Wiedersehen mit dem stolzen Wüstenprinzen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Mason ist verzweifelt! Als sie Scheich Danyl Al Arain überraschend wiedersieht, flammen die alten Gefühle wieder auf: Verlangen, Leidenschaft, Begehren. Vor Jahren waren der charismatische Wüstenprinz und sie ein Liebespaar. Aber die Verbindung zerbrach - und damit ihr Herz. Mason ist hin- und hergerissen zwischen ihren tiefen Empfindungen für Danyl und der Angst, ein zweites Mal verletzt zu werden! Denn sie weiß nur zu gut, dass Danyl eine standesgemäße Frau braucht, um den Thron seines Heimatlandes zu besteigen …


  • Erscheinungstag 28.01.2020
  • Bandnummer 2424
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713898
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mason McAulty konnte nicht genau sagen, ob sie atmete.

Vermutlich tat ihr Körper es automatisch, weil das nun mal lebensnotwendig war, aber während eines Galopprennens blieb ihr oft keine Zeit, bewusst Luft zu holen. Außerdem ließ sie dann in der Regel keine überflüssigen, geschweige denn unliebsamen Gedanken zu. Normalerweise arbeitete ihr Hirn schnell und geradlinig, wie ein kühler, klarer Fluss. Heute nicht. Mason hätte sich auf das Pferd konzentrieren sollen, das sie ritt, nicht auf den Mann aus ihrer Vergangenheit – den in ihrer Gegenwart – den Mann, vor dem sie fliehen wollte. Danyl.

Beim Gedanken daran, was hätte sein können, keimte ein ziehender Schmerz in ihrer Brust auf, den sie rasch erstickte, bevor er sich einnisten konnte. Bevor er sich dem Rhythmus anpasste, in dem die Hufe des galoppierenden Pferdes auf den Boden trommelten, und Mason überwältigte. Sie verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich auf die Ziellinie.

Das Brennen in ihren Oberschenkeln, mit denen sie sich an Veranchetti klammerte, fühlte sich gut an. Richtig. In ihren Ohren dröhnte es, während sie mit den Knien die Bewegungen des Pferdes auffing. Donnernde Hufe, wie ein Herzschlag. Ihrer. Veranchettis. Sie waren perfekt aufeinander eingespielt.

Dies hier.

Dies war es, was Adrenalin durch ihre Adern strömen ließ. Es war nicht wie Fliegen, nicht mühelos, nicht einfach. Man brauchte eiserne Entschlossenheit, Muskeln, ein Gespür für Kontrolle, Einfühlsamkeit und Intuition, um die Kraft eines solchen Pferdes zu zügeln und zu lenken. Um ein ebenbürtiger Partner zu sein, damit man gemeinsam Großes vollbringen konnte.

Mason hätte schon Stunden so reiten können, Jahre sogar, dabei waren es lediglich Sekunden. Vielleicht erst eine Minute, aber die letzten achtzehn Monate gipfelten in diesem Moment. Nichts anderes spielte mehr eine Rolle. Sie musste dieses Rennen gewinnen. Um ihres Vaters willen. Um ihretwillen. Wegen allem, was sie durchgemacht hatte, und allem, was ihr noch bevorstand.

Resolut schob sie alle Gedanken beiseite, blendete das Pferd vor sich aus, genau wie das neben und die vielen Pferde hinter sich. Wie mit Scheuklappen ritt sie, genau wie Veranchetti, als sie die letzte Kurve der Rennstrecke passierten.

Vorfreude durchzuckte sie wie ein Blitz, der in einen Fels einschlug, mit seiner Hitze das Gestein zum Schmelzen brachte und wieder erstarren ließ. In diesem Moment zeigte Veranchetti, was in ihm steckte. Als hätte auch er bis zur letzten Sekunde alles ausgeblendet.

Sie erlaubte sich ein kaum merkliches Lächeln, denn jetzt stürzte sich der Hengst mit seiner ganzen Kraft in das Rennen. All das Training, all die Rennen der Vergangenheit schienen nur den Zweck gehabt zu haben, sie heute hierher zu bringen. Mason spürte, wie Veranchetti über sich hinauswuchs und mit einer schier unglaublichen Energie vorpreschte, die jeden Beobachter außer sie selbst überraschte.

Wie nur ein Wimpernschlag zwischen Sieg und Niederlage entschied! Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Gegenwart und Zukunft.

