Wolken über Wulfdale

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Ein Gentleman zur rechten Zeit! Als Catherine mittellos wird, nutzt Lord Caldbeck seine Chance und hilft ihr mit einer Heirat aus der misslichen Lage. Er hat die temperamentvolle junge Dame schon immer bewundert, und zu seiner großen Freude erwidert sie bald seine tiefen Gefühle. Doch dann gerät Catherine ins Visier eines Mörders – und Lord Caldbeck muss alles geben, um die Liebe seines Lebens zu retten …


  • Erscheinungstag 15.03.2022
  • Bandnummer 61
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511469
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Yorkshire, England, November 1783

Der Junge stand reglos da, hielt die Hand seines Vaters umklammert und hatte die andere Hand zur Faust geballt. Der Regen prasselte auf den Schirm, den sein Vater über sie hielt, während die nasse Erde auf den Sarg geworfen wurde und dazwischen die Worte des Vikars zu hören waren.

„Gott sei gedankt, der uns den Sieg gibt …“

Der Junge war tapfer und biss die Zähne zusammen. Er war stolz darauf, bei der Beerdigung neben den Männern zu stehen. Wenn sie ihn für alt genug hielten, würde er ganz gewiss keine Schande über sie bringen und weinen. In seinem Innern jedoch regte sich kindliche Angst – er wollte nur weg von hier, schnell zurück nach Hause laufen, sein Gesicht in den Röcken der dort wartenden Frauen verbergen und all die bitteren Tränen vergießen, die ihn zu ersticken drohten.

„Mitten im Leben sind wir dem Tod nahe. Wer leistet uns Beistand …?“

Das Kind sah hoch in das ernste Gesicht seines Vaters, das wie versteinert wirkte. Nichts verriet die Gedanken und Gefühle des Mannes, doch er drückte fest die Hand seines kleinen Sohnes, um ihm Mut zu machen.

„Deshalb, meine geliebten Brüder, seid standhaft, unerschütterlich …“

Tief atmete der Junge durch, richtete sich auf, eiferte den Männern neben sich nach, übte sich darin, wie sie keine Gefühlsregung zu zeigen. Sein Vater war stark. Auch er wollte stark sein. Männer weinten nicht.

Der Vikar hatte seine Lesung beendet und trat vor, um noch einige persönliche Worte zu sagen. Dann wandte sich der Vater des Jungen ab und führte ihn weg vom Grab der Frau, die für beide das Liebste auf Erden gewesen war.

1. KAPITEL

London, England, Oktober 1810

Was hast du getan?“ Voller Empörung stützte sich Catherine auf den Schreibtisch und musterte ihren dahinter sitzenden Onkel mit finsteren Blicken.

Er zuckte zusammen. „Du brauchst nicht so laut zu werden. Ich bin nicht taub.“

„Ich wünschte, ich wäre es! Denn ich kann mir nicht vorstellen, dich richtig verstanden zu haben.“

„Natürlich hast du mich verstanden. Ich sagte, dass ich einen Antrag von Lord Caldbeck, der um deine Hand angehalten hat, angenommen habe.“

Catherine richtete sich auf und blickte ihn ungläubig an. „Onkel Ambrose, warum denn? Einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich nicht den Wunsch habe, überhaupt zu heiraten, kenne ich ihn kaum. Ich habe einige Male mit ihm getanzt, aber Lord Caldbeck hat mich nicht umworben. Ich habe nicht einmal davon gehört, dass er auf Brautschau ist.“

„Caldbeck ist bekannt dafür, dass er sich nicht in die Karten schauen lässt. Man weiß nie, was er vorhat. Der Mann ist eben ein Rätsel.“

„Wohl eher eine Maschine.“ Catherine wandte sich vom Schreibtisch ab, riss sich ihren modischen Hut vom Kopf und warf ihn auf einen Stuhl. Mit beiden Händen versuchte sie vergeblich, ihr üppiges flammend rotes Haar zu bändigen.

„Lord Caldbeck könnte genauso gut aus Stein sein. Er lacht nie, er …“ Mit schnellen Schritten am anderen Ende der Bibliothek angelangt, wirbelte sie herum und ging wieder auf den Schreibtisch zu. „Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast kein Recht …“

Ambrose Maurys Gesicht war leicht gerötet, als er sich daranmachte, sich zu verteidigen: „Ganz im Gegenteil. Als dein Vormund ist es meine Pflicht, in deinem Namen zu sprechen. Es ist eine wirklich gute Partie. Caldbeck ist sehr reich. Und er hat mir ein äußerst großzügiges Angebot gemacht. Ich habe es angenommen. So einfach ist die Sache.“

Catherine, die ihren Onkel gut kannte, blieb mitten im Raum stehen, drehte sich um und sah ihn fragend an. „Was für ein Angebot?“

Maury konnte seine Nervosität nicht verbergen und tupfte sich den Schweiß mit dem Taschentuch von seinem kahlen Schädel. „Nun ja, Catherine, es gibt da einige Dinge, die du wissen musst.“

„Welche Dinge? Wovon sprichst du?“, erkundigte sie sich ungeduldig.

„Ich habe in letzter Zeit etwas Pech mit meinen Geldgeschäften gehabt.“

„Ach so. Und Lord Caldbeck bietet dir eine großzügige Regelung an. Ich fange an zu verstehen. Doch du musst verstehen, dass ich nicht heiraten will – ich kann es nicht, und ich werde es nicht! In sechs Monaten habe ich die Verfügungsgewalt über mein Vermögen und bin nicht mehr auf dein Wohlwollen angewiesen. Kannst du nicht wenigstens so lange damit warten, mich loszuwerden?“

„Catherine, ich kann keine sechs Monate warten – nicht einmal sechs Tage.“

„Du bist also finanziell völlig am Ende, ist das richtig?“

„Man könnte es so ausdrücken. Mir gehört gerade noch die Kleidung, die ich am Leibe trage. Caldbeck wird meine Schulden begleichen, die Hypotheken zurückzahlen und mir ausreichend Geld geben, damit ich nach Amerika auswandern kann.“

„Amerika! Ich will weder in Amerika leben noch Lord Caldbeck heiraten. Als mein Vormund muss es dir doch möglich sein, mir genug aus meinem Erbe auszuzahlen, damit ich für das nächste halbe Jahr eine eigene Wohnung beziehen kann.“

Ambrose lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die fleischigen Hände über seinem stattlichen Leib. Eine Spur Bosheit leuchtete in seinen Augen auf. „Du scheinst immer noch nicht begriffen zu haben, Catherine, dass du keine Erbschaft mehr hast.“

Einen Augenblick lang war Catherine sprachlos. Dann entgegnete sie sehr zögernd und bedächtig. „Willst du damit etwa sagen, dass du nicht nur dein, sondern auch mein Vermögen an der Börse verspekuliert hast?“

Ihr Onkel nickte. „An der Börse und bei einigen anderen … wie soll ich sagen … unglücklichen Investitionen.“

„Aber … wieso …? Deine Pflicht war es, dieses Geld treuhänderisch für mich zu verwalten, bis ich fünfundzwanzig bin. Wie konntest du nur …?“

„Jetzt sei bloß nicht albern. Du weißt, ich hatte die Vollmacht, es zu investieren.“

„Ja, doch nicht damit an der Börse zu spekulieren!“

„Ich habe es besser angelegt, als du es getan hättest – du wirfst ja alles für diese schrecklichen Blagen im Waisenhaus zum Fenster hinaus.“

„Du hast uns also beide ruiniert?“

„Wenn du es auf den Punkt bringen willst: Genauso ist es. Es steht dir natürlich frei, deine eigene Entscheidung zu treffen, ich allerdings würde dir raten, Caldbeck das Jawort zu geben.“

„Du … Schurke! Du besitzt die Unverschämtheit, mir so etwas in aller Seelenruhe zu sagen … Ich werde dich vor Gericht bringen!“

„Das wird dir wenig nützen. Wenn ich das Geld aufbringen könnte, würde ich wohl kaum in irgendeinem Nest in Amerika Zuflucht suchen.“

Catherine hätte am liebsten ihren Onkel geohrfeigt, damit endlich der selbstgefällige Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand. Mühsam beherrscht erklärte sie: „Du kannst mich nicht dazu zwingen, ihn zu heiraten!“

Mit finsterer Miene erhob sich Ambrose und kam hinter dem Schreibtisch hervor. „Nun hör mir genau zu, Catherine. Caldbeck hat bereits meine Schuldscheine aufgekauft und ist bereit, meine Gläubiger zu bezahlen. Er tut dies nur unter der Bedingung, dass du seine Frau wirst.“

„Du hast mich verkauft!“

„Ach, hör doch auf mit diesem Theater! Er erwartet, dass du tust, was ich mit ihm vereinbart habe. Es wird sehr unangenehm für mich, wenn du dich weigerst.“

„Daran hättest du denken sollen, ehe du dich auf solch einen Handel einlässt.“

Maury hob drohend die Hand, ließ sie dann jedoch wieder sinken. „Vielleicht sollte ich dir deine Lage deutlicher vor Augen führen. Dieses Haus gehört mir nicht mehr. Von heute an hast du weder ein Zuhause noch Vermögen noch irgendwelche Mittel.“

Entsetzt fuhr Catherine zusammen. „Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Und ob es mein Ernst ist. Und noch etwas, Catherine Maury, ich schere mich den Teufel darum, was du tust! Deine Tante und ich sind froh, dich endlich loszuwerden. Wir haben genug von dir, deinen verdammten Gören, deinen Launen und deinem überheblichen Getue. Nicht heiraten, dass ich nicht lache. Du hättest schon längst einen Ehemann und eigene Kinder haben sollen. Aber nein, du musst ja den rettenden Engel spielen für jeden verdreckten Schornsteinfegerbengel, jeden Gassenjungen und jeden kleinen Dieb, der dir über den Weg läuft. Da wäre sowieso nicht viel von deinem Vermögen übrig geblieben. Von mir aus kannst du Caldbeck heiraten oder mit deinen Schützlingen auf der Straße leben. Mir ist es egal, jedenfalls nehmen wir dich nicht mit.“

Catherine sah ihn einen Augenblick wortlos an, griff nach ihrem Hut, kehrte Maury mit einer eleganten Drehung den Rücken zu und ging aus dem Zimmer.

Als sie jedoch außer Sichtweite ihres Onkels war, gab sie den Versuch auf, würdevoll zu erscheinen, und flüchtete die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie schlug die Tür hinter sich zu, schloss ab, warf ihren Hut aufs Bett und fing wieder an, hin und her zu gehen, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

Gütiger Gott, das darf doch alles nicht wahr sein! Sie konnte einfach nicht fassen, was ihr Onkel ihr gerade eröffnet hatte. Kein Zuhause? Dieses Haus war während der Hälfte ihres Lebens ihr Zufluchtsort gewesen – vielleicht kein besonders behaglicher, aber immerhin ein Heim.

Kein Geld? Sie hatte schon den nächsten Zahlungstag herbeigesehnt, denn ihre Mittel für dieses Quartal waren bereits so gut wie erschöpft. Die Ausgaben für die Kleidung der Jungen in dem gerade gegründeten Waisenhaus waren nicht gerade gering gewesen, die neuen Betten für die Findelkinder und der Empfang für die Spender hatten auch nicht wenig gekostet.

Nicht zu vergessen ihr neues Jagdpferd.

Ihre Stimmung hellte sich etwas auf. Ihre Pferde! Allein das Jagdpferd würde genug einbringen, um davon die Jahresmiete für ein Haus zu bezahlen. Sie könnte die Tiere verkaufen, aber … Wenn Onkel Ambrose sie nun bereits verkauft hatte? Oder, was viel wahrscheinlicher war, sie verspielt hatte? Sie zweifelte nicht daran, dass viele seiner Investitionen am Spieltisch stattfanden.

Bei diesem Gedanken stieg erneut Wut in ihr hoch, und der Tritt, den sie einem Stuhl versetzte, brachte sie fast aus dem Gleichgewicht. Sie hatte genug! Mehr als genug!

Catherine zerrte an ihrer Jacke und riss beinahe die Knöpfe ab, während sie sich ihrer hastig entledigte. Daraufhin schleuderte sie sie in hohem Bogen in Richtung Kleiderschrank. Die Stiefeletten flogen hinterher. Dann kämpfte sie mit den Häkchen des Kleides. Es landete auf dem Bett.

Endlich davon befreit ging sie wieder hin und her, um ihrer Enttäuschung Luft zu machen. Gefräßig! Ein Sofakissen prallte gegen die Wand. Habgierig! Die kleine Fußbank fiel klappernd neben dem Fenster zur Seite. Dummkopf! Ein Buch purzelte vom Tisch, den sie mit der Faust traktiert hatte. Während sie sich den schmerzenden Knöchel rieb, hielt sie nach anderen Dingen Ausschau, an denen sie ihre Wut auslassen konnte.

Ihr Blick fiel auf die leicht geöffnete Tür des Ankleidezimmers, hinter der sie den Kopf ihrer Zofe Sally mehr erahnen als sehen konnte. Der Anblick ihrer Herrin, die nur mit der Leibwäsche bekleidet, tobend im Schlafzimmer herumlief, schien das Mädchen offensichtlich zu erschrecken, denn Sally zog schnell den Kopf zurück und schloss die Tür.

Catherine hielt inne. Was würde aus Sally werden? Die Frage wirkte ernüchternd. Mit einem Mal wurde Catherine klar, dass sie nicht das einzige Opfer der Katastrophe war. Alle Dienstboten würden darunter leiden. Wie konnte sie das verhindern? Kein Zuhause, kein Vermögen, kein Einkommen. Kein Geld, um das treue Mädchen zu entlohnen, kein Ort, an dem sie wohnen konnten.

Allmählich verrauchte ihr Zorn und machte der Angst Platz. Erschöpft rückte Catherine die Fußbank ans Fenster und setzte sich. Starr blickte sie durch die Scheiben.

Was soll ich tun? dachte sie. Mittellos zu sein ist natürlich das größte Problem. Selbst wenn es mir gelingt, meine Pferde aus den Klauen meines Onkels zu retten, wird das Geld nicht lange genug reichen, um so unabhängig zu sein, wie ich es mir so sehnlich gewünscht habe.

Ganz gleich, wie sie sich entschied, zumindest würde sie nicht mehr den Anblick ihres korrupten Onkels und seiner weinerlichen Frau ertragen müssen. Welch eine Erleichterung! Die beiden hatten sie nie in ihrem Heim haben wollen. Die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen war der einzige Grund gewesen, der ihren Onkel bewogen hatte, die Vormundschaft für ein zwölfjähriges Mädchen zu übernehmen.

Zumindest war ihr Vater klug genug gewesen, in seinem Testament das eine zur Bedingung für das andere zu machen. Doch anscheinend hatte selbst er sich nicht vorstellen können, wie tief sein Bruder sinken würde.

Catherine seufzte und stützte sich auf die Fensterbank. Sie hatte Freunde, die sie aufnehmen würden, aber nachdem sie in diesem Haushalt nur geduldet worden war, hatte sie wenig Lust, diese Erfahrung anderswo zu wiederholen. Könnte sie nicht eine bezahlte Arbeit finden? Gerade das war jedoch für eine junge Frau aus gutem Hause fast unmöglich. Also was sollte sie tun?

Ein zaghaftes Klopfen war an der Tür zu hören und danach die Stimme des Lakaien ihres Onkels. „Miss Catherine, sind Sie zu sprechen?“

„Jetzt nicht.“ Ganz und gar nicht in der Stimmung, Besuch zu empfangen, drehte sie sich zur Tür. „Ich wünsche, nicht gestört zu werden.“

„Der Earl of Caldbeck wartet unten, Miss. Er möchte mit Ihnen reden.“

„Ich habe Nein gesagt! Richten Sie ihm aus, dass ich jetzt nicht zu sprechen bin.“ Als Catherine hörte, dass sich die Schritte des Dieners entfernten, wandte sie sich wieder zum Fenster und sah hinaus. Caldbeck selbst – die letzte Person, die sie im Moment sehen wollte. Um Himmels willen, was sollte sie nur tun? Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Widerwillig dachte sie über Caldbeck nach. Eigentlich fand sie nichts an seiner Person auszusetzen – ganz im Gegenteil. Hochgewachsen und von eleganter schlanker Statur, dabei mit Schultern, deren Breite er nicht seinem Schneider zu verdanken hatte, hätte er sehr anziehend sein können, wenn er nicht so teilnahmslos wäre. Sie hätte es schlechter treffen können.

Aber sie hatte sich seit Langem geschworen, einer Heirat aus dem Weg zu gehen. Zum einen wusste sie aus bitterer Erfahrung, dass sie nur auf sich selbst vertrauen konnte, wenn es darum ging, für sich zu sorgen. Ein Ehemann hingegen hatte so weit reichende gesetzliche Befugnisse, dass sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert wäre.

Es war äußerst bitter, ihre heiß ersehnte Unabhängigkeit aufzugeben, aber die hatte sie ja ohnehin schon verloren. Ihr Vermögen war veruntreut worden. Damit musste sie sich abfinden. Wäre da nicht noch ihr anderer Wunsch, der größere …, der so viel wichtiger war und den sie sich dennoch versagt hatte, obwohl es ihr so schwergefallen war.

Die Versuchung war groß, den Antrag aus diesem Grund anzunehmen.

Kinder zu haben. Eine Ehe bedeutete Kinder, und nichts rührte ihr Herz so sehr wie ein Kind. Jetzt lag die Erfüllung ihres innigsten, geheimsten Wunsches in Reichweite – eine eigene Familie, ein eigenes Zuhause, Kinder, der sie all die Liebe und Aufmerksamkeit schenken könnte, die ihr selbst seit ihrem zwölften Lebensjahr gefehlt hatten.

Wären Kinder nur nicht so furchtbar verletzlich!

Catherine seufzte. Ein solches Risiko durfte sie nicht eingehen. Sie war schon vor langer Zeit zu dieser Überzeugung gelangt, obwohl es sie zutiefst betrübte. Caldbecks Antrag anzunehmen würde bedeuten, dass diese wunderbare und erschreckende Möglichkeit zugleich wahr werden könnte. Wenn ihr jedoch etwas zustieße … wenn ihre Kinder allein auf sich gestellt wären wie die verwahrlosten Geschöpfe, derer sie sich angenommen hatte … Allein der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen.

Schnell wischte Catherine sie weg. Sie musste ihren Verstand gebrauchen. Konnte sie denn überhaupt mit jemandem leben, der so wortkarg war wie der Earl? Sie war ein lebhafter Mensch, der seine Gefühle offen zeigte. Ganz sicher würde ein solch reservierter Mann ihr die Lebensfreude nehmen, versuchen, sie zu bändigen, um aus ihr eine sanftmütige und unterwürfige Ehefrau zu machen.

Könnte sie ihr Wesen jemals so sehr ändern, um so zu werden? Nein, für niemanden auf der Welt. Spätestens nach sechs Monaten würden sie sich das Leben gegenseitig zur Hölle gemacht haben!

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Offensichtlich war Caldbeck nicht klar, auf welchen Handel er sich da eingelassen hatte. Welchen Schrecken bekäme er, wenn sie seinen Antrag tatsächlich annähme? Das wäre beileibe keine Vernunftehe, sondern eine sehr unvernünftige Ehe. Es geschah ihm recht, wenn er so unverschämt war und meinte, sie kaufen zu können.

Gerade in diesem Moment ließ ein kraftvolles Klopfen die Tür erbeben. Verärgert warf sie einen Blick dorthin.

„Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte.“

„Ich bin es, Caldbeck. Ich möchte mit Ihnen reden.“

Das war wirklich eine Überraschung. Catherine saß einen Moment reglos da. Gütiger Himmel, der Mann stand vor ihrer Tür. Wie konnte er es wagen? Was, um alles in der Welt, sollte sie ihm nur sagen? Sie konnte jetzt kein Gespräch mit ihm führen. Sie brauchte mehr Zeit. Zeit zum Überlegen …

„Ich möchte jetzt nicht mit Ihnen sprechen. Kommen Sie morgen wieder.“ Sobald die Worte heraus waren, fiel Catherine ein, dass sie morgen vielleicht nicht mehr in diesem Haus sein würde. Sie wohnte hier nicht mehr. Den Geräuschen nach zu urteilen, war man bereits dabei zu packen und Vorbereitungen für das Verlassen des Stadthauses zu treffen. Angst stieg in ihr hoch.

„Ich glaube, es wäre für uns beide von großem Nutzen, diese Unterhaltung jetzt zu führen.“ Die Stimme hinter der Tür war ausdruckslos, nicht moduliert.

Catherine konnte nicht die geringste Überzeugungskraft darin entdecken. Wie brachte er es nur fertig, in einem solchen Moment so … so emotionslos zu sprechen? Besaß der Mann denn überhaupt kein Einfühlungsvermögen?

„Für wen von Nutzen? Sie versuchen, mich zu kaufen. Gehen Sie endlich!“ Sie drehte sich um und sah wieder auf die Straße hinunter.

Einen Augenblick später hörte sie das krachende Geräusch, mit dem die Tür aufflog.

Erschrocken wirbelte Catherine herum und unterdrückte einen Schrei. Im Türrahmen stand der Earl. Während sie ihn ängstlich beobachtete, eine Hand vor den Mund gepresst, strich er ruhig seinen taubengrauen Rock glatt und zupfte seine blütenweißen Manschetten zurecht.

Catherine stand wie angewurzelt da, ihr fehlten die Worte, was nicht oft vorkam. Ihr Mund war trocken, und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Caldbeck stieß die Tür zu und schob – nach einem flüchtigen Blick auf das zerbrochene Schloss – einen der zierlichen Stühle davor, um den Eingang zu versperren. Dann wandte er sich ihr zu und verbeugte sich höflich.

„Miss Maury.“

Catherine blieb nichts anderes übrig, als mit einem Nicken seinen Gruß zu erwidern, während er das Zimmer durchquerte und ein paar Schritte vor ihr stehen blieb. Sie sah zu einem ausdruckslosen Gesicht auf, das von eisgrauen Augen beherrscht wurde. Nicht die Spur eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. Das streng aus dem Gesicht gekämmte, früher rabenschwarze Haar, war jetzt von so vielen grauen Strähnen durchzogen, dass es metallisch schimmerte. Catherine schluckte und suchte vergeblich nach einer passenden Erwiderung.

Auf dem Flur mischten sich die Geräusche von herbeieilenden Schritten mit aufgeregtem Stimmengewirr.

„Miss Catherine, ist alles in Ordnung?“

„Was, zum Teufel, geht hier vor?“ Ihr Onkel drängte sich an dem Diener vorbei, stemmte sich gegen die Tür, wobei der Stuhl auf der Innenseite umkippte, und steckte den Kopf durch den Türspalt. „Oh. Caldbeck. Wie ich sehe, haben Sie meine Nichte gefunden. Haben Sie diesen Lärm gemacht?“

Caldbeck deutete wortlos zur Tür. Maury inspizierte das zerbrochene Holz und schaute mürrisch drein. „Ich habe Ihnen doch gesagt, wie unvernünftig sie ist, aber gab es keine andere Möglichkeit, als meine Tür zu demolieren?“

Fest sah Caldbeck ihn an. „Gehört diese Tür jetzt nicht mir?“

Maury wurde rot. „Ja, gewiss.“ Wieder gefasst fügte er kurz darauf spöttisch hinzu: „Wir möchten natürlich nicht stören, wenn Sie Ihrer Braut Ihre Aufwartung machen wollen.“ Dabei ließ er den Blick über die im Zimmer verstreuten Kleider schweifen. „Ich muss schon sagen, Sie haben wirklich keine Zeit verloren.“

Er nickte dem Diener zu, und beide gingen hinaus, wobei der Diener hinter vorgehaltener Hand grinste. Caldbeck stellte den kleinen Stuhl wieder vor die Tür und wandte sich erneut Catherine zu.

Sie spürte, wie ihr plötzlich die Röte ins Gesicht schoss. Gütiger Himmel! Sie stand halb nackt vor Seiner Lordschaft!

Wie hatte sie das nur vergessen können. Wie viel konnte Lord Caldbeck eigentlich sehen, wenn das Licht vom Fenster durch das dünne Leinen schien? Und was musste er von ihr denken? Catherine versuchte, ihre Blöße zu bedecken, merkte schnell, dass es zwecklos war, und wollte Caldbeck gerade den Rücken zukehren, als seine Stimme sie erstarren ließ.

„Es macht nichts. Die Meinung Ihres Onkels ist nicht mehr von Bedeutung.“

Sie errötete noch tiefer. Catherine verfluchte insgeheim ihren schneeweißen Teint. Es kam ihr so vor, als müsste ihr Gesicht mittlerweile feuerrot sein! Und sie hatte nicht die mindeste Ahnung, was in seinem Kopf vorging. Obwohl er die Tür aufgestoßen hatte, waren weder in seinem Gesicht noch in seiner Stimme irgendwelche Anzeichen von Zorn zu erkennen.

Der höflich distanzierte Blick aus kalten grauen Augen war unverändert. Wieder packte Catherine die Angst, und sie hätte am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht und ihr Heil in der Flucht gesucht, aber ihr Stolz ließ es nicht zu.

Stattdessen nahm sie all ihren Mut zusammen. Sie hob den Kopf, straffte die Schultern und sah ihn hochmütig an. „Also, Mylord? Was ist denn so dringend, dass Sie es unverzüglich zu besprechen wünschen?“

„Die Modalitäten unserer Ehe.“

„Ich habe den Eindruck gewonnen, dass alles bereits zwischen meinem Onkel und Ihnen geregelt ist“, erwiderte Catherine und fügte mit schneidender Stimme hinzu, „oder um mich klarer auszudrücken, dass der Kaufvertrag bereits abgeschlossen ist.“

Caldbeck zog kaum merklich die Brauen hoch. „Ich bedaure zu hören, dass Sie die Vereinbarung in diesem Licht sehen.“

Schweigend beobachtete er, wie Catherine an ihm vorbei zum anderen Ende des Zimmers ging und dann wieder zurückkam, wobei allmählich ihre Wut die Oberhand über ihre Angst gewann.

„Wie sonst sollte ich es denn sehen? Es ist mir unvorstellbar, wie mein Onkel auf die Idee gekommen ist, mich zu einer Ehe mit Ihnen zwingen zu wollen. Ich fürchte, Sie haben Ihr Geld umsonst ausgegeben, Mylord.“

„Ach wirklich?“ Nach Caldbecks Gesichtsausdruck zu urteilen, handelte es sich lediglich um eine höfliche Nachfrage.

Catherine war sich sicher, dass sie es in einem Rededuell mit jedem Mann aufnehmen konnte, aber Caldbecks eisige Reserviertheit wirkte doch ein wenig einschüchternd auf sie. Er reagierte überhaupt nicht auf den Fehdehandschuh, den sie ihm mit ihrer bissigen Bemerkung hingeworfen hatte.

Sie räusperte sich und erklärte: „Es ist doch wohl offensichtlich, Mylord, dass ich Sie nicht heiraten kann. Ich kenne Sie kaum, dennoch dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, dass wir völlig gegensätzlich sind.“

Caldbeck nickte zustimmend.

„Sie sind sich also darüber im Klaren?“

„Selbstverständlich.“

„Dennoch ist es unsinnig … wir würden uns spätestens nach einem Jahr gegenseitig in den Wahnsinn getrieben haben!“

„Ich bin der Meinung, dass unsere Ehe gewiss nicht so unangenehm werden dürfte.“

Er war so ruhig wie zuvor, und Catherine studierte seinen Gesichtsausdruck erneut, um irgendeinen Hinweis auf seine Gefühle darin zu finden. Nachdem sich ihr Bemühen als vergeblich erwies, stöhnte sie voller Verzweiflung. „Mylord, es ist die größte Verrücktheit, die ich mir vorstellen kann. Wir passen einfach nicht zusammen.“

„Ganz im Gegenteil, Miss Maury, ich bin der festen Überzeugung, dass wir ganz ausgezeichnet miteinander auskommen werden.“

„Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wie sollen zwei so unterschiedliche Menschen denn zusammenleben?“

„Sehr glücklich. Jeder von uns besitzt genau das, was dem anderen fehlt.“

Damit war es ihm gelungen, Catherines Neugier zu wecken. „Was, in aller Welt, könnte das sein?“

„Ich denke, Sie werden mir nicht widersprechen, wenn ich feststelle, dass Sie zurzeit dringend finanzielle Unterstützung benötigen. Ihr Onkel …“, es gelang Caldbeck auf unnachahmliche Weise, dem Wort einen verächtlichen Klang zu geben, „… hat Sie in eine äußerst schwierige Lage gebracht. Sie brauchen Geld. Ich besitze ausreichende Mittel.“

Catherine spürte, wie sie wieder errötete. „Ich würde mich eigentlich nicht als geldgierig bezeichnen.“

„Nein, so schätze ich Sie auch nicht ein – der Ausdruck, den ich verwenden würde, ist verzweifelt.“ Er wartete geduldig auf eine Antwort.

Catherine wurde von widerstrebenden Gefühlen hin- und hergerissen. Natürlich hatte er recht, ihre Lage war verzweifelt. Dennoch scheute sie davor zurück, sich zu etwas zwingen zu lassen, am allerwenigsten zu einer Heirat mit einem Mann, den sie kaum kannte und nie verstehen würde. Genauso wenig, wie er sie verstehen würde. Also zog sie es vor, wütend zu werden, ein viel stärkeres und weit angenehmeres Gefühl als Verzweiflung.

„Sie sind also entschlossen, meine Notlage auszunutzen!“

Caldbecks Gesichtsausdruck blieb unverändert. „Ich schlage lediglich eine für beide Seiten vorteilhafte Regelung vor.“

„Und was versprechen Sie sich davon?“

„Ihre Schönheit, Ihre Energie, Ihre Eleganz. Wenn ich Sie ansehe … wird mir warm ums Herz.“ Selbst als er diese Worte aussprach, blieb seine Miene ausdruckslos, seine Stimme klang nüchtern und sachlich. „Außerdem hege ich Bewunderung für Ihre Fähigkeit, sich der Not derjenigen zu erbarmen, denen weniger Glück als Ihnen selbst beschieden ist. Das ist in der heutigen Zeit äußerst selten. Ich brauche jemanden, der mir hilft, meine gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erfüllen.“

Catherine war es gewohnt, dass man ihre wohltätigen Unternehmungen mit Unverständnis, Ärger oder Hohn kommentierte. Überrascht stammelte sie: „Sie … Sie meinen das im Ernst?“

„Es ist mein voller Ernst, und ich bin bereit, Sie zu unterstützen. Meine Besitzungen liegen in Yorkshire. Auch in den Städten dort arbeiten viele Kinder unter den schrecklichsten Bedingungen – in den Bergwerken, Spinnereien und Gießereien. Es fehlt also wahrhaftig nicht an Betätigungsfeldern für Ihre Talente und mein Geld.“

Catherine hatte ihre Wut schon fast vergessen. „Ja, ich habe viele schreckliche Geschichten über die Kinder in den Bergwerken und Fabriken gehört. Aber was soll aus meiner Arbeit hier werden? Gerade erst ist es mir gelungen, ein Unterstützungskomitee für das Kinderkrankenhaus zu gründen, und ich hoffe, etwas Ähnliches für das Waisenhaus zu erwirken.“

„Gegen eine gelegentliche Fahrt nach London hätte ich nichts einzuwenden, obwohl ich es vorziehe, auf meinen Besitzungen zu leben, damit ich selbst die Oberaufsicht führen kann. Man darf sich nur bis zu einem gewissen Grad auf andere verlassen.“

„Ja, da haben Sie völlig recht. Das ist einer der Gründe, warum ich in London bleiben möchte.“ Und unverheiratet.

„Dafür habe ich Verständnis, ich bin allerdings der Ansicht, dass Sie einen Großteil der Vorbereitungen für Ihre Londoner Aufgaben brieflich erledigen könnten, wenn Sie sich Ihre Besuche sehr genau einteilen würden. Im Laufe der Zeit werden Sie dann in der Lage sein, Ihre Aufmerksamkeit mehr Yorkshire zuzuwenden.“

Catherine musste Zeit gewinnen und blickte wieder aus dem Fenster, allerdings ohne etwas von dem wahrzunehmen, was draußen vor sich ging. Caldbeck wartete gelassen auf ihre Antwort. Sein Angebot brachte sie tatsächlich in Versuchung. Es stand in seiner Macht, ihre Anliegen auf die vielfältigste Weise zu fördern, wenn er nur wollte. Es wäre eine große Erleichterung, solch einen Verbündeten zu haben. Das Geld war natürlich wichtig, aber …

Unvermittelt wandte sie sich um.

„Würden Sie sich im House of Lords für die Gesetze zur Regelung der Kinderarbeit einsetzen?“

Caldbeck zögerte und schien darüber nachzudenken.

Schließlich nickte er. „Ja, von Zeit zu Zeit, wenn Sie mich mit Informationen versorgen. Ich spreche nur selten im Parlament, aber ab und zu werde ich es tun. Es ist nicht mein Wunsch, meine gesamte Zeit in den Dienst Ihrer Vorhaben zu stellen. Dazu bin ich viel zu beschäftigt, und das ist der Grund, warum ich Sie brauche.“

Konnte sie seinem Versprechen glauben, oder versuchte er nur, sie dazu zu bewegen, seinen Antrag anzunehmen? Wie lange würde es dauern, bis sein Interesse an ihr nachließe und seine eigene Arbeit wieder Vorrang hätte? Das würde sie erst wissen, wenn es zu spät war. Sie verstand immer noch nicht recht, warum er sie zu seiner Frau machen wollte.

Bei ihrem Anblick wurde ihm angeblich warm ums Herz. Konnte denn irgendjemand diesen menschlichen Eisberg erwärmen? Schönheit? Eleganz? Vielleicht wollte er schlicht und einfach eine hochgewachsene, gut angezogene Frau als Zierde an seiner Seite, eine, an der er sich auf seine distanzierte Art erfreuen könnte, während sie die gesellschaftlichen Pflichten als seine Gemahlin übernähme. Das klang nach einem Vorteil. Sie bräuchte keine Angst um etwaige Kinder zu haben. Aber … wäre das wirklich ein Vorteil?

Catherine merkte, dass sie errötete. Sie war eine sehr gefühlsbetonte Frau, und schon bald nach Beginn dieses Gespräches war ihr aufgefallen, dass Caldbecks Gegenwart Empfindungen in ihr weckte, die sie sich lieber nicht eingestehen mochte. Sie musste ihre Entscheidung mit klarem Verstand treffen und durfte sich nicht von den Sehnsüchten, die sie spürte, beeinflussen lassen. Dabei war ihr völlig unverständlich, wie dieser Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht sie so in Erregung versetzen konnte. Nur weil er breite Schultern und schmale Hüften hatte …

Ihr nächster Gedanke ließ sie innehalten. Was für ein erbärmliches Leben ist das, einen Mann zu heiraten, der diese Gefühle in mir erweckt, aber keine Neigung zeigt, sie mit mir zusammen auszuleben! Schon seit Jahren wartete sie voller Neugier darauf, die Geheimnisse der Liebe zu ergründen, war jedoch bis auf einige verstohlene Küsse völlig unerfahren.

Catherine war sich nur zu genau darüber im Klaren, welche Gefahren auf eine unverheiratete Frau lauerten, die sich auf diesem Gebiet zu weit vorwagte. So unbesonnen war sie nicht. Ein Schauer überlief sie allein bei dem Gedanken, ein uneheliches Kind zu bekommen.

Außerdem war es gegen ihre Überzeugung, einen anderen Menschen auf solche Art zu benutzen, nur um ihre Neugier zu befriedigen. Genauso wenig würde sie es jemals zulassen, dafür benutzt zu werden. Hatte sie sich etwa gerade dabei ertappt, im Zusammenhang mit dieser lieblosen Vernunftehe an zärtliche Gefühle zu denken?

„Mylord, ich bin mir der Ehre Ihres Antrages wohl bewusst. Aber lassen Sie uns bitte offen reden. Ich kann mir nicht recht vorstellen, was Sie als Gegenleistung von mir verlangen.“

Er schwieg so lange, dass Catherine sich schon fragte, ob er überhaupt noch etwas sagen würde. Schließlich antwortete er:

„Ich begehre Sie.“

„Oh.“

Damit war die Frage geklärt.

„Haben Sie etwa angenommen, dass ich nicht das Bett mit Ihnen teilen will?“

Catherine verwünschte ihre Aufregung, die ihr schon wieder die Röte ins Gesicht trieb, aber sie hielt sich tapfer. „Ich war mir nicht sicher … Es ist sehr schwierig … Nun, es spielt keine Rolle. Jetzt verstehe ich endlich, worum es bei dem Geschäft geht.“

Und wollte sie sich wirklich auf dieses Geschäft einlassen? Sein Reichtum gegen ihren Körper? Ihr gefiel nicht, wie sich das anhörte! Dabei war es die einzige Grundlage so mancher Ehen. Und Catherine war Realistin. In ihrer Lage würde sie nicht umhin können, früher oder später irgendjemanden zu heiraten. Wenn sie an das Gute dachte, das eine Ehe mit Lord Caldbeck ihr zu tun erlaubte … Würde er sich an seinen Teil des Geschäftes halten? Sicher konnte sie sich nicht sein, dennoch deutete sein ganzes Verhalten darauf hin, dass er es ernst meinte. Und sie musste zugeben, eigentlich keinen Unwillen zu verspüren, ihren Teil des Vertrages zu erfüllen.

Außerdem wusste sie nicht, was sie sonst tun sollte.

„Nun gut, Mylord. Ich fürchte zwar, dass wir einen Fehler machen, aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich nehme Ihren Antrag an.“

2. KAPITEL

Mit seiner Antwort ließ sich Lord Caldbeck so viel Zeit, dass Catherine schon fürchtete, er hätte es sich anders überlegt. Schließlich entgegnete er: „Ich bin so glücklich.“ Catherine hätte fast ungläubig den Kopf geschüttelt. Wenn Seine Lordschaft tatsächlich unter der Ungewissheit gelitten hatte, so war ihm davon jedenfalls nicht das Geringste anzumerken gewesen.

„Wann soll die Trauung vollzogen werden? Ich … ich werde vielleicht nicht mehr lange hier bleiben können.“ Sie deutete zur Tür, durch die das Gepolter von Kisten und Schrankkoffern zu ihnen hereindrang.

„So schnell wie möglich. Ich habe bereits eine Sondergenehmigung eingeholt. Vielleicht müssen Sie noch einige Einkäufe machen. Besitzen Sie ein weißes Kleid?“

Catherine sah ihn verständnislos an. „Ein weißes Kleid?“

„Für die Hochzeit. Ich möchte meine Braut gern in Weiß sehen.“ Er hielt inne und fragte in gleichgültigem Ton: „Ich gehe davon aus, dass das angemessen ist?“

Catherines Wangen glühten. „Natürlich ist es angemessen. Wollen Sie etwa andeuten, dass …?“

Beschwichtigend hob Caldbeck die Hand. „Genau wie Sie halte ich es für notwendig, mich klar und deutlich auszudrücken. Ich glaube, in dieser Hinsicht haben wir etwas gemeinsam. Und nun zurück zu meiner Frage: Haben Sie ein solches Kleid?“

„Ja.“ Catherine hasste sich dafür, dass sie nur noch stammeln konnte. Wie schaffte es dieser Mann, sie so mühelos aus der Fassung zu bringen? Und das, ohne auch nur die Stimme zu heben? „Ja, ich besitze ein weißes Gewand, das sich gut eignen würde. Ich habe es kaum getragen. Wann …?“

„Heute Nachmittag. Um sechzehn Uhr. In der Kirche sind bereits alle Vorkehrungen getroffen. Wenn es jemanden gibt, dessen Anwesenheit Sie wünschen, so geben Sie mir bitte jetzt die Namen, damit mein Sekretär die Einladungen übermitteln kann. Ich habe mir bereits erlaubt, einige Persönlichkeiten, von denen ich weiß, dass sie Ihre Freunde sind, zu dem Hochzeitsessen in meinem Londoner Stadthaus zu bitten.“

„So überstürzt!“ Zornig stemmte Catherine die Hände in die Hüften. „Habe ich Sie richtig verstanden? Sie haben also bereits meine Freunde zum Hochzeitsessen eingeladen? Wie konnten Sie denn so sicher sein, dass ich Ihrem Handel zustimmen würde?“

Caldbeck hob Catherines Kinn mit einem Finger leicht an und betrachtete eingehend ihr Gesicht. „Sie hatten kaum eine andere Wahl, Catherine. Und Sie sind nicht dafür geschaffen, sich mit harter Arbeit abzuquälen … einmal ganz davon abgesehen, welch eine unverzeihliche Vergeudung dies wäre. Ich habe angenommen, Sie würden gern Ihre Freunde um sich haben und sicher auch wünschen, von ihnen Abschied zu nehmen. Wir werden sehr bald nach Yorkshire zurückkehren.“

Dieses Mal entging Catherine nicht der zärtliche Unterton in seiner Stimme. Vielleicht verstand er ihre Gefühle angesichts all dieser einschneidenden Veränderungen besser als sie selbst. Jetzt erst wurde ihr klar, wie schmerzlich es sein würde, ihr behagliches Leben aufzugeben, alle Menschen zu verlassen, die sie kannte, und obendrein jede Hoffnung auf Unabhängigkeit ein für alle Mal zu begraben. Sein unverhofftes Mitgefühl rührte sie so sehr, dass es ihr die Sprache verschlug und sie nur nickte.

„Gut. Sie werden natürlich in meinem Haus wohnen. Am besten, Sie lassen Ihre Sachen von Ihrer Zofe zusammenpacken, und ich werde meinen Diener schicken, damit er alles abholt.“

Erneut neigte Catherine stumm den Kopf, immer noch unfähig zu sprechen, während ihr Tränen in die Augen stiegen. Caldbeck trat auf sie zu, und sie reichte ihm die Hand, die er an seine Lippen führte. Unvermittelt hielt er inne und zog Catherine an sich. Sie spürte die Wärme seiner kräftigen Hand in ihrem Rücken durch das dünne Unterkleid hindurch. Ehe sie sich jedoch dieses Gefühls richtig bewusst werden konnte, streifte der raue Stoff seines Mantels ihre Brüste. Im nächsten Moment hob er mit der anderen Hand ihr Kinn an und presste seinen Mund auf ihre Lippen.

Eine Welle der Erregung durchflutete sie. Es erschien ihr auf einmal ganz selbstverständlich, sich an ihn zu schmiegen. Leise aufstöhnend zog er sie noch fester an sich. Und sie konnte nur allzu deutlich sein Verlangen spüren. Nie zuvor war sie so leidenschaftlich umarmt worden. Anscheinend waren dem Earl of Caldbeck doch nicht sämtliche Gefühlsregungen fremd.

Der Stoff seiner Kniehose und das weiche Leder seines Stiefels streiften ihre bloßen Beine, während er sich an sie drängte. Catherine erschauerte vor Lust. Gerade als ihr die Sinne zu schwinden drohten, ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Catherine taumelte zur Seite, aber Caldbeck stützte sie sofort.

Sanft berührte er ihr Gesicht. „So ist es besser. Ich möchte nicht, dass meine Braut rot geweinte Augen hat.“

Wieder suchte Catherine in seinem Gesicht nach Spuren eines Lächelns – oder dem Ausdruck von Missfallen –, aber seine Miene war genauso undurchdringlich wie zuvor. Sie atmete tief durch.

Caldbeck wandte sich zum Gehen. „Um halb vier hole ich Sie ab.“

Catherine saß an ihrer Frisierkommode, angetan mit ihrem fast neuen weißen Kleid samt Umhang. Nur gut, dass Weiß ihr stand! Obwohl es üblicherweise die Farbe der Debütantinnen war, mochte sie den starken Kontrast zu ihrem blühenden Teint. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel und betastete die Perlenkette, die vor einer Stunde für sie abgegeben worden war. Lord Caldbeck dachte wirklich an alles.

Dann rückte sie den zierlichen Hut etwas zurecht, den Sally gerade auf ihrer roten Lockenpracht befestigt hatte. Catherine neigte den Kopf ein wenig und sah ihr Haar in der hereinscheinenden Sonne aufleuchten. Es erstaunte sie immer wieder von Neuem, welche Reflexe das Licht hervorzaubern konnte, und wie es den Locken, die im Schatten lagen, einen beinahe purpurroten Schimmer verlieh.

Rotes Haar war nicht in Mode, aber Catherine liebte ihres trotzdem. Es passte zu ihr. Dann tupfte sie einen Hauch Puder auf die kaum wahrnehmbaren Sommersprossen auf ihrer Nase. Das war etwas anderes. Eigentlich müsste ich immer Hüte mit breiter Krempe tragen, ermahnte sie sich zum wiederholten Mal. Während Sally den Kleiderschrank nach Handschuhen und Retikül durchsuchte, hatte Catherine – unglücklicherweise – Zeit, über ihre Lage nachzudenken. In weniger als einem Tag war ihr wohlgeordnetes Leben durcheinandergeraten, und aus der vermögenden jungen Dame, die sich darauf gefreut hatte, selbst über ihr Geld zu verfügen, war eine Bettlerin geworden. Jetzt, einige Stunden später, fand sie sich als Braut eines Mannes wieder, dessen Gesicht aus Stein gemeißelt zu sein schien. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Seine Braut! Heute Nacht würde sie in seinem Haus verbringen. Die Stunde der Wahrheit rückte immer näher, und ihr Mut sank. Jetzt, da endlich ihre Neugier befriedigt werden würde, ertappte sie sich dabei, wie sie davor zurückschreckte. Heute Nacht würde sie im Bett eines Mannes liegen, der ihr völlig fremd war. Sie wäre ihm ausgeliefert und wusste nicht, was sie von ihm zu erwarten hatte. Catherine hielt sich zwar für eine tapfere Frau, aber diese eiskalt blickenden Augen waren bedrohlich genug, um sogar jemand erzittern zu lassen, der wesentlich mutiger war als sie.

Angst packte sie. Sie sprang vom Frisiertisch auf und lief aufgeregt durch das Zimmer. Nein, sie konnte es nicht tun. Es war unmöglich. Da ließ die Stimme ihrer Zofe Catherine zusammenschrecken.

„Miss Catherine? Bitte beruhigen Sie sich, Sie müssen sich wieder hinsetzen. Ich muss Ihnen doch die Handschuhe anziehen. Sehen Sie? Die Naht am Ringfinger habe ich aufgetrennt, damit Sie das Leder zur Seite schieben können.“

Catherine seufzte, ging zum Frisiertisch zurück, sank auf den Stuhl und streckte niedergeschlagen die Hände aus. Während Sally sich damit abmühte, ihr die engen Handschuhe überzustreifen, holte Catherine mehrmals tief Luft, um sich wieder zu beruhigen. Es würde schon nicht so schlimm werden. Ganz sicher nicht. Er war ein gut aussehender Mann und der Kuss, den er ihr gegeben hatte … Nein! Energisch verdrängte sie den Gedanken. Dennoch stieg ihr erneut die Röte ins Gesicht.

„Ist es Ihnen zu warm, Miss Catherine? Mir kommt es hier eher etwas zu kalt vor.“ Sally fächelte ihr mit dem verzierten Elfenbeinfächer Luft zu.

„Nein, schon gut.“ Catherine schob den Fächer zur Seite. „Mir fehlt nichts.“

Gerade in diesem Augenblick war das knirschende Geräusch von Kutschenrädern unten vor dem Haus zu hören. Sally lief zum Fenster. „Ich glaube, das ist er, Miss Catherine“, berichtete sie aufgeregt. „Oh, sehen Sie sich nur diese Kutsche an! Alles in Silbergrau gehalten und mit den herrlichsten Apfelschimmeln, die man sich vorstellen kann. Einer gleicht aufs Haar dem anderen!“

Die Vorstellung, dabei ertappt zu werden, wie sie einen Blick auf ihren Bräutigam zu erhaschen versuchte, behagte Catherine überhaupt nicht. Deshalb spähte sie nur vorsichtig über Sallys Schulter. An dem Wappenschild mit dem Wolfskopf war unschwer zu erkennen, dass der Wagen dem Earl of Caldbeck gehörte. Nachdem der Earl ausgestiegen war und die Treppe betrat, schlug die Standuhr in der Diele gerade halb vier.

„Gut“, stellte Sally fest, „zumindest ist er pünktlich.“

Natürlich war er pünktlich. Wie sollte es auch anders sein. Catherine trat ein wenig näher ans Fenster und sah nach unten – direkt in Caldbecks nach oben gerichtetes Gesicht. Verflixt! Hastig wich sie zurück. Es war ja zu erwarten gewesen, dass er sie dabei ertappen würde, wie sie ihn heimlich beobachtete. Vielleicht täte es ihm gut, wenn sie ihn eine Weile warten ließe. Man musste von Anfang an klare Verhältnisse schaffen.

Aber selbst dieser harmlose Versuch zu rebellieren ließ sich nicht in die Tat umsetzen. Denn schon war ein Klopfen an der Tür zu hören und die Stimme des Lakaien, der verkündete, dass der Earl of Caldbeck sie unten erwartete. Sally schob der reglos dastehenden Catherine schnell die Kordel des Retiküls übers Handgelenk und bugsierte ihre Herrin sanft zur Tür.

„Sie sollten lieber gehen, Miss Catherine. Man darf den Geistlichen nicht warten lassen. Ach je, einen Augenblick bitte. Ich muss noch schnell diese Locke hochstecken. Jetzt ist alles in Ordnung.“

Dann ließ Catherine sich zur Tür führen – dem Schicksal entgegen, das sie erwartete.

Als sie die stille, schwach beleuchtete Kapelle betraten, waren bis auf zwei Personen keine wartenden Gäste zu sehen. Der eine war ein elegant gekleideter Gentleman, den Caldbeck Catherine als seinen Freund Adam Barbon, Viscount Litton, vorstellte, und bei der modischen dunkelhaarigen Dame – eher apart als schön – handelte es sich um Caldbecks Schwester Helen, Lady Lonsdale.

Die beiden bildeten ein attraktives Paar, er mit blondem Haar und fröhlich blickenden braunen Augen, sie mit schimmernden schwarzen Locken und dunkel bewimperten Augen, die genauso blau waren wie Catherines. Überrascht verhaspelte sich Catherine, als sie der anderen Frau die Hand zur Begrüßung reichte.

Caldbeck hatte also eine Schwester. Wie wenig sie doch von ihm wusste.

Während sie gerade darüber nachsann, ob bei der Trauung nur Gäste ihres Bräutigams anwesend sein würden, rauschte Mary Elizabeth in die Kapelle. Catherine eilte ihr entgegen.

„O Liza, ich hatte schon befürchtet, dass du meine Nachricht nicht rechtzeitig erhalten würdest.“ Dankbar umarmte Catherine ihre beste Freundin.

„Ich bin so froh, dass du gekommen bist!“

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich abgehetzt habe, um rechtzeitig bei dir zu sein.“ Wie üblich sah die kleine, etwas rundliche Mary Elizabeth ein wenig zerzaust aus.

„Ich bin völlig außer Atem. Oh, die Feder auf deinem Hut ist perfekt, einfach vollkommen. Du heiratest also! Ich kann gar nicht glauben … Und ohne irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten. Wie konntest du nur? Und ausgerechnet Lord Caldbeck! Ich habe kaum meinen Augen getraut, als wir seine Einladung zum Dinner erhielten. Ich sagte zu George … oh … George? Bist du …? Aber sicher, da bist du ja. Wir sind ja zusammen gekommen …“

„Seien Sie willkommen. Ich bin Caldbeck.“ Der elegant gekleidete Earl machte es sich zunutze, dass Liza Luft holen musste, um ihren Monolog zu unterbrechen und sie und ihren Gemahl zu begrüßen.

„Oh, darf ich Ihnen meinen Ehemann George vorstellen?“, fuhr Mary Elizabeth unnötigerweise fort.

„George Hampton, zu Ihren Diensten, Sir.“ Der schlanke junge Mann verneigte sich und schüttelte Caldbecks Hand. Dann nahm er entschlossen den Arm seiner Frau und folgte Caldbeck, der ihnen die anderen beiden Gäste vorstellte. Nachdem das geschehen war, wandte sich Caldbeck wieder seiner Braut zu und überreichte ihr mit einer würdevollen Geste ein großartiges Bouquet aus weißen Rosen und Lilien mit Bändern, die bis auf den Boden reichten.

Eine betäubende Duftwolke hüllte Catherine ein, als sie den Strauß in die Arme nahm. Dankesworte murmelnd, blickte sie in seine unergründlichen grauen Augen.

Der wartende Pfarrer, ein rundlicher Mann mit schütterem Haar, räusperte sich, um sich endlich die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, und wies die Hochzeitsgesellschaft an, sich entsprechend aufzustellen. Der Geistliche verlas die Trauungsliturgie.

„… um den heiligen Bund der Ehe zu schließen …“

Der heilige Bund der Ehe! Oh, gütiger Himmel, was tue ich nur hier? Ich bin dabei, diesen Mann zu heiraten – diesen Mann, den ich bis heute Morgen …

Kinder. O Gott! Kinder!

„Wer führt die Braut zum Altar?“

Es herrschte Stille. Natürlich hatte Catherine ihren Onkel nicht eingeladen, ganz zu schweigen davon, ihn zu bitten, sie zum Altar zu führen. Sie hoffte von ganzem Herzen, dass der heuchlerische, tränenreiche Abschied von ihrer Tante das Letzte war, was sie jemals wieder von den beiden zu sehen bekommen würde. Dennoch lastete die erwartungsvolle Stille auf ihr, die ewig zu dauern schien.

Hilflos sah sie den Geistlichen an, der sie wiederum über den Rand seiner Brille fragend anschaute. Schließlich trat George Hampton vor und erwies sich als Retter in der Not. Er ergriff Catherines Hand und sagte mit fester Stimme: „Ich führe die Braut.“

Er fasste Catherine sanft am Ellbogen und geleitete sie zum Earl. Der umschloss ihre Hand sogleich fest und wärmend.

Der Pfarrer fuhr mit der Liturgie fort. „Wenn irgendjemand einen Grund kennt, warum diese beiden nicht vereint werden dürfen, so soll er jetzt vortreten oder für immer schweigen.“ Der Kirchenmann ließ ernste Blicke durch den Raum schweifen.

Ich! Ich habe einen Grund! Die Worte hallten in Catherines Kopf wider, aber anscheinend hatte sie nicht laut gesprochen, denn der Pfarrer ergriff wieder das Wort.

„Willst du, Charles Eric Joseph Randolph, diese Frau, Sarah Catherine Maury, zu deiner Ehefrau nehmen, sie lieben und ehren …“

Charles. Sein Name ist Charles Randolph. Nicht einmal das hatte sie gewusst. Nannte ihn denn nie jemand bei seinem Vornamen? Laut und vernehmlich antwortete er:

„Ich will.“

„Willst du, Sarah Catherine …“ Jetzt oder nie. Wenn sie das Ehegelübde erst abgelegt hatte, konnte sie es nie wieder ungeschehen machen. Kinder. Ihre Kinder. Das Schweigen schien unendlich lange zu dauern. Schließlich flüsterte sie leise: „Ich will.“

War ich das? Habe etwa ich diese Worte gesprochen? Es musste wohl so sein, denn der Geistliche sagte etwas von einem Ring. Catherine betrachtete verwirrt die Blumen, die sie in ihrem linken Arm hielt. Dann nahm sie einen Hauch von Lizas Parfum wahr, und das Bouquet war verschwunden.

Caldbeck streifte ihr einen Goldring über den Finger. Der Pfarrer sprach das Gebet.

Es war alles wie ein Traum. Als Caldbeck ihr die Hand entgegenstreckte, sah sie ihn fragend an. Sanft zog er sie an sich. Einen Moment lang spürte sie seine warmen Lippen auf ihren – dann war es vorüber.

Catherine holte tief Luft und drehte sich zu Liza um, die sich die Tränen mit einem Taschentuch abtupfte und gleichzeitig versuchte, ihr die Blumen zurückzugeben. Die Herren gratulierten Caldbeck. Helen berührte vorsichtig Catherines Hand und sprach sie freundlich an.

„Willkommen in unserer Familie.“

Familie. Ein Ehemann. Kinder. Gott steh uns bei.

Wieder saß Catherine an einer Frisierkommode, und Sally machte sich am Haar ihrer Herrin zu schaffen. Sonst war jedoch alles völlig anders: die Frisierkommode, das Zimmer und erst recht das Haus. Ein äußerst imposantes Stadtpalais. Sally war hingerissen.

„Haben Sie jemals einen solchen Palast gesehen, Miss Catherine? Und wenn ich nur daran denke, dass Sie jetzt sogar die Hausherrin sind!“ Sie fuhr mit der Bürste durch Catherines widerspenstige Locken.

Catherine hatte den Umhang abgelegt, und das schlichte, aber äußerst elegante Seidenkleid darunter war zum Vorschein gekommen. Es hatte einen tiefen Ausschnitt, der nach Meinung ihrer Tante einen viel zu großzügigen Blick auf Catherines wohlgeformte Brüste erlaubte, zudem betonte es ihre schmale Taille und lag an den Hüften eng an. Anstelle der Stiefeletten trug sie jetzt Satinschuhe, und Blumen aus ihrem Bouquet schmückten das Haar.

„Es hört sich so an, als wären eine Menge Leute unten“, bemerkte Sally, während sie eine Haarnadel feststeckte. „Sicher ist ganz London erschienen.“

Catherine war der gleichen Meinung, obwohl sie nicht sehen konnte, wie viele Kutschen vorfuhren, weil ihr Zimmer zur Gartenseite hin lag. Zwar hatte Charles gesagt, er habe lediglich einige ihrer Freunde eingeladen. Dem Lärm nach zu urteilen, musste es jedoch eine ansehnliche Menschenmenge sein.

Es klopfte kurz an der Tür, und gleich darauf stand der Earl im Zimmer. Er verneigte sich und reichte ihr seinen Arm, während er ihr Gesicht eingehend betrachtete.

„Sind Sie fertig? Unsere Gäste sind ganz begierig, die junge Lady Caldbeck kennenzulernen.“

Catherine nickte und erhob sich langsam. Was fehlte ihr nur? Sie liebte doch Festlichkeiten. Warum bekam sie jetzt weiche Knie? Jetzt, da es galt, ihren großen Auftritt an der Seite ihres Ehemannes zu genießen. Es hatte ihr stets gefallen, im Mittelpunkt zu stehen. Weshalb wollte sie dann gerade heute Abend am liebsten allem entfliehen und sich verstecken?

Schließlich gelang es ihr mit äußerster Anstrengung, sich zusammenzunehmen. Sie lächelte tapfer und reichte Caldbeck die Hand. Er führte sie aus dem Zimmer. Langsam schritten sie die große Marmortreppe hinunter und blieben auf dem ersten Treppenabsatz stehen. Das Stimmengewirr in der Halle verstummte, und alle Blicke richteten sich auf die beiden.

Hochrufe erklangen, und Applaus brandete durch den hohen Raum. Auf einmal fiel alle Unsicherheit von Catherine ab, sie war wie verwandelt, und ihr Lächeln wirkte nun herzlich. Sie war bei ihren Freunden. In der versammelten Menge erkannte sie fast alle ihre Bekannten und noch viele neue Gesichter. Wie hatte Caldbeck es geschafft, das zu bewerkstelligen? Und warum? Es steckte wohl mehr in Charles Randolph, dem Earl of Caldbeck, als sie gedachte hatte.

Es wurde ein langer, aber aufregender Abend. Helen, elegant in lavendelfarbene Seide gekleidet, übernahm die Rolle der Gastgeberin, sodass Catherine Zeit hatte, den Abend zu genießen. Umgeben von Freunden und Gratulanten spürte sie, wie ihre bösen Vorahnungen verblassten.

Nachdem sie ihre Angst überwunden hatte, unterhielt sie sich blendend, plauderte angeregt mit ihren Freunden beim Dinner und konnte auch wieder lachen. Zudem machte sie die Bekanntschaft einiger Persönlichkeiten, die sie schon lange als Förderer für ihre wohltätige Arbeit hatte gewinnen wollen. Ihr Bund mit Lord Caldbeck schien also bereits Früchte zu tragen.

Ihre innere Unruhe machte sich erst wieder bemerkbar, als Caldbeck sie auf die Tanzfläche führte und den ersten Walzer mit ihr tanzte. Er war jedoch ein ausgezeichneter Tänzer, und das Vergnügen, mit ihm über das Parkett zu gleiten, ließ dem Gefühl der Fremdheit keinen Platz mehr. Catherine fiel auf, wie geschmeidig er sich bewegte und wie sicher er sie führte. Auch früher hatte sie schon mit ihm getanzt. Warum hatte sie es damals nicht bemerkt?

Auch später, während sie mit anderen Gentlemen über das Parkett glitt, blieb ihre Aufmerksamkeit jedoch stets auf Caldbeck gerichtet. Er war der perfekte Gastgeber und plauderte gewandt mit seinen Gästen. Nur hin und wieder spürte sie, wie sein Blick auf ihr ruhte. Jedes Mal wurde ihr warm ums Herz, und sie kam aus dem Takt.

Hier, in seinem eigenen Heim, schien er ein anderer Mensch zu sein. Bei gesellschaftlichen Anlässen hatte er stets den Eindruck erweckt, als ob er nicht richtig dazugehörte, denn er blieb immer ernst inmitten der fröhlichen Menschen. Selbst die Tatsache, dass er ein meisterhafter Tänzer war, war ihr nie aufgefallen. Hatte er sie bei diesen Gelegenheiten so beobachtet wie heute? Ein Schauer überlief sie.

Hier wirkte er selbstsicher und entspannt, unterhielt sich aufgeräumt mit Männern, die, wie sie wusste, zu den mächtigsten des Königreiches gehörten. Er musste äußerst angesehen und einflussreich sein, wenn solche Leute zu seinen Gästen zählten.

Vielleicht war ja der Zweck dieser Feier lediglich, ihnen seine neueste Eroberung vorzuführen. Bei diesem Gedanken erwachte erneut der alte Argwohn in ihr. Es behagte ihr ganz und gar nicht, als Beute angesehen zu werden.

Dennoch sah sie ein, dass auch eine andere Betrachtungsweise möglich war: Manch einer war sicher der Ansicht, sie wäre trotz ihrer finanziellen Misere recht weich gelandet. Sie musste abwarten, welche Demütigungen ihr noch bevorstanden.

Autor

Patricia Frances Rowell
Patti Rowell schreibt als Patricia Frances Rowell, ihrem echten und vollständigem Namen unter dem sie aber niemand jemals „gerufen“ hat. Sie und ihr Ehemann, Johnny, haben sieben Kinder, mehrere Stiefkinder und acht Enkelkinder. Sie leben auf einem ca. 32 Hektar großen Waldgrundstück im Norden Louisianas in einem selbstgebauten Haus. Patti...
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