr oder weniger wackelig weiter, bevor es in die Kurve ging. Der Himmel mochte wissen, wo es diese Kurve fand. Denn so weit das Auge reichte, sah man nichts außer endlosen spitzen, zackigen Kiefern, die endlose spitze, zackige Berge bedeckten. Lexie sah keine Gebäude, keine Telefonmasten, keinen Asphalt – nichts Beruhigendes, nichts Vertrautes.

Jed Harper stellte den Motor ab, grinste sie an und beeilte sich, die Tür aufzumachen. “Keine Sorge, Miss Woolf. Wir haben ständig mit Stadtleuten wie Ihnen zu tun. Nach einem Monat hier werden Sie sich wie neugeboren fühlen. Das garantiere ich Ihnen. Da kommt ja auch schon Cash. Sie werden Cash lieben. Alle Frauen lieben ihn.”

Lexie duckte sich unter die Türöffnung und kletterte hinunter. Sie war nicht gekommen, um irgendjemanden zu lieben. Sie war hier, um diese Angstanfälle zu überwinden – oder dabei draufzugehen. Aber schon in der ersten Sekunde in dieser verflixt frischen Luft drehte sich ihr der Magen um. Alles roch so … grün, als ob sie sich in einen endlosen Dschungel überdimensionaler Weihnachtsbäume verirrt hätte. Hier oben, weit entfernt von jeder Zivilisation, war die Luft so rein, dass es einem in den Lungen wehtat. Wie sollte sie atmen ohne das kleinste bisschen Luftverschmutzung? Wo war ihr tröstliches Kohlenmonoxid, wo waren die Abgase und der Gestank der Autos? Wo waren die Einkaufszentren?

“Hi, Jed. Du bist ja in Rekordzeit gekommen. Wir haben Sie schon erwartet, Alexandra. Willkommen auf Silver Mountain.”

Natürlich hörte sie seine warme Baritonstimme, aber sekundenlang war sie noch so fasziniert von der Aussicht auf so viel abscheuliches Grün, dass sie einfach nicht den Blick abwenden konnte. Lexie rief sich ins Gedächtnis, dass sie nicht nur freiwillig hergekommen war, sondern außerdem ein Vermögen dafür bezahlt hatte. Also war es ihre eigene Schuld, wenn sie sich jetzt wie in einer Folge von “Star Trek” vorkam, irgendwo gestrandet auf einem fremden Planeten.

Ein Lächeln auf den Lippen und die Hand ausgestreckt, drehte sie sich nun um. “Vielen Dank, Mr. McKay – Cash. Und nennen Sie mich bitte Lexie oder Lex. Niemand …”

Ihre Stimme erstarb schneller als ein abgewürgter Motor. Lexie wusste, dass der Mann vor ihr Cashner Aaron McKay war, Besitzer von Silver Mountain. Allein an seiner Stimme hätte sie ihn erkannt, selbst wenn der Pilot ihn nicht vorgestellt hätte, da sie schon oft mit ihm am Telefon gesprochen hatte. Und er hatte so nett und ungezwungen geklungen, dass sie sich darauf gefreut hatte, ihn kennenzulernen. Aber zunächst wurde sie von der Sonne geblendet, und von ihren Telefonaten her hatte sie eigentlich angenommen, dass er jemand sein würde wie Jed Harper – irgendwie älter. Jemand, der von tausend Stunden in der Sonne eine Haut wie Leder hatte und Cowboystiefel trug. Jemand, der nicht plötzlich ihre schlummernden weiblichen Hormone zu regem Leben erweckte.

Jetzt war er näher gekommen, so nah, dass die Sonne ihr nicht mehr in die Augen schien. So nah, dass sie gleich zwei erstaunliche Dinge feststellte. Ihr Gastgeber in den nächsten Wochen war der zum Leben erwachte Marlboro-Mann ohne Zigarette. Er war hochgewachsen, schlank und blauäugig – einfach umwerfend sexy. Und das Zweite, was sie feststellte, war, dass sie tiefer stand als er und dass ihre zur Begrüßung ausgestreckte Hand gefährlich nah davor war, diesen fantastischen Mann genau zwischen den Beinen zu berühren.