Nur ein einziger Moment … Ein Atemzug.

1. KAPITEL

Dezember, Gegenwart …

Danyl Nejem Al Arain musste Luft holen. Sich darauf konzentrieren, was einer seiner besten Freunde und Mitinhaber des Rennstalls Winners’ Circle gerade sagte. Fehlanzeige. Eine Million Gedanken stürmten auf ihn ein, alle mit demselben Ziel – die Gala, die in einer Woche im Königspalast stattfand. Sein Untergang.

„Antonio, ich …“

„Du bist in Eile, schon klar. Hast Wichtiges zu erledigen, Länder zu regieren … Keine Sorge, John und Veranchetti sind schon auf dem Weg.“

„Wohin?“ Normalerweise war Danyl schnell von Begriff, doch die Ahnung, die jetzt in ihm aufstieg, verstörte ihn zutiefst.

„Nach Terhren.“

„Was?“

„Auf Wunsch deiner Mutter. John sollte doch ohnehin zum Neujahrsrennen kommen. Deine Mutter möchte, dass er früher anreist, damit er auch an den vorherigen Feierlichkeiten teilnehmen kann.“

„Diese Gala gerät allmählich außer Kontrolle.“

„Nicht so sehr wie die Pläne meiner Schwiegermutter in spe. Die Frau will fünfzig Tauben in den Himmel fliegen lassen, wenn Emma und ich nach der Trauung aus der Kirche kommen. Noch nie ist mir Las Vegas so verlockend erschienen.“

„Las Vegas? Wenn du dort heiratest, bin ich sofort dabei“, versprach Danyl mit einem Eifer, den er nicht fühlte.

„Gut zu wissen. Warum ich eigentlich anrufe: Ich muss wissen, wen du zur Hochzeit mitbringst. Wer ist die nächste Kandidatin für die Rolle deiner perfekten Königin? Nach allem, was Dimitri mir über Birgitta erzählt hat …“

„Ich lasse es dich wissen, wenn ich es weiß“, schnappte Danyl.

„Es ist nämlich so, dass wir wegen des Medienrummels seit Mason McAultys Sieg besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen.“

„Verstehe. Ich gebe dir noch Bescheid, wer mich begleitet. Wir sehen uns in einer Woche bei der Gala.“ Danyl legte auf. Er wusste, dass sein Freund ihm das abrupte Ende des Telefonats nachsehen würde.

Wichtiges zu erledigen, Länder zu regieren …

Statt seinem Impuls nachzugeben und das Handy durch das Zimmer zu schleudern, steckte er es in die Hosentasche. Wie um alles in der Welt kam seine Mutter auf die Idee, John, den Trainer des Rennstalls, und den preisgekrönten Vollblüter Veranchetti zur Gala einfliegen zu lassen? Obendrein hinter seinem Rücken mit Dimitri und Antonio zu sprechen? Offenbar führte sie etwas im Schilde. Dem musste er einen Riegel vorschieben. Sofort. Je weiter sie das Unterhaltungsprogramm ausbaute, desto höher das Risiko, dass etwas schiefging und der Abend nicht perfekt war. Dabei musste er perfekt sein.

Danyl rückte den Stuhl weg von dem massiven Schreibtisch, auf dem ein ziemliches Chaos herrschte. Wie anders war doch sein elegantes, mit viel Glas und der neuesten Technologie ausgestattetes Büro in Aram, der Hauptstadt von Terhren. Er vermisste die Effizienz, Ruhe und Schnörkellosigkeit seines Arbeitsplatzes. Leise verwünschte er seine Mutter. Wegen ihrer melodramatischen Ader war er widerwillig in den Palast zurückgekehrt.

