Wild wie das Meer

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Der Tag der Rache ist gekommen! Auf hoher See nimmt Captain Devlin O'Neill Virginia Hughes gefangen. Mit dem immensen Lösegeld, das er für die junge Plantagenbesitzerin aus Amerika fordert, will er ihren Onkel, den Earl of Eastwick, für immer ruinieren. Dann erst ist der Tod von Devlins Familie, an dem der Earl die Schuld trägt, gesühnt! Doch kaum hat er Virginia an Bord, droht sein Plan zu scheitern. Denn mit der Schönheit einer Göttin und dem Temperament einer Wildkatze weckt sie in Devlins versteinertem Herzen ein nie gekanntes Verlangen nach Liebe und Leidenschaft - das ihn verletzbar für den gnadenlosen Gegenzug seines Erzfeindes macht ...


  • Erscheinungstag 25.06.2019
  • Bandnummer 44
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737306
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

5. Juli 1798

Im Süden Irlands, in der Nähe von Askeaton Castle

Abgehetzt stürmte Gerald O’Neill in das Herrenhaus. Sein zuvor makellos weißes Hemd war rot verfärbt, die braunen Kniehosen und der dunkle Mantel starrten vor Schmutz. Blut rann ihm über die Wange und verfing sich in seinen Schnurrbarthaaren. Am Kopf und an den Händen klafften ihm offene Wunden. Sein Herz hämmerte wild in der Brust, und selbst jetzt noch hallten der Kampfeslärm und die Schreie der Sterbenden in seinen Ohren wider. „Mary! Mary, ihr müsst euch im Keller verstecken!“, rief er außer Atem.

Devlin O’Neill war zu benommen, um sich von der Stelle zu rühren. Sein Vater war mehr als einen Monat fort gewesen, hatte allerdings in regelmäßigen Abständen von sich hören lassen. Obwohl Devlin erst zehn Jahre alt war, wusste er genau, dass Krieg bevorstand. Farmer und Geistliche, Schafzüchter und Landbesitzer, einfache Bauern und Landadlige, sie alle hatten sich gleichermaßen erhoben, um die englischen Teufel ein für alle Mal zu vertreiben und das zurückzunehmen, was in Wahrheit ihnen gehörte – das fruchtbare irische Land, das man ihnen vor einem Jahrhundert widerrechtlich entrissen hatte. Nun gab es so viel Hoffnung – doch auch so viel Angst.

Devlins Herz schien einen Schlag lang auszusetzen, als er seinen Vater anstarrte. Einerseits war er erleichtert, ihn endlich wiederzusehen, andererseits verspürte er diese beklemmende Angst. Noch nie hatte Devlin ein so wildes Flackern in den Augen seines Vaters gesehen. Großer Gott!

„Ist Vater verletzt?“, wisperte ein dünnes Stimmchen neben ihm, und eine kleine Hand zog an seinem ausgefransten Ärmel.

Devlin schaute seinen jüngeren Bruder gar nicht an, denn er vermochte den Blick nicht von seinem Vater zu wenden. So viele Gedanken schossen ihm in diesem Augenblick durch den Kopf. Zu Beginn der Rebellion hatten die Aufständischen die Stadt Wexford erobert, und die ganze Grafschaft hatte gejubelt. Aber auch Niederlagen hatten nicht lange auf sich warten lassen. Jetzt waren die englischen Rotröcke überall; genau an diesem Morgen hatte Devlin von einem Hügelkamm aus Tausende marschieren sehen. Der wohl unheilvollste Anblick, den er je gesehen hatte! Ihm war zu Ohren gekommen, dass Wexford gefallen war, und eine Magd hatte erzählt, Tausende seien in New Ross gestorben. Er hatte es nicht wahrhaben wollen – bis jetzt. Mittlerweile glaubte er, dass die Gerüchte von Niederlage und Tod doch der Wahrheit entsprachen, denn zum ersten Mal in seinem noch jungen Leben sah er Furcht in den Augen seines Vaters.

„Ist Vater verletzt?“, fragte Sean abermals mit bebender Stimme.

Devlin wandte sich seinem Bruder zu. „Ich glaube nicht“, log er, denn er wusste, dass er jetzt tapfer sein musste, zumindest in Seans Gegenwart. Doch die Angst legte sich wie eine unsichtbare Klaue um seinen Hals. Da eilte seine Mutter die Stufen hinunter, die kleine Schwester auf dem Arm.

„Gerald! Gott sei Dank, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, rief sie. Ihr Antlitz war von einer geisterhaften Blässe überzogen.

Gerald O’Neill packte seine Frau energisch am Arm. „Geh mit den Kindern in den Keller“, drängte er sie schroff. „Jetzt, Mary!“

Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen, als sie ihren Mann anstarrte. „Du bist verletzt?“

„Tu, was ich dir sage“, rief er und zerrte seine Frau durch die Eingangshalle.

Die kleine Meg auf dem Arm begann zu weinen.

„Und sorge dafür, dass sie still ist, um Himmels willen“, fügte er genauso schroff hinzu. Er warf einen Blick über die Schulter auf die offen stehende Haustür, als erwartete er jeden Moment die englischen Soldaten.

Mary drückte das kleine Kind an ihre Brust. „Was wird aus uns, Gerald?“ Mit gedämpfter Stimme fügte sie hinzu: „Was geschieht mit dir?“

Ihr Mann hingegen riss bereits die Kellertür auf, die hinter einem Gobelin verborgen war. „Alles wird gut“, erwiderte er gehetzt. „Dir und den Kindern wird nichts geschehen.“

Entgeistert suchte sie seinen Blick, Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Ich bin nicht verletzt“, setzte er mit belegter Stimme hinzu und gab ihr einen flüchtigen Kuss. „Jetzt geht in den Keller und bleibt so lange dort unten, bis ich euch rufe.“

Mary nickte und stieg eilig die Stufen hinab. Devlin stürmte auf seinen Vater zu, als Kanonendonner die Wände erzittern ließ. „Vater! Nimm mich mit – ich kann dir helfen. Ich kann schießen …“

Gerald O’Neill wirbelte auf dem Absatz herum und versetzte seinem Sohn eine schallende Ohrfeige, sodass der Junge den Halt verlor und unsanft mit dem Hinterteil auf dem harten Steinfußboden landete. „Tu, was ich sage“, schimpfte er, und während er zurück durch die Halle eilte, rief er noch: „Und kümmere dich um deine Mutter, Devlin.“

Dann fiel die schwere Haustür ins Schloss.

Verzweifelt blinzelte Devlin die Tränen der Erniedrigung fort und spürte plötzlich, dass Sean ihn erwartungsvoll ansah. In den blassgrauen, vor Schreck geweiteten Augen seines jüngeren Bruders lagen unausgesprochene Fragen. Zitternd wie ein kleines Kind kam Devlin wieder auf die Beine. Es stand außer Frage, was er jetzt tun musste. Niemals zuvor hatte er sich den Anordnungen seines Vaters widersetzt, aber er wollte nicht, dass sein Vater den Rotröcken allein entgegentrat, die er am Morgen erspäht hatte.

Sollte sein Vater sterben müssen, so würde er mit ihm sterben.

Eine quälende Angst nagte an ihm. Schwer atmend wandte er sich seinem kleinen Bruder zu und zwang sich, wie ein Mann zu sein. „Lauf mit Mutter und Meg in den Keller. Geh jetzt“, bedeutete er Sean leise, aber bestimmt. Ohne abzuwarten, was sein Bruder tun würde, rannte Devlin durch die Eingangshalle und stieß die Tür zur Bibliothek seines Vaters auf.

Er hatte nur noch ein Ziel vor Augen. Geschwind lief er zu dem Musketenständer hinter dem schweren Schreibtisch und blieb entsetzt davor stehen. Ungläubig starrte er auf die leeren Ausbuchtungen für die Gewehrläufe.

In diesem Moment hörte er die Soldaten.

Vielstimmiges Rufen und das Wiehern von Pferden drangen zu den Jungen ins Haus. Deutlich war das Klirren der Säbel zu vernehmen. Ganz in der Nähe wurde eine Kanone abgefeuert, einzelne Pistolenschüsse überlagerten die fernen Gewehrsalven. Langsam wandte Devlin sich um und schaute seinen Bruder an. Seans Gesicht war vor Angst verzerrt – dieselbe namenlose Angst ließ Devlins Herz so wild in seiner Brust pochen, dass er kaum noch zu atmen vermochte.

Devlin war kaum in der Lage, einen zusammenhängenden Satz hervorzubringen. „Geh in den Keller“, drängte er den kleinen Bruder schließlich. Er musste seinem Vater helfen. Er konnte ihn doch nicht allein sterben lassen!

„Ich lasse dich nicht allein gehen.“

„Du musst dich um Mutter und Meg kümmern“, sagte Devlin und eilte zu der Bank, die unter dem Musketenständer stand. Schon riss er die Kissen von der Sitzfläche und stemmte den schweren Deckel hoch. Er konnte es nicht fassen – Vater hatte dort immer eine Pistole für den Notfall aufbewahrt, aber nun lag da nur ein kleiner Dolch. Eine einzelne, nutzlose Stichwaffe!

„Ich komme mit dir“, sagte Sean mit tränenerstickter Stimme.

Devlin nahm den Dolch an sich, zog die Schublade des Schreibpults auf und griff nach dem scharfen Brieföffner, den er Sean reichte.

Plötzlich fiel sein Blick auf die alte, stellenweise angelaufene Ritterrüstung in der Ecke der Bibliothek. Devlin rannte zu der Rüstung, dichtauf gefolgt von seinem atemlosen Bruder. Mit aller Kraft entriss er dem eisernen Handschuh das Schwert, wobei die ganze Rüstung scheppernd in sich zusammenstürzte.

Devlin fühlte neuen Mut in sich aufsteigen. Das Schwert war zwar alt und rostig, aber es war immerhin eine Waffe, Gott sei Dank. Ehrfürchtig berührte er die zweischneidige Klinge und hielt erschrocken den Atem an, als Blut aus seiner Fingerspitze quoll.

Wieder wurde eine Kanone abgefeuert. Diesmal erzitterte das ganze Haus, und in der Eingangshalle zersprangen die Fensterscheiben. Eingeschüchtert starrten die Jungen sich mit schreckgeweiteten Augen an.

Devlin befeuchtete seine Unterlippe. „Sean. Du musst bei Mutter und Meg bleiben.“

„Nein.“

Devlin war im Begriff, seinen kleinen Bruder in der gleichen Weise zur Vernunft zu bringen, wie er es kurz zuvor am eigenen Leib erfahren hatte. Doch insgeheim war er erleichtert, den englischen Horden nicht allein entgegentreten zu müssen. „Gehen wir“, raunte er Sean entschlossen zu.

Der Kampf tobte jenseits der Weizenfelder, die bis an die eingefallenen äußeren Mauern von Askeaton Castle heranreichten. Im Schutz der Pflanzen rannten die Jungen durch das Feld, bis sie das andere Ende erreichten.

Hunderte, nein, Tausende von rot uniformierten Soldaten kämpften gegen eine zerlumpte Schar von Iren. Die englischen Truppen waren mit Musketen und Säbeln ausgerüstet, die Iren hatten sich zumeist mit langen Piken bewaffnet. Sprachlos musste Devlin mit ansehen, wie seine Landsleute geradezu hingeschlachtet wurden. Sein Inneres krampfte sich schmerzlich zusammen. Er war zwar noch jung, aber er wusste ein Gemetzel von einer geordneten Schlacht zu unterscheiden.

