Wo dein Herz zu Hause ist

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Sie ist bezaubernd schön, zart und stark zugleich: Tess verdient einen Mann, der sie auf Händen trägt! Luke Randell aber ist der Falsche, davon ist er überzeugt. Er würde nur ihr Herz brechen. Denn ihr Cottage steht auf dem Land, das er geerbt hat - und das will er möglichst schnell gewinnbringend verkaufen und zurück in die Stadt ziehen. Aber diese Sehnsucht in Tess' Augen, diese Spannung, die zwischen ihnen herrscht, machen es ihm nicht leicht: Je näher der Abschied rückt, desto lieber möchte er bleiben. Als hätte sein Herz bei Tess endlich ein Zuhause gefunden …


  • Erscheinungstag 10.12.2011
  • Bandnummer 1814
  • ISBN / Artikelnummer 9783864940507
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tief atmete Luke Randell aus, ehe er aus seinem Luxusauto stieg. Nie mehr hatte er hierher zurückkehren wollen. Leider war ihm aber nichts anderes übrig geblieben. Kurz ließ er den Blick über das Anwesen schweifen, das als Kind sein Zuhause gewesen war: die Rocking R Ranch in San Angelo in Texas.

Knorrige Eichen warfen ihre Schatten auf den grünen Rasen. Ein betonierter Weg führte zur Veranda des großen einstöckigen Hauses, das in makellosem Weiß erstrahlte. Hier hatte er vor gut siebenundzwanzig Jahren gelebt.

Trauer und Bitterkeit machten sich in ihm breit – schnell sah er zu den Nebengebäuden und zur Pferdekoppel hin. Alles schien in einem Topzustand zu sein, was er bei seiner Abfahrt aus Dallas keineswegs erwartet hatte.

Eine warme Brise wehte ihm entgegen, und er atmete die typischen Gerüche einer Ranch ein. Sogleich erinnerte er sich wieder an früher – an sein Pony Jazzy und den Wallach Bandit, den er zum fünften Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

Leise Beklemmung stieg in ihm auf, als er an den Tag dachte, an dem sein Vater das heiß geliebte Pferd verkauft hatte. Luke war sechs Jahre alt gewesen und hatte schrecklich gelitten. Überhaupt hatte sich an jenem Tag alles geändert, denn es war um seine perfekte Familie geschehen gewesen – eine Welt brach für ihn zusammen.

Energisch schob Luke die Erinnerungen beiseite und ging den betonierten Weg entlang. Schließlich stand er vor der offenen Haustür aus massiver Eiche. Nur die Fliegengittertür verhinderte den freien Zutritt. Ja, auf dem Land kann man sich so eine Vertrauensseligkeit noch leisten.

„Hallo!? Ist jemand da?“

Als ihm niemand antwortete, trat er einfach ein. Das Parkett in der weiträumigen Diele glänzte genauso honigfarben wie das im Salon, dessen Tür ebenfalls geöffnet war. Den Raum schmückten einige Antiquitäten sowie ein Sofa und mehrere Sessel. Die Sitzgruppe war mit dunklem Brokat bezogen und sah noch genauso unbequem aus, wie er sie von damals in Erinnerung hatte.

Was soll’s, dachte Luke. Mit etwas Glück würde er sich nicht allzu lange hier aufhalten. Jetzt musste er jedenfalls erst einmal Ray Meyers finden. Ein Miauen riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte sich um und entdeckte auf der Treppe in den ersten Stock ein schwarzes Kätzchen.

„Also ist doch jemand da, um mich zu begrüßen.“ Er ging auf das putzige Tierchen mit den weißen Pfoten zu, das erneut miaute, als er es hochhob. „Vielleicht kannst du mir erzählen, wo alle sind?“ Kaum hatte er ausgeredet, hörte er von oben leise Stimmen. Aha, damit hat sich meine Frage wohl erledigt!

Luke ging die Stufen hinauf und den Flur entlang. Er kam an mehreren Räumen vorbei, unter anderem an seinem ehemaligen Kinderzimmer. Energisch unterdrückte er jede Erinnerung und schritt zielstrebig auf die geöffnete Tür des Elternschlafzimmers zu.

Auf der Schwelle blieb er stehen, lehnte sich gegen den Türrahmen und genoss den Anblick, der sich ihm bot – eine attraktive Frau auf allen vieren. Sie hatte den Kopf unter ein großes Himmelbett gestreckt und präsentierte ihm ein äußerst hübsches Hinterteil in Jeans. Neben der Frau hockte ein niedliches, etwa vier- oder fünfjähriges Mädchen. Die langen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

„Mommy, wir müssen Jinx finden. Er kriegt Angst, wenn er allein ist!“

Die Mutter der Kleinen kam wieder unter dem Bett hervor. Sie hatte fast ebenso hellblonde Haare und trug ebenfalls einen Pferdeschwanz. Dem nahezu perfekten Profil und zarten Teint nach musste sie ausgesprochen hübsch sein.

Verflixt, warum achtete er darauf? Luke fluchte erneut innerlich, als er merkte, dass er gern noch viel mehr von ihr gesehen hätte. „Entschuldigung“, sagte er, und die beiden drehten sich unverzüglich um. Ja, die beiden sind echt bezaubernd. „Ist es vielleicht dieses Kerlchen hier, das gesucht wird?“

„Jinx!“ Das Mädchen sprang auf und lief auf Luke zu. „Du hast mein Kätzchen gefunden!“

„Ich glaube, es hat eher mich gefunden.“ Er reichte der Kleinen das Tier, wischte sich die Hände und blickte die Frau an.

Tess Meyers liebte es überhaupt nicht, überrascht zu werden. Und angesichts ihrer derzeit recht angespannten Nerven hätte sie besonders gut darauf verzichten können. In den letzten Monaten war ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt worden, wofür vermutlich in erster Linie der Mann verantwortlich war, der jetzt auf sie zuschlenderte.

„Luke Randell.“

Schnell stand Tess auf und schüttelte Luke die ausgestreckte Hand. „Tess Meyers. Und das ist meine Tochter Olivia.“

Die Kleine blickte Luke an. „Aber alle nennen mich Livy. Und das ist Jinx.“

„Hallo Livy … und hallo Jinx.“

„Wir haben Sie erst in ein paar Tagen erwartet, Mr Randell!“, erklärte Tess.

„Meine Pläne haben sich geändert. Ist das ein Problem?“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Welch eine Lüge. „Ich habe nur sichergehen wollen, dass hier alles für Sie vorbereitet ist.“

Nicht, dass sie auf diesen attraktiven Mann mit den silbergrauen Augen vorbereitet war – und ein weiteres gut aussehendes Mitglied der Familie Randell hatte San Angelo zweifellos noch gefehlt.

Luke schaute sich kurz um. „Damit hatte ich nicht gerechnet, doch weiß ich es zu schätzen. Vielen Dank.“

„Sobald das Bett bezogen ist, dürfte das Haus bewohnbar sein.“

„Ich glaube, das schaffe ich selbst.“

Tess nickte. Bestimmt konnte er es auch richtig gut zerwühlen. Lautlos stöhnte sie auf – woher war denn dieser Gedanke gekommen? „Ich habe zwar den Kühlschrank eingeschaltet, aber etwas zu essen und trinken gibt es darin leider nicht.“

„Macht nichts, ich habe unterwegs Lebensmittel eingekauft.“

Tess blickte Luke starr an. Im dunkelblauen Poloshirt, in gebügelten Jeans und Designerschuhen sah er nicht wie jemand aus, der eine Ranch betreiben wollte – eine Ranch, in die ihr Vater und sie sehr viel Arbeit gesteckt hatten und die sie jetzt vielleicht verlassen mussten. Oh, ich muss sehr vorsichtig sein. Die Zukunft meiner Familie hängt von diesem Mann ab! „Dann verziehen wir uns mal, damit Sie sich in Ruhe eingewöhnen können.“ Sie wandte sich zur Tür. „Los, auf geht’s, Livy.“

„Aber Mom, ich habe noch gar nicht gefragt!“ Wie angewurzelt blieb sie mit Jinx auf dem Arm im Zimmer stehen. „Hast du ein kleines Mädchen, mit dem ich spielen kann?“

Luke war einen Moment sprachlos vor Überraschung. „Nein, es tut mir leid, ich habe keine Kinder.“

„Oh.“ Livy war enttäuscht. „Weißt du, ich habe ein Kätzchen, weil ich niemanden zum Spielen habe. Mommy hat gesagt, dass sie keine Babys mehr kriegt. Und deshalb habe ich Jinx, damit ich nicht allein bin.“

„Olivia Meyers, komm jetzt!“ Tess war peinlich berührt. „Wir sollten Mr Randell nicht länger aufhalten.“

„Okay.“ Die Kleine setzte sich in Bewegung. „Auf Wiedersehen, Mr Randell.“

„Auf Wiedersehen Livy … und auf Wiedersehen Jinx.“ Luke blickte Tess an. „Mrs Meyers.“

Miss Meyers.“ Warum hatte sie ihn korrigiert? „Ray Meyers ist mein Vater, nicht mein Mann.“

„Ja, Mommy hat keinen Mann, und ich habe keinen Daddy.“

„Oh, ich wäre am liebsten im Boden versunken, Bernice“, erklärte Tess eine halbe Stunde später in der Küche des kleinen Vorarbeiterhauses.

Ihre Tante stand vom Tisch auf. „Ja, Livy erzählt viel, wenn der Tag lang ist.“ Sie stellte die Teller vom Mittagessen aufeinander und trug sie zur Spüle. „Und nun erzähl du mal … ist Luke Randell genauso attraktiv wie seine Cousins?“

Bernice war die jüngere Schwester ihres Vaters. Sie war Ende fünfzig und hatte vor einigen Jahren ihren Mann verloren. Als Ray dann im vergangenen Jahr erkrankte, hatte sie nicht gezögert und war auf das Landgut gekommen, um zu helfen.

Tess zuckte mit den Achseln. „Wenn man den gepflegten Freizeitlook eines Städters mag. Er ist jedenfalls kein Rancher. Ich bezweifle, dass er die Rocking R betreiben kann oder es überhaupt will.“

„Er könnte es lernen. Schließlich hat er sechs Vettern, die alle in der Viehwirtschaft tätig sind. Der Beruf liegt ihm im Blut.“

„Was, wenn er sich nicht dafür interessiert und die Ranch verkauft?“

Bernice blickte ihre Nichte an. „Muss Luke sich nicht mit seinem Bruder absprechen, bevor er irgendetwas machen kann?“

Tess nickte. „Die Rocking R gehört beiden.“ Sie hatte durch den Anwalt von Sam Randells Tod erfahren. Und der Anwalt hatte sie gleichzeitig darüber informiert, dass die Söhne Luke und Brady die Erben waren. „Vielleicht möchte Brady ebenfalls verkaufen. Er ist Pilot bei der Luftwaffe – was will er schon mit einer Ranch?“

Bernice ließ Wasser ins Spülbecken ein. „Die zwei könnten aber auch beschließen, die Rocking R weiterhin an euch zu verpachten.“

Tess stand auf und nahm sich ein Trockentuch. „Sam Randell hat das Land an Ray Meyers verpachtet. Wir wissen doch beide, dass Dad die Ranch nicht länger betreiben kann.“

Bekümmert lehnte sie sich gegen das alte Büfett. Sie war in diesem Häuschen aufgewachsen, in dem zunächst nur ihr Vater und sie gewohnt hatten. Mit Bernice und Livy war es beinahe schon zu klein. Momentan teilte sie sich das Zimmer mit ihrer Tochter, denn sie hatte ihres an die Tante abgetreten.

Wie es zurzeit lief, würde es nicht ewig weitergehen können. Der Gesundheitszustand ihres Dads verschlechterte sich, und er verließ immer seltener sein Zimmer. Es war unendlich schwer zu beobachten, wie er nach und nach sein Gedächtnis verlor und seine Liebsten zuweilen nicht mehr erkannte.

Energisch schob Tess die traurigen Gedanken beiseite. „Ich muss mit Mr Randell reden. Ich muss wissen, was er vorhat, damit ich planen kann.“

Sie hoffte, hierbleiben zu dürfen, das Vorarbeiterhäuschen sowie mehrere Boxen in den Stallungen und die Pferdekoppel mieten zu können. Irgendwie musste sie ihre Familie ernähren. Außerdem war da die kleine Viehherde ihres Vaters. Sie wollte die Kälber nicht verkaufen, und die Rinder würden erst in ein oder zwei Monaten zusammengetrieben.

Aber sollte das Schlimmste eintreten und sie mit ihren Leuten von hier wegmüssen – sie würde schon etwas anderes finden. Anderswo würde es vermutlich nicht so ideal sein wie auf der Rocking R, denn hier hatte ihr Dad mehrere Boxen in den Stallungen selbst gebaut und auch die große Koppel angelegt. Weil er sich praktisch um alles gekümmert hatte, war die Pacht so niedrig gewesen.

Sie beide hatten so tolle Pläne gehabt – Westernpferde hatten sie züchten und trainieren wollen. Und ihr kastanienbrauner Hengst Smooth Whiskey Doc hatte Wettbewerbschampion im Cutting werden sollen. Bei diesem sportlichen Wettbewerb trennen Ross und Reiter ein Rind für eine bestimmte Zeit von seiner Herde. Der Reiter darf dem Pferd keine sichtbaren Hilfen geben, wenn es versucht, das Rind daran zu hindern, zu seiner Herde zurückzukehren.

Tess hatte sich im Cutting schon als Ausbilderin und Reiterin einen Namen gemacht, doch das genügte nicht. Sie brauchte das Preisgeld, das ihr ein erfolgreicher Smooth Whiskey Doc einbringen konnte, und zwar nicht für sich, sondern für Olivia. Tess sorgte allein für ihre Tochter.

„Trainiere doch etwas mit Whiskey“, sagte Bernice und riss sie aus ihren Gedanken. „Das beruhigt dich immer ein bisschen.“

Tess schüttelte den Kopf. „Dad wird bald sein Nickerchen beendet haben.“

„Los, jetzt verzieh dich schon! Ich kümmere mich um ihn.“ Bernice nahm ihr das Trockentuch aus der Hand, drehte sie um und schob sie zur Tür. „Du machst jetzt eine Verschnaufpause!“

Tess protestierte nicht, sondern verschwand nach draußen. Auf der Veranda spielte Livy mit ihren Puppen und dem Kätzchen. „Hallo Schätzchen. Du weißt ja, ich möchte, dass du hier im Schatten bleibst. In der Sonne ist es zu heiß!“

„Darf ich zu Grandpa? Ich bin auch ganz still, versprochen.“

„Er wird sich sicher freuen.“ Ihr Vater und Livy waren immer ein Herz und eine Seele gewesen. Doch nun konnte er oft nicht einmal mehr mit der Fünfjährigen reden. „Vielleicht solltest du Jinx lieber im Korb in unsrem Zimmer lassen.“

„Ja, Mommy. Ich weiß, dass Grandpa es nicht will, aber er drückt einen manchmal wirklich zu fest.“

Tess hockte sich vor ihre Tochter. „Er ist krank und macht es nicht absichtlich.“

Die Kleine nickte. „Ich wünschte, er wäre nicht krank.“

„Ich auch.“ Tess kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. „Ach, du bist mein liebstes Mädchen.“

„Und du meine liebste Mommy.“

Sie umarmten sich kurz, bevor Tess sich wieder aufrichtete.

„Willst du zu Mr Randell?“

„Nein, Schätzchen. Mr Randell hat viel zu tun. Ich werde etwas mit Whiskey arbeiten.“ Sie bemerkte, dass Livy die Augen zusammenkniff. Zweifellos beschäftigte ihre Tochter noch etwas.

„Mr Randell ist nett. Vielleicht sollten wir ihm zur Begrüßung einen Kuchen backen!?“

Dem möglichen Feind etwas um den Bart gehen – das ist keine schlechte Idee. „Darüber sprechen wir später. Und vergiss nicht, Livy, dass es in der Sonne zu heiß ist und du auf der Veranda bleiben sollst.“

Lange wird dieser Trick nicht mehr funktionieren – sie wird sich nicht davon abhalten lassen, Luke Randell zu behelligen, dachte Tess. Während sie auf die Stallungen zuging, setzte sie sich den Cowboyhut auf und sah zu dem großen Haus hinüber, das auf einer Anhöhe thronte. Seit siebenundzwanzig Jahren hatte niemand mehr darin gewohnt.

Den Gerüchten zufolge hatte Sam Randells Frau damals darauf bestanden, von hier wegzuziehen. Es soll ihr entsetzlich peinlich gewesen sein, dass sein Bruder Jack wegen Viehdiebstahl zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Auch hatte Tess Tuscheleien mitbekommen, dass Sam möglicherweise eine Affäre gehabt hatte.

„Ihr Vater hat die Ranch in einem Topzustand erhalten!“

Tess fuhr herum. „Oh, Mr Randell …“

„Bitte nennen Sie mich Luke.“

„Und ich heiße Tess“, stieß sie hervor, während sie den Blick über ihn schweifen ließ. Er trug jetzt einen Cowboyhut und statt des Poloshirts und der Designerschuhe ein langärmeliges Hemd und Stiefel.

„Passe ich nun besser in die Umgebung?“

Tess war mit einem Meter fünfundsiebzig nicht gerade klein. Trotzdem überragte Luke sie um gut einen halben Kopf. „Sie haben auch vorhin hierher gepasst. Nur ist diese Kleidung geeigneter für eine Ranch.“

„Insbesondere, wenn ich zu den Stallungen will.“

Er lächelte, und Tess spürte, wie ihr Puls sogleich schneller schlug. Verflixt, sie war kein Teenager mehr. „Sie wollen sich die Stallungen ansehen?“

„Eigentlich suche ich Ihren Vater. Ist er irgendwo in der Nähe?“

Oh nein! Sie war noch nicht bereit, mit ihm über die Situation ihres Vaters zu sprechen. „Es tut mir leid, aber er fühlt sich momentan nicht so wohl. Ich kann Ihnen bestimmt auch alle Fragen beantworten.“

„Ich wollte ihm … oder Ihnen lediglich sagen, dass sich für Sie durch meine Ankunft nichts ändert. Der Pachtvertrag ist noch zwei Monate gültig. Wie Ihnen der Anwalt mitgeteilt hat, wohne ich bloß im Haus, bis eine Entscheidung hinsichtlich der Ranch gefallen ist.“

Eine Entscheidung? „Was ist mit Ihrem Bruder?“

Luke musste sich erst noch daran gewöhnen, dass Brady als sein Bruder bezeichnet wurde. „Halbbruder“, korrigierte er sie. „Brady ist Pilot bei der Luftwaffe. Bislang weiß ich von offizieller Stelle nur, dass er im Ausland ist. Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen, dass er sich bei mir melden soll.“

„Sie haben also vor, die Rocking R zu verkaufen?“

Er seufzte. Wenn er es nur könnte, würde der Verkauf sicher seine direkten Probleme lösen. „Es gibt vieles zu bedenken, wenn oder falls das Anwesen veräußert wird.“ Luke blickte ihr in die tiefblauen Augen und sah sogleich beiseite, als auch sein Puls schneller zu schlagen begann – nein, darauf würde er sich nicht einlassen, nicht wieder. „Mir ist klar, dass Sie und Ihr Vater mehr Informationen brauchen. Doch momentan ist dies alles, was ich sagen kann.“

„Natürlich würden wir gern den Pachtvertrag verlängern.“ Kurz schaute sie zu ihm hin, als sie sich in Bewegung setzten. „Überlegen Sie, ob Sie hier bleiben … und die Ranch übernehmen?“

„Offen gestanden habe ich davon keine Ahnung. Ich war noch ein Junge, als wir weggezogen sind.“

„Aber Sie haben viele Verwandte hier. Die würden Ihnen bestimmt helfen.“

Luke öffnete die Tür zu den Stallungen. „Also kennen Sie die Randells?“

Tess nickte. „Außerdem könnte dann der Pachtvertrag zwischen Ihrem Vater und meinem weiterlaufen … oder wenn Sie selbst Viehzucht betreiben wollen, könnten wir als Vorarbeiter fungieren.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Es ist lediglich ein Vorschlag.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat sie den kühlen sauberen Stall. Wie sehr sie den Duft von Stroh und Pferden liebte. Sie schlenderte den zementierten Mittelgang entlang und tätschelte zwei Pferden den Hals, mit denen sie für andere arbeitete. Nachdem sie dann auch Rays Wallach Dusty und ihre Stute Lady gebührend begrüßt hatte, wandte sie sich der letzten Box zu.

„Hallo mein Liebling! Ist alles in Ordnung mit dir? Können wir loslegen?“ Whiskey wieherte leise und schien zu nicken. „Das ist Smooth Whiskey Doc, der zukünftige Cuttingchampion“, erklärte sie Luke und beobachtete überrascht, wie er lässig näher kam und den Hengst streichelte.

„Na du, wie geht’s?“, erkundigte er sich, und Whiskey genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. „Du bist ja ein echter Prachtkerl!“

„Loben Sie ihn nicht zu sehr. Das steigt ihm nur zu Kopf.“

„Sie züchten also Pferde?“

„Ja, ich habe damit angefangen. Ihr Cousin Chance hat mir dabei enorm unter die Arme gegriffen. Er züchtet ebenfalls Westernpferde. Ich habe meine Stute Lady trainiert und einige Wettkämpfe mit ihr bestritten. Und als ich Chance beim Ausbilden unterstützt habe, hat er mir seinen Hengst Whiskey Pete ausgeliehen, damit er Lady deckt. Das Resultat ist Smooth Whiskey Doc.“

„Sie sind Partner?“

Tess musste lachen. „Wohl kaum. Chance braucht mich nicht. Er hat sich einen ausgezeichneten Namen gemacht und mir schlichtweg einen Gefallen getan.“ Sie tätschelte Whiskeys Hals. „Und ich weiß es zu schätzen. Wir Nachbarn helfen uns untereinander.“

„Sie und Ihr Vater betreiben also keine Viehwirtschaft mehr?“

„Wir haben nur noch eine kleine Herde. Die Rinder sind nicht länger unser Hauptaugenmerk. Wie ich schon gesagt habe, züchten und trainieren wir Westernpferde. Und sollten Sie und Ihr Bruder sich zum Bleiben entschließen, würde ich … würden wir gern das Vorarbeiterhäuschen und einige Boxen hier im Stall mieten.“

„Mir ist momentan völlig unklar, was Sache sein wird“, erwiderte Luke, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. „Zurzeit habe ich nicht die geringsten Ambitionen, Rancher zu werden. Offen gestanden hatte ich nie vor, je zurückzukehren. Sobald ich kann, werde ich wieder von hier verschwinden.“

„Und was aus uns wird, spielt nicht im Mindesten eine Rolle …“, meinte Tess ärgerlich.

„Sie haben zwei Monate Zeit, um sich etwas anderes zu suchen.“

Hatte der Mann kein Herz? „Mein Vater und ich sind seit über zwanzig Jahren auf der Rocking R zu Hause, und meine Tochter kennt nichts anderes.“ Verflixt, sie klang so verzweifelt, wie sie es auch war. „Es ist nicht leicht, eine Familie und Tiere umzusiedeln.“ Oder einen Vater, der mehr und mehr vergaß. „Und warum sind Sie überhaupt so darauf aus, das Land zu verkaufen, das seit Generationen in Ihrer Familie ist?“

Luke versteifte sich und blickte dann beiseite. Doch vorher schimmerte kurz etwas in seinen Augen auf, das Tess nicht deuten konnte.

„Vielleicht, weil diese Familie mich vor langer Zeit im Stich gelassen hat!?“

2. KAPITEL

Eine Stunde später lehnte Luke mit einer Flasche in der Hand an einem Pfosten auf der rückwärtigen Veranda. Er beobachtete die Koppel, auf der Tess mit ihrem Hengst arbeitete.

Durstig trank er einen Schluck Bier. Die beiden waren ein beeindruckendes Paar und harmonierten offenbar perfekt. Anscheinend mühelos trennten sie eines der Kälber im Pferch von seinen Artgenossen und ließen es schließlich wieder dazu zurück.

Selbst aus der Entfernung meinte er, Tess lächeln zu sehen, als sie Whiskey den Hals tätschelte. Und zum zweiten Mal spürte Luke, wie er auf sie reagierte. Verflixt, das ist überhaupt nicht gut!

Er setzte sich in die Hollywoodschaukel und legte die Beine auf das Geländer. Was zum Teufel tat er hier? Er hatte nie mehr auf die Ranch zurückkommen wollen, wo er noch als Teil einer heilen Familie gelebt hatte. Diese Familie war zerbrochen, als seine Eltern sich scheiden ließen, sein Vater zur Armee zurückkehrte und seine Mutter mit ihm nach Dallas zog.

Luke schloss die Augen. Er konnte noch immer die Streitereien am späten Abend hören, das Schlagen der Türen und wie sein Vater schließlich mit dem Wagen davonbrauste.

Wenn seine Mutter weinte, war es das Schlimmste für ihn gewesen. Er hatte seinen Vater Sam dafür gehasst, aber am meisten hatte er ihn dafür verabscheut, dass er sie beide im Stich gelassen hatte.

Nach all den Jahren war Luke leider nichts anderes übrig geblieben, als nach San Angelo zurückzukommen. Das Beste würde eindeutig sein, die Ranch zu verkaufen und mit dem Geld neu anzufangen.

Allerdings sollte er wohl nicht nach Dallas zurückkehren. Dort hatte er aufgrund eines schlecht gelaufenen Geschäfts seinen guten Ruf auf dem Immobiliensektor verspielt. Wegen einer Frau – Gina Chilton – hatte er sich mit den falschen Leuten eingelassen. Ihr Vater Buck hatte Geld in sein Projekt investiert.

Am Ende war Luke nur knapp einer Anklage entronnen. Er hatte praktisch alles verloren, wofür er hart gearbeitet hatte, aber zumindest konnte er seinen Angestellten noch eine Abfindung zahlen.

Ihm selbst waren kaum mehr als ein paar persönliche Dinge geblieben – Kleidung und der luxuriöse Wagen. Das Auto würde er jedoch demnächst verkaufen müssen, um Geld zum Leben zu haben. Wie gut, dass er wenigstens für den Moment ein Dach über dem Kopf hatte.

„Hallo Mister, schläfst du?“

Luke öffnete die Augen. Vor der Veranda stand Livy mit ihrem Kätzchen auf dem Arm. „Nein, ich denke nur nach.“ Er nahm die Beine vom Geländer und blickte sich um, da er herausfinden wollte, ob Tess ebenfalls in der Nähe war. „Weiß deine Mom, wo du bist?“

Verlegen kam die Kleine die Stufen herauf. „Jein.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Sie hat gesagt, dass ich dich nicht stören soll, weil du beim Einziehen bist. Bist du fertig?“

„Ja, das bin ich.“ Die paar Koffer und Kartons auszupacken und die Lebensmittel zu verstauen, hatte nicht lange gedauert.

Livy lächelte ihn an, was ihn eigenartig berührte. „Prima.“ Sie schlenderte zu ihm und setzte sich neben ihn. „Ich bin froh, dass du jetzt hier wohnst. Möchtest du Jinx noch mal halten? Er mag dich.“

„Meinst du?“ Wohl oder übel nahm er das Kätzchen, das sie ihm entgegenstreckte. Vermutlich konnte kaum jemand dem süßen Mädchen in der pinkfarbenen Rüschenbluse und den Jeans widerstehen.

„Siehst du, Mr Randell, der Kater mag dich“, erklärte sie, als Jinx sich sogleich an ihn schmiegte. „Und ich dich auch.“

„Ich mag dich ebenfalls, Livy. Wie wär’s, wenn du mich Luke nennst?“

Sie runzelte die Stirn. „Meine Mommy sagt, dass ich Erwachsene nicht mit dem Vornamen anreden soll, weil das unhöflich ist. Vielleicht kann ich dich Mr Luke nennen!?“

„Das klingt gut.“

Luke war den Umgang mit Kindern nicht gewohnt, was Livy aber nicht zu merken schien. Sie strahlte ihn an, wurde dann jedoch ernst, als Tess sie rief und auf das Haus zukam.

„Oh nein! Ich muss gehen.“ Livy nahm ihr Kätzchen und lief auf die Treppe zu. Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. „Ich habe vergessen, dich was zu fragen. Was für einen Kuchen isst du am liebsten?“

Verblüfft blickte Luke sie an. „Schätzungsweise einen mit Schokolade. Warum?“

„Das ist eine Überraschung“, antwortete die Kleine leise, bevor sie sich umwandte und fröhlich auf ihre Mutter zueilte.

Wie Luke unschwer erkennen konnte, schimpfte Tess mit ihrer Tochter. Schließlich nickte Livy und trottete auf das Vorarbeiterhäuschen zu, während Tess weiter auf die Veranda zuging.

Er erhob sich und spürte, wie ihn ein erregender Schauer durchrieselte, als er ihre anmutigen Bewegungen beobachtete. Tess trug einen verbeulten Cowboyhut, Jeans mit Lederbeinschonern sowie ein kragenloses geripptes Shirt mit Knopfleiste und machte darin eine ausgezeichnete Figur. Plötzlich erinnerte er sich nicht mehr daran, warum er eigentlich allen Frauen abgeschworen hatte. Er rückte seinen Hut zurecht und schlenderte ihr entgegen.

„Bitte entschuldigen Sie, dass Livy Sie belästigt hat. Es wird nicht wieder passieren.“

„Sie hat mich doch nicht belästigt. Sie hat mich nur gefragt, ob ich beschäftigt bin. Also vermitteln Sie ihr bitte nicht den Eindruck, ich wäre ein Unmensch.“ Warum kümmerte es ihn, was ein kleines Mädchen dachte?

„Trotzdem hätte sie nicht herkommen dürfen. Ich hatte ihr gesagt, sie soll auf der Veranda bleiben.“

„Genau genommen war sie auf der Veranda.“

Tess stemmte die Arme in die Hüften. „Aber nicht auf der richtigen! Und sie muss lernen, Grenzen zu respektieren – insbesondere, da Sie hier nun wohnen. Außerdem muss sie auf mich hören, denn auf einer Ranch lauern viele Gefahren.“

„Ich verstehe“, Luke nickte, „aber es gibt auch keinen Grund, sich zu meiden.“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie seufzte. „Entschuldigen Sie, Mr Randell …“

„Bitte, ich heiße Luke.“

Tess zögerte. Sie wollte sich mit diesem Mann nicht zu sehr anfreunden. „Gut, Luke … sehen Sie, hier im Haus hat nie jemand gelebt.“

„Wie ich schon erklärt habe, ist es nur vorübergehend. Und ich habe nicht vor, Ihre Kreise zu stören.“

„Sie denken also nicht weiter darüber nach, hierzubleiben und die Ranch zu bewirtschaften?“

„Ich habe nie daran gedacht, mich dauerhaft hier niederzulassen.“

Wie konnte man nur einem so herrlichen Anwesen den Rücken kehren? „Vielleicht sollten Sie mit Ihren Cousins sprechen, bevor Sie eine Entscheidung treffen.“

Autor

Patricia Thayer
Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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