Als er in den Flur trat, wichen ein paar Hausangestellte ergeben zur Seite. Sein Leibwächter folgte ihm. Um diese Zeit waren seine Eltern bestimmt im Speisesaal. Zielstrebig schritt er durch die Korridore, ohne den jahrhundertealten Kunstwerken an den Wänden und den meisterhaft gestalteten Fliesen in warmen Erdtönen, strahlendem Weiß, Blau und Grün seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Dank seiner Ölvorkommen war Terhren reich. Wüstenklima gab es hier ebenso wie fast mediterrane Temperaturen an der Felsküste, hinter der das Arabische Meer lag. Es herrschte eine Mischung von Kulturen und Einflüssen, aus dem Omanischen Reich ebenso wie aus modernen afrikanischen und arabischen Staaten. Von den drei Palästen des Landes war dieser der größte. Er hatte fünf Jahrhunderte, drei Invasionen und einen Putschversuch überstanden. Jeder Winkel zeugte von vergangenen Generationen. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die wechselnde Allianzen geschmiedet hatten, war Terhren eins der wenigen Königreiche, die Kontinuität bewahrt hatten. Danyls Familie stellte seit Jahrhunderten die Herrscher des Landes. Nun ruhte alles auf seinen Schultern. Um sicherzustellen, dass die Linie fortgeführt wurde, musste er eine Königin finden, die ihm einen Erben schenkte. Bei dem Gedanken krampfte sich sein Magen zusammen.

Weil er so schnell ging, blieb dem Personal keine Zeit, ihn im Speisesaal anzukündigen. Ein Fehler, wie er zu spät erkannte.

Sein Vater und seine Mutter standen am Fenster – in einer mehr als eindeutigen Pose, anders konnte man es nicht nennen. Sein Vater …

Abrupt drehte Danyl sich zur Wand, als hätte man soeben ihn ertappt. Er war beileibe nicht prüde, aber hier handelte es sich immerhin um seine Eltern!

Seinem lauten Räuspern folgte ein erstickter Ausruf. Etwas raschelte. Er zählte stumm bis zehn und dann vorsichtshalber noch bis fünf, bevor er sich umwandte. Seine Eltern sahen ihn an. Kein Haar tanzte aus der Reihe, und sie wirkten nicht die Spur verlegen.

„Musstest du Veranchetti unbedingt wegen einer Party um die halbe Welt schicken, Mutter? Ist es nicht ein wenig großtuerisch, ein Pferd aus meinem Rennstall vor all deinen Gästen zur Schau zu stellen?“

„Uns geht es gut, Darling, danke der Nachfrage. Es ist auch schön, dich zu sehen“, spottete seine Mutter. „Wir sind eine königliche Familie, Danyl. Die Leute halten alles, was wir machen, für großtuerisch. Also können wir ebenso gut ein bisschen Spaß haben und das Vorurteil bedienen, oder? Das hast du früher auch gern getan.“ Sie konnte den vorwurfsvollen Unterton nicht verbergen, der solche Bemerkungen oft begleitete. Eine stumme Erinnerung daran, dass er früher Spaß gehabt hatte. Vor langer Zeit. „Als ich mit den Jungs gesprochen habe, …“

„Sie sind keine Jungs, Mutter.“

„Ich kenne sie, seit ihr zusammen auf der Universität wart. Damals wart ihr Jungs, und für mich werdet ihr immer Jungs bleiben.“

„Du hast mich übergangen.“

„Oh Danyl, sei nicht so streng mit mir.“ Sie betonte ihre Verdrossenheit mit einem übertriebenen und leicht enttäuschten Seufzer. „Veranchetti sollte ohnehin nach Terhren kommen, und das weißt du. Ich habe nur gefragt, ob sie vor dem Neujahrsrennen auch schon zur Gala kommen können. Damit sollen schließlich auch deine Erfolge gefeiert werden.“

„Ich würde es kaum meine Erfolge nennen, Mutter.“

„Ach ja. Die entzückende Mason McAulty. Ihre Antwort auf unsere Einladung steht noch aus.“

„Du hast Mason eingeladen?“

Falls seiner Mutter auffiel, wie eisig er klang, zeigte sie es nicht. „Ja. Was für ein wundervoller Triumph, alle drei Rennen um den Hanley Cup zu gewinnen. In der Tat außergewöhnlich. Für eine Frau.“

Die Worte von Elizabeth Al Arain drangen durch das Summen in Danyls Ohren. Schon die Erwähnung von Mason McAultys Namen reichte, um in seinem normalerweise perfekt strukturierten Hirn einen Kurzschluss auszulösen. Bilder von dichten dunkelbraunen Locken, die über sonnengebräunte Schultern fielen, verfolgten ihn. Das Echo eines lange vergangenen Lachens, der schwache Geruch nach Leder und Heu, die unvergleichlich duftende seidenweiche Haut einer Frau … Danyl befahl sich, ärgerlich zu sein. Wütend. Irgendetwas, um die mentale Schwäche zu verjagen, die der Name bei ihm provozierte.

