Wo das Glück geboren wird

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Die junge Hebamme Gabriella ist fassungslos: Bei Dr. Rafael Moreno ist selbst die launischste Diva in der Hollywood Hillc Clinic sanftmütig! Gabriella braucht diesen neuen, umwerfend attraktiven Chefarzt nicht auf ihrer Station – oder doch?


  • Erscheinungstag 18.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508483
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Hundemüde starrte Gabriella Cain auf das Chaos und seufzte leise. Ihre zweite Doppelschicht in dieser Woche mochte offiziell beendet sein, aber als leitende Hebamme würde sie diese Unordnung nicht einfach der nächsten diensthabenden Kollegin überlassen.

Allerdings brauchte sie nur an die Zwillinge zu denken, die sie einer überglücklichen Hollywoodschauspielerin und dem stolzen Vater in die Arme gelegt hatte, und schon verspürte sie neue Energie. Wie eine Küche, in der nie gekocht wurde, konnte ein Entbindungszimmer auch nur ordentlich aussehen, wenn dort keine Babys zur Welt kamen! Und das wäre doch sehr traurig.

Gabby bezog das Bett mit der feinen Wäsche aus ägyptischer Baumwolle, die die Hollywood Hills Klinik für ihre anspruchsvollen Klienten bereithielt. Danach faltete sie saubere Decken zusammen und stapelte sie im Wärmeschrank. Aufräumen wollte sie zum Schluss und dabei gleich überprüfen, welches Material sie eventuell nachbestellen musste.

Schließlich bückte sie sich nach aufgerissenen Verpackungen und allem anderen, was den Boden übersäte. Sie kam jedoch nicht weit. Die Doppelschwingtüren flogen auf, und eine Liege wurde eilig ins Zimmer gerollt. Gabby hörte die Frau darauf stöhnen und gleichzeitig die Stimme der Rezeptionistin.

„Gabby? Bist du hier?“

„Ja, Stephanie.“ Sie richtete sich auf und erkannte Cameron Fontaine, die prominente Schauspielerin und eine der schwierigsten Patientinnen, die sie je gehabt hatte. Und ihr Entbindungstermin war erst in acht Wochen! „Cameron? Was ist passiert?“

„Ich glaube, das Baby kommt. Es ist viel zu früh, oder? Ich habe solche Angst! Tun Sie etwas!“

Gabby wurde mulmig zumute. Ja, es war zu früh. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Wehen noch nicht eingesetzt hatten, dass das Kind lebendig und gesund zur Welt kommen möge. Nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken, als sie zu ihrer Patientin eilte und ihre Hand nahm. „Beruhigen Sie sich. Wir bringen Sie ins Bett, und dann sehe ich mal nach, was los ist, ja?“

Cameron nickte und klammerte sich buchstäblich an Gabbys Finger, während die Sanitäter sie auf das Bett hoben.

Die zweiunddreißigste Schwangerschaftswoche war definitiv zu früh! „Stephanie, du weißt, welcher Gynäkologe Rufbereitschaft hat. Wir brauchen ihn so schnell wie möglich!“

Die Rezeptionistin eilte davon, und die Sanitäter verließen ebenfalls den Raum. Gabby griff zum Blutdruckmessgerät. „Ich werde Puls und Blutdruck messen und Sie dann kurz untersuchen.“

„Wissen Sie dann, ob das Baby kommt?“

„Falls der Muttermund erweitert ist, ja. Weshalb dachten Sie, dass die Geburt einsetzt? Haben Sie Wehen?“

„Nicht … nicht direkt.“ Cameron legte die Hand auf den Bauch und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die sicher noch nie ein Zuschauer zu sehen bekommen hatte. „Ich hatte Krämpfe, so ähnlich wie die Senkwehen, die Sie mir beschrieben haben. Und mein Bauch wurde hart. Als es nicht wegging, habe ich die Klinik angerufen.“

„Das war genau richtig.“

„Der Hubschrauber hat ewig gebraucht. Mindestens fünf Minuten länger als damals, als ich gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen war. Ich musste drei Mal anrufen, und das hat sie wohl auf Trab gebracht.“

Gabby unterdrückte ein Lächeln. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Telefonate verlaufen waren. „Sehen wir erst einmal nach, wie es Ihrem Baby geht.“

Mit dem Stethoskop horchte sie Camerons Bauch ab und atmete auf, als sie den kindlichen Herzton hörte. Dann zog sie ein Paar Einmalhandschuhe aus der Spenderbox.