„Vater“, brachte Sean flüsternd hervor.

Devlin folgte dem Blick seines Bruders. Im selben Moment sah er einen Mann auf einem grauen Pferd, der seinen Säbel wie ein Irrsinniger schwang und erstaunlicherweise einen Rotrock nach dem anderen niederschlug. „Komm!“ Devlin sprang aus der Deckung auf und rannte mit erhobenem Schwert in Richtung des Kampfgeschehens.

Ein englischer Soldat legte gerade auf einen Bauern an, der mit Pike und Dolch herankam. Andere Soldaten und Landarbeiter waren in einen heftigen Kampf Mann gegen Mann verwickelt. Es floss so viel Blut, so viele Männer starben, und über dem ganzen Schlachtfeld lag der Geruch des Todes. Mit beiden Händen hob Devlin das alte Schwert an. Zu seinem Erstaunen fuhr die Klinge tief in die scharlachrote Uniform des Soldaten.

Devlin war wie erstarrt und spürte ein kaltes Entsetzen, als der Bauer den Soldaten noch mit der Pike zu Boden stieß. „Danke, Junge“, war alles, was der Mann in der Eile des Gefechts sagen konnte.

Eine Muskete wurde abgefeuert, und derselbe Bauer, der eben noch mit dem Leben davongekommen war, ging nun mit schreckgeweiteten Augen in die Knie; Blut färbte sein schmutziges Hemd an der Brust rot.

„Dev!“, schrie Sean warnend.

Devlin wirbelte herum und starrte in den Lauf eines Gewehrs, das genau auf ihn gerichtet war. Doch da entriss Sean dem toten englischen Soldaten die Muskete und stieß dem Schützen den Gewehrkolben von hinten in die Kniekehlen. Der Mann verlor das Gleichgewicht, sodass die Kugel, die er noch im Fallen abfeuerte, ihr Ziel verfehlte. Sean schlug dem Soldaten auf den Kopf, bis der Mann sich nicht mehr rührte.

Devlin straffte die Schultern und rang nach Atem. Sein Bruder sah entgeistert zu ihm herüber.

„Wir müssen zu Vater“, stieß Devlin hervor.

Sean nickte bloß stumm, den Tränen nahe.

Vergeblich versuchte Devlin, in dem Getümmel seinen Vater auf dem grauen Pferd auszumachen.

Und plötzlich begriff er, dass das grauenhafte Gemetzel allmählich abnahm.

Angespannt schaute er sich mit weit aufgerissenen Augen um und gewahrte Hunderte leblose Körper in beige- und schlammfarbener Kleidung auf dem Schlachtfeld. Dazwischen lagen vereinzelt englische Soldaten und einige Pferde. Hier und da waren matte Hilferufe der Verwundeten zu vernehmen.

Ein englischer Offizier erteilte seiner Kompanie Befehle. Jetzt formierten sich die englischen Soldaten wieder in Reihen.

„Rasch“, rief Devlin, und schon sprangen die Jungen über die Leichen und strebten dem rettenden Weizenfeld zu. Sean stolperte über einen toten Soldaten, doch Devlin half seinem Bruder wieder auf die Beine und zog ihn hinter sich her. Keuchend sanken die Brüder in eine kauernde Haltung. Und jetzt, von der leichten Anhöhe des Feldes aus, konnten sie sehen, dass der Kampf wirklich zu Ende war.

So viele Männer waren gefallen.

Devlin wusste, dass sein Bruder den Tränen nahe war. Aufmunternd legte er einen Arm um Sean, vermochte den Blick jedoch nicht vom Schlachtfeld loszureißen. Das Herrenhaus lag zu seiner Rechten, und auch dort hinten lagen Tote in dem gepflasterten Vorhof. Devlin schaute nach links. Und dort, gar nicht weit entfernt, gewahrte er den grauen Hengst seines Vaters.

Der Junge versteifte sich. Sein Vater war nirgends zu sehen. Ein Soldat hielt das Pferd am Zügel.

Doch plötzlich lenkten mehrere berittene englische Offiziere ihre Tiere zu dem grauen Hengst. Gerald O’Neill, an den Händen gefesselt, musste zu Fuß gehen und wurde mit üblen Tritten vorwärtsgetrieben.

„Vater“, hauchte Sean.

„Gerald O’Neill, nehme ich an?“, erkundigte sich der befehlshabende berittene Offizier mit spöttischem Unterton.

„Und mit wem habe ich die Ehre?“, gab Gerald ebenso herablassend und spöttisch zurück.

„Lord Captain Harold Hughes, Seiner Majestät stets ergebenster Diener“, entgegnete der Offizier und bleckte die Zähne zu einem kalten Lächeln. Er hatte ein ansprechendes Gesicht und schwarze Haare, doch seine blauen Augen blitzten eiskalt auf. „Haben Sie die Nachricht nicht vernommen, O’Neill? Die Defenders wurden vernichtend geschlagen. General Lake hat Ihr lächerliches Hauptquartier erfolgreich gestürmt. Mir wurde zugetragen, dass sich die Zahl der toten Rebellen auf fünfzehntausend beläuft. Sie und Ihre Männer sind ein unbedeutender, zusammengewürfelter Haufen.“

„Verflucht sei dieser Lake“, stieß Gerald grimmig hervor, „und auch Charles Cornwallis!“ Devlin wusste, dass der Zorn seines Vaters sich gegen den Vizekönig Irlands richtete. „Wir kämpfen bis zum letzten Atemzug, wenn es sein muss, Hughes. Bis wir unser Land und unsere Freiheit zurückgewonnen haben.“

Verzweifelt wünschte Devlin, sein Vater würde nicht in dieser anmaßenden Weise mit dem englischen Offizier sprechen. Doch Hughes zuckte nur gleichgültig die Schultern. „Brennt alles nieder“, sagte er beiläufig, als spräche er über das Wetter.

Sean stieß einen unterdrückten Schrei aus, und Devlin wurde von jähem Entsetzen gepackt.

„Wir sollen alles niederbrennen, Captain?“, fragte ein Unteroffizier nach.

Hughes bedachte Gerald, der vor Schreck aschfahl geworden war, mit einem bösen Lächeln. „Alles, Smith. Jedes Feld, jede Weide, die Stallungen, das Vieh – das Haus.“

Ohne Umschweife gab der Leutnant den Befehl weiter. Devlin und sein Bruder wechselten entsetzte Blicke. Ihre Mutter und die kleine Meg waren noch im Herrenhaus! Was sollten sie jetzt tun?

„Hughes!“, rief Gerald aufgebracht. „Meine Frau und meine Kinder sind noch im Haus.“

„Wirklich?“ Der Kommandant schien davon unbeeindruckt. „Vielleicht bringt ihr Tod andere dazu, genau abzuwägen, ob Verrat sich lohnt.“

Geralds Augen weiteten sich vor Angst.

„Brennt alles nieder“, wiederholte Hughes den Befehl lauter. „Und wenn ich alles sage, dann meine ich auch alles.“

In seinem Zorn wollte Gerald sich auf den englischen Offizier stürzen, wurde jedoch von starken Armen festgehalten. Devlin dachte nicht lange nach, sondern wirbelte herum, um durch das Feld zurück zum Haus zu laufen. Abrupt hielt er inne, als er seine Mutter Mary mit dem Kind auf dem Arm in der offenen Haustür erblickte. Vor Erleichterung wäre er beinahe gestrauchelt. Er ergriff die Hand seines kleinen Bruders und wagte wieder zu atmen. Dann schaute er zurück zu seinem Vater und Captain Hughes.

Hughes drohender Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Mit hochgezogenen Brauen schaute er neugierig auf die Frau, die im Hauseingang stand. „Ihre Gemahlin, nehme ich an?“

Gerald riss an seinen Fesseln und stemmte sich gegen die drei Männer, die ihn festhielten. „Bastard! Wenn Sie sie auch nur anrühren, werde ich Sie töten, das schwöre ich!“

Hughes lächelte bloß, den Blick unverwandt auf Mary geheftet. Als habe er Geralds Drohungen gar nicht vernommen, murmelte er: „Sieh an, was für eine interessante Wendung. Bringt die Frau in mein Quartier.“

„Zu Befehl, Sir.“ Leutnant Smith wendete sein Pferd und lenkte es zum Herrenhaus.

„Hughes! Wenn Sie meiner Frau auch nur ein Haar krümmen, werden Sie sich nicht wiedererkennen“, stieß Gerald zornentbrannt hervor.

„Wirklich? Und das sagt mir ein Mann, dem der Galgen droht – oder Schlimmeres?“ Mit diesen Worten zog er langsam seinen Säbel aus der Scheide. Im nächsten Augenblick schlug er Gerald O’Neill mit einem einzigen, gezielten Hieb den Kopf ab.

Wie in einem bösen Traum gefangen, sah Devlin, wie der Kopf noch ein Stück über den Boden rollte. Die grauen Augen waren offen und immer noch von demselben heiligen Zorn erfüllt.

Der Junge wandte sich ab, immer noch nicht willens, das Geschehene hinzunehmen, und sah, wie seine Mutter ohnmächtig in der Haustür zusammenbrach. Die kleine Meg weinte laut und lag wild strampelnd neben Mary auf dem Boden.

„Nehmt die Frau mit“, rief Hughes. „Bringt sie in mein Quartier und brennt das verfluchte Haus nieder.“ Er stieß dem Pferd die Sporen in die Seiten und galoppierte davon.

Erst als zwei Soldaten auf das Herrenhaus zugingen – zu seiner bewusstlosen Mutter und der kleinen, hilflos jammernden Meg – traf Devlin die Erkenntnis mit voller Wucht. Vater ist tot. Er wurde ermordet, grausam ermordet, kaltblütig. Von diesem verfluchten englischen Offizier Hughes.

Im Kampfgetümmel hatte er das Schwert liegen lassen; jetzt umklammerte er den kleinen nutzlosen Dolch. Beinahe taumelnd rannte er los, wild entschlossen, jeden zu töten, der sich ihm in den Weg stellte, jeden, der englischer Herkunft war.

Ein Soldat drehte sich überrascht zu ihm um, als Devlin mit gezücktem Dolch aus dem Weizenfeld hervorstürmte.

Doch ein harter Schlag traf ihn am Hinterkopf, und nach einem kurzen brennenden Schmerz umfing den Jungen eine tiefe, schwerelose Dunkelheit.

Devlin kam nur langsam wieder zu sich, mit furchtbaren Kopfschmerzen und einem unbestimmten Gefühl der Angst. Kälte und Feuchtigkeit drangen durch seine dünne Kleidung.

„Dev?“, hörte er Sean wispern. „Dev, so wach doch auf!“

Jetzt konnte er deutlich die dünnen Ärmchen seines Bruders spüren, die sich eng um ihn legten. Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft, stechend und bitter. Er fragte sich, wo er überhaupt war und was geschehen sein mochte – aber dann sah er wieder seinen Vater gefesselt zwischen den rotröckigen Soldaten stehen; er sah, wie Captain Hughes den Säbel hob und seinem Vater den Kopf abschlug.

Keuchend riss Devlin die Augen auf.

Sean drückte ihn noch enger an sich.

Als die schreckliche Erinnerung ganz zurückkehrte, richtete Devlin sich mühsam auf und kniete neben seinem jüngeren Bruder. Sie waren im Wald. Es hatte geregnet, und alles war kalt und nass. Devlin war kurz davor, sich zu übergeben, und krallte die Finger in die dunkle irische Erde. Endlich fand er die Kraft, Sean in die Augen zu sehen. Sein Bruder hatte ein kleines Feuer gemacht; es spendete zwar ein wenig Licht, aber kaum Wärme. „Mutter? Meg?“, fragte Devlin heiser.