Mason McAulty.

Er wollte sie nicht hier haben. Weder in Terhren noch im Palast. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sie beim Hanley Cup auch kein Pferd des Winners’ Circle geritten, aber Dimitri Kyriakou und Antonio Arcuri waren von der Idee begeistert gewesen. Zwei gegen einen. Zugegeben, hätte er abgelehnt, hätten seine beiden Freunde die Entscheidung akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen. Aber als Mason in dem exklusiven Londoner Club auf die drei Männer zugegangen war, hatte es ihm einen Schock versetzt. Auf seine Sticheleien war Mason nicht eingestiegen. Er hatte versucht, sie wegzuschicken, aber die sture Frau hatte sich geweigert. Das hatte die Mitglieder des Winners’ Circle tief beeindruckt – genau wie Masons tollkühnes Angebot. Wer hätte sich schon vorstellen können, dass sie ihr Versprechen halten würde?

„Nun, ich will, dass sie herkommt“, fuhr seine Mutter fort. „Du weißt doch, wie sehr ich den Pferderennsport liebe. Was glaubst du, wem du dein Hobby verdankst?“

„Meine Investition in Pferde ist kein ‚Hobby‘.“

„Danyl Nejem Al Arain, rede nicht in diesem Ton mit mir. Mason hat ein Wunder vollbracht. Über dreißig Jahre konnte niemand alle drei Rennen um den Hanley Cup gewinnen, noch dazu mit Pferden ein- und desselben Rennstalls – deines Rennstalls. Du weißt es, ich weiß es, und ich will diese bemerkenswerte Siegerin feiern. Wenn ich nicht Schauspielerin geworden wäre …“

„Wärst du gern Jockey geworden. Ja, ich weiß. Aber du warst zu groß, Mutter.“

„Was mich nicht davon abgehalten hat, eine exzellente Reiterin zu werden. Ich will die junge Frau kennenlernen, Danyl, und ich will, dass du dafür sorgst. Flieg nach Australien, falls es sein muss. Wie auch immer, betrachte es als dein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für mich.“

„Was steckt wirklich dahinter?“ Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. Woher sein Argwohn kam, wusste er nicht recht – oder er wollte es nicht wissen.

„Oh Darling, das wird die beste Party sein, die wir seit Jahren hier hatten! Dank deiner harten Arbeit sind die Beziehungen zu unseren Nachbarländern so gut, dass dein Vater und ich überlegen, weiter in den Hintergrund zu treten, damit du den Thron übernehmen kannst.“

Er sah seinen Vater an, der dem Gespräch schweigend folgte, als würde er Zwischentöne wahrnehmen, die seinem Sohn entgingen.

„Aber die Tradition schreibt vor, dass ihr damit wartet, bis ich verheiratet bin“, entgegnete Danyl. Sein Ärger wich Frust, als er an die sorgfältig arrangierten Treffen mit Prinzessinnen und Geschäftsführerinnen während der letzten Monate dachte. Er wollte sich lieber nicht damit beschäftigen, was die Worte seiner Mutter bedeuteten – dass er schließlich doch den Thron besteigen würde. Die enorme Verantwortung für eine uralte Kultur und fast drei Millionen Menschen erben würde.

„Nun, wir können nicht ewig warten, selbst wenn es dir unsagbar schwerfällt, eine Verlobte aus dem Hut zu zaubern“, neckte seine Mutter ihn freundlich. „Wir werden nicht jünger, und es ist höchste Zeit, dass ich meinen Mann zur Abwechslung mal für mich habe. Ich will, dass Mason zur Gala kommt. Und ich will, dass du tust, was auch immer dafür nötig ist.“

Die australische Morgensonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Mason wusste, dass sie sich beeilen musste. Wenn sie es bis zu dem Zaun schaffen wollte, der die Außengrenzen der Ranch markierte, musste sie sich beeilen. Also zog sie den Sattelgurt ein Loch enger, während Fool’s Fate das Gewicht leicht verlagerte. Beruhigend tätschelte sie die Flanke des Pferdes und drehte sich um. Ihr Vater stand wartend auf dem Hof und beobachtete sie.

