Wie zähmt man einen sexy Cowboy?

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Jesses heiße Blicke sind wie ein verführerisches Versprechen. Vom ersten Moment an knistert es zwischen Jillian und dem sexy Rancher. Aber Jillian will mehr als Leidenschaft! Doch auch als Jesse ihr ein verlockendes Angebot macht, das ihre Existenz sichern könnte, wagt sie nicht, an eine Zukunft mit ihm zu glauben. Ihr Vertrauen in die Liebe wurde schon einmal schwer enttäuscht, ein zweites Mal wird sie nicht verschmerzen. Soll sie zurückgehen in ihr altes Leben nach Las Vegas - oder dem großen Glück eine allerletzte Chance geben?


  • Erscheinungstag 28.05.2019
  • Bandnummer 2082
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725228
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Seit der Beerdigung, die keine gewesen war, waren zwei Wochen vergangen. Jesse Navarro hatte immer noch das Gefühl, als sei sein Leben aus den Fugen geraten. Aber das ist wohl eine normale Reaktion, wenn dein Bruder in seine eigene verdammte Beerdigung platzt.

Jesse blinzelte mit gerunzelter Stirn in die Nachmittagssonne. Man konnte eben keine ordentliche Trauerfeier abhalten, wenn die Hauptperson persönlich dabei sein wollte. Lebendig. Jesse fuhr sich mit der Hand durchs Haar und murmelte: „Sei einfach dankbar, um Gottes willen.“

Das war er ja auch. Dankbar. Zur Hölle, er hatte seinen Bruder wieder! Aber er musste auch ein verdammtes Rätsel lösen, und Jesse hatte für Rätsel nichts übrig.

Wenn Will Sanders am Leben war und jetzt wieder in Royal, Texas, aufgetaucht war, wessen Asche war dann in der Urne gewesen, von der alle dachten, dass es Wills wäre? Und wer zur Hölle hatte sich die ganzen Monate zuvor als Will ausgegeben? Und wieso hatte er es getan?

„Nein“, sagte Jesse laut. „Ich weiß, warum er das getan hat. Es geht um Geld.“ Der Name Sanders hatte nun einmal viel Gewicht und das nicht nur in Texas. Also hatte dieser Bastard versucht, Wills Namen zu Geld zu machen, und er hatte damit auch Erfolg gehabt. Aber der Betrüger hatte nicht nur Wills Namen gestohlen. Er hatte auch Wills Gesicht gehabt. Seine Art und Weise, sich zu bewegen, sein Lächeln. Er hatte damit Wills Familie hereingelegt.

Verdammt, er hatte sogar Jesse hereingelegt.

Diese Pille war am schwersten zu schlucken. Irgendwie kam Jesse sich wie ein Verräter vor, weil er den verdammten Betrüger nicht in der Sekunde entlarvt hatte, als er auf der Ranch der Familie aufgekreuzt war. Wieso hatte er sich so leicht überlisten lassen? Zu seiner eigenen Verteidigung konnte Jesse nicht mehr sagen, als dass der falsche Will eben nicht viel Zeit mit der Familie verbracht hatte. Er war großer Nähe die ganze Zeit aus dem Weg gegangen, und Jesse hatte einfach angenommen, dass Will wohl mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war.

Was er natürlich auch gewesen war. Oder der Betrüger, besser gesagt. Der Mann hatte sich große Mühe gegeben, die Fassade aufrechtzuerhalten.

Jesse sah zum Haupthaus der Ranch hinüber. Es war ein weitläufiges, weißes Anwesen und sah überhaupt nicht wie ein Ranchhaus aus. Es war riesengroß, elegant. Ganz weiß, abgesehen von den schwarzen Fensterläden. Das Haus besaß vorn eine breite, mit Säulen geschmückte Veranda und Gaubenfenster im ersten Stock. Abends, wenn überall das Licht brannte, wirkte es wie verzaubert.