„Die gute Nachricht ist, dass die Fruchtblase noch intakt ist“, sagte sie ein paar Minuten später. „Das heißt, die Geburt ist noch nicht weit fortgeschritten. Aber Ihr Muttermund hat sich auf zwei Zentimeter geöffnet.“

„Und das bedeutet, es geht los?“ Camerons Stimme klang eine Note schriller.

„Nicht unbedingt“, versuchte Gabby die Schauspielerin zu beruhigen. „Mit den entsprechenden Medikamenten lässt sich der Prozess verlangsamen oder auch ganz stoppen. Ich lege Ihnen einen intravenösen Zugang, damit wir Sie mit allem Nötigen versorgen können. Unter anderem auch mit Glukokortikoiden, um die Lungenreife Ihrer Kleinen zu fördern, falls sie große Sehnsucht nach Mommys Armen hat. Es ist wichtig, dass Sie sich nicht aufregen. Wir tun alles, damit es ihr gut geht.“

„Ich will Dr. Crane sehen. Wo bleibt sie denn?“

„Darum kümmere ich mich gleich.“ Sie tätschelte Cameron die Schulter. „Entspannen Sie sich. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber Sie wollen bestimmt nicht, dass Ihr Blutdruck durch die Decke geht und Ihrem Baby Stress bereitet.“

„Können Sie mir vorher etwas zu trinken bringen? Ich bin völlig ausgedörrt.“ Theatralisch fasste sich Cameron an die Kehle und räusperte sich geziert. „Ich hätte gern artesisches Wasser mit einem Spritzer Limonensaft. Das haben Sie doch da, oder?“

In jedem Zimmer stand ein kleiner, gut bestückter Edelstahlkühlschrank. Eine Krankenschwester hier am Hollywood Hills, die früher Barkeeperin gewesen war, hatte Gabby gezeigt, wie man den Limonenschnitz über den Glasrand zog. Gabby füllte das verlangte Quellwasser ein und reichte Cameron das Kristallglas. Wie eine Verdurstende griff sie danach und leerte es in einem Zug.

„Ich bin gleich wieder da“, erklärte Gabby.

Auf dem Weg zu Stephanie kam sie an dem sanft plätschernden Wasserspiel vorbei, das in der Mitte des gläsernen Atriums stand und der Eingangshalle das Ambiente eines Luxushotels verlieh. Tief atmete Gabby den dezenten Duft nach Lavendel und Sandelholz ein. War sie vorhin noch todmüde gewesen, hatte der Adrenalinstoß bei Camerons Ankunft sie wieder hellwach gemacht.

„Ist der Arzt schon unterwegs, Stephanie? Wer hat Rufbereitschaft?“

„Das wollte ich gerade herausfinden, als James anrief. Cameron hatte vom Hubschrauber aus mit ihm telefoniert, damit er Frau Dr. Crane Bescheid sagt. Aber sie ist zurzeit nicht in der Stadt, also hat James einen guten Freund gefragt, einen Dr. Moreno.“

„Einen Freund? Was soll das heißen?“

„Er scheint ein international anerkannter Gynäkologe zu sein, und nicht nur das – stell dir vor, er soll ein Prinz sein, aus einer Fürstenfamilie im Mittelmeerraum. Ist das nicht aufregend?“ Stephanies Augen glänzten verträumt. Was Gabby wunderte, denn die Empfangsdame der Hollywood Hills Klinik sah hier jeden Tag Superstars aus und ein gehen. „Er hält sich gerade in Kalifornien auf, und James glaubt, dass es Ms. Fontaine gefallen wird, von einem Prinzen behandelt zu werden.“

Gabby liebte ihre Arbeit in dieser Klinik, aber in diesem Moment hätte sie James Rothsberg am liebsten auf den Kopf zugesagt, dass die Qualität der medizinischen Behandlung immer noch wichtiger war als der gesellschaftliche Status eines Arztes, mit dem James zufällig dick befreundet war. Dabei hatte James Rothsberg die Klinik unter der Maxime gegründet, für jeden Patienten und jede Patientin die bestmögliche Versorgung anzubieten.