Er sah aus, als wäre er um zehn Jahre gealtert statt nur um die achtzehn Monate, die Mason fort gewesen war. Die grauen Schläfen waren nun schlohweiß, die Schatten unter seinen Augen dunkelblau. Mason erstickte die Traurigkeit, damit sich ihre Gefühle nicht auf Fool’s Fate übertrugen. Ihr Vater nahm eine Satteltasche und reichte sie ihr.

Hinter den Ställen breiteten sich die smaragdfarbenen Felder aus, als würden sie bis zu den fernen Bergen reichen. Die Berge hatten Mason stets ein Gefühl von Frieden gegeben, doch heute kam ihr der Anblick wie eine dunkle Prophezeiung vor.

Joe McAulty hatte etwas auf dem Herzen. Er war kein Mann der voreiligen Worte. Bis er das sagte, was er sagen wollte, packte Mason ihre Sachen. Zelt, Handy, Essen, hakte sie im Geiste ab. Kaffee …

„Ich dachte nicht, dass er es so bald zurückfordern würde.“

„Wir können es nicht ändern, Pops.“ Das waren auch ihre Worte gewesen, als er ihr zum ersten Mal erzählt hatte, dass die Forderungen fällig wurden.

„Aber nach allem, was du erreicht hast, und deinem Preisgeld vom Hanley Cup …“

„Mick ist nun mal gestorben, Pops“, sagte sie über die linke Schulter und verdrängte die Trauer um den Nachbarn. Für ihren Dad waren Gefühle wie eine schwierige Fremdsprache. „Wer konnte ahnen, dass sein Sohn die Schulden so bald eintreiben würde? Hätte er es nicht getan, hätten wir uns mit den Preisgeldern noch ein paar Jahre über Wasser halten können, aber ebenso gut hätte irgendein anderes Problem auftauchen können.“

Erst jetzt drehte sie sich um. Ihr Vater trat mit der Stiefelspitze in die Erde und fixierte den Staub, der im Sonnenlicht aufwirbelte.

„Noch ist die Ranch nicht verloren, Pops.“ Mason wusste, dass er sich verantwortlich fühlte, aber sie konnte ihm keine Vorwürfe machen. Gar keine. „Unsere Arbeit, auch die mit den Kindern, bedeutet mir genauso viel wie dir. Sie ist kostspielig. All die Pferde, die Therapeuten und Physiotherapeuten … Micks Sohn verlangt den Kredit zurück, damit müssen wir uns abfinden.“ Noch eine Sache, zusätzlich zu all den anderen. „Joe.“ Sie redete ihren Vater mit dem Namen an, den sämtliche Mitarbeiter der Ranch benutzten. Endlich hatte sie seine Aufmerksamkeit. „Ich gebe das hier nicht kampflos auf. Erst recht nicht für diesen überschätzten Möchtegern-Rancher.“

Joe McAulty lächelte traurig. Trotz war eine Eigenschaft, die seine Tochter und er im Überfluss besaßen.

Sie drehte sich wieder zum Pferd um und tat so, als müsste sie noch einmal den Inhalt der Satteltaschen prüfen. „Vielleicht kann ich für einen anderen Rennstall starten. Nach dem Hanley Cup habe ich allerhand Möglichkeiten.“

„Das würde ich nie von dir verlangen“, sagte ihr Vater mit leiser rauer Stimme.

„So schlimm war es gar nicht.“ Sie brachte es nicht fertig, ihn anzusehen. Dann wüsste er nämlich Bescheid. Seit sie zwei Jahre alt gewesen war, hatte er sie allein erzogen. Sie konnte ihm weder etwas verheimlichen noch ihn anlügen, ohne dass er sie durchschaute. Wieder bei Galopprennen anzutreten … Nein, es war tatsächlich nicht so schlimm gewesen wie befürchtet. Auf Veranchettis Rücken hatte sie sich lebendig gefühlt. Erfüllt auf eine Weise, die sie jahrelang nicht mehr gekannt hatte. Aber es war schwer gewesen. Hatte Gefühle ausgelöst, mit denen sie zurechtkommen musste. Darum wollte sie den Zaun heute auch selbst reparieren.

Ja, das Reiten war hart gewesen. Aber Danyl? Nein. Was sie für ihn empfand, hatte sie von Anfang an gewusst. Aus dem Grund musste sie sich um jeden Preis von ihm fernhalten.