Schneller als der Blitz hob sie ihre Hand in eine angemessenere Höhe. Ein Lächeln leuchtete in seinen Augen auf, aber sie besaß jetzt nicht die Gelassenheit, seine Reaktion zu analysieren. Sie schüttelten sich die Hände und Lexie versuchte sich wieder zu fassen. Sie hatte sich bereits mit einem Monat der Folter abgefunden, aber dass sie regelmäßig Gelegenheit haben würde, Cash McKay anzusehen, würde ihre Leiden um ein Erhebliches mildern.

“Lexie …” Sein Blick war direkt, das verhaltene Lächeln freundlich, aber die schwielige Hand, die ihre so fest gepackt hatte, ließ sie sofort wieder los. Lexie spürte keine Abneigung seinerseits, aber offenbar nahm er sie auf keiner persönlicheren Ebene wahr. Wahrscheinlich stand er nicht besonders auf winzige Frauen mit kurzem dunklem Haar und blasser Haut. “Ich freue mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen, und ich hoffe, Sie werden Silver Mountain mögen. Wir nehmen Ihr Gepäck und bringen Sie zum Haus. Jed, kommst du auf einen Eistee mit?”

“Darauf kannst du wetten. Und wo ist unser kleiner Satansbraten?”

Cash lachte leise. “Sammy ist noch in der Schule, aber er wird in ungefähr einer Stunde zu Hause sein.”

“Sammy?”, fragte Lexie.

“Sammy ist mein Sohn. Na ja, technisch gesehen ist er wohl eher mein Neffe, aber er ist mein Sohn in jeder Hinsicht, die wirklich zählt. Sie werden ihn beim Dinner kennenlernen, wenn nicht schon früher. Aber er ist ein wenig schüchtern bei den weiblichen Gästen. Zumindest sollten Sie hoffen, dass er schüchtern sein wird. Sonst riskieren Sie, dass er Sie Löcher in den Bauch fragt.”

Wieder erschien dieses verhaltene Lächeln. Jed nahm zwei ihrer Designertaschen und ging voraus. Cash nahm die übrigen vier. Keiner von beiden machte eine Bemerkung über die Anzahl ihrer Gepäckstücke.

Lexie überlegte kurz, was er wohl damit gemeint hatte, als er von Sammy als seinem Sohn und gleichzeitigem Neffen gesprochen hatte, aber da stolperte sie über eine knorrige Baumwurzel. Daran war nichts Ungewöhnliches. Sie hatte es schon immer geschafft, über ihre eigenen Füße zu stolpern. Ihre italienischen Sandaletten waren für den Flug bequem gewesen, aber für hier fehlte ihnen eine gewisse Robustheit. Hinzu kam, dass der Weg bergauf führte. Dort, wo das Flugzeug gelandet war, befand sich die einzige flache Stelle weit und breit. Sie hatten kaum hundert Meter hinter sich gebracht, da bekam Lexie schon Seitenstiche, dabei trug sie nur ihre Handtasche und ihren Laptop.

“Ich bin körperliche Anstrengungen nicht gewohnt”, erklärte sie und hätte fast geschnauft, weil sie so außer Atem war.

“Das ist schon okay, das ist niemand von denen, die hierherkommen. Genau das ist ja der Punkt, dass Sie sich erholen vom ständigen Stress des Stadtlebens, stimmt’s?”

“Stimmt.” Obwohl sie niemand vor all dieser fürchterlich frischen Luft gewarnt hatte.

“Selbst wenn Ihnen sonst nicht viel am Landleben liegt, denke ich schon, dass es Ihnen hier bald gefallen wird. Es gibt hier keine Termine, keine Prüfungen, die Sie bestehen müssten …”

Sie wusste, weswegen sie hergekommen war, also gab es keinen besonderen Grund, ihm zuzuhören. Aber sie hätte ihn den ganzen Tag lang ansehen können. Was für ein Mann! Mit vierzehn hatte sie Poster von den tollsten Männern an die Wand hinter ihrem Bett gepinnt wie jeder hormongebeutelte Teenager. Dann war sie erwachsen geworden und hatte erkannt, dass das Aussehen einem nichts über den wahren Charakter mitteilte. Nun, mit achtundzwanzig, hatte sie einige Erfahrungen gesammelt. Und sie würde sich nicht so schnell auf eine Geschichte einlassen, die ihr das Herz brechen könnte. Aber Gucken war erlaubt und kostete keinen Penny.

