Wie heiratet man einen Highlander?

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Alexander MacLean schäumt vor Wut. Wie kann diese Caitlyn Hurst ihn nur vor der adligen Gesellschaft in London blamieren! Großspurig hat die impulsive Schönheit verkündet, sie würde ihn eines Tages heiraten, ob er wolle oder nicht. Aber der stolze Laird des MacLean-Clans wird der kessen Miss Hurst eine Lehre erteilen. Dass sie seine Einladung auf seine Burg in den Highlands annimmt, ist Teil des Plans. Dass Caitlyn ihn dort allerdings zu einer Wette herausfordert, nicht: Wenn Alexander gewinnt, teilt sie mit ihm sein Bett. Wenn er verliert, muss er ihr einen Antrag machen. Aber ein Highlander gewinnt schließlich immer. Oder nicht?


  • Erscheinungstag 01.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733764883
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Falls jemals ein Mann einer Frau bedurfte, die ihm zeigte, wie es wirklich in der Welt zugeht, so war es Alexander, Laird des MacLean-Clans.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Dann ist es also beschlossene Sache“, erklärte er, und seine tiefe Stimme klang höchst zufrieden. „Caitlyn Hurst wird endlich für das Leid bezahlen, das sie mir und meiner Familie angetan hat.“

Georgiana, Duchess of Roxburge, war froh, dass nicht sie diejenige war, an der Rache genommen werden sollte, als sie den entschlossenen Ausdruck in dem sonst so sensiblen und doch energischen Männergesicht wahrnahm. „Es war nicht leicht, sie hierher zu locken, ganz besonders nicht angesichts der Gesellschaft, in die ich mich zu diesem Zweck begeben musste“, meinte sie missbilligend, während sie eine Haarbürste mit silbernem Griff durch ihre langen roten Locken gleiten ließ. „Es gefällt mir nicht sonderlich, mich unters Volk zu mischen.“

„Wirklich nicht?“ Er verzog den strengen Mund zu einem leichten Lächeln. „Obwohl doch ständig die erfreuliche Gelegenheit besteht, einen Verwandten zu treffen …“

Georgiana unterbrach einen Moment das Bürsten, bevor sie fauchte: „Ich weiß nicht, wovon du sprichst!“

Mit hochgezogenen Brauen musterte er sie spöttisch.

Sie zwang sich, weiterhin mit langen, gleichmäßigen Strichen ihre Haare zu bürsten, obwohl sie vor Zorn und Furcht innerlich bebte. Eigentlich hätte sie darauf gefasst sein sollen. Denn Alexander, Laird des MacLean-Clans, war für seine Fähigkeit bekannt, die Wahrheit herauszufinden, und sie hätte wissen müssen, dass er irgendwann auch die ihre in Erfahrung bringen würde. Jetzt mochte sie eine Duchess sein, doch früher …

Ihr Magen krampfte sich zusammen, und Georgiana beobachtete Alexander unter halb gesenkten Lidern. Er wandte sich zum Fenster, und das schwindende Tageslicht fiel in sein Gesicht, brachte seine grünen Augen zum Funkeln und betonte die kühne Form seiner Nase und die sinnliche Härte seiner Lippen. Während sie seinen Mund betrachtete, erschauderte sie ein wenig und musste daran denken, wie er …

„Nun kann das Spiel also beginnen.“ Er drehte sich zu ihr um. „Wie hast du Mrs Hurst dazu gebracht, deiner Einladung an ihre Tochter zuzustimmen?“

Ein wenig beruhigt durch die Aufmerksamkeit, die er ihr zuteil werden ließ, verzog Georgiana ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund. „Es hat mich zwei Wochen gekostet, bis diese Frau mich überhaupt einmal zu Ende reden ließ, und dann musste ich ihr versprechen, auf ihre kostbare Tochter aufzupassen, als wäre sie meine eigene.

„Sie hat Caitlyn während der vergangenen drei Monate hinter Schloss und Riegel gehalten. Es war mir absolut nicht möglich, in die Nähe dieser verdammten Frau zu gelangen.“ Alexander schenkte Georgiana einen Blick, der fast liebevoll wirkte, und ihr Herzschlag geriet aus dem Takt. „Vielen Dank für deine Hilfe, Georgiana. Ich werde mich revanchieren.“

Sie bewegte sich ein wenig, sodass ihr Morgenmantel vorne auseinanderklaffte und ihr neues Negligé im französischen Stil sichtbar wurde. Es war aus so dünnem Batist, dass sich die Spitzen ihrer üppigen Brüste darunter abzeichneten. Jeder andere Mann hätte sich ihr bei diesem Anblick heftig atmend vor Verlangen genähert, nicht so MacLean.

Er blieb entspannt in seinem Sessel am anderen Ende des Zimmers sitzen, die langen muskulösen Beine ausgestreckt, einen nachdenklichen Ausdruck in seinem strengen, gut aussehenden Gesicht. Sein Blick war auf ein unsichtbares Ziel in weiter Ferne geheftet, die wohlgeformten Lippen hatte er zu einem zufriedenen Lächeln verzogen.

Es hatte sie fast zwei Jahre gekostet, ihn mithilfe sanfter Verführungskünste in ihr Bett zu bekommen, und er hatte weniger als drei Monate gebraucht, bis er ihrer überdrüssig gewesen war. Bei diesem Gedanken begannen ihre Wangen zu brennen, und sie umklammerte den Griff ihrer silbernen Bürste, bis ihre Finger schmerzten. „Was willst du eigentlich mit dem Hurst-Mädchen anstellen? Du hast es mir niemals erklärt.“

Sein Blick wurde dunkel. „Caitlyn Hurst ist mir einiges schuldig. Sie hat mich zum Gespött der Leute gemacht.“

Georgiana stellte zufrieden fest, dass MacLeans Mund schmal wurde, und sie bemühte sich um einen mitfühlenden Ton, um ihren Triumph zu verbergen. „Alle sprachen davon, dass die kleine Hurst behauptet hatte, sie würde dich auf ihre Art dazu bringen, sie zu heiraten. Sie hat euch beide zum Gerede der Londoner Adelsgesellschaft gemacht.“

Seine Miene verdüsterte sich. „Und nun werde ich dafür sorgen, dass ich das erhalte, was mir zusteht. Wann kommt sie an?“

„Im Laufe der Woche. Ich lasse sie mit meiner Kutsche abholen.“

„Sehr gut.“ Er lehnte den Kopf gegen die hohe Rückenlehne des Sessels und lockerte seine breiten Schultern, während er seine glänzenden schwarzen Stiefel an den Knöcheln überkreuzte. „Caitlyn Hurst ist unglaublich impulsiv. Ich muss sie lediglich in eine anzügliche Situation bringen, und schon wird ihr Ruf für immer ruiniert sein. Nur dass dieses Mal weder ihre Schwester noch mein Bruder in der Nähe sein werden, um sie zu retten.“

„Sei aber vorsichtig, dass du nicht am Ende auch dem Pfarrer in die Falle gehst, so wie es Hugh passiert ist.“ Georgiana war in jener Nacht dabei gewesen, als Alexander entdeckt hatte, dass Caitlyn einen Plan verfolgte, um ihn dazu zu bringen, um ihre Hand anzuhalten. Alexanders Bruder und Caitlyns Schwester hatten versucht, sie aufzuhalten, als sie sich leichtsinnig in eine Situation gebracht hatte, die, wäre sie bekannt geworden, ihren Ruf völlig zerstört hätte. Ihr gemeinsames beherztes Eingreifen hatte sie selbst in eine kompromittierende Lage gebracht, und schließlich waren Alexanders Bruder und Caitlyns Schwester gezwungen gewesen, zu heiraten.

Wut war ein viel zu schwaches Wort für die Gefühle, die Alexander übermannt hatten, als er davon erfuhr. Das Gesicht bleich vor loderndem Zorn, war er in seiner Bibliothek auf und ab gegangen, und am vorher klaren Nachthimmel war ein brodelndes, gefährliches Unwetter aufgezogen. Selbst jetzt noch, Monate später, erschauderte Georgiana bei der Erinnerung an jene Nacht. Sie kannte die Gerüchte um den Fluch der MacLeans, doch vor diesem Erlebnis hatte sie nicht daran geglaubt.

Er verzog den Mund. „Ich würde eher eine Spülmagd heiraten als diese Frau.“

„Du bist viel zu klug, um dich von ihr in die Falle locken zu lassen“, schmeichelte Georgiana. „Ich hoffe, die Anwesenheit des Mädchens wird nicht allzu peinlich sein. Meine anderen Gäste werden sich fragen, warum ich so ein ungehobeltes Geschöpf eingeladen habe.“

„Du musst dir keine Sorgen machen; Caitlyn hat sich während ihres Aufenthalts in London äußerst vornehm herausgeputzt. Selbst Brummel erwähnte das, und du weißt, dass es schwer ist, vor den Augen dieses Dandys Gnade zu finden.“

Leise Befürchtungen stiegen in ihr auf. „Wie alt ist Caitlyn? Zwanzig, nicht wahr?“

„Dreiundzwanzig.“

„Wie spaßig. Zwischen deinem und ihrem Alter liegt dieselbe Anzahl an Jahren wie bei Humbolt und seiner jungen Frau“, meinte sie im Plauderton und warf MacLean unter dichten Wimpern einen prüfenden Blick zu.