„Ich weiß nicht, wo Mutter ist“, sagte Sean, sein kleines Gesicht war angespannt. „Die Soldaten brachten sie fort, ehe sie zu sich kam. Ich wollte zu Meg, aber als du wie ein Wilder losgestürmt bist und dieser Soldat dir einen Schlag verpasst hat, habe ich dich hierher gezogen, in Sicherheit. Dann haben sie alles angesteckt, Devlin.“ Tränen schimmerten in Seans Augen. Mühsam rang er nach Luft. „Alles ist zerstört, alles.“

Für einen Moment stierte Devlin ins Leere, genauso verängstigt wie sein Bruder, doch dann kam er wieder zur Besinnung. Jetzt war er als Ältester gefordert. Er durfte nicht weinen – er musste die Führung übernehmen. „Hör auf zu flennen wie ein kleines Kind“, fuhr er seinen Bruder scharf an. „Wir müssen Mutter retten und Meg finden.“

Augenblicklich verstummte Seans Schluchzen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den großen Bruder unverwandt an und nickte.

Devlin erhob sich und hielt sich gar nicht erst damit auf, den Dreck von seinen Hosenbeinen zu wischen. Sie eilten über die Lichtung. Am Waldrand schrak Devlin zurück.

Früher hatte man selbst im Mondschein die saftigen Wiesen und die sich sanft im Wind wiegenden Felder erkennen können, jetzt hingegen erstreckte sich eine endlose Leere jenseits des Waldrandes. Dort, wo einst das Herrenhaus gestanden hatte, erblickte Devlin nur noch nacktes Mauerwerk und zwei einsam in den Nachthimmel ragende Schornsteine.

„Wir werden diesen Winter nicht überleben“, wisperte Sean und klammerte sich an Devlins Hand.

„Sind die Soldaten in die Garnison zurückgekehrt?“, fragte Devlin grimmig. Entschlossenheit hatte die kalte Angst und das Gefühl von Übelkeit verdrängt.

Sean nickte. „Dev? Wie sollen wir sie retten? Ich meine, es sind Tausende … wir sind nur … zwei Jungen.“

„Wir werden einen Weg finden“, sagte Devlin. „Ich verspreche es, Sean.“

Es war bereits Mittag, als sie die Anhöhe erreichten, von der aus man die englische Garnison bei Kilmallock überblicken konnte. Devlins Mut sank, als er jenseits der starken Holzpalisaden ein Meer von weißen Zelten und zahllose Rotröcke erblickte. Fahnen markierten die Quartiere der befehlshabenden Offiziere in der Mitte des Forts. Devlin zermarterte sich das Hirn, wie er und Sean in das Lager gelangen könnten. Wäre er größer gewesen, hätte er einen Soldaten getötet und ihm die Uniform abgenommen. Dann überlegte er jedoch, ob es nicht möglich wäre, einfach hinter einem Fuhrwerk oder mit einer Gruppe Soldaten durch das offene Tor zu gehen, da er und sein Bruder so klein und ungefährlich aussahen.

„Glaubst du, es geht ihr gut?“, flüsterte Sean. Die Farbe war nicht in seine Wangen zurückgekehrt, seit ihr Vater vor ihren Augen ermordet worden war. Er sah erschreckend blass aus, seine Lippen waren aufgesprungen, und in seinen Augen spiegelte sich Angst. Devlin sorgte sich um seinen Bruder.

Beschützend legte er einen Arm um Sean. „Wir werden sie retten, und alles wird wieder gut“, sagte er mit fester Stimme. Tief in seinem wunden Herzen wusste er jedoch, dass seine Worte nur eine furchtbare Lüge waren – nichts würde jemals wieder so sein wie früher.

Und was war aus der kleinen Meg geworden? Er wollte den Gedanken nicht zulassen, dass die kleine Schwester womöglich in den Flammen verbrannt war.

Devlin schloss die Augen. Eine unheimliche Stille umgab seine Sinne. Zum ersten Mal seit Stunden beruhigte sich sein Atem. Das brennende Gefühl in seiner Magengegend ließ nach. Etwas Dunkles und Unausgesprochenes begann sich in seinen Gedanken zu formen. Ein düsterer und grimmiger Schatten bemächtigte sich seiner – ein furchtbares und unnachgiebiges Versprechen.

Sean begann zu weinen. „Was, wenn er ihr wehtut? Was, wenn … er mit ihr … das macht, was er mit Vater gemacht hat?“

Devlin blinzelte und starrte dann ungerührt hinab auf das Fort. Der zehnjährige Junge war für immer verschwunden. An seine Stelle war ein Mann getreten, ein gefühlloser und entschlossener Mann, ein Mann, dessen Zorn tief in seinem Innern loderte und nur noch einem Vorhaben diente. Die Macht dieses Vorsatzes verblüffte ihn.

Er hatte keine Angst mehr vor den Engländern, und selbst den Tod fürchtete er nicht mehr. Mit einem Mal wusste er, was er zu tun hatte – selbst wenn es Jahre dauern würde.

Er wandte sich Sean zu, der ihn mit feuchten Augen ansah. „Er hat Mutter nichts zuleide getan“, vernahm er seine eigenen Worte wie aus weiter Ferne, und sein Tonfall war so bestimmend wie der seines Vaters.

Sean blinzelte ihn überrascht an, dann nickte er.

„Gehen wir“, sagte Devlin mit fester Stimme. Sie stiegen von der Anhöhe hinab und versteckten sich hinter einem Felsbrocken neben der Straße. Nach ungefähr einer Stunde bangen Wartens rumpelten vier Fuhrwerke mit Lebensmitteln heran, die von einem Dutzend berittener Soldaten begleitet wurden. „Tun wir so, als wollten wir sie begrüßen“, raunte Devlin seinem jüngeren Bruder zu. Schon oft hatte er gesehen, wie die Bauern den englischen Truppen beinahe unterwürfig zuwinkten, doch die törichten Rotröcke ahnten ja nicht, dass das Lächeln auf den eben noch freundlichen Mienen der Landbevölkerung sofort erstarb und von Flüchen und wüsten Beschimpfungen ersetzt wurde, sobald die Soldaten vorbeigezogen waren.

Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und schien hell und warm, als die Jungen den breiten Weg betraten und den he­rannahenden Soldaten munter zuwinkten. Einige Soldaten winkten zurück, und einer warf den Brüdern sogar ein Stück Brot zu. Als die Wagen langsam vorbeifuhren, winkten die beiden mit gespielter Fröhlichkeit weiter. Dann stieß Devlin seinem Bruder den Ellbogen in die Rippen, und schon rannten sie hinter dem letzten Wagen her. Devlin sprang als Erster auf die Ladefläche, streckte seine Hand aus und zog Sean ebenfalls auf das Fuhrwerk. Geschwind verbargen sie sich hinter Säcken mit Mehl und Kartoffeln.

Devlin hatte das Gefühl, einen kleinen Triumph errungen zu haben, und lächelte Sean fast schon verwegen an.

„Und was jetzt?“, wisperte sein kleiner Bruder.

„Wir warten“, flüsterte Devlin zurück.

Sowie die Fuhrwerke sicher das Garnisonstor passiert hatten, wagte Devlin einen Blick über den Rand des Wagens. Da im Augenblick niemand die Rückseite des letzten Fuhrwerks im Blick hatte, stieß er Sean an. Schnell sprangen sie von dem Wagen he­runter und liefen um die Ecke des erstbesten Zeltes.

Fünf Minuten später kauerten sie bei dem Zelt des Befehlshabers hinter zwei Wasserfässern, unauffällig und – für den Augenblick – sicher.

„Was sollen wir jetzt machen?“, wollte Sean wissen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das Wetter hielt sich vorerst, obgleich graue Wolken am Horizont noch mehr Regen verhießen.

„Scht“, ermahnte Devlin ihn und überlegte angestrengt, wie sie ihre Mutter befreien könnten. Die Lage schien aussichtslos. Aber es musste einen Weg geben! Immerhin waren sie nicht so weit gekommen, um jetzt dem englischen Hauptmann in die Hände zu fallen. Vater würde von seinem Ältesten erwarten, dass er versuchen würde, Mutter zu retten – und er wollte ihn nicht ein zweites Mal enttäuschen.

Jetzt waren Rufe von den Posten am Tor zu hören. Donnernder Hufschlag ließ auf eine Reiterschar schließen, die sich dem Fort in gestrecktem Galopp näherte. Vorsichtig lugten Devlin und Sean zwischen den Fässern hervor. Captain Hughes war vor sein Zelt getreten, da auch er offenbar wissen wollte, um wen es sich bei den Ankömmlingen handelte. Er hielt einen Cognacschwenker in der Hand und wirkte mit sich und der Welt zufrieden.

Von seinem Versteck aus folgte Devlin dem Blick des Offiziers. Hughes schaute in Richtung Süden zum Haupttor, durch das die Jungen hereingekommen waren. Devlin traute seinen Augen nicht. Tatsächlich sprengte eine Reiterschar heran, und das Banner, das über dem Fahnenträger im Winde wehte, war kobaltblau, silberfarben und schwarz – Farben, die dem Jungen allzu vertraut waren. Neben ihm sog Sean geräuschvoll die Luft ein, und die Brüder tauschten ungläubige Blicke.

„Das ist der Earl of Adare“, wisperte Sean aufgeregt.

Rasch hielt Devlin seinem Bruder die Hand vor den Mund. „Er kommt gewiss, um zu helfen. Leise jetzt.“

„Verflucht seien die Iren, auch die mit England verbündeten“, sagte Hughes zu einem anderen Offizier gewandt. „Dort kommt der Earl of Adare.“ Offenkundig verstimmt, warf der Hauptmann den Cognacschwenker achtlos zu Boden.

„Sollen wir die Tore schließen, Sir?“

„Unglücklicherweise ist der Earl ein guter Bekannter von Lord Castlereagh, zudem gehört er dem Irischen Kronrat an. Wie ich hörte, saß er bei einem Staatsbankett neben Cornwallis persönlich. Wenn ich jetzt die Tore schließen lasse, könnte mich das teuer zu stehen kommen.“ Hughes Miene verfinsterte sich zusehends, und oberhalb des schwarzgoldenen Kragens seines roten Waffenrocks waren hektische rote Flecken zu sehen.

Devlin bemühte sich, seine Aufregung zu unterdrücken. Edward de Warenne, der Earl of Adare, war ihr Gutsherr. Und obwohl Gerald O’Neill seine eigenen, angestammten Ländereien von Adare gepachtet hatte, waren die beiden Männer weit mehr als Herr und Pächter. Zeitweilig hatten sie dieselben ländlichen Festlichkeiten besucht, gemeinsam an Fuchsjagden teilgenommen oder sich im Hindernisreiten gemessen. Ein Dutzend Mal hatte Adare im Herrenhaus in Askeaton zu Abend gegessen. Im Gegensatz zu anderen Gutsbesitzern hatte der Earl sich bei allen Verhandlungen mit den O’Neills stets als gerecht erwiesen, nie hatte er wucherischen Pachtzins gefordert, niemals mehr verlangt, als ihm von Rechts wegen zustand.

Devlin merkte, dass er und sein Bruder sich in der Aufregung an den Händen hielten. Schließlich hielten die Reiter unmittelbar vor Hughes und dessen Offizieren an. Wie auf ein geheimes Zeichen hin bildeten die englischen Soldaten einen Kreis um die Schar des Earls und legten die Musketen an.