Irgendwo in diesem Gebäude befand sich der echte Will Sanders. Vor dem Haus stand eine ganze Reihe Autos, und Jesse sah eines davon mit zusammengekniffenen Augen an. Es war ein verbeulter, blassgrüner Honda mit Nummernschildern aus Nevada, und die Frau, die darin gekommen war, befand sich im Haus. Zusammen mit Will.

Das Auto passte gar nicht zu Jillian Norris. Zu einer Frau wie ihr passte eher ein Porsche oder zumindest ein klassisches Ford Mustang Cabriolet. In dem ganzen Chaos seit Wills Rückkehr hatte sich Jillian irgendwie mit Lucy, seiner und Wills Schwester, angefreundet, deshalb war sie bereits ein paar Mal auf der Ranch gewesen. Jedes verdammte Mal durchzuckte Jesse dann eine Hitze, die ihn schier verbrannte. Er hatte sich schon mehrmals mit Jillian unterhalten, und beim Klang ihrer dunklen, sexy Stimme zischte diese Hitze nur umso heftiger durch seine Adern.

Er sah mit gerunzelter Stirn auf den Horizont und rief sich selbst zur Ordnung: Wenn er noch bei klarem Verstand war, musste er sich von Jillian Norris fernhalten. Doch offensichtlich ließ sich sein Körper von gesundem Menschenverstand nicht beeindrucken. Vor Jesses innerem Auge erschien ein Bild von Jillian – und sein Körper reagierte. Er schüttelte den Kopf und musste sich eingestehen, dass das bereits seit der Beerdigung so war, als er sie das erste Mal gesehen hatte.

Sie war zum Niederknien schön mit Kurven, die auch den stärksten Mann umgehauen hätten. Bei der Trauerfeier hatte sie mit ihrer kleinen Tochter ganz hinten gestanden, die Kleine eine Miniaturausgabe der Mutter mit großen, haselnussbraunen Augen, weißblondem Haar und einem strahlenden Lächeln.

Jesse hatte sich natürlich gefragt, wer zur Hölle diese Frau war und was sie auf Wills Beerdigung zu suchen hatte.

Aber dann war Will hereingekommen und hatte ausgerufen: „Was zur Hölle ist hier los?“ Und plötzlich gab es wichtigere Fragen zu beantworten.

„Und zwei Wochen später habe ich immer noch Fragen.“ Jesse schlug mit der Faust auf den oberen Balken des Paddockzaunes, dann drückte er das Holz so fest, dass es eigentlich hätte zerbrechen müssen.

Sein kleiner Bruder war von den Toten wiederauferstanden, und dafür war er dankbar. Aber Will hatte Erinnerungslücken, aufgrund derer die Familie sich fragte, was genau mit ihm passiert war, als er verschwunden war. Natürlich fragte Will sich das auch, das wusste Jesse natürlich, aber irgendwie fiel es ihm schwer, nur den Beobachter zu spielen. Es machte ihn verrückt, dass er nichts tun konnte, um die Sache in Ordnung zu bringen. Er war der große Bruder, und er war es gewöhnt, derjenige zu sein, der die anderen rettete.

Dieses Mal jedoch hatte niemand gewusst, dass jemand gerettet werden musste, und er hatte nichts tun können.

Auf der Beerdigung war das Chaos ausgebrochen. Jesses Mutter hatte Wills Namen geschrien und war zusammen mit Lucy auf ihn zugestürmt, um ihn in die Arme zu schließen. Jesse hatte Will angesehen und sich eine Erklärung gewünscht, aber er war viel zu froh gewesen, seinen Bruder wiederzuhaben, um auch nur ein Wort herauszubringen. Davon ganz abgesehen war ihm nicht klar, ob es für so eine Situation überhaupt die richtigen Worte gab.

Jesse dachte daran, dass er nicht lange, nachdem die Aufregung um Will abgeebbt war, herausgefunden hatte, wer Jillian war. Irgendein Anwalt hatte ihr gesagt, dass sie nach Texas kommen sollte. Es ging darum, sich zugunsten des Kindes, das Will und sie zusammen hatten, ihr Anrecht auf einen Teil von Wills Vermögen zu sichern. Das kleine Mädchen war eine Herzensbrecherin, aber schließlich hatte sich herausgestellt, dass Mac gar nicht Wills Tochter war. Das war in der Sekunde klar gewesen, als Jillian zugab, dass sie den „echten“ Will noch nie zuvor gesehen hatte. Inzwischen wusste sie, dass sie, wie alle anderen in Royal, Texas, einem Hochstapler auf den Leim gegangen war.