Cash McKay würde von jeder Frau die Bestnote bekommen. In dem Flanellhemd und der abgetragenen Jeans sah er genauso aus, wie man sich die mutigen Pioniere von ehemals vorstellte. Sein Haar war kurz und glatt und hellbraun wie Karamellbonbons. Selbst so früh im Mai war seine Haut sonnengebräunt und bot einen beeindruckenden Kontrast zu seinen hellen blauen Augen. Alles an ihm war ausgeprägt männlich: sein Kinn, das wie aus Stein gemeißelt wirkte, die hohen Wangenknochen, ganz zu schweigen von dem durchtrainierten Körper und dem kleinen festen Po.

“Es ist nicht mehr weit, Lexie. Das Haus ist gleich hinter der Kurve.”

“Kein Problem”, flötete sie. Es widerstrebte ihr sehr, den Blick von der einzigen wirklich sehenswerten Aussicht zu nehmen – nämlich seinem Körper –, aber tatsächlich, schon kam das Haus in Sicht. Das große, ausladende Blockhaus hatte über dem Erdgeschoss noch zwei Stockwerke, eine Veranda umgab es und überall standen gemütliche Schaukelstühle und Schaukeln aus Holz.

Lexie erklomm ungraziös hinter Cash die Verandastufen, stolperte über die Türschwelle, landete aber glücklicherweise nicht auf dem Boden, und trat ein. Jed hatte schon ihre zwei Taschen hingestellt und war irgendwohin verschwunden, als die Tür hinter ihr zuschlug.

Lexie war beeindruckt. Das Ganze erinnerte sie an die Kulisse für einen Film über einen Ölbaron. Die Vordertür führte in ein riesiges Foyer mit riesiger Treppe. Zur Rechten lag ein Salon mit breiten Sofas und mehreren Ledersesseln in Grün und Honiggelb. Hohe Fenster gaben den Blick auf die Berge frei und überall lagen dicke, weiche Läufer auf dem Boden. Da war ein Spieltisch aus Mahagoni und an einer Wand stand ein Klavier. Darüber hing ein riesiges Ölgemälde, das Berge zeigte, die in geisterhaftem Weiß und hauchzartem Grün im Morgennebel schimmerten. Ein steinerner Kamin, rußgeschwärzt und voller Charakter, beherrschte das große Zimmer. Der Holzfußboden und die Holzbalken an der Decke machten ebenfalls den Eindruck, schon seit vielen Generationen zu bestehen.

“Hier treffen wir abends zusammen.” Cash führte sie hinein. “Wenn Sie sich langweilen, können Sie nach dem Dinner eine Partie Poker oder sonst ein Kartenspiel spielen. Selbst im Sommer ist es abends meistens so kühl, dass wir hier ein Feuer anzünden. Hier ist das Speisezimmer.”

Lexie warf einen Blick hinein und sah einen langen Tisch, über dem ein Leuchter in Form eines Wagenrades von der Decke hing.

“Die Mahlzeiten finden zu bestimmten Zeiten statt, aber wenn Sie zwischendurch mal hungrig sein sollten, können Sie nach Wunsch die Küche plündern. Das hier soll kein Hotel für Sie sein. Wir möchten, dass Sie sich hier wie zu Hause fühlen – mit einer kleinen Ausnahme. Bevor wir weitergehen, müssen wir kurz etwas klarstellen.”

Hinter dem Speisezimmer stieß er eine Tür auf, und dahinter sah Lexie ein nüchternes Büro.

Cash stellte ihr Gepäck ab. “Ich fürchte, Sie werden sich hier ausziehen müssen, Lexie.”

Nicht, dass sie das nicht gern getan hätte – für ihn jederzeit –, aber der Vorschlag kam doch etwas überraschend. “Sagten Sie ‚ausziehen`?”

“Genau.” Seine Miene war so ernst, dass ihr das Augenzwinkern fast entgangen wäre. “Dieser Raum ist meistens so sicher abgeschlossen wie ein Banksafe. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, dass etwas gestohlen werden könnte. Ich möchte keine Leibesvisitation durchführen, aber wenn nötig, werde ich es tun.” Er hob drohend den Finger. “Ich fürchte, hier werden Sie Farbe bekennen müssen. Ich will die ganze heiße Ware: Laptop, Beeper, Handy. Alles Elektronische, das Sie bei sich haben.”

Sie hätte am liebsten gelacht über seine Striptease-Drohung, aber im Augenblick schien ihr Sinn für Humor ein wenig mitgenommen zu sein. “Alles?”, fragte sie schwach nach.