Der Earl trieb seinen Rappen unbeirrt weiter. Er war ein großer dunkelhaariger Mann, dessen ganze stattliche Erscheinung Macht und Autorität ausstrahlte. Seine Gesichtszüge waren von Zorn verzerrt. „Wo ist Mary O’Neill?“, rief er donnernd.

Hughes setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie von O’Neills vorzeitigem Ableben gehört haben?“

„Von seinem vorzeitigen Ableben?“ Der Earl of Adare sprang förmlich aus dem Sattel und schritt in gebieterischer Pose auf den Hauptmann zu. „Mord wäre eine treffendere Beschreibung. Sie haben einen meiner Pächter ermordet, Hughes.“

„Demnach gehören Sie also auch zu den Papisten? O’Neill drohte der Galgen, Adare, und das wissen Sie.“

Bebend vor Wut starrte der Earl den Engländer an, und schließlich stieß er zwischen den Zähnen hervor: „Sie Bastard! Es hat immer die Aussicht auf das Exil oder eine königliche Begna­digung bestanden. Ich hätte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um dies für einen meiner Untertanen zu erwirken. Sie anmaßender Hundesohn!“ Seine Hand umfasste den Knauf seines Degens.

Hughes zuckte bloß die Schultern. „Wie ich schon sagte, Sie sind ein Papist und einer dieser Jakobiner. Wir leben in gefährlichen Zeiten, mein Freund. Selbst Lord Castlereagh würde nicht wollen, dass sein Name in einem Atemzug mit einem Anhänger der Radikalen genannt wird.“

Für einen Moment sagte Adare kein Wort und rang nach Selbstbeherrschung. „Ich will die Frau. Wo ist sie?“

Hughes zögerte. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, und eine flüchtige Röte huschte über seine Züge.

„Zwingen Sie mich nicht, etwas zu tun, was ich liebend gern tun würde – nämlich Ihnen den Hals umzudrehen, Hughes“, setzte Adare kalt nach.

„Gut. Eine irische Schlampe vermag mich kaum zu fesseln. Man kann sie allenthalben für einen Penny bekommen.“

Devlin war wie betäubt von dieser groben Unflätigkeit. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle auf Hughes gestürzt und ihn für diese Beleidigung getötet, aber das brauchte er nicht zu tun. Der Earl trat energischen Schrittes vor und baute sich ganz dicht vor Captain Hughes auf. „Unterschätzen Sie nicht die Macht der Herren von Adare. Ich rate Ihnen, von weiteren Verleumdungen Abstand zu nehmen, denn Sie könnten sich rasch in Kanada wiederfinden. Ich speise mit Cornwallis noch am fünfzehnten dieses Monats zu Abend, und nichts würde ich lieber tun, als dem Vizekönig einige höchst unangenehme Dinge über Sie zu berichten. Haben Sie mich verstanden, Captain?“

Hughes war nicht in der Lage, darauf etwas zu erwidern. Sein Gesicht war von einer tiefen Röte überzogen.

Adare ließ von ihm ab und betrat das Zelt mit wehendem Umhang.

Devlin und Sean tauschten Blicke – und dann rannten sie Hand in Hand an Hughes vorbei und folgten dem Earl in das Zelt. Sofort fiel Devlins Blick auf seine Mutter, die auf einem kleinen Stuhl kauerte. Er sah, dass sie bitterlich geweint hatte.

„Mary!“, rief der Earl und blieb stehen. „Geht es Ihnen gut?“

Mary erhob sich. Ihre blauen Augen weiteten sich, die blonden Locken hingen ihr wirr um den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. „Ich hatte gehofft, dass Sie kommen würden“, gestand sie unsicher.

Adare eilte auf sie zu, umschloss ihre Schultern mit beiden Händen und schaute sie eindringlich an. „Sind Sie verletzt?“, fragte er behutsam.

Sie vermochte nicht sogleich zu antworten. „Nicht in der Weise, die Sie vermuten, Mylord.“ Sie zögerte und sah den Earl mit Tränen in den Augen an. „Er hat Gerald ermordet. Er hat meinen Gemahl vor meinen Augen ermordet.“

„Ich weiß“, erwiderte Adare aufgebracht. „Es tut mir so leid, Mary.“

Mary war am Ende ihrer Kräfte; verzweifelt schaute sie zur Seite, nur mühsam die Tränen zurückhaltend.

Behutsam umschloss der Earl ihr Kinn mit einer Hand und drehte ihr Gesicht wieder zu sich. Ein weiteres Mal trafen sich ihre Blicke. „Wo ist Meg? Wo sind die Jungen?“

Jetzt liefen ihr die Tränen ungehemmt über die Wangen. „Ich weiß nicht, wo Meg ist. Ich hatte sie auf dem Arm, als ich ohnmächtig wurde und …“ Ihre Worte gingen in lautem Schluchzen unter.

„Wir werden sie finden.“ Er schenkte ihr ein kleines Lächeln.

Mary nickte und klammerte sich scheinbar an die vage Hoffnung, der Earl könne sein Versprechen einlösen. Plötzlich gewahrte sie ihre Söhne unweit des aufgeschlagenen Zelteingangs. Steif wie zwei Statuen standen die beiden dort und starrten sie und den einflussreichen Earl an. „Devlin! Sean! Gott sei Dank, ihr lebt und seid unverletzt!“ Sie eilte zu ihren Kindern und nahm sie beide zugleich in den Arm.

Devlin schloss die Augen und konnte es kaum glauben, dass sie ihre Mutter gefunden hatten. Sie waren jetzt in Sicherheit, denn von nun an würde sich der Earl ihrer annehmen. „Uns geht es gut, Mutter“, sagte er leise und löste sich aus der Umarmung.

Adare trat zu ihnen und legte einen schützenden Arm um Marys Schultern. Rasch musterte er beide Jungen, und Devlin sah dem mächtigen Mann in die Augen.

„Devlin, Sean, hört mir zu“, hob Adare an. „Ihr reitet mit mir und meinen Männern zurück nach Adare Castle. Sowie wir dieses Zelt verlassen, steigt ihr rasch hinter meinen Leuten auf die Pferde. Habt ihr mich verstanden?“

Devlin nickte, aber immer wieder musste er von seiner Mutter zu dem Earl schauen. Bereits früher hatte er gesehen, in welcher Weise Adare seine Mutter angesehen hatte, allerdings hatten viele Männer ihre Schönheit bewundert. Einerseits war er erleichtert, dass der mächtige Adlige ihnen nun zu Hilfe kam, und doch verspürte er Widerwillen. Der Earl war ein Witwer, und er liebte Mary. Dessen war sich Devlin sicher. Nur wie stand es um seinen Vater, der nicht einmal angemessen beerdigt worden war?

„Devlin!“, ermahnte Adare ihn scharf, und sein Blick war unnachgiebig. „Los jetzt!“

Devlin gehorchte augenblicklich, und schon folgten er und Sean dem Earl und Mary. Zu viert verließen sie das Zelt.

Draußen stand die Sonne im Zenit und brannte hell und heiß. Eine unnatürliche Stille lag auf dem Lager und den Hügelketten in der Ferne, über denen sich unheilvolle dunkle Wolken auftürmten. Mittlerweile hatten sich zahllose bewaffnete englische Soldaten um die Begleiter des Earls geschart. Kein Zweifel, wenn Hughes es gewollt hätte, wäre es an diesem Tag zu einem weiteren Massaker gekommen.

Unsicher schaute Devlin zu dem Earl auf, aber selbst wenn Adare Angst verspürte, so zeigte er sie nicht. Devlins Respekt vor dem Mann nahm zu.

Entschlossenen Schrittes begab Adare sich zu seinen Männern und hob Mary auf sein Pferd. Mit angespannter, hasserfüllter Miene schaute Hughes ihm zu. Devlin gab seinem Bruder einen Schubs, und während er selbst hinter einem Reiter auf die Kruppe des Pferdes sprang, wurde auch sein kleiner Bruder in den Sattel gehoben.

Adare war bereits hinter Mary aufgestiegen. Er ließ den Blick über die Jungen und die Reihen der englischen Soldaten schweifen, ehe er Hughes fixierte. „Sie haben sich an meinem Eigentum vergangen“, sagte er mit drohendem Unterton. „Tun Sie das nie wieder.“

Hughes lächelte grimmig. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie sich auf die Dame … eingelassen haben.“

„Sie wissen genau, wovon ich spreche, Captain“, rief Adare. „Sie haben meinen Pächter ermordet und mein Land verbrannt. Das ist ein Affront gegen mich und mein Haus. Und jetzt lassen Sie uns gefälligst durch.“

Devlin blickte von dem Earl zu dem englischen Kommandanten, während die beiden Kontrahenten sich unverwandt anschauten. Einen langen Augenblick war es so still in dem Fort, dass man das Rascheln eines einzelnen Blattes vernommen hätte.

Schließlich war Captain Hughes’ Stimme zu vernehmen. „Zurücktreten“, befahl er. „Lasst sie ziehen.“

Die Reihe der Soldaten teilte sich. Adare hob die Hand, brachte sein Pferd mit einem Schenkeldruck in leichten Trab und führte seinen kleinen Tross vorbei an den englischen Truppen zum Tor hinaus.

Devlin hielt sich an dem Soldaten fest, hinter dem er saß. Doch er warf einen Blick zurück … und sah dem englischen Hauptmann geradewegs in die eiskalten hellblauen Augen.

Eine sengende Hitze drang in sein Blut und drohte ihn mit einer weiß glühenden Spitze zu verzehren. Eines Tages würde er Vergeltung üben. Eines Tages, wenn die Zeit der Rache gekommen war. Und dann würde Captain Harold Hughes für den Mord an Gerald O’Neill bezahlen.

1. KAPITEL

5. April 1812

Richmond, Virginia

Sie weiß ja nicht einmal, wie man tanzt“, sagte eine der jungen Damen hinter vorgehaltener Hand kichernd.

Virginia Hughes’ Wangen brannten. Sie sah sich den Blicken sämtlicher Mädchen ausgesetzt, die sich hinter ihr im Tanzsaal aufgereiht hatten. Jetzt hatte der Tanzlehrer ausgerechnet sie aufgefordert und hielt ihr einen Vortrag über den sissonne ballotté, einen schwierigen Schritt, den man bei der Quadrille benötigte. Nicht genug, dass Virginia diesen Schritt nicht verstanden hatte, er interessierte sie obendrein nicht. Das Tanzen sprach sie überhaupt nicht an – sie wünschte nur, sie wäre wieder daheim in Sweet Briar.

Sie schloss die Augen, und schon beim nächsten Atemzug kam es ihr so vor, als sei sie an einem anderen Ort in einer anderen Zeit, und dieser Ort war weitaus besser als die Marmott Schule für höhere Töchter.

Genüsslich sog sie die Luft ein und glaubte, den berauschenden Duft des Geißblatts wahrzunehmen. Deutlich sah sie die dunklen Felder vor ihrem geistigen Auge, die sich bis zum Horizont erstreckten. Weiter vorn sie die sanft ansteigenden Rasenflächen, die Rosengärten und die alten Eichen und Ulmen, die das stattliche, aus roten Backsteinen erbaute Haus umstanden, das ihr Vater gebaut hatte.

Virginia vermisste Sweet Briar, doch viel mehr noch sehnte sie sich nach ihren Eltern. Eine Woge des Kummers erfasste sie so heftig, dass sie die Augen aufriss und sich in dem verhassten Tanzsaal ihrer Schule wiederfand, auf die man sie geschickt hatte. Der ita­lienische Tanzlehrer sah ziemlich verärgert aus und hatte die Hände in die Seiten gestemmt.