Jillian war allerdings sofort bereit gewesen, wieder zu verschwinden, nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte. Doch Will hatte sie dazu überredet, noch zu bleiben, bis alles geklärt war. Jesse hatte sie insgeheim im Auge behalten und wusste, dass sie und ihre Tochter Mackenzie in einem billigen Motel am Stadtrand von Royal untergekommen waren. Er nahm an, dass es gar nicht so leicht war, die ganze Zeit mit einem Kleinkind auf so engem Raum zu leben.

Jetzt war sie hier und traf sich mit Will. Und Jesse fand, dass er auch dabei sein sollte. Er knirschte frustriert mit den Zähnen. Aber Will war genauso stur wie immer und hatte darauf bestanden, dass das hier seine Sache war und er dafür sorgen musste, dass alles wieder in Ordnung kam.

Das stimmte jedoch nicht ganz, oder? Will war dafür nicht verantwortlich. Der Hochstapler ganz allein trug die Schuld, und wenn Jesse gewusst hätte, wo er den Mann finden konnte … Wahrscheinlich war es besser, dass er keine Ahnung hatte.

Aber dennoch hatte er nicht vor, sich zurückzuhalten und Will diese furchtbar komplizierte Situation ganz allein entwirren zu lassen, ob es seinem Bruder nun passte oder nicht. Er war nun einmal Wills großer Bruder und würde es auch immer bleiben.

Jesse setzte sich den schwarzen Cowboyhut wieder fest auf den Kopf, stieß sich vom Paddockzaun ab und ging mit langen Schritten auf das Haupthaus zu. Dabei ließ er den Blick über sein weißes, palastartiges Zuhause schweifen und spürte dabei wie immer einen kurzen Augenblick von Dankbarkeit.

Hier war er aufgewachsen. Von dem Moment an, als seine Mutter Cora Lee Wills Vater Roy geheiratet hatte, war die Ranch Ace in the Hole sein Zuhause gewesen. Jesse konnte sich sogar noch an den ersten Blick erinnern, den er auf die Ranch und das Haus geworfen hatte. Für ihn als Sechsjährigen glich sie damals einem Schloss. Es fehlten nur ein paar Türme, eine Zugbrücke und ein Drache oder zwei, die darauf warteten, erschlagen zu werden.

Roy hatte dafür gesorgt, dass Jesse und seine jüngere Schwester Lucy vom ersten Tag an das Gefühl bekamen, dass das hier genauso ihr Zuhause war wie das von Will. Dass sie alle zusammen eine Familie waren. Und dass es nichts Wichtigeres gab.

Die Familie kam immer zuerst, das war eine der Lebensweisheiten, die Jesse, Will und Lucy eingebläut bekamen, als sie noch Kinder waren. Es war die einzige Lebensweisheit, die sich nie veränderte oder ungültig wurde. Jesse hätte für die Menschen, die er liebte, alles getan, deswegen würde er Will auch nicht ohne Unterstützung hängen lassen.

Er hatte es mit Lucy schon ziemlich versaut – aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Stattdessen erinnerte er sich an eine andere Lebensweisheit, während er die Treppen zu der breiten Veranda hinaufging, die um das Haus herumführte: Seine Mutter, Cora Lee Sanders, achtete penibel auf Ordnung, und auf einer Ranch zu leben bedeutete deshalb, dass sie ständig im Krieg war mit Schmutz, Staub und allem anderen, was mit ins Haus getragen wurde.