“Na ja, wenn Sie auf einem Beruhigungsmittel bestehen, können Sie das Handy zum Knuddeln behalten. Sie bekommen hier sowieso keine Verbindung, also macht es nicht wirklich etwas aus. Aber alles andere wird hier eingeschlossen. Wenn Sie es nicht ertragen, können Sie ab und zu herkommen und den Laptop streicheln.” Sein Augenzwinkern änderte nichts daran, dass sein jetzt gekrümmter Finger “Gib schon her!” signalisierte.

Einen Moment lang starrte Lexie ihn nur starr vor Entsetzen an. Sicher, genau deswegen war sie ja hergekommen – um einen Monat fern von allem zu sein, was an ihre Arbeit erinnerte. Genau dafür bezahlte sie Mr. Cashner McKay – damit er ihr Leben in die Hand nahm und sie herumkommandierte. Also wäre es sinnlos, sich zu sträuben.

“Aber einen Fernseher haben Sie doch irgendwo, oder?”, fragte sie tapfer.

“Ja, einen in meinem Zimmer, aber keinen in Sichtweite der Gäste.”

So wusste sie wenigstens etwas in der Nähe, was sie mit der Zivilisation verband. “Seit fast neun Jahren bekomme ich meine tägliche Dosis Dow Jones.” Sie räusperte sich nervös.

“Ich verstehe”, sagte er geduldig. “Einer unserer ältesten Stammgäste ist Arzt, und in den ersten Tagen ohne seinen Beeper bekommt er immer Atemnot. Die ersten Tage sind die schlimmsten, aber ich verspreche Ihnen, dass es danach viel einfacher sein wird. Wenn Sie in Panik geraten, lasse ich Sie hier rein, damit Sie sich Ihre Sachen angucken können, okay? Aber ich möchte, dass Sie es wenigstens versuchen.”

“Natürlich werde ich es versuchen. Tatsächlich kann ich es kaum erwarten, mit Ihrem Programm zu beginnen.” Dennoch wehrte sie sich sekundenlang, als er versuchte, ihr den Laptop abzunehmen. Sie hatte das Gefühl, dass man ihr ein Stück von ihr selbst wegnehmen wollte. “Sie haben doch irgendwo im Hotel ein Telefon, oder?”

“Aber natürlich, sogar mehrere. Sie sind hier von nichts abgeschnitten, Lexie. Jed fliegt zweimal die Woche her und bringt die Verpflegung. Gäste kommen und gehen. Und in meinem Zimmer gibt es die gesamte Technologie, an die Sie gewöhnt sind, falls wir einen Arzt rufen müssen oder Ihre Verwandten sich mit Ihnen in Verbindung setzen möchten. Sind Sie jetzt so weit, dass ich Sie auf Ihr Zimmer führen kann?”

Er nahm ihr entschlossen ihr Spielzeug weg – alles, sogar den Kopfhörer für ihren Disc Player. Danach brachte er sie zu einer Treppe und ging ihr voraus. “Letzte Woche war das Haus voll. Das bedeutet für uns zehn Gäste. In den nächsten zwei Wochen wird es besonders nett sein, nur Sie und ein paar andere. Im Sommer wird es dann wieder etwas geschäftiger zugehen. So, die Bibliothek ist im zweiten Stock nach hinten raus und sie ist recht gut bestückt. Gymnastik- und Massageraum befinden sich in dem Trakt, der nach Norden liegt.”

Gelassen fuhr er fort: “Bubba kommt dreimal in der Woche her und spielt die Masseuse. Sie werden ihn morgen kennenlernen und Keegan heute Abend beim Dinner. Keegan studiert gerade für seinen Doktor, und in der Zwischenzeit genießt er hier freie Kost und Logis für seine Kochkünste. Mit George kommen wir dann zum letzten Angestellten. Er ist der Haushälter und hat ziemlich raue Sitten, erledigt seine Arbeit aber gut während der vier Mal in der Woche, zu denen er vorbeischaut. Den Rest der Woche kommen wir allein zurecht. Wenn Sie das Haus verlassen, sagen Sie jemandem Bescheid oder schreiben Sie sich ins Buch in der Küche ein. Es gibt hier unzählige wunderschöne Plätze, wohin Sie spazieren gehen können, aber wir wollen nicht, dass Sie sich verirren.”