„Warum hat sie so lange die Augen zugemacht?“, wisperte ein Mädchen.

„Weil sie flennt“, war die hochnäsige Antwort.

Virginia wusste, dass die letzten Worte von der blonden Schönheit Sarah Lewis kamen – sie hielt sich für die begehrteste Debütantin in ganz Richmond, ungeachtet der Tatsache, dass sie die Schule erst Ende des Jahres verlassen würde. Virginia drehte sich um, kochend vor Wut, und schritt auf Sarah zu. Virginia war sehr klein und dünn, hatte ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen und leuchtende violette Augen. Ihr dunkles Haar, das ihr eigentlich bis zur Taille ging, war streng hochgebunden, da sie sich weigerte, es schneiden zu lassen. Sarah war gut drei Zoll größer als Virginia, dazu noch zwölf Pfund schwerer. Doch das kümmerte Virginia nicht.

Ihren ersten Streit hatte sie als Sechsjährige mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft ausgetragen. Es war zu einem Gerangel gekommen, und als ihr Vater die Kratzbürsten getrennt hatte, hatte er gemeint, sie sollten sich nicht wie Mädchen an den Haaren ziehen. Rasch erfuhr sie, wie die Jungen einen heftigen Schlag mit der Faust landeten – sehr zum Entsetzen ihrer Mutter. Fortan konnte Virginia nicht nur tüchtig zulangen, sie konnte darüber hinaus mit einem Jagdgewehr einen Flaschenhals auf eine Entfernung von fünfzig Fuß treffen. Jetzt blieb sie so dicht vor Sarah stehen, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten – dafür musste Virginia sich allerdings auf die Zehenspitzen stellen.

„Tanzen ist für törichte Gänse wie dich“, rief sie, „und eigentlich müsstest du törichte Tanzgans Sarah heißen!“

Sarah blieb vor Empörung beinahe die Luft weg. „Signor Rossini! Haben Sie gehört, was diese Landpomeranze zu mir gesagt hat?“

Virginia reckte ihr Kinn noch ein wenig höher empor. „Diese Landpomeranze besitzt eine ganze Plantage – fünftausend Acre. Und wenn ich richtig rechne – was mir nicht schwerfällt –, so macht mich das viel reicher als dich, Miss Törichtgans!“

„Du bist ja bloß neidisch“, zischte Sarah, „weil du dürr und hässlich bist und dich niemand haben will … und genau deshalb bist du ja hier!“

Virginia verspürte einen schmerzhaften Stich, denn Sarah hatte die Wahrheit gesagt. Niemand wollte sie, sie war allein, und großer Gott, wie das schmerzte!

Sarah merkte schnell, dass diese Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Sie lächelte süßlich. „Alle wissen, dass du hierhergeschickt wurdest, bis du volljährig bist! Und das bist du erst in drei Jahren, Miss Hughes. Du wirst alt und faltig sein, bevor du wieder auf deine Farm zurückkehren darfst!“

„Das reicht jetzt“, mischte sich Signor Rossini ein. „Wenn beide Damen jetzt so freundlich wären, zu mir zu …“

Virginia hörte die restlichen Worte gar nicht mehr, denn sie stürmte bereits aus dem Tanzsaal, das Gekicher der Mädchen noch in den Ohren. Sie hasste Sarah und die anderen Mädchen, sie hasste den Tanzlehrer, die ganze Schule und sogar ihre Eltern … Wieso waren sie von ihr gegangen? Warum nur?

In der Eingangshalle sank sie verzweifelt zu Boden, zog ihre dünnen Knie an und hoffte inständig, der Schmerz möge nachlassen. Sie hasste sogar Gott, denn schließlich hatte er ihr die Eltern genommen, in jener furchtbaren verregneten Nacht im letzten Herbst. „Oh, Papa“, wisperte sie an ihren Knien. „Ich vermisse dich so.“

Sie wusste, dass sie jetzt nicht weinen durfte. Lieber würde sie sterben, als sich ihre Tränen anmerken zu lassen. Aber nie hatte sie sich so verlassen und einsam gefühlt. An sonnigen Tagen war sie mit ihrem Vater über die Plantage geritten, des Abends hatte sie vor dem Kamin gesessen, während ihre Mutter sich der Handarbeit widmete und ihr Vater las. Auf der Plantage wohnten viele Sklaven, und von klein auf kannte sie alle mit Namen. Sie dachte an Tillie, ihre beste Freundin auf der ganzen Welt. Es hatte Virginia nie gestört, dass das Mädchen eine schwarze Haussklavin und zwei Jahre älter als sie selbst war. Nun schlang sie die Arme um die angezogenen Knie, versuchte ihren Atem zu beruhigen und blinzelte die Tränen fort. Es dauerte lange, ehe sie ihre Fassung zurückgewann.

Sie setzte sich aufrecht hin. Was hatte Sarah da eben gesagt? Sie, Virginia, müsse bis zur Volljährigkeit in der Schule ausharren? Aber das war undenkbar! Sie war gerade mal achtzehn geworden, und das bedeutete, dass sie weitere drei Jahre in diesem furchtbaren Gefängnis aushalten musste.

Langsam erhob sie sich, wobei sie sich nicht die Mühe machte, den Staub von ihren schwarzen Röcken zu klopfen. Sie trug Trauerkleidung. Sechs Monate war es nun her, dass ihre Eltern bei einem tragischen Kutschenunfall gestorben waren, und obgleich die Schulleiterin angemahnt hatte, die Zeit der Trauer sei nun vorüber, hatte Virginia sich vehement geweigert, die schwarze Kleidung abzulegen. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, für immer um ihre Eltern zu trauern.

Innerlich aufgewühlt eilte Virginia über den Dielenboden der Halle. Ihr einziger naher Verwandter war ihr Onkel Harold Hughes, der Earl of Eastleigh. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte er ihr schriftlich sein Beileid ausgesprochen und in seiner Funktion als Vormund verfügt, seine Nichte müsse von nun an die Marmott Schule in Richmond besuchen. Virginia vermochte sich kaum daran zu erinnern; vor einem halben Jahr hatte sich ein Schleier aus Kummer und Schmerz über ihr Dasein gelegt. Eines Tages hatte sie sich in dieser Schule wiedergefunden, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, wie sie dorthin gelangt war. Dunkel entsann sie sich, dass sie und Tillie sich beim tränenreichen Abschied umarmt hatten. Als der erste Kummer ein wenig nachgelassen hatte, hatten sie und Tillie sich Briefe geschrieben. Virginia erfuhr, dass ihr Onkel ihren Besitz verwaltete und angeordnet hatte, alles solle so verbleiben wie vor dem Tod seines Bruders.

Immer wenn sie an Tillie dachte, überkam Virginia schreck­liches Heimweh. Das Verlangen, nach Hause zurückzukehren, war plötzlich erdrückend. Sie war achtzehn Jahre alt, und viele junge Frauen ihres Alters waren bereits verlobt oder standen als verheiratete Frau einem eigenen Haushalt vor. Ihre Eltern hatten das Thema Ehe nie angeschnitten, wofür Virginia ihnen dankbar gewesen war. Sie wusste nicht recht, was mit ihr nicht stimmte, aber sie hatte nie einen Gedanken an Heirat – oder junge Männer – verschwendet. Stattdessen hatte sie von ihrem fünften Lebensjahr an immer an der Seite ihres Vaters gearbeitet, genau genommen von dem Tag an, als Randall Hughes sie vor sich auf sein Pferd gehoben hatte. Sie kannte jeden Zollbreit von Sweet Briar, jeden Baum, jedes Blatt, jede Blume – die Plantage umfasste nur hundert Acre und nicht fünftausend, aber das brauchte sie Sarah Lewis ja nicht auf die Nase zu binden.

Virginia wusste alles über den Tabakanbau, wie man die vorgezogenen Pflänzchen aufs Feld brachte, mit welcher Methode die geernteten Blätter am besten getrocknet wurden und in welchen Auktionshäusern die besten Preise erzielt wurden.

Natürlich hatte sie auch andere Pflichten übernehmen müssen. Niemand war gütiger als ihre Mutter gewesen, die sich wie keine Zweite mit Kräutern und Heilverfahren auskannte. Nie hatte sie Angst gehabt, in die Schlafquartiere der Sklaven zu gehen, wenn jemand krank war – tatsächlich konnte sie hervorragende Breiumschläge auflegen. Obwohl ihre Mutter ihr nicht erlaubt hatte, bei Geburten zugegen zu sein, hatte Virginia in den Stallungen gesehen, wie Fohlen zur Welt kamen. Manch eine Nacht hatte sie darauf gewartet, dass eine trächtige Stute ihr Junges zur Welt brachte. Warum sollte sie also jetzt nicht daheim sein und Sweet Briar gemeinsam mit dem Vorarbeiter, James MacGregor, führen? Sie war wie geschaffen für die Leitung der Plantage. Sweet Briar war wie ein Teil von ihr.

Sie wusste, dass sie keine Dame war. Sie trug Breeches von dem Tag an, als sie sah, dass es welche gab, und seither mochte sie Hosen lieber als Röcke. Ihren Vater hatte das nicht gestört – er war stolz gewesen auf seine Tochter, auf ihre offene Art, ihre Reitkunst, den wachen Geist. Und er hatte sie schön gefunden; immer hatte er sie seine kleine wilde Rose genannt, doch jeder Vater mochte so von seiner Tochter denken. Virginia wusste, dass ihr Vater bei ihrem Aussehen übertrieb. Sie fand sich zu dünn, und sie hatte zu viel ungebändigtes Haar, um jemals als hübsch zu gelten. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie war bei Weitem zu klug, um eine feine Dame sein zu wollen.

Ihre Mutter hatte das Einvernehmen, das zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter bestand, stets toleriert. Virginias Brüder waren beide kurz nach der Geburt gestorben. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Von da an hatte ihre Mutter zum ersten Mal anders über die Breeches, das Reiten und die Jagd gedacht. Mehrere Wochen hatte sie den Tod ihrer Kinder beklagt, in der Familienkapelle gebetet und irgendwann den inneren Frieden gefunden. Danach waren ihr Lächeln und ihre natürliche Wärme zurückgekehrt – aber sie war nie wieder schwanger geworden, als hätten sie und ihr Vater einen stummen Pakt geschlossen.

Virginia konnte überhaupt nicht nachvollziehen, warum eine Frau eine Dame sein wollte. Als Dame musste man sich an gesellschaftliche Gepflogenheiten halten. Die meisten Anstandsregeln waren einfach nur lästig, aber einige waren richtiggehend erdrückend. Eine Dame war wie eine Sklavin mit einem feinen Zuhause.

Für Virginia stand der Entschluss bereits fest, als sie vor dem Büro der Schulleiterin stehen blieb. Ganz gleich, ob Sarah Lewis die Wahrheit gesagt hatte oder nicht, es war nicht länger von Bedeutung. Die Zeit war gekommen, nach Hause zu gehen. Zum ersten Mal nach dem Tod ihrer Eltern fühlte sie sich stark – und mutig. Es war ein wundervolles Gefühl.

Sie klopfte an die edle Mahagonitür.