„Wisch dir die Füße ab, damit du nicht den ganzen Dreck mit rein bringst.“

Trotz allem musste er lächeln, als die strengen Worte seiner Mutter in seinem Kopf widerhallten. Jesse putzte sich pflichtbewusst die Stiefel auf der Drahtmatte ab, die zu diesem Zweck vor der Tür lag, erst dann ging er hinein. Sofort umfing ihn eine Stille, die ihn ein wenig nervös machte. Normalerweise war in diesem Haus immer etwas los.

Lucy und ihr kleiner Sohn Brody wohnten im Ostflügel, doch der vierjährige Brody hatte das ganze Haus fest im Griff und konnte einfach nicht still sitzen. Lucy war alleinerziehend, und wenn er daran dachte, musste Jesse schon wieder gegen Schuldgefühle und Bedauern ankämpfen, die ihn plötzlich überkamen. Doch alle Ranchbewohner waren für seine Schwester da und halfen ihr bereitwillig mit dem Jungen, der sie alle auf Trab hielt.

Jesse ging ins Arbeitszimmer, Roys altes Büro. Seit Roys Tod wurde es von der ganzen Familie genutzt, denn Jesse hatte es nicht geschafft, seine Ansprüche auf das Büro durchzusetzen, obwohl er jetzt die Ranch leitete. Das Klappern seiner Stiefelabsätze auf dem blank polierten Dielenboden erinnerte ihn an einen Herzschlag, rhythmisch und hart.

Die Flügeltür stand offen, also ging er hinein und sah sich rasch in dem wohlbekannten Raum um.

Weiche, weinrote Ledersessel, schwere Tische und solide Stehlampen aus Messing sorgten für eine warme Atmosphäre. Ein dicker Teppich, in den eine Landkarte von Ace in the Hole eingewebt war, setzte ein besonderes i-Tüpfelchen, dazu gab es Wände voller Bücherregale und eine Bar, in der Karaffen mit Whisky, Brandy und Wodka im Licht schimmerten. Im Kamin aus Flusssteinen brannte ein niedriges Feuer, und an dem großen Schreibtisch saß Will. Er wirkte nervös.

Ihm gegenüber in einem der Ledersessel saß Jillian Norris.

In dem Augenblick, als Jesse sie sah, spürte er, wie ihn etwas mitten in die Brust traf – ein heißes, wildes, heftiges Gefühl, als ob sich sein Herz fest zusammenzöge. Die Frau gab aber auch ein atemberaubendes Bild ab. Sie war groß, fast eins achtzig, auch ohne High Heels. Ihr langes, welliges Haar war so hellblond, dass es aussah wie gesponnenes Gold, sogar wenn sie es in einem Pferdeschwanz trug, ohne den er sie kaum je gesehen hatte. Ihre großen haselnussbraunen Augen wirkten gleichzeitig verletzlich und unerschrocken. Eine interessante Kombination, die Jesse von Anfang an fasziniert hatte. Die wenigen Male, als er sie gesehen hatte, war ihm der starrköpfige Zug um den Mund aufgefallen und die liebevolle Art, wie sie ihre Tochter ansah.

Will hob den Kopf und sah ihn an. „Jesse?“

„Rede ruhig weiter. Ich wollte euch nicht stören.“ Er kümmerte sich nicht um die plötzlich aufgeflackerte Verärgerung im Blick seines kleinen Bruders und setzte sich in einen der Sessel.

Wills Stirnrunzeln war sofort wieder verschwunden. Wahrscheinlich war ihm klar, dass er Jesse damit nicht beeindrucken konnte. Er sah wieder Jillian an. „Wenn ich dir die ganze Sache irgendwie leichter machen könnte, würde ich es gerne tun.“

Jesse beobachtete die Frau. Sie wirkte peinlich berührt, und er fragte sich, ob sie auch schon so ausgesehen hatte, bevor er ihr Treffen unterbrochen hatte. Er sollte sich wahrscheinlich schuldig fühlen, weil er einfach so hier eingedrungen war, aber das tat er nicht.

