Zähmung einer widerspenstigen Lady

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Es ist die Sensation des Sommers: Der unwiderstehliche Duke of Dettingham begibt sich auf Brautschau! Nur eine Dame hält sich zurück: Miss Jessica Pendle. Sie ist überzeugt, dass sie nie für ihn in Frage käme... und dass sie ohnehin niemals heiraten will! Doch da hat sie die Rechnung ohne den hartnäckigen Duke gemacht...


  • Erscheinungstag 15.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729509
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Und du bist dir ganz sicher, Eugenia? Der Duke of Dettingham hat den hinreißenden Mr Richard Sea­borne, für den wir alle immer so geschwärmt haben, entführt oder sogar getötet?“, fragte eine junge Dame entsetzt. Um sie herum drängten sich Debütantinnen, die schon neugierig die Ohren spitzten. Es war einer der letzten Bälle der Londoner Saison.

„Allerdings! Die Gentlemen schließen schon Wetten darüber ab, wie er es geschafft hat, so lange ungestraft davonzukommen, Lottie“, flüsterte ihre aufgeregte Informantin so gewichtig, als verkünde sie das Evangelium. „Natürlich wurde nichts in die Wettbücher geschrieben, da der Duke jeden herausfordern müsste, der ihm die Schuld an einem solch fürchterlichen Verbrechen geben würde! Und er ist ein ausgezeichneter Schütze. Er würde wohl kaum davor zurückschrecken, jeden Gentleman niederzuschießen, der tollkühn genug wäre, ihn zu beschuldigen, sollte er tatsächlich seinen Erben auf diese hinterlistige Weise beseitigt haben.“

„Dennoch ist der Duke faszinierend“, meinte Lottie wehmütig. „Seine Art, uns alle wissen zu lassen, dass es ihn nicht im Geringsten kümmert, was wir von ihm halten, lässt mein Herz schneller schlagen. Und wenn er mich dann auch noch mit seinen strahlenden smaragdgrünen Augen zufällig ansieht … Oh, schon bei dem Gedanken daran kann ich dann kein klares Wort mehr herausbringen.“

„Ich habe kein Interesse an diesem gewissenlosen Lebemann“, bemerkte Eugenia steif.

„Ach was! Früher hättest du deine beste Perlenkette dafür gegeben, nur ein einziges Mal mit ihm tanzen zu können – und deine Seele verkauft für alles andere.“

„Was nur bedeutet, dass ich nun weiß, was für ein hartherziger, gefühlloser Mensch er tatsächlich ist“, verteidigte Eugenia sich verärgert.

„Und wie sehr du dir wünschst, er hätte auch bei dir einmal den Wüstling herausgekehrt“, beharrte Lottie.

„Nur, um eines Tages von ihm ermordet zu werden, sobald er meiner überdrüssig geworden wäre? Wohl kaum“, erwiderte ihre Freundin kühl und entfernte sich, um woanders ihr Gift zu verspritzen.

Jessica Pendle war es noch nie schwerer gefallen, still zu bleiben und kein Wort zu äußern.

„Jessica!“

Sie spürte den strengen Blick ihrer Mutter auf sich, die verhindern wollte, dass Jessica empört aufsprang und jenes bösartige Weib öffentlich beschuldigte, welches auf so niederträchtige Weise versuchte, das Ansehen von Jack Seaborne, dem Duke of Dettingham, in den Schmutz zu ziehen.

Jack und sein Cousin Richard würden sich selbst dann nichts Böses antun, wenn ihr Leben davon abhinge. Und jeder, der sie auch nur ein wenig kannte, würde das sofort beschwören. Andererseits wusste Jessica natürlich, dass eine unverheiratete Dame – selbst eine in fortgeschrittenem Alter, so wie sie – keinen Mann verteidigen durfte, der nicht mit ihr verwandt war, ohne alles nur noch schlimmer zu machen.

„Tu einfach so, als hättest du sie nicht gehört“, drängte Lady Pendle sie sanft.

„Es ergibt ja nicht einmal Sinn“, sagte Jessica verwirrt. „Jack ist doch bereits der Duke, warum sollte er jemand umbringen müssen, um seine Position zu sichern, noch dazu seinen Cousin? Glauben die denn, Jack wird jetzt Jagd auf jeden männlichen Seaborne im ganzen Land machen, um seine vermeintlichen Rivalen auszuschalten?“

„Du denkst doch wohl nicht, dass solch unverbesserliche Klatschmäuler sich Gedanken darüber machen, ob die Geschichten, die sie verbreiten, wahrscheinlich sind oder nicht, mein Liebling. Aber meinst du denn, wir können Jack dadurch helfen, dass wir uns seinetwegen in einen Kampf stürzen?“

„Nein, sicher nicht“, gab Jessica zu. „Aber gerade diese Frau ließ keine Tricks aus, um Jack in die Ehe zu locken, als wir damals in die Gesellschaft eingeführt wurden. Falls er entschlossen wäre, jemanden zu ermorden, dann doch wohl eher sie.“

„Eine verschmähte Frau kann in der Tat sehr gefährlich werden. Aber lass uns zu Hause darüber reden, wo uns niemand belauschen kann. Außer Papa … wenn er gerade in der Stimmung sein sollte, sich an unseren Gesprächen beteiligen zu wollen. Hier und jetzt allerdings müssen wir vorgeben, nichts gehört zu haben“, riet ihre Mutter eindringlich.

„Jack ist ein Ehrenmann. Auch wenn er manchmal eine Arroganz an den Tag legt, dass es mir in den Fingern juckt, ihm eine Ohrfeige zu geben. Doch niemals wäre er zu einem Mord fähig, so viel weiß ich.“

„Du lässt dich aber auch schnell von seinen Neckereien herausfordern, mein Liebling, und das beflügelt ihn nur“, mahnte ihre Mutter.

Zu Jessicas Erstaunen ärgerte Jacks selbstherrliches Gehabe weder ihre Familie noch seine.

„Es besteht keine Notwendigkeit für ihn, sich mir gegenüber so aufzuspielen und den Lebemann herauszukehren. Es ärgert mich aber auch, dass ich von niemandem erfahre, was er eigentlich so treibt, seit er aus Oxford zurück ist“, beschwerte sie sich missmutig. Ihre Mutter warf ihr nur einen belustigten Blick zu.

„Manchmal klingst du genau wie Jacks Großmutter, meine Liebe.“ Ihre Mutter schenkte ihr ein Lächeln, das Jessica misstrauisch machte. Vor allem war sie jedoch entsetzt über diese Bemerkung.

„Das meinst du nicht wirklich so, oder?“ Sie zuckte bei der bloßen Vorstellung zusammen, jener fürchterlichen alten Dame in irgendeiner Weise ähnlich zu sein. „Na gut, ich werde in Zukunft netter zu ihm sein“, fügte sie mit Nachdruck hinzu und fragte sich verwundert, warum ihre Mutter so selbstzufrieden aussah.

Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, gab es einen kleineren Aufruhr am Eingang zum Ballsaal. Offenbar trafen gerade wichtige Gäste ein, denn entzücktes Gemurmel erfüllte den Raum. Jessica erkannte schon bald den Grund dafür. Der Duke of Dettingham höchstpersönlich kam gleich darauf so ungezwungen hereingeschlendert, als würde er einen Spaziergang in seinem eigenen Garten machen. Mit der ihm ganz eigenen lässigen Eleganz verbeugte er sich vor der Gastgeberin, ein verschmitztes Grinsen um die Lippen. Und jene nicht mehr ganz so junge Dame errötete wie eine Debütantin und erwiderte sein Lächeln, als er ihr die Hand küsste.

Jessica beobachtete stirnrunzelnd, wie Jack sich auf seine gewohnt unbekümmerte Art in eine Gesellschaft begab, die ihm eigentlich nicht wohlgesonnen war. Im Grunde sollte er aussehen wie jemand, der sich im Dunkeln angekleidet hat, so wenig Aufmerksamkeit wie er seiner Erscheinung schenkte. Stattdessen wirkte er in seinem nicht ganz auf den Leib geschneiderten Rock und dem achtlos gebundenen Krawattentuch so elegant und verwegen, dass selbst die modebewussten jungen Männer des ton sich bemühten, seinem Beispiel nachzueifern … Was ihnen nach Jessicas Meinung allerdings nicht gelang.

Inzwischen war der Duke of Dettingham dabei, die versammelte Gesellschaft zu begutachten, bis er in der Menge einige Freunde entdeckte und sich einen Weg zu ihnen bahnte. Allerdings musste man nicht fürchten, ihn aus den Augen zu verlieren, dachte Jessica aufgebracht. Jeder wandte den Kopf nach ihm um und begrüßte ihn freudig – auch die Menschen, die sich gerade eben noch über ihn und seinen vermissten Erben das Maul zerrissen hatten.

Jack Seaborne gehörte allerdings zu einer aristokratischen Familie, deren Mitglieder in der Gesellschaft sehr angesehen waren. Und obwohl über ihn getuschelt wurde, war er sogar noch größer, schöner und intelligenter als die meisten anderen Seabornes. Wahrscheinlich war er deshalb auch ein wenig arroganter und herrischer als seine Verwandten. Dennoch glaubte Jessica nicht, dass irgendeiner von ihnen aus Neid eine so niederträchtige Geschichte über Jack und Rich in Umlauf bringen würde, um ihm auf diese Weise zu schaden.

Da Jack sich offensichtlich keine Gedanken darüber machte, ob die Gesellschaft ihn akzeptierte oder nicht, zwang Jessica sich, auch nicht weiter über den Klatsch nachzudenken. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Denn jedes Mal, wenn Jack in ihrer Nähe erschien, begann ihr Herz, aufgeregt zu klopfen, und sie wurde von einer seltsamen Hitze ergriffen. Natürlich musste sie es um jeden Preis vermeiden, diese beschämenden Empfindungen offen zur Schau zu tragen … Schließlich ist er nur einer von vielen, versuchte sie sich einzureden. Es gab genug andere attraktive Männer, die von hohem Rang waren und großen Einfluss in der guten Gesellschaft ausübten. Jack ist gar nichts Besonderes, sagte Jessica sich, doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass keiner seine Gelassenheit besaß, seine verflixt verführerische, von der Natur gegebene Ausstrahlung. Die wäre ihm selbst dann eigen gewesen, wenn er mit sechzehn Jahren ein Hausknecht geworden wäre und kein Duke!

Damals war Jessica ein trauriger kleiner Wildfang gewesen und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als an Jacks und Richards wilden Ausritten und sonstigen Unternehmungen teilzunehmen. Allerdings war es ihnen meistens gelungen, ihr zu entkommen. Jetzt erinnerte sie sich an das zwölfjährige Mädchen aus jener Zeit, das hartnäckig bergauf und bergab nach ihnen gesucht hatte, bis die beiden Freunde kurz vor Einbruch der Dunkelheit wieder nach Hause gekommen waren. Gewiss wäre ihr jetzt vor Scham die Röte in die Wangen gestiegen, doch Jessica hatte gelernt, sich zu beherrschen.

„Richard hatte immer entsetzliche Angst gehabt, Jack könnte etwas zustoßen und er müsste dann den Titel und die Verpflichtungen eines Dukes auf sich nehmen“, sagte sie leise zu ihrer Mutter, sodass diese sie erschrocken ermahnte, jetzt nicht einmal an solche Dinge zu denken.

„Erinnere dich bitte, wo du dich befindest, bevor du anfängst, von dem vorzeitigen Hinscheiden deines sehr guten Freundes zu sprechen, Jessica.“

„Das meinte ich doch gar nicht, und außerdem schenkt mir sowieso niemand die geringste Aufmerksamkeit. Sie sind alle viel zu sehr damit beschäftigt, sich von Jack faszinieren oder schockieren zu lassen, als dass sie einem kleinen Niemand wie mir zuhören würden.“

„Du setzt dich immer viel zu sehr herab“, tadelte ihre Mutter.

Jessica vernahm den besorgten Ton in ihrer Stimme und gab sich Mühe, eine fröhliche Miene aufzusetzen, während ihr keineswegs entging, dass Jack durch den Raum schlenderte, als gehörte er ihm.

Sie brachte es sogar fertig, ein mühsames Gespräch mit einem jungen Gentleman zu führen, der politische Ambitionen besaß und eine Gattin suchte, die über gute gesellschaftliche Beziehungen verfügte. Jessica war von vornehmer Geburt und sogar mit vielen Mitgliedern des ton verwandt, fragte sich aber dennoch, warum dieser schwerfällige Mr Sledgeham glaubte, sie könnte diese Gattin sein. Mit ihren dreiundzwanzig Jahren war sie schon fast eine alte Jungfer und das achte Kind ihrer Eltern, die weder reich noch mächtig genug waren, um besonders erstrebenswerte Schwiegereltern abzugeben. Darüber hinaus war ihr linker Fußknöchel verletzt worden, sodass sie seitdem leicht hinkte.

Andererseits besaß sie ein bescheidenes Vermögen, das ihre Großtante ihr in dem Glauben hinterlassen hatte, Jessica würde unverheiratet bleiben und es somit brauchen. Sonst ließ sich zu ihren Gunsten nur noch sagen, dass ihr Vater ein Viscount war und ihre Patentante die angeheiratete Lieblingstante des Duke of Dettingham. Glücklicherweise mochte Jessica den armen Mr Sledgeham nicht genug, um seinen unverhohlenen Ehrgeiz bewundernswert zu finden.

„Was sagen Sie also dazu, Miss Pendle?“, fragte der fehlgeleitete Gentleman plötzlich, und Jessica wurde sich bewusst, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, worüber sie sich gerade unterhielten.

„Danke, nein“, brachte sie in ihrer Verzweiflung hervor, und die Antwort schien gut genug zu passen, da er nur leicht enttäuscht wirkte.

„Kann ich Ihnen dann wenigstens eine Erfrischung bringen, Lady Pendle?“, erkundigte er sich daraufhin höflich bei ihrer Mutter, und Jessica atmete erleichtert auf.

„Nein, aber vielen Dank für das Angebot und Ihre Gesellschaft, Mr Sledgeham“, erwiderte ihre Mutter freundlich, aber nachdrücklich, sodass er sich gehorsam entfernte.

Jessica blieb kaum Zeit, einen Schauder zu unterdrücken bei der bloßen Vorstellung, ein Leben mit einem solchen öden Langweiler verbringen zu müssen – da erschien plötzlich Jack Seaborne höchstpersönlich neben ihr, und es war, als wäre Mr Sledgeham nie hier gewesen. Ihr Herz schlug heftig, und es kostete sie einige Mühe, ruhig zu bleiben. Es war nur zu erwarten gewesen, dass Jack zu ihnen kommen und sie höflich begrüßen würde, da er heute Abend entschlossen zu sein schien, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Lady Pendle war eine alte Freundin seiner Tante Melissa und Jessica ihre Patentochter, also konnte er schließlich nicht einfach an ihnen vorbeigehen, als wären sie lediglich flüchtige Bekannte – obwohl sie mittlerweile wirklich nicht mehr als das waren.

Jack reichte ihr ein Glas Limonade, ohne sie zu fragen, ob sie überhaupt welche wollte. Dann nahm er seelenruhig auf dem Stuhl zwischen ihrer Mama und ihr Platz.

„Euer Gnaden“, begrüßte Jessica ihn, nickte knapp und murmelte etwas vor sich hin, das der Dank für die Limonade sein könnte, wenn Jack es vorzog, sich das einzureden.

„Miss Pendle“, erwiderte er mit leichtem Spott. „Ich hoffe, Sie erfreuen sich guter Gesundheit und gehobener Stimmung?“, erkundigte er sich, als würde er mit einer mindestens zwanzig Jahre älteren Frau sprechen.

„Es geht mir sehr gut, danke“, antwortete sie in ungnädigem Ton.

Schon immer hatte er Spaß daran gehabt, sie in aller Öffentlichkeit herauszufordern und dann voller Schadenfreude zu beobachten, wie sie um Fassung rang. Es war ärgerlich und eines Gentleman nicht würdig, und Jessicas Blick machte deutlich, was sie davon hielt. Jack allerdings lächelte nur und streckte zufrieden die langen Beine aus. Seine männliche Ausstrahlung war so überwältigend, dass sie sich wünschte, er wäre ganz am anderen Ende des Ballsaals. Mit seinem mitternachtsschwarzen Haar, das so verführerisch im Kerzenlicht schimmerte, dem vollkommen geformten, sinnlichen Mund und den schelmischen grünen Augen war er wohl die Antwort auf die Gebete der meisten jungen Frauen – aber Jessica wusste, dass sie sich solche Träume nicht erlauben durfte.

Wenn auch nur mühsam, gelang es ihr, sich einzureden, dass es sich bei ihm lediglich um einen Gentleman handelte, der kurz mit ihnen plaudern wollte. Sonst hätten ihre Wangen sich vor Aufregung womöglich ebenso gerötet wie die so vieler junger Mädchen, die ihn heute Abend anhimmelten. Bei dem Gedanken daran, wie er sich vor sie hinknien und ihr einen Antrag machen könnte, schnürte sich ihre Kehle zu. Denn Jessica wusste, dass Jack Seaborne sie niemals heiraten würde.

„Das ist schön“, bemerkte er so fröhlich, dass sie ihm einen misstrauischen Blick zuwarf, „denn ich möchte Sie zu einer Gesellschaft einladen, die meine geliebte Tante entschlossen ist, diesen Sommer auf Ashburton abzuhalten. Wir hoffen sehr, Sie und ihre reizende Mama einschließlich ihres nicht ganz so reizenden Papas werden geneigt sein, uns zwei Wochen lang in Herefordshire Gesellschaft zu leisten. Und zwar sobald dieses Fiasko von einer Saison endlich vorüber ist.“

Er war plötzlich sehr ernst geworden, und sein Blick ruhte mit einem seltsam flehenden Ausdruck auf ihr. Jessica rief sich insgeheim zur Ordnung. Sie musste sich irren. Schließlich war er der begehrteste Junggeselle im ganzen Land, und sie war … wie sie nun einmal war.

„Sie werden so willkommen sein wie die Blumen im Frühling“, setzte er sein schamloses Schmeicheln fort. „Sie gehören zu den wenigen, die mit mir reden wie mit einem Menschen, nicht wie mit einem Duke. Wollen Sie uns die langen Tage nicht mit Ihrer Anwesenheit versüßen?“

„Wenn ich mir einer Sache sicher bin, Euer Gnaden“, zwang Jessica sich zu antworten, obwohl sie ihm am liebsten jeden Wunsch erfüllen würde, wenn er sie so ansah, „dann, dass Sie sehr wohl in der Lage sind, allein auf sich achtzugeben.“

„Dieses Mal nicht, Prinzessin. Ich habe die böse Vorahnung, dass mein Drachen von Großmutter angeordnet hat, ich müsste schnellstens heiraten. Immerhin gehe ich auf die dreißig zu und werde wohl schon bald an Altersschwäche zu leiden haben“, fügte er mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu, der Jessica aufhorchen ließ.

Sie betrachtete ihn etwas aufmerksamer, als sie bisher gewagt hatte, und bemerkte die feinen Linien um seinen festen Mund und die leichten Schatten unter den Augen, die von tiefer Anspannung und Müdigkeit zeugten.

„Wollen Sie sich nicht einige Wochen auf Ashburton zu uns gesellen und einer langweiligen Angelegenheit ein wenig Würze verleihen, Prinzessin Jessica?“, wiederholte er seine Bitte. „Nur Sie können mich vor den aufdringlichen kleinen Debütantinnen retten, die meine Tante auf mich angesetzt hat“.

Nicht ganz sicher, ob sie sich geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte, ärgerte sie sich vor allem über den Spitznamen. Seit seine Tante ihr nach ihrem Unfall das Queen-Zimmer im Erdgeschoss zur Verfügung gestellt hatte, um ihr das Treppensteigen zu ersparen, nannte er sie so.

„Ich hab Sie so oft gebeten, mich nicht so zu nennen, dass ich bald anfangen werde, es im Schlaf vor mich hinzumurmeln“, fuhr sie ihn bissig an.

„Versprechen Sie mir, dass Sie im Sommer nach Ashburton kommen, und ich werde mir die größte Mühe geben, es nicht wieder zu tun, Miss Pendle“, drängte er sie.

„Und Sie versprechen mir auch, dass Sie sich nicht über mich lustig machen werden?“

„Nie würde ich so etwas Unfreundliches tun.“ Er klang, als wäre schon der Gedanke unvorstellbar für ihn, und das trotz all der Hänseleien, die sie früher von ihm hatte hinnehmen müssen. „Sie werden ein geschätzter Gast sein, und sollte irgendjemand es wagen, Sie in einem anderen Licht zu sehen, wird er sich schon bald gezwungen sehen, woanders Unterkunft zu suchen.“

Seine Worte sollten eigentlich ihr Herz erwärmen. Warum war ihr also plötzlich nach Weinen zumute? Wahrscheinlich weil sie jetzt schon wusste, dass sie sich auf der Gesellschaft wie ein weiblicher Hofnarr fühlen würde. „Ich bezweifle sehr, dass Papa bereit sein wird, Winberry Hall zu verlassen, noch dazu während der Heuernte“, brachte sie scheinbar gelassen hervor.

„Er würde sich schon davon losreißen, wenn ihn nur das zu Hause halten würde, mein Liebes! Aber vergiss nicht, dass sein erstes Enkelkind auf dem Weg ist. Dein Vater ist ein sehr viel liebevollerer Vater und Großvater, als er vor aller Welt zugeben würde“, warf ihre Mutter lächelnd ein.

„Und wir können doch ebenso wenig fehlen, Mama. Es ist Rowenas erstes Kind, also wird sie uns sogar noch nötiger haben“, protestierte Jessica.

„Bis zur Geburt sind es noch viele Wochen, und Rowena ist so robust wie immer – auch wenn sie ihrem armen, gutgläubigen Gatten vorzumachen versucht, sie sei zerbrechlich und zart. Man sollte meinen, er hätte sie nach über einem Jahr Ehe durchschaut. Genau wie dein Papa ist auch er ein fürchterlicher Schwarzseher, aber ich gedenke nicht, mich wie eine besorgte Glucke zu benehmen, nur damit sie sich besser fühlen. Eine erholsame Woche auf Ashburton, bevor ich mich meinen Pflichten als Großmutter widme, klingt wundervoll. Also vielen Dank für die Einladung, Euer Gnaden“, sagte Lady Pendle in entschiedenem Ton.

Wie es aussah, würden Lord und Lady Pendle mit ihrer letzten unverheirateten Tochter diesen Sommer in Herefordshire verbringen, um dem Duke of Dettingham dabei zuzusehen, wie er seine Duchess aussuchte …

„Und ich danke Ihnen, denn mit Ihrer Anwesenheit werden Sie dem Ganzen Würze verleihen“, meinte Jack mit einem so charmanten Lächeln, das selbst einen zänkischen Drachen verzaubert hätte.

Jessica ertappte sich bei dem unfrommen Wunsch, der Duke möge von seiner Auserwählten abgewiesen werden, obwohl sie wusste, dass sie sich da zu große Hoffnungen machte. Jack Seaborne war eine Versuchung, der keine Frau widerstehen würde. Selbst Jessica fühlte, dass es ihr nicht möglich war, seinen charmanten Hilferuf zu ignorieren. Warum aber beugte er sich widerspruchslos dem Plan seiner Großmutter, ihn auf diese Weise zu verheiraten? Seine zynische, nüchterne Art hielt für gewöhnlich selbst die entschlossensten Mamas fern, und bis jetzt war er sorgfältig allen unerfahrenen jungen Damen aus dem Weg gegangen, so reizend sie auch sein mochten. Warum entschied er sich nun also doch zu heiraten, nach all der Mühe, die er sich gemacht hatte, um der Ehe zu entgehen? Leise seufzend über die Unergründlichkeit von Jack Seabornes Gedanken und Beweggründen, sagte Jessica sich, dass sie die Antwort ja nur allzu bald herausfinden würde.

„Vielleicht könnte ich wenigstens zu Hause bleiben … Nur für den Fall, dass Rowena mich braucht“, unternahm sie noch einen letzten verzweifelten Versuch, der Situation zu entkommen.

„Warum sollte sie? Jetzt da sie verheiratet ist, hat sie einen Gatten, der froh und sehr wohl in der Lage ist, sich um sie zu kümmern, und zwar sehr viel besser als Sie es je könnten. Wir andererseits brauchen Sie wirklich, Prinzessin! Wenn Sie also darauf bestehen, jemandem nützlich zu sein, warum dann nicht uns Seabornes?“, sagte der Duke mit einer nicht zu überhörenden Unnachgiebigkeit in der Stimme, die Jessica seltsam erschien. Es klang so, als wäre ihm ihre Anwesenheit wirklich wichtig, während er auf Brautschau ging – als müsste sie aus einem unersichtlichen Grund dafür in seiner Nähe sein.

„Sie brauchen mich nicht, und ich wäre bei einer solchen Zusammenkunft fehl am Platz“, beharrte sie. Irgendetwas in ihr warnte sie davor, sich in eine solche Lage zu bringen.

„Ganz und gar nicht“, entgegnete er scharf, und Jessica erschauerte, als sie dem herausfordernden Blick aus seinen grünen Augen begegnete.

„Ich bin keine unbedarfte kleine Debütantin“, sagte sie.

„Waren Sie denn jemals eine, Prinzessin?“, fragte er mit einem Lächeln, das ihre Entschlossenheit zu untergraben drohte.

„Nein, niemals. Und jetzt bin ich sogar noch weniger naiv als damals.“

„Ich denke, das ist uns allen bewusst.“

„Dann muss Ihnen ebenfalls bewusst sein, dass ich nicht zu der Art Menschen gehöre, die Sie auf Ashburton haben wollen, wenn Sie eine der geladenen Damen dazu überreden wollen, Ihre Duchess zu werden“, fügte sie unbedacht hinzu und wusste in dem Moment, als sie es ausgesprochen hatte, dass sie zu weit gegangen war.

Seine Augen schienen dunkler zu werden, und er verzog den Mund zu jenem hochmütigen Lächeln, das Jessica schon immer erbost hatte. Seine unausgesprochene Verachtung für ihre Offenheit wirkte ungemein einschüchternd auf sie. Jessica spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen, und ihr stockte der Atem, während sie sich die Entschuldigung verbiss, die ihr bereits auf der Zunge lag.

„Vielleicht sind Sie ja genau die Richtige, um mich dazu zu verleiten, Ihr genaues Gegenteil zu suchen, Miss Pendle“, meinte er nach kurzem Schweigen, das alles irgendwie nur noch schlimmer machte.

Er war offenbar gekränkt und wütend, aber wenigstens hatte sie vor ihm verbergen können, wie schrecklich sie es fände, ihm dabei zusehen zu müssen, wie er einer schönen Debütantin den Hof machte und sie dann zur Frau nahm. Genau vor dieser Art von Situation hatte sie sich als Sechzehnjährige immer in Acht nehmen wollen. Aber konnte es sein, dass sie die alberne romantische Liebe von damals noch immer nicht ganz überwunden hatte? Wenn sie wirklich gegen ihren Willen würde zusehen müssen, wie ein unschuldiges Mädchen seinem Charme, seinem umwerfenden Aussehen und seiner unglaublichen männlichen Ausstrahlung erlag … dann wappnete sie sich am besten schon jetzt dagegen, so gut sie nur konnte.

„Ich bin bereits all das, was Ihre Duchess nicht sein wird“, erwiderte sie ausdruckslos. „Wozu also die Mühe?“

„Genau das werden Sie nie herausfinden, weil Sie sich viel zu gut in Ihrer Rolle als Märtyrerin gefallen, Prinzessin“, antwortete er geheimnisvoll.

„Sehr wahr“, unterbrach Lady Pendle ihn mit einem weisen Nicken, das Jessica vor Wut erröten ließ.

„In solchen Momenten sollte ich mich eigentlich auf die Unterstützung meiner Mutter verlassen können“, sagte sie mit all der Würde, die sie aufbringen konnte.

„Die wirst du immer haben, mein Liebes“, entgegnete Lady Pendle, „aber es wird höchste Zeit, dass du deine Flügel ausbreitest.“

„Obwohl sie gebrochen sind?“ In ihrer Entrüstung enthüllte sie ein wenig zu viel von ihren innersten Gefühlen.

„Unsinn! Sie haben Ihrem verletzten Knöchel schon immer zu viel Beachtung geschenkt“, sagte Jack ungeduldig.

„Und Sie haben sich noch nie so sehr geirrt, Euer Gnaden“, schnaubte sie.

„Nicht so sehr wie Sie, wenn Sie sich von einigen hohlköpfigen Narren dazu bringen lassen, Ihren wahren Wert zu verkennen“, fuhr er unverblümt fort. „Und wenn Sie es tun, sind Sie genau so hohlköpfig wie sie.“

„Ach, wirklich?“, entgegnete sie herablassend.

Jahrelang hatte sie auf verschiedenen Gesellschaften bemühte Gespräche und mitleidige Blicke erdulden müssen. Gleichzeitig war der Duke of Dettingham bei diesen Gelegenheiten immer von einer Traube eifriger junger Damen umringt gewesen. Diese Jahre hatten sie nur allzu sehr mit ihren Grenzen vertraut gemacht. Ein Mann, der nur mit dem Finger zu schnippen brauchte, damit ihm die unverheirateten Frauen im ganzen Königreich zu Füßen lagen, konnte sich über ihre Lage kein Urteil erlauben.

„Ja, wirklich“, antwortete er mit seiner gewohnten Überheblichkeit.

„Ich denke wenigstens nicht, dass ich das Recht habe, andere Menschen herumzukommandieren.“

„Wie leidenschaftlich Sie plötzlich sind, Miss Pendle. Könnte es sein, dass meine Fehler Ihnen doch wichtiger sind, als Sie bereit sind zuzugeben?“, fragte er schlau.

„Nein! Außerdem haben Sie so viele Fehler, ich bräuchte ein ganzes Leben, um sie alle aufzuzählen“, teilte sie ihm mit und zwang sich zu einem ausdruckslosen Lächeln. Niemand sollte ihr ansehen, wie wütend sie war.

„Wie gut Sie sich doch mit meiner Großmutter verstehen würden.“

Die Dowager Duchess of Dettingham war eine herrische, oftmals richtiggehend unhöfliche alte Dame. Unter anderen Umständen hätte Jessica vielleicht gelacht bei der Vorstellung, sie könnte ihr ähneln. Aber stattdessen musste sie an die Bemerkung ihrer Mutter von vorhin denken, die Jacks Worte fast genau wiedergaben, und plötzlich war ihr eher traurig zumute.

„Sehen Sie, es gibt also noch jemanden auf dieser Welt, der sich weigert, Sie kritiklos hinzunehmen“, verteidigte sie sich.

„Was den meisten aber nicht schwerfallen dürfte, mein Junge“, lenkte Lady Pendle ein und warf ihrer Tochter einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sagen Sie Ihrer Tante Melissa, dass wir selbstverständlich kommen werden. Und sollte es mir gelingen, Pendle von seinem Besitz und unserer lieben Rowena fortzuzerren, wird auch er Ihnen zur Seite stehen.“

„Vielen Dank, Mylady. Ich bin Ihnen aufrichtig dankbar“, sagte er galant, und Jessica spürte den nicht sehr damenhaften Drang, ihn gegen das Schienbein zu treten – um zur Abwechslung einmal ihn davonhumpeln zu sehen, statt sich selbst immer nur so unbeholfen vorzukommen. Doch da gab ihre Mutter endlich das Zeichen zum Aufbruch, indem sie sich erhob. Auch Jack erklärte, ebenfalls die Gelegenheit nützen zu wollen und sich davonzuschleichen.

„Ich freue mich darauf, Sie wieder auf Ashburton zu begrüßen, Prinzessin“, meinte er zum Abschied, während er ihnen in die Kutsche half. Seine Fürsorglichkeit machte Jessica sogar noch zorniger.

„Sie werden mich unter so vielen schönen jungen Damen gar nicht bemerken“, erwiderte sie schroff.

„Ich bemerke Sie immer, Prinzessin“, sagte er, als müsste man ihm dazu gratulieren.

Und damit trat er zurück, ein unerträglich selbstgefälliges Lächeln auf dem attraktiven Gesicht, während der Diener die Tür der Kutsche zuwarf. Lässig winkend schlenderte der Duke weiter, ohne auch nur einen Spazierstock zu seiner Verteidigung bei sich zu führen. Wahrscheinlich pfeift er auch noch sorglos vor sich hin, dachte Jessica verstimmt. Genauso gut könnte er die auf der Lauer liegenden Straßenräuber persönlich einladen, ihn zu überfallen und auszurauben.

„Wenn du dein Wort immer so gewissenhaft halten würdest wie gerade eben, wären dein Vater und ich bald gezwungen, dich zu enterben“, sagte ihre Mutter gereizt.

„Was meinst du damit? Ich halte immer meine Versprechen“, verteidigte Jessica sich.

„Du hast vor nicht ganz einer halben Stunde geschworen, du würdest höflich zu Jack sein! Und dann verhältst du dich so kindisch, dass es einfach nur unangenehm ist.“

„Wahrscheinlich wirst du mich noch ohne Abendbrot zu Bett schicken“, spottete Jessica so ungerührt sie konnte. Aber insgeheim wusste sie, dass ihre Mutter recht hatte. Sie hatte sich von ihren widerstreitenden Gefühlen zu offener Unhöflichkeit mitreißen lassen, weil sie ahnte, wie sehr Jacks Heiratspläne ihre Welt auf den Kopf stellen würden. „Ich werde versuchen, von jetzt an meine Zunge im Zaum zu halten“, versprach sie und hoffte nur, sie würde sich während der zwei Wochen auf Jacks Gut auch daran halten können.

Jack Seaborne war sicherlich zu sehr Gentleman, um ihr die schlechte Laune übel zu nehmen, und sie bedeutete ihm nicht so viel, dass er sich die Mühe machen würde, über längere Zeit einen Groll gegen sie zu hegen. Er gehörte sowieso nicht zu den Menschen, die leicht gekränkt waren, und nach dem geplanten Besuch auf seinem Besitz würden sie sich nicht mehr sehen, außer vielleicht zufällig oder bei gelegentlichen Gesellschaften des ton. Jessica hatte sieben Geschwister und er fünf Cousins und Cousinen – eigentlich vier, wenn man von Rich absah – und eine Legion entfernter Verwandter, also würde es Taufen und Verlobungsbälle in Hülle und Fülle geben, bei denen auch Jessicas Familie anwesend sein musste. Doch sie, die jungfräuliche Tante, würde sich dabei ganz einfach unauffällig im Hintergrund halten.

Natürlich bedauerte sie jedes verblendete Mädchen, das sich von der Anziehungskraft des hinreißenden Duke of Dettingham täuschen ließ und sein wahres Wesen nicht erkannte. Jack Seaborne verfügte über einen tyrannischen Willen und eine unnachgiebige Entschlossenheit, das Leben all jener zu bestimmen, die ihm nahestanden – selbstverständlich nur zu deren Besten, wie er behauptete. Zweifellos würde er einen ausnehmend unbequemen Gatten abgeben. Dass Jessica dabei würde zusehen müssen, wie er seiner Braut den Hof machte, durfte sie nicht wie eine Qual empfinden. Es war lediglich eine weitere Pflicht, die sie hinter sich bringen musste, bevor sie sich aufs Land zurückziehen konnte. Dort würde sie vielleicht Schweine züchten oder auch Dampfmaschinen finanzieren und sich einen Namen als exzentrische vermögende Dame machen.

„Ist es etwa zu viel verlangt, ganze zwei Wochen höflich zu bleiben?“, fragte Lady Pendle spöttisch, sodass Jessica verlegen den Blick abwandte und aus dem Fenster blickte. „Außerdem sollst du nicht die alte Jungfer spielen, wenn die ganze Familie sich doch nichts anderes wünscht, als dass du dich gut unterhältst. Ashburton ist zu jeder Zeit wunderschön, aber im Hochsommer ist es dort besonders zauberhaft“, fuhr ihre Mutter fort, als könnte die Schönheit der Natur und des Familiensitzes der Seabornes Jessica über die Tatsache hinwegtrösten, dass sie sich ihrem Gastgeber gegenüber zusammenreißen musste.

„Es macht mir immer viel Freude, Tante Melissa und die Kinder zu besuchen“, erwiderte sie nur vage.

„Stimmt, es wird fast so sein wie in früheren Zeiten“, meinte Lady Pendle glücklich.

„Fast“, bestätigte Jessica trocken und dachte daran, wie hingebungsvoll sie Jack früher bewundert hatte und wie sie ihm immer auf dem Fuß gefolgt war … wie ein ergebenes kleines Hündchen.

Damals war sie davon überzeugt gewesen, dass sie füreinander bestimmt waren, und in ihren Träumen von einer märchenhaften Hochzeit und dem ewigen Glück hatte er immer die Rolle ihres Bräutigams eingenommen. Doch dann war sie eines Tages mit dem Lieblingspferd ihres Vaters mitten in einem heftigen Sommergewitter ausgeritten und hatte sich schwer verletzt. An den Folgen litt sie noch heute.

Vergiss deine Kindheitstorheiten, ermahnte sie sich und kam zu dem Schluss, dass in der stürmischen Familiengeschichte der Seabornes kein Paar weniger zusammengepasst hätte als Jack und sie. Der Sommeraufenthalt auf Ashburton würde ein angenehmes Zwischenspiel sein, bevor Jessica sich endgültig ihrer wahren Bestimmung widmete. Und zwar allein.

2. KAPITEL

Als sie Jack am folgenden Tag im Park spazieren gehen sah, erkannte Jessica plötzlich, warum ihr bei dem Gedanken an die geplante Gesellschaft so unbehaglich zumute war. Sie entdeckte ihn lange, bevor er den Landauer der Pendles bemerkte. Trotz der plaudernden Leute überall und der fröhlichen Zurufe seiner Freunde sah er einsam aus.

Und gleich darauf erkannte Jessica, warum er ihr so erschien – selbst jetzt noch erwartete sie, Richard an seiner Seite zu sehen. Die beiden Cousins waren als Jungen unzertrennlich gewesen und hatten auch als junge Männer viel zusammen unternommen. Plötzlich wurde ihr auch bewusst, warum Jack beschlossen hatte zu heiraten. Ein entsetztes Keuchen entfuhr ihr, das sie sofort in ein Hüsteln zu verwandeln suchte. Natürlich! Er hoffte, dadurch seinen Taugenichts von einem Erben wieder nach Hause zu locken. Denn wenn Richard feststellte, dass Jack verheiratet war, gab es auch kaum mehr ein Risiko für ihn, das Oberhaupt der Familie zu werden – und damit eine riesige Verantwortung übernehmen zu müssen.

Was für ein unromantischer Grund für eine Heirat! Am liebsten hätte sie Jack trotz der vielen Leute an den Kopf geworfen, welch ein Narr er doch war.

„Dummkopf“, sagte sie leise, weil er in diesem Moment bereits auf sie zugeschlendert kam. Es war, als hätten Jessicas finstere Gedanken ihn magisch angezogen.

„Dettingham“, begrüßte ihr Vater ihn herzlich.

„Euer Gnaden.“ Betont freundlich hielt ihre Mutter Jack zur Begrüßung die Hand hin, um in aller Öffentlichkeit deutlich zu machen, was sie von den letzten Gerüchten über den Duke hielt.

„Jack …“, brachte Jessica tonlos hervor und konnte sich gerade noch zurückhalten, um ihn nicht direkt anzuherrschen, was in aller Welt er sich eigentlich dabei gedacht hatte, seinen albernen Cousin auf diese hanebüchene Weise aus seinem Versteck aufscheuchen zu wollen.

„Wirklich, Jessica, ich habe dich zwar gebeten, freundlich zu ihm zu sein, aber in der Öffentlichkeit seinen Vornamen zu verwenden, geht ein wenig zu weit“, tadelte Lady Pendle sie geistesabwesend, da sie damit beschäftigt war, ihrem Gatten einen sanften Tritt vor das Schienbein zu verpassen. Irgendjemand musste ihn daran erinnern, dass er nicht so offen seine Freude zeigen durfte. Man merkte ihm an, dass er sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als seine Tochter und den Duke of Dettingham in ein vertrauliches Gespräch vertieft zu sehen.

„Haben Sie Ihrer Mama wirklich etwas so Schwieriges versprochen, Prinzessin?“, fragte er mit diesem strahlenden Lächeln, das stets die seltsamsten Gefühle in ihr auszulösen drohte.

„Wenn ich es täte, würde ich ebenso schnell zum Lügner werden wie Sie, Euer Gnaden“, sagte Jessica mit einem vorwurfsvollen Blick. Jack schien entschlossen zu sein, unter keinen Umständen auf ihren verhassten Spitznamen zu verzichten.

Er verbeugte sich mit so übertriebener Eleganz, dass Jessica ein Kichern unterdrücken musste. Ausgerechnet jetzt, da es noch dieses ganz bestimmte Hühnchen mit ihm zu rupfen gab, kam ein Waffenstillstand zwischen ihnen überhaupt nicht in Frage.

„Ich entschuldige mich für meine Entgleisung, Miss Pendle, aber Ihr majestätischer Blick schafft es immer wieder, meine ohnehin schon armseligen Manieren noch zu verschlechtern“, entgegnete er etwas zu kleinlaut, um glaubwürdig zu sein.

„Wenn ich mir erlauben würde, eine solche Entschuldigung für meine Torheit vorzubringen, würde man mich sofort aus der guten Gesellschaft verbannen“, erklärte sie ihm streng.

Autor

Elizabeth Beacon
<p>Das ganze Leben lang war Elizabeth Beacon auf der Suche nach einer Tätigkeit, in der sie ihre Leidenschaft für Geschichte und Romane vereinbaren konnte. Letztendlich wurde sie fündig. Doch zunächst entwickelte sie eine verbotenen Liebe zu Georgette Heyer`s wundervollen Regency Liebesromanen, welche sie während der naturwissenschaftlichen Schulstunden heimlich las. Dies...
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