Mrs. Towne, eine rundliche, freundliche Dame, bat sie herein. Der Blick, mit dem sie Virginia jetzt bedachte, war ernst, obwohl ihre Augen doch sonst immer so fröhlich aufblitzten. „Ich fürchte, früher oder später wirst du lernen müssen, wie man tanzt, Vir­ginia.“

Virginia verzog das Gesicht. Die einzige Person in dieser Schule, die sie beinahe mochte, war die Direktorin. „Warum?“

Angesichts dieser naiven Frage konnte Mrs. Towne ihr Erstaunen nicht verbergen. „Setz dich, meine Liebe.“

Virginia tat, wie ihr geheißen, und merkte zu spät, dass sie wieder einmal die Knie nicht züchtig zusammendrückte und ihre Arme nachlässig über die Stuhllehnen hängen ließ. Mit einem Räuspern setzte sie sich so hin, wie man es von einer Dame erwartete, nicht weil sie anständig sein wollte, sondern weil sie die Schulleiterin jetzt nicht gegen sich aufzubringen gedachte.

Mrs. Towne lächelte. „Virginia, Damen müssen tanzen können. Wie willst du dich sonst auf einer Abendveranstaltung amüsieren?“

Virginia nahm kein Blatt vor den Mund. „Ich habe für Abendveranstaltungen nichts übrig, Madam. Ich habe für das Tanzen keine Verwendung. Offen gestanden ist es an der Zeit, dass ich nach Hause gehe.“

Mrs. Towne sah sie mit hochgezogenen Brauen an.

Schon hatte Virginia wieder vergessen, damenhaft auf dem Stuhl zu sitzen. „Es ist doch nicht wahr, was diese bösartige Sarah Lewis gesagt hat, oder? Ich muss doch bestimmt nicht drei weitere Jahre hierbleiben?“

Mrs. Townes Miene wurde hart. „Offenbar hat Miss Lewis gehört, wie ich unter vier Augen mit Mrs. Blakely sprach. Meine Liebe, diese Anordnung haben wir von deinem Onkel erhalten.“

Erschrocken und sprachlos starrte Virginia die Schulleiterin an. Es dauerte einen Moment, ehe sie wieder klar denken konnte.

Zunächst hatte sie befürchtet, der Earl of Eastleigh würde sie zwingen, nach England zu kommen, in ein Land, das ihr vollkommen fremd war. Dieses Schicksal war ihr offenbar erspart geblieben. Aber stattdessen gedachte ihr Onkel sie noch drei Jahre in dieser Schule einzusperren? Sie war erst sechs Monate hier, und doch hasste sie es! So weit wollte Virginia es nicht kommen lassen. Oh nein, sie würde nach Hause gehen.

Mrs. Towne ergriff das Wort. „Ich verstehe, dass einem drei Jahre wie eine Ewigkeit vorkommen, aber wenn ich bedenke, wie du aufgewachsen bist, sind drei Jahre genau die Zeit, die wir benötigen, um dich in alle Bereiche einzuführen, mit denen du vertraut sein musst, um in der Gesellschaft zu bestehen, meine Teure. Und ich habe noch eine gute Nachricht für dich. Dein Onkel möchte, dass du heiratest, sobald du volljährig bist.“

Erschrocken sprang Virginia auf. „Was?“

Die Schulleiterin blinzelte verwirrt. „Ich hätte wissen sollen, dass diese Aussicht dir missfällt. Aber jede wohlgeborene junge Dame vermählt sich, und du bist keine Ausnahme. Der Earl of Eastleigh beabsichtigt, einen geeigneten Gemahl für dich zu …“

„Das kann er nicht tun!“ Zorn loderte in Virginia. „Erst schickt er mich hierher und glaubt, mich für drei Jahre wegschließen zu können! Und dann will er mich in die nächste Gefangenschaft schicken – in eine Ehe mit einem Fremden? Nein, da mache ich nicht mit.“

„Setz dich“, beschied ihr die Schulleiterin streng.

„Nein, Mrs. Towne. Verstehen Sie doch, eines Tages werde ich gewiss heiraten, aber aus Liebe.“ Tränen verschleierten ihr den Blick. Sie würde sich auf keinen Kompromiss einlassen. Eines Tages würde sie einem Mann begegnen, der so wäre wie ihr Vater, und sie würde dieselbe Liebe finden, die ihre Eltern erlebt hatten.

„Virginia, setz dich“, bedeutete die Schulleiterin ihr mit Nachdruck.

Als Virginia nur trotzig den Kopf schüttelte, erhob die Dame sich. „Ich weiß, dass du ein schweres Schicksal erlitten hast, und wir alle fühlen mit dir. Aber nicht du bestimmst dein Schicksal, mein Kind, sondern dein Onkel. Und wenn er wünscht, dass du hier bis zur Volljährigkeit bleibst, dann gibt es daran nichts zu rütteln. Ich bin mir sicher, dass du deinem zukünftigen Gemahl in Liebe zugetan sein wirst, wer auch immer für dich bestimmt sein mag.“

Virginia hatte es die Sprache verschlagen. Entsetzen packte sie. Ein Fremder maßte sich an, über ihr Leben zu bestimmen? Sie fühlte sich wie in einer Falle, wie in einem Käfig gefangen!

„Meine Liebe, du musst dir mehr Mühe geben, ein Teil dieser Gemeinschaft hier zu werden. Du bist diejenige, die beschlossen hat, sich verächtlich gegenüber den anderen jungen Damen zu benehmen. Nicht ein einziges Mal hast du dich bemüht, freundlich oder unterhaltsam zu sein. Seit deiner Ankunft hast du dich abgesondert, und wir ließen dich gewähren, da wir dich in deinem Kummer nicht stören wollten. Aber die anderen Mädchen halten dich für stolz und eingebildet! Es ist an der Zeit, dass du dich besserst. Ich erwarte von dir, dass du Freundschaften schließt, Virginia. Genauso, wie ich von dir erwarte, ausgezeichnete Leistungen in deinen Fächern zu erbringen.“

Virginia schlang die Arme um den Leib. Hatten die anderen sie tatsächlich für stolz und eingebildet gehalten? Das wollte sie nicht glauben. Sie wurde verachtet, weil sie vom Lande kam und so ganz anders war als die anderen.

„Du bist ein kluges Mädchen, Virginia. Du könntest so viel erreichen, wenn du dich nur anstrengen würdest.“ Mrs. Towne schenkte ihr ein Lächeln.

Virginia schluckte schwer. „Hier kann ich nicht bleiben. Und die anderen mögen mich nicht, weil ich nicht so bin wie sie! Ich bin nicht übertrieben fein und schüchtern, und ich falle auch nicht gleich beim Anblick eines gut aussehenden Mannes in Ohnmacht!“

„Du hast beschlossen, anders zu sein, aber du bist ein hübsches Mädchen aus gutem Hause, und allein darin unterscheidest du dich nicht von den anderen. Du musst damit aufhören, nach Unabhängigkeit zu streben, Virginia, und dann wirst du dich hier sehr wohlfühlen, das verspreche ich dir.“ Die Schulleiterin trat auf Virginia zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Da bin ich mir ganz sicher, meine Liebe. Nichts wünsche ich mir lieber für dich als einen erfolgreichen Schulabschluss – und dass du eine glückliche junge Dame wirst.“

Virginia rang sich ein dünnes Lächeln ab. Es gab nichts mehr zu sagen. Sie wollte nicht mehr länger in dieser Schule verweilen, und sie würde es nicht zulassen, dass ihr Onkel ihr einen Gemahl aussuchte.

Virginia zwang sich zu einem Nicken. Einen Moment später war das Gespräch beendet, und sie eilte aus dem Büro. Sobald sie allein auf ihrer Matratze im Schlafsaal lag, begann Virginia, ihre Flucht zu planen.

Zwei Tage später wusch Virginia sich morgens so langsam wie möglich. Die anderen jungen Damen strömten bereits aus dem Schlafsaal, während sie noch immer ihre Hände wusch. Aus den Augenwinkeln sah Virginia, wie das letzte Mädchen den großen Raum verließ. In der Tür drehte sich Miss Fern, die Lehrerin, um. „Miss Hughes? Fühlen Sie sich nicht wohl?“

Virginia lächelte schwach. „Es tut mir leid, Miss Fern, aber mir ist heute ein wenig schwindelig.“ Sie stützte sich an der Kommode neben dem Waschstand ab.

Miss Fern trat zu Virginia und berührte ihre Stirn mit einer Hand. „Nun, Fieber haben Sie nicht. Aber vielleicht sollten Sie trotzdem unverzüglich zu Dr. Mills gehen.“

„Da haben Sie gewiss recht. Ich fürchte, ich habe mir eine Grippe zugezogen. Ich muss mich einen Moment setzen, bitte“, sagte sie und nahm auf der Bettkante Platz.

„Lassen Sie sich Zeit.“ Mit einem aufmunternden Lächeln ging Miss Fern den Gang zwischen den zwanzig Betten hinunter und verließ den Schlafsaal.

Virginia wartete und zählte im Stillen bis zehn. Dann sprang sie auf und eilte zu dem vierten Bett zu ihrer Linken. Geradewegs steuerte sie auf das Nachttischchen zu und begann, Schubladen zu durchwühlen, deren Inhalt ihr nicht gehörte. Ihr schlechtes Gewissen regte sich, aber sie ignorierte es.

Sarah Lewis hatte immer Taschengeld, und tatsächlich fand Virginia rasch zwölf Dollar und fünfunddreißig Cent. Sie nahm das ganze Geld an sich und hinterließ eine Notiz in der Schublade, die sie nicht unterschrieb. Darin versprach sie, die Summe so schnell wie möglich zurückzuzahlen. Dennoch, sie fühlte sich furchtbar schlecht, einen Diebstahl zu begehen, und beinahe spürte sie die missbilligenden Blicke ihrer Mutter, die ihre Tochter vom Himmel aus beobachtete.

„Ich werde Sarah das Geld zurückgeben, Mama, jeden einzelnen Cent“, wisperte sie schuldbewusst. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie brauchte Geld für die Reisekutsche und ein Gasthaus. So tapfer sie auch sein mochte, sie glaubte nicht, dass sie die ganzen achtzig Meilen nach Sweet Briar ohne Übernachtungen und Mahlzeiten zurücklegen könnte.

Dann griff Virginia unter ihre Schlafstatt. In ihrem Mantel bewahrte sie ihre wenigen Habseligkeiten auf: den Kameeanhänger und den Hochzeitsring ihrer Mutter, die Pfeife ihres Vaters und ein Armband, das Tillie ihr einst aus Rosshaaren geflochten hatte. Darüber hinaus hatte sie eine zweite Hemdbluse, Handschuhe und eine Haube. Der Mantel war zu einem Bündel zusammengefaltet und mit Bändern befestigt. Virginia trat ans Fenster an der einen Seite des Raums, schob es auf und ließ das Bündel auf den Gehweg fallen.

Obwohl sie am liebsten gerannt wäre, zwang Virginia sich, die Treppe langsam und mit ernster Miene hinunterzugehen. Die Eingangstür war während des Tages nicht verschlossen, da keine Schülerin je gewagt hätte, das Gebäude zu verlassen. Behutsam sah Virginia sich um. Dies war ihre letzte Chance zur Flucht, und wenn sie jetzt jemand sähe, wäre ihre Reise frühzeitig beendet.

Aus einem Korridor schallten Schritte herüber. Geschwind eilte Virginia um eine Ecke und wagte kaum zu atmen. Deutlich vernahm sie zwei Stimmen und erkannte, dass es sich zweifelsohne um den Musik- und den Französischlehrer handelte. Sie befürchtete, die Herren würden das Foyer durchqueren und geradewegs auf sie zukommen – denn sämtliche Klassenräume lagen hinter ihr. Also schaute Virginia sich hastig um und verschwand schließlich in der Kammer des Hausmeisters.