Je mehr Cash sie über die Hausregeln informierte, desto beklommener fühlte sich Lexie. Vielleicht hatte sie doch einen Fehler begangen. In Chicago war ihr die Idee großartig vorgekommen. Da sie zu arbeitswütig war, um sich dort zum Ausruhen zu zwingen, hatte sie sich einen Ort gesucht, wo ihr keine Wahl bliebe, als genau das zu tun. Silver Mountain war ihr perfekt erschienen. Allerdings hatte sie sich nichts vorgestellt, das so unzivilisiert war, auch nicht, dass es dort tatsächlich Bären und Wildkatzen gäbe – aber keine Einkaufszentren.

“Da sind wir.” Am Ende der Treppe angekommen, wies Cash sie darauf hin, dass ihr Zimmer das erste sei und nach Westen liege, und stellte dort das Gepäck ab. Danach öffnete er das Fenster und ließ einen weiteren Schwall beißend frischer Luft herein. “Diese Tür führt ins Badezimmer. Dinner wird gegen sechs Uhr serviert, also bleibt Ihnen etwas Zeit, sich zu entspannen, auszupacken und sich ein wenig umzusehen. Falls Sie noch irgendetwas brauchen …”

“Nein, wirklich. Ich bin okay.”

“Keine Fragen? Gefällt Ihnen Ihr Zimmer?”

“Keine Fragen. Und das Zimmer ist fantastisch.” Sie betrachtete bewundernd die Mahagonikommode und das Himmelbett mit der bunten Steppbettdecke und der dicken Matratze, offenbar Federkern. Allein das Bett bot genug Platz für drei Menschen ihrer Größe, wenn nicht für vier.

Das Schlafzimmerfenster in ihrer Wohnung in Chicago, für die sie stolze zweitausend Dollar im Monat zahlte, erlaubte nur einen Blick auf ein anderes Schlafzimmerfenster in einer anderen überteuerten Wohnung in Chicago. Hier hatte sie einen Blick auf Berge, der so atemberaubend war, dass er auf einer Postkarte nicht echt wirken würde.

“Lexie?” Als er sie mit der Hand an der Schulter berührte, fuhr sie herum, instinktiv dem Selbsterhaltungstrieb eines Stadtmenschen folgend, der sich von Fremden besser fernhielt.

Cash McKay ließ sie sofort los, blickte sie aber verständnisvoll und voller Wärme an – und noch ein anderer Ausdruck lag in seinen Augen, der völlig unerwartet kam. Er war von Anfang an freundlich und entgegenkommend gewesen. Sein Verhalten war aber unpersönlich geblieben, genau so, wie sie es auch erwartet hatte. Dass er in ihr etwas anderes sehen könnte als in den anderen Großstadtpflanzen, die zu ihm kamen, wäre ihr nie eingefallen – bis sie jetzt plötzlich diesen Blick sah und seine Berührung spürte.

“Sie fühlen sich wie ein Fisch auf dem Trockenen, nicht wahr?”, fragte er sanft.

“Ja.” Es nützte nichts, das zu leugnen.

“So ging es mir auch. Auch ich war einmal wie Sie, Lexie. Ich arbeitete so viel und so fanatisch, dass ich vergaß, zwischendurch Luft zu holen. Aber ich schwöre Ihnen, diese Berge haben eine magische Wirkung. Sie brauchen kein Naturfan zu sein, um davon zu profitieren. Wir beide haben das gleiche Ziel. Wir wollen Sie erst dann wieder nach Hause lassen, wenn Sie sich ausgeruht haben und Ihre Batterien neu aufgeladen sind. Okay?”

“Okay.” Sie hatte damit gerechnet, dass der nächste Monat eine Qual sein würde. Stattdessen war Cash McKay nicht nur freundlich und verständnisvoll, sondern hatte auch noch Sinn für Humor. Vielleicht würden die nächsten Wochen ja doch nicht so schrecklich werden, wie sie gefürchtet hatte.

Sobald Cash gegangen war, öffnete Lexie ihre Koffer und Taschen, schleuderte die Sandaletten in die Ecke und machte es sich gemütlich. Wenige Minuten später hörte sie in der Ferne eine helle Kinderstimme kreischen und sie ging zum Fenster, um nach dem Rechten zu sehen.

