Winterhochzeit

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Entsetzt erfährt die schöne Hero: Für 10.000 Pfund will ihr Vater sie verheiraten - ausgerechnet an den Earl of Calverstock, dem ein höchst zweifelhafter Ruf vorauseilt! Temperamentvoll sträubt sie sich gegen sein Ansinnen, zumal ihr doch kürzlich im Dorf ein Gentleman begegnet ist, der seitdem ihre romantische Fantasie beflügelt. Wer war dieser attraktive Fremde? Könnte er sie nicht vor einer Ehe ohne Liebe bewahren? Die Antwort erhält die Braut wider Willen, als sie zum ersten Mal ihrem zukünftigen Gatten, dem berühmt-berüchtigten Earl of Calverstock, entgegentritt…


  • Erscheinungstag 18.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754112
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Fassungslos starrte Hero ihren Vater an.

„Heiraten?“, rief sie aus. Lauter, als sie beabsichtigt hatte, hallten ihre Worte von den Wänden wider, denn der fadenscheinige Teppich und die fast leeren Bücherschränke in der großen Bibliothek verstärkten den Klang ihrer Stimme mehr, als sie ihn dämpften. „Du wünschst, dass ich mich vereheliche, Papa?“

Baron Polhembury warf ihr über seinen Schreibtisch hinweg einen gebieterischen Blick zu. „Ich wünsche es nicht – ich befehle es dir, Miss!“

„Aber du wolltest doch, dass ich hier in Polhembury Hall bleibe und mich um den Haushalt kümmere! Warum soll ich jetzt plötzlich diese Verbindung eingehen?“ Unmutig fügte sie hinzu: „Noch dazu mit jemandem, den ich nicht kenne. Einem Mann, der einen denkbar schlechten Ruf genießt.“

„Wäre es dir lieber, wenn ich Polhembury Hall verlieren würde?“, fragte ihr Vater sarkastisch. „Was dann aus dir werden soll, weiß ich allerdings nicht – du stehst nicht mehr in der Blüte deiner Jugend und nennst keinen einzigen Penny dein Eigen.“

„Es ist nicht mein Fehler“, gab Hero leise zurück, „dass ich mit dreiundzwanzig noch keinen Gatten habe – auch nicht, dass du wegen deiner Schulden vor dem Ruin stehst.“

„Nein, Tochter, dafür trage ich die Verantwortung. Das gestehe ich freimütig ein“, erklärte der Baron würdevoll und wischte seine Verfehlungen mit einer Handbewegung beiseite. „Darum gib mir nun die Möglichkeit, den Schaden wieder gutzumachen. Ich habe einen Gentleman von Rang und mit ansehnlichem Vermögen gefunden, der bereit ist – nein, der darauf brennt –, dich zur Gemahlin zu nehmen. Im Gegenzug zu meiner Zustimmung zu eurer Verbindung wird er meine Schulden begleichen. Damit wären alle Probleme zur Zufriedenheit geregelt.“ Der Baron erhob sich aus seinem Sessel. „Ich dulde keine Widerworte. Du wirst den Earl of Calverstock heiraten“, befahl er.

„Aber ich werde diesen Mann nie lieben können!“, sprudelte Hero heraus, während unwillkürlich das Gesicht des Fremden, mit dem sie vor ein paar Tagen im Dorf auf der Schwelle des Kramladens zusammengestoßen war, vor ihrem inneren Auge erschien.

Ihr Korb war ihr aus der Hand gefallen. Der Fremde hatte sie entschuldigend angelächelt, und es war ihr erschienen, als erleuchte dieses charmante Lächeln sein ernstes Gesicht von innen. Heros Herz hatte angefangen, schneller zu schlagen, als sie in seine grauen Augen blickte, und sie war rot geworden.

„Pardon, Madam! Wie gedankenlos von mir“, hatte der Gentleman gemurmelt und sich galant vor ihr verneigt. Dann war er in die Hocke gegangen und hatte eigenhändig die Pflaumen aufgelesen, die aus dem Korb herausgekullert waren. Sein hervorragend gearbeiteter Gehrock aus feinem dunklen Tuch ließ auf einen Mann von Geschmack und Reichtum schließen. Mit einem Zwinkern hatte er ihr schließlich den gefüllten Korb überreicht.

Hero, die in ihrem verwaschenen blauen Baumwollkleid verlegen dastand, war nur zu einem knappen „Danke, Sir!“ in der Lage gewesen, hatte jedoch einen kleinen Knicks zu Stande gebracht.

Das Gerede von der Liebe auf den ersten Blick war ihr immer als romantischer Unsinn erschienen, doch diesen Mann hätte sie respektieren, bewundern, sogar lieben können, wie sie augenblicklich begriff. Noch nie war ihr jemand wie er begegnet. Und das würde wohl auch nie wieder geschehen, so abgeschieden wie Polhembury Hall gelegen war.

„Liebe?“ Der Baron riss Hero aus ihren Gedanken. „Was hat eine Heirat denn damit zu tun? Es wird höchste Zeit, dass du diese Schulmädchenvorstellungen hinter dir lässt, Tochter! Du hast offenbar zu viele Romane gelesen.“

Mit einem geringschätzigen Schnauben wandte er seine Aufmerksamkeit dem Brief zu, der vor ihm auf der Schreibtischplatte lag. Hero folgte seinem Blick. Als Erstes fiel ihr das geprägte Wappen am Kopf der Seite auf. Die auffällig kühnen Schriftzüge darunter zeugten von großer Selbstsicherheit.

