Wie verführt man einen Duke?

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Der Duke of Dunstan verflucht den Tag, an dem er Julia zu der Seinen gemacht hat! Denn eine Familienfehde verbietet ihm, mit ihr das Ehebett zu teilen. Er darf keine Nachkommen zeugen! Und doch brennt in Alistair ein unbezähmbares Verlangen – vor allem, wenn er die lodernde Leidenschaft in Julias Augen sieht …


  • Erscheinungstag 18.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508513
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Bild vollkommener häuslicher Harmonie, das sich Alistair Crawford, Duke of Dunstan, in diesem Moment bot, hätte ihn sofort veranlassen sollen, in seinen Club zu eilen und sich einen doppelten Brandy einschenken zu lassen. Stattdessen blieb er im Schatten vor dem Salon stehen und beobachtete, wie seine Frau sich anmutig mit ihrer Stickerei befasste. Dabei wünschte er sich – viel mehr. Schmerzhaft regte sich etwas in seiner Brust. Irgendetwas, das er nicht benennen konnte, vermischt mit der viel leichter kontrollierbaren Unannehmlichkeit einer wachsenden Lust.

Obwohl er sich gar nichts wünschen durfte … Seine Lippen verzerrten sich zu einem bitteren Lächeln. Die einzige Frau, die er so heiß begehrte wie seit Jahren keine andere, konnte er nicht umarmen, weil sie seine Gemahlin war.

Was zum Teufel hatte er sich bei seinem Heiratsantrag gedacht? Diese Frage hatte er sich in den letzten beiden Wochen immer wieder gestellt. Er brauchte keine Ehefrau, er wollte keine. Warum band er sich an eine Frau, während zahllose weibliche Geschöpfe, vom Dienstmädchen bis zur Aristokratin, nur zu gern in sein Bett sinken würden? Diese Heirat war die schlimmste Idee, die ihm jemals in den Sinn gekommen war. Und er war im Lauf seines Lebens auf sehr viele schlechte Ideen verfallen.

Sollte seine Gemahlin jemals die Wahrheit erfahren, würde sie sich angewidert von ihm abwenden.

Natürlich hatte er in jener Nacht, als er ihr begegnet war, nicht nachgedacht. Zumindest nicht mit dem Hirn. Trunken nach exquisiter Leidenschaft, hatte er deren Nachwirkungen missachtet. Der Gedanke an die Legende der Dunstan-Rubine legte ihm Worte in den Mund, die er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte niemals geäußert hätte. Danach hatte ihm sein Stolz einen Widerruf verboten.

Niemals nahm ein Dunstan sein Wort zurück. Daran hätte er denken und sein Mundwerk im Zaum halten sollen. Denn er hatte sich vor Jahren gelobt, einstige Fehler wiedergutzumachen – jene Fehler, die ihm keine Ehe gestatteten. Trotzdem war er jetzt verheiratet. Und nun verharrte er unsichtbar im Schatten, obgleich er fortgehen müsste.

Den Kopf zum Kerzenschein gebeugt, den Blick auf die Nadel gerichtet, hätte Julia für ein Porträt Modell sitzen können. Aus seiner Perspektive genoss Alistair eine perfekte Sicht auf ihr Profil, eine gerade kleine Nase, eine hohe Stirn, die auf Intelligenz schließen ließ. Ein wohlgeformter Hals forderte sanfte Küsse heraus, über einem Kleid aus feinster hellblauer Seide.

Und dieses Kleid verhüllte einen Körper, den Alistair intim kannte. An alle Kurven und besondere Merkmale erinnerte er sich nur zu gut. Doch er sollte solche Fantasien verdrängen … Eine seltsame Sehnsucht beschleunigte seinen Puls. Wie mochte es sein, nur ein einziges Mal in der Zuneigung einer Frau zu schwelgen?

Zuneigung. Dieses Wort bewog ihn, ironisch die Lippen zu kräuseln. Dieses Gefühl hatte er nie gekannt, und es fand es auch nicht erstrebenswert. Männer, die von Zuneigung oder sogar Liebe träumten, waren Schwächlinge, die an der Nase herumgeführt wurden oder einem anderen Teil ihrer Anatomie zu sehr vertrauten. Um das zu erkennen, musste er nur an die Beziehung zwischen Papa und Isobel denken. Nach dem Tod seiner Mutter, die bei seiner Geburt gestorben war, hatte sein Vater wenig später unter Isobels Pantoffel gestanden. Alistair hatte ein paar erfreuliche Jahre mit seinem Halbbruder erlebt. Aber gegen seine Stiefmutter begehrte er dreist und respektlos auf. Um ihr einen Gefallen zu erweisen, schickte Papa ihn in ein Internat, während Isobels kostbarer Sohn zu Hause blieb.

Zunächst hatte Alistair gehofft, mit hervorragenden schulischen Leistungen würde er seine Heimkehr verdienen. Das misslang ihm, die Zeit verstrich, und allmählich begann er die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Auf alle desaströsen Dummheiten, die ein reicher junger Mann an einer Universität nur machen konnte, ließ er sich ein. Schließlich wurde er nach Hause gesandt.

Überglücklich, weil sein Herzenswunsch endlich in Erfüllung gegangen war, hatte er sogar versucht, seiner Stiefmama höflich zu begegnen. Das nützte ihm nichts. Einige Zeit später musste er mit einem langweiligen älteren Geistlichen nach Frankreich aufbrechen, denn Papa sah im Friedensvertrag von Amiens, der im März 1802 den zweiten Koalitionskrieg beendet hatte, eine günstige Gelegenheit für die obligate Europatour seines ungebärdigen älteren Sohnes. Bedauerlicherweise währte der Friede nur ein gutes Jahr. Alistair sah sich in Italien gestrandet, wo er mit knapper Not einer Verhaftung durch Napoleons Soldaten entrann.

Als er endlich heimkehren konnte, inzwischen fast dreißig Jahre alt, war sein Vater gestorben. Die Nachwirkungen der jugendlichen Fehltritte holten Alistair mit voller Kraft ein, womit er nicht gerechnet hatte.