Der Junge, der den Bergpfad heraufgehüpft kam und nach Cash schrie, hatte große Ähnlichkeit mit seinem Onkel. Er hatte Cashs hellbraunes Haar und die langen Beine. Er musste etwa acht Jahre alt sein, vielleicht neun, jedenfalls jung genug, dass es ihm völlig egal war, ob sein Haar windzerzaust war oder seine Jeans schmutzverkrustet.

Genau unter ihrem Fenster sprang der Junge plötzlich hoch, offenbar darauf vertrauend, dass man ihn sicher auffing. Und tatsächlich war Cash da und wirbelte ihn so hoch in die Luft, als ob der Junge ein Fliegengewicht wäre.

“Rate mal, Cash! Rate mal!”, rief das Kind fröhlich.

Cashs leises Lachen ertönte, beide senkten dann die Stimme und waren gleich darauf im Haus verschwunden.

Ein paar Augenblicke konnte Lexie sich nicht vom Fenster trennen. Ein vertrautes Gefühl der Sehnsucht packte sie, das ihr das Herz schwer machte und ihr die Kehle zuschnürte. Cashs Stimme war so voller Liebe und Lachen gewesen, und so viel Vertrauen und Liebe hatten ebenso in der Stimme des Jungen gelegen.

Ungeduldig seufzend wandte Lexie sich vom Fenster ab und zwang sich, ihre Sachen auszupacken. Es gab keinen Grund, sich so gehen zu lassen. Ingesamt war ihr Leben wundervoll. Nur manchmal, sosehr sie ihre Adoptiveltern auch liebte, erinnerte sie sich an ihre leiblichen Eltern, an deren Liebe und daran, dass sie wirklich zu ihnen gehört hatte. Früher einmal war sie ein furchtloses, freches Kind gewesen, das keine Sekunde daran gezweifelt hatte, dass die ganze Welt ihm gehörte.

Sie war immer noch furchtlos, immer noch frech – oder jedenfalls neckten die Investoren, mit denen sie arbeitete, sie ständig damit. Und man hatte sie immer geliebt, selbst wenn sie ihre Eltern in sehr zartem Alter verloren hatte. Aber irgendwie hatte sie seit damals nie wieder dieses Gefühl gehabt, wirklich zu jemandem zu gehören.

Als Lexie mit dem Auspacken fertig war, sah sie sich im Zimmer um – von der Öllampe auf der Kommode zum Flickenteppich und zu der großen, reich verzierten Tür mit dem schweren Messingschnappschloss. Es war ein schönes, rustikales Zimmer, gemütlich und anheimelnd. Aber sie gehörte hier ebenso wenig her wie woandershin. In letzter Zeit drohte ein Gefühl tiefer Einsamkeit sie manchmal zu überwältigen.

Lexie tat, was sie immer tat, wenn dunkle Schatten aus der Vergangenheit sie heimsuchten. Sie dachte an Geld. Es war das Einzige, in dem sie unzweifelhaft großartig war. Sie verdiente viel davon, häufte Unmengen davon an. Andere Frauen dachten an Liebe, Lexie träumte davon, in Silberdollars zu schwimmen und sie kühl und glatt über ihre erhitzte Haut gleiten zu lassen.

Natürlich, Liebe war etwas Schönes. Aber wenn man die geliebten Menschen verlor, riss es einem das Herz aus der Brust. Geld war da sehr viel sicherer. Wenn man davon welches verlor, konnte man immer noch neues dazuverdienen.

Die nächsten Wochen würde sie jedoch auf diesem gottverlassenen Flecken Erde festsitzen und könnte keinen einzigen Penny verdienen.

Lexie sah auf die Uhr und machte sich auf den Weg nach unten zum Dinner. Wenigstens drohte ihr hier nicht die geringste Gefahr – es sei denn, man konnte auch von frischer Luft eine Überdosis nehmen.

Außerdem versprachen die beiden McKays sehr interessant zu werden. Sie würde bestimmt viel Spaß mit ihnen haben. Also bestand kein Grund für sie, sich Sorgen zu machen.

2. KAPITEL

Cash ahnte, dass es Ärger geben würde.

Autor

Jennifer Greene

Seit 1980 hat die US-amerikanische Schriftstellerin Jennifer Greene über 85 Liebesromane veröffentlicht, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Unter dem Pseudonym Jennifer Greene schreibt die Autorin Jill Alison Hart seit 1986 ihre Romane. Ihre ersten Romane wurden 1980 unter dem Namen Jessica Massey herausgegeben, das Pseudonym Jeanne Grant benutzte...

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