Mason band die langen dunklen Locken zum Pferdeschwanz zusammen. Während ihr eine kühle Brise um den warmen Nacken strich, schaute sie zu, wie die Sonne hinter den zerklüfteten Bergen am Rand des Hunter River Valley unterging. Zum ersten Mal seit fast achtzehn Monaten konnte sie durchatmen. Der Ritt hierher, durch die vertrauten Täler und über die Anhöhen der Ranch, auf der sie hatte aufwachsen dürfen … Unglaublich. Sie kannte die Gegend genauso in- und auswendig wie die Maserung des Esstisches in der Ranch.

Wann immer sie in dieses breite grüne Tal kam, das von Bergen wie von unverrückbaren Wachtürmen umgeben war, fragte sie sich, wie ihre Mutter diesen Ort hatte verlassen können. Joe McAulty hatte versucht, das Bedürfnis seiner Ex-Frau nach Mehr zu erklären. Wenn Mason ehrlich war, hatte auch sie selbst dieses Bedürfnis gespürt, als sie vor zehn Jahren nach Amerika gezogen war, um Jockey zu werden. Sie bereute es nicht, würde es aber kein zweites Mal tun.

Sie hob den dampfenden Becher an die Lippen und atmete den Duft von gerösteten Kaffeebohnen, feuchter Erde und dem nahen Wald ein. Falls sie auch das Aroma von Schweiß, Heu, Pferdeäpfeln, Kummer und etwas Männlichem wahrnahm – das ist bloß die Erinnerung, die mir einen Streich spielt, sagte sie sich.

Vor ihr spann sich der Abendhimmel über das Tal. Bald würde er auch die Ranch in Dunkelheit hüllen, die sie mit aller Kraft hatte retten wollen. Eigentlich hätten die Preisgelder für ihre drei Siege beim Hanley Cup ausreichen sollen. Sie erstickte die leise innere Stimme, die wissen wollte, warum es nicht der Fall war. Mason hatte nie zu Selbstmitleid geneigt. Sonst wäre sie längst geliefert gewesen.

Micks Sohn wollte das Land, das seiner Familie seit fast sieben Generationen gehörte, an den Meistbietenden verkaufen. Warum lief immer alles auf Geld hinaus?

Ihr Vater und sie halfen Kindern mit Lernschwierigkeiten und Jugendlichen, die etwas Positives im Leben brauchten. Sie brachten ihnen bei, mit Pferden umzugehen, zu reiten, für ein anderes Lebewesen zu sorgen und dadurch selbst Zuwendung zu erfahren. Das konnte man mit Geld nicht aufwiegen. Nachdem seine Frau ihnen und der Ranch den Rücken gekehrt hatte, hatte Joe seine Karriere als Trainer von Jockeys aufgegeben und sich um Mason gekümmert. Hunderte von Kindern und Jugendlichen hatte er mit seiner Liebe zu Pferden angesteckt. Voller Freude mitzuerleben, wie ein Kind, das niemandem in die Augen sehen konnte, aus sich herausging, zum ersten Mal lächelte oder sogar lachte … Das war alles wert.

Sie brauchten mehr Raum für Therapeuten, Mitarbeiter und die Kinder und Jugendlichen. Verluste machten sie zwar keine, aber sie konnten nur überleben, wenn sie expandierten. Masons Preisgelder gingen jetzt für den fälligen Kredit drauf, also war sie wieder da, wo sie angefangen hatte.

Langsam trank sie ihren Kaffee und spielte mit der Idee, bei einem weiteren Rennen zu starten. Die letzten drei waren körperlich und mental extrem fordernd gewesen. Nach ihrer Rückkehr auf die Ranch hatte Joe ihr genügend Essen vorgesetzt, um eine Armee zu verköstigen. Dabei hatte sie kaum abgenommen, sondern nur Körperfett verloren und Muskulatur zugelegt, um die Kraft der beiden großartigen Pferde zu zügeln, mit denen sie beim Hanley Cup angetreten war. Achtzehn Monate mit sechs Trainingstagen pro Woche und nur einer Mahlzeit täglich lagen hinter ihr.

Nach den Ereignissen vor zehn Jahren hatte sie das Rennreiten zwar an den Nagel gehängt, doch ihr Körper hatte nicht vergessen. Kein einziger Tag war vergangen, an dem sie nicht auf einem Pferd gesessen hatte. „Du bist dafür geboren“, pflegte ihr Vater zu sagen. So stolz war er auf sie … Dieser Stolz hatte sie angetrieben, ihren Kindheitstraum zu verwirklichen und der beste Jockey Australiens zu werden. Nicht nur der beste weibliche Jockey.