„Und ich weiß das wirklich zu schätzen“, entgegnete Jillian so leise, dass Jesse Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. „Aber ich habe es doch schon gesagt: Du schuldest mir überhaupt nichts. Mac ist nicht deine Tochter.“ Sie atmete tief durch und seufzte dann leise. „Das weiß ich jetzt.“

Will stand von seinem Platz hinter dem Schreibtisch auf, kam herum und lehnte sich gegen die vordere Kante. „Ich bin nicht ihr Vater, nein. Aber dieser Mann, Macs leiblicher Vater, hat behauptet, er wäre Will Sanders, und das reicht mir. Das kann ich nicht einfach ignorieren.“

Jillian richtete sich in ihrem Sessel auf und verschränkte die Hände auf dem Schoß. „Pass auf, ich brauche deine Hilfe nicht. Mac und ich kommen wunderbar zurecht …“

Jesse hörte den Stolz in ihrer Stimme und wusste, dass Will es auch bemerkt hatte, als sein Bruder wieder das Wort ergriff.

„Das ist kein Almosen, okay?“ Er warf Jesse einen ungeduldigen Blick zu, als ob er ihm ohne Worte sagen wollte, er möge verschwinden.

Jesse schüttelte den Kopf.

Mit einem Seufzen wandte Will sich wieder der Frau zu.

„Was denn sonst?“, fragte Jillian.

„Ein Gefallen“, sagte Will. „Ein Gefallen, den du mir tust.“

Sie lachte, und sogar in dieser merkwürdigen Situation regte sich etwas in Jesses Innerem bei diesem heiseren Laut. Er rückte unruhig hin und her.

„Du bittest um einen Gefallen. Mich.“ In ihrem Tonfall schwang ein deutlicher Zweifel mit.

„Allerdings.“ Will legte beide Hände auf die Oberschenkel und beugte sich zu ihr hinüber. „Dieser Mistkerl … Nein, entschuldige bitte.“

Sie lachte. „Ich habe schon schlimmere Schimpfworte gehört. Und ich glaube, wir können uns darauf einigen, dass der Mann, der so getan hat, als wäre er du, es verdient, so genannt zu werden. Wer immer er auch sein mag.“

Das flößte Jesse Hochachtung ein. Jillian hatte ihren Stolz, aber sie war auch dazu in der Lage, die Tatsachen anzuerkennen und die Situation nicht so hinzudrehen, wie sie sie gern gehabt hätte.

„Na ja“, sagte Will. „Meine Mutter würde einen Anfall bekommen, wenn sie hörte, dass ich in Anwesenheit einer Dame Schimpfwörter gebrauche, also entschuldige ich mich trotzdem.“

Jillian nickte nur.

„Wie ich gerade sagte, hat mir der Mann, der meine Identität gestohlen hat, mehr genommen als nur meinen Namen. Er hat meinen guten Ruf ruiniert.“

Jesse machte ein finsteres Gesicht, als er die Frustration in der Miene seines Bruders bemerkte. Er wusste, dass Will das alles schwer zu schaffen machte, aber es gefiel ihm gar nicht, das so deutlich zu sehen.

„Du hast mir aber nichts getan“, sagte Jillian leise.

„Das weiß ich, aber es ist in meinem Namen passiert, und ich werde mich deswegen schuldig fühlen, wenn du mir nicht helfen willst.“

Es vergingen ein oder zwei Sekunden, ehe Jillian den Kopf schüttelte und schief lächelte. „Oh, du bist echt gut in so etwas, oder? Dafür zu sorgen, dass die Leute tun, was du willst, meine ich.“

„Früher mal“, musste Will zugeben.

„Immer noch“, stellte Jesse ruhig fest.

Jillian drehte sich zu ihm um, und dabei trafen sich ihre Blicke. Sogar auf die Entfernung spürte er diese Verbindung mit ihr, die Funken sprühten und knisterten. Jesse konnte ihrem Blick ansehen, dass sie es ebenfalls fühlte.

Nicht, dass ihn das irgendwie interessierte.