„Seine Lordschaft wird morgen hierher kommen“, erklärte Baron Polhembury. „Veranlasse alles Nötige. Und zieh bitte dein bestes Kleid an.“

„Das grüne Reitkostüm? Aber es ist viel zu warm bei diesem Wetter“, erwiderte Hero unwillig. „Ich werde mein gelbes Musselinkleid tragen – aber das heißt nicht, dass ich einer Heirat zustimme“, betonte sie.

„Du hast gar keine andere Wahl, mein Kind“, meinte der Baron leichthin und wedelte sie aus dem Raum.

Ich bin kein Kind mehr, dachte Hero trotzig, während sie nach oben eilte und Zuflucht in ihrem Zimmer suchte. Die Entschiedenheit, mit der ihr Vater auf dieser Eheschließung bestand, besorgte sie. Welche Vereinbarung er wohl mit dem Earl of Calverstock getroffen hatte? Einem ehemaligen Sträfling, wie sie in Gedanken abfällig hinzufügte, der den Titel von einem Onkel geerbt hatte! Einem solchen Mann war alles zuzutrauen. Und ihrem Vater auch. Ich will ihn nicht heiraten, dachte sie. Lieber brenne ich durch.

Der Gedanke hob ihre Stimmung und ließ ihre Augen aufleuchten. Es würde schwierig sein, aber es wäre machbar. Sie konnte Mathilda nicht mitnehmen. Ihr altes Kindermädchen ging auf die sechzig zu und wurde von Rheumatismus geplagt. Und wenn sie allein reiste?

Hero verfügte über kein eigenes Geld, und die Haushaltskasse für diesen Monat war schon fast leer. Sonst hätte sie von Exeter aus die Postkutsche nach London nehmen können, wo die Schwester ihrer verstorbenen Mutter lebte. Früher war öfter davon die Rede gewesen, dass Hero bei der Tante wohnen und ihr Debüt geben könne, aber es war bei vagen Plänen geblieben. Ihr Vater hatte auf die Dienste seiner Tochter in Polhembury Hall nicht verzichten wollen. Bis jetzt. Er muss in einer verzweifelten Lage sein, wenn es ihn derart pressiert, sich seiner Schulden zu entledigen, dachte Hero erbost.

Nun, er würde in Zukunft allein zurechtkommen müssen, ob sie nun heiratete oder weglief. Selbst wenn ich zu Fuß gehen muss, überlegte die junge Frau, werde ich irgendwie nach London kommen. Vielleicht kann ja Bessy mich begleiten.

Sie verwarf diesen Gedanken ebenso schnell, wie er ihr gekommen war. Das junge Hausmädchen besaß keine Manieren und war ein wenig zurückgeblieben. Als ihr der Korb mit den Pflaumen zu Boden gefallen war, hatte sie einen spitzen Schrei ausgestoßen und mit großen Augen gerufen: „Ach, Miss Hero! Und das, wo es so gefährlich war, sie zu pflücken!“ Der fremde Gentleman dagegen – er hat sich sofort gebückt, um das verstreut liegende Obst einzusammeln, erinnerte sie sich. Ihr Herz zog sich sehnsüchtig zusammen.

Nein, dachte Hero und rief sich zur Vernunft, Bessy wäre nur ein Klotz am Bein. Nachdem der Bruder des Mädchens wegen Diebstahls zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt und deportiert worden war, hatte das Mädchen anscheinend seinen gesunden Menschenverstand eingebüßt. Ben war dabei ertappt worden, wie er Gemüse aus dem Garten der Polhemburys stahl. Hero hatte ihren Vater damals bestürmt, den jungen Mann nicht anzuzeigen, da die Familie am Verhungern war, aber Lord Polhembury hatte sich nicht erweichen lassen.

„Ben Foster davonkommen lassen?“, hatte er geschnaubt. „Du bist viel zu weichherzig, Hero! Denk doch einmal an die Zukunft: Was würde passieren, wenn Foster sich nicht für seine Tat verantworten müsste? Es wäre ein Freibrief für die anderen Dienstboten, uns nach Strich und Faden auszunehmen. Und wir würden in kürzester Zeit am Bettelstab gehen! Ihn davonkommen lassen – also wirklich!“

So war Ben verurteilt und in die Strafkolonie New South Wales auf der anderen Seite der Erde deportiert worden. Bessys Vater war kurz darauf gestorben, seine Mutter und die jüngeren Geschwister waren lange auf die Armenfürsorge angewiesen gewesen. Hero hatte ihnen, von Gewissensbissen geplagt, ab und an Essen vorbeigebracht.

Schließlich, vor etwas über einem Jahr, hatte sich das Schicksal der Familie überraschend zum Guten gewendet. Mrs. Foster hatte in Gloucestershire eine Stellung als Haushälterin gefunden. Wie es zu diesem Angebot gekommen war, war ihr selbst ein genauso großes Rätsel wie Hero, aber sie hatte die Position angetreten und alle ihre Kinder mitgenommen, außer Bessy, die in Polhembury bleiben wollte. Das Mädchen weigerte sich, in die Fremde zu gehen, sogar in Gesellschaft ihrer Familie. Nein, Bessy kam als Begleiterin nicht infrage.

Hero grübelte weiter. An Hauspersonal gab es in Polhembury Hall noch die Köchin und den Diener, der als Butler und Bote diente. Die schwere Hausarbeit wurde von Frauen aus dem Dorf verrichtet. Hero konnte keinen von ihnen bitten, sie zu begleiten.

Junge Damen reisten nicht allein, das wusste sie, aber eigentlich war sie alt genug, um auf sich selber aufzupassen, und wenn ihre Tante sie aufnahm, würde sich jeder mögliche Klatsch bald legen.