Zu allem Überfluss hatte er auch noch – wie ein gutmütiger Narr – Julia geheiratet. Natürlich hätte er ihr das benötigte Geld geben und sie wegschicken sollen, statt eine sinnlose Ehe einzugehen. Und wäre er ein ehrbarer Gentleman gewesen, hätte er sie in Mrs. B.’s Bordell niemals ersteigert. Auf den ersten Blick hätte er merken müssen, dass sie kein echtes Freudenmädchen gewesen war.

Das hätte er in einem längst verschütteten Teil seines Bewusstseins feststellen sollen. Wo nur mehr ein Schatten des Anstands existierte, den er einst für selbstverständlich gehalten hatte … Dieses Ehrgefühl hatte er jahrelang ignoriert und sich nichts versagt außer einer eigenen Familie, die er weder verdiente noch wünschte. Aber der Anblick, den Julias schöner, mit blutroten Rubinen geschmückter nackter Körpern ihm bot, bewirkte irgendetwas Unerklärliches in seinem Innern. Und so waren ihm die verhängnisvollen Worte über die Lippen gekommen, die jetzt immer noch in seinen Ohren dröhnten. „Heirate mich.“ Denn einer alten Legende zufolge durfte nur eine Duchess of Dunstan diese Juwelen tragen.

Reiner Wahnsinn.

Und der ließ sich – hol’s der Teufel – nicht einmal mit übermäßigem Alkoholkonsum bemänteln. Immerhin gab es einen einzigen stichhaltigen Grund für die Riesendummheit. Nun konnte er seine Stiefmutter endlich auf den Platz verweisen, der ihr gebührte, und zwingen, die Rolle der Dowager Duchess zu übernehmen, statt immer noch als Duchess herumzustolzieren.

Wenigstens verschaffte ihm seine Heirat die Genugtuung, Isobels Zorn zu genießen, ihre Angst, ein Kind, aus Alistairs Ehe hervorgegangen, könnte ihrem geliebten Sohn Luke das beeindruckende Erbe wegschnappen.

Doch die Rache war nicht so süß, wie er erwartet hatte. Julia besaß einfach ein zu liebenswürdiges, herzensgutes Wesen, um eine kühle Vernunftehe zu ertragen. Zumindest kam es ihm bisher so vor, wenn er auch aus bitterer Erfahrung wusste, dass man den Frauen nicht trauen durfte. Was das betraf, hatte er reichlich Lehrgeld gezahlt.

Wie auch immer, vorerst erfreute es ihn, seine Stiefmutter zu quälen, obwohl er in seiner Ehe keine Kinder zeugen würde. Denn er hatte bereits einen Sohn.

Ungeduldig seufzte er. Noch länger sollte er wirklich nicht hierbleiben.

Julia blickte von ihrer Stickerei auf und wandte sich zur Tür. „Euer Gnaden?“

Erbost biss er die Zähne zusammen. So redete sie ihn seit dem Tag nach der Hochzeitsfeier an. Damals war die gesamte Hautevolee in seinem Haus erschienen, um die neue Duchess zu inspizieren. Die vornehmen Damen hatten Julia zweifellos über seine lasterhafte Vergangenheit informiert. Und da war ihr wohl bewusst geworden, was der miserable Ruf ihres Gemahls für sie bedeutete.

Da er nicht antwortete, beugte sie sich wieder über ihre Handarbeit und schüttelte den Kopf, offenbar im Glauben, sie hätte sich seine Anwesenheit nur eingebildet.

Gewiss eine passende Gelegenheit, den Rückzug anzutreten und seinen Klub aufzusuchen. Andererseits – war er ein Feigling, der vor einer Frau davonlief? Noch dazu vor seiner Ehefrau?

Als er das Zimmer betrat, schaute sie wieder auf und lächelte zögernd. Schatten verdüsterten ihre blauen Augen, aber das Lächeln wirkte erfreut, hoffnungs- und verheißungsvoll. Alistair betrachtete ihre weichen, vollen Lippen und erinnerte sich an süße Küsse. Oh, diese sündhafte Lockung … Und Julias schlanke Gestalt mit anmutigen Rundungen, schönen, langen Beinen und der Macht, ihn um den Verstand zu bringen … Er schluckte und unterdrückte einen Fluch.

„Guten Abend, Euer Gnaden.“ Eine ruhige, kühle Stimme, mit einem sanften, einladenden Unterton, der ihn, wie alles andere an Julia, auf emotionale Weise ansprach. Diese Stimme konnte er nicht hören, ohne an die Leidenschaft der gemeinsamen Nacht zu denken.

Er wandte sich halb ab, damit Julia nicht erriet, was ihm durch den Kopf ging, und stützte einen Ellbogen auf die Lehne eines Stuhls. „Guten Abend, Madam“, erwiderte er. Mit voller Absicht verzog er spöttisch die Lippen und musterte den Stickrahmen. „Welch ein perfektes Bild häuslicher Harmonie Sie bieten, meine Liebe … Immer wieder erstaunt es mich, wie gern die Damen sich der Handarbeit hingeben.“ Wenn sie sich doch etwas viel Besserem hingeben könnten …

Verdammt, konnte er in Julias Gegenwart nur an sinnliche Gelüste denken? An nichts anderes?

Offenkundig registrierte sie, wie scharf seine Äußerung geklungen hatte, denn sie legte ihre Stickerei beiseite. „Tut mir leid. Ärgern Sie sich darüber?“ In jedem Wort schwang neutrale Höflichkeit mit. Und während die Tage verstrichen, erschien sie ihm immer kühler und reservierter – genauso, wie er es geplant hatte.

Warum empfand er trotzdem diese unvernünftige Enttäuschung? Er hatte sein Junggesellenleben stets in vollen Zügen genossen, die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie es ihm gefiel. Seine familiären Verpflichtungen beschränkte er auf ein Minimum, unangenehme Zusammenkünfte, die er vermied, wann immer es möglich war. Nach seiner Erfahrung verlangten Verwandte entweder Geld, oder sie versuchten ihn in den Rücken zu stechen. In solchen Dingen wusste er Bescheid, nachdem er mit Messern umzugehen gelernt hatte. Und seine Stiefmutter litt immer noch schmerzlich an ihrem Statusverlust.