„Mein großer Bruder da drüben weiß genau, wie dickköpfig ich bin“, sagte Will, und Jillian wandte den Blick wieder ihm zu. „Ich will damit einfach nur sagen, dass es wichtig für mich ist, meinen guten Namen wiederherzustellen. Also lass mich dir helfen. Wenn ich mir Gedanken um dich und deine Tochter mache, hindert mich das nur daran, mir mein Leben wieder zurückzuerobern.“

Jesse beobachtete Jillian, um zu sehen, wie sie darauf reagierte. Er erkannte in ihrem Blick, dass sie Will das nicht abkaufte. Es war der einzige Grund, weshalb er überhaupt etwas sagte.

„Er übertreibt nicht“, bemerkte Jesse.

„Ich bin kein Problem, das gelöst werden muss, und meine Tochter auch nicht.“

„Das habe ich nicht gesagt“, unterbrach Jesse sie. „Und ich glaube, das weißt du auch. Also such nicht noch weiter nach Gründen, um gekränkt zu sein, wo es keinerlei böse Absichten gibt.“

Sie nickte kurz. „Okay, du hast recht.“

„Ich habe auch recht, wenn ich sage, dass du Will vom Haken lassen musst …“

„Er hängt an keinem Haken“, entgegnete Jillian scharf. „Das habe ich doch gerade gesagt.“

„Jesse, wieso lässt du mich nicht …“, versuchte Will einzuwerfen.

„Ich habe ihm doch gesagt, dass es nicht seine Schuld ist“, unterbrach Jillian ihn.

„Das wird er dir nicht glauben“, sagte Jesse.

„Das sollte er aber“, erklärte Jillian. „Wenn ich zulasse, dass er mir hilft, fühle ich mich schuldig, weil ich einen Mann ausnutzte, der mir nichts schuldig ist.“

„Nein, das tust du nicht.“ Jesse schüttelte den Kopf. „Du musst an dein Kind denken. Also tust du das, was in dieser Situation klug ist, und nimmst die Hand, die dir helfen will.“

Sie legte den Kopf zur Seite, um ihn genau anzusehen. „Tue ich das?“

„Ja“, sagte Jesse und ließ sie nicht aus den Augen. „Das tust du.“

„Sagt mir einfach Bescheid, wenn ich wieder dran bin mit reden“, murmelte Will.

„Er gibt sowieso keine Ruhe, bis du dir von ihm helfen lässt“, sagte Jesse.

„Da hat er allerdings recht.“ Will nutzte seine Chance, zu Wort zu kommen.

„Wieso kümmert es dich überhaupt, was ich tue oder nicht tue?“, fragte Jillian, aber die Frage war an Jesse gerichtet, nicht an Will.

Wenn er ehrlich war, war ihm das selbst nicht ganz klar. Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht liegt es daran, dass meine Mutter auch alleinerziehend war, bevor sie Wills Vater geheiratet hat. Weil ich noch weiß, wie schwer es für sie war, bevor wir hergekommen sind, um auf der Ranch zu wohnen.“

Jillian senkte kurz den Blick, nickte ihm dann kaum merklich zu und schaute zu Will. „Also gut. Ich nehme deine Hilfe an und danke dir.“

Will lächelte. „Du brauchst mir nicht zu danken. Wie mein Bruder schon gesagt hat, rettest du mich aus einer Flut von Schuldgefühlen, wenn du einfach Ja sagst.“

Jesse beobachtete sie und wusste, dass sie mit ihrer Entscheidung zwar nicht ganz zufrieden war, aber ihrer Tochter zuliebe bereit war, ihren Stolz beiseitezulassen.

„Du hast in Vegas gewohnt und gearbeitet, richtig?“, fragte Will.

Jillian richtete sich kerzengerade auf. So, als ob die Erwähnung von Las Vegas schon ein Urteil über sie enthielt, gegen das sie sich zur Wehr setzen musste.

„Ganz genau.“

„Ich kann dir helfen, da wieder unterzukommen“, sagte Will. „Du hast doch bestimmt deine Wohnung aufgegeben, als du nach Texas gekommen bist. Ich könnte dir helfen, eine neue zu finden, wenn du willst. Oder, wenn dir das lieber ist, helfe ich dir bei der Suche nach einem schönen Zuhause hier in Royal.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, und Jesse spürt, wie er hart wurde. Hitze stieg in ihm auf. Verdammt.