Die beiden Lehrer gingen an der Tür vorbei.

Ein Schweißfilm stand auf Virginias Stirn. Das Warten wurde ihr zu viel. Vorsichtig drückte sie die Tür einen Spaltbreit auf und sah, dass die Eingangshalle leer war. Auf Zehenspitzen verließ sie die Kammer, spähte in das Foyer und sah auch dort niemanden mehr. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, holte stockend Luft, stürzte zum Eingang und riss die schwere Tür auf. Die Sonne schien hell und warm, und die frische Frühlingsluft umfing ihre Sinne. Als Virginia nach draußen trat, glaubte sie, die Freiheit förmlich riechen zu können. Gott, wie gut sie sich fühlte!

Sie lief den Weg entlang, der zu dem schmiedeeisernen Tor führte, bog um die Ecke und fand ihr Kleiderbündel. Rasch hob sie ihre Sachen auf und eilte davon.

„Ich bin ja so froh, dass wir Sie auf Ihrer Reise begleiten durften, meine Liebe“, sagte Mrs. Cantwell mit einem Lächeln und umschloss Virginias Hände.

Seit der Flucht waren drei Tage vergangen. Am ersten Morgen war Virginia die meiste Zeit zu Fuß unterwegs gewesen, bis sie das laute Treiben von Richmond hinter sich gelassen hatte. In einem Landgasthaus hatte sie eine herzhafte Mahlzeit bekommen, hungrig von dem langen Marsch. Und dort war sie auch auf die Familie Cantwell gestoßen – eine matronenhafte Frau, drei adrette Kinderchen und einen schweigsamen Mann mit Brille –, die in einer hübschen privaten Kutsche reiste. Virginia hatte mit der Familie an einem Tisch gesessen und somit unweigerlich die Gespräche mit angehört; so erfuhr sie, dass die Cantwells die kränklichen Eltern des Ehemanns in Richmond besucht hatten. Jetzt befanden sie sich auf der Rückreise nach Norfolk, und das bedeutete, dass sie unmittelbar an Sweet Briar vorbeifuhren.

Virginia hatte einem der Kinder die Nase geputzt und rasch die Aufmerksamkeit von Mrs. Cantwell auf sich gezogen. Natürlich gab sie vor, älter zu sein, als sie war, und behauptete, ebenfalls ihre kranke Mutter in Richmond besucht zu haben. Damit nicht genug, denn sie log den Leuten vor, verheiratet zu sein und nun die Rückreise zu ihrem Gemahl anzutreten. Geistesgegenwärtig hatte sie noch rasch den Ring ihrer Mutter auf den Ringfinger ihrer linken Hand geschoben, um ihre Geschichte glaubwürdig erscheinen zu lassen. Als Mrs. Cantwell Virginias Reiseziel erfahren hatte, hatte sie ihr angeboten, sie in der Kutsche mitzunehmen; nicht ohne Hintergedanken, denn sie wollte sich gern unterhalten und hieß anscheinend jeden willkommen, der ihr mit den Kindern behilflich war.

Jetzt hielt die Kutsche an einer Wegkreuzung; ein Schild wies nach Norfolk, auf den anderen stand Land’s End, Four Corners und Sweet Briar. Ihr Herz pochte so ungestüm in ihrer Brust, dass sie sich ein wenig schwach fühlte. Fünf Meilen entfernt lag ihr Zuhause. Nur fünf Meilen …

„Sie müssen Ihren Gemahl sehr vermissen“, fügte Mrs. Cantwell mitfühlend hinzu.

Virginia erwachte aus ihrer stillen Freude. Sie wandte sich um und ergriff die Hände der blonden Frau. „Haben Sie Dank, dass ich bei Ihnen mitfahren durfte, Mrs. Cantwell. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

„Sie haben mir sehr mit den Kindern geholfen!“, erwiderte Mrs. Cantwell. „Und wenn wir nicht fast zu Hause wären, würde ich darauf bestehen, Sie bis nach Sweet Briar zu bringen, damit wir Ihren wundervollen Gemahl kennenlernen können.“

Virginia errötete schuldbewusst – in so kurzer Zeit war sie nicht nur eine Diebin, sondern auch eine geschickte Lügnerin ge­worden; wie sehr sie sich dafür hasste! „Darf ich Ihnen ­schreiben?“, fragte sie spontan. Und sogleich fasste sie den Entschluss, der herzens­guten Mrs. Cantwell in einem Brief die ganze Wahrheit zu sagen und sich nochmals bei ihr und ihrem Gemahl zu bedanken.

„Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören“, sagte die Dame und strahlte über das ganze Gesicht.

Die beiden Frauen umarmten sich. Dann nahm Virginia die kleine Charlotte in den Arm, kniff dem jungen William keck in die Wange und winkte Thomas zu. Natürlich bedankte sie sich auch bei Mr. Cantwell, der die Zügel hielt. Und als die Kutsche sich wieder in Bewegung setzte, glaubte Virginia zu hören, wie er zu seiner Frau sagte: „Also irgendetwas ist merkwürdig an dieser jungen Dame. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie noch nicht alt genug für die Ehe ist!“

Virginia lächelte spitzbübisch. Dann breitete sie laut lachend die Arme aus und drehte sich ausgelassen im Kreise, bis ihr so schwindlig wurde, dass sie in die Hocke gehen musste. Doch sie lachte immer noch vor Freude. Sie war daheim!

Schnell erhob sie sich wieder, richtete ihr Bündel und lief den staubigen Weg hinunter. Die fünf Meilen zogen sich schier endlos hin, aber jedes einzelne Feld, jeder von frischem Frühlingsgrün überzogene Hügel und jeder dahinplätschernde Bachlauf beflügelte ihre Schritte. Außer Atem und erhitzt, gewahrte sie endlich das wunderschön gearbeitete Holzschild, das zwischen zwei stattlichen Backsteinsäulen hing: SWEET BRIAR stand dort eingraviert in großen Lettern. Ein langer, staubiger und leicht ansteigender Weg führte von der Einfahrt bis zu dem Wohnhaus. Beiderseits des Hauses standen die roten Scheunen, in denen der Tabak getrocknet wurde, und daneben die weiß getünchten Sklavenunterkünfte. Dahinter erstreckten sich die großen, fruchtbaren Anbauflächen mit ihrer braunen, sandhaltigen Erde.

Virginia ließ ihr Bündel fallen, raffte die Röcke und rannte den Weg entlang zum Haus. „Tillie!“, schrie sie aus Leibeskräften. „Ich bin es, Tillie! Ich bin wieder zu Hause!“

Frank, Tillies Ehemann, spannte soeben vor dem Haus einen Wagen an und sah sie als Erster. Mit offenem Mund starrte er in Virginias Richtung. „Miss Virginia, sind Sie das?“

Hinter ihm erschienen die kleinen Zwillinge und machten große Augen. Dann sah Virginia aus den Augenwinkeln, wie sich die Haustür öffnete und Tillie auf die Veranda trat. Doch es war zu spät, denn da war sie bereits in Franks Armen gelandet. „Traust du etwa deinen Augen nicht mehr?“, rief sie und drückte den Schwarzen so fest an sich, dass ihm fast die Luft wegblieb. „Natürlich bin ich das! Wer sonst?“ Sie trat einen Schritt zurück und lachte den großen jungen Mann an.

„Gütiger Gott, diese feine Schule hat gewiss keine Dame aus Ihnen gemacht, Miss“, sagte Frank mit einem Grinsen.

„Du meinst wohl ‚Gott sei Dank‘, nicht wahr?“, neckte Virginia ihn. „Rufus, Ray, kommt her und lasst euch drücken, oder erkennt ihr mich nicht mehr?“

Die beiden eher scheuen Burschen kamen angelaufen und umklammerten Virginias Beine. Tränen brannten ihr in den Augen, als sie sich bückte, um die Jungen in den Arm zu nehmen.

Dann spürte sie, dass Tillie hinter ihr stand, und drehte sich langsam um.

Tillie lächelte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Im Gegensatz zu Virginia war sie eine große Frau mit einer sehr weiblichen Figur und einem hübschen Gesicht. „Ich wusste, dass du wiederkommen würdest“, wisperte sie.

Die beiden jungen Frauen umarmten sich.

Als Virginia ihre Freudentränen wieder unter Kontrolle hatte, trat sie zurück und lächelte. „Meine Füße schmerzen“, sagte sie. „Und ich verhungere schon! Wie geht das Brennen voran? Habt ihr Wurzelfäulnis entdeckt? Und wie sehen die Setzlinge aus?“ Immer noch lächelnd, wischte sie sich die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht.

Doch Tillie erstarb das Lächeln auf den Lippen. Ihre golden schimmernden Augen wirkten so furchtbar ernst.

„Tillie?“, fragte Virginia vorsichtig, denn der Blick ihrer Freundin behagte ihr ganz und gar nicht. Eine unbestimmte Furcht kroch in ihr hoch. „Bitte sag mir, dass alles in Ordnung ist.“ Von Unglücksfällen hatte sie wahrlich genug. Unmöglich konnte sie einen weiteren Schicksalsschlag ertragen.

Tillie umklammerte Virginias Arme. „Sie verkaufen die ganze Plantage – und alles, was dazu gehört.“

Virginia wähnte sich in einem bösen Traum. „Was sagst du da?“, flüsterte sie ungläubig.

„Master Hughes war verschuldet, und jetzt hat dein Onkel einen Agenten hergeschickt, der begonnen hat, alles zu verkaufen … das Land, das Haus, die Sklaven, die Pferde, einfach alles.“

Virginia schrie auf. Ein furchtbarer Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus, der so heftig war, dass sie ins Taumeln geriet. Tillie musste sie stützen.

„Aber was rede ich da“, versuchte Tillie ihre Freundin abzulenken. „Da bist du, noch dünner als sonst, hungrig wie ein Wolf im Winter, und ich belaste dich mit unseren Sorgen! Komm, Virginia, du brauchst eine warme Mahlzeit und ein heißes Bad. Dann reden wir weiter. Du kannst mir erzählen, wie es ist, eine feine Dame zu sein!“

Virginia war nicht in der Lage, irgendetwas zu erwidern. Dies musste ein furchtbarer Traum sein – es konnte unmöglich die Wirklichkeit sein. Sweet Briar konnte nicht zum Verkauf stehen.

Virginia trug ihr bestes Sonntagskleid. Tapfer lächelte sie Frank an, der sie nach Norfolk gefahren hatte. Sie strich den blauen Rock glatt, richtete den Mantel und rückte die Haube zurecht. Eigentlich waren ihr die Kleider ihrer Mutter ein wenig zu groß gewesen, aber Tillie und zwei andere Sklavinnen hatten die halbe Nacht über genäht, bis alles richtig saß. Jetzt zwang Frank sich zu einem Lächeln, aber es gelang ihm nicht. Virginia wusste, warum – er hatte furchtbare Angst, dass seine Frau und die Kinder an einen anderen Plantagenbesitzer verkauft würden und er sie nie wiedersehen würde.

Aber dazu sollte es nicht kommen. Virginia wollte nichts unversucht lassen, um den Verkauf von Sweet Briar zu verhindern – und dafür gedachte sie sich an Charles King zu wenden, den Präsidenten der First Bank of Virginia, der ein guter Freund ihres Vaters gewesen war. Sie schluckte schwer und spürte, dass ihre Hände vor Aufregung feucht waren. So viel stand nun auf dem Spiel. Eine neue Woge der Angst überflutete sie. Aber Charles King war immer ein guter Freund der Familie gewesen, und nun würde er in ihr nicht mehr das Kind, sondern eine verantwortungsvolle junge Dame sehen. Ganz bestimmt würde er ihr den nötigen Kredit gewähren, mit dem sie die Schulden ihres Vaters begleichen und Sweet Briar retten könnte.