Julias Blick schweifte über seine Kleidung. „Wie ich sehe, möchten Sie ausgehen, Sir. Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend“, fügte sie hinzu und begann sich wieder ihrer Handarbeit zu widmen.

Obschon sie keine Fragen stellte, verkrampfte er sich ein wenig. Wie schnell sie gelernt hatte, dass er nicht verhört werden wollte, ganz egal, worum es ging … Und jetzt? Erstaunlicherweise störte ihn ihr Desinteresse. „Ich gehe in meinen Klub. Dort bin ich mit einigen Freunden verabredet.“ Wieso erklärte er ihr das? Gab sie nicht deutlich genug zu erkennen, dass seine Absichten ihr gleichgültig waren?

Ihre Schultern entspannten sich. Nur ein kleines bisschen. Zweifellos glaubte sie, er würde die Nacht mit einer Mätresse verbringen.

Zum Henker, er hatte vergessen, Lavinia den Laufpass zu geben. Ein weiteres all der Details, die seiner Aufmerksamkeit in letzter Zeit entgangen waren. Am nächsten Morgen würde er seinen Sekretär Lewis anweisen, das zu erledigen. Aber da er seine Geliebte seit der Hochzeit nicht mehr besucht hatte, würde sie ohnehin mit dem Ende der Liaison rechnen. Schon vor mehreren Wochen hatte sie ihn gelangweilt. Wahrscheinlich einer der Gründe, warum er Julia im Bordell ersteigert hatte …

„Ich werde dem Personal mitteilen, dass Sie zum Dinner nicht erscheinen werden, Euer Gnaden“, sagte sie leise.

Stets ruhig. Stets kontrolliert. Das zerrte an ihm, weckte den Wunsch, die Leidenschaft zu entzünden, die unter dieser kühlen Fassade schwelte – die ihn in jener Nacht so maßlos entzückt hatte. Doch er würde diesem Impuls niemals nachgeben – und sein Versprechen halten. Distanz war seine Parole, Sicherheit ihre.

„Darüber habe ich Jackson bereits informiert“, erwähnte er seinen Kammerdiener.

Nur sekundenlang presste sie die Lippen aufeinander – ein kaum wahrnehmbares Zeichen ihres Unmuts, das er ignorierte.

„Womit werden Sie sich befassen, während ich mich mit meinen Freunden im Klub amüsiere, Madam?“

Da schaute sie wieder von ihrer Stickerei auf, erwiderte seinen Blick und reckte ihr Kinn. Herausfordernd. Eine temperamentvolle Frau, seine Gemahlin … Prompt reagierte sein Körper auf diese Erkenntnis. Blut schoss ihm in die Lenden.

„Vielleicht werde ich mir ein Buch aussuchen“, antwortete sie. „In der Bibliothek gibt es einige, die ich noch nicht gelesen habe.“

Eher Hunderte, dachte Alistair. Wenn er ein guter Ehemann sein wollte, würde er seine Frau auf Bälle und andere gesellschaftliche Ereignisse begleiten. Und er würde sie mit seinen Freunden bekannt machen. Aber seit seiner Pubertät war er nie mehr „gut“ gewesen. Seither wurde sein Verhalten von Selbstsucht, Ausschweifungen und Bosheit bestimmt. Dafür zahlte er jetzt den Preis.

Allein schon der Gedanke an seine Missachtung der ehelichen Pflichten weckte den Impuls, seine Faust zu erheben. Nicht, um auf Julia einzuschlagen. Aber auf irgendetwas – das Leben oder ein grausames Schicksal. Sie trug keine Schuld an der Heirat, niemand außer ihm selbst. Um den Schaden zu verringern, musste er wenigstens Abstand zu ihr halten. Denn wenn er ihr zu nahe kam, den köstlichen Jasminduft einatmete, die seidenglatte Haut berührte, ihr einladendes Lächeln sah – wie sollte er der Versuchung widerstehen?

„Gute Abend, Madam“, wiederholte er, verneigte sich und verließ das Zimmer.

Die Stirn gerunzelt betrachtete Julia den kleinen Fliederzweig, den sie auf ein Taschentuch stickte. Warum hatte Dunstan sie geheiratet, obwohl er sie dermaßen verachtete? Wäre die einzige gemeinsame Nacht nicht ein so wunderbares sinnenfrohes Erlebnis gewesen, ganz anders als die Qualen, die sie im Bett ihres ersten Ehemanns erlebt hatte, hätte sie den Antrag des Dukes keinesfalls angenommen.

Nachdem sie acht Jahre lang unter der Brutalität ihres Gatten gelitten hatte, war er zu der Überzeugung gelangt, sie würde ihm niemals den ersehnten Erben schenken. Julia hatte nicht mehr heiraten wollen. Nur wegen ihrer aussichtslosen Situation hatte sie Dunstans Angebot akzeptiert.

Vor einiger Zeit war ihr erster Ehemann, ein Bankier, gestorben. Da sie außerstande gewesen war, ihm einen Erben zu schenken, hatte er sein gesamtes Vermögen seinem Neffen hinterlassen. Mit sechsundzwanzig Jahren verwitwet und mittellos, hatte sie ihren Lebensunterhalt als Hutmacherin verdient. Da manche Kundinnen verspätet zahlten, ging ihr das Geld für das erforderliche Material aus. Deshalb versuchte sie in einer Kurzwarenhandlung eine Spitzenborte zu stehlen und wurde ertappt. Zufällig hielt sich Mrs. B. in dem Laden auf, hinderte den Eigentümer daran, die Polizei zu verständigen, und machte ihr ein fragwürdiges Angebot. In ihrem Bordell sollte Julia an einer Versteigerung teilnehmen. Schwerreiche Freier würden einander überbieten und für eine Nacht fast nackte Mädchen ergattern. Weil sie keine andere Möglichkeit sah, dem Gefängnis und ihrer finanziellen Notlage zu entrinnen, hatte sie zugestimmt.