„Ich würde lieber hier in Royal bleiben“, sagte Jillian schließlich. „Falls es dir nichts ausmacht, wenn es Gerede gibt. Die Leute wissen doch sicher, wieso ich hergekommen bin – weil ich dachte, dass du Mackenzies Vater bist.“

„Das ist mir egal“, versicherte Will ihr. „Es gibt immer Gerede, das geht vorbei. Aber die Entscheidung liegt bei dir.“

Sie lächelte traurig. „Vegas war nie mein Zuhause. Ich habe da nur gewohnt und gearbeitet. Ich bin hergekommen, damit wir von vorn anfangen können, Mac und ich.“

„Dann soll es so sein“, sagte Will. „Wir besitzen einige Immobilien in Royal. Ich bin sicher, dass wir eine Wohnung haben …“

„Es muss nichts Großes oder besonders Schickes sein“, fügte Jillian schnell hinzu. „Nur sauber und sicher, damit wir irgendwo unterkommen, bis ich einen Job gefunden habe und mir selbst eine Wohnung leisten kann.“

„Aber …“

Will setzte zu einer neuen Widerrede an, aber Jesse wusste genau, was die Frau meinte. Sie war bereit, Hilfe anzunehmen, aber sie wollte sich nicht verpflichtet fühlen.

„Wir besitzen ein Haus an der Main Street.“ Will und Jillian sahen ihn beide an. „Das Gebäude ist in Ordnung. Sicher. Sauber. Es gibt dort nur Einzimmerwohnungen, aber die sind groß genug für dich und ein Kleinkind.“

Ihre Augen leuchteten vor Erleichterung auf, und sie nickte, während Will noch stotterte: „Es muss doch keine Einzimmerwohnung sein. Etwas mit mehr Platz, einem Garten vielleicht …“

„Nein.“ Jillian schüttelte den Kopf und wandte sich an Will: „Das klingt ideal für mich. Wir nehmen sie.“ Dann richtete sie den Blick wieder auf Jesse. Sie sah ihn lange an und sagte dann schlicht: „Danke.“

Ihre Augen hielten seinen Blick fest, und er spürte wieder diese Hitze, ließ es sich jedoch nicht anmerken. „Gern geschehen.“

„Wie war’s?“

Jillian betrat das große, elegante Wohnzimmer von Lucy Navarro Bradshaws Suite auf der Ace in the Hole Ranch. Es war ein großer, luftiger Raum mit einer Fensterfront an der Vorderseite, die von der Decke bis zum Boden reichte, sodass man von dort aus einen weiten Blick auf die Ranch hatte, auf der die Familie Sanders zu Hause war.

Die Einrichtung wirkte feminin, aber nicht kitschig. Es gab üppig gepolsterte Sofas und Sessel mit cremefarbenen Bezügen und Blumenmuster. Auf den schweren Tischen aus heller Eiche stapelten sich die Bücher neben Messinglampen mit bernsteinfarbenen Schirmen. Auf dem glänzenden Dielenboden lagen Teppiche in hellen, zurückhaltenden Farben, und die Spielzeuge, Spielzeugautos und Malbücher, die überall verstreut waren, sorgten dafür, dass das Ganze nicht so aussah, als hätte man die Räume für Fotoaufnahmen eingerichtet.

Normalerweise hätte Jillian sich in so einem eleganten Haus vollkommen fehl am Platz gefühlt. Doch mit Lucy war alles anders.

Mit ihren eins siebenundsechzig war Lucy viel kleiner als Jillian. Sie trug das braune Haar stufig geschnitten, hatte große blaue Augen und ein freundliches Lächeln. Sie hatte Jillian von Anfang an auf Ace in the Hole willkommen geheißen. Lucy war es zu verdanken, dass sich Jillian in Royal trotz allem, was in den vergangenen zwei Wochen geschehen war, nicht so allein gefühlt hatte.

Sie wusste nicht, warum Lucy ihre Freundschaft suchte, aber sie war dankbar dafür.