Ein paar Momente lang, auf den Rücken von Veranchetti und Devil’s Advocate, hatte sie die Gewissheit gespürt, dass sie es schaffen konnte. Ein verlockender Gedanke. Ein Vorbote dessen, was vielleicht noch alles möglich war …

Aber wieder bei Galopprennen anzutreten, für einen anderen Rennstall, auf anderen Pferden? Nein, das war keine Option. Genauso wenig wie eine Rückkehr zum Winners’ Circle.

Etliche Zeitungen wollten Artikel über sie drucken. Das Honorar, das man ihr für Interviews und Fotoshootings bot, wäre glatt eine Überlegung wert gewesen – wenn dieselben Leute nicht ihre erste Karriere zerstört hätten. Plötzlich schmeckte der Kaffee bitter, und Mason wusste, dass sie es nicht fertigbrachte, selbst wenn es der letzte Strohhalm wäre. Sie respektierte den Menschen, der sie geworden war, musste aufrichtig und gütig zu sich selbst bleiben. Zwar mochte sie zehn Jahre gebraucht haben, um das zu erreichen, aber sie würde sich ganz sicher nicht an den Meistbietenden verkaufen.

Inzwischen war die Sonne hinter den Bergen untergegangen. Sterne schimmerten im Abendhimmel. Fool’s Fate, den Mason mit einem Strick an einem Baum hinter sich festgebunden hatte, stellte die Ohren auf und wieherte nervös.

Jetzt hörte Mason es auch: Zweige knackten und Blätter raschelten. Ihr Vater konnte es nicht sein. Joe wusste, dass sie allein sein wollte. Die Rancharbeiter waren im Pub in der nächsten Stadt. Von Micks Ranch kam auch niemand infrage, dafür lag die Grenze zwischen den beiden Grundstücken zu weit entfernt. Blieben nur Wilderer. Schwungvoll schüttete Mason ihren Kaffee auf die Feuerglut, sodass es zischte, und schnappte ihr Gewehr.

Danyl stieß einen Fluch aus, als das schwache Licht der Feuerstelle erlosch. Es war wie ein Leuchtturm gewesen. Jetzt roch er nur noch Kaffee und feuchte Asche. Vielleicht hätte er auf Joe McAulty hören sollen. Sein Pferd hatte er ein Stück weiter hinten angebunden, um Mason nicht zu erschrecken. Er trat auf Äste; das Geräusch glich Pistolenschüssen in der Abendstille. Ihm wurde mulmig zumute, weil er seine Männer in der Ranch zurückgelassen hatte. Sie waren nicht glücklich über seine Anweisung gewesen, aber vor Publikum hätte er das bevorstehende Gespräch nicht führen können.

Er trat aus dem Wäldchen und stockte, so schön war die Aussicht. Sein Gefühl ähnelte jener Ehrfurcht, die er empfand, wenn er über die Wüste von Terhren blickte. Der Mond verschwand hinter einer Wolke, wodurch das noch leicht rauchende Feuer und das Zelt kaum mehr zu sehen waren.

Wieder fluchte er. Wo zum Teufel war sie? Er bemühte sich nicht mehr, leise zu gehen, sondern marschierte auf die Lichtung. Nach dem langen Flug, der unangenehmen Besprechung mit dem Premierminister von Terhren und der sogar noch gereizteren Unterhaltung mit Joe McAulty hatte er die Nase voll.

Suchend ließ er den Blick über das Gelände schweifen. Dank Joes Beschreibung hatte er zu dem Ort gefunden, an dem Mason ihr Lager aufgeschlagen hatte, aber …

In diesem Moment hörte er, wie jemand ein Gewehr durchlud. Logisches Denken hielt seinen Körper nicht davon ab, blitzartig Adrenalin auszuschütten. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass es Mason war und sie nicht auf ihn schießen würde. Trotzdem …

„Du hättest nicht herkommen sollen“, hörte er jemanden hinter sich sagen.

2. KAPITEL

Dezember, zehn Jahre zuvor …

„Ich hätte nicht herkommen sollen.“ Mason zupfte am Saum des kurzen Rocks, zu dem Francesca sie irgendwie überredet hatte.

Autor

Pippa Roscoe
<p>Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...
Mehr erfahren