Nur mit einer hauchdünnen Tunika bekleidet, hatte sie auf einem Podest gestanden und war in Dunstans Armen gelandet. Aus rätselhaften Gründen hatte er ihre einen Heiratsantrag gemacht und sie gerettet, vor einer Zukunft im Bordell oder einer immer noch drohenden Festnahme.

Natürlich bekundete er keine unsterbliche Liebe. Wie sie ebenso gut wie er wusste, führten sie eine Vernunftehe, zu der er sich aus Mitgefühl entschlossen hatte. Aber mussten sie einander so kühl und zurückhaltend begegnen?

In jener Nacht hatte er ihren Körper so attraktiv gefunden wie sie seinen. Mit seinen sinnlichen Künsten hatte er bewiesen, dass er den Ruf eines legendären Liebhabers wahrlich verdiente. Nicht dass sie die nötigen Erfahrungen besaß, um das zu beurteilen … Doch sie erinnerte sich an all die exquisiten Einzelheiten.

Bei diesen Gedanken rutschte sie unruhig zwischen den Sofakissen hin und her. In ihrem Innern entstanden winzige köstliche Gefühle.

Seit der Hochzeit waren knapp zwei Wochen vergangen, und sie hatte ihr Bestes getan, um sich so zu verhalten, wie Dunstan es von seiner Gemahlin erwarten mochte – immerhin von einer Duchess! Eine beängstigende Tatsache … Offenbar missfielen ihm ihre Bemühungen.

Schweren Herzens fragte sie sich, ob sie eine zweite unerträgliche Ehe verkraften musste. Und dann dachte sie schaudernd an die monatlichen Wutausbrüche ihres ersten Gemahls, wenn er wieder einmal vergeblich ihre Schwangerschaft erhofft hatte. Sie dachte an seine ständige Kritik. An seinen abstoßenden Körper. Die schmerzhaften Schläge, wann immer sie einen Fehler gemacht hatte … Hastig verdrängte sie die Erinnerungen.

Nein, einen solchen Albtraum hatte sie jetzt nicht zu befürchten. Aber seit dem Hochzeitstag kränkte der Duke sie ständig mit bissigen, fast rüden Bemerkungen. Würde sich sein Benehmen mit der Zeit verschlimmern? Drohte ihr doch noch eine Wiederholung ihrer ersten Ehe? Dagegen musste sie etwas unternehmen. Entschlossen stand sie auf und eilte in die Halle, wo ein Lakai ihrem Mann gerade in den Überrock helfen wollte.

„Euer Gnaden?“ Etwas zu laut echote ihre Stimme in dem großen Raum mit der blankpolierten Holztäfelung und dem schimmernden Marmorboden. Das Londoner Domizil des Dukes im Außenbezirk Richmond glich eher einem Palast als einem Zuhause. Erfüllt von einer kalten, förmlichen, steifen Atmosphäre.

Die Schultern angespannt, wandte er sich zu seiner Frau um. Der fast grausame Zug um seine schmalen Lippen verlieh seinem attraktiven Gesicht eine dekadente Aura. Ein Teufel in der Verkleidung eines blonden Engels. Wann immer Julia seine kühle Schönheit sah, setzte ihr Herzschlag einen Moment aus.

Fragend hob er die Brauen, das Licht des großen Lüsters über dem Treppenhaus versilberte seine hellgrauen Augen. Wieder einmal erwärmte sich ihr Blut, so wie jedes Mal, wenn ihr bewusst wurde, dass sie mit diesem hinreißenden Mann verheiratet war.

Der Lakai zog sich auf seinen Posten neben der Eingangstür zurück. In diesem Prachtbau begegnete man ständig irgendwelchen Dienstboten. Das gehörte zu den Gründen, warum es Julia so schwerfiel, an ihren Mann heranzutreten. Die mangelnde Privatsphäre bedrückte sie, und sie fürchtete, sich vor dem Personal zu blamieren. Gewiss wurde bereits über sie getuschelt, weil sie keine Ahnung hatte, wie man einen so grandiosen Haushalt führte. Zum Glück wussten die Leute nicht, wo der Duke sie kennengelernt hatte. Sonst würden sie sich womöglich weigern, sie zu bedienen.

„Darf ich kurz mit Ihnen reden, Euer Gnaden?“ Angesichts seiner offenkundigen Ungeduld brachte sie ihre Bitte nur mühsam über die Lippen.

„Wenn es sein muss?“ Wie üblich klang seine Stimme höflich, aber eisig. Und gelangweilt.

„Unter vier Augen?“, flüsterte sie und warf einen kurzen Blick auf den Lakaien.

Seufzend bedeutete er dem Diener, ihm den Überrock wieder abzunehmen, folgte ihr in den Salon zurück und schloss die Tür.

Julia schlang unwohl die Finger ineinander. Unter Dunstans frostigen Blick wurde ihr ganz kalt.

Da sie zögerte, änderte sich seine Miene und wirkte sogar leicht besorgt. „Was ist geschehen, Madam?“

Sie holte tief Luft. „Falls ich Sie in irgendeiner Weise gekränkt habe, sollten Sie mir das sagen.“ Oh, wie kleinlaut und unsicher das klang … Doch Algernon Partridge, ihr erster Ehemann, hatte allein schon ihre Existenz beleidigend gefunden. Schließlich hatte sie kaum noch gewagt, ihn anzusprechen, aber sie hatte zumindest gewusst, warum er ihr zürnte.

Für einen kurzen Moment weiteten sich Dunstans Augen, dann setzte er wieder seine gelangweilte Miene auf. Wie einen Schutzschild.

Erbost über seine Gleichgültigkeit, fasste sie neuen Mut. „Können wir nicht wenigstens Freunde sein?“

Dunston zuckte kaum merklich zusammen. „Madam, Sie sind meine Frau.“

Konnte man mit einer Ehefrau nicht befreundet sein? Und warum starrte er sie so grimmig an? Sie ergriff die Lehne des nächstbesten Stuhls, um nicht ungehalten mit beiden Fäusten gegen diese breite, unnachgiebige Brust zu hämmern. Wie formulierte man die Frage, warum ein Ehemann das Bett seiner Gemahlin mied, ohne dass man wie eine Schlampe wirkte?