Jillian hatte alles hinter sich gelassen, was ihr vertraut war. Sie hatte auf irgendeine Art von Unterstützung aus dem Vermögen des Mannes gehofft, den sie für den Vater ihrer kleinen Tochter hielt. Nur darum war sie nach Royal, Texas, gekommen. Wegen Will Sanders. Erst bei der Trauerfeier für Will, nachdem der Mann höchstpersönlich zur Tür hereinspaziert war, ging Jillian auf, dass man sie hereingelegt hatte.

Ein verdammter Hochstapler hatte sich als der reiche, erfolgreiche Will Sanders ausgegeben. Er hatte sich an sie herangemacht und sie schwanger zurückgelassen. Jetzt hatte sie keine Bleibe, keinen Job, kaum Geld und eine kleine Tochter, um die sie sich kümmern musste. Es gab nichts, das Jillian nicht für Mac getan hätte.

„Jillian?“, fragte Lucy. „Erde an Jillian …“

„Was?“ Sie zuckte zusammen und lächelte dann schwach. „Tut mir leid, meine Gedanken waren auf Abwegen.“

„Mach dir nichts draus. Passiert mir auch andauernd“, versicherte Lucy ihr.

„Mommy!“ Mac strahlt. „Ich male!“

„Das sehe ich“, sagte Jillian und setzte sich auf den Boden neben Lucy und deren Sohn.

Brody flüsterte mit der ganzen Weisheit eines Vierjährigen: „Sie malt immer über die Linien drüber.“

Lucy lachte und strich ihrem Sohn über den Kopf. „Sie ist doch noch klein.“

Ja, das ist der Grund, dachte Jillian, aber ein Teil von ihr hoffte, dass Mac immer die Linien übertreten würde. Sie wollte, dass ihr kleines Mädchen bis an die Grenzen ging, dass sie nach den Sternen griff und alles erreichte, was sie sich wünschte.

„Willst du nicht mit Mac in dein Zimmer gehen und ihr deine Bücher zeigen?“, schlug Lucy vor.

„Okay.“ Brody kam hoch und streckte eine Hand nach der fast Zweijährigen aus, die schon dabei war, aufzustehen.

Als die Kinder das Zimmer verlassen hatten, sammelte Lucy die Wachsmalstifte zusammen und warf sie in eine große Plastikbox. „Also“, fragte sie und sah Jillian dabei von der Seite an. „Wie war’s?“

Jillian sammelte die Malbücher auf, stapelte sie sauber auf und legte sie neben die Schachtel mit den Stiften. „Ganz gut, den Umständen entsprechend.“

„Das nennt man ja wohl eine Antwort, die keine ist“, beschwerte Lucy sich. „Meine Mom hat das früher immer mit uns gemacht. Jetzt mache ich dasselbe mit Brody.“

Jillian musste ein bisschen lachen. „Du hast recht, tut mir leid.“

„Was wollte Will dir sagen?“

„Alles“, meinte sie nach kurzem Nachdenken.

Jillian dachte an ihr Gespräch und konnte dem Mann keinen Vorwurf machen. Er war nett zu ihr gewesen, verständnisvoll und großzügig, wenn man bedachte, dass sie und Mac eigentlich kein Problem waren, um das er sich hätte kümmern müssen. Mit einem Seufzer setzte sie sich auf die Lehne des Sessels, der ihr am nächsten stand, und streckte die Beine aus. „Er ist ein wirklich netter Mensch. Viel netter als der Will, den ich kennengelernt habe.“

Lucy nahm ihre Hand und drückte sie, um damit ihre Anteilnahme auszudrücken. „Er ist ein guter Kerl.“

„Ja“, stimmte Jillian zu. „Das ist er. Er hat mir angeboten, für meine Rückreise nach Vegas aufzukommen und uns dort eine neue Wohnung zu besorgen.“

„Oh.“ Ein einziges Wort, das so viel Enttäuschung ausdrückte.

Jillian warf Lucy einen Seitenblick zu, die mit den Schultern zuckte.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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