Dafür gab es natürlich keine Garantie. Hero konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie ihre Tante Augusta aussah. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie sie nicht mehr gesehen. Ein vager Eindruck von einer ziemlich einschüchternden Dame war ihr haften geblieben, die flüchtige Erinnerung an eine Frau, die beileibe nicht so sanft und liebevoll wie ihre Mutter gewesen war.

Wenn ich erst in London bin, werde ich weitersehen, machte sie sich Mut. Sie würde jedenfalls nicht bleiben und sich mit Lord Calverstock verheiraten lassen.

„Ausgeschlossen, Miss“, erklärte Mathilda einige Zeit später mit Nachdruck und schüttelte energisch den Kopf. „Für eine junge Dame wie Sie ist es vollkommen unmöglich, allein zu reisen. Schlagen Sie sich das besser aus dem Kopf!“

Mathilda war, solange sich Hero zurückerinnern konnte, ihre Vertraute gewesen. Jetzt sah die alte Bedienstete sie ratlos an. Sie war gekommen, um Hero dabei zu helfen, sich zum Dinner umzuziehen, und hatte ihren Schützling beim Packen ihrer Reisetasche vorgefunden.

Hero machte eine hilflose Geste. „Ich muss weg, Mathilda, verstehst du nicht? Papa hat gedroht, mich mit einem Mann zu verheiraten, den ich nicht einmal flüchtig kenne.“

„Vielleicht gefällt er Ihnen ja, Miss“, wandte die Dienerin ein.

„Gefallen? Er ist ein Verbrecher, soviel ich weiß! War er nicht in New South Wales?“, gab Hero düster zurück. „Was muss dieser Lord Calverstock für ein Mann sein! Er hat ein Vermögen geerbt und verprasst es jetzt beim Spielen und Wetten!“

„Zähmen Sie Ihre Zunge, Miss Hero“, tadelte Mathilda sie. „Das ist nur dummer Klatsch, den Sie da wiederholen.“

„Etwas Wahres wird schon daran sein“, meinte die junge Dame ungerührt.

„Ben Foster ist auch deportiert worden“, erinnerte Mathilda sie. „Er war im Grunde seines Herzens ein anständiger junger Kerl – so wie wahrscheinlich viele andere. Was hat Seine Lordschaft denn verbrochen?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Hero und warf wütend ihre Kreuzbandschuhe und ein Nachthemd in die Tasche. „Aber es muss etwas wirklich Schlimmes gewesen sein, wenn man ihn deportiert hat.“

Mathilda zögerte. „Wenn Sie unbedingt nach London wollen, werde ich mit Ihnen kommen“, sagte sie schließlich. „Ich könnte es mir mein Leben lang nicht vergeben, wenn Ihnen auf der Reise etwas zustoßen würde. Ich habe Ihrer Mutter, Gott hab sie selig, versprochen, dass ich mich um Sie kümmere. Und das werde ich auch tun.“

„Ach, Mathilda!“ Hero warf der älteren Frau einen liebevollen Blick zu. „Ohne dich wäre es hier in Polhembury sicher nicht zum Aushalten gewesen. Aber mich auf dieser langen, unkomfortablen Reise zu begleiten – ein solches Opfer kann ich wirklich nicht von dir verlangen! Papa würde dich entlassen, das weißt du. Und ich kann dich nicht anstellen. Aber sobald ich mich eingerichtet habe, werde ich nach dir schicken, das verspreche ich dir!“

„Ich begleite Sie, Miss Hero, und dabei bleibt es. Aber müssen Sie wirklich schon heute Nacht aufbrechen? Warum warten Sie nicht, bis Sie Lord Calverstock gesehen haben? Schaden kann es doch nichts. Und wenn Sie ihn partout nicht wollen und Ihr Vater trotzdem auf einer Heirat besteht, dann werden wir morgen Abend gemeinsam von hier fortgehen. Was meinen Sie?“

„Ich weiß nicht recht.“ Hero war über den Vorschlag nicht glücklich, indes fehlten ihr die Argumente dagegen. Schließlich nickte sie. „Einverstanden. Es stimmt, es schadet nichts, wenn ich mir den Mann erst einmal ansehe.“

Mathilda strahlte. „Dann werde ich jetzt Ihr gelbes Musselinkleid bügeln.“

„Danke. Aber die Tasche packe ich nicht wieder aus. Ich habe den Verdacht, dass ich trotz allem gezwungen sein werde, bei meiner Tante Zuflucht zu suchen.“

„Zu ihr wollen Sie?“ Mathilda war einerseits erleichtert, dass ihre Herrin nicht die Absicht hatte, die Familie in Verruf zu bringen, hegte aber andererseits Bedenken: „Sie hat selbst Töchter, und ich weiß nicht, ob sie schon verheiratet sind. Sie sind eine Schönheit, Miss Hero. Wenn die Mädchen nicht bereits verlobt sind …“

Hero lachte. „Was redest du denn da, Mathilda! Ich bin doch nicht schön. Mein Haar ist fast schwarz, nicht goldblond, und meine Augen sind von einem ganz gewöhnlichen Braun, weder groß noch blau. Und außerdem bin ich längst eine alte Jungfer.“

„Ihre Augen leuchten, Miss Hero, und Ihr Haar ist dicht und lockig und glänzt so schön, wenn es wie jetzt frisch gewaschen ist. Unterschätzen Sie Ihre Reize nicht. Und Sie sind auf keinen Fall eine alte Jungfer! Der Earl würde sonst ja wohl kaum um Ihre Hand anhalten, oder?“

Mathilda war daran gewöhnt, ihrem Zögling offen ihre Meinung zu sagen, und häufig war sie ausgesprochen direkt. Aber noch nie zuvor hatte sie so lobende Worte über ihr Aussehen verloren.