Bin ich denn keine? Immerhin hatte er sie in einem Bordell ersteigert. Praktisch nackt hatte sie auf einem Podest gestanden. Bei dieser Erinnerung drehte sich ihr der Magen um. Nach einer solchen Schmach durfte sie wohl kaum auf ihre Würde pochen. Zahlreiche Männer, die Dunstan kannte, hatten sie an jenem Abend gesehen. Soviel sie wusste, war sie nicht identifiziert worden, weil sie vorsichtshalber eine Maske getragen hatte. Ansonsten sehr wenig. Brennende Scham drohte sie zu überwältigen, und sie unterdrückte einen Schauer.

Trotz alldem hatte der Duke ihr einen Heiratsantrag gemacht.

Und plötzlich stieg heiße Wut in ihr auf. „Warum kommen Sie nie in mein Schlafzimmer?“ So, jetzt hatte sie es ausgesprochen, die Sehnsucht gestanden, die sie in einsamen Nächten quälte.

Seine Miene verschloss sich, allerdings nicht, bevor sie in seinen Augen etwas gelesen hatte, das ihr wie Zorn erschien. „Nun, ich habe es nicht eilig, mir eine Bälgerschar aufzuhalsen.“

Verwirrt hielt sie den Atem an. Sollte sie erklären, es sei unwahrscheinlich, dass sie jemals ein Baby empfangen würde? Oder war es besser, wenn sie sich hinter dem Rest ihrer Würde verschanzte? Und sich noch immer an eine winzige Hoffnung klammerte? Außerdem – was würde es schon schaden, wenn sie es versuchte? Dunstan konnte kaum woanders einen Erben zeugen.

Aber vielleicht bereute er inzwischen die Ritterlichkeit, die ihn zu seinem Heiratsantrag bewogen hatte. Wollte er sein Herzogtum nicht mit einem Erben beschmutzen, dessen Mutter eine Prostituierte gewesen war? So sehr dieser Gedanke auch schmerzte – er leuchtete ihr ein. Der Duke war stolz auf seinen Namen und seinen Titel. Und so glaubte sie zu erraten, warum er ihr Schlafzimmer nicht aufsuchte. Entschlossen verbarg Julia, wie verletzt sie sich dadurch fühlte, hob das Kinn und erwiderte seinen Blick.

Da sie schwieg, erkundigte er sich in kaltem Ton: „Möchten Sie noch etwas mit mir erörtern?“

„Nein“, antwortete sie resignierend und senkte den Kopf.

„Nun, dann werden Sie mich jetzt entschuldigen, ich habe mich bereits verspätet.“ Nur ein paar Sekunden lang zauderte er, bevor er das Zimmer verließ.

Entschuldigte sie ihn? Wäre sie nicht völlig machtlos gewesen, hätte sie ihn am liebsten aus seinem Haus geworfen, um sich seiner zu entledigen. Gleichzeitig wollte sie weinen. Ihre zitternden Finger suchten immer noch Halt an der Lehne des Stuhls.

Schließlich atmete sie tief durch. Sie musste ihren Verstand nutzen und nachdenken, statt mit dem Herzen Entscheidungen zu treffen. In jener Nacht hatte irgendetwas zwischen ihnen geknistert. Feurige Leidenschaft. Daran erinnerte sie sich deutlich genug. Das war der erste Impuls gewesen, der sie veranlasst hatte, Dunstans Heiratsantrag anzunehmen – die Hoffnung, die wechselseitige erotische Anziehungskraft würde zu tieferen Gefühlen führen.

Diese Hoffnung würde Julia nicht aufgeben. Nicht kampflos. Eine unglückliche Ehe hatte sie schon hinter sich, mit einer zweiten würde sie sich nicht abfinden. Deshalb durfte sie dem Duke nicht erlauben, den Rest der Lebenskraft, den sie noch besaß, zu zerstören. Sie wünschte sich einen richtigen Ehemann, und – falls ein Wunder geschehen mochte – eine richtige Familie. Sicher war das nicht zu viel verlangt.

Entweder würde sie jene Flammen erneut entfachen, oder … Nein, das wollte sie sich nicht vorstellen. Es musste ihr gelingen.

Abrupt blieb Alistair in der Tür des Frühstückszimmers stehen. So früh am Morgen hatte er seine Frau noch nie gesehen. Noch zauberhafter auch nicht.

In einem königsblauen Reitkostüm mit schwarzer Verschnürung am Oberteil stand sie bei der Anrichte. Weiße Rüschen ragten aus dem hohen Kragen und umrahmten ihr schönes Gesicht. Lächelnd wandte sie sich zu Alistair um, ihre Augen strahlten. „Guten Morgen, Euer Gnaden“, begrüßte sie ihn und häufte Rühreier auf ihren Teller.

Zum Geier, er hasste Konversationen vor seiner ersten Tasse Tee. Warum bestellte Julia kein Tablett in ihr Zimmer wie jede vornehme Dame, die etwas auf sich hielt? Andererseits war keine der Frauen, bei denen er sich um diese Tageszeit aufgehalten hatte, respektabel gewesen.

„Guten Morgen.“ Zumindest hatte er das sagen wollen, brachte aber nur ein heiseres Murren hervor.

Julia setzte sich neben seinen gewohnten Platz an den Tisch.

Ohne ihr noch einen Blick zu gönnen, ging Alistair zum Buffet, holte die üblichen pochierten Eier mit einem Steak und stellte den Teller auf den Tisch. Bevor er sich niederließ, musterte er die sorgsam gebügelte, gefaltete Zeitung, die neben seiner Gabel lag, damit er die Schlagzeilen überfliegen konnte.

Heute nicht. Ärgerlich biss er die Zähne zusammen. Wenn man in weiblicher Gesellschaft eine Mahlzeit einnahm, durfte man nicht lesen. Sogar Alistair erinnerte sich an die Manieren, die er in seiner frühen Jugend beigebracht bekommen hatte. Digger, sein Kindermädchen, wäre stolz auf ihn gewesen. Vielleicht …

„Tee?“, fragte Julia.