Alexanders Gesichtsausdruck wurde starr, und Georgiana verbarg ein Lächeln. Viscount Humbolt war MacLeans bester Freund gewesen. Zu jedermanns Überraschung hatte Humbolt sich im Alter von zweiundvierzig Jahren bis über beide Ohren in eine Frau verliebt, die fast zwanzig Jahre jünger war als er. Seine Mutter, die geglaubt hatte, ihr Sohn würde niemals heiraten, war überglücklich gewesen, doch Alexander hatte große Vorbehalte gegen diese ungleiche Verbindung gehabt. Humbolt war allerdings nicht bereit gewesen, sich Bedenken, die seine Braut betrafen, anzuhören.

Das Glück des Viscounts war dann auch nur von kurzer Dauer gewesen. Die frischgebackene Viscountess war eine unersättliche Frau, die während der folgenden sieben Jahre ihrem Ehemann zahllose Szenen in der Öffentlichkeit machte, ihn immer wieder demütigte und ihn schließlich finanziell ruinierte.

Eines Tages fand Humbolts Finanzberater den Viscount tot auf, eine Pistole in der Hand. Unter dem Briefbeschwerer auf seinem Schreibtisch lag ein Abschiedsbrief, in dem er seine Frau verfluchte. Der Brief war für diejenigen, die ihn von Herzen geliebt hatten, jedoch kein Trost.

Der Tod seines Freundes hatte MacLean zutiefst getroffen. Selbst jetzt noch, vier Jahre später, wurden seine Augen dunkel und seine Lippen bleich, wenn jemand diese Zeit erwähnte. „Ich habe kein Interesse an Caitlyn Hurst, falls du das meinst“, blaffte er.

„Ich bin sicher, dass du dich nicht für sie interessierst“, versuchte Georgiana ihn zu besänftigen. „Du bist viel zu kultiviert für eine Pfarrerstochter. Ich fand ja auch immer, dass Clarisse viel zu jung und zu schön für Humbolt war. Er hätte ahnen können, wie es enden würde. Sie wollte an sein Geld, und nachdem sie es hatte … Im Grunde hat sie ihn die ganze Zeit an der Nase herumgeführt.“

Alexanders Miene wurde wachsam, und seine Augen funkelten irritiert. „Vielleicht.“

Es beruhigte sie, dass er nicht widersprach. Er hatte für sehr junge Frauen nie etwas übriggehabt, doch sie befürchtete, dass Caitlyn Hurst vielleicht anders war. Was auch immer er einmal für dieses Mädchen empfunden haben mochte, diese Gefühle waren vorbei, nachdem Caitlyn dafür gesorgt hatte, dass ganz London über ihn tratschte.

Mit einer ungeduldigen Geste erhob er sich aus seinem Sessel. „Ich muss mich auf den Weg machen. Der Duke of Linville und ich sind zu einem Ausritt verabredet. Er will sein neues Pferd ausprobieren.“

Georgiana ließ ihren Blick über seine breiten Schultern gleiten und betrachtete seine eng sitzende Jacke, die auf der Höhe seiner schmalen Hüften endete, die kräftigen Schenkel …

„Finden meine Reithosen deine Zustimmung?“

Hastig hob sie den Blick. Sie schaute ihm in die Augen, während ihre Wangen anfingen zu brennen und sie sich bemühte, ihre Lippen zu einem hoffentlich ironischen Lächeln zu verziehen. „Du kannst mir meine kostbaren Erinnerungen nicht zum Vorwurf machen.“

„Solange dir bewusst ist, dass es nur noch Erinnerungen sind.“ Er senkte den Blick und fügte leise hinzu: „Ich hoffe, du betrachtest meine Bitte um Unterstützung unter dem Aspekt des Freundschaftsdienstes und interpretierst nicht mehr hinein.“

Ihr gelang ein mattes Lächeln. „Wir sind Freunde und werden es hoffentlich auch immer bleiben.“ Jedenfalls für den Moment.

Er verbeugte sich, und sein Blick war liebevoller als während der ganzen zwei Tage seit seiner Ankunft. „Ich wünsche dir einen schönen Tag, Georgiana. Wir sehen uns beim Dinner.“ Er ging mit einer so athletisch wirkenden Anmut zur Tür, dass ihr Mund plötzlich trocken wurde.

Dann war er fort, und das Zimmer fühlte sich schrecklich leer an.

1. KAPITEL

Nur einer Frau, die das Wörtchen Nein nicht kennt, wird es gelingen, einen MacLean zu erobern, vor allem einen solchen mit einem Herzen aus Stein.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Eine richtige lebendige Duchess?“

Caitlyn Hurst lachte über den Aufschrei ihrer jüngeren Schwester. „Ja, eine echte lebendige Duchess, keine echte tote Duchess.“

„Du weißt genau, was ich meine.“ Mary warf sich aufs Bett ihrer Schwester neben den abgeschabten Koffer, die drei Ballkleider, einen Stapel sorgfältig gefalteter Unterwäsche und ein Paar gut eingetragener Tanzschuhe. „Ich wünschte, ich wäre zusammen mit vielen anderen Gästen für drei Wochen ins Haus einer echten lebendigen Duchess eingeladen!“

Caitlyn legte ein Paar Strümpfe, die erst ein einziges Mal gestopft waren, in eine Reisetasche, die auf dem Boden stand. „Du missgönnst mir doch nicht etwa das einzige Vergnügen, das ich seit Monaten habe?“

„Nein, ich wünschte nur, ich könnte mit dir kommen.“ Mary breitete die Arme aus. „Im Brief der Duchess steht, dass es Spaziergänge durch den Park geben wird, Ausritte, Bogenschießen, Kartenspiele …“

„Über Letzteres ist Mutter nicht besonders begeistert.“

„Nein. Aber Papa hat dir eine Guinee zugesteckt, damit du spielen kannst. Es scheint also nicht so fürchterlich zu sein. Außerdem war es nicht das Glücksspiel, das Mutter nicht gefiel; es war der Maskenball. Ich dachte wirklich, sie würde dich nicht gehen lassen, weil die Duchess geschrieben hat, dass du ein Kostüm brauchst.“

„Ich musste versprechen, keine Maske zu tragen und mich zu benehmen, wie es sich für eine wohlerzogene junge Dame gehört.“

Mary runzelte die Stirn. „Kannst du das denn?“

„Ich werde es tun“, erklärte Caitlyn eifrig und meinte es auch so. Das tat sie immer; das Problem war nur, dass sie nicht mehr daran dachte, wenn sie die Beherrschung verlor. Es war nicht etwa ihr brennender Wunsch, die Regeln der Gesellschaft zu brechen; aber wenn jemand sie provozierte oder der Zorn sie übermannte, war ihr Temperament ausgeprägter als jede Vorsicht und Vernunft.

Mit mehr Schwung als nötig stopfte Caitlyn einen Schal in ihren Reisekoffer. Verdammt noch mal, wenn sie sich nur vor drei Monaten zusammengerissen hätte! Sie war wegen Alexander MacLeans Verhalten so unglaublich wütend geworden, dass sie Dinge gesagt und getan hatte, die sie besser gelassen hätte. Doch das konnte sie nun nicht mehr ändern, ihr blieb nur die Möglichkeit, diese unerwartete Einladung zu nutzen, um sich und ihrer Familie wieder einen Platz in der Gesellschaft zu erobern.

Mary berührte vorsichtig eines der neuen Kleider, die auf dem Bett ausgebreitet waren, damit sie in Seidenpapier gewickelt werden konnten, bevor sie in den Koffer kamen. „Ganz bestimmt hat keiner im Haus der Duchess so schöne Kleider wie diese. Du kannst besser nähen als die meisten Modistinnen in der Bond Street.“

Caitlyn lächelte. „Vielen Dank! Das ist wirklich ein Kompliment. Ich bin besonders stolz auf das silberne Kleid; es ist für den Maskenball.“

„Du siehst wundervoll darin aus, obwohl Mutter dich gezwungen hat, den Ausschnitt zu verkleinern.“ Mary verzog das Gesicht. „Wenn es nach ihr ginge, würdest du von Kopf bis Fuß in einen Kartoffelsack genäht auf dem Maskenball erscheinen. Mutter macht sich viel zu viele Sorgen, obwohl du …“ Caitlyns Schwester errötete.

Sofort verschwand Caitlyns gute Laune. „Ich werde nie wieder zulassen, dass mein Temperament mit mir durchgeht. Wenn ich mich nicht so schlecht benommen hätte, dass Triona meinte, sie müsse nach London kommen, um mich zu retten, wäre sie nicht gezwungen gewesen, zu heiraten und …“ Es gelang ihr nicht, fortzufahren, weil ihre Kehle plötzlich ganz eng war.