Vielleicht bin ich ja wirklich nicht völlig unansehnlich, dachte Hero, die nie stolz auf ihr Äußeres gewesen war, ja eher darunter gelitten hatte, da es so gar nicht dem geltenden Schönheitsideal entsprach. Allerdings glaubte sie, eine ganz passable Figur zu haben, denn sie war wohlgerundet und hatte Kurven an den richtigen Stellen.

Das gelbe Musselinkleid, das sie anziehen wollte, schmeichelte ihren Formen, obwohl der Schnitt etwas aus der Mode war. Dennoch war Hero unschlüssig. Für Calverstock wollte sie gar nicht hübsch aussehen. Doch es war besser, den Wünschen des Vaters erst einmal Folge zu leisten. Aufbegehren konnte sie nach dem Treffen mit dem Earl immer noch.

Der Earl of Calverstock würde am Nachmittag eintreffen, kurz nach dem leichten Lunch, den Hero wie üblich um zwei Uhr servieren ließ.

Nachdem sie ein paar Bissen gegessen hatte, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um sich umzuziehen. Es war heiß und stickig. Überall im Haus standen die Fenster offen.

„Wie froh bin ich, eine Frau zu sein“, erklärte Hero, während Mathilda die letzten Häkchen an ihrem Kleid schloss. „Ich werde nie verstehen, warum die Herren sich bei dieser Hitze unter ihren schweren Fräcken und Westen nicht in Schweiß auflösen!“

„Dafür müssen sie im Winter weniger leiden“, gab Mathilda zurück und begann Hero zu frisieren. „Dann ist es ihnen warm, während die Damen in ihren dünnen Chemisenkleidern frieren.“

„Wir können uns zur Not mit einem Schal vor der Kälte schützen. Doch wie schützt man sich vor Hitze?“ Gelassen betrachtete Hero im Spiegel, wie die Zofe ihr üppiges Haar kämmte. „Mein Teint wird ihm nicht gefallen“, bemerkte sie kritisch. „Ich war zu oft an der Sonne. Vielleicht will er mich ja gar nicht zur Frau. Dann wäre es vorbei mit diesem grässlichen Handel.“ In einem Anflug von Verzweiflung wandte sie sich zu Mathilda um. „Wie konnte mir Vater das antun? Wie kann er erwarten, dass ich einen Verbrecher heirate? Einen ehemaligen Sträfling? Oh Gott!“

Die alte Frau ließ die Hände sinken. „Er ist ein Earl, meine Liebe.“

„Pah! Seine Mutter ist jedenfalls nicht von Stand. Was hat sich mein Vater nur dabei gedacht?“

„Dünkel und Übermut stehen einer Dame nicht gut zu Gesicht“, wies Mathilda sie zurecht. „Es steht außer Zweifel, dass seine Mutter aus gutem Hause war.“

Hero zuckte mit den Schultern. „Gleichwohl. Ich will gar nicht daran denken. Zum Mann nehmen werde ich so jemanden auf keinen Fall.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. „Beeile dich bitte. Er wird gleich da sein.“

Mathilda steckte die letzten Haarnadeln fest. Zwei weiche Strähnen umrahmten lose Heros Gesicht. Nach ein paar weiteren Handgriffen meinte die Zofe: „Fertig, Miss.“ Sie trat einen Schritt zurück. „Sie sehen sehr hübsch aus. Wenn er Sie verschmäht, muss er ein Narr sein.“

„Offensichtlich würde er mich ja sogar unbesehen heiraten“, murmelte Hero. „Ich frage mich nur, warum.“

„Sie werden Polhembury Hall erben, wenn Ihr Vater stirbt“, spekulierte Mathilda.

„Aber Calverstock hat genug eigenen Landbesitz. Und das Gut ist im derzeitigen Zustand ohnehin nichts wert.“

„Es könnte rentabel bewirtschaftet werden.“

„Möglicherweise. Aber erst müsste man eine Menge Geld investieren“, gab Hero zurück und verließ ihr Schlafgemach, um nach unten zu gehen.

Nein, ich verstehe wirklich nicht, warum er unbedingt mich zur Frau will, dachte sie, während sie sich zum Morgensalon begab. Dieser Raum wurde meist als Empfangszimmer benutzt, da mangels Hauspersonal nur ein kleiner Teil von Polhembury Hall in wohnlichem Zustand gehalten werden konnte. Durch die offen stehende Tür waren Stimmen zu hören. Heros Pulsschlag beschleunigte sich. Ein Blick auf den Tisch in der Eingangshalle, auf dem ein Hut und eine Reitgerte lagen, bestätigte ihre Vermutung. Ja, der Earl of Calverstock war bereits erschienen und unterhielt sich mit ihrem Vater.

Plötzlich tönte es aus dem Salon: „Sie stimmen mir sicher zu, dass die zehntausend Pfund, die nötig sein werden, um Ihre Schulden zu tilgen, für Ihre Einwilligung zur Heirat ausgesprochen großzügig bemessen sind, Mylord. Sie sollten daher zusätzlich die Pferde in Ihren Ställen in den Ehevertrag aufnehmen, denn Sie werden für die Tiere nicht aufkommen können, ohne sich weitere Schulden aufzuladen.“

„Aber …“, entsetzte sich der Baron.

Der Earl unterbrach ihn ungerührt. „Behalten Sie einfach ein Arbeitspferd, um Ihre Güter zu inspizieren. Unter uns gesagt – Ihr Besitz ist in einem traurigen Zustand. Sie werden gezwungen sein, die Erträge Ihres Landes erheblich zu steigern, damit Sie davon leben können. Und vergessen Sie nicht: Es gibt nur eine Alternative zu meinem Vorschlag – Untersuchungshaft und Schuldgefängnis. Sie haben die Wahl.“

Hero lief es trotz der Hitze kalt den Rücken hinunter. Obwohl sie sich oft gewünscht hatte, dass jemand ihrem Vater einmal die Meinung sagte – dass ein dahergelaufener Strolch wie der Earl of Calverstock es wagte, ihn mit kaum verhohlener Verachtung zu behandeln, machte sie wütend. Sie war fest davon überzeugt, dass die finanziellen Schwierigkeiten ihres Vaters zu einem nicht geringen Teil von Calverstock mit verursacht worden waren.