„Na gut, schick ihn zu uns, sobald er da ist.“ Sie eilte wieder zu ihrer Patientin. „Der Arzt kommt gleich“, erklärte sie. „Ich muss Sie jetzt kurz piksen, um den Zugang zu legen.“ Es fiel ihr nicht leicht, aber sie ignorierte die Unordnung. Im Moment hatte sie Wichtigeres zu tun, als aufzuräumen.

„Es ist doch hoffentlich Dr. Crane?“ Die Schauspielerin zuckte dramatisch zusammen und stieß einen Schmerzenslaut aus, als die Nadel in ihre Vene glitt. „Sie kennt mich gut, und ich möchte keinen anderen Arzt.“

„Leider ist Dr. Crane nicht in der Stadt, aber dieser Arzt ist ein persönlicher Freund von Dr. Rothsberg. Und er ist nicht nur ein exzellenter Geburtshelfer, sondern auch ein Prinz.“

„Ein Prinz?“ Statt einen Wutanfall zu bekommen, weil sie ihren Willen nicht bekam, lächelte sie erfreut. „Wie nett. Ein Prinz wird sicher verstehen, wie wichtig mein Baby für die Welt ist.“

Weil ein Prinz und das Kind einer egozentrischen Filmdiva wichtiger waren als andere Menschen? Heftige Gefühle kochten in Gabby hoch. Sie mochte kaum glauben, dass Cameron das wirklich ernst meinte. Nicht nur, weil es mehr als arrogant war, sondern weil jedes Baby kostbar war!

Sie nahm sich zusammen. „Ich bin nicht sicher, wann Dr. Moreno eintreffen wird. Wir sollten mit der Infusion beginnen. Ist Ihr Bauch immer noch gespannt und hart? Haben Sie noch diese krampfartigen Schmerzen?“

„Ja, ja, aber nicht so schlimm. Ich finde, wir warten auf diesen Prinzen.“ Sprach’s, griff zur Fernbedienung und schaltete einen Spielfilmkanal ein. Im nächsten Moment schenkte sie Gabby das Megawattlächeln, mit dem sie in jede Kamera strahlte. „Oh, sehen Sie, das ist einer von meinen!“, rief sie aus. „Mein Lieblingsfilm!“

„Cameron …“ Gabby rang um Geduld. „Wir sollten nicht warten, bis Dr. Moreno diese Infusion anordnet. Denn das wird er auf jeden Fall tun. Uns läuft ein bisschen die Zeit davon. Damit die Lungen Ihres Babys gekräftigt werden, empfiehlt sich eine dreimalige Gabe von Glukokortikoiden, und zwischen jeder Dosis sollten mindestens vierundzwanzig Stunden liegen. Je eher Sie die erste bekommen, umso schneller können wir Ihnen die nächste geben.“

„Ich muss gestehen, ich bin etwas nervös. Sie sind eine gute Hebamme, das weiß ich. Wenn Sie meinen, wir sollten anfangen, dann tun Sie’s.“

Ihr Lächeln verblasste, und Gabbys Frust verflog augenblicklich. Cameron war sichtlich angespannt. Vielleicht hatte sie sich mit dem Fernsehen ablenken wollen, um sich der Situation nicht stellen zu müssen. Selbsttäuschung war eine der leichtesten Übungen, wie Gabby aus eigener Erfahrung nur zu gut wusste.

Sie tätschelte beschwichtigend Camerons Arm. „Dann starten wir jetzt gleich. Und ich bin sicher, dass der Doktor jeden Moment hier sein wird.“

Als hätte sie ihn damit heraufbeschworen, klopfte es, und die Tür öffnete sich. Gabby drehte sich um.

Ein atemberaubender Mann betrat das Zimmer, der schönste, den sie je gesehen hatte. Das akkurat geschnittene rabenschwarze Haar schimmerte gepflegt, der südländische Teint bildete einen attraktiven Gegensatz zu dem weißen Arztkittel. Das gestärkte Hemd wies kein Fältchen auf und stand am Kragen offen. Darunter verbarg sich ein breitschultriger, athletisch gebauter Körper. Am faszinierendsten waren jedoch seine Augen … grün wie die Frühlingslandschaft in Seattle nach dem ersten Regen.