„Bitte“, antwortete er, obwohl er es vorzog, sich selbst den Tee einzuschenken.

Sie füllte zwei Tassen, füllte bei einer Sahne und Zucker hinzu und schob sie zu Alistair, der widerwillig daran nippte. Perfekt. Genau nach seinem Geschmack. Wieso wusste sie, wie er seinen Tee trank? Mit jedem Schluck besserte sich seine Laune.

„Wie ich sehe, möchten Sie ausreiten, Madam?“ Ha! Ein vollständiger Satz, der sogar höflich geklungen hatte …

„Ja, Euer Gnaden, vor ein paar Tagen hat Mr. Litton, Ihr Stallmeister, mich mit Bella bekannt gemacht. Und da das Wetter so schön ist, dachte ich mir, ich könnte ein wenig ausreiten. Das habe ich ihm vorhin mitgeteilt.“

Dass sie gern ausritt, hatte er nicht gewusst. Danach hätte er sich erkundigen sollen. „Hmmm.“

„Missbilligen Sie meine Pläne?“

Zur Hölle mit dieser Frau, musste sie ständig Fragen stellen? Er nahm noch einen Schluck Tee. Aus irgendeinem albernen Grund fand er den Morgen erfreulicher, als er es beim Aufwachen vermutet hatte.

„Keineswegs, ich werde Sie begleiten. Ich reite jeden Morgen aus.“ Was sie zweifellos wusste. „Und warum sollten wir dieses Vergnügen getrennt genießen?“ Weil seine Kumpane ihn für verrückt erklären würden. Jahrelang hatte er jeden liebestollen Gentleman verhöhnt, der zu so früher Stunde mit seiner Angebeteten ausgeritten war. Viel zu öde … Andererseits musste ein Ehemann gewisse Pflichten erfüllen. Sollte er nicht feststellen, ob Julia gut genug reiten konnte, um mit Bella umzugehen? Natürlich war er für die Sicherheit seiner Gemahlin verantwortlich, und ein Reitknecht würde zu wenig Acht geben.

Die Brauen hochgezogen, betrachtete sie ihn forschend über ihre Tasse hinweg, nippte an dem Tee darin und schnitt eine Grimasse.

„Stimmt was nicht mit dem Tee, Madam?“

„Oolong ist nicht meine Lieblingssorte.“

„Darüber sollten Sie der Küche Bescheid geben.“

„Das werde ich tun.“ Sie stellte die Tasse ab und musterte sein unangerührtes Frühstück. „In – sagen wir – einer halben Stunde bin ich zum Aufbruch bereit.“ Mit ihm oder ohne ihn, schien das zu bedeuten. Seelenruhig aß sie ihren Teller leer und verließ den Raum.

Während er die politischen Schlagzeilen las, verschlang er seine üppige Mahlzeit. Dann ging er in den Stallhof hinaus. Litton hatte beide Pferde und sein eigenes gesattelt. Von Ihrer Gnaden war noch nichts zu sehen. Alistair war ein paar Minuten zu früh dran und hoffte, sie würde ihn nicht zu lange warten lassen.

Bevor er sich zu seinem Pferd wandte, unterzog er Bella einer gründlichen Inspektion. Nicht, dass er an der ausgezeichneten Leistung seines Stallmeisters zweifelte … „Heute wird Ihre Gnaden Sie nicht brauchen, Litton.“

Sichtlich verblüfft blinzelte der Mann. „Wenn ich mir den Hinweis erlauben darf, Euer Gnaden – Bella hat monatelang keinen Damensattel getragen. Also muss man sie besonders aufmerksam handhaben.“

„Dafür werde ich Sorge tragen.“

Litton spähte über die Schulter seines Herrn und gab ihm mit einer erhobenen Braue zu verstehen, dass Ihre Gnaden sich näherte.

Ohne eine Miene zu verziehen drehte Alistair sich um und begrüßte Julia. Ebenso wie er trug sie einen schwarzen Zylinder, die Krone nicht ganz so hoch, mit einem Netzschleier und geschmückt mit Pfauenfedern.

Sehr stilvoll, dachte Alistair. Hoffentlich reitet sie genauso gut, wie sie aussieht.

Julia tätschelte den Hals der Stute. Nachdem sie mit fachkundigen Handgriffen den Sattelgurt und den Steigbügel überprüft hatte, bedeutete sie ihrem Gemahl, dass sie aufsteigen wollte. Er bückte sich und schlang die Finger einander.

Da raffte sie ihre Röcke um einige Zentimeter und bot ihm den Anblick eines eleganten Reitstiefels, auch einen winzigen Teil einer wohlgeformten Wade. Alistair hielt den Atem an, denn er entsann sich, wie er diese Wade gestreichelt hatte, dachte an Julias seidige Haut, an die prompte Reaktion ihres Körpers. Wieder einmal spürte er wachsende Erregung und verfluchte die Unannehmlichkeit.

Julia stieg auf seine Handflächen, und er half ihr in den Sattel. Sofort begann Bella, bisher die Ruhe selbst, rastlos zu tänzeln, und Alistair griff besorgt nach dem Zaumzeug. Dann trat er zurück, denn er stellte fest, dass seine Frau das Tier geschickt unter Kontrolle brachte. „Reg dich nicht auf, mein Mädchen. Du kennst mich. In den letzten paar Tagen haben wir uns schon öfter unterhalten.“ Ihre leise Stimme wirkte ebenso beschwichtigend wie die sanften Finger, die über den Hals der Stute glitten.

Auf diese Weise sollte sie mich berühren und liebkosen und vielleicht … Energisch verdrängte Alistair diesen Gedanken und verachtete sich selbst. Sein Mangel an Selbstbeherrschung beschämte ihn und weckte unwillkommene Erinnerungen an seine Vergangenheit. Während Julia noch auf Bella einredete, umfasste er die Zügel seines Wallachs Thor und zwang sich zur Konzentration auf die Anforderungen der Gegenwart. Offensichtlich war seine Gemahlin eine erfahrene Reiterin. Was mochte er außerdem nicht über sie wissen? Und warum wollte er das herausfinden?

Er schwang sich auf sein Pferd, und sie verließen den Stallhof.

Auf der Straße lenkte er Thor neben Bella. „Folgen wir der Park Lane. Um diese Tageszeit treiben sich noch nicht allzu viele Leute im Hyde Park herum.“

„Gut, reiten wir in den Park“, stimmte Julia zu.

Viel erfreulicher wäre es gewesen, sie würde auf ihm reiten … Verdammt, noch ein ungebetenes Fantasiebild! Mit diesem pubertären Unsinn musste er aufhören. Unruhig rutschte er im Sattel herum.

2. KAPITEL

Wenn Dunstan auch keine überschwängliche Freude an Julias Gesellschaft bei seinem Morgenritt bekundete – er akzeptierte ihre Anwesenheit immerhin mit einem Minimum an Höflichkeit. Ihr erster Ehemann hatte ihr niemals zu reiten erlaubt, auch keine anderen Vergnügungen. Nach seiner Meinung hatte sie nichts dergleichen verdient.

Für einen Ritt herrschte perfektes Wetter, mit einer leichten Brise, ein paar weißen Wölkchen, und im Juni war es noch nicht zu heiß. Da Julia jahrelang nicht im Sattel gesessen hatte, beschloss sie das Beste aus dieser Gelegenheit zu machen.

„Was halten Sie von Bella?“, fragte der Duke.

Zu Julias Verblüffung schien ihn die Antwort sogar zu interessieren. „Oh, sie reagiert einfach wundervoll auf jede Berührung, eine vollkommene Lady.“

Er murmelte etwas, das sie kaum verstand. Hatte er tatsächlich bemerkt: Deshalb passt sie auch so gut zu Ihnen? Undenkbar… Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und sah die übliche undurchdringliche Miene. Oder leuchtete ein neuer warmer Glanz in seinen grauen Augen? War das möglich?

„Verzeihen Sie, Euer Gnaden, ich habe nicht ganz verstanden, was Sie gerade sagten.“

Seine Lippen zuckten. „Nun, das freut mich. In letzter Zeit kam Bella nur selten aus dem Stall heraus.“

Freute er sich, weil sie seine Worte nicht verstanden hatte? Oder weil ihr die Stute gefiel? Da Julia die verbesserte Stimmung zwischen ihnen nicht trüben wollte, ließ sie die Sache auf sich beruhen.

Dunstans Pferd Thor war ein kraftvoller schwarzer Wallach mit vier weißen Füßen, genau richtig für einen großen, starken Mann, während sich die zierliche Bella für Reiterinnen eignete. Wer hatte in ihrem Sattel gesessen? Julia versuchte den schmerzlichen Stich in ihrem Herzen zu ignorieren, als sie überlegte, welche Frauen ihren Gemahl bei seinen Ausritten begleitet hatten. Denn Bella war zweifellos daran gewöhnt, an Thors Seite dahinzutrotten.

„Bleiben Bella und Thor immer in London, Sir? Oder nehmen Sie die beiden mit, wenn Sie aufs Land ziehen?“

„Je nachdem, wohin ich übersiedle.“

Nicht besonders aufschlussreich. Soviel sie wusste, besaß er mehrere Landsitze in ganz England, die er alljährlich besuchte, stets in einer genau festgelegten Reihenfolge. Das hatte sie von der Haushälterin erfahren. Am Morgen nach der Hochzeit hatte Julia der Frau einige Fragen gestellt, im Glauben, der Duke würde von seiner Duchess erwarten, dass sie den Haushalt und Einladungen für seinen Freundeskreis organisierte. Ein Irrtum. Wie sie bald erkannt hatte, durfte sie sich nicht in seine Junggesellenarrangements einmischen.

Vom Hochzeitsball abgesehen, auf dem fast die gesamte Londoner Oberschicht erschienen war, hatte er niemanden formell eingeladen und das Haus wohl nur verlassen, um seinen Anwalt oder seinen Klub zu besuchen. Oder um einen Morgenritt zu genießen. Letztere Aktivität war vermutlich die Einzige, bei der er die Gegenwart seiner Ehefrau vielleicht begrüßte.

Sie passierten das Tor des Hyde Parks. Allmählich verhallte der Straßenlärm, und Julia gewann beinahe den Eindruck, sie würde sich inmitten ländlicher Natur befinden. Sie holte rief Luft. „Welch ein wunderbarer Vormittag!“

Die Stirn gerunzelt, schaute er sich zwischen den Bäumen um. Dann starrte er den Serpentine an, als hätte er den See nie zuvor wahrgenommen. „Hmmm – ja, sehr schönes Wetter.“ Auf eine angeregte Konversation legte er wohl keinen Wert

„Wirklich schade, dass man den Pferden hier nirgendwo die Zügel schießen lassen kann …“ Sie beobachtete, wie sich seine Augen weiteten, und verstummte. Waren ihre Worte zu kühn gewesen? Oft genug hatte ihr erster Ehemann sie geohrfeigt, wenn ihm ihre Äußerungen zu freimütig erschienen waren.

Bella warf den Kopf hoch. Langweilte sie der gemächliche Trott? Bat sie um Erlaubnis zu einer flotteren Gangart? In der Ferne sah Julia eine Reitergruppe vorbeikantern und presste die Lippen zusammen, um sich den Vorschlag zu verkneifen, man könnte das Tempo ein bisschen beschleunigen.

„Wollen wir Bella einen Trab gönnen?“, fragte Dunstan.

Sie wandte sich zu ihm um und war fast sicher, seine Mundwinkel würden sich bewegen. Unterdrückte er ein Lächeln? Anscheinend war ihre Bemerkung nicht zu dreist gewesen. Erleichtert nickte sie. „Sehr gern, Euer Gnaden.“

Nachdem sie die Pferde in flinken Trab versetzt hatten, wurde Julia einer kritischen Musterung unterzogen. Das entging ihr nicht, und sie freute sich darüber. Denn nun würde sie dem Duke beweisen, wie gut sie mit Bella umgehen konnte, obwohl sie die Stute zum ersten Mal ritt.

Bald wechselte er zu einem leichten Kanter über, und sie folgte seinem Beispiel. Seite an Seite ritten sie weiter. Am Ende der Rotten Row parierten sie die Pferde durch, und Julia begegnete dem Blick ihres Mannes, dessen Miene sie nicht zu deuten vermochte.

„An Ihrem Sitz gibt es wahrlich nichts zu bemängeln, Madam.“

Ein Kompliment? Ihre Laune erhellte sich bis zum Übermut. „Das wussten Sie schon, Sir …“ Ehe sie ihre Zunge im Zaum halten konnte, war ihr der pikante Kommentar entschlüpft.

Plötzlich brach der Duke in Gelächter aus, seine grauen Augen funkelten wie Quecksilber. „Was halten Sie von einem Wettrennen, zum anderen Ende der Rotten Row?“

Sein verführerisches Lächeln ließ ihr Herz höher schlagen. Lebhaft erinnerte sie sich, wie es gewesen war, diesen sinnlichen Mund zu küssen.

Warum nur hatte Dunstan nach der Hochzeit diese seltsame Barriere zwischen ihnen errichtet? Aus einem verrückten Impuls heraus wollte Julia ihn wieder küssen. Hier und jetzt … Skandalös! Nicht einmal Eheleute durften in der Öffentlichkeit Küsse tauschen.

Und so nahm sie stattdessen die Herausforderung eines Wettrennens an. „Mit Vergnügen!“, rief sie und wendete Bella. „Los!“

Sofort stürmte die zierliche Stute dahin, und Julia ließ ihr freien Lauf. Hinter sich hörte sie Thors donnernde Hufe. Der Duke holte sie ein, nebeneinander sprengten die Pferde den breiten Weg entlang. Als sie einen Blick ins Gesicht ihres Ehemanns riskierte, erkannte sie grimmige Entschlossenheit, aber auch ein Lächeln voll reiner Freude, das sie bisher nur ein einziges Mal gesehen hatte – im kleinen, von schwachem Kerzenlicht erleuchteten Zimmer eines Bordells.

Als hätte er ihren Blick gespürt, grinste er, spornte Thor an, und der langbeinige Wallach galoppierte voraus. Schon wenige Sekunden später drosselte Dunstan das Tempo, und Julia schloss zu ihm auf. „Ich bin Ihnen dankbar, weil Sie mich nicht gewinnen lassen, Euer Gnaden. Sonst wäre Thors Stolz gekränkt.“

Tatsächlich schüttelte Thor triumphierend den Kopf, und sein Herr lachte. „An mein letztes Wettrennen kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“

„Und ich nicht an meines.“

Er schaute sich wieder um. „Nun sollten wir … Oh, verdammt!“, stieß er hervor.

Verwirrt folgte sie seinem Blick und entdeckte zwei Gentlemen, die ihnen entgegenritten. „Kennen Sie die beiden, Sir?“, fragte sie, während er sein Pferd zügelte, und folgte seinem Beispiel. Bella tänzelte aufgeregt.

„Mag sein“, murmelte er kühl und ruhig. Die Barriere entstand erneut. Missfiel es ihm, dass der übermütige Galopp beobachtet worden war? Sie hatten sich keineswegs skandalös verhalten. Oder widerstrebte es ihm, seine neue Frau zwei Bekannten vorzustellen?

Plötzlich rann ihr ein eisiger Schauder über den Rücken. Waren diese Männer an jenem Abend im Bordell gewesen, wo sie sich schamlos hatte versteigern lassen?

„Galoppieren wir zum anderen Ende der Row?“, schlug sie in beiläufigem Ton vor und entlockte ihrem Gemahl ein Lächeln.

„Nein, das wäre denn doch etwas zu unhöflich.“

Julias Herz jubelte. Also galt seine distanzierte Haltung nicht ihr, sondern den beiden Reitern. „Ist das einem Duke und seiner Duchess nicht egal?“

Belustigt hob er die Brauen. „Benehmen Sie sich, Madam.“

Mit dieser tiefen, verführerischen Stimme hatte er in der Liebesnacht gesprochen. Heiße Sehnsucht erfüllte Julia. Nach ihm. Nach seinen herrlichen Liebkosungen. Nach den Gefühlen, die er in ihr zu entfesseln vermochte. Wollte er sie mit diesem speziellen Tonfall daran erinnern? Gewiss, denn er tat nichts ohne Absicht.

Zu ihrem Leidwesen nahm sein Gesicht wieder ernste Züge an, da die zwei Reiter ihr Ziel erreicht hatten.

„Guten Tag, Duke“, begann ein attraktiver Mann, der auf einem großen Grauschimmel saß und ihr bekannt vorkam.

„Beauworth“, erwiderte Dunstan. Da wusste sie, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. „Du kennst meine Frau.“

Respektvoll verneigte sich Beauworth. „Guten Tag, Euer Gnaden.“

Julia nickte ihm lächelnd zu. „Freut mich, Sie wiederzusehen, Sir. Wir sind uns auf dem Hochzeitsball begegnet.“

„Dass Sie sich daran erinnern, ehrt mich, Madam“, beteuerte der Marquess.

An jenem Abend hatte sie befürchtet, ihrem sichtlich missgelaunten Gemahl Schande zu bereiten, und sich die Namen aller Gäste eingeprägt.

Der jüngere Gentleman – geckenhaft gekleidet, strohblond, mit runden Apfelbäckchen – lüftete einen Zylinder mit etwas zu hoher Krone. Diesen Mann kannte sie nicht, da war sie sicher.

Aber er fixierte sie erstaunt, die Stirn gefurcht.

„Mein Cousin, Madam“, stellte Dunstan ihn vor. In seiner Stimme schwang kühler Gleichmut mit. „Percy Hepple. Er war nicht auf unserem Hochzeitsball.“

Autor

Ann Lethbridge
Ann Lethbridge wuchs in England auf. Dort machte sie ihren Abschluss in Wirtschaft und Geschichte. Sie hatte schon immer einen Faible für die glamouröse Welt der Regency Ära, wie bei Georgette Heyer beschrieben. Es war diese Liebe, die sie zum Schreiben ihres ersten Regency Romans 2000 brachte. Sie empfand das...
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