Schlagartig wurde Hero bewusst, dass ihr tatsächlich keine Wahl blieb. So wenig er es auch verdiente, so schmerzhaft es für sie auch sein mochte, sie musste ihren Vater vor dem Schuldgefängnis retten. Er hatte das Geld mit Sicherheit beim Glücksspiel verloren. Zehntausend Pfund, ein Vermögen! Das heruntergewirtschaftete Gut war nicht einmal die Hälfte dieser Summe wert. Sie war buchstäblich sein letzter Einsatz.

Mit hoch erhobenem Haupt und ebenso aufgebracht wie furchtsam schritt Hero über die Türschwelle.

Der Baron stand am Kamin und konnte offenbar noch immer nicht fassen, dass ihm seine Pferde weggenommen werden sollten. Hero würdigte ihren Vater keines weiteren Blicks. Ihre Augen waren auf den großen Fremden gerichtet, der mit dem Rücken zum Fenster stand. Dunkel zeichnete sich seine Silhouette gegen das grelle Sonnenlicht ab.

Der Schock des Wiedererkennens ließ sie für einen Moment den Atem anhalten. Der fremde Gentleman aus dem Laden im Dorf! Er trug wieder den eleganten dunklen Gehrock, dieselben Pantalons. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam Hero.

„Da bist du ja, meine Liebe!“, rief ihr Vater und versuchte seine Bestürzung zu überspielen. „Seine Lordschaft ist bereits eingetroffen, wie du siehst. Mylord“, wandte er sich an den Mann am Fenster, „dies ist meine Tochter. Hero, das ist Lord Calverstock, der Gentleman, den ich für dich ausgesucht habe.“ Der Besucher bewegte sich einen Schritt auf sie zu und verbeugte sich. „Miss Hero“, begrüßte er sie knapp.

Jetzt konnte sie sein Gesicht sehen. Es war von Sorgenfalten gezeichnet. Diesmal spielte kein Lächeln um seine Mundwinkel und erhellte seine Züge. Ohne jede Gefühlsregung sah er sie an.

Hero hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Mit Mühe entsann sie sich ihrer guten Erziehung, machte den obligatorischen Knicks und äußerte tonlos: „Mylord.“

Wie Lord Calverstock zeigte auch sie mit keiner Regung, dass man sich kannte. Aber der Mann, an den sie so oft hatte denken müssen, hatte mit dem Earl, der nun vor ihr stand, überhaupt nichts gemeinsam. Wie habe ich nur von einem Wiedersehen träumen können, fragte sie sich enttäuscht.

„Hätten wir dann alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt, Mylord?“, erkundigte sich der Baron fahrig und warf seiner Tochter einen warnenden Blick zu. „Bleibt es bei dem, was wir ausgemacht haben?“

„Sofern Miss Hero damit einverstanden ist, mich zu heiraten. Haben Sie irgendwelche Einwände, Miss?“

Ärger schwang in seiner Stimme mit, ein Ärger, den Hero nicht verstehen konnte – er war es schließlich, der sie ehelichen wollte. Fast hätte sie ihm auf den Kopf zu gesagt, dass sie durchaus etwas gegen die Abmachung hatte, die beide Männer über ihren Kopf hinweg geschlossen hatten, die aber ihre ganze Zukunft betraf. Doch Klugheit und Anstand verboten eine derartige Reaktion. Wie sehr wünschte sie sich in diesem Moment, sie wäre wie geplant am Vorabend geflohen! Aber auch das hätte nichts genutzt. Um ihren Vater vor dem Schuldgefängnis zu bewahren, hätte sie in jedem Fall zurückkommen und Lord Calverstock heiraten müssen.

Voll Verachtung sah Hero ihren zukünftigen Gatten an. „Nein, Mylord, ich habe keine Einwände.“

„Gut. Hervorragend!“ Die Erleichterung in Baron Polhemburys Stimme war unüberhörbar. „Der Pfarrer wird sicher bald eintreffen. Haben Sie die Sondergenehmigung dabei, Mylord?“, fragte er besorgt.

Calverstock nickte, griff in seine Brusttasche und zog ein offiziell wirkendes Schreiben hervor.

In diesem Augenblick kam auch schon der Hausbursche, um den Geistlichen anzukündigen. Erst nach ein paar Schrecksekunden wurde Hero klar, dass sie keine Zeit haben würde, ihre Meinung noch einmal zu ändern. In wenigen Minuten würde sie, zum Guten oder Schlechten, mit dem Earl verheiratet sein.

Die Hochzeitsvorbereitungen waren denkbar schnell erledigt: Der Pfarrer, der die Spannung zwischen den Anwesenden nicht bemerkte, nahm die Sondererlaubnis entgegen und fragte: „Und wer sind die Trauzeugen?“

Seine Gattin wüsste genau, was ich gerade fühle, dachte Hero traurig. Sie und Mrs. Cudlip waren im Laufe der Jahre so etwas wie Freundinnen geworden. Hero hatte die mütterliche, sanfte Pfarrersfrau oft auf ihren Visiten zu den Armen und Kranken begleitet. Was würde Mrs. Cudlip von dieser Eheschließung halten?

Trübe Gedanken schossen ihr durch den Kopf, während der Bräutigam erwiderte: „Benbow, mein Kammerherr, und die Köchin werden die Zeugen abgeben.“ Calverstock wandte sich an den Baron: „Die beiden können auch gleich Ihre Unterschrift unter dem Ehevertrag beglaubigen, Lord Polhembury. Meine Anwälte haben das bei meiner Unterschrift schon erledigt.“ Er deutete auf ein Dokument, das auf einem Tisch in der Nähe lag – ohne Zweifel war es die Ursache für ihre vorangehende Diskussion gewesen. „Sie müssen unterzeichnen, bevor ich Ihre Tochter eheliche.“

Hero öffnete den Mund, um vorzuschlagen, statt der Köchin Mathilda hinzuzuziehen, und schloss ihn dann wortlos wieder. Ihre alte Kinderfrau würde ihren Kummer erkennen und sie bemitleiden. Und nichts konnte Hero im Moment weniger ertragen.

Ihr Vater schickte den Burschen los, um die Zeugen aus dem Domestikenzimmer zu holen. Das gesamte Personal hatte sich dort versammelt und gemeinsam darüber gerätselt, was die Herrschaft wohl vorhatte. Als die Köchin und der Kammerdiener schließlich als Trauzeugen in den Salon gerufen wurden, baten die übrigen Bediensteten darum, auch bei der Zeremonie anwesend sein zu dürfen. Es wurde ihnen gestattet.

Mathilda sah sie fragend an, als sie mit den anderen hereinkam, und Hero lächelte verkrampft zurück, fragte sich aber, wie lange sie die Tränen noch zurückhalten konnte, die ihr in die Augen stiegen. Dann richtete die Zofe ihren Blick auf den Earl. Ein Ausdruck der Erleichterung überzog ihr runzliges Gesicht. Sie weiß ja nicht, was für ein Mensch er ist, dachte Hero bitter. Alles, was Mathilda sah, war ein bemerkenswert eleganter Mann von dreißig Jahren.

Im Beisein der Zeugen setzte Baron Polhembury seine Unterschrift unter den Ehevertrag. Dann begann die Trauung. Hero gab die erforderlichen Antworten, genau wie ihr Bräutigam, dessen voller Name, wie sie erst jetzt erfuhr, Andrew Wystan Challoner lautete. Im Laufe weniger Minuten wurde dieser Andrew, der fünfte Earl of Calverstock, zu ihrem rechtmäßigen Gatten.

„Sie dürfen die Braut jetzt küssen“, erklärte der Geistliche fröhlich, nachdem er das Paar gesegnet hatte.

Der Earl tat, was von ihm erwartet wurde, und neigte sich zu Hero. Kurz berührten seine Lippen die seiner Braut. Hero zuckte zurück. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Für einen kurzen Moment verschwamm alles vor ihren Augen.

„Holt Getränke!“, rief ihr Vater derweil aus dem Hintergrund. „Wir müssen einen Toast ausbringen. Und zur Feier des Tages gibt es für die Dienerschaft eine Runde Bier in der Küche!“

Stimmengewirr erhob sich. Alles drängte nach vorn, um Hero zu gratulieren. Die Köchin knickste und schmetterte laut: „Alles, alles Gute, Miss Hero. Wir werden Sie vermissen. Aber es ist schön, dass Sie doch noch einen guten Mann gefunden haben.“

„Danke, Mrs. Blackler“, brachte Hero über die Lippen. Sie wusste die Zuneigung zu schätzen, die die Bedienstete mit ihren Worten zum Ausdruck brachte. Allerdings zweifelte sie daran, dass die Glückwünsche der Köchin den Umständen angemessen waren.

Mathilda, die von den Vorrechten Gebrauch machte, die ihre lange Dienstzeit und ihre besondere Stellung im Haushalt mit sich brachten, trat auf sie zu und gab ihr einen Kuss, bevor sie zu Calverstock sagte: „Ich werde meine Herrin begleiten. Ich hoffe, dass Sie sie glücklich machen, Mylord.“

Der Earl reagierte gelassen. „Ob sie glücklich wird oder nicht, liegt ganz bei ihr“, erwiderte er ernst.

Mathilda sah ihn prüfend an, dann nickte sie zufrieden. „Gut. Ich werde für Mylady packen.“

„Es besteht kein Grund zur Eile“, erklärte Calverstock. „Meine Gattin wird heute Nacht noch in ihrem Elternhaus bleiben. Sorgen Sie einfach dafür, dass ihr Gepäck morgen früh bereitsteht. Ich werde um sechs Uhr mit der Equipage vorfahren.“ Er wandte sich an Hero, die diesen Wortwechsel ungläubig mitverfolgt hatte. „Wir werden morgen nach London aufbrechen“, erklärte er ihr. „Ich denke, Sie haben keine Einwände, Madam?“

„Nein“, erwiderte Hero mit erstickter Stimme und wich seinem Blick aus. Sie war nicht nur erstaunt, sie war immens erleichtert, dass er keine Eile zeigte, eheliche Pflichterfüllung anzumahnen.

Auch die übrigen Dienstboten gratulierten Hero, bevor sie den Raum verließen. Lediglich der Kammerherr des Earl blieb und versorgte die Anwesenden auf Geheiß des Barons mit Erfrischungen. Hero wurde ein Glas Sherry gereicht, ihr Vater, der Pfarrer und Calverstock tranken Brandy. Ein Toast wurde ausgebracht. Während ihr Mann sich angeregt mit Mr. Cudlip unterhielt und der Baron gelegentlich eine Bemerkung einwarf, schlenderte Hero mit dem Glas, an dessen Inhalt sie kaum genippt hatte, ans offen stehende Fenster und wandte den Anwesenden den Rücken zu, bemüht, die Tränen zurückzukämpfen.

Schließlich war der Höflichkeit Genüge getan. Die Herren verabschiedeten sich voneinander. Der Earl of Calverstock kam zu ihr. „Wir werden morgen lange unterwegs sein“, sagte er.

Er wirkt, als hätte er noch nie im Leben gelächelt oder gar gelacht, dachte Hero. Betont desinteressiert sah sie ihn an.

„Ich möchte auf dem Weg nach London nur einmal übernachten. Lassen Sie Ihre Kammerfrau eine kleine Tasche mit all den Dingen packen, die Sie benötigen.“

Hero nickte und schwieg weiterhin.

„Dann verabschiede ich mich jetzt, Madam. Ich werde morgen um sechs hier sein.“ Er verneigte sich und wandte sich an ihren Vater. „Die Pferde nehme ich gleich mit, Polhembury – zwei Jagdpferde und ein Packpferd, wie wir vereinbart haben.“

„Sie sind ein zäher Verhandlungspartner“, knurrte der Baron. „Mir lassen Sie einen Ackergaul, und Sie nehmen sich alle guten Tiere. Aber“, er deutete widerwillig nach draußen, „sie gehören Ihnen. Machen Sie mit ihnen, was Sie wollen. Guten Tag, Mylord.“

Es verletzte Hero mehr, als sie sich eingestehen wollte, dass ihr Vater den Verlust seiner kostbaren Pferde mehr zu bedauern schien als die Tatsache, dass sie ihn verlassen würde.

„Ich muss mich nun ebenfalls von Ihnen verabschieden“, meinte der Pfarrer gravitätisch, nachdem der Earl aufgebrochen war. „Ich gratuliere Ihnen, Lady Calverstock, und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Mrs. Cudlip lässt Ihnen Glückwünsche ausrichten. Sie hofft, dass Sie sie aufsuchen, wenn Sie uns in Polhembury beehren.“

„Wie schade, dass ich ihr nicht persönlich Lebewohl sagen kann. Aber ich werde ihr schreiben, richten Sie das Ihrer Gattin bitte aus.“

Als sie schließlich allein waren, wandte sich Hero mit einer verzweifelt hilflosen Geste zu ihrem Vater um. „Ist dir eigentlich klar, in was für eine Situation du mich gebracht hast, Vater?“, fragte sie. „Wie konntest du nur so töricht sein, mit Calverstock zu spielen und dir ein Vermögen abnehmen zu lassen, das du gar nicht besitzt.“

„Ich habe nicht mit dem Earl gespielt! Sicher, wenn ich in London bin, wage ich mein Glück ab und zu … vielleicht auch um zu hohe Einsätze. Aber ich bin doch nicht so dumm, mich nur bei einem Mann zu verschulden. Ich stand bei mehreren Gläubigern mit größeren Summen in der Kreide. Und dann waren da ein paar Forderungen, die ich vergessen hatte zu begleichen, Schneiderrechnungen und derlei Nichtigkeiten. Du weißt offenbar nicht, wie teuer es ist, unser Zuhause zu unterhalten“, erwiderte er selbstgerecht.

„Wir leben schon seit Jahren von einem sehr kleinen Budget“, fauchte Hero. „Dass du Bankrott bist, hat nichts mit den Rechnungen für Polhembury Hall zu tun!“

Der Baron starrte sie an. „Die Pferde …“

„Die Pferde zu halten war extravagant“, unterbrach ihn Hero wütend. „Wie oft habe ich dich angefleht, die Tiere endlich zu verkaufen. Wir können uns den Stall nicht leisten!“

„Nun, jetzt sind sie weg. Stimmt dich das nicht zufrieden?“, gab er pikiert zurück und ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich schuldete niemandem so viel, dass er mir das Messer an die Kehle hätte setzen können“, fuhr er fort. „Dass alle, an die ich beim Kartenspielen Geld verlor, die Beträge zur gleichen Zeit zurückhaben wollten, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich wäre schon über die Runden gekommen, wenn Calverstock nicht alle Forderungen aufgekauft und meine Spielschulden und Rechnungen beglichen hätte. Die Höhe der Summe hat sogar mich erstaunt“, jammerte er.

„Was hat Calverstock getan?“ Hero traute ihren Ohren nicht. Ihre Wut richtete sich nicht mehr nur gegen ihren Vater, sondern auch gegen ihren Gatten. „Und er wollte zum Ausgleich meine Hand? Warum?“

„Ich weiß es nicht.“ Ihr Vater zuckte mit den Schultern. „Als er verlangte, dass ich die Riesensumme begleiche, und ich ihm offenbarte, dass ich zahlungsunfähig sei, stellte er mich vor die Wahl, ins Schuldgefängnis zu gehen oder meine Einwilligung zu der Heirat zu geben. Der Himmel weiß, warum er dich wollte, aber zum Teufel, Tochter: Ich bin verdammt froh, dass es so ist, denn du bist wirklich keine gute Partie!“

2. KAPITEL

„Sie haben Glück. Ihr Gatte ist ein sehr netter Gentleman“, gratulierte Mathilda ihrer Herrin, als sie ihr wenig später beim Auskleiden half.

„Mathilda!“, rief Hero ungläubig.

„Und ich habe das Gefühl, dass Sie ihm nicht gleichgültig sind, Miss Hero … Pardon, Mylady“, fügte Mathilda unbeirrt hinzu.

