Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2017

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GERAUBT VOM HIGHLANDER

Am Hochzeitsmorgen entführt! Die schöne Lady Arabella wollte Caelan Mackintosh ehelichen, damit endlich Frieden zwischen ihren verfeindeten Clans einkehrt. Stattdessen wird sie von Caelans Cousin Brodie in die Highlands verschleppt. Dem Mörder ihres Bruders! Wie eine Wildkatze kämpft Arabella gegen Brodies breitschultrige Überlegenheit, seine unverschämte männliche Anziehungskraft unter den Sternen der Highlands - vergeblich: Sein erster Kuss zeigt ihr, dass Leidenschaft heißer als Hass brennen kann. Aber soll sie Brodie deshalb glauben? Er behauptet, dass nicht er, sondern ihr Bräutigam den Tod ihres Bruders auf dem Gewissen hat …

DIE WILDE BRAUT DES WIKINGERS

Nur wer sie im Kampf besiegt, darf sie zur Frau nehmen! Doch jeder Bewerber scheitert an der schönen Schildmaid Sayrid Avildottar, die wie eine Göttin aus Walhalla das Schwert schwingt. Bis der breitschultrige Wikinger Hrolf Eymundsson sie herausfordert. Der wilde Seekönig, der die Flotte befehligt, besiegelt Sayrids Schicksal: In einer Sekunde der Unaufmerksamkeit unterliegt sie ihm! Sayrid muss ihm ihr Land überlassen. Aber mehr noch: Als seine Braut muss sie zur Mittsommernacht und bis in alle Ewigkeit sein Lager und seine Leidenschaft teilen. Doch kann die Unbezähmbare jemals wahre Liebe in den Armen ihres Wikingers finden?

DIE SCHÖNE HEILERIN

Die junge Engländerin Lady Madeleine, rothaarig, ungezähmt und geheimnisvoll, wird von vielen als Hexe verteufelt. Aber als der kühne Clanführer Alexander sie in den Wirren der gnadenlosen Kämpfe zwischen England und Schottland als Geisel nimmt, retten ihre wunderbaren Heilkünste sie vor dem Kerker. Sie pflegt Alexander, der im Krieg schwer verletzt wurde, gesund. Und gewinnt sein Herz mit ihrer atemberaubenden Sinnlichkeit. Doch ihre Liebe wird bedroht: Jemand trachtet Madeleine nach dem Leben ...


  • Erscheinungstag 04.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735326
  • Seitenanzahl 768
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Terri Brisbin, Michelle Styles, Sophia James

Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2017

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Theresa S. Brisbin
Originaltitel: „Stolen by the Highlander“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 330 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Petra Lingsminat

Abbildungen: The Killion Group / Hot Damn Designs, JulieanneBirch / iStock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733768072

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Arabella Cameron konnte nachempfinden, wie sich die Eisschicht auf einem winterlichen See anfühlte. Das Lächeln, wie festgefroren in ihrem Gesicht, als sich ein weiterer Mackintosh daranmachte, ihre Schönheit in Versen zu preisen, würde bald zerspringen wie brüchiges Eis, das von einem Stein getroffen wird. Sie war nicht besonders zuversichtlich, das Lächeln noch lang aufrechterhalten zu können, während der Lobgesang sich zu immer absurderen Höhen aufschwang. Es kribbelte ihr in der Nase, und ihre Sorge, ihr würden die Gesichtszüge entgleisen, wich der noch größeren Angst, in Gelächter auszubrechen.

Sie atmete langsam ein und blinzelte einige Male in der Hoffnung, so die Fassung wahren zu können. Arabella sah auf und erschrak, als sie Brodie Mackintoshs düsterem glühendem Blick begegnete. Der ältere der beiden Männer, die als Nachfolger des Mackintosh gehandelt wurden, saß am Ende des Tisches zu ihrer Rechten und starrte sie unverwandt an. Sie konnte sich nicht entsinnen, ihn in der kurzen Zeit, die sie ihn nun kannte, auch nur einmal lächeln gesehen zu haben.

Nichts in seinen mahagonibraunen Augen verriet ihr, was er von den Männern hielt, die die Clans mit Lobpreisungen ihrer, Arabellas, Schönheit und ihres Anmuts ergötzten. Oder was er über Arabella dachte. Oder über die Tatsache, dass sie binnen weniger Monate seine Frau sein könnte. Völlig in Bann geschlagen von seinem durchdringenden Blick, hatte sie gar nicht bemerkt, dass der Barde zum Ende gekommen war und sich erwartungsvolle Stille auf den Saal herabgesenkt hatte.

Bis Brodie Mackintosh den Blick abwandte und den Kopf drehte zu … zum Barden des Mackintosh-Clans, der verstummt war und Arabella nun gespannt ansah. Arabella nickte und klatschte in die Hände.

„Eure gütigen Worte ehren mich sehr …“ Sie konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.

„Dougal war keineswegs gütig, Lady Arabella“, unterbrach Caelan Mackintosh sie. Er saß zu ihrer Linken und zwinkerte ihr zu. Offenbar hatte er gemerkt, dass sie den Namen des Barden vergessen hatte. „Er hat nichts als die Wahrheit gesagt, wie wir alle sehen können.“ Sie wandte sich wieder dem Barden zu.

„Dennoch ehrt mich Euer Lob, Dougal. Und ich danke Euch für Eure Komposition und Euren Vortrag.“

Der Barde verneigte sich und kehrte unter dem Beifall der Festgesellschaft zu seinem Platz zurück. Caelan neigte sich zu ihr und sprach so leise, dass die anderen es nicht hören konnten.

„Mit Eurer Schönheit und Eurer Anmut habt Ihr alle Mackintoshs betört, Arabella. Die Camerons hätten längst siegreich aus dieser Fehde hervorgehen können, wenn sie Euch als Geheimwaffe eingesetzt hätten.“ Er strich ihr sanft über die Hand und führte dann den Becher zum Mund, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. „Ihr habt mich betört.“

Diese Worte hörte sie nicht zum ersten Mal. Sie war schon oft für ihre Schönheit gerühmt worden, die doch nichts war als ein Geschenk des Allmächtigen, das nichts mit ihren eigenen Leistungen zu tun hatte. Doch als sie in Caelans tiefblaue Augen sah, wünschte sie sich, seinen Worten Glauben schenken zu können.

Er bot ihr seinen Becher an, sodass ihre Lippen die Stelle berührten, von der er getrunken hatte. Arabella ließ es zu, gewährte dem Mann, den sie vielleicht heiraten würde, diese kleine Geste der Intimität. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem verlockenden Lächeln, als sie trank. Die Hitze, die sie daraufhin durchströmte, rührte nicht von dem Wein, sondern von der Art, wie Caelan sie ansah, während sie sich einen Tropfen von den Lippen leckte. Er beugte sich vor, als würde er hier und jetzt einen Kuss wagen, und sie hielt den Atem an.

Ein lautes Krachen ließ sie zusammenfahren, und sie drehte sich um. Sie sah noch, wie Brodie sich nach seinem schweren Becher bückte und ihn auf den Tisch zurückstellte. Der Zwischenfall, ob nun absichtlich herbeigeführt oder nicht, hatte den Moment zwischen ihr und Caelan zerstört. Jede Hoffnung, ihn wieder aufleben zu lassen, wurde zunichte gemacht, als ihr Vater das Wort ergriff.

„Deine Tante wartet auf dich, Arabella. Such dein Gemach auf.“

Wenn nur ihr Vater und ihr eigener Clan anwesend gewesen wären, hätte sie sich vielleicht widersetzt, doch hier und jetzt hätte sie das niemals getan. Nicht nachdem so viel davon abhing, dass sie sich als gehorsame, pflichtbewusste Tochter zeigte, deren einzige Aufgabe darin bestand, ihren Clan vor tödlichem Gemetzel und völliger Auslöschung zu bewahren.

Sie setzte das verhasste Lächeln auf, erhob sich und knickste vor ihrem Vater und dem Mackintosh. Danach ging sie um den Tisch und die Stufen nach unten. Dort stand ihre Tante Devorgilla und beobachtete sie. Zweifellos würde sie ihr einen Vortrag über ihr Benehmen und ihre Erscheinung halten. Arabella bedachte jeden, der sie grüßte, mit einem Lächeln und einem Kopfnicken. Von all den Stunden erzwungener Liebenswürdigkeit war sie völlig erschöpft.

Ein Dienstbote mit einer Fackel geleitete sie durch den Flur und die Treppe hinauf in das Gemach, das ihr für ihren Aufenthalt zugeteilt worden war. Dort angekommen, ließ sie sich auf das Bett fallen und gestattete ihren gequälten Gesichtszügen, sich zu entspannen. Sie wusste, was jetzt kommen würde.

„Du hast zu dicht bei dem einen gesessen und den anderen ignoriert, Arabella.“ An der Art, wie sich die hohe Stimme im Raum bewegte, erkannte Arabella selbst mit geschlossenen Augen, dass ihre Tante vor dem Bett auf und ab marschierte. „Du darfst nicht den Anschein erwecken, als gäbest du einem von beiden den Vorzug.“

„Aye, Tante Devorgilla“, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen.

„Während des letzten Vortrags hast du nicht aufgepasst. Eine solche Missachtung solltest du weder dem Barden der Mackintoshs noch dem Harfenisten noch …“

„Schon gut, Tante Devorgilla“, fiel sie ihrer Tante ins Wort. „Meine Mutter hätte sich wegen meines schlechten Benehmens auf dem Fest furchtbar geschämt … und weil ich deinen Warnungen nicht genügend Beachtung geschenkt habe …“ Diese und andere Bekenntnisse strömten aus ihr heraus, und dem darauffolgenden Schweigen entnahm Arabella, dass sie ihre Tante betroffen gemacht hatte.

„Kind“, flüsterte Devorgilla. „Deine Mutter wäre stolz auf dich gewesen. Stolz darauf, dass du die Pflicht erfüllst, zu der du geboren wurdest.“ Die Stimme ihrer Tante klang erstickt, und Arabella hob den Kopf, um die jüngste Schwester ihrer Mutter anzusehen. „Sie wäre so stolz darauf gewesen, dass du deine Pflicht erfüllst, obwohl es einfacher wäre, es nicht zu tun. Obwohl es bedeutet, dass du den Rest deines Lebens unter unseren Feinden zubringen musst.“

„Tante Gillie“, sagte sie. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. „Es tut mir ja so leid. Ich wollte mich nicht wie ein eigensinniges Kind verhalten. Ich weiß deinen Rat zu schätzen, ehrlich. Ich bin einfach müde. Morgen früh werde ich dem Ganzen gelassener begegnen.“

„Komm jetzt, Kind“, meinte ihre Tante und trat zu ihr. „Ich helfe dir, dich bettfertig zu machen.“

„Nay. Dazu kann ich Ailean rufen.“ Ihre jüngere Cousine diente ihr als Gesellschafterin und Zofe, wenn es nötig war.

„Still jetzt“, entgegnete Devorgilla und lockerte die Bänder an Arabellas Oberkleid. Bald stand Arabella im Hemd da. Als ihre Tante begann, ihren langen Zopf zu lösen, seufzte sie auf. „Setz dich“, ordnete ihre Tante an.

Zuerst teilte sie die geflochtenen Strähnen und kämmte das Haar dann mit einer weichen Bürste aus. Mit jedem Augenblick, der verging, löste sich die Spannung in Arabella, und sie gab sich ihrer Erschöpfung hin. Ihre Lider wurden schwer, und ihr Körper wurde schlaff. Mit jedem Bürstenstrich schwanden ihre Sorgen.

„Was ist für morgen geplant?“

Solcherart an die vor ihr liegende Ungewissheit erinnert, seufzte Arabella erneut auf.

„Ein Ausritt mit Caelan am Morgen, ein Ausritt mit Brodie nach dem Mittagsmahl. Keine Sorge, Tante Gillie, Ailean wird an meiner Seite sein, sobald ich die Burg verlasse.“

„Wegen deiner Sicherheit mache ich mir keine Sorgen, Kind. Ich sorge mich um dein Herz.“ Ihre Tante ließ die Bürste sinken und trat einen Schritt zurück. Arabella wandte sich um und entdeckte im Blick ihrer Tante eine Trauer, die sie dort noch nie gesehen hatte. „Lass nicht zu, dass du dein Herz an einen von beiden verlierst, ehe die Ältesten entscheiden, wer der Nachfolger des Mackintosh werden soll. Damit handelst du dir für die vor dir liegenden Jahre nur Schmerz und Kummer ein.“

„Tante Gillie, was …?“ Damit hatte sie nicht gerechnet. Hinter dieser überraschenden Bemerkung steckte sicher mehr, als schlichte Fürsorglichkeit.

„Nun, wie auch immer, Arabella“, unterbrach ihre Tante sie, ehe sie die Frage beenden konnte. „Ich bin wohl doch müder, als ich dachte. Ich werde nun mein Nachtlager aufsuchen.“

Ohne ein weiteres Wort legte ihre Tante die Bürste hin, wandte sich um und verließ den Raum. Zugegeben, die Warnung, auf ihr Herz achtzugeben, hatte sie schon öfter gehört, doch was ihre Tante über Schmerz und Kummer gesagt hatte, ließ auf etwas Persönliches schließen. Sie würde dem am nächsten Morgen nachgehen. Ein leises Klopfen kündigte Aileans Kommen an. Kurz darauf lag Arabella in der stillen Dunkelheit und dachte über die Unterschiede zwischen den Mackintosh-Vettern und ihre Zukunft als Ehefrau von einem von beiden nach.

Wohlmeinend wie ihre Tante war, hatte sie allerdings nicht berücksichtigt, was Arabella angesichts der einen Tatsache empfand, die sich niemals ändern würde – wen sie auch heiratete, sie würde sich ihrem Feind schenken. Sie würde in den Clan einheiraten, der ihre Familie über Generationen bekriegt und massakriert hatte. Man hoffte auf ein Ende der Fehde, wenn sie das nächste Oberhaupt der Mackintoshs ehelichte.

Was auch geschah, Arabella würde sehr bald einen Feind heiraten.

Brodie hielt einer der Frauen, die am Tisch bedienten, den Becher hin und sah zu, wie sie ihn füllte. Er bedankte sich mit einem Nicken und fuhr fort, sämtliche Camerons in der großen Halle zu beobachten. Sie kamen unter der Flagge des Waffenstillstands und nahmen die angebotene Gastfreundschaft in Anspruch, doch Brodie traute keinem von ihnen.

Während er von Krieger zu Krieger blickte, war er sich bewusst, dass einige von ihnen in den Scharmützeln und Schlachten der Vergangenheit Mackintoshs getötet hatten. Und unter den älteren Camerons waren einige, die weder den Waffenstillstand noch das bevorstehende Abkommen wollten. Umso mehr Grund, ihnen nicht zu trauen.

Nicht einmal der goldbezopften Erbin des Clans traute er. Die Halle, in der das Fest zu ihrer Begrüßung stattfand, begann sich zu leeren, nachdem Lady Arabella Cameron sich zurückgezogen hatte. Er sah sich im Raum um und begegnete dem Blick der Männer, die er in der Nähe der Camerons postiert hatte.

Sollten die Barden doch ein Loblied auf ihre Schönheit singen. Sollte sein Vetter ihr doch mit Feuereifer den Hof machen. Er kümmerte sich um die Sicherheit seines Clans, während andere den Höfling spielten und die Gefahren ignorierten. Nachdem ihm jeder seiner Männer zugenickt hatte, wandte er sich wieder seinem Onkel, seinem Vetter und ihren Gästen zu.

Brodie war zufrieden, einfach nur das Geschehen um sich herum aufzunehmen und sich auf kein Gespräch einzulassen. Dabei bemerkte er, wie der Cameron und Malcolm, sein ältester Sohn, dasaßen und redeten, und er sah auch, wie sie ihn beäugten. Es bestärkte ihn in der Ansicht, dass auf beiden Seiten ein gewisses Misstrauen herrschte. Und dass ihnen möglicherweise Verrat drohte, worin die Camerons besonders gut waren. Sein Onkel erhob sich, und jeder an der Tafel tat es ihm gleich. Das Fest war vorüber.

Brodie stellte seinen Becher ab und ging zu seinem Onkel, während die Camerons sich auf ihre Zimmer bringen ließen, die ihnen im Nordturm zugewiesen worden waren. Sie alle an einem Fleck unterzubringen machte es leichter, sie im Auge zu behalten. Und sie zu isolieren, falls es Schwierigkeiten gab. Das entlockte ihm ein Lächeln.

„Du wirst die kleine Cameron nach dem Mittagsmahl begleiten“, sagte sein Onkel, was ihm Brodies volle Aufmerksamkeit eintrug.

„Nay, Onkel, ich muss mich um …“, begann Brodie zu erklären.

„Du wirst sie begleiten, Brodie. Das ist morgen deine Aufgabe.“

Über diesen Punkt waren sie schon vor der Ankunft der Camerons uneins gewesen. Brodie hielt das alles für verfrüht, während die Clanältesten auf der Seite seines Onkels waren. Sie fanden, es böte ihnen einen Weg, die beiden Vettern zu bewerten, ehe sie ihre Wahl trafen.

Nachdem sie jedwede Prüfung hinter sich gebracht hatten, welche die Ältesten für sie vorgesehen hatten, würde einer von beiden zum Than und Erben des Clanoberhaupts der Mackintoshs erklärt werden. Nach dem Tod ihres Onkels würde entweder er oder Caelan die Chattan-Konföderation leiten, den Zusammenschluss verschiedener Clans. Die Ältesten würden einen von ihnen beiden zum Oberhaupt über die Leute, das Land und den Reichtum ihres Clans küren.

Er war Lachlan, der ihn nach dem Tod seiner Eltern aufgezogen hatte, zu großem Dank verpflichtet. Der Laird hatte ihn die Fähigkeiten gelehrt, die er zum Leben und Führen brauchte. Und so würde er das tun, worum sein Onkel ihn bat oder was er ihm befahl, selbst wenn er selbst anderer Meinung war.

Nun hatte sein Onkel zu der Liste von Fähigkeiten, die vom neuen Clanoberhaupt erwartet wurden, eine neue hinzugefügt: die Cameron-Tochter umwerben. Er sah auf, fing den entschlossenen Blick seines Onkels auf und die frohlockende, siegesgewisse Miene seines Vetters.

Aye, Caelan konnte es mit den Frauen, mit seinen sanften Worten und Liebkosungen hatte er schon viele in sein Bett gelockt. Er war geübt darin, die Frauen nach Belieben zu benutzen und fallen zu lassen, und er würde all seine Erfahrung einsetzen, um das Herz der Cameron-Tochter zu gewinnen. Brodie machte sich keinerlei Hoffnungen, dass die Frau, die die Generationen umfassende Fehde zwischen ihren Familien beenden könnte, von seinem Vetter nicht gefesselt sein würde.

„Aye, Onkel.“ Brodie hätte sich lieber mit der Schulung neuer Wachen oder der Verteidigung ihrer Grenzen beschäftigt, als sich mit diesem sinnlosen Werben herumzuschlagen. Doch aus dem wütenden Blick seines Onkels und der Art, wie er die Arme vor dem mächtigen Brustkorb verschränkte, schloss Brodie, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als Zeit mit Arabella zu verbringen.

„Versuch nicht, sie einzuschläfern“, spottete Caelan im Weggehen.

Sosehr Brodie sich wünschte, darauf etwas Witziges oder sogar Beißendes zu erwidern, es fiel ihm nichts ein. Er war ja auch weder für seinen Witz noch für seinen Sinn für Humor bekannt. Und auch nicht für seine Gewandtheit im Umgang mit Frauen. Brodie stieß den Atem aus und verließ die Halle.

Er war gut darin, seinen Clan und ihr Land vor den ständigen Überfällen ihrer Feinde zu beschützen. Er wünschte sich schon sehr lange, dass diese Fehde ein Ende nähme, schon bevor seine Eltern in einem Hinterhalt am Loch Arkaig ermordet worden waren. Mit jedem neuen Kampf, jeder neuen Schlacht, die zum Verlust weiterer Familienmitglieder führte, wuchs sein Wunsch, irgendwie Frieden zwischen den Mackintoshs und den Camerons zu schaffen. Und wenn die Fehde ohne weiteres Blutvergießen beendet werden könnte, nun, umso besser. Er zog Frieden durch Verhandlungen vor, doch er würde jeden Weg beschreiten, der zum Ziel führen würde.

Selbst wenn es bedeutete, dass er die Frau heiratete, die ihr falsches Lächeln wie eine zweite Haut trug.

Und daher würde er trotz des Misstrauens, das sein ständiger Begleiter geworden war, den Befehlen seines Onkels Folge leisten und mit ihr irgendwohin ausreiten. Danach würde er alle Aufmerksamkeit auf das richten, was wirklich zählte – dass er zum nächsten Clanoberhaupt gekürt würde.

Und wenn er dazu eine Feindin heiraten müsste, dann würde er auch das tun.

2. KAPITEL

Es lief besser als erwartet, als Arabella die Burg in Caelan Mackintoshs Gesellschaft verließ. Begleitet von Ailean und jeweils einem Clanmitglied als Wache, ritt sie an Caelans Seite durch das Tor und das Dorf, das wie die Burg der Mackintoshs Drumlui hieß. Auch an diesem Morgen lächelte sie, doch diesmal hatte er sie dazu gebracht. Und zum Lachen. Und dass sie sich wirklich wohlfühlte.

Seine Komplimente waren nicht so übertrieben wie die, die sie sonst zu hören bekam, und er setzte sie geschickt und nicht zu oft ein. Caelan entlockte sogar ihrer verdrießlichen Cousine Ailean ein Lächeln, und das war keine einfache Sache. Sie wandten sich gen Osten und folgten dann einem breiten Fluss in den Wald. Eine Weile ritten sie am Fluss entlang, ließen dabei die anderen ein Stückchen hinter sich, aber immer in Sichtweite.

Als sie zum Mittagsmahl zurückkehrten, staunte Arabella darüber, wie schnell die Zeit mit ihm vergangen war.

„Hoffentlich hattet Ihr einen angenehmen Ausritt, Lady Arabella“, sagte er und hob ihre Hand an die Lippen. „Ailean, Eure Begleitung war eine Bereicherung“, fügte er hinzu und nickte ihrer Cousine zu, die daraufhin rot anlief und irgendetwas Unverständliches stammelte. Wenigstens eine Cameron hatte Caelan bereits für sich gewonnen, und die nächste würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

„Gewiss, mein Herr. Und wie schön, nach all den stürmischen Tagen einmal einen klaren, sonnigen Morgen zu erleben“, sagte Arabella.

„Beinahe, als lachte uns das Schicksal.“

Da rief ihre Tante nach ihr. Es wurde Zeit, sich der nächsten Aufgabe zu widmen. Zumindest hatte der Tag gut angefangen.

„Ich überlasse Euch nun Euren Pflichten“, sagte sie und neigte den Kopf.

Seine blauen Augen blitzten, und als er sie anlächelte, bemerkte sie das reizende Grübchen an seinem Kinn. Anziehend, gastfreundlich und charmant zu sein waren für einen zukünftigen Ehemann nicht die schlechtesten Eigenschaften, entschied sie, während sie ihrer Tante hinterherging. Sie sprachen nicht, bis sie ihr Gemach erreicht hatten. Dort schickte Devorgilla Ailean auf einen Botengang, damit sie unter sich waren.

„Die Farbe in deinen Wangen und das Funkeln in deinen Augen legen den Schluss nahe, dass der Morgen gut verlaufen ist?“, fragte ihre Tante. Eine Schüssel mit Wasser erwartete sie, und Arabella nahm den Waschlappen entgegen.

„Ja. Er ist … annehmbar“, sagte sie. Sie tauchte den Lappen ins Wasser und säuberte sich Gesicht und Hände. Dabei lächelte sie.

„Annehmbar? Mehr nicht?“, hakte ihre Tante nach. „Von den beiden scheint Caelan der Freundlichere zu sein.“

„Aye, Tante.“ Sie gab den Lappen zurück und legte den Reif ab, der ihren Schleier hielt. „Du hast mir geraten, ich solle keinem den Vorzug geben. Ich versuche nur, deinem Rat zu folgen.“

Sie setzte sich, damit ihre Tante Gillie ihr das offene Haar erneut zum Zopf flechten und sie für das Mittagsmahl zurechtmachen konnte. „Obzwar ich mir mit dem einen wohl etwas bessere Chancen auf eine glückliche Ehe ausrechne als mit dem anderen.“ Ihre Tante riss an ihren Haaren, was sie zum Schweigen brachte.

„Glück ist nicht der Grund für diese Hochzeit, Arabella. Halte dir das immer vor Augen, wenn du Zeit mit diesen Männern verbringst. Ihre Clanältesten werden die Entscheidung treffen, und du wirst heiraten, wen sie auswählen.“

Bei diesen warnenden Worten verlor Arabella alle Freude an dem schönen Ausflug. Sie wusste, worin ihre Pflicht bestand, und war bereit, sie zu erfüllen, aber das hieß doch nicht, dass sie die kleinen Momente, in denen die Entscheidung noch in weiter Ferne zu warten schien, nicht genießen durfte! Jemand klopfte an die Tür und hinderte sie an einer Antwort. Im nächsten Augenblick trat Ailean ins Zimmer.

„Sie rufen jetzt zum Mittagsmahl“, sagte sie.

„Komm, Tante Gillie. Wir dürfen sie nicht warten lassen.“ Arabella stand auf und schüttelte ihr Gewand aus.

Ailean führte sie hinunter in die große Halle; sie hatte sich inzwischen mit den vielen verschlungenen Gängen dieser großen steinernen Burg vertraut gemacht. Arabella versuchte ihre Gedanken zu ordnen und sich keine Sorgen zu machen wegen dem, was vor ihr lag … mit Brodie Mackintosh. Er war das genaue Gegenteil seines Vetters – er düster und abweisend, Caelan freundlich und lächelnd. Während Caelan locker mit ihr plauderte und scherzte, starrte Brodie sie finster und mit einem Ausdruck der Missbilligung an, die sie sich nicht erklären konnte. Es war, als wäre sie in seinen Augen unzulänglich.

Und so hörte sie mit Erleichterung, als sein Onkel erklärte, Brodie nehme am Mahl nicht teil. Zumindest die Mahlzeit würde sich als angenehm erweisen.

Und so war es dann auch. Caelan saß ein paar Plätze von ihr entfernt neben ihrem Bruder und schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit. Ihr Vater lächelte mehr als sonst, ebenso der Mackintosh. Mit jedem Tag, den sie hier weilten, schien sich die Spannung, die bei ihrer Ankunft vor vier Tagen noch mit Händen zu greifen gewesen war, ein wenig mehr zu legen.

Viel zu bald endete das Mahl, und es wurde Zeit für Arabella, ihren Nachmittag mit Brodie zu verbringen. Sie atmete tief durch und nickte ihrer Tante und ihrer Cousine zu. Der Laird befahl einem seiner Diener, sie in den Hof zu geleiten. Sie bemerkte, wie Caelan sich erbötig machte, diese Aufgabe zu übernehmen, jedoch von einem Kopfschütteln seines Onkels daran gehindert wurde. Und so erhob Arabella sich und folgte dem Mann nach draußen. Sie entließ den Diener mit einem Winken, als sie Brodie neben den Pferden entdeckte, und ging zu ihm.

Brodie beugte sich vor und zog den Gurt um den Bauch des Pferdes fest, bis er sicher saß. Er streichelte das Pferd, keines der ihren, aber ein herrliches Tier. Die Camerons kannten sich mit Pferden aus und hatten eine der besten Herden in den Highlands. Brodie flüsterte dem Pferd beruhigende Dinge zu, während er seine Aufgabe beendete. Beziehungsweise hätte es getan, wenn er nicht von seinem Freund Rob unterbrochen worden wäre.

„Na, das ist ja mal ein wirklich schönes Mädchen, was?“, sagte Rob von der anderen Seite des Pferds. Brodie sah seinen Freund stirnrunzelnd an und warf einen vielsagenden Blick unter den Bauch des Tiers.

„Aye, er ist ein schöner Bursche“, meinte er kopfschüttelnd, während er das Zaumzeug prüfte.

„Bist du blind, Brodie?“ Rob schob das Gesicht über den Pferderücken. „Das Cameron-Mädchen. Das Cameron-Mädchen ist schön.“

„Oh, das Cameron-Mädchen. Aye“, murmelte Brodie und konzentrierte sich auf die Zügel. Allmählich kam er zu dem Schluss, dass es ein Fehler gewesen war, Rob zu bitten, sie auf dem Ausritt zu begleiten. Er hätte stattdessen einen der Dienst tuenden Männer fragen sollen.

„Komm schon, du musst doch zugeben, dass es nicht schwierig wäre, mit ihr verheiratet zu sein! Mit ihr das Lager zu teilen. Ihr Haar offen zu sehen. Diese Augen, dieser Mund!“, sagte Rob leise und lachte dann. „Ich hätte nichts dagegen, wenn ich nach Abschluss der Verhandlungen mit ihr verheiratet wäre!“

„Ein schönes Mädchen? Aye, sie ist schön“, räumte Brodie laut ein. Er trat zurück, sah sich das Pferd ein letztes Mal an und zuckte dann mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein, Rob, mir wären am Ende ein Dutzend Rinder oder Pferde wie das hier lieber. Rinder und Pferde wären uns sehr viel nützlicher als eine Frau, die sich nur durch ihre Schönheit auszeichnet.“

Aus der erstarrten Miene seines Freundes und dem plötzlichen Schweigen ringsum auf dem Hof schloss Brodie, dass sie hinter ihm stand. Er verdrehte kurz die Augen und stieß den Atem aus. Seine Worte waren hart gewesen. Nicht für ihre Ohren bestimmt. Sie hatte es gehört, und nun musste er sich entschuldigen. Sein Onkel würde Kleinholz aus ihm machen, wenn er das nicht in Ordnung brachte. Er zermarterte sich den Kopf, was er sagen könnte, und drehte sich langsam zu ihr um.

Wenn er einen Augenblick länger gezögert hätte, hätte er das flüchtige Verdunkeln ihres Blicks verpasst und die Art, wie sie die Mundwinkel senkte. Bei dem Anblick krampfte sich ihm der Magen zusammen. Dann setzte sie wieder ihr leeres Lächeln auf und ging auf ihn zu.

„Es ist sehr nett von Euch, mir Euer Land zu zeigen“, sagte sie lächelnd. „Ich weiß, dass Ihr eigentlich anderes zu tun hättet, und weiß es zu schätzen, dass Ihr mir Eure Zeit widmet.“

„Lady Arabella“, begann er. Und dann … nichts.

Ihm fielen weder die falschen noch die richtigen Worte ein. Sondern gar keine.

„Was haltet Ihr von ihm?“, fragte sie. „Ist er nicht herrlich?“ Sie war so freundlich, ihm nach der Beleidigung, mit der er sie eben bedacht hatte, einen Ausweg zu bieten. Er nahm ihn dankbar an.

„Aye, das ist er. Kräftig und lebhaft“, sagte er, strich langsam über die Flanke des Pferdes und nickte. Er blickte auf die Beine des Tieres. „Und ausdauernd, möchte ich meinen.“

„Oh, er hält tagelang durch“, erwiderte sie, trat vor und streichelte den Kopf des Pferdes. „Er hat mich schon auf vielen Reisen getragen.“ Sie machte einen Schritt zurück und begegnete Brodies Blick. Er suchte nach Anzeichen, dass er sie beleidigt oder verletzt haben könnte, doch ihre blauen Augen waren bar jeglichen Gefühls. „Sollen wir uns auf den Weg machen?“, fragte sie und blickte hinauf in den Himmel, wo sich Wolken zusammenballten.

„Alles aufsteigen“, rief er der restlichen Truppe zu, während er ihr auf das Pferd half.

Er reichte ihr die Zügel und schwang sich selbst in den Sattel. Sie saß im Sattel, als wäre sie dort geboren worden, hatte den mächtigen Hengst völlig in der Hand. Er konnte sie nur anstarren, während sie sich die Lederriemen ums Handgelenk wand, bis die Zügel genau die richtige Spannung aufwiesen, um dem Pferd genügend Freiheit zu lassen, es aber auch ihre Kommandos spüren zu lassen. Brodie ritt voran, führte die Gruppe durch das Tor und schlug genau die entgegengesetzte Richtung ein, die Caelan am Morgen gewählt hatte.

Rob wusste, wohin sie unterwegs waren, und so ritt Brodie voraus, während die Wache der Camerons die Nachhut bildete. Die Cousine des Mädchens, eine junge Frau namens Ailean, welche die Haltung und die saure Miene einer alten Jungfer an den Tag legte, bezog direkt hinter ihm und neben Arabella Stellung. Etwa eine Meile von der Burg entfernt überquerten sie den Fluss und wandten sich dann in Richtung der Berge, die sich am Horizont erhoben. Ein paar Minuten später hörte er die Frauen miteinander flüstern, und dann schloss das Cameron-Mädchen plötzlich zu ihm auf.

„Also, Brodie, wohin reiten wir?“, fragte sie mit weicher Stimme, den Blick fest auf die unebene Straße vor ihnen gerichtet.

„Ihr habt unser Land am See gesehen. Wir reiten zu einer Stelle hoch oben auf dem Berg, dann kann ich Euch mal etwas anderes zeigen.“ Es war sein Lieblingsplatz, doch das verriet er ihr nicht. „Noch ein kurzes Stück geradeaus, dann zweigt der Pfad nach oben ab.“

Sie ließ sich nicht zurückfallen, um wieder neben ihrer Cousine zu reiten. Nein, sie blieb an seiner Seite. Wie sie es bei Caelan vermutlich auch getan hatte. Ihm war unwohl zumute – lieber hätte er gegen eine ganze Armee von Camerons gekämpft, als sich mit diesem Mädchen auseinanderzusetzen. Schlimmer, sie ging gar nicht auf die Beleidigung ein, mit der er sie empfangen hatte – weswegen er an gar nichts anderes mehr denken konnte, während sie den Bergpfad erklommen.

Nach einer Wegbiegung gelangten sie zu einer Lichtung, einen Felsvorsprung hoch über dem Mackintosh-Land. Er mochte den Blick, er kam oft hierher, wenn er die Einsamkeit suchte. In diesem Augenblick war der Himmel wolkenverhangen, doch wenn die Sonne schien und ein lauer Wind wehte, konnte man meilenweit blicken, über die Hügel bis zum Meer und auf der anderen Seite bis zum See.

„Wie schön!“ Ihre atemlose Stimme ließ ihn hochschrecken, denn er hatte ihre Gegenwart für einen Augenblick vergessen.

„Aye.“

Er riskierte einen vorsichtigen Blick und sah, dass ihr sonst so leerer Blick voll staunender Bewunderung auf die vor ihnen liegende Aussicht geheftet war. Einen verrückten Augenblick dachte Brodie, dass sie nicht nur die Aussicht, sondern die Ländereien selbst zu bewundern schien. Ländereien, die viel größer waren als die der Camerons, selbst wenn man die Gebiete mit einrechnete, die sie den Mackintoshs damals vor vielen Generationen geraubt hatten. Sobald sie die anderen näher kommen hörten, wandelte sich ihr Blick, und das gefürchtete Lächeln kehrte zurück.

„Ich bin ein wenig verwirrt, was die Orientierung angeht“, sagte sie. „Der See ist … wo?“

Brodie drehte sich im Sattel und deutete nach rechts. „Loch Lochy liegt etwa fünf Meilen in diese Richtung. Loch Arkaig liegt im Norden. Und das Meer ungefähr dreißig Meilen im Westen.“

„Und die Ländereien der Mackintoshs?“, fragte sie und blickte zum Horizont.

„Bis zum See und so weit, wie Ihr nach Westen blicken könnt“, erwiderte er, ohne den Stolz in seiner Stimme zu dämpfen. „Und ebenso meilenweit nach Norden und nach Süden.“ Sie blickte in die Richtungen, in die er gedeutet hatte, und nickte.

„Dann hattet Ihr recht“, sagte sie leise und sah ihn endlich an.

„Recht, Lady Arabella?“ Er lenkte sein Pferd an ihre Seite. Ein, zwei Schritt mehr, und die Tiere hätten sich berührt. „Womit hatte ich recht?“

Brodie konnte sich nicht entsinnen, dass er sich über irgendetwas anderes als die Ländereien geäußert hätte. Und dass er dabei recht gehabt hatte, wusste er. Er kannte das Land, am helllichten Tag und bei finsterer Nacht.

„Dass Euch zusätzliche Rinder oder Pferde nützlich wären. Vielleicht solltet Ihr sie auf Eure Liste von Forderungen für die Verhandlungen setzen, ehe es zu spät ist?“

Himmel hilf, in ihren Augen blitzte eisiges Feuer, und ihr Lächeln war vollständig erloschen. Erst als Rob hinter ihnen leise kicherte, bekam sie ihre Züge wieder unter Kontrolle. So viel hatte er sie noch nie sagen hören, und er hatte das Gefühl, in diesem Augenblick ihr wahres Gesicht zu sehen. Und dann war es vorüber. Die Eisjungfrau saß wieder hoch zu Ross und lächelte ihn an. Dann lenkte sie ihr Pferd mit einer leichten Kopfbewegung um ihn herum und von der Lichtung. Die anderen folgten ihr eilig, sodass er allein zurückblieb, mit Blick auf die Ländereien und im Bewusstsein all die Fehler, die er bis jetzt begangen hatte.

Zunächst einmal war er so damit beschäftigt gewesen, sie und die mögliche Heirat zu ignorieren, dass ihm ihre wahre Natur völlig entgangen war. Für einen Mann, der die Späher des Clans beaufsichtigte, war dies ein mächtiger Fehlschlag.

Dann hatte Brodie darin versagt, was er sonst am besten konnte – die Sicherheit des Clans zu gewährleisten und seine Männer in Kampfbereitschaft zu halten. Er hatte nur das gesehen, was Arabella Cameron ihn – sie – hatte sehen lassen wollen: eine Frau, die keinen eigenen Willen besaß und tat, was man ihr befahl.

Und schließlich, und das war für seinen Seelenfrieden das Schlimmste, hatte ihn die Entdeckung, dass sie keine hohlköpfige Schönheit war, auf eine Weise erfreut, über die er nicht weiter nachdenken, ja sich nicht einmal eingestehen wollte.

Während er die Lichtung verließ und den Pfad hinunterritt, wurde Brodie klar, dass er sie genauer im Auge behalten musste. Warum ihm das ein Lächeln entlockte, wusste er nicht. Er holte die anderen ein und zügelte sein Pferd neben ihrem, drängte dabei ihre Cousine weiter nach vorn zu Rob und den Wachen. Er musste sich immer noch für seine beleidigenden Worte entschuldigen.

„Lady Arabella“, sagte er und ritt langsamer, sodass sich der Abstand zu den anderen vergrößerte. „Auf ein Wort bitte.“

Als sich die Zofe zu ihr umblickte und den wachsenden Abstand bemerkte, winkte Arabella nur ab. Sie passte das Tempo ihres Pferdes dem seinen an. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinanderher, während er sich seine Worte etwas sorgfältiger zurechtzulegen versuchte. Wieder einmal kam sie ihm zu Hilfe.

„Mein Herr … Brodie“, begann sie ruhig, ohne ihn anzusehen. „Ich wurde dazu erzogen, meine Pflicht gegenüber meiner Familie zu erfüllen. Diese Pflicht besteht darin, den zu heiraten, der zum nächsten Oberhaupt Eures Clans ernannt wird. Und dieser Pflicht werde ich nachkommen, egal, was ich persönlich dabei empfinde. Ich nehme doch an, dass Ihr das Gleiche tun werdet?“ Sie hob den Blick, bis sie ihm direkt in die Augen sah.

„Ich werde meine Pflicht erfüllen“, sagte er und nickte. Was seine persönlichen Gefühle anging, so war Brodie sich ihrer nicht ganz gewiss, wenn sie ihn so ansah, doch darum würde er sich später kümmern. Jetzt erst einmal …

„Lady Arabella, ich …“ Er stolperte über die Worte, die er sich zurechtgelegt hatte. „Ich hätte nicht so über Euch reden sollen.“

„Habt Ihr es denn so gemeint? Dass Ihr Rinder oder Pferde nötiger braucht als mich?“ Weder ihr Ton noch ihre Miene verrieten, wie es um ihre Gefühle bestellt war.

„Möchtet Ihr die Wahrheit wissen?“

„Ich ziehe die Wahrheit vor. Ich bekomme sie so selten zu hören.“

„Aye, wir brauchen mehr Rinder.“

Die Stille stand zwischen ihnen, doch keiner wich dem Blick des anderen aus.

„Dann ist es ja gut, eine Frau zu bekommen, die Gold in die Ehe mitbringt, von dem Ihr neue Rinder kaufen könnt.“

Sie bewegte sich im Sattel, er sah, dass sie sich von seiner Seite entfernen wollte. Brodie streckte den Arm aus und griff nach ihrer Hand. Bei der Berührung zuckte sie zusammen, entzog sich ihm aber nicht.

„Aye. Ich hätte das trotzdem nicht sagen sollen.“

„Aye“, stimmte sie zu, löste die Hand aus seiner und fasste die Zügel kürzer. „Das hättet Ihr nicht.“

Während sie sich zu den anderen gesellte, lachte er zum ersten Mal seit Langem laut auf. Arabella sah sich zu ihm um und nickte ihm zu. In ihrem Gesicht sah er das erste echte Lächeln.

Das Mädchen hatte mehr an sich, als er gedacht hatte. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn er sie heiraten müsste?

3. KAPITEL

Malcolm näherte sich dem Tisch, bahnte sich seinen Weg durch die zahlreichen Mackintoshs, die sich zum Mahl versammelt hatten. Arabella sah, wie er mehr als einmal innehielt, um mit der einen oder anderen jungen Frau zu plaudern. Ihr Bruder hatte diese Wirkung auf Frauen. Er war groß und attraktiv und zog viele Blicke auf sich, während er sich zu dem Tisch auf der Estrade begab. Lächelnd ließ er sich auf dem Platz neben ihr nieder.

„Noch zwei Tage, dann lassen wir diesen Ort hinter uns“, flüsterte er ihr zu, während er sich den Becher von einer aufmerksamen drallen Dienstbotin füllen ließ.

„Genau, in zwei Tagen brechen wir auf“, sagte sie. „Ich jedoch werde in wenigen Monaten hierher zurückkehren und für immer bleiben müssen.“ Er sah sie an, betrachtete forschend ihr Gesicht und ihre Augen.

„Bist du nicht mehr bereit, einen Mackintosh zu heiraten? Hast du deine Meinung geändert?“ Er hob ihr Kinn an und sah sie mit schmalen Augen an. „Sag mir die Wahrheit.“

Er war der einzige Mensch, dem sie sich wirklich öffnen konnte. Sie hatten den Leib ihrer Mutter geteilt und ihr Leben von klein auf zusammen verbracht.

„Ob bereit oder nicht, ich werde tun, was man von mir erwartet. Das weißt du doch“, flüsterte sie. „Ich wünschte nur, ich wüsste mehr über die beiden. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit. Ich wünschte …“

Sie verstummte. Ihre Wünsche hatten in den Verhandlungen oder dem, was darauf folgte, nicht die geringste Bedeutung. Ihr brannte die Kehle, als ihr plötzlich die Tränen kamen. Sie ergriff ihren Becher und trank etwas Ale, um sie hinunterzuspülen.

„Was kann ich tun, um dir die Last und die Sorgen zu erleichtern, Schwesterherz?“ Sie wusste, dass er ihr helfen würde, wenn er konnte.

„Den heiraten, der zum Than ernannt wird?“, schlug sie vor. Bei dieser unangebrachten Bemerkung entfuhr Malcolm ein lautes Lachen, so laut, dass es Aufmerksamkeit erregte. Ihre Tante warf ihnen ein warnendes Stirnrunzeln zu, um Arabella zu bedeuten, dass ihr Benehmen unpassend war.

„Glaub bloß nicht, dass ich einer arrangierten Heirat entkomme“, sagte Malcolm. „Wenn es hier eine Tochter gäbe, hätte man mich zweifellos ebenso als Opferlamm zum Altar geführt, wie man es nun mit dir macht.“ Er beugte sich zu ihr und fügte hinzu: „So wird man mich eben an den nächstbesten Höchstbietenden verkaufen.“

Irgendeiner seiner Freunde rief ihn, worauf Malcolm seinen Becher in einem Zug leerte, ehe er sie verließ. Im letzten Augenblick wurde seine Miene ernst.

„Wirklich, kann ich irgendetwas tun, um dir die Heirat und den ganzen Handel irgendwie zu erleichtern?“

„Finde heraus, was für Männer das sind.“

Das war es, was sie wirklich wissen wollte. Sie sah nur das, was sie sie sehen ließen, sie wusste von den beiden ebenso wenig wie sie von ihr. Einer von beiden sollte ihr Ehemann werden und hätte sie dann vollkommen in seiner Macht – ihren Körper, ihren Reichtum, ihre Zukunft. Die Männer hatten von einer Ehe nichts zu befürchten, denn sie hatten dabei nichts zu verlieren, während sie als Frau jede Menge Grund hatte, sich Sorgen zu machen. Sorgen, denen sie keinerlei Ausdruck verleihen konnte, Sorgen, die ihr den Schlaf raubten.

„Was soll ich herausfinden?“, fragte er und nickte seinen Freunden noch einmal zu.

„Was sie für Menschen sind. Wie sie andere Frauen behandeln. Was ihr Clan von ihnen hält. Solcherlei Dinge. Geselle dich zu ihnen“

„Wie lang ihr bestes Stück …“ Sie schlug ihm die Hand vor den Mund, bevor er das Wort aussprechen konnte. Ihre Wangen röteten sich. So etwas konnte nur ihr respektloser Bruder zu ihr sagen. Sie in Verlegenheit zu bringen bereitete ihm ja auch diebische Freude.

„Malcolm!“

Er nahm ihre Hand aus seinem Gesicht und hauchte einen Kuss darauf. Dann stand er auf, verneigte sich vor ihrem Vater und dem Mackintosh und ging dann mit einem Zwinkern davon. Bald war er von Freunden umgeben, und Arabella lächelte. Er hatte es ernst gemeint – er würde versuchen herauszufinden, was sie wissen musste. Er würde sie nicht enttäuschen, er würde ihr helfen, sich auf ihr neues Leben vorzubereiten.

Als Arabella sich von ihrem Bruder abwandte, fing sie Brodies Blick auf. Er wirkte nie richtig entspannt, sondern immer wachsam, während er sich umsah und jeden unter Beobachtung zu halten schien. Sie glaubte, ein paar verstohlene Gesten und Signale zwischen ihm und ein paar über den Saal verteilten Männern gesehen zu haben.

Da! Er tat es schon wieder – er hatte irgendeine geheime Botschaft mit einem großen Mann ausgetauscht, der im rückwärtigen Teil der Halle stand. Sie nippte an ihrem Ale und beobachtete ihn über den Rand hinweg. Er wiederholte die Prozedur – nahm Kontakt auf, gab die gleichen Signale, widmete sich dann dem nächsten Mann – immer wieder, bis sein Blick durch den gesamten Raum gewandert war und … auf sie fiel.

Sie war versucht, den Blick zu senken, nickte ihm stattdessen jedoch zu und beobachtete, wie er sich ihr näherte. Er war größer als sein Vetter und trug sein dunkelbraunes Haar lang, nur an den Schläfen zurückgebunden. Auch wenn er nur selten zu lächeln schien, sah sie Lachfältchen um seine braunen Augen und seinen Mund. Mit seinen langen Beinen hatte er die Entfernung zwischen ihnen rasch bewältigt, und dann stand er vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt, und musterte sie ähnlich aufmerksam wie sie ihn.

Seit ihrem Ausritt in die Hügel, als er erklärt hatte, er gebe ein paar Rindern den Vorzug vor ihr, waren sie sich einige Male begegnet, und ihre Zusammentreffen hatten sich als interessante Mischung aus Höflichkeit und Herausforderung erwiesen. Erst gestern hatte er beim Nachtmahl eine Frage über Feldfrüchte einfließen lassen und nur mit einem leisen Brummen verraten, wie überrascht er war, als sie darauf etwas zu sagen wusste. An diesem Morgen hatte er sie im Hof um Erlaubnis gebeten, ihr Pferd reiten zu dürfen. Er hatte gesagt, das Tier brauche ein wenig Auslauf, nachdem es so lang im Stall gestanden habe, doch ihr war klar gewesen, dass er ein gutes Pferd ebenso zu schätzen wusste wie sie.

Nun stand er vor ihr und wartete darauf, dass sie ihn einlud, sich zu ihr zu setzen. Sie stellte den Becher ab und nickte. Brodie setzte sich auf den Platz, den ihr Bruder gerade verlassen hatte.

„Meinen Dank, Lady Arabella, dass Ihr mir gestattet habt, das Pferd zu reiten.“ Er lächelte, und die Art, wie sein schönes Gesicht plötzlich aufleuchtete, raubte ihr den Atem. Wie war sie je auf die Idee gekommen, er könnte düster und furchterregend sein?

„Was haltet Ihr von ihm?“, fragte sie, während ihre Becher gefüllt wurden. „Wie weit seid Ihr geritten?“

„Ein paar Meilen über die Lichtung hinaus“, sagte er. „In die Hügel und noch weiter. Ich habe die Zügel schießen lassen, und er hat die Gelegenheit genutzt.“ Brodie lachte, und sie bemerkte, dass sich viele in der Halle danach umdrehten. „Er konnte gar nicht genug davon bekommen, doch ich wollte ihn nicht zu sehr ermüden, da Eure Abreise ja bald bevorsteht.“

„Bisher ist es mir noch nicht gelungen, ihn zu ermüden“, entgegnete sie. „Meist bin ich diejenige, die sich geschlagen gibt.“ Sie lachte. „Sogar mein Bruder Malcolm hat es noch nicht geschafft, daher weiß ich, dass meine Reitkünste nicht ganz zu verachten sind.“

Er blieb an ihrer Seite. Beide sahen zu, wie sich die Leute zu kleinen Gruppen zusammenfanden und die Tische beiseiteräumten, damit der Tanz beginnen konnte.

„Habt Ihr Stuten, die er decken könnte?“, fragte sie. Das Pferd hatte wunderbare Eigenschaften, die es an seine Nachkömmlinge weitergeben könnte. Brodie verschluckte sich und hustete.

„Lady“, flüsterte er, „was für ein unpassendes Thema …“

Sie wandte ihm das Gesicht zu, schüttelte den Kopf und stellte den Becher ab.

„Er ist mein und wird mein bleiben, Brodie“, erklärte sie. „Auch wenn mein Ehemann über alles andere, was ich in diese Ehe mitbringe, die Kontrolle erhält – dieses Pferd gehört mir. Nachdem Ihr an ihm interessiert seid, dachte ich, wenn ich ihn Euch als Zuchthengst anbiete, hättet Ihr seine Nachkommen.“

Arabella war sich bewusst, dass ihre Tante und ihr Vater beinahe ebenso entsetzt gewesen wären wie Brodie, wenn sie gehört hätten, was für Reden sie hier führte, oder dass sie über derartige Dinge überhaupt Bescheid wusste. Sie wartete auf seine Reaktion.

Er lachte.

Lachte. Er hob den Becher, lächelte und prostete ihr zu.

„Dann nehme ich Euer freundliches Angebot an, Mylady“, erklärte er. „Und ich habe auch schon eine Stute für ihn ins Auge gefasst.“

Während sie zusah, wie sich erst Überraschung, dann Staunen und schließlich Anerkennung in seinem Blick zeigten, fragte sie sich, ob es wirklich so schrecklich wäre, diesen Mann zu heiraten, wie sie zuerst gedacht hatte. Entsetzt, dass sie etwas Derartiges in Betracht ziehen konnte, ohne dabei die alte Angst zu empfinden, hörte sie zu, während er über Themen redete, von denen Caelan nie sprach: das Land, Ackerbau, Vieh und dergleichen.

Nachdem sie sich nun in seiner Gegenwart entspannter fühlte, wollte Arabella ihm eine weitere Frage stellen, eine über die heimlichen Zeichen, die er mit seinen Männern austauschte. Doch dann kam Caelan und unterbrach sie dabei.

„Die Musik fängt an, Arabella“, sagte er. „Ich weiß, dass mein Vetter nicht gern tanzt, aber dass Ihr Gefallen daran findet. Also, darf ich bitten?“ Er streckte ihr die Hand entgegen und wartete darauf, dass sie sie ergriff.

Doch das tat sie nicht. Zum ersten Mal siegte die Neugier über ihr Bedürfnis, liebenswürdig zu sein. Wie immer lächelnd, schüttelte sie den Kopf und nahm seine Hand nicht.

„Mein Magen ist ein wenig in Aufruhr, ich möchte mit dem Tanzen noch ein wenig warten“, sagte sie. „Es muss wohl am Reisen und der Aufregung liegen.“ Als beide Vettern ob dieser Bemerkung die Stirn runzelten, fügte sie hinzu: „Caelan, bestimmt vergeht es bald wieder, dann suche ich Euch auf und werde gern mit Euch tanzen.“

„Soll ich Eure Cousine oder Tante rufen?“, bot Brodie an.

„Nay. Ich muss nur noch ein Weilchen sitzen.“ Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass Caelan ihr zu Hilfe käme, daher hatte Brodies Angebot sie überrascht. Nun warf sie Caelan einen Blick zu und stellte fest, dass er ein Stück zurückgetreten war. Seine sonst so freundliche Miene wirkte ein wenig eingefallen.

„Na schön“, meinte er schließlich. „Ich warte dann dort drüben.“ Er deutete auf einen Platz am anderen Tischende. Und dann begab er sich rasch dorthin.

Dieses Benehmen war für sie die nächste Überraschung. Sie wusste nicht, wie sie sein merkwürdiges Verhalten deuten sollte, doch Brodie erklärte es ihr.

„Mein Vetter hat große Angst vor Krankheiten. Er meidet jene, die sich nicht wohlfühlen oder krank sind. Das tut er schon seit seiner Kindheit.“ In seiner Stimme schwang eine Spur Belustigung mit. Er blickte sie an und musterte ihr Gesicht mit jenem durchbohrenden Blick, den sie schon früher an ihm wahrgenommen hatte. „Wahrhaftig, braucht Ihr Hilfe? Eine Eurer Frauen? Unseren Heiler?“

Arabella konnte sich einen kleinen Streich nicht verkneifen, auch wenn Brodie diesmal freundlich und hilfsbereit war und sie einmal nicht ärgerte oder beleidigte. Durch gesenkte Wimpern blickte sie zu ihm auf und sprach mit ihrer verführerischsten Stimme – mit der sie normalerweise jeden Mann um den Finger wickelte.

„Ihr könntet tatsächlich etwas für mich tun“, sagte sie ihm. Sie ließ die Hand sinken, bis niemand außer ihm sie mehr sehen konnte, und bildete eines der Zeichen, die er mit seinen Männern getauscht hatte. „Ihr könntet mir verraten, was das heißt.“

Er blickte auf ihre Hand, hob abrupt den Kopf, starrte Arabella an und senkte dann noch einmal den Blick, als könnte er nicht glauben, was er dort sah.

„Ich habe so meine Vermutungen, aber ich dachte, ich frage Euch, da ich Euch vorhin dabei beobachtet habe, wie Ihr diese Zeichen machtet.“ Sein Blick wurde schmal, und dann zeigte sich so etwas wie Respekt darin.

„Haltet Ihr Euch für klug, Lady Arabella?“

Er streckte die Hand aus und löste ihre Finger aus der Geste. Seine Hand war warm und stark und beinahe doppelt so groß wie ihre, doch er setzte seine Überlegenheit nicht gegen sie ein. Ein Schauder überlief sie, als sie daran dachte.

„Ihr seid krank“, sagte er, gab ihre Hand frei und wandte sich um, um jemanden herbeizurufen. Sie griff nach seiner Hand, um ihn davon abzuhalten.

„Ich bin nicht krank. Ich wollte Euch nur nach diesen Handzeichen fragen. Was signalisiert Ihr damit den anderen?“, fragte sie.

„Den anderen?“, fragte er barsch. „Welchen anderen?“

Er würde es ihr nicht erzählen. Sie hatte etwas gesehen, das nicht für ihre Augen bestimmt war. Seine Reaktion verriet ihr die Wahrheit – diese Signale oder Worte betrafen sie. Vielleicht weitere Beleidigungen gegen sie, die er mit seinen Freunden teilte? Die Vorstellung beschämte sie. Sie wusste nur einen Weg aus dieser Lage, und so reckte sie das Kinn und lächelte ihn an.

„Verzeiht, Sir, ich habe die Grenzen der Gastfreundschaft überschritten. Ich glaube, mein Magen hat sich wieder beruhigt. Ich werde nun Euren Vetter …“ Sie wollte aufstehen, doch er umfasste ihre Hand und hielt sie fest.

„Herr?“

„Mein Name ist Brodie“, raunte er harsch. „Und hört auf damit.“ Sie kämpfte sich nicht gewaltsam auf die Beine, sondern blieb neben ihm sitzen.

„Womit soll ich aufhören?“, fragte sie ebenso harsch wie er. Dabei hielt sie das Lächeln die ganze Zeit aufrecht. Wenn jemand zu ihnen hinübergeblickt hätte, hätte er nichts Ungewöhnliches gesehen.

„So zu lächeln.“

„Ich verstehe nicht. Das ist ein ganz normales Lächeln“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Das Lächeln einer tauben Nuss, aye.“ Er hielt ihre Hand immer noch fest, doch sein Griff passte nicht zu dem Zorn, den sie in ihm spürte. Sie entspannte ihre Züge und nickte. „So ist es schon besser.“

„Ich kann nur so viel sagen. Aye, Ihr habt gesehen … was Ihr gesehen habt. Ich bin für die Wache verantwortlich. Mein Onkel wollte, dass sie diskret aufpassen. Wir nutzen Handzeichen statt …“ Sein Griff lockerte sich, doch sie entzog ihm ihre Hand nicht.

Auch nicht, als er begann, ihr mit dem Daumen über Handgelenk und Handfläche zu streichen.

Auch dann nicht, als ihr Herzschlag sich beschleunigte und ihre Haut zu prickeln begann.

Nicht einmal, als sie keinen klaren Gedanken mehr fassen und sich nicht mehr erinnern konnte, welche Frage sie ihm als Nächstes hatte stellen wollen.

„Ich bezweifle, dass irgendwer, mit Ausnahme Eures Vaters vielleicht, diese Gesten bemerkt haben könnte. Ihr jedoch habt sie gesehen.“ Seine Augen verdunkelten sich, wirkten nun statt dunkelbraun fast schwarz. „Ich möchte Euch bitten, niemandem zu erzählen, was Ihr beobachtet habt.“

Wenn sie ihrem Clan offenbarte, welche Methoden er einsetzte, würden sie nutzlos werden. Er bat sie um ihre Mitwirkung. Damit hatte sie eine gewisse Verhandlungsmacht, und sie hätte beinahe gelacht.

„Ich behalte es für mich.“ Daraufhin legte sich die Spannung ein wenig, und er gab ihre Hand frei. „Wenn …“

„Wenn?“ Seine Augen wurden schmal, und er blähte die Nasenflügel auf, eine Warnung an sie, dass sie sich besser vorsehen sollte. Ihr Pferd zeigte gern ähnliche Reaktionen. Vermutlich war es eine Männersache.

„Wenn Ihr mir verratet, was das hier …“, noch einmal wiederholte sie im Verborgenen die Geste, „… zu bedeuten hat.“ Er sah nicht nach unten und schwieg ein paar Augenblicke. Sie fragte sich, ob er es nur darauf ankommen lassen wollte oder sich rundheraus weigern würde.

„Alles in Ordnung.“

„Ah, dann besteht heute Abend keine Gefahr? Keine Bedrohung durch die Camerons?“

„Von Gefahr würde ich nicht sprechen“, sagte er sanft. Sein Atem streifte ihr Ohr, und sie erschauerte erneut.

„Und wenn es ein Problem gäbe?“ Der Teufel ritt sie und trieb sie an.

Er seufzte gequält und zuckte mit den Schultern. Dann zeigte er ihr das Handzeichen. „Wir bekommen Ärger.“ Ein weiteres Zeichen. „Probleme. Geht in Deckung.“

„Ich werde niemandem davon erzählen“, sagte sie. Dann stand sie auf, Brodie ebenfalls. „Ich sollte jetzt gehen. Meine Tante hat unser Gespräch bemerkt, und ich möchte deswegen nicht ausgefragt werden.“ Sie umrundete den Tisch und näherte sich Caelan.

Es bedurfte nur weniger Schmeicheleien und Ermutigungen, Caelan zum Lächeln zu bringen und sie zum Tanzen aufzufordern. Während sie zusammen zur Tanzfläche gingen, die sich in der Mitte der Halle befand, konnte sie nicht anders, als sich in dem großen Raum danach umzuschauen, ob die Männer immer noch Wache hielten. Dann sah sie zu ihrem Anführer, um zu sehen, ob der ihnen Zeichen gab. Brodie starrte sie an, ohne irgendeinen seiner Männer zu beachten.

Sie machte sich schon Sorgen, ihn erzürnt zu haben, doch dann sah sie das leise Lächeln, das um seine Lippen spielte, und war froh. Sie erwiderte das Lächeln, über Caelans Arm hinweg. Ihr Verhältnis hatte sich offenbar entspannt.

Der restliche Abend verging wie im Flug. Als ihre Tante meinte, sie scheine ja inzwischen mit beiden Männern ungezwungenen Umgang zu pflegen, wurde Arabella etwas bewusst: In Brodie Mackintosh steckte mehr, als sie auf den ersten Blick hin vermutet hatte. Und die Vorstellung, ihn zu heiraten, war nicht länger bedrohlich.

Nay, dachte sie, während sie die letzten Tage noch einmal Revue passieren ließ, es wäre wohl nicht so schwierig, mit ihm verheiratet zu sein, als sie anfänglich befürchtet hatte. Und so sah sie ihrer nächsten Begegnung zum ersten Mal seit ihrer Ankunft freudig entgegen.

Nachdem Arabella ihn verlassen hatte, saß Brodie eine Weile in betäubtem Schweigen da. Er glaubte, dass er allmählich einen Blick hinter ihre Maske hatte erhaschen können, hinter dieses verdammte Lächeln und diese verflucht holzschnittartige Miene der Liebenswürdigkeit. Immer wieder hatte er sich gesagt, dass er nur nach möglichen Gefahren für seinen Clan Ausschau hielt, doch die Art, wie sein Körper auf ihr verstohlenes Flüstern reagierte, verriet ihm, dass sie selbst die Gefahr war.

Sosehr er sich auch vorgenommen hatte, ihr nicht zu nahe zu kommen, sich nicht zu wünschen, er könnte sie für sich gewinnen – er war damit gescheitert. Furchtbar gescheitert, wenn man danach ging, wie fordernd sich seine Männlichkeit gegen seine Hose drängte.

Ihr dabei zuzusehen, wie sie die Hand unter den Tisch hatte sinken lassen und die Zeichen nachgeahmt hatte, die er seinen Männern gegeben hatte, hatte zwei Dinge nach sich gezogen. Zuerst einmal war er verblüfft darüber gewesen, wie sehr er die Intelligenz und Beobachtungsgabe der jungen Frau unterschätzt hatte. Und dann hatte ihn Begehren durchzuckt wie ein Blitz in einem Gewitter, es hatte seine hart erkämpfte Gleichgültigkeit beiseitegefegt und das starke Bedürfnis in ihm geweckt, sie besser kennenzulernen. Sie überhaupt einmal kennenzulernen, denn inzwischen war er sich sicher, dass er über die wahre Arabella Cameron nur wenig wusste.

Er spürte die dräuende Gefahr, doch nun lauerte sie in ihm selbst. Arabella hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht und seinen Schwur, das von den Ältesten erwählte Oberhaupt anzuerkennen, in Bedrängnis. Im Augenblick, da ihn diese unerwartete Begierde nach ihr befallen hatte, war Brodie dankbar gewesen, dass sie in nur zwei Tagen abreisen würde und die Ältesten ihre Entscheidung in Ruhe und Vernunft treffen würden.

Und wenn sie Caelan wählten und sie als dessen Braut zu den Mackintoshs käme, würde Brodie einen Weg finden, das irgendwie zu akzeptieren. Allerdings war ihm klar, als er – vergeblich – versuchte, sie nicht anzustarren, während sie mit seinem Vetter tanzte, dass ihm das wohl ziemlich schwerfallen würde.

In dem Bewusstsein, dass seine Männer immer noch Wache hielten, verließ er die Halle und zog sich an einen Ort fernab des Trubels und ihrer Gegenwart zurück. Die nächsten beiden Tage versprachen die längsten seines Lebens zu werden.

4. KAPITEL

Die Flammen loderten in den Nachthimmel. Die Männer saßen um das Feuer und tranken. Wider besseres Wissen und auf Befehl seines Onkels hatte Brodie darauf verzichtet, Wachen am Lager oder an dem Weg zur Lichtung zu postieren. Caelan und zwei seiner Freunde saßen ihm und Rob gegenüber. Arabellas Zwillingsbruder und zwei weitere Camerons bildeten die dritte Seite. Trotz der Aura der Kameradschaft und Ausgelassenheit lag ein gewisses Misstrauen in der Luft.

„Ihr seid jünger als Eure Schwester?“, fragte er Malcolm Cameron. Er wollte mehr über die junge Frau in Erfahrung bringen, die ihn vor ein Rätsel stellte, das er nur allzu gern gelöst hätte.

„Aye“, erwiderte der jüngere Cameron. „Zwar nur ein paar Minuten, aber sie ist die Ältere.“ Diese Minuten spielten keine Rolle, wenn es einen Sohn gab, der Titel und einen Großteil des Reichtums erben konnte.

„Ihr habt heute gut gekämpft“, meinte Brodie. „Wer hat Euch fechten gelehrt?“

„Mein Onkel Niall trainiert die jungen Krieger. Ich weiß, dass Ihr Euch im Hof zurückgehalten habt“, erwiderte Malcolm. „Ihr habt Eure Waffe sehr gut im Griff. Wer hat Euch unterrichtet?“

Brodie stand auf und ging hinüber zu dem jungen Cameron. Er wollte die anderen in ihren Gesprächen nicht stören, und er wollte auch nicht, dass alle seine Fragen hören konnten. „Mein Onkel Grigor“, sagte er und setzte sich auf einen Holzklotz. „Ich habe gehört, dass Niall und Grigor sich im Kampf gegenüberstanden. Fünfzehn Jahre dürfte das zurückliegen.“

Malcolm zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Wo soll das gewesen sein?“

Malcolm hob den Weinschlauch, füllte erst Brodies Lederbecher und dann seinen eigenen. Zwischen ihren Clans war es seit Generationen immer wieder zu Kämpfen und Schlachten gekommen, und daran würde sich auch nichts ändern, es sei denn, ihre Verhandlungen wären von Erfolg gekrönt.

„Auf der anderen Seite des Sees“, erklärte er. „Der Kampf soll einen Tag und eine Nacht gedauert haben, heißt es.“

„Und trotzdem haben beide überlebt?“ In Malcolms Blick glomm Argwohn auf.

„Wäre ja keine gute Geschichte, wenn sie beide gestorben wären“, meinte Brodie und lachte. Er hob den Becher und rief: „Auf die Mackintoshs!“

„Auf die Camerons“, fügte Malcolm hinzu.

Die anderen stimmten lauthals in die Schlachtrufe ein und tranken dann in großen Zügen. Caelan holte einen neuen Weinschlauch und ließ ihn kreisen. Das Ganze sah immer mehr aus wie ein Trinkwettstreit. Vielleicht lag das in der Absicht seines Onkels? Nachdem sich die Dinge wieder beruhigt hatten, wandte Brodie sich wieder Arabellas Bruder zu.

„Wer hat ihr denn beigebracht, dieses mächtige Tier zu reiten?“

Wenn er den Mann nicht so genau beobachtet hätte, wäre Brodie entgangen, dass sich Düsternis und tiefe Trauer in dessen Blick mischten. Doch Brodie sah es, und aus einem ihm unbekannten Grund krampfte sich ihm der Magen zusammen.

„Sie hätte ihn nicht reiten sollen. Das Pferd wäre bei seiner Geburt beinahe gestorben, aber sie hat es durchgebracht. Als es dann so groß war wie jetzt, hat mein – unser – Vater ihr verboten, es zu reiten.“ Malcolm nahm einen großen Schluck Wein, als wollte er sich innerlich darauf vorbereiten, etwas Schreckliches zu erzählen. „Er hat versucht, es abzurichten, und beschloss, es zu brechen, als es ihm nicht gelang, es gefügig zu machen. Doch das Pferd warf einfach alle ab, die es zu reiten versuchten, und so befahl mein Vater, es zu töten.“

„Was hat ihn davon abgehalten?“, fragte Brodie, obwohl er sich fast vor der Antwort fürchtete, da es dabei ja wohl um das Mädchen ging.

„Bella. Sie hat sich vor das Pferd gestellt und es einfach nicht zugelassen. Mein Vater hat sie und das Pferd angeschrien und sie bedroht, aber sie hat nicht nachgegeben.“

„Und was hat er dann gemacht?“ Der Cameron war nicht gerade für seine Nachgiebigkeit bekannt oder dass er sich von seiner Tochter auf der Nase herumtanzen ließ. Oder von sonst irgendwem.

„Er sagte ihr, sie könnte das Pferd nur retten, indem sie es selbst reitet, sonst würde er sie beide brechen.“

Obwohl Brodie den Ausgang kannte, hielt er den Atem an. Er wusste, dass Euan ein harter Mann war, doch das hier überraschte ihn. Aus dem Zittern in Malcolms Stimme schloss er, dass er die Situation miterlebt hatte.

„Und so hat sie dem Pferd etwas zugeflüstert, hat sich in den Sattel geschwungen und es für sich eingefordert.“

„Euer Vater hat ihr diesen Ungehorsam sicher nicht ohne Strafe durchgehen lassen, so gut kenne ich ihn inzwischen.“ Brodie wusste nicht recht, warum er das gesagt hatte. Er musste es einfach wissen.

„Nein. Sie konnte über eine Woche weder sitzen noch sich bewegen.“

Brodie griff nach dem Weinschlauch, der gerade herumgereicht wurde, goss sich ein und leerte den Becher in einem Zug. Zwar konnte der Wein seine Betroffenheit nicht lindern, doch wurde ihm immerhin warm dabei. Verdammt, dieses Mädchen, das so nachgiebig, so gehorsam wirkte, so anmutig und stets lächelte, hatte in Wahrheit ein Rückgrat aus Stahl.

Er stellte ihrem Bruder keine weiteren Fragen mehr über sie, denn der Wein zeigte mit plötzlicher Heftigkeit seine Wirkung. Was er noch hatte wissen wollen, vermochte er gedanklich nicht mehr zu greifen. Die Flammen loderten auf, die Unterhaltung wurde lauter und ausgelassener. Brodie wollte aufstehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht länger. Er sah sich um und bemerkte, dass Rob der Kopf im Schlaf auf die Brust gesunken war, genau wie den Camerons neben ihm und Malcolm.

Er schüttelte den Kopf und versuchte sich zu sammeln, kämpfte gegen den Schwindel an und das Bedürfnis, die Augen zu schließen. Er wehrte sich gegen die wachsende Lethargie, rief nach Caelan, doch sein Blick trübte sich, alles um ihn wurde dunkel, und er hatte das Gefühl zu fallen … zu fallen … zu fallen.

Ihm dröhnte der Schädel.

Sein Mund fühlte sich an, als wäre er voll Sand.

Er bekam die Augen nicht auf.

Brodie hob die Hand ans Gesicht, versuchte wegzuwischen, was immer ihn am Aufwachen hinderte. Doch seine Hand war nass und konnte nichts ausrichten. Er zog den Arm hoch, fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht, und dann sah er endlich …

Blut. Überall. Sein Ärmel und sein Hemd waren davon durchtränkt.

War es sein Blut?

Mühsam kam er auf die Beine und blickte dann voll Entsetzen auf die Leiche auf dem Boden.

Malcolm Cameron war tot, und aus seiner Brust ragte Brodies Dolch.

„Mein Gott, Brodie!“ Caelans Stimme durchdrang den dichten Nebel in seinem Kopf. „Warum hast du ihn umgebracht?“ Sein Vetter packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. „Was hast du dir dabei gedacht?“ Mehr Geschrei war zu hören, Stimmen hallten auf der Lichtung wider, während Brodie versuchte, die Szene vor ihm zu begreifen.

Es gelang ihm nicht.

Seine Erinnerungen an den Vorabend waren wie ausgelöscht. Er wusste nur noch, dass er mit Malcolm über Arabella geredet hatte, danach tat sich ein dunkles Loch auf. Er sah sich um, beobachtete, wie sich die anderen aufrappelten. Rob zuckte mit den Schultern. Brodie konnte sich nicht entsinnen, je so betrunken gewesen zu sein – und er hatte schon viele nächtliche Saufgelage hinter sich.

Ein großer Trupp Männer strömte auf die Lichtung, umstellte sie alle mit gezogenem Schwert. Brodie stolperte vorwärts, war kaum in der Lage, sich zu fangen, während sein Vater und das Oberhaupt der Camerons vom Pferd stiegen und auf ihn zukamen.

„Warum?“, fragte Euan Cameron, packte Brodie an der Kehle und zog ihn vorwärts. „Warum habt Ihr ihn getötet?“

Brodie suchte nach Worten, suchte nach der Wahrheit, danach, was wirklich geschehen war, und konnte nichts finden. Sein Onkel befreite ihn und drängte den anderen Mann beiseite.

„Noch wissen wir nicht, was geschehen ist, Euan. Haltet Euch bis dahin zurück“, befahl er.

Der Cameron sank neben der blutüberströmten Leiche seines Sohns auf die Knie, starrte in die blicklosen Augen. Brodie wischte sich die Hände an der Hose ab, versuchte das Blut zu entfernen, während er sich im Kreis umsah. Die Einzigen, die sich anscheinend bereits erholt hatten, waren Caelan und seine beiden Freunde.

„Was ist passiert?“, fragte er. Seine Kehle war so trocken, dass seine Stimme ganz rau war. „Wie ist das geschehen?“ Er deutete auf Malcolm. Caelan und einer seiner Männer kamen näher.

„Du erinnerst dich nicht?“, fragte sein Vetter. „Wirklich nicht?“

Brodie legte die Finger an seine Nasenwurzel und drückte sie gegen den dröhnenden Schmerz in seinem Kopf. Der Schmerz und die Übelkeit machten jeden vernünftigen Gedanken unmöglich.

„Nay, Caelan. Ich erinnere mich nicht. Hat Malcolm mich angegriffen?“

Er hatte schon eine ganze Reihe Männer ins Jenseits befördert, bei Scharmützeln oder in der Schlacht, aber er hatte noch nie gedankenlos getötet. Und diesmal hätte er überhaupt keinen Grund gehabt.

„Dich angegriffen? Nay“, flüsterte Caelan, sodass nur Brodie es hören konnte. „Du hast ihn über Arabella ausgefragt. Dann seid ihr in Streit geraten. Ihr habt die Dolche gezogen, und du hast als Erster zugestochen.“

„Ergreift ihn“, befahl der Cameron seinen Leuten. „Dafür, dass er meinen Sohn und Erben getötet hat, schuldet er mir sein Leben.“ Die Camerons versuchten sich ringsum aufzubauen.

„Nay!“, rief sein Onkel Lachlan und trat zu Brodie. Die übrigen Mackintosh-Krieger bezogen hinter ihm Stellung. „Ihr seid auf meinem Land und habt hier keinerlei Befugnis, Euan.“

„So also sieht die Gastfreundschaft der Mackintoshs aus“, gab Euan mit zusammengebissenen Zähnen zurück. „Wir kamen in Frieden. Wir kamen in gutem Glauben. Und doch liegt mein Sohn nun tot auf der Erde, niedergestreckt durch die Hand Eures Neffen.“

Brodies Onkel verschränkte die Arme vor dem mächtigen Brustkorb und schüttelte den Kopf.

„Wir werden das alles in der Burg regeln, Euan. Nehmt Euren Sohn mit Euch, und stoßt dort zu uns.“ Lachlan nickte. „Ergreift Brodie.“

Zwei Wachen seines Onkels packten ihn und zerrten ihn zu dem Weg, der zur Burg zurückführte. Er drehte sich noch einmal um und sah, wie der Cameron die Leiche seines Sohns in eine Decke hüllte.

„Caelan. Rob. Ich möchte mit euch beiden reden.“

Sein Onkel würde die Wahrheit erfahren wollen, ehe sie in seiner Halle im Beisein der Camerons verkündet wurde.

Ehe man ihn zum Mörder abstempelte.

Das Schlimmste war, dass er sich nicht einmal verteidigen konnte, schließlich steckte sein Dolch in Malcolms Brust, und er hatte sein Blut an den Händen.

Arabella hörte die Unruhe unten in der Halle. Die Sonne war vor nicht allzu langer Zeit aufgegangen, es war noch sehr früh. Ihre Tante kam herein, einen verstörten Ausdruck im Gesicht.

„Zieh dich an. Sofort.“

„Was ist passiert?“, fragte Arabella, während sie sich ein Hemd überzog. Von unten ertönte lautes Geschrei. „Ist etwas mit meinem Vater?“

Mit Aileans Hilfe hatte sie Tunika und Überkleid angelegt und das Haar zu einem hastigen Zopf geflochten. Das musste genügen. Danach kamen Strümpfe und Schuhe an die Reihe, und dann drehte sie sich zu ihrer Tante um. „Was ist geschehen?“, fragte sie noch einmal.

„Kind“, begann ihre Tante. Sie nahm Arabellas Hand in ihre und tätschelte sie sanft. „Nay, nicht mit deinem Vater. Dein Bruder ist tot.“

Der Raum begann sich um sie zu drehen, winzige Lichtfunken tanzten in ihrem Blickfeld. Wenn ihre Tante sie nicht gestützt hätte, wäre Arabella gestürzt.

„Malcolm ist tot? Wie? Wann?“

Es konnte einfach nicht stimmen. Malcolm war ihr Zwillingsbruder, Fleisch von ihrem Fleische, ihr Beschützer und Freund. Erst am Vorabend hatten sie miteinander geredet, bevor er sich mit den anderen jungen Männern aufgemacht hatte. Auf ihre Aufforderung hin. Sie bebte am ganzen Körper, ihr stiegen die Tränen in die Augen und stürzten ihr über die Wangen.

„Ich kenne die Einzelheiten nicht. Wir werden sie unten erfahren“, sagte ihre Tante ruhig. „Bist du nun fertig? Wir müssen stark sein. Du bist die einzige Tochter, das einzige Kind des Euan Cameron und musst stark sein.“

Arabella konnte nur nicken, sie fand keine Worte.

„Atme tief durch, dann gehen wir.“

Sie tat wie ihr geheißen und betrat kurz darauf die Halle, so in Gedanken und Erinnerungen an Malcolm verloren, dass sie sich nicht entsinnen konnte, wie sie hierhergelangt war. Sie sah sich in dem großen Raum um und bemerkte sofort die Kluft. Ihre Familie stand auf der einen Seite, die Mackintoshs auf der anderen. Und in der Mitte, auf einem Tisch, war ihr Bruder aufgebahrt.

Arabella riss sich von ihrer Tante los und rannte zu ihm. Sein Gesicht war das Einzige, was nicht verhüllt war. Sie berührte seine Wange und flüsterte seinen Namen.

Er konnte nicht tot sein. Er war nicht alt genug zum Sterben. Er konnte nicht tot sein. Sie strich ihm über das Gesicht und sagte seinen Namen, wollte ihn zwingen, die Augen zu öffnen und diese Posse zu beenden. Schließlich verlor sie den letzten Rest an Selbstbeherrschung.

„Arabella“, flüsterte ihr Vater ihr zu, weicher, als er je zu ihr gesprochen hatte. „Kind, komm jetzt“, sagte er, zog sie bei den Schultern von ihrem Bruder weg und schob sie zu einem Stuhl vor der Estrade. Sie wollte ihn nicht verlassen, doch ihr Vater war unerbittlich. Er drückte sie auf den Stuhl und stellte sich dann vor sie, sodass sie nicht mehr zu sehen war.

„Vater, wie ist er gestorben?“, flehte sie.

„Mord.“

Auf diese Behauptung hin brach Chaos aus, die Männer schrien und brüllten, sprangen auf, wurden zurückgehalten, Beleidigungen wurden ins jeweils andere Lager geschleudert.

„Wer sollte Malcolm denn ermorden?“, fragte sie laut, doch keiner hörte auf sie. Da bewegte sich die Menge, und plötzlich entdeckte sie in der Nähe der Estrade Brodie Mackintosh. Er war blutüberströmt.

Nein. Er konnte es nicht gewesen sein.

Nicht er. Er kannte seine Pflicht. Er war für seine Ehre bekannt.

Sie hatte angefangen, ihn zu mögen …

Arabella schüttelte den Kopf, doch als sich ihre Blicke trafen, entdeckte sie in seinem Bedauern. Sie fing an zu schreien. Irgendjemand, jemand, der über einige Kräfte verfügte, packte sie und hielt sie auf ihrem Stuhl fest, bis sie aufhörte.

„Euan, kommt, sprechen wir unter vier Augen darüber“, sagte der Mackintosh.

Ihr Vater weigerte sich nicht. Die beiden Clanoberhäupter begaben sich in eine kleine Kammer, die vom Flur abging. Laut hallend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Unter den Zurückgebliebenen breitete sich unbehagliches Schweigen aus, untermalt nur von dem lauten Streiten der beiden Männer. Mit jedem Fluch, der aus der Kammer drang, wuchs die Anspannung.

Unwillkürlich starrte Arabella den Mann an, der angeklagt war, ihren geliebten Bruder getötet zu haben. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr Bruder wirklich tot war, und ihr wurde übel. Arabella begann zu würgen. Die Hände, die sie immer noch an der Schulter festhielten, gaben sie frei, und sie fiel auf die Knie, während sich ihr leerer Magen zusammenzog – und sie würgte und würgte.

Ihr Bruder war tot. Sie hatte ihn in den Tod geschickt.

Sie drehte sich um, um noch einmal zur Leiche und dann zu dem Mann zu sehen, der ihn niedergemetzelt hatte. Brodies Gesicht hätte genauso gut in Stein gemeißelt gewesen sein können, es war bar jeder Emotion. Das Bedauern, das sie dort zu sehen vermeint hatte, war verschwunden, war dieser völligen Ausdruckslosigkeit gewichen. Das einzige Anzeichen von Leben, das sie ausmachen konnte, waren seine Kiefer, als er die Zähne zusammenbiss.

In diesem Augenblick verhärtete sich ihr Herz gegen ihn. Sie würde einen Weg finden, den Tod ihres Bruders zu rächen. Endlich kehrten ihr Vater und der Mackintosh zurück. Nun würde es Gerechtigkeit geben für den Tod ihres Bruders.

„Hast du Camerons Sohn getötet, Brodie?“, fragte der Laird der Mackintoshs seinen Neffen. Ein Teil von ihr wünschte sich, er würde es leugnen. Der Teil von ihr, der angefangen hatte, diesen Mann zu mögen, wartete darauf, dass er es abstritt.

„Ich …“ Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.“ Bei dieser Antwort stöhnten die anderen auf und riefen wild durcheinander. Wie konnte er sich nicht daran erinnern, ihrem Bruder das Leben genommen zu haben?

„Gibt es Zeugen?“, fragte ihr Vater. Die Mackintoshs teilten sich, und Caelan und ein weiterer Mann traten vor. „Was habt Ihr zu sagen?“

„Wir haben ihnen am Feuer gegenübergesessen, Mylord“, sagte Caelan. Sie hörte das Widerstreben in Caelans Stimme – er wollte nicht derjenige sein, der seinen Vetter beschuldigte.

„Was habt Ihr gesehen?“, fragte ihr Vater noch einmal und ging auf die beiden zu. „Ich will die Wahrheit wissen!“, schrie er.

Der Mackintosh stand neben ihm und nickte den beiden Männern zu. Für Arabella stand eindeutig fest, dass Caelan versuchte, Brodie zu schützen. Sie ballte die Hände zu Fäusten, nahm an, dass nun von den letzten Augenblicken ihres Bruders erzählt wurde. In der Halle kehrte gespannte Stille ein.

„Wir haben alle getrunken“, erklärte Caelan. „Wir alle. Brodie trank mehr als sonst.“

„Die beiden schienen sich nur zu unterhalten, doch dann kam es zum Streit“, sagte der andere Mann. „Ihretwegen, wegen Lady Arabella.“

Alle blickten erst zu ihr und dann zu Brodie, und sie keuchte auf. Sie hatten sich ihretwegen gestritten? Arabella begegnete seinem Blick und konnte ihm nicht standhalten. Lieber Gott, was hatten die Männer bloß zueinander gesagt?

„Warum hat keiner eingegriffen?“, fragte der Mackintosh. „Ihr alle wisst, wie wichtig die Waffenruhe ist. Und dass eine Verletzung nicht hingenommen werden würde und zu weiterem Blutvergießen führen könnte.“ Der zweite Mann sah erst Caelan und dann seinen Laird an, ehe er etwas sagte.

„Es ging alles so schnell. Wir alle waren …“ Er machte eine Handbewegung, als suchte er nach einer Erklärung.

„Betrunken“, ergänzte Arabellas Vater. „Zu betrunken, um Vernunft walten zu lassen? Zu betrunken, um Euch davon abzuhalten, meinen Sohn zu töten, der die Ehre meiner Tochter verteidigte?“ Ihr Vater stürzte sich auf Brodie, wurde jedoch im letzten Moment festgehalten.

„Aye, zu betrunken, um sich einzumischen, Mylord“, erwiderte Caelan. „Die Dolche wurden so schnell gezogen, dass wir sie anfangs gar nicht sahen, erst als Malcolm zu Boden stürzte.“

„Ich will seine Hinrichtung.“ Auf diese ungeschminkten Worte des Cameron trat tiefes Schweigen ein. Niemand regte sich, niemand sprach oder raunte auch nur.

„Euan, Ihr habt Euch bereit erklärt, das mir zu überlassen“, sagte der Mackintosh leise.

Arabellas Vater stieß den Atem aus und kehrte an die Seite des Mackintosh zurück. Würde er die Hinrichtung seines Neffen befehlen?

„Aye, Lachlan, dazu habe ich mich bereit erklärt. Ringt Euch durch“, sagte ihr Vater. Was war das für eine Vereinbarung? Was war mit den bereits abgeschlossenen Verhandlungen?

„Da Zeugen anwesend sind, die dich beschuldigen, Malcolm Cameron getötet zu haben, und du ihre Worte nicht entkräften kannst, spreche ich dich des Mordes schuldig.“

Die Menge schnappte hörbar nach Luft. Ob die Mackintoshs ihn nun für schuldig hielten oder ob sie entsetzt darüber waren, dass sein Onkel ihn für schuldig erklärt hatte, war Arabella nicht klar. Als Nächstes käme dann …

„Ich verurteile dich dazu, unseren Clan und unsere Verbündeten zu verlassen. Von diesem Tag an bist du vogelfrei, du gehörst nicht länger dem Clan der Mackintoshs oder irgendeinem anderen Clan der Chattan-Konföderation an.“

Darauf wurde in der Halle Protest laut, auch Caelan erhob Einwände gegen diese Strafe. Das Urteil erschreckte Arabella zutiefst, doch sie hörte es sich bis zum Ende an.

„Du bist niemand mehr. Dein Name wird ausgelöscht. Tötet dich jemand, so tut er es straflos, ohne Rache oder Buße befürchten zu müssen. Von diesem Augenblick an sind alle ehelichen oder Blutsbande zerrissen.“ Die Stimme seines Onkels schwankte, und Arabella bemerkte, dass ihr Tränen in den Augen brannten. Wegen Brodie? Wegen Malcolm? Wegen ihnen allen? Sie wusste es nicht.

Sie wartete darauf, dass Brodie widersprach, dass er um Gnade bat oder das Urteil sonst irgendwie anfocht, doch er tat nichts dergleichen. Sein Gesicht verlor alle Farbe, doch bis auf ein leises Kopfschütteln reagierte er nicht.

Die Camerons schwiegen nicht länger, die Krieger begannen zu johlen und zu schreien. Sie hatten nun die Möglichkeit, den Tod ihres Angehörigen zu rächen, ohne irgendwelche Folgen befürchten zu müssen. Sie sah die Mordlust in ihren Augen. Sie würden nicht lang brauchen, bis sie ihn aufgestöbert und wie einen tollen Hund aufgehängt hatten. Sie schauderte.

„Du hast zwei Stunden“, fuhr der Laird fort. „Du darfst nichts mitnehmen außer den Kleidern an deinem Leib, mehr nicht.“

„Onkel …“ Endlich ergriff Brodie das Wort. Doch ehe er weitersprechen konnte, versetzte sein Onkel ihm mit dem Handrücken einen solchen Schlag ins Gesicht, dass er rückwärts taumelte.

„Du gehörst nicht länger zu meiner Familie, nenn mich also nicht so. Geh. Jetzt. Und kehre niemals wieder.“

Arabella wollte schreien. Sie wollte … sie wusste nicht, was. All das fühlte sich völlig unwirklich an. Bestimmt würde irgendwer sie aus diesem Albtraum wecken und ihr sagen, dass sie nur schlecht geträumt hatte. Doch dann sah sie zum Leichnam ihres Bruders. Sie musste es akzeptieren, wie es war.

Sie gaben Brodie frei, und er stolperte durch die Halle und hinaus auf den Hof. Manche wirkten, als hätten sie gern mit ihm gesprochen, doch keiner sagte ein Wort. Mehrere Minuten verstrichen, ehe der Cameron und der Mackintosh erneut das Wort ergriffen.

„Ich erkläre Caelan Mackintosh zum Than des Mackintosh-Clans, zu meinem persönlichen Erben und zum Erben des Clanvorsitzes“, rief der Mackintosh.

„Und ich erkläre, dass wir uns auf eine Verlobung geeinigt haben. Meine Tochter Arabella wird Caelan heiraten“, fügte ihr Vater hinzu.

Er bedeutete ihr, sich zu erheben und zu ihm zu kommen. Eine Heirat? Sie dachten an Heirat, während ihr Bruder ungesühnt vor ihnen lag? Mühsam kam sie auf die Füße. Ihre Tante stützte sie. Ihr Vater nahm ihre Hand, der Mackintosh nahm Caelans und legte beide Hände ineinander. Arabella bekam keine Luft. Sie konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Das hier war unanständig, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen.

„Das Datum für die Hochzeit wird festgesetzt, und unsere Clans werden sich miteinander verbinden. Die Fehde wird enden“, sagte ihr Vater laut. Er löste ihre Hände und entfernte sich, gab dabei Befehle aus, alles für die Heimreise vorzubereiten.

Arabella blieb verloren, allein und voll Schmerz zurück. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.

„Kommt, Lady Arabella“, sagte Caelan sanft, legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie weg. „Sollen sich die Dienstboten um alles Nötige kümmern, ich bringe Euch zu Eurem Gemach.“

„Vielen Dank, Caelan“, flüsterte sie. In diesem Augenblick war sie dankbar für seine Stärke. Sie brauchte jetzt etwas, jemanden, der ihr Halt bot, und er war für sie da. An ihrer Seite, dort, wo Malcolm immer gestanden hatte.

„So habe ich mir nicht gewünscht, Eure Hand zu erringen. Aber wir werden das alles schon durchstehen. Gemeinsam.“

Überwältigt von Kummer und Schrecken, ließ sie sich von ihm in ihr Gemach geleiten. In wenigen Stunden war ihre gesamte Welt, ihre Familie, ihre Träume vollkommen zerstört worden. Bei der Ankunft zu Hause würde es eine Beerdigung geben. Und danach müsste eine Hochzeit geplant werden.

Das Einzige, worauf sie jetzt noch zählen konnte, das war, dass sie Caelan Mackintosh heiraten würde. Wenigstens hatte sie das wahre Wesen seines Vetters kennengelernt, ehe sie mit diesem verabscheuungswürdigen Mann hätte verheiratet werden können.

5. KAPITEL

Vier Monate später …

Arabella ging in dem großen Raum auf und ab und blieb am Fenster in der Nordmauer stehen. Bei ihrem letzten Besuch hatte ihr Vater hier geschlafen, aber er bewohnte nun weiter unten eine kleinere Kammer. Ailean und Tante Gillie waren in den Zimmern nebenan untergebracht.

Stürme peitschten unbarmherzig Wind und Regen gegen die steinerne Burg. Das Unwetter hatte angefangen, als sie vor drei Tagen das Tor durchschritten hatten und im Hof angekommen waren. Es war, als spürte das Wetter Arabellas Trauer und reagierte in gleicher Weise. Sie seufzte und linste durch den Regen in den Hof.

Dort sah sie Malcolm vor ihrem inneren Auge, dort im Hof, wie er mit seinen Freunden einen Übungskampf gegen ein paar Mackintosh-Krieger ausfocht. Diese Kämpfe hatten alle im Geist des bevorstehenden Abkommens stattgefunden, das aus Feinden Verbündete hätte machen sollen. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, drehte sich um und blickte sich im Raum um.

Der Tod ihres Bruders lag nun vier Monate zurück, doch der Schmerz und die Enge in ihrer Brust schmetterten sie noch genauso nieder wie damals.

Malcolm tot. Sein Mörder verjagt und immer noch frei. Das Oberhaupt der Mackintoshs tot. Und morgen würde sie Caelan Mackintosh heiraten, das neue Clanoberhaupt, um ihr Abkommen zu besiegeln. Doch jede Aufregung oder Vorfreude war mit ihrem Bruder gestorben.

„Arabella?“ Sie hatte nicht gehört, wie Ailean die Tür geöffnet hatte.

„Aye, ich bin so weit“, sagte sie. Sie nahm den goldenen Reif entgegen, den Caelan ihr bei ihrer Ankunft geschenkt hatte, und setzte ihn auf, während Ailean ihr das Haar richtete. Sie atmete tief durch und versuchte, die Trauer von sich zu schieben. Ein Fest, mit dem die bevorstehende Vermählung gefeiert werden sollte, war nicht der geeignete Zeitpunkt für Tränen und Kummer.

Caelan erwartete sie am Fuß der Treppe und nickte ihr lächelnd zu. Ailean trat zurück und überließ Caelan den Platz an Arabellas Seite. Er nahm ihre Hand und verschlang ihre Finger ineinander. Dann führte er die so eng verflochtenen Hände an die Lippen, küsste sie auf den Handrücken und lächelte noch einmal.

„Alles wird gut, Arabella“, raunte er. „Ich weiß, Ihr empfindet Euren Verlust jetzt sehr stark, aber ich hoffe, dass dies vorübergeht.“ Sie kam sich vor wie ein Dummkopf, weil sie seinen eigenen Verlust vergessen hatte.

„Bitte verzeiht, Mylord“, flüsterte sie. „Ihr habt ebenfalls einen Verlust erlitten, und ich habe es versäumt, Euch mein Beileid auszusprechen.“

Sein Blick verdüsterte sich, und er nickte. Sie betraten die Haupthalle, und er führte sie zu dem Tisch auf der Estrade. Ihr Vater wartete schon dort und nickte ihnen zu. Caelan stellte sie den anderen Clan-Oberhäuptern der Chattan-Konföderation vor. Manche von ihnen waren jung, manche alt, doch glücklich wirkte keiner. An ihren Plätzen angekommen, wartete er, bis Arabella saß, und hob dann seinen Becher.

„Auf Arabella Cameron, meine baldige Frau …“ Er wurde von derbem, ausgelassenem Gejohle unterbrochen und lachte. Dann jedoch wurde er wieder ernst und fügte hinzu: „Und auf die Allianz, die unsere Clans durch diese Ehe erlangen.“

Die Halle brach in Jubeln und Applaus aus, doch nicht alle beteiligten sich an dem Beifall. So manch ein älterer Mackintosh schien ganz und gar nicht erfreut zu sein … von ihr oder der Allianz.

Als Caelan die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie sich diesmal, anders als bei ihrem letzten Besuch, nicht um Liebenswürdigkeit bemühte. Dabei war es für beide Familien entscheidend, dass die Ehe geschlossen und die Allianz bestätigt wurde. Seit dem Tod ihres Bruders war es vermehrt zu Auseinandersetzungen gekommen, und die Zahl der Scharmützel würde wachsen, es sei denn …

Es sei denn, sie erfüllte ihre Pflicht gut gelaunt und ohne böse Absicht.

Sobald sich die Menge beruhigt hatte und Caelan sich neben sie setzte, stand sie auf, den Becher in der Hand, und nickte ihm zu.

„Auf Caelan, den Laird und Mackintosh und meinen baldigen Ehemann“, rief sie. Unter dem Beifall der Menge nahm sie einen Schluck aus dem Becher und hob ihn dann so, wie Caelan es zuvor getan hatte. „Auf unsere Allianz!“

Da stand Caelan auf, nahm ihre Hand in seine und reckte beide nach oben. Nach ein paar Augenblicken ließ er sie wieder sinken und beugte sich über Arabella. Seine Absicht war klar, er hielt nicht inne. Er küsste sie auf den Mund, und obwohl diese Geste sie überraschte, war der Kuss so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte.

Angenehm. Unaufgeregt. Freundlich.

Sie sah ihm in die Augen und schloss ihre dann für einen Moment, bevor er den Kuss beendete. Ihr erster Kuss, und keine Spur von all den Dingen, über die verheiratete Frauen zu tuscheln pflegten. Einerseits empfand sie das als nicht weiter schlimm. Seit Malcolms Tod fühlte Arabella sich leer. Nach ihrer Rückkehr und bis zur Beerdigung hatte sie tagelang geweint – sie hatte sich gefühlt, als wäre mit ihm ein Teil von ihr gestorben.

Und dann nichts. Nur Leere.

Caelan wartete ab, bis sie saß, und gab den Dienstboten durch eine Geste zu verstehen, dass sie die Mahlzeit servieren sollten. Seit dem unerwarteten Tod seines Onkels vor zwei Monaten nahm er den Platz des Clanoberhaupts ein. Er hatte den Titel und das Land geerbt. Direkt nachdem ihr … Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum anderen Ende des Tischs, dorthin, wo ihr Bru… wo er gesessen hätte …

Die Gefühle, die sie nun seit Monaten verleugnete, drängten auf einmal an die Oberfläche. Trauer, Verlust, Schmerz und Hass durchbohrten ihr Herz, sodass sie am liebsten geschrien hätte. Oder davongerannt wäre. Oder beides. Dann wandte Caelan sich ihr zu und bedeckte ihre Hand mit der seinen.

„Still jetzt, Arabella“, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte. „Ich weiß, wie schwer es ist, in dieser Halle an diesem Tisch zu sitzen. Ich muss mich jeden Tag dazu zwingen, mich auf den Stuhl meines Onkels Platz zu setzen und nicht darauf zu warten, dass er die Halle betritt. Es wird vorübergehen. Für Euch und für mich.“

Sie drängte die Tränen zurück und nickte, worauf er ihre Hand noch einmal drückte und sie dann freigab. Dann widmete er sich wieder ihrem Vater. Es war freundlich von Caelan, so viel Verständnis für sie zu haben. Sie wusste, dass sie ihre Pflicht erfüllen und aus dieser Ehe einen Erfolg machen würde. Sie war es ihrem Vater schuldig und auch ihrem Bruder, der ihretwegen gestorben war.

Beim Essen sah sie sich in der Halle um. Sie bemerkte, dass nicht alle freudiger Stimmung waren. Sie suchte nach Mackintoshs, die sie noch vom letzten Mal kannte, und konnte keinen entdecken. Wie hieß er noch? dachte sie, während sie nach dem Mann Ausschau hielt, der sie damals auf ihrem Ausritt begleitet hatte. Rob.

Verstohlen sah Arabella sich noch einmal um. Ihr wurde bewusst, dass eine ganze Menge Leute fehlten. Die Halle, die bei ihrem letzten Aufenthalt bei den Festen randvoll gewesen war, war diesmal halb leer. Sie wusste, dass genauso viele Camerons anwesend waren wie beim letzten Mal – nun ja, bis auf einen –, wo also waren all die Mackintoshs?

„Ich dachte, es wäre Euch recht, wenn wir die Feier klein hielten. In Anbetracht …“ Caelan vollendete den Satz nicht.

Sie seufzte. Zur Geschichte der beiden Familien gehörten Schmerz und Verlust, die sie sich regelmäßig und in großer Härte gegenseitig zufügten. Jetzt hatten sie die Möglichkeit, dies zu beenden. Wenn sie nicht aus freien Stücken in diese Ehe einwilligte, würden ihnen Tod und Verderben weiter auf Schritt und Tritt folgen. Es war Arabellas Lebensaufgabe, dafür zu sorgen, dass endlich Frieden einkehrte, und nicht einmal ihre Trauer würde sie davon abhalten.

„Ich danke Euch für Eure Anteilnahme, Caelan“, sagte sie und nickte.

„Seid Ihr aufgeregt?“, fragte er.

„Aye“, räumte Arabella ein. „Aber meine Tante Gillie hat mir gesagt, es sei üblich, wenn die Braut am Tag vor der Hochzeit ein wenig beunruhigt ist.“

Er sollte nicht denken, dass sie nicht bereit war, ihren Teil des Abkommens zu erfüllen. Sie würde ihