Wie Feuer auf Eis

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Unter Rose splittert das Eis - in letzter Sekunde rettet sie ein attraktiver Mann vor dem Ertrinken! Mathieu Demetrios bringt sie in Sicherheit, doch die Gefahr ist nicht gebannt: Erst küsst er sie glühend, dann besteht er darauf, dass sie sich ab sofort als seine Verlobte ausgibt! Vergeblich weigert Rose sich: Im Privatjet fliegt Mathieu mit ihr von Schottland auf seine griechische Insel. Dort weckt er in einer heißen Nacht die Lust in ihr, und hilflos erkennt Rose: Ihr Verführer hat sie zwar vor dem Eis gerettet, aber seine Leidenschaft droht sie zu verbrennen …


  • Erscheinungstag 30.11.2008
  • Bandnummer 1846
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493035
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Andreos Demetrios stieg aus dem Helikopter und sah sich um. Dabei glitt sein Blick demonstrativ über das Empfangskomitee hinweg. Seinen Sohn beachtete er nicht.

Es handelte sich um eine bewusste Provokation, die Mathieu Demetrios allerdings mit äußerer Gelassenheit hinnahm. Seine einzige Reaktion bestand in einem leichten amüsierten Lächeln.

Normalerweise übersah man Mathieu nicht. Das lag nicht nur an seiner Größe und dem klassisch geschnittenen Gesicht, sondern vor allem an seiner geradezu magnetischen Ausstrahlung.

Wenn er sprach, hörte man ihm zu. Wenn er einen Raum betrat, drehten sich die Köpfe nach ihm um.

Nur sein eigener Vater missachtete ihn. Statt seinen Sohn zu begrüßen, gab Andreos nun einem kleinen Mann mit Brille Anweisungen.

Mathieus Gesichtsausdruck verriet nichts über seine Gedanken. Lediglich die silbergrauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während er den Austausch der beiden Männer verfolgte.

Der Mann mit der Brille nickte respektvoll, während er Andreos zuhörte. Er war der einzige der drei Anwesenden, dem ins Gesicht geschrieben stand, wie sehr ihn die offenkundige Feindseligkeit zwischen Vater und Sohn verstörte.

Zwar hielt er den Blick auf seinen Arbeitgeber gerichtet, und doch riskierte er dessen Zorn, als er Mathieu kurz zulächelte, bevor er sich davonmachte. Schwer zu sagen, ob dieser die kleine Geste registrierte. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Mathieu Gauthier – oder Demetrios, wie man ihn nun nannte – gelernt, sich nicht in die Karten sehen zu lassen. Und ganz sicher neigte er nicht zu den unkontrollierten Wutausbrüchen, für die Andreos so berühmt war.

Erst nachdem der Mann mit der Brille verschwunden war, wandte der griechische Finanzier die Aufmerksamkeit dem Sohn zu. Während sein Blick verächtlich zu Mathieu wanderte, zuckte ein Muskel in seiner Wange.

Mathieu stand für alles, was Andreos an sich selbst verachtete. Für seine Schwäche. Und sein Versagen.

Nur ein einziges Mal in seiner gesamten Ehe war Andreos seiner geliebten Frau untreu gewesen – ein Umstand, den er bis heute bitter bereute und für den er sich schämte.

Als einige Jahre später der Beweis dieser Untreue in Gestalt eines mürrischen Teenagers dann auch noch vor ihm stand, geriet die Sache zu einem einzigen Albtraum. Dass der Junge auch noch viel schlauer als sein Halbbruder war, hatte das Ganze nicht besser gemacht.

Ironischerweise war es die betrogene Ehefrau und nicht Andreos gewesen, die den mutterlosen Jungen mit echter Wärme aufnahm.

Der Lärm des Hubschraubermotors erlosch im selben Moment, in dem Vater und Sohn sich in die Augen sahen.

Der ältere Mann senkte als Erster den Blick. Zornesröte lag auf seinen Wangen, als er seinen Sohn ansprach. Er hielt sich nicht mit Vorgeplänkel auf.

„Du wirst deine kleine Reise absagen. Wohin auch immer sie gehen sollte …“

In dem knappen Befehl lag nicht ein Hauch von Wärme oder Zuneigung. Doch das hatte Mathieu auch gar nicht erwartet. Sein Vater hatte aus seinem Herzen nie eine Mördergrube gemacht, zeigte aber erst seit Alex’ Tod seine Feindseligkeit derart offen.

Ja, Alex’ Tod hat einiges verändert, dachte Mathieu düster.

„Nach Schottland.“

„Nun, du wirst deine Pläne ändern.“

Auch bei diesem Satz handelte es sich keinesfalls um einen Vorschlag. Jemand wie Andreos, der an der Spitze von Demetrios Enterprises stand, einem riesigen IT und Telekommunikationskonzern, bot anderen nichts an.

Er schnippte mit den Fingern, und die Leute sprangen.

Doch Mathieu machte keinerlei Anstalten zu springen – im Gegenteil. Er reagierte völlig still und unbeweglich, was für einen ehemaligen Formel-1-Rennfahrer schon bemerkenswert war.

Nicht, dass Andreos an der Antwort seines Sohnes interessiert gewesen wäre. Nachdem er seinen Befehl verkündet hatte, ging er mit strammen Schritten auf die Villa in den Felsen am Ufer der Ägäis zu.

Er hatte gerade den sattgrünen Rasen vor der Villa erreicht, als Mathieu zu ihm aufschloss. „Ich werde nach Schottland zu einem Freund reisen. Der Besuch lässt sich nicht verschieben.“

Was leider sogar stimmte – Jamie hatte ihn um Hilfe gebeten. Die Banken wurden allmählich ungemütlich, weshalb das Schicksal des Familienschlosses, das sein Freund in den schottischen Highlands geerbt hatte, an einem seidenen Faden hing.

Wenn ich ihnen nicht einen verdammt guten Businessplan liefere, werden sie mir die Kredite kündigen, Mathieu. Das hieße, dass ich nicht nur der MacGregor bin, der es als Formel-1-Fahrer nicht geschafft hat, sondern auch der MacGregor, der den Familienbesitz verliert, den wir seit über fünfhundert Jahren unser Eigen nennen.

Andreos drehte sich um. „Das kommt nicht infrage. Sasha und ihre Mutter besuchen uns morgen.“

Mathieu unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen, während er insgeheim dachte, dass er damit hätte rechnen müssen. „Du hast vergessen, mir von ihrem Besuch zu erzählen.“

Sein Vater lächelte dünn. „Es wäre eine Beleidigung, wenn du nicht hier bist. Schon seit Generationen gibt es enge Bindungen zwischen unserer und der Constantine-Familie. Mein Vater und …“

„Und“, unterbrach Mathieu die Geschichtslektion, „da sie in meiner Generation keinen Sohn haben, der den Besitz erbt, erträgst du den Gedanken einfach nicht, dass dir das Constantine-Vermögen durch die gierigen Finger gleiten könnte.“

Zornig sah Andreos ihn an. „Dich reizt die Aussicht also gar nicht, ja?“

„Ich würde jedenfalls kein neunzehnjähriges Mädchen heiraten, um es zu bekommen.“

Ein Mädchen, das zufälligerweise mit seinem jüngeren Bruder verlobt gewesen war. Als Mathieu von der Verbindung erfahren hatte, war er nicht überrascht gewesen. Weniger eine Ehe als eine geschäftliche Verbindung, dachte er zynisch.

Doch seine Meinung änderte sich, als er die beiden jungen Leute zusammen erlebte. Ganz eindeutig waren sie wirklich ineinander verliebt.

„Sasha ist sehr reif für ihr Alter. Du könntest es wesentlich schlechter treffen. Diese Schauspielerin zum Beispiel, die sich bei der Filmpremiere derart an dich geklammert hat. Wie war noch ihr Name?“

Mathieu wollte seinem Vater nicht erklären, dass es sich dabei nur um eine Show gehandelt hatte, um Publicity für einen Low-Budget-Film zu bekommen. Also zuckte er mit den Schultern und gab zu: „Ich habe keine Ahnung.“

Die Frau war eine absolut Fremde gewesen, auch wenn sie ihm angeboten hatte, ihre Dankbarkeit in jeder nur erdenklichen Weise zum Ausdruck zu bringen. Was Mathieu angewidert abgelehnt hatte.

Ein solches Verhalten gefiel ihm ganz und gar nicht. Im Formel-1-Zirkus hatte er es zur Genüge kennengelernt – von Frauen, die seiner Ansicht nach all das verkörperten, was in der heutigen oberflächlichen und medienversessenen Gesellschaft schlecht war.

„Ich habe gelesen, dass die Hochzeitspläne schon weit fortgeschritten seien“, entgegnete Andreos sarkastisch.

Mathieu hob lediglich eine Augenbraue und erwiderte: „Du solltest die Auswahl deiner Zeitungen überdenken.“

„Du bist nicht ich.“

„Nein, nicht mal eine blassere Version.“ Mathieu wusste, dass er seiner französischen Mutter ähnelte. Manchmal fragte er sich, ob er seinen Vater an die junge Frau erinnerte, die er benutzt und dann zur Seite geschoben hatte.

„Also gibt es niemanden – du bist nicht verliebt?“

Nein, Mathieu war nicht verliebt, und er wollte es auch gar nicht sein. Im Gegenteil. Was sollte überhaupt dieses ganze Gerede von Liebe? Dabei handelte es sich doch nur um eine temporäre Unzurechnungsfähigkeit, die einen vom Lächeln eines anderen Menschen abhängig machte. Darin sah er keinen Reiz.

Außerdem tendierten die Menschen, die er liebte, dazu zu sterben.

Nein, sich zu verlieben, stand nicht auf seinem Programm. Die einzige Person, auf die er sich verließ, war er selbst, und so sollte es auch bleiben.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Außerdem kann ich mir kaum etwas weniger Reizvolles vorstellen als mit einem Teenager verheiratet zu sein – egal wie reif.“

Wieder verdunkelte sich das Gesicht seines Vaters vor Zorn. „Ich sage doch gar nicht, dass du das Mädchen heiraten sollst!“

„Aber du fändest es auch nicht schlecht, wenn ich es täte, und deshalb bringst du uns so oft wie nur möglich zusammen. Mein Gott, das ist so durchschaubar!“

„Das Mädchen ist Vasilis’ einziges Kind, seine Erbin. Ihr Ehemann würde …“

Mathieu hob eine Hand, um den Redefluss zu stoppen. „Du musst es nicht auch noch laut aussprechen. Ich weiß, dass du ein Imperium aufbauen willst.“ Sein Mund verzog sich verächtlich. „Darf das Mädchen eigentlich auch irgendetwas dazu sagen?“

„Tu nicht so überheblich“, blaffte sein Vater. „Und behaupte ja nicht, sie würde sich nicht in dich verlieben, wenn du es darauf anlegen würdest. Ich habe gesehen, wie Frauen auf dich reagieren.“

„Sie ist keine Frau, sondern ein Kind.“

„Für deinen Bruder war sie gut genug.“

„Die beiden waren ineinander verliebt.“

„Du hast alles andere von ihm genommen – warum nicht auch seine Frau?“

Die Worte standen zwischen ihnen, und die Spannung wuchs beinahe ins Unerträgliche, bis Mathieu schließlich sagte: „Ich wollte nie etwas von Alex.“

Außer einem Anteil an der Liebe ihres Vaters, doch dieser Wunsch starb an Mathieus sechzehntem Geburtstag. Seit einem Jahr lebte er damals in Griechenland, als er ein Gespräch mithörte, das ihm deutlich machte, dass er die Liebe seines Vaters niemals gewinnen würde.

Mathieus Gedanken wanderten zurück zu der fraglichen Szene. Er war an einer halb geöffneten Tür vorbeigekommen und hatte seinen Namen gehört. In der Stimme seiner sonst so sanften Stiefmutter hatte so viel Frustration und Zorn gelegen, dass er unwillkürlich innehielt …

„Der Junge gibt sich solche Mühe. Er tut alles, was du von ihm verlangst, und noch mehr. Kannst du ihn denn nicht wenigstens hin und wieder einmal ermutigen? Oder fällt es dir so schwer, ihn anzulächeln, Andreos? Mathieu sehnt sich verzweifelt nach deiner Anerkennung. Das sehe ich jedes Mal in seinen Augen, wenn er dich anschaut. Es bricht mir das Herz.“

„Was du in seinen Augen siehst, ist blanker Ehrgeiz, Mia. Wieso verstehst du das nicht? Der Junge ist hart, streitsüchtig …“

„Wie oft hast du mir schon gesagt, du wünschst dir, dass Alex dir mal widersprechen würde?“

„Das ist nicht dasselbe. Mathieu braucht weder Liebe noch Küsse, er braucht eine starke Hand.“

„Nicht eine, die im Zorn gegen ihn erhoben wird, das habe ich dir bereits gesagt. Wenn du noch einmal …“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe dir schon gesagt, dass es mir leidtut. Du weißt, dass ich nie die Hand gegen Alex erhoben habe. Es ist nur passiert, weil Mathieu gelogen hat. Und als er dabei erwischt wurde, hat er sich auch noch geweigert, sich zu entschuldigen.“

„Um Himmels willen, Andreos, bist du blind? Alex hat deine kostbare Statue zerbrochen. Aber er hatte zu viel Angst, dir unter die Augen zu treten, deshalb hat Mathieu die Schuld auf sich genommen.“

„Nein, nein, du täuschst dich! Ich weiß nicht, was für eine Geschichte er dir aufgetischt hat, aber …“

„Mathieu hat kein Wort gesagt. Alex hat mir von der Statue und den Schlägen erzählt.“

„Oh, verdammt, der Junge! Er hat mich so weit getrieben … die Sache ist die, Mia, wenn er mich ansieht, dann denke ich immer, er hätte nie geboren werden dürfen.“

An dieser Stelle reichte es Mathieu, und er war weitergegangen. Damals hatte die Wahrheit wehgetan, aber es war immer noch besser, sich einer bitteren Realität zu stellen als falsche Hoffnungen zu nähren.

„Du wirst mich entschuldigen müssen. Ich werde in Schottland erwartet.“

Vor einem Jahr war Mathieu nur auf Wunsch seiner Stiefmutter zurückgekehrt. „Versuch es wenigstens ein Jahr lang, Mathieu“, hatte sie ihn angefleht. „Dein Vater braucht dich, auch wenn er das niemals zugeben wird.“

Mathieu wollte ihr nicht die Illusionen rauben. Deshalb sagte er ihr nicht, wie wenig es ihn kümmerte, was sein Vater brauchte. Außerdem fügte sie noch hinzu: „Und wenn ich nicht mehr da bin, braucht er dich noch mehr. Die Firma und die Familie“, wisperte sie heiser, „beide brauchen an der Spitze eine starke Hand. Er wollte deinen Bruder auf diese Rolle vorbereiten …“

In diesem Moment erinnerte sich Mathieu daran, wie Alexander seine kleinen Finger vor Jahren um seine geschlossen und ganz ernst gesagt hatte: „Wenn ich älter bin, will ich genauso sein wie du, Mathieu, selbst wenn Vater mich dann nicht mag.“

„Alex hätte es hervorragend gemacht“, log Mathieu.

Mia lächelte wehmütig und schüttelte den Kopf. „Ich schätze deine Loyalität, aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Alex hat das Geschäft gehasst. Natürlich hat er versucht, es deinem Vater recht zu machen, aber …“ Sie schüttelte den Kopf. „Eines Tages hätte Andreos akzeptieren müssen, dass Alex niemals seinen Platz einnehmen würde, doch leider ist dieser Tag nie gekommen.“

Als Mathieu sie daraufhin in den Arm nahm – schockiert darüber, wie zerbrechlich und schwach sie sich anfühlte –, da umklammerte sie seine Hand und flüsterte: „Versprich mir, ihm zu helfen, selbst wenn er deine Hilfe nicht will.“

Also versprach Mathieu es, und auch nachdem er sein Versprechen erfüllt hatte, blieb er – nicht aus Pflichterfüllung, sondern weil ihm die Arbeit tatsächlich Spaß machte.

„Du undankbarer Kerl, du wirst genau das tun, was ich sage, oder … oder …“ Andreos ballte die Hände zur Faust und starrte seinen Sohn böse an.

Mathieu, dessen Ruhe sich durch nichts erschüttern ließ – schon gar nicht durch den Zorn seines Vaters –, hob nur eine Augenbraue. „Oder du wirst mich enterben?“

„Glaub ja nicht, ich würde es nicht tun!“

„Das ist deine Entscheidung.“

„Ich soll glauben, dass dir das egal ist?“ Der Ältere lachte laut und schüttelte den Kopf. „Dass es dir nichts ausmacht, ein milliardenschweres Imperium zu verlieren?“

„Mir ist völlig egal, was du denkst“, versetzte Mathieu gelassen. „Du kannst dein Imperium wem auch immer hinterlassen. Ich weiß, dass du es Alex geben wolltest.“

„Wage es ja nicht, seinen Namen in den Mund zu nehmen. Er war zehnmal so viel wert wie du!“

Mathieu fuhr ungerührt fort, als hätte er die Unterbrechung gar nicht gehört. „Aber das geht nicht mehr. Alex ist tot.“ Ein Bild seines lächelnden Bruders stieg in ihm auf, und für einen Moment überwältigte ihn ein fürchterlicher Schmerz, sodass er nicht weitersprechen konnte.

„Ich bin der einzige Sohn, der dir geblieben ist“, sagte er schließlich. „Und nun möchtest du mich in jemanden verwandeln, von dem du glaubst, dass er deine Linie fortsetzen wird.“ Mathieus Lächeln zeigte deutlich, wie wenig ihm an dem illustren Namen lag, den er als Teenager geerbt hatte. Als er seine Karriere im Formel-1-Sport begann, benutzte er ganz bewusst den Namen seiner Mutter, um sich abzugrenzen.

„Ich denke, wir schulden einander Ehrlichkeit. Ich bin weder an deinem Namen noch an deiner Linie oder deinem … Imperium interessiert. Ich habe einen eigenen Namen, und ich bin kein kleines, formbares Kind, Vater.

Schon vor langer Zeit wurde ich zu dem, der ich bin, ob das nun gut oder schlecht ist.“

Die Zornesröte seines Vaters vertiefte sich zu einem beängstigenden Purpurton. „Es ist nicht meine Schuld, dass ich von deiner Existenz nichts wusste. Deine Mutter … nach ihrem Tod habe ich dich in mein Haus gebracht.“

Wie ein Messer durchschnitt Mathieus Stimme den wütenden Protest seines Vaters. „Sie hieß Felicite, und du wirst nicht noch einmal von ihr sprechen. Dieses Recht hast du vor Jahren verloren.“

Andreos starrte ihn mit offenem Mund an. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm Befehle erteilte. Genauso wenig wie daran, so viel Leidenschaft in den Augen seines Sohnes funkeln zu sehen.

„Ich habe dir alles gegeben.“

Außer Liebe, dachte Mathieu. Laut jedoch sagte er: „Ich bin nicht der Sohn, den du willst, und du nicht der Vater, den ich mir ausgesucht hätte. Aber Fakt ist, dass ich der einzige Sohn bin, der dir geblieben ist. Vermutlich müssen wir beide lernen, damit zu leben.“

„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?“

Mathieu wusste aus bitterer Erfahrung, dass es dem Gegner einen Vorteil verschaffte, wenn man seine Emotionen zeigte. Doch in dieser Situation entglitt ihm seine eiserne Kontrolle. „Du meinst, weil ich nicht wie eine Marionette nach deiner Pfeife tanze?“

Andreos zuckte regelrecht zurück, so groß war der Zorn, der sich im Gesicht seines Sohnes abzeichnete. „Ich habe dir alles gegeben.“

„Nur aus einem widerwilligen Pflichtgefühl heraus. Du tolerierst mich nur, um Mias letzten Wunsch zu respektieren. Ist dir eigentlich nie in den Sinn gekommen, Vater, dass ich auch nur deshalb hier bin?“

Die Miene des älteren Mannes machte deutlich, dass er tatsächlich noch nie auf diese Idee gekommen war.

„Sie hat mich immer freundlich und liebevoll behandelt, obwohl allein meine Existenz ihr Schmerz bereitet haben muss.“ Mathieu holte tief Luft und rang um Kontrolle. „Nur aus Respekt vor ihrem letzten Wunsch bin ich nach ihrem Tod nicht gegangen.“

Beide Männer schwiegen, während sie sich an die letzten Monate in Mias Leben erinnerten, die sie mit einer Würde ertragen hatte, die diejenigen an ihrer Seite beschämte.

„Für mich gab es immer nur einen einzigen Punkt, der für dich sprach – dass eine Frau wie sie dich geliebt hat“, erklärte Mathieu kalt. „Sie muss irgendetwas in dir gesehen haben, was ich nicht sehe. Morgen reise ich nach Schottland. Tu du, was du willst, Vater.“

2. KAPITEL

Die Meinung ihrer Familie und ihrer Freunde war einhellig – Rose hatte den Verstand verloren. Nur eine vollkommen Verrückte, so argumentierten sie, würde ein bequemes Leben in der Hauptstadt aufgeben, um sich irgendwo in der Einöde zu vergraben. Meilenweit entfernt von jeglicher Zivilisation und einem halbwegs anständigen Kaffee.

Ihre Zwillingsschwester protestierte besonders lautstark. Anfangs hatte Rebecca nicht einmal geglaubt, dass Rose es ernst meinte. Doch als sie das Kündigungsschreiben ihrer Schwester sah, traf sie das wie eine kalte Dusche.

„Du reagierst massiv über, Rose. Du bist in deinen Chef verliebt. Na und, wem ist das noch nicht passiert?“

Allein bei der Erwähnung von Steven Latimer zuckte Rose zusammen. „Becky!“, protestierte sie, als ihre Schwester kurzerhand die Kündigung in tausend Teile zerriss.

Seit ihrer Kindheit galt die extravagante Rebecca als der dominante Zwilling. Wahrscheinlich durchschaute lediglich Rebeccas Ehemann Nick den wahren Charakter ihrer Beziehung.

„Sicher, Rose gibt Becky nach, aber ist euch schon aufgefallen, dass sie das nur bei unwesentlichen Dingen tut?“, hatte der clevere New Yorker einmal bemerkt. „Wenn es um etwas wirklich Wichtiges geht, etwas, das ihr am Herzen liegt, könnte Rose einem Esel Lektionen in Sturheit erteilen – auch wenn man das nicht erkennt, weil sie ihre Abfuhren mit so einem süßen Lächeln erteilt.“ Er schenkte seiner Schwägerin ein verschmitztes Grinsen und zwinkerte ihr zu.

Rose hob die Papierfetzen vom Boden. „Alles, was ich tun muss, ist eine neue Kopie auszudrucken, Becky.“

„Ist es wegen Latimer, Rosie?“, fragte Nick. „Gehst du, weil er dich unter Druck setzt? Das musst du dir nicht gefallen lassen, Honey. Heutzutage liegt die Toleranzgrenze bei sexueller Belästigung äußerst niedrig.“

Ein energisches Kopfschütteln war die Antwort. „Nein, so etwas tut Steven nicht, Nick. Er ist ein sehr ehrenhafter Mann.“

„Ich frage mich, ob dein Steven sich immer noch so ehrenhaft verhielte, wenn seine Frau nicht zufälligerweise die Tochter des Chefs wäre“, warf Rebecca ein.

„Becky, das ist nicht fair!“

„War es denn fair von ihm, dir zu sagen, dass er sich unsterblich in dich verliebt hat?“

„Solche Dinge laufen eben nicht nach Plan.“

„Meiner Ansicht nach plant Steven Latimer absolut alles. Der Mann hat keinen Funken Spontaneität in sich – was zugegebenermaßen nicht schlecht sein muss. Aber er ist der berechnendste Mensch, den ich kenne – und dabei sind mir schon einige von der Sorte über den Weg gelaufen. Wach endlich auf, Rose, der Mann, in den du dich verliebt hast, existiert nur in deinem Kopf“, erklärte Rebecca. „Steven ist ein egoistischer Mistkerl, und du bist so eine hoffnungslose Romantikerin. Manchmal glaube ich, dass du seine unerwiderte Liebe vorziehst, weil sie sicherer ist.“

Wieder schüttelte Rose den Kopf. Mochte die Entscheidung auch ihre Familie und Freunde verwundern, sie wusste, dass sie richtig war, egal wie sehr ihre Schwester die Dinge verdrehte.

„Ich wollte schon immer in die schottischen Highlands reisen“, wandte sie ein.

Reisen, nicht dort leben“, explodierte Rebecca und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Ich kann nicht glauben, dass du das tatsächlich ernst meinst.“

„Ich brauche einfach mal eine Pause. Dieser Mann will seinen Buchbestand katalogisieren. Und du weißt, dass ich nur zufällig zu diesem Marketing-Job gekommen bin. Eigentlich bin ich Bibliothekarin …“

Rebecca schnaubte verächtlich. „Jetzt tu bloß nicht so, als ginge es hier um verstaubte alte Bücher. Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Du läufst davon, und das ist ein großer Fehler. Um Himmels willen, es ist doch nicht so, als wäre irgendetwas passiert.“ Sie verstummte abrupt und warf ihrer Schwester einen misstrauischen Blick zu. „Oder?“

„Er ist verheiratet.“

Roses Protest schien ihre Schwester nur zu amüsieren. „Es ist allgemein bekannt, dass viele verheiratete Menschen Affären haben, Rose“, neckte sie. „Du weißt hoffentlich, dass du selbst eine Art Rarität im einundzwanzigsten Jahrhundert bist, oder?“

Der liebevolle Spott ihrer Schwester ärgerte Rose. „Nur weil ich nicht mit verheirateten Männern schlafe?“

„Nein, das macht dich nicht einzigartig – selbst ich mit meiner schillernden Vergangenheit hätte da Skrupel.“

Trotz Rebeccas lässigem Tonfall spürte Rose, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Ihre Schwester konnte ziemlich empfindlich reagieren, was den sogenannten „Sommer zum Vergessen“ betraf. Daher mieden sie beide das Thema.

„Die schottischen Highlands!“, stöhnte Rebecca. „Ich fasse es nicht. Du bist absolut verrückt!“

Rose hatte ihren mentalen Gesundheitszustand weiterhin nach allen Kräften verteidigt. Doch in dieser Sekunde, als sie ein splitterndes Geräusch unter ihren Füßen hörte und den Riss im Eis sah, musste sie zugeben, dass Rebecca vielleicht doch recht gehabt hatte.

Mathieu war früh aufgestanden, lange vor allen anderen im Haus. Er genoss die Einsamkeit, denn sie gab ihm genügend Zeit, um Kraft zu tanken und seine Gedanken zu ordnen, ohne Faxe, Telefonate oder E-Mails entgegennehmen zu müssen. Momente wie dieser waren in den vergangenen Monaten zunehmend seltener geworden.

Er verlagerte den Rucksack von einer Schulter auf die andere und drehte den Kopf, um die Verspannung zu lösen. Der Stuhl in Jamies Arbeitszimmer verursachte ihm Höllenqualen. Zumal er bis spät in die Nacht gearbeitet und alle Papiere durchgesehen hatte – einen riesigen unsortierten Haufen.

Zuerst hatte er geglaubt, Jamie hätte die Brisanz der Lage maßlos übertrieben. Doch inzwischen musste er ihm leider zustimmen: Sein Freund stand tatsächlich kurz davor, das Familienerbe zu verlieren.

Als Mathieu zu dem Morgenspaziergang aufgebrochen war, dämmerte es gerade erst. Als er jetzt auf die Uhr sah, stellte er fest, dass er es gerade rechtzeitig zum Frühstück zurück schaffen würde. Vielleicht konnte er vorher sogar noch ein paar Anrufe erledigen.

Etwa eine halbe Meile von der Stelle entfernt, wo er den Land Rover geparkt hatte, bemerkte er am Rande seines Blickfelds eine Gestalt mit roter Mütze. Da gibt es offensichtlich noch jemanden, der die frühe Morgenstunde genießt, dachte Mathieu und ging weiter. Als er den Felsabhang direkt über dem See erreichte, veranlasste ihn sein Instinkt, stehen zu bleiben und nach der weit entfernten Gestalt zu sehen.

„Niemand ist so dumm …“ Unwillkürlich hielt er den Atem an, während er ungläubig beobachtete, wie die Person das viel zu dünne Eis betrat.

Im nächsten Moment rannte Mathieu auch schon los. Er versuchte gar nicht erst zu schreien, denn die Person würde ihn ohnehin nicht hören – nicht so, wie der Wind pfiff.

Dann durchbrach ein lautes Krachen die Stille, gefolgt vom Schrei einer Frau. Ein mächtiger Sprint brachte Mathieu innerhalb von Sekunden an den Rand des Eises.

Er handelte weder hektisch noch überstürzt. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und wägte alle Faktoren ab. Diese Fähigkeit, zusammen mit blitzschnellen Reflexen und stahlharten Nerven, hatte ihn zu einem erfolgreichen Rennfahrer gemacht.

Tief Luft holend, steckte er seinen Eispickel in den Gürtel und legte sich flach aufs Eis. Dabei achtete er darauf, sein Gewicht möglichst gleichmäßig zu verteilen. Dann kroch er so schnell es ging zu der Stelle, an der ein gähnendes Loch klaffte und silbriges Wasser glänzte.

Er sah die rote Mütze auftauchen, hörte einen unterdrückten Schrei und bewegte sich noch schneller, obwohl sich mehrere gefährliche Risse unter ihm auftaten. Als er den Rand des Lochs erreichte, sah er gerade noch, wie eine weiße Hand im Wasser versank.

Rasch schob er seinen Eispickel ins Wasser und stellte erleichtert fest, dass er sich irgendwo verhakte. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck und angespannten Muskeln begann Mathieu zu ziehen.

Selbst als sie den Mund öffnete, um nach Hilfe zu schreien, wusste Rose, wie gering die Chance war, dass jemand sie hörte. Nie zuvor hatte sie eine solche Kälte erlebt. Sie drang in jede Pore ihres Körpers. Nach dem ersten Schock begann sie, heftig zu strampeln und um sich zu treten, um wieder an die Oberfläche zu gelangen.

Rose war eine gute Schwimmerin, aber das eiskalte Wasser raubte ihr innerhalb weniger Minuten die Kraft. „Hilfe“, schrie sie verzweifelt, während sie bereits wieder nach unten sank.

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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