Die Luft im Raum schien knapp zu werden, als ihre Blicke sich trafen. Der Kontakt blieb jedoch flüchtig, und Gabby hatte das Gefühl, taxiert und abgetan worden zu sein. Dann sah sich der Arzt kurz um und richtete seine Aufmerksamkeit schließlich auf die Patientin.

Ein Lächeln glitt über seine markanten Züge. „Buenos días.“ Er trat ans Bett, griff nach Camerons Hand und hob sie zu Gabbys Erstaunen zu einem formvollendeten Handkuss an die Lippen. „Ich brauche wohl nicht zu fragen, ob Sie die berühmte Cameron Fontaine sind. Ihr wundervolles Gesicht würde ich überall wiedererkennen. Ich bin Dr. Rafael Moreno.“

„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Doktor“, gurrte Cameron.

„Ihr kleiner Liebling scheint es also eilig zu haben. Man hat mir gesagt, dass es ein Mädchen ist – ein Glückskind, weil es die Schönheit seiner Mutter erben wird. Lassen Sie uns herausfinden, was die Kleine im Schilde führt, ja?“

Du meine Güte, dachte Gabby. Dreht er seinen Charme absichtlich auf, oder ist er immer so?

„Oh bitte!“, antwortete Cameron impulsiv. „Ich kann es kaum erwarten, Ihre Einschätzung zu hören. Sie wissen sicher, was wir tun sollen.“

Gabby wusste nicht, ob sie Dr. Moreno bewundern oder verachten sollte. Die egozentrische Schauspielerin lag ihm buchstäblich zu Füßen. Andererseits hatte er sich Gabby weder vorgestellt noch gefragt, wer sie sei. Der Mann mochte ein Prinz sein, aber sein Auftritt war an Arroganz nicht zu überbieten!

„Erzählen Sie mir, was passiert ist.“ Er setzte sich zu Cameron, hörte aufmerksam zu, während sie lang und breit berichtete, und las dabei die Eintragungen auf ihrer Patientenkarte. Gabby würdigte er keines Blickes, so als wäre sie gar nicht anwesend.

Dr. Moreno schien die Ruhe weg zu haben, und Cameron sonnte sich in seiner Aufmerksamkeit, als er alle möglichen Fragen zu ihrem Leben, ihrer Karriere und ihrer Gesundheit stellte. Die beiden plauderten miteinander, als wären sie auf einer Cocktailparty.

Gabby wurde zunehmend unruhig. Die Minuten verstrichen, und sie fragte sich, wann er endlich mit der medikamentösen Behandlung anfangen wollte. Allerdings musste sie ihm zugutehalten, dass er es schaffte, die Patientin in einen entspannten Zustand zu versetzen.

Als er jedoch zu Handschuhen griff, wohl um eine vaginale Untersuchung vorzunehmen, hatte er bei Gabby gleich wieder verspielt.

„Entschuldigen Sie, Dr. Moreno“, begann sie. „Haben Sie auf der Karte meine Notiz nicht gelesen, dass ich Ms. Fontaine erst vor einer halben Stunde untersucht habe? Dass der Muttermund auf zwei Zentimeter erweitert ist?“

Er wandte sich ihr zu, die Augenbrauen fragend hochgezogen. „Und Sie sind …?“

„Gabriella Cain, leitende Hebamme hier an der Hollywood Hills Klinik.“

„Da Ms. Fontaine nun in meiner Obhut ist, werde ich sie künftig untersuchen. Ich nehme an, Sie wissen, dass häufige Vaginaluntersuchungen bei frühzeitiger Wehentätigkeit kontraindiziert sind?“

Gabby glaubte, sich verhört zu haben. Nur mit Mühe zügelte sie ihren Ärger. „Ja, dessen bin ich mir bewusst, Dr. Moreno. Deshalb bin ich ja der Meinung, dass Sie mit der Untersuchung noch warten sollten. Ich hatte vor, Magnesiumsulfat zu verabreichen, dann Glukokortikoide und anschließend einen Ultraschall zu machen.“

„Ich ziehe es vor, mich nicht auf die Untersuchungen und Meinungen anderer zu verlassen, da das normalerweise nicht im Interesse meiner Patientin liegen kann. Da Sie jedoch Ms. Fontaine schon untersucht haben, werde ich Ihrem Urteil in diesem Fall vertrauen.“ Er wandte sich ab, und Gabby starrte auf seinen Hinterkopf. Seine Patientin? Sie hatte schon öfter mit überheblichen Ärzten zusammenarbeiten müssen, aber dieser hier verdiente wirklich den Titel „Schnösel des Jahres“!

„Es ist gut, dass der Muttermund noch nicht mehr als zwei Zentimeter geweitet ist“, sagte er zu Cameron. „Und obwohl es ein klares Zeichen für den Beginn der Geburt ist, können wir einiges unternehmen, um den Prozess aufzuhalten. Damit Ihr Baby noch ein bisschen wachsen kann.“

„Also geht es doch schon los.“ Cameron biss sich auf die Unterlippe. „Ich hatte so sehr gehofft, dass es noch nicht so weit ist.“

Er stand auf und lächelte charmant auf sie hinunter, bevor er ihre Hand nahm. „Wir tun, was wir können. Aber wenn Ihr Baby partout auf die Welt will, sollten wir vorbereitet sein, und das heißt, dass wir Ihnen etwas geben müssen, das seine Lungenreife fördert. Und wir fangen gleich damit an. Okay?“

„Natürlich. Was immer Sie vorschlagen.“ Cameron schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. „Vielen, vielen Dank, Doktor.“

„Rafael, bitte.“

Gabby war drauf und dran, mit den Zähnen zu knirschen. Als sie vorhin genau die gleiche Behandlung vorschlug, hatte Cameron prompt abgelehnt! Allerdings war es kein Geheimnis, dass die Patientinnen einem Arzt mehr Respekt entgegenbrachten als einer Hebamme. Und wenn er dann nicht nur umwerfend aussah, sondern auch noch ein Prinz war, hatte sie gar nichts mehr zu melden.

„Bien.“ Dr. Moreno wandte sich zu Gabby um, und sein Lächeln machte einer kühlen professionellen Miene Platz. „Kann ich davon ausgehen, dass Sie die Infusionen vorbereitet haben?“ Erneut blickte er sich im Zimmer um und richtete dann seine faszinierenden grünen Augen auf Gabby. „Wahrscheinlich nicht.“ Sein Blick wurde durchdringend. „Als ich vorhin hereinkam, war ich entsetzt, den Raum in diesem unordentlichen Zustand zu sehen. Das passt nicht zu dem herausragenden Ruf der Hollywood Hills Klinik – zumal ich weiß, welche hohen Maßstäbe James Rothsberg ansetzt.“

Das Fass drohte überzulaufen. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Er mochte ein Freund von James und außerdem ein Prinz sein, doch das gab ihm nicht das Recht, hereinzumarschieren wie ein Halbgott in Weiß und sie zu kritisieren, ohne auch nur den Funken einer Ahnung zu haben, was sich hier in den letzten zehn Stunden abgespielt hatte!

„Ich war gerade dabei, nach einer schwierigen Entbindung aufzuräumen, als Cameron hereingerollt wurde. Da es sich offensichtlich um einen Notfall handelte, hielt ich es für wichtiger, mich um sie und ihr Baby zu kümmern. Und die Infusionen sind vorbereitet!“

Sie marschierte zum Schrank, holte alles Notwendige und widerstand nur schwer dem Impuls, ihm die Sachen an den aristokratischen Kopf zu werfen. Als er danach griff, berührten sich ihre Hände flüchtig, und im selben Moment schoss ein Prickeln durch ihren Arm, wie von einem leichten Stromstoß. Gabby weigerte sich, das als ein Zeichen von Anziehungskraft zu deuten. An diesem Mann war nichts Anziehendes!

Äußerlich vielleicht, aber sie interessierte sich nicht für blendend aussehende Männer – geschweige denn für Männer überhaupt.

Leider musste sie zugeben, dass er schnell und geschickt die Medikamente verabreichte und dabei seine Patientin mit einer unbefangenen Unterhaltung ablenkte.

„Fertig“, sagte er schließlich und lächelte Cameron beruhigend an. „Ruhen Sie sich aus, schlafen Sie ein bisschen. Wir beobachten Ihr Baby regelmäßig, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.“

„Danke, Rafael. Ich bin so froh, dass Sie und Gabby sich um mich kümmern.“

Und Gabby war froh, dass eine Kollegin sie bald ablösen würde. Sie brauchte dringend eine ausgiebige Runde Schlaf.

„Was möchten Sie heute Abend essen?“, fragte sie und brachte Cameron die Menükarte und noch ein Glas Wasser. Der Sternekoch der Klinik zauberte frische, erlesene Speisen, mit denen selbst die verwöhntesten Patienten hochzufrieden waren. „Die diensthabende Hebamme wird darauf achten, dass Sie es nachts bequem haben. Morgen früh bin ich dann wieder für Sie da. Und am Nachmittag geben wir Ihnen die nächste Kortikoid-Dosis.“

„Aber ich will keine andere Hebamme.“ Cameron zog einen Schmollmund, und Gabby fragte sich, wie sie es schaffte, dabei so hübsch auszusehen. „Ich möchte, dass Sie heute Nacht bei mir bleiben, Gabby.“

Die Müdigkeit, die sie vorhin verspürt hatte, kehrte mit Wucht zurück. Gabby war überzeugt, dass sie wie ein Pferd im Stehen schlafen würde, wenn sie nur die Augen schloss. Sie sehnte sich unbeschreiblich nach ihrem Bett, aber sie kannte auch Cameron und ihre Ansprüche. Die Hollywood Hills Klinik war für ihre außergewöhnliche medizinische und pflegerische Betreuung bekannt, und das bedeutete auch außergewöhnliche Arbeitszeiten.

Es sah ganz so aus, als müsste Gabby auch diese Nacht im Dienst verbringen. „Ich weiß Ihr Vertrauen in mich zu schätzen, Cameron. Ich …“

„Da Sie mit dem Zustand und den Sorgen unserer geschätzten Patientin vertraut sind“, wurde sie von Rafaels samtiger Stimme unterbrochen, „halte ich es für ausgesprochen wichtig, dass Sie bleiben. Hier ist meine Karte. Bitte zögern Sie nicht, mich zu verständigen, wann immer es nötig ist.“

Wer glaubt er, wer er ist? Der Herrscher der Welt? Gabby hätte ihm am liebsten das selbstsichere Lächeln aus dem Gesicht gewischt, als er erst ihr und dann Cameron eine edel geprägte Karte überreichte.

Cameron klimperte mit ihren langen Wimpern, während sie ihn anlächelte. „Vielen Dank, Rafael. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie mir mit Ihrer Hilfe und Ihrer Erfahrung in dieser schwierigen Zeit beistehen.“

„Das tue ich gern. Es ist meine Aufgabe, Mamas und ihren Babys zu helfen, egal, ob eine Schwangerschaft nun wie im Lehrbuch verläuft oder hochriskant ist. Ich verspreche Ihnen, dass ich für Sie und Ihr bébé alles in meinen Kräften Stehende tun werde.“

Und ich nicht? Oder die anderen Ärzte und Krankenschwestern? Der Mann war die personifizierte Arroganz im weißen Kittel! Gabby nahm sich vor, ihm genau das klarzumachen – wenn auch in einem anderen Ton und mit gemäßigteren Worten als denen, die ihr gerade durch den Kopf geisterten.

„Wie ich gerade sagen wollte, bleibe ich natürlich gern“, versicherte sie ihrer Patientin und warf Dr. Moreno einen Blick zu, den er hoffentlich richtig deutete: Dass er in dieser Klinik nur einen Gastauftritt hatte und sich gefälligst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte!

„Danke, Gabby.“

„Möchten Sie sich jetzt nicht ausruhen? Vielleicht ein bisschen fernsehen? In ein paar Minuten bin ich wieder da und nehme Ihre Wünsche für das Abendessen auf.“ Sie drehte sich zu Dr. Wichtig um. „Könnte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen, Dr. Moreno? In meinem Büro?“

Er nickte knapp und folgte ihr aus dem Zimmer. Sonst genoss Gabby den herrlichen Ausblick aus den großen Fenstern, wenn sie die marmorgefliesten Flure entlangging. Im Moment hatte sie jedoch keinen Blick dafür, weil sie in Gedanken schon Rafael Moreno die Leviten las. Vor ihrem Arbeitszimmer blieb sie stehen, öffnete die Tür und bedeutete ihm, einzutreten.

„Ladys first“, sagte er und streckte die schlanke Hand zur gleichen Geste aus.

Männer mit Manieren gefielen ihr, doch das hier sah nicht nach gutem Benehmen aus, sondern mehr danach, die Kontrolle zu behalten. Da war er bei ihr an der falschen Adresse! Mit einem steifen Lächeln, das er wahrscheinlich durchschaute, entgegnete sie: „Nein, ich bestehe darauf. Schließlich sind Sie Gast der Klinik.“ Ein Wink mit dem Zaunpfahl, der ihn in seine Schranken weisen sollte. Falls er ihn nicht verstand, würde sie es ihm mit deutlichen Worten klarmachen.

Spöttisches Erstaunen zeichnete sich auf seinem markanten Gesicht ab, und ihre Blicke trafen sich. Gabby straffte die Schultern. Wenige Momente später nickte Dr. Moreno kaum merklich und betrat ihr Büro. Sie folgte ihm und schloss die Tür, damit niemand ihr Gespräch mit anhören konnte.

Als sie sich zu ihm umdrehte, hatte sie wieder das irritierende Gefühl, dass die Luft im Zimmer knapp wurde. Groß und breitschultrig stand Rafael Moreno da, und seine aufrechte, selbstbewusste Haltung tat ein Übriges, dass die Wände plötzlich näherzurücken schienen.

Aber Gabby brauchte Luft zum Atmen, wenn sie ihm die Meinung sagen wollte. Leider war ihr Mund auf einmal wie ausgedörrt. Sie trat hinter ihren Schreibtisch, um auf Distanz zu gehen und ihm zu zeigen, wer auf dieser Station das Sagen hatte.

„Bitte, nehmen Sie Platz“, forderte sie ihn auf, während sie sich hinsetzte.

Was er natürlich nicht tat. Er blickte auf sie hinunter, sodass sie sich wie eine Feldmaus vorkam, die ein Habicht ins Visier genommen hatte. Und was nun? Sollte sie den Kopf in den Nacken lehnen und zu ihm aufsehen? Oder wieder aufstehen? Beides würde ziemlich lächerlich wirken und in jedem Fall ihre Autorität untergraben.

Verdammter Kerl!

„Was möchten Sie mit mir besprechen, Ms. Cain?“

Gabby atmete langsam aus, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, erhob sich und sah ihm in die Augen. „Ich weiß, Sie sind ein Freund von James, und man hat mir gesagt, dass Sie ein guter Arzt sind. Und auch, dass Sie einer Fürstenfamilie angehören. Vielleicht glauben Sie deshalb, dass Sie tun können, was Sie wollen.“

„Ich kann tun, was ich will.“

Die sanft ausgesprochenen Worte milderten nicht den arroganten Inhalt. Aber seine tiefe Stimme ging ihr unter die Haut. Gegen ihren Willen schlug ihr Herz schneller. „Woanders vielleicht, aber nicht hier, Dr. Moreno“, erwiderte sie tapfer. „Ich mag Hebamme und keine Ärztin sein, aber ich bin tagtäglich für die Entbindungsstation verantwortlich. Selbstverständlich bin ich Ihnen dankbar, dass Sie auf James’ Bitte so schnell wie möglich zu meiner Patientin gekommen sind, doch ich kann es nicht gutheißen, dass Sie hier hereinmarschieren und alles an sich reißen. Sie haben meine Notizen völlig ignoriert und sich nicht im Geringsten für meine medizinische Einschätzung interessiert. Und das vor der Patientin. Das war grob unhöflich und hätte ihr Vertrauen in mich, mein Wissen und meine Erfahrungen zerstören können.“

Er verzog keine Miene, nur in den Tiefen seiner grünen Augen blitzte etwas auf, ein gefährliches Funkeln … Mühsam unterdrückter Zorn? Gabby hielt unwillkürlich den Atem an, während sich das Schweigen dehnte.

Autor

Robin Gianna
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