Mary griff nach der Hand ihrer Schwester. „Am Ende ist doch alles gut geworden. Triona ist schrecklich verliebt in ihren Mann, und sie hat gesagt, sie hätte es dir zu verdanken, dass sie ihn kennengelernt hat. Und du hast unsere Großmutter zu einer ganz glücklichen Frau gemacht. Sie ist sehr, sehr froh über die Hochzeit.“

„Großmutter glaubt, dass alles, was mit den MacLeans zu tun hat, wunderbar ist – ganz besonders, wenn es bedeutet, dass sie ein paar großartige Urenkel bekommt.“

„Oh, das wäre wirklich …“

Vom Flur her war gewaltiger Lärm zu hören. Es klang, als würde eine Herde Kälber dort herumtoben. Gleich darauf wurde nach einem kurzen Anklopfen die Tür aufgerissen, und ins Zimmer stürmte William, ihr ältester Bruder, gefolgt von einem erstaunlich elegant gekleideten Robert und dem viel zu dünnen Michael.

Sie waren alle sehr groß, ganz besonders William, der seine Brüder noch deutlich überragte und dessen Schultern beeindruckend breit waren.

Michael, der erst vor Kurzem von einem heftigen Husten genesen war, warf sich schlaksig in den Sessel vor dem Kamin. „Nun?“, erkundigte sich der Sechzehnjährige und betrachtete die Kleider und Schuhe und die anderen Kleinigkeiten, die überall im Zimmer verteilt waren. „Ich dachte, du hättest inzwischen fertig gepackt.“

Mary grinste. „Caitlyn hatte nur zwei Wochen Zeit zum Packen. Du weißt genau, dass das viel zu kurz ist.“

Caitlyn starrte Michael mit zusammengekniffenen Augen an. „Seid ihr alle nur gekommen, um uns auf die Nerven zu gehen? Ich kann euch versichern, wir haben auch so genug zu tun und haben nicht vor, euch zu unterhalten.“

Robert betrachtete die Sachen, die auf dem Bett herumlagen, durch ein Monokel, das er neuerdings benutzte. „Gütiger Gott, Mädchen! Was willst du denn bloß alles mitnehmen?“

Caitlyn richtete den Blick auf ihren anderen Bruder. „Musst du dieses schreckliche Augenglas benutzen?“

„Das ist modern“, erklärte er in energischem Ton, wirkte dabei jedoch unsicher.

„Für einen kurzsichtigen Zyklopen vielleicht.“

Mary kicherte, während Michael und William laut schnaubten.

Robert ließ das Monokel in die Jackentasche gleiten und bemerkte hochmütig: „Nur weil du keine Ahnung von Mode hast …“

„Hat sie wohl!“, unterbrach ihn Mary. „Du hast doch die Kleider gesehen, die sie genäht hat.“

Caitlyn strich ein blaues Vormittagskleid auf dem Bett glatt. „Falls man der Liste der Vergnügungen, die die Duchess plant, Glauben schenken kann, habe ich weniger Kleider, als ich brauchen werde. Aber diese müssen reichen. Ich kann die Schultertücher und Schuhe austauschen und ein paar kleine Änderungen vornehmen, sodass die Kleider immer wieder anders aussehen.“

„Caitlyn hat sogar ihr altes Reitkostüm geändert.“ Mary schob die Hand in den offenen Koffer und strich liebevoll über das braune Reitkleid aus Samt. „Hilfst du mir dabei, auch so eins zu nähen, wenn du zurückkommst?“

Michael schnaubte erneut. „Und wo willst du das tragen? Das einzige Reittier, das wir haben, ist die alte, fette Stute des Gutsherrn.“

„Es ist egal, wie das Pferd aussieht, auf den Reiter kommt es an“, fauchte Mary.

„Du hast Stunden damit zugebracht, ein Reitkostüm zu nähen, das du nur ein oder zwei Mal im Monat tragen wirst?“ Dieser Gedanke schien Michael zu erstaunen.

„Falls ich gut darin aussehe, ist es die Mühe wert.“

„Eitelkeit ist eine Sünde. Das hat uns Vater schon eine Million Mal gesagt.“

„Wenn man den Wunsch hat, gut auszusehen, ist man nicht eitel. Eitelkeit ist viel eher, wenn du meinst, du siehst so gut aus, dass es egal ist, was du anhast.“

Diese Bemerkung löste eine Diskussion zwischen Mary und Michael aus, die an Lautstärke gewann, als Robert und William die beiden noch weiter anfeuerten.

Caitlyn ignorierte sie und packte ein mit Sternen bedrucktes Schultertuch ein, das sie vor drei Monaten während ihres Aufenthalts in London gekauft hatte. Ist das wirklich erst so kurz her? Die ganze Episode erschien ihr inzwischen wie ein verblasster Albtraum.

Sie konnte sich nicht mehr genau an die Bälle und die Kleider erinnern oder an die opulenten Speisen oder die Attraktionen Londons, doch in ihrem Gedächtnis war noch jede einzelne Sekunde ihres gefährlichen Flirts mit Alexander MacLean bewahrt. Sie wusste noch ganz genau, wie er ihr das Reiten beigebracht hatte. Obwohl sie dafür gesorgt hatte, dass sich aus Gründen der Schicklichkeit ein Reitknecht in der Nähe aufhielt, war es MacLean gelungen, den Mann anderweitig zu beschäftigen. Er hatte ihn nach „heruntergefallenen“ Handschuhen suchen lassen oder auch nach einem Schal, den der Wind angeblich weggeweht hatte, obwohl sich an diesem Tag kein Lüftchen regte.

Wenn sie daran dachte, wie sie selbst dabei mitgemacht hatte, die Diener abzulenken, wurden ihre Wangen heiß. Damals hatte sie an nichts anderes denken können als an ihren Wunsch, von MacLeans starken Armen umschlungen zu werden. Oder daran, wie sehr sie sich nach seinen heißen Küssen sehnte und … Sie verscheuchte die Erinnerungen. Das war ein für alle Mal Vergangenheit und noch unbedeutender als der nicht vorhandene Wind, von dem MacLean damals gesprochen hatte.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich Mary zu. „Wenn ich zurückkomme, nähe ich dir ein Reitkostüm. Wir können den blauen Samt von deinem alten Mantel benutzen und den goldfarbenen Abendumhang, den Mutter in dem großen Koffer auf dem Dachboden aufbewahrt. Die Farben passen perfekt zusammen, und an den Stellen, wo der Stoff abgetragen ist, nähen wir ein paar silberne Blumen auf; dann fallen sie niemandem auf. So habe ich es auch bei einem meiner neuen Kleider gemacht.“

Robert vergaß für einen Augenblick sein gelangweiltes Mann-von-Welt-Gehabe und schnaubte: „Du hast also vor, die hohe Gesellschaft mit ein paar klug platzierten Stoffblumen zum Besten zu halten? Sie werden deinen Trick innerhalb von Sekunden durchschaut haben.“

Caitlyn faltete einen dunkelblauen Seidenschal zusammen und legte ihn in die Reisetasche. „Oh, sie werden es nie herausfinden. Das ist ihnen schon früher nicht gelungen.“ Nun stellte sie ein Paar Satinschuhe in den Reisekoffer neben die anderen. „Nur drei Paar Abendschuhe. Ich wünschte, ich hätte noch mindestens zwei Paar mehr.“

William, der im Türrahmen lehnte, zog die Brauen hoch und erkundigte sich mit einem Funkeln in den Augen: „Wie viele Paar Abendschuhe braucht man denn für eine schlichte Einladung aufs Land?“

„Es ist keineswegs eine schlichte Einladung!“, protestierte Mary. „Caitlyn ist in das Schloss einer echten lebendigen Duchess eingeladen!“

„Ich sollte mindestens ein Paar Schuhe für jede Farbe haben, in der ich ein Kleid besitze. Aber ich werde eben so zurechtkommen müssen.“ Caitlyn legte das letzte Kleid in den Koffer und zupfte es sorgfältig zurecht, bevor sie den Deckel zuklappte. „Ich befürchte immer noch, dass Mutter jeden Moment hereinkommt und verkündet, sie hätte es sich anders überlegt.“

„Das wird sie nicht tun“, erklärte Robert in überlegenem Ton.

Caitlyn musterte ihn erstaunt. „Woher willst du das wissen?“

„Ich habe gehört, wie sie mit Vater gesprochen hat. Mutter glaubt, dass es dir gelingen wird, dich die paar Wochen zu benehmen. Sie meint, du hättest wunderbare Fortschritte gemacht, was dein Temperament betrifft. Obwohl du es wohl kaum während der letzten drei Monate verloren haben dürftest. Und“, er grinste, „sie hofft, dass du einen passenden Mann kennenlernst.“

Caitlyns Wangen glühten. „Ich will keinen passenden Mann kennenlernen.“ Sie wollte einfach nur eine Gelegenheit haben, den Namen ihrer Familie reinzuwaschen und ihren Eltern zu beweisen, dass sie aus ihrem schrecklichen Fehler gelernt hatte.

Eine Sache machte sie an der ganzen Angelegenheit besonders wütend: Niemand schien MacLean auch nur die geringste Mitschuld zu geben, dabei hatte er genauso großen Anteil an Trionas zerstörtem Ruf wie Caitlyn. Wäre er nicht in vollem Bewusstsein so faszinierend gewesen, hätte sie ihm nicht die geringste Beachtung geschenkt. Doch von dem Moment ihrer ersten Begegnung an hatte er sie verspottet und provoziert, und sie besaß nun einmal nicht die Selbstbeherrschung, darauf nicht einzugehen.

Eines war sicher: MacLean war entschlossen gewesen, sie zu küssen. Das wusste sie, weil er es ihr gesagt hatte, als sie sich zum dritten Mal begegnet waren. Natürlich hatte sie darauf völlig unangemessen geantwortet, nämlich: „Versuchen Sie es nur!“ Und damit hatte alles angefangen.

Zwischen ihnen hatte unverkennbar eine starke Anziehung geherrscht, heiß und drängend, die in Caitlyn Gefühle auslöste, wie sie sie nie zuvor empfunden hatte. Ein Kuss von Alexander MacLean verwandelte sie in ein bebendes Etwas, das nur aus wilder Leidenschaft bestand. Schlimmer noch, sie war süchtig nach ihm wie nach Schokolade, und ehe sie sich’s versah, bemühte sie sich, mehr und mehr von diesen Küssen zu bekommen. Deshalb nahm sie immer größere Risiken auf sich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, forderte ihn immer weiter heraus, obwohl er sie schon von sich aus provozierte, bis sie sich beide gefährlich nah an jener Grenze bewegten, die sie nicht überschreiten durften.

Seltsamerweise war es die Erinnerung an diese Küsse, die Caitlyn am meisten quälte. Jeden Abend, wenn sie die Augen schloss, träumte sie von ihnen – heiß, leidenschaftlich, entschlossen und …

Nein! Das ist alles Vergangenheit. Sie stellte den Koffer neben die lederne Reisetasche. „Das war’s. Ich bin fertig mit dem Packen.“

Michael beäugte die Reisetasche. „Hast du da auch Kleider drin?“

„Du hast nicht geglaubt, dass sie all ihre Kleider und ein Reitkostüm in einen Koffer bekommen würde, nicht wahr?“, erkundigte sich Mary und runzelte die Stirn. „Hilf jetzt, die Sachen in die Halle zu bringen. Die Duchess schickt ihre Kutsche, um Caitlyn abholen zu lassen, und die wird jeden Augenblick hier sein.“

Robert griff nach dem Reisekoffer und eilte aus dem Zimmer. Dabei rief er über die Schulter: „Ich wette, die Pferde sind edelsten Geblüts!“

Als wäre sie federleicht, hob William die Ledertasche vom Boden auf und warf sie sich über die Schulter. „Ich will die Pferde auch sehen.“

Grinsend schlenderte Michael zur Tür. „Soll ich Mutter sagen, dass du gleich nach unten kommst, Caitlyn?“

„Mach das bitte. Ich will nur sichergehen, dass ich nichts vergessen habe.“

„Gut.“ Er winkte und ging.

Mary trödelte noch an der Tür herum. „Du schreibst mir doch?“

„Jeden dritten Tag.“

„Das wird wohl reichen müssen“, stellte Mary mit einem Seufzer fest. „Ich wünsche so sehr, ich könnte dich begleiten.“ Mit einem sehnsüchtigen Blick verließ sie ebenfalls das Zimmer.

Caitlyn griff nach ihrem abgetragenen Wollmantel und einem dicken Schal. Das würde sie zusammen mit ihren vernünftigen Stiefeletten tragen. Wenn sie in zwei Tagen Balloch Castle erreichten, würde sie kurz vorher anhalten lassen und ihre modischeren Sachen anziehen, die schöner, aber nicht so warm waren.

Sie schaute sich ein letztes Mal in ihrem Zimmer um. Dann, als sie sicher war, dass sie nichts vergessen hatte, verließ sie den Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

2. KAPITEL

Ach, ihr Mädchen, vertraut niemals einem Mann, der behauptet, er könne ein Geheimnis für sich behalten.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei Enkelinnen.

Drei Tage später löste Caitlyn die Ösen des Ledervorhangs vor dem Kutschenfenster. Umgehend strömte eisige Luft ins Wageninnere. Sie erschauderte, kuschelte sich tiefer in ihren warmen Wollmantel und stopfte die Decken um ihre Beine fest. Dank der dicken Wolldecken und des Fußwärmers waren nur ihre Wangen und ihre Nase kalt.

Sie war noch nie so luxuriös gereist, doch die Fahrt zog sich ermüdend lange hin. Dass man nur langsam vorankam, war der Preis für die Reise in einer so komfortablen Kutsche.

Viele Menschen hätten den Luxus, den die Kutsche bot, als Entschädigung für den zusätzlichen Reisetag betrachtet, doch Caitlyn ertappte sich dabei, wie sie im Geiste versuchte, die Kutsche anzutreiben. Doch der Wagen schaukelte dahin und suchte sich seinen Weg auf der holprigen Straße mit den vielen Schlaglöchern. Sie schienen an jedem Gasthaus zu halten. Obwohl sie beeindruckt war von den angebotenen warmen Getränken, dem Käse und dem knusprigen Brot und es genoss, dass die Diener bei jeder Pause den Fußwärmer mit heißen Kohlen füllten, war sie des Sitzens nur noch überdrüssig. Sie wollte endlich ankommen!

Caitlyn wandte sich an ihre Begleiterin, eine Zofe, die die Duchess ihr als Anstandsdame geschickt hatte. „Wie lange dauert es noch, bis wir Balloch Castle erreichen, Muiren?“

Muiren, eine dünne, knochige Frau, die die traditionelle schwarze Tracht der Zofen trug und in einen dicken Mantel gewickelt war, öffnete die Augen und blinzelte verschlafen aus dem Fenster. „Wir sind schon fast da, Miss. Noch ’ne Stunde, vielleicht auch zwei.

„Oh, hoffentlich!“ Caitlyn rieb sich die Hüfte. „Ich kann kaum noch sitzen.“

„Sie sind sicher müde, aber Sie werden froh sein, dass wir uns Zeit genommen haben. Wär’s nich so gewesen, würden Sie blau und grün sein, wenn wir Balloch Castle erreichen, hungrig wie ’n Wolf und kalt wie ’n Eiszapfen.“

Es gelang Caitlyn, zu lächeln. „Du hast natürlich recht. Ich bin nur ungeduldig.“

Muiren lehnte sich in ihrer Ecke zurück. „Machen Sie ’n Nickerchen, Miss. Dann werden Sie sich besser fühlen, wenn wir ankommen.“ Sie schloss die Augen und fing wenige Minuten später an, zu schnarchen.

Die Gelassenheit der Zofe besänftigte Caitlyn nicht, und sie schaute weiter sehnsüchtig aus dem Fenster. Der Weg führte nun direkt nach Norden, es wurde immer kälter, und die Landschaft wurde immer wilder und schöner, je weiter sie fuhren. Sie erschauderte und wünschte sich, sie hätte im letzten Gasthof nicht schon ihren moderneren Mantel und die Stiefeletten für die Ankunft angezogen.

Nach einer Stunde begann die Straße steiler anzusteigen, während sie sich durch die grünbraunen Hügel wand und schließlich an das Ufer eines wunderschönen Sees führte, der von silbrig glänzenden grauen Steinen umgeben war. Das Wasser schimmerte tiefgrün, auf den felsigen Hügeln zu beiden Seiten wuchs Heidekraut. Zwischen zwei kleineren Hügeln erhob sich ein zerklüfteter Berg mit verschneitem Gipfel, der sich im See widerspiegelte.

Caitlyn lächelte, als sie spürte, dass sich in ihr tiefer Frieden ausbreitete. Dieses Gefühl überraschte sie; es war fast, als würde sie nach Hause kommen. Was vielleicht gar nicht so erstaunlich war, denn ihre Großmutter lebte nur einen halben Tagesritt von hier entfernt auf der anderen Seite des Sees. Als Kind hatte Caitlyn viele Tage damit verbracht, durch eine Hügellandschaft wie diese zu wandern, während sie und Triona sich gemeinsam Geschichten über die sagenhaften MacLeans ausdachten.

Ihre Großmutter, die von allen nur Mam genannt wurde, war von den MacLeans fasziniert, was zum Teil daher rührte, dass sie von ihrem Haus die Burg der MacLeans sehen konnte. Aber auch Neugierde wegen des auf den MacLeans lastenden Fluchs spielte eine Rolle. Caitlyn war ebenfalls neugierig – vielmehr sie war es früher gewesen, wie sie sich jetzt energisch einredete. Es war an der Zeit, derartige Torheiten zu vergessen. Sie würde den gefährlichen und verruchten Alexander MacLean nie wiedersehen, und das war gut so.

Muiren regte und streckte sich und beugte sich vor, während sie ein Gähnen unterdrückte. Sie schaute über Caitlyns Schulter hinaus in die Landschaft. „Ah, wir sind fast da.“

„Wunderbar! Ich war noch nie auf einer echten Burg.“

„Es ist keine richtige Burg. Ihre Gnaden sagt, es iss ’n ‚burgartiges Herrenhaus‘, und das heißt, es iss ’n Herrenhaus, das mit Mauerwerk und so als Burg verkleidet iss.“ Muiren schüttelte den Kopf. „Was werden sich die Herrschaften als Nächstes ausdenken?“

„Meine Großmutter wohnt ganz in der Nähe“, erklärte Caitlyn und deutete auf den Berg in der Ferne. „In einem Dorf auf der anderen Seite des Tals, gegenüber von MacLean Castle. Sie kümmert sich dort um die Kranken.“

Eine Hand umklammerte unvermittelt Caitlyns Arm. Erstaunt starrte sie in Muirens plötzlich strahlendes Gesicht. „Sagen Sie nich, dass Ihre Granny die Heilerin Nora iss, Miss!“

„Doch, das ist meine Großmutter.“

Muiren klatschte in die Hände. „Ihre Granny hat meiner Schwester das Leben gerettet, als sie das Fieber hatte! Wir dachten, sie würd sterben, doch Ihre Granny kam und brachte sie dazu, einen schrecklichen Trunk zu nehmen.“ Die Zofe kräuselte angewidert die Nase. „Meine Schwester hat gesagt, wie der Tod hätt der Trunk gerochen, so war’s wohl, aber er hat sie zurück ins Leben geholt, und seit diesem Tag iss sie nie wieder krank gewesen.“

„Mam besitzt eine besondere Gabe“, erklärte Caitlyn und nickte.

„Das tut sie, ganz gewiss! Man sagt, Ihre Mam macht ihre Zaubertränke aus dem reinen, eiskalten Wasser aus diesem See, und deshalb wirken sie so gut.“

Caitlyn lächelte hinunter zu dem wunderschönen blauen See, der still dalag und fast gläsern wirkte, während weiße Wattewölkchen über ihn dahinglitten. „Ich muss unbedingt meine Großmutter besuchen, während ich hier bin.“

„Wenn Sie das tun, wär ich sehr glücklich, wenn ich mit Ihnen kommen könnt.“ Die Kutsche schwankte, als sie eine scharfe Kurve nahm und von der Straße abbog. „Ah, nun sind wir auf dem Weg zur Burg!“

„Endlich!“ Caitlyn schaute Muiren an und bemerkte in gleichmütigem Tonfall: „Ich habe gehört, die Duchess soll sehr modebewusst sein.“

Muiren blies die Backen auf. „Das könnt man wohl sagen. Ihr wird das Kleid gefallen, das Sie anhaben. Mir isses heute Morgen schon beim Frühstück aufgefallen.“

„Vielen Dank. Ich habe es nach einem Kleid entworfen, das ich in London gesehen habe.“

Muiren blinzelte erstaunt. „Sie haben es selbst genäht? Eine Dame von Stand wie Sie?“

Caitlyn lachte leise in sich hinein. „Ich bin die Tochter eines Pfarrers, und ich habe fast alles selbst genäht, was ich bei mir habe. Die meisten Sachen sind nach Schnittmustern aus Ackermann’s Ladies’ Journal angefertigt.“

Muiren betrachtete sie aufmerksam. „Wenn ich das sagen darf, Miss – Sie sind anders als die andern Gäste ihrer Gnaden. Es iss sonst nich die Art ihrer Gnaden, Damen einzuladen, die jünger und hübscher sind als sie selber.“

Nun lachte Caitlyn laut auf. „Ich bin ihrer Gnaden noch nie begegnet. Meine Mutter hat sie bei einem Dinner kennengelernt, und während der darauffolgenden Wochen haben sie sich angefreundet. Ihre Gnaden bestand darauf, dass Mutter mich für ein paar Wochen zu ihr schickt, wenn sie eine Hausparty gibt. Und hier bin ich.“

Muiren zog die Brauen zusammen. „Ihre Gnaden hat Sie einfach so eingeladen? Das klingt nich wie was, was sie sonst täte …“ Die Zofe stockte und verzog den Mund zu einem verwunderten Lächeln. „Es iss natürlich ganz egal, was ich denke! Ich glaub ganz bestimmt, sie wird froh sein, Sie im Haus zu haben, Miss.“

Caitlyns Neugier war erwacht. Es war unverkennbar, dass die Duchess nicht zu spontanen großzügigen Gesten neigte. Warum hatte die Duchess sie dann aber eingeladen? Es war eine so wunderbare Überraschung gewesen, nachdem Caitlyn monatelang zu Hause eingesperrt gewesen war, dass sie sich nicht mit unnötigen Fragen aufgehalten hatte. Doch nun begann sie, sich zu wundern. Mutter ahnte vielleicht nicht, wie egoistisch die Damen der Gesellschaft waren, doch Caitlyn, die während ihres Aufenthalts in London zwei herrliche Monate bei ihrer Tante verbracht hatte, wusste ganz genau Bescheid. Vielleicht hatte die Dame eine Tochter in Caitlyns Alter, oder sie legte größten Wert auf eine gerade Anzahl von Gästen?

Normalerweise lud eine Gastgeberin ebenso viele Männer wie Frauen ein, um beim Dinner Paare am Tisch zu bilden. Auf diese Weise wurden auch gesellschaftlich tiefer stehende Damen trotz der sozialen Unterschiede eingeladen. Vielleicht gab es in der Umgebung der Duchess keine Dame, die für einen Ausgleich an der Dinnertafel zur Verfügung gestanden hatte.

Nun, was auch immer der Grund sein mochte, Caitlyn war entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen.

Muiren drehte den Kopf in Richtung Fenster. „Das hier iss die letzte Kurve vorm Haus, Miss, falls Sie es aus der Ferne betrachten wollen.“

Caitlyn beugte sich vor. Zuerst sah sie nichts als eine Wand aus dicht belaubten Bäumen, doch dann, als würde die Sonne durch die Wolken brechen, lichtete sich der Wald, und Balloch Castle tauchte vor ihnen auf.

„Es iss schön, nich wahr, Miss?“

Caitlyn konnte nur stumm nicken. Ein graues Steinhaus, mit mehreren Türmen im Stil einer Burg gebaut, thronte auf einem Hügel. Trotz des eisigen Windes schien die späte Nachmittagssonne warm auf das imposante Gebäude.

„Es iss neu, obwohl’s alt aussieht. Ihre Gnaden hat es nach ihren Wünschen bauen lassen. Es iss ’n prächtiges Haus, und die Küche iss eine der besten in ganz Schottland. Es gibt sogar ’n eigenes Wasserklosett für jedes der Gästezimmer im Ostflügel, wo Sie wohnen werden, Miss.“

„Wie modern! Trotzdem sieht es altertümlich und romantisch aus“, stellte Caitlyn lächelnd fest. „Ich erwarte jeden Moment, kleine Elfen aus den Türen tanzen zu sehen, die das Gepäck ins Haus tragen!“

Muiren schnaubte verächtlich. „Die einzigen Elfen, die Sie sehen werden, sind die Diener, und es wird Ihnen schwerfallen, einen fauleren Haufen zu finden, obwohl sie alle aussehen wie aus dem Ei gepellt. Ihre Gnaden iss da sehr streng. Sie besteht drauf, dass wir so fein aussehen, als wär das hier ein Haus in London, da kennt sie kein Pardon.“

„Sie ist sich ihres Standes sehr bewusst, nicht wahr? Wenn ich eine Duchess wäre, würde ich genauso sein.“

Erstaunt schaute Muiren sie an. „Wirklich, Miss?“

„Oh ja! Sie würden mich nicht ausstehen können. Ich würde von vorne bis hinten bedient werden wollen, und alles müsste vom Allerfeinsten sein. Natürlich würde das nur Spaß machen, wenn meine Geschwister mich sehen könnten.“

Die Zofe grinste. „Sie müssten sie einfach nur hierher einladen, dann könnten sie sehen, wie Sie in der Burg die Dame spielen …“

Die Kutsche rumpelte über Kopfsteinpflaster und hielt schließlich vor dem Tor.

„So, wir sind da.“ Muiren sammelte ihre Habseligkeiten ein.

Verunsichert strich Caitlyn ihre Röcke glatt und vergewisserte sich, dass ihre Handschuhe zugeknöpft waren. Sie kannte hier keine Menschenseele, war sich aber sicher, dass sie sich mit einigen der anderen Damen angefreundet haben würde, bevor die erste Woche vorüber war. Sie reckte das Kinn. Und falls sie keine Freundinnen fand, würde sie einfach die Umgebung genießen. Es machte bestimmt Spaß, die Landschaft rings um den wunderschönen See zu erkunden.

Die Tür der Kutsche schwang auf, die Stufen wurden heruntergeklappt, und ein Diener streckte ihr seine behandschuhte Rechte entgegen. Innerhalb kürzester Zeit stand Caitlyn in der prachtvollsten Empfangshalle, die sie je gesehen hatte. Der schimmernde Parkettboden erstreckte sich bis zu einer Reihe hoher Flügeltüren. Ein langer, weiß lackierter Tisch mit Goldverzierungen und ein riesiger Spiegel im Goldrahmen, der zwischen zwei schweren vergoldeten Stühlen stand, bildeten einen auffälligen Kontrast zum warmen Holzton des Bodens. An der Decke hing ein kunstvoll verschnörkelter glänzender Leuchter aus Gold und Messing, dessen Kerzen bereits hell leuchteten, obwohl die Dämmerung erst in einer Stunde anbrechen würde.

Am anderen Ende der Halle wurde eine Tür geöffnet und geschäftiges Treiben setzte ein. Diener eilten durch den Raum. Sie trugen Kerzenhalter in den Händen und zusammengefaltete Leinentücher über den Armen. Ein Hausmädchen erschien mit einem Korb voll frisch geschnittener Blumen und unter ihrem Arm klemmte eine leere Vase.

Ein vornehm aussehender Butler kam herbei, blieb vor Caitlyn stehen und verbeugte sich. „Miss …?“

„Hurst.“ Caitlyn knöpfte ihre Handschuhe und ihren Mantel auf, zog beides aus und reichte es einem wartenden Diener.

„Ah, Miss Hurst. Wir erwarten Sie bereits.“

Ein Bursche trat mit Caitlyns Koffer und ihrer Reisetasche ein. Muiren war ihm dicht auf den Fersen.

Der Butler warf Muiren einen flüchtigen Blick zu. „Ihre Gnaden und einige ihrer Gäste befinden sich im Rosa Salon. Ich werde Miss Hurst dorthin führen, bevor ich ihr ihr Schlafzimmer zeige.“

„Danke, Mr Hay.“ Muiren wandte sich an Caitlyn und knickste vor ihr. „Wünschen Sie vor dem Abendessen ein Bad, Miss? Das hilft ’n bisschen gegen die Steifheit von der ganzen Reiserei.“

„Oh ja, bitte.“

„Ich werd eins für Sie herrichten lassen. Und ich sorg dafür, dass Ihre Koffer ausgepackt werden, und dass ’n bisschen Tee nach oben gebracht wird.“

Caitlyns Magen knurrte bereits, und von ihren Erfahrungen in London her wusste sie, dass es bis zum Dinner noch Stunden dauern würde. „Vielen Dank, Muiren. Das klingt wunderbar.“

Die Zofe knickste und verschwand zusammen mit einem der Diener, den sie angewiesen hatte, Caitlyns Koffer und ihre Reisetasche nach oben zu tragen.

Mit einem Räuspern rief der Butler sich in Erinnerung. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Miss Hurst. Ich führe Sie zu ihrer Gnaden. Sie ist mit einigen der Gäste soeben von einem Ausritt zurückgekehrt. Nun sind alle im Salon und besprechen Pläne für Vergnügungen am morgigen Tag.“

„Sehr gerne.“

Der Butler brachte sie zu einer großen Flügeltür, stieß sie auf und kündigte Caitlyn mit monotoner Stimme an: „Euer Gnaden, Miss Hurst ist eingetroffen.“ Mit einer Verbeugung machte er Caitlyn den Weg ins Zimmer frei.

Im Salon schimmerten unzählige Spiegel und andere Gegenstände aus Glas. Der Raum war mindestens drei Mal so lang wie breit und mit Möbeln aus der Zeit des Ancien Régime eingerichtet. In zwei Wände waren riesige Fenster eingelassen, durch die Licht hereinströmte. Rechts und links der Scheiben bauschten sich prächtige bronzefarbene Seidenvorhänge mit Fransen. Die gegenüberliegenden Wände wiesen verschlungene Muster in zartem Rosa, Braun und Weiß auf und waren von Spiegeln geschmückt, die vom Boden bis zur Decke reichten. Vor zwei der drei lodernden Kamine, die den Raum heizten, standen große lachsfarbene Kanapees, und ein dicker Teppich in Lachsrosa, Rot und Braun bedeckte den Boden. Drei vergoldete Kronleuchter, ein jeder so ausladend wie eines der Sofas, zeugten von ungeheuerlichem Luxus.

Caitlyn zwang sich, nicht mit offenem Mund zu gaffen, und richtete den Blick auf die kleine Menschengruppe, die sich auf zwei Sofas in der Nähe der Tür zusammengefunden hatte. Eine auffällige rothaarige Frau maß sie mit einem neugierigen, aber kühlen Blick. Sie trug ein saphirblaues Kleid, das ihre statuengleiche Figur betonte, und ihr Haar war hochgesteckt. Ein kleiner blauer Hut saß verwegen schief auf ihrem Kopf. Neben diesem prachtvollen Geschöpf lehnte ein hochgewachsener, gut aussehender Mann mit erstaunlich blauen Augen, der Caitlyn kühn von oben bis unten musterte. Diesem Paar gegenüber saßen zwei Damen, eine jüngere mit braunem Haar und freundlichen blauen Augen, die ältere mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und einer großen Nase.

Die Rothaarige musterte Caitlyn ausgiebig. „Aha“, stellte sie schließlich in gedehntem Ton fest, als spräche sie mit sich selbst. „Ich hätte es wissen sollen.“

Caitlyn, die im Begriff war, auf die Gruppe zuzugehen, hielt inne. „Entschuldigen Sie bitte?“

Die Miene der Frau wurde verschlossen, und sie verzog den Mund zu einem schmallippigen Lächeln. „Ich freue mich sehr, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, Miss Hurst.“

Das ist also die Duchess. Sie ist wunderschön. Caitlyn blieb vor dem Sofa stehen und machte einen Knicks. „Euer Gnaden, es war sehr freundlich von Ihnen, mich einzuladen.“

Der Mann neben der Duchess war aufgestanden. Nun verbeugte er sich, während er sie gleichzeitig mit seinen Blicken verschlang. „Ich denke, du solltest uns vorstellen, Georgiana.“

Die Lippen der Duchess wurden noch schmaler, doch sie lächelte tapfer weiter. „Natürlich. Miss Hurst, das ist Lord Dervishton. Ich muss Sie vor ihm warnen, er ist ein ungezogener Mann mit manchmal schlechten Manieren.“

„Georgiana, also wirklich!“ Dervishtons blaue Augen funkelten amüsiert, während er Caitlyns Hand nahm und einen Kuss darauf hauchte. „Es ist mir eine Freude, Miss Hurst. Hören Sie nicht auf Georgiana. Sie ist nur wütend, weil ich sie beim Wettreiten auf dem Weg zurück zum Haus besiegt habe.“

„Du hast gemogelt“, behauptete die Duchess träge.

Caitlyn entzog dem Mann ihre Hand und knickste. „Auch mir ist es ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Lord Dervishton.“

Die Duchess deutete auf die beiden anderen Frauen, die sich ebenfalls erhoben hatten. „Ich möchte Ihnen die Viscountess Kinloss vorstellen, eine sehr liebe Freundin von mir.“

Die Frau mit den scharfen Gesichtszügen kicherte. „Oh Georgiana! Was du für Dinge sagst!“ Auch sie machte einen knappen Knicks. Dabei sprang ein kleiner Hund unter ihren Röcken hervor. An einem Haarbüschel zwischen seinen großen spitzen Ohren war eine rosa Schleife befestigt.

„Ein Hund! Darf ich …“ Caitlyn streckte freundlich die Hand aus, aber das Tier knurrte und schnappte nach ihr und fletschte die Zähne. Wäre Lord Dervishton nicht geistesgegenwärtig zwischen Caitlyn und den Hund getreten, hätte er sie gebissen.

Lady Kinloss schloss den Hund in ihre Arme. „Ruhig, ganz ruhig, Muffin!“ Der Hund zitterte, während er den Blick aus seinen hervorquellenden Augen auf Caitlyn gerichtet hielt.

„Es tut mir leid, wenn ich ihn erschreckt habe.“

Lady Kinloss rümpfte die Nase. „Er mag keine Fremden.“ Sie küsste ihren Hund auf den knochigen Kopf und säuselte: „Ist es nicht so, Muffin?“

Die Duchess lachte in sich hinein. Es war ein leiser, wohlklingender Ton. „Wie Sie sehen, Miss Hurst, führt hier auf Balloch Castle ein wilder Hund das Kommando. Ich hoffe, das stört Sie nicht allzu sehr.“

Das schlecht gelaunte Hündchen berührte Caitlyn weniger als die kritischen Blicke der Duchess. Als sie das perfekt sitzende Reitkostüm der Hausherrin betrachtete, fühlte Caitlyn sich plötzlich zerknittert und zerzaust von der Reise. Sie bedauerte, dass sie sich nicht umgezogen hatte, bevor sie sich vorstellte. Außerdem ärgerte sie sich darüber, dass sie ganz offensichtlich unsicher wirkte. In London hatte sie gelernt, dass jedes Anzeichen von Schwäche einen für die anderen zur Zielscheibe machte.

Caitlyn warf der jüngeren Frau, die stumm dastand, einen fragenden Blick zu.

Die Duchess runzelte die Stirn. „Ach ja. Das hier ist Miss … Oddwell.“

„Miss Hurst, ich bin Miss Ogilvie“, erklärte die junge Frau lächelnd.

„Von mir aus: Miss Ogilvie“, sagte die Duchess achselzuckend.

Caitlyn schenkte der Frau ein freundliches Lächeln, das diese gleich erwiderte. Mindestens eine potenzielle Verbündete schien es hier zu geben, und das entspannte Caitlyn. Sie ging auf Miss Ogilvie zu.

Lady Kinloss küsste Muffin und setzte ihn wieder auf den Boden, wo er sich unter ihre Röcke verzog, jedoch von dort aus seinen Kopf hervorreckte und Caitlyn weiterhin anknurrte. „Ruhig, kleiner Muffin. Sei brav.“ Die Viscountess schaute zur Tür. „Ich frage mich, wo die anderen bleiben. Sie wollten nur den Weg zur Burgruine entlangspazieren. Eigentlich hatte ich gedacht, sie würden vor uns zurück sein.“

Die Duchess zuckte mit den Schultern, eine elegante Bewegung, die ihren zarten Nacken zur Geltung kommen ließ. „Ich nehme an, sie haben unterwegs innegehalten, um sich den Garten anzuschauen. Die Marchioness of Treymont hat die lästige Neigung entwickelt, ohne Unterlass über Rosen zu reden.“

Caitlyn runzelte die Stirn. Wie hatte ihre Mutter, die normalerweise eine unfehlbare Menschenkenntnis besaß, so viel Vertrauen zu einer so seltsam harten Frau fassen können? Doch möglicherweise war sie, Caitlyn, voreilig in ihrem Urteil; schließlich hatte sie die Duchess ja gerade erst kennengelernt.

Inzwischen hatte diese sich wieder auf die Polster des Kanapees sinken lassen und forderte die anderen mit einer Handbewegung auf, es ihr gleichzutun.

„Wenn Sie mich bitte entschuldigen“, bat Caitlyn. „Ich würde mich vor dem Dinner gern noch ein wenig ausruhen.“

Die Duchess nickte. „Um neun Uhr wird serviert. Das muss schrecklich spät für Sie sein.“ Sie verzog ihre vollen Lippen zu einem selbstgefälligen Lächeln und schaute Lady Kinloss an. „Du musst wissen, Miss Hurst stammt aus einer grauenvoll ländlichen Gegend. Ich war dort vor knapp einem Monat und befürchtete, ich müsse vor Langeweile sterben.“

Wie konnte diese Frau es wagen! Caitlyn wollte gerade scharfzüngig etwas erwidern, zwang sich aber im letzten Moment, die Worte hinunterzuschlucken. Ich habe Mutter versprochen, mich nicht ungebührlich aufzuführen – aber oh, oh!

Lady Kinloss kicherte und flüsterte zwar hinter vorgehaltener Hand, aber dennoch so laut, dass Caitlyn es hören musste: „Vielleicht möchte Miss Hurst lieber etwas Brot und Käse um sechs als Hammel und Hummer um neun.“

Jetzt reicht’s! Caitlyn verzog den Mund zu einem falschen Lächeln. „Oh, es ist mir ganz egal, wann das Dinner serviert wird; ich möchte es nur nicht verpassen. Grundsätzlich lasse ich mir nie eine Gelegenheit entgehen, eine gute Mahlzeit zu bekommen, Nettigkeiten mit meinen Mitmenschen auszutauschen oder mitzuerleben, wie ein Dummkopf sich lächerlich macht.“

Während Lady Kinloss’ Lächeln erstarb, lachte Lord Dervishton auf. „Bravo, Miss Hurst! Eine gute Retourkutsche! Nun bleibt es Lady Kinloss überlassen, darüber nachzudenken, wen Sie meinen.“

Die Duchess kniff die Augen zusammen. „Wirklich, Dervishton, ermutigen Sie die Kleine nicht auch noch! Es ist bekannt, dass sie zu unüberlegten Handlungen und Worten neigt. Ihre Mutter hat mich davor gewarnt.“

Caitlyn musste sich auf die Zunge beißen, um nicht die ganze Bande mit einer scharfen Bemerkung in die Schranken zu weisen. „Ich handele nicht im Mindesten unüberlegt, Euer Gnaden.“

Offensichtlich amüsiert, lachte Lord Dervishton in sich hinein. „Diejenigen von uns, die den Nachmittag im Sattel verbracht haben oder“, er beugte den Kopf in Caitlyns Richtung, „auf den staubigen Straßen unterwegs waren, werden um neun Uhr unglaublich hungrig sein.“

„So ist es“, warf Miss Ogilvie in sanftem Ton ein. „Nichts macht mich hungriger als das Reisen.“ Sie lächelte Caitlyn an. „Ich war acht Stunden nach Balloch unterwegs, und wäre ich nicht zur Teezeit hier angekommen, hätte ich wahrscheinlich eine von den Lederlaschen der Kutsche angeknabbert!“

Dankbar erwiderte Caitlyn das Lächeln der jungen Frau. „Ich bin froh, dass Ihnen das erspart geblieben ist.“

„Ich auch.“ Miss Ogilvies freundliche blaue Augen blitzten auf. „Ich dachte, ich …“

Die Tür öffnete sich, und zwei weitere Paare traten ein. Muffin empfing sie knurrend und zähnefletschend. Lord Dervishton stellte Lady Elizabeth vor, die Tochter des Duke of Argyll. Bei ihrem Begleiter handelte es sich um Lord Dalfour of Burleigh. Beide waren auffallend modisch gekleidet und begrüßten Caitlyn liebenswürdig. Ihnen auf den Fersen folgten der Marquess und die Marchioness of Treymont, ein gut aussehendes Paar. Es hieß Caitlyn höflich willkommen, unterhielt sich jedoch gleich darauf angeregt über die Pläne für einen neuen Garten auf seinem Besitz.

Die Duchess und Lady Kinloss reagierten auf die Neuankömmlinge mit wesentlich mehr Begeisterung, als sie Caitlyn hatten zukommen lassen. Es machte ihr jedoch nichts aus. Alles, was sie jetzt wollte, war, ihr Schlafzimmer aufzusuchen und das dort auf sie wartende Bad zu genießen. Sehnsüchtig schaute sie hinüber zur Tür.

„Ich begleite Sie, wenn Sie möchten.“

Als Caitlyn sich umwandte, stellte sie fest, dass Miss Ogilvie mit einem scheuen Lächeln auf den Lippen neben ihr stand. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das wäre reizend von Ihnen“, erwiderte Caitlyn dankbar.

Miss Ogilvie hakte sich bei Caitlyn ein. „Ich bin müde und möchte mich vor dem Dinner ebenfalls ein bisschen ausruhen.“

Mit einem erleichterten Seufzer ging Caitlyn neben der jungen Frau auf die große Tür zu. „Ich danke Ihnen sehr. Ich weiß noch gar nicht richtig, wo ich hingehen muss; das Haus ist so groß.“

„Und wunderschön. Warten Sie nur, bis Sie die Schlafzimmer sehen! Sie sind in den herrlichsten Farben ausgestattet. Meines ist smaragdgrün mit braunen Vorhangquasten und einem braunen Betthimmel. Das müssen Sie mit eigenen Augen sehen! Lord Dervishton sagte mir, dass jedes Zimmer über sein eigenes Wasserklosett verfügt, was erstaunlich ist.“

Sie hatten die Tür schon fast erreicht, als diese sich öffnete und ein großer dunkelhaariger Mann eintrat. Seine Gesichtszüge wirkten energisch und dennoch sinnlich, sein Mund war wohlgeformt, seine Augen so grün wie die moosüberwachsenen Steine am Grunde eines eisigen Flusses.

Caitlyn kannte dieses Gesicht – es verfolgte sie seit drei Monaten bis in ihre Träume, und seit drei Monaten löste die Erinnerung an seine Züge Bedauern in ihr aus. „Alexander MacLean“, wisperte sie so leise, dass ihre Stimme in der allgemeinen Begrüßung der Duchess und ihrer Gäste unterging.

MacLean lächelte die anderen Gäste an, doch während er auf die Gruppe zuging, warf er Caitlyn einen Blick zu, der sie nicht mehr losließ. Kribbelnde, ja siedende Hitze stieg in ihr auf. In diesem Moment erinnerte sie sich an jeden einzelnen der geraubten Küsse, jede sinnliche Berührung, jeden verbotenen Augenblick, den sie während jener herrlichen drei Wochen miteinander verbracht hatten, bevor seine Arroganz und ihr unbeugsamer Stolz beinahe zum Niedergang ihrer Familie geführt hatten.

Sofort erwachte ihr Leib lustvoll aufgeregt und sehr lebendig. Verdammt, ich sollte darüber hinweg sein!

Er senkte die Lider, doch nur für einen Moment, dann ging er weiter auf die Gruppe am anderen Ende des Zimmers zu, so als wäre Caitlyn absolut unwichtig.

„Das war sehr unhöflich!“, stellte Miss Ogilvie fest. „Er hatte für keine von uns ein Wort übrig.“

Dennoch hatte er ihr etwas mitgeteilt. Mit seinem kühlen, ruhigen Blick hatte er Caitlyn wissen lassen, dass er absolut nichts für sie empfand, selbst wenn seine Gegenwart auf sie immer noch eine große Wirkung hatte.

Während er über den dicken Teppich schritt, konnte sie ihren Blick nicht von ihm losreißen. Er trug einen maßgeschneiderten Reitanzug und seine schwarzen Stiefel glänzten, während die perfekt geschnittene Jacke seine kräftigen Muskeln betonte.

Miss Ogilvie neigte sich zu Caitlyn und bemerkte in vertraulichem Ton: „So unhöflich er auch sein mag – ich muss zugeben, dass Laird MacLean ein unglaublich gut aussehender Mann ist.“

Sie hat ja keine Ahnung, wie gut aussehend!

Miss Ogilvie betrachtete eingehend das Profil von Laird MacLean, während er mit der Duchess sprach. „Der einzige Grund, warum mein Vater wollte, dass ich der Einladung der Duchess folge, war die Hoffnung, ich könnte die Aufmerksamkeit von Laird MacLean erregen.“

„Und? Ist es Ihnen gelungen?“

„Himmel, nein! Er ist viel zu beschäftigt damit, seine Blicke …“ Miss Ogilvie errötete und schaute Caitlyn um Entschuldigung bittend an. „Ich sollte nicht tratschen.“

Nein, bitte! Tratschen Sie doch noch ein bisschen! Miss Ogilvie jedoch hatte ihre ausdrucksvollen Lippen zu einer entschlossenen Linie zusammengepresst, und ihre weiteren Worte galten dem wunderbaren Essen, das hier stets zum Dinner gereicht wurde. Sie erzählte, sie habe nie zuvor Schildkrötensuppe gegessen und hoffe, diese köstliche Suppe würde demnächst wieder einmal serviert werden.

Caitlyn hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, während ihr Blick wie magisch von MacLean angezogen wurde, der sich nun mit Lord Dervishton unterhielt. Seltsamerweise hatte MacLean kein bisschen erstaunt gewirkt, sie hier zu sehen. Vielleicht hatte die Duchess ihm gegenüber erwähnt, dass sie sie eingeladen hatte. Oder vielleicht …

„Finden Sie nicht“, unterbrach Miss Ogilvie ihre Gedanken, „dass Laird MacLean aussieht wie Lord Byron?“

„Ich nehme an, Sie sind Lord Byron noch nie begegnet.“

„Nein, aber ich habe ein Gemälde gesehen, und er wirkte darauf dunkel und gefährlich und …“ Miss Ogilvie erschauderte.

Caitlyn zwang sich zu einem Lächeln. „Byron ist ein aufgeblasener weißer Wurm, der in seinen eigenen Schleim verliebt ist.“

Erst riss Miss Ogilvie die Augen weit auf, dann kicherte sie. „Wirklich?“

„Während meines kurzen Aufenthalts in London ist er mir mehrere Male über den Weg gelaufen. Um ehrlich zu sein, ist er ziemlich dick und blass, und er lispelt.“

„Er lispelt?“, wiederholte Miss Ogilvie in entrüstetem Ton. „Ich habe ihn mir vollkommen anders vorgestellt! Caro Lamb muss verrückt sein, nach dem Ende ihrer Affäre mit ihm immer noch so besessen von Byron zu sein.“

„Sie sind beide verrückt. Und unhöflich. Und vulgär. Sozusagen eine Verbindung zweier Würmer, die aus dem Dreck gekrochen sind.“

Miss Ogilvies Lippen zitterten. „Sie sind ziemlich offen, was Ihre Ausdrucksweise betrifft.“

„Oh, es tut mir leid, ich …“

„Nein, nein! Ich finde es sehr erfrischend. Bitte hüten Sie meinetwegen nicht Ihre Zunge. Ich bin jetzt seit einer Woche hier, und das ist die ehrlichste Bemerkung, die ich in dieser Zeit gehört habe.“

„Meine scharfe Zunge ist gleichzeitig meine Begabung und mein Fluch“, stellte Caitlyn lächelnd fest. „Es wird eine große Erleichterung für mich sein, wenigstens mit einer Person offen reden zu können.“ Über Miss Ogilvies Schulter hinweg beobachtete Caitlyn, dass MacLean sich von Lord Dervishton abgewandt hatte und jetzt wieder mit der Duchess sprach.

Die rothaarige Schönheit hielt MacLean ihre Hand kraftlos zum Kuss hin. Er beugte sich darüber, und die dunklen Haare fielen ihm in die Stirn, als er seine Gastgeberin anlächelte.

Bei diesem Anblick zog sich Caitlyns Magen schmerzhaft zusammen. Dieser Mann war eine wandelnde Gefahr für das Wohlbefinden einer Frau.

Miss Ogilvie hatte bemerkt, wohin Caitlyns Blicke gewandert waren, und schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Man würde niemals darauf kommen, dass ihre Gnaden verheiratet ist, wenn man sieht, wie sie mit den Männern kokettiert. Sie hat schon den ganzen Nachmittag über Dervishton ermutigt, äußerst frivole Bemerkungen zu machen. Ich hoffe, Laird MacLean ist vorsichtig.“

„Machen Sie sich keine Sorgen um MacLean; er kann selbst ziemlich unaufrichtig sein.“ Er ist in der Lage, eine Frau glauben zu machen – wenn auch nur für drei kurze, erstaunliche Wochen –, dass sie für ihn die einzige Frau auf Erden ist. „Wollen wir uns zurückziehen? Ich bin wirklich ziemlich müde.“

„Oh, sicher! Nach der langen Reise werden Sie vor dem Dinner noch ausruhen wollen.“ Miss Ogilvie nahm Caitlyns Arm, und sie gingen nun endgültig zur Tür.

Caitlyn spürte, dass MacLean sich umgedreht hatte und ihr nachsah. Sie wusste, dass sein Blick an ihr haftete, als sie mit Miss Ogilvie in die Halle trat.

Ein Diener führte sie zu ihren Schlafzimmern, die nur drei Türen auseinanderlagen. Miss Ogilvie schlug vor, dass sie sich um acht Uhr dreißig auf dem Treppenabsatz treffen sollten, sodass sie gemeinsam zum Dinner nach unten gehen konnten. „Wir werden mindestens eine halbe Stunde brauchen, um den Speisesaal zu finden.“

Caitlyn stimmte zu und verabschiedete sich, dann betrat sie ihr Zimmer, wo Muiren soeben die Reisetasche und den Koffer auspackte. Vergnügt führte die Zofe Caitlyn zum Kamin, wo Tee und Kekse auf sie warteten. Außerdem versprach Muiren, dass das heiße Wasser für das Bad in Kürze gebracht werden würde.

Während Caitlyn vor dem knisternden Feuer saß, Tee trank und Kekse aß, um ihren ersten Hunger zu stillen, und während die Zofe im Hintergrund sie mit freundlichem Geplauder unterhielt, grübelte Caitlyn über MacLeans Anwesenheit nach. Das war zweifellos eine unwillkommene Begleiterscheinung dieser Einladung bei der Duchess. Wenn es auf Erden einen Menschen gab, der wusste, wie man Caitlyn dazu bringen konnte, Dinge zu tun und zu sagen, die eine Dame besser lassen sollte, so war es dieser Mann.

Sie kaute heftig auf einem der Kekse herum. Verdammt noch mal, sie weigerte sich, zuzulassen, dass er ihren Seelenfrieden störte oder ihr den Spaß verdarb! Sollte er doch tun, was er wollte, und sagen, was ihm einfiel; dieses Mal würde sie seinen Sticheleien und seinem Spott widerstehen. Dieses Mal würde sie bestimmen, was und wie es lief, und nicht ihr verräterisches Herz. Und kein gut aussehender, scharfzüngiger, dunkler schottischer Laird würde etwas daran ändern.

3. KAPITEL

Ach, ihr Mädchen! Es ist eine traurige Wahrheit, dass ein Mann oft die Macht einer Frau so lange nicht erkennt, bis er ihren Zorn erregt und die Flammen ihrer Wut über ihm zusammenschlagen.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Winternacht zu ihren drei Enkelinnen.

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