Entgeistert sah Hero sie an. „Ist das zu glauben? Ich bin gegen meinen Willen mit ihm verheiratet worden. Er hat meinen Vater ruiniert. Und du … du findest ihn … nett!“ Die Einschätzung ihrer Zofe brachte sie auf. „Hast du nicht gesehen, wie er mich betrachtet hat? Voll Verachtung. Wie einen Wurm, den es zu zertreten gilt! Von Zuneigung habe ich nichts gespürt!“

„Nun, Ihre Blicke waren auch nicht gerade freundlich“, erklärte Mathilda geradeheraus. „Schon gut, Mylady.“ Beschwichtigend hob sie die Hand. „Ich sage ja nicht, dass Sie keinen Grund dazu haben zu grollen. Alles war ein wenig überstürzt. Und die Umstände … Aber je eher Sie herausfinden, warum er Sie geheiratet hat, und je früher Sie sich mit der Situation abfinden, desto besser.“

Hero war nicht in der Stimmung, sich wohlgemeinte Ratschläge anzuhören. „Für Calverstock bin ich nichts weiter als der Gegenstand eines Tauschhandels! Und wenn du weiter für ihn Partei ergreifst, dann wäre es vielleicht besser, du bliebest hier in Polhembury!“

„Das ist nicht Ihr Ernst!“, rief Mathilda, die augenblicklich bedauerte, Hero ins Gewissen geredet zu haben, solange sie noch so aufgewühlt war. „Ich versuche doch nur, Ihnen klarzumachen, dass es klug wäre, auch die guten Seiten dieser Verbindung zu sehen. Calverstock ist trotz seiner Vergangenheit ein feiner, gut aussehender junger Mann. Seine Familie ist alt, und sein Name gilt etwas in der Gesellschaft. Und natürlich bin ich auf Ihrer Seite, meine Liebe.“ Sie lächelte Hero aufmunternd zu. „Kommen Sie, Madam, ich werde Ihr Haar ausbürsten.“

Hero entspannte sich, sobald Mathilda sich an die Arbeit machte, und hing ihren Gedanken nach. Was würde passieren, wenn die erste Reiseetappe auf dem Weg nach London hinter ihnen lag? Sie mussten unterwegs übernachten. Heute hatte er sein Recht auf ihren Körper noch nicht geltend gemacht – aber würde er auch morgen Abend darauf verzichten? Und in der Nacht darauf, wenn sie in seinem Stadthaus waren? Geringschätzigkeit hatte in seinen Blicken gelegen, als er sie gemustert hatte.

Es war ihr kaum möglich gewesen, ihn anzusehen. Er hatte so erschreckend abweisend gewirkt. Und auch wenn sie ihn jetzt verachtete – seine markanten Gesichtszüge und seine autoritäre Ausstrahlung wühlten sie auf merkwürdige Weise auf.

Noch lange nachdem sie zu Bett gegangen war, lag sie wach und lauschte den Geräuschen, die Mathilda beim Packen machte. Die meisten Kleider, die sie besaß, waren zu abgetragen, als dass sie sie mitnehmen konnte, aber sie brauchte eine Wechselgarnitur. Und das grüne Samtkleid. Die Geräusche wurden leiser, und endlich schlief Hero ein.

Sie hatte das Gefühl, höchstens ein paar Minuten geschlafen zu haben, als Mathilda sie am nächsten Morgen weckte. „Stehen Sie auf, Mylady, Sie sollten Seine Lordschaft nicht warten lassen!“, befahl die Bedienstete gutmütig und stellte eine Tasse heißer Schokolade auf den Nachttisch neben ihrem Bett.

„Wie spät ist es?“, murmelte Hero verschlafen. Dann durchzuckte es sie wie ein Blitz. Seine Lordschaft! Ihr wurde flau im Magen. Mit einem Mal war sie hellwach. Natürlich – heute würde sie die Reise nach London antreten.

„Es ist schon fünf Uhr, Madam. Auf dem Waschstand steht heißes Wasser bereit.“

Hero stand auf, wusch sich, kleidete sich an und war abfahrbereit, als vor dem Haus eine Kutsche zu hören war. „Ich muss Papa noch Lebewohl sagen“, erklärte sie ihrer Zofe, während sie nach unten eilte.

Das Hauspersonal, sogar der Gärtner und die Stallknechte hatten sich in der Eingangshalle versammelt, um sie zu verabschieden. Hero sah sich verwundert um.

„Der Baron hätte herunterkommen und Ihnen Auf Wiedersehen sagen sollen“, murmelte Mathilda, die selten so alt und müde ausgesehen hatte wie an diesem Morgen. Hero schaute sie schuldbewusst an. Die Bedienstete hatte bestimmt nicht länger als drei oder vier Stunden geschlafen.

„Ach, er steht doch nie vor zehn Uhr auf, außer wenn er jagen will“, nahm Hero ihren Vater in Schutz und versuchte ihre Enttäuschung darüber zu verbergen, dass er nicht die kleinste Anstrengung für sie zu machen bereit war.

„Ich gehe und hole ihn“, bot der alte Stallknecht Ned Tribble an, der auch als Kammerdiener fungierte, wenn es erforderlich war.

„Nein“, meinte Hero. „Ich gehe selbst.“ Ihr Ehemann stand, wie sie aus den Augenwinkeln sah, bereits in der Eingangstür. Gegen die Morgensonne wirkte seine Silhouette groß und bedrohlich. Sie nickte Seiner Lordschaft knapp zu und sagte förmlich: „Wenn Sie mich entschuldigen, Mylord, ich möchte mich noch von meinem Vater verabschieden.“

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern eilte nach oben zum Schlafzimmer des Barons. Als keine Antwort auf ihr Klopfen kam, öffnete sie die Tür und trat ein.

Baron Polhembury lag angezogen auf seinem Bett und schnarchte. Eine leere Brandyflasche in seiner schlaffen Hand verriet, in welchem Zustand er sich befand.

Autor

Sarah Westleigh
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