Gott, wie sie ihren Onkel, den Earl of Eastleigh, hasste! Einen Mann, den sie gar nicht kannte. Er hatte es nicht einmal für nötig befunden, mit ihr über die prekäre Situation der Plantage zu sprechen. Dabei gehörte sie doch ihr! Jedenfalls solange Sweet Briar nicht vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag verkauft würde …

Wieder kamen ihr die Jahre bis zu ihrer Volljährigkeit wie eine Ewigkeit vor.

„Miss Virginia“, sagte Frank plötzlich und hielt sie am Arm zurück, als sie gerade das imposante, aus Kalk- und Backsteinen errichtete Bankgebäude betreten wollte.

Virginia hielt inne, der Magen krampfte sich ihr vor Angst zusammen. Dennoch rang sie sich ein kleines Lächeln ab. „Es könnte dauern – aber ich hoffe, dass es schnell geht.“

„Darum geht es nicht“, antwortete er schroff. Er war ein großer, gut aussehender Mann. Tillie hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt, vor fünf Jahren. Keine sechs Monate später hatte Frank Randall Hughes um Erlaubnis gebeten, Tillie zu heiraten, und Virginias Vater hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. „Ich habe Angst, Miss Virginia, Angst, was aus Tillie und meinen Jungs wird, wenn Sie heute den Kredit nicht bekommen.“

Virginia war sich stets darüber im Klaren gewesen, wie groß die Verantwortung war, die sie nun gegenüber Sweet Briar und den Bewohnern hatte, aber jetzt drohte die schwere Bürde sie zu erdrücken. Zweiundfünfzig Sklaven waren von ihr abhängig, viele davon noch im Kindesalter. Tillie, ihre beste Freundin, war auf sie angewiesen, genau wie Frank. „Ich werde diesen Kredit bekommen, Frank. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Offenbar klangen ihre Worte überzeugend, denn Franks Augen weiteten sich erwartungsvoll, und er zog den Hut vor ihr.

Virginia schenkte ihm ein weiteres aufmunterndes Lächeln und betrat die Bank.

Gleich im Eingangsbereich umfing sie eine angenehme Kühle. Zwei Kunden warteten vor dem Schalter des Kassierers, und weiter vorne stand ein Angestellter hinter einem Pult. Tiefer im Raum saß Charles King hinter einem großen Schreibtisch. Als der Bankier aufschaute und Virginia im Eingang erblickte, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen.

Das ist der Moment, dachte sie, und reckte das Kinn stolz empor. Ihr Lächeln kam ihr merkwürdig gequält vor, als sie die Lobby durchmaß und den hinteren Bereich der Bank betrat.

Mr. King erhob sich. Er war ein beleibter, gut gekleideter Mann, der noch eine altmodische gepuderte Perücke trug, deren graue Haare am Hinterkopf zu einem kleinen Zopf zusammengebunden waren. „Virginia! Meine Liebe, für einen Moment glaubte ich, deine Mutter zu sehen, Gott schenke ihrer Seele Frieden.“

Ihr Vater hatte ihr oft gesagt, dass sie ihrer Mutter ähnelte, aber Virginia hatte den Beteuerungen nie geglaubt, weil ihre Mutter so schön war. Allerdings stimmte es, dass sie das gleiche, beinahe schwarze Haar und die violett leuchtenden Augen ihrer Mutter besaß. Sie reichte dem Bankier die Hand. „Ein Trugbild bei diesem Licht, nehme ich an“, sagte sie und war selbst ganz beeindruckt von ihrem damenhaften Auftritt. Schließlich galt es, Mr. King davon zu überzeugen, dass aus ihr eine fähige junge Dame geworden war.

„Ja, das mag sein. Ich dachte, du besuchst die Schule in Richmond. Aber tritt näher – wolltest du mich sprechen?“, fragte er, wobei er sie zu seinem Schreibtisch und den hohen Lehnstühlen führte, die für seine Kunden bestimmt waren.

„Ja, deswegen bin ich gekommen“, erwiderte Virginia und umklammerte das elegante Retikül aus schwarzem Samt, das einst ihrer Mutter gehört hatte.

Mr. King lächelte, bedeutete ihr, Platz zu nehmen, und bot ihr Tee an. Virginia lehnte dankend ab. „Wie gefällt dir das Stadtleben, Virginia?“, erkundigte er sich. Ihre Blicke trafen sich, und Virginia glaubte, Besorgnis in den Augen des Bankiers zu entdecken. Offenbar sah man ihr an, wie lange sie um ihre Eltern getrauert hatte, und jetzt drückte sie noch die Sorge über Sweet Briar schwer nieder.

Virginia zuckte die Schultern. „Ich finde es … ansprechend. Aber Sie wissen ja, wie sehr mein Herz an Sweet Briar hängt – es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre.“

Charles King blickte sie einen Moment an, dann setzte er eine sehr ernste Miene auf. „Du bist eine kluge junge Frau, und daher gehe ich davon aus, dass du weißt, dass dein Onkel die Plantage verkauft.“

Virginia wollte sich schon vorbeugen und zornig ausrufen, dass der Earl kein Recht dazu habe. Doch sie blieb reglos sitzen, bis ihr aufwallender Zorn sich wieder gelegt hatte. Trotzdem sagte sie, was sie dachte: „Dazu hat er kein Recht.“

„Ich fürchte doch. Immerhin ist er dein Vormund.“

Virginia saß steif auf ihrem Stuhl. „Mr. King, ich bin gekommen, um Sie um einen Kredit zu bitten, damit ich die Schulden meines Vaters begleichen und den Verkauf von Sweet Briar verhindern kann.“

Der Bankier blinzelte.

Sie lächelte ihn unsicher an. „Von klein auf habe ich meinem Vater bei der Bewirtschaftung der Plantage geholfen. Niemand vermag Tabak besser zu pflanzen, zu ernten und zu verkaufen als ich. Ich versichere Ihnen, Sir, dass ich Ihnen den Kredit samt Zinsen so rasch wie möglich zurückzahle. Ich …“

„Virginia“, warf Charles King beschwichtigend ein.

Panik ergriff sie. Sie sprang auf. „Auch wenn ich eine Frau und erst achtzehn Jahre alt bin, so weiß ich doch, wie Sweet Briar geführt wird! Niemand außer meinem Vater könnte das besser als ich! Ich schwöre Ihnen, Sir, ich zahle Ihnen jeden Cent zurück! Wie viel Geld bräuchte ich, um die Schulden meines Vaters zu begleichen?“, rief sie verzweifelt.

Mr. King bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Mein liebes Kind, seine Schulden belaufen sich auf schwindelerregende zweiundzwanzigtausend Dollar.“

Der Schreck war so groß, dass Virginia glaubte, ihr würde das Herz stehen bleiben. Die Knie waren ihr weich geworden, und so sank sie kraftlos zurück auf den Lehnstuhl. „Nein“, hauchte sie schwach.

„Ich habe lange mit dem Agenten deines Onkels gesprochen. Er heißt Robert Blount, und ich glaube, er wird bald zurück nach England segeln, wenn alle Angelegenheiten geregelt sind. Sweet Briar ist keine lukrative Plantage, Virginia“, fuhr er behutsam fort. „Dein Vater musste herbe Rückschläge hinnehmen, Jahr um Jahr. Selbst wenn ich so leichtfertig wäre, einer jungen und unerfahrenen Dame eine solche Summe zu leihen, so hättest du keine Möglichkeit, mir das Geld jemals zurückzuzahlen – nicht durch den Verkauf des Tabaks. Es tut mir leid. Sweet Briar zu verkaufen, ist die einzig kluge Option.“

Mühsam erhob Virginia sich wieder, tief getroffen und verzweifelt. „Nein. Ich kann den Verkauf nicht zulassen. Sweet Briar gehört mir. Warum wollen Sie mir nicht helfen? Ich würde Ihnen alles zurückzahlen, irgendwie, eines Tages! Ich habe mein Wort noch nie gebrochen, Sir! Verstehen Sie denn nicht, dass dies das Einzige ist, was mir auf der Welt geblieben ist?“

Sie schloss die Augen, am ganzen Leib bebend. Dann sah sie dem Bankier in die Augen. „Bitte geben Sie mir das Geld. Wenn Sie meinen Vater und meine Mutter gemocht haben, dann helfen Sie mir jetzt. Bitte!“

„Es tut mir leid. Ich kann nicht. Ich kann eine solche Summe nicht einfach einer jungen Frau leihen, die ihr ganzes Leben nicht in der Lage sein wird, der Bank das Geld zurückzuzahlen.“

Fassungslos starrte sie den untersetzten Mann an. Er begann, etwas von einem Neuanfang zu erzählen, doch sie wandte sich abrupt ab und stürmte aus dem Bankgebäude. Sie zitterte am ganzen Leib, und Tränen der Verzweiflung schossen ihr in die Augen. Das kann nicht wahr sein, dachte sie. Es musste doch noch eine Möglichkeit geben!

„Miss Virginia? Geht es Ihnen gut?“ Frank berührte sie zaghaft am Ellbogen. Seine Stimme klang besorgt.

Sie sah ihm in die schwarzen Augen, blieb ihm indes eine Antwort schuldig – denn mit einem Mal hatte sie eine Idee, von der sie nicht mehr loskam.

Ihr Onkel war ein Earl.

Adlige waren wohlhabend.

Sie würde sich das Geld von ihm leihen!

„Miss Virginia?“ Frank übte mehr Druck auf ihren Arm aus.

Virginia löste sich aus seinem Griff und starrte auf die geschäftige Straße. Sie nahm indes kein einziges Fuhrwerk, keine Kutsche und keinen Fußgänger wahr.

Sie hatte keinen Zweifel, dass ihr Onkel über die Mittel verfügte, um Sweet Briar zu retten. Er war ihre letzte Hoffnung.

Allerdings hatte er bisher offensichtlich nicht den Wunsch gehabt, die Plantage zu retten, denn sonst hätte er längst etwas in dieser Richtung unternommen. Das bedeutete, dass sie ihn persönlich sprechen musste. Ein Brief reichte da nicht aus. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Irgendwie würde sie das Geld für die Überfahrt aufbringen, auch wenn sie dafür einen Teil der kostbaren Juwelen ihrer Mutter verkaufen müsste. Dann würde sie ihren Onkel davon überzeugen, Sweet Briar zu retten und nicht zu verkaufen. Sie würde ihn auf Knien anflehen und sogar einen wildfremden Mann heiraten, solange ihr Onkel sich bereit erklärte, die Schulden ihres Vaters zu begleichen.

Sie wusste, dass sie es schaffen könnte. Wie ihr Vater immer so treffend bemerkt hatte: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Einen starken Willen hatte sie schon immer gehabt. Jetzt musste sie nur noch den Weg finden.

2. KAPITEL

1. Mai 1812

London

Autor

Brenda Joyce
<p>Brenda Joyce glaubt fest an ihre Muse, ohne die sie nicht New-York-Times-Bestseller-Autorin hätte werden können. Ihre Ideen treffen sie manchmal wie ein Blitz – zum Beispiel beim Wandern, einem ihrer Hobbys neben der Pferdezucht. Sie recherchiert für ihre Historicals so genau, dass sie auch reale historische Figuren und sogar echte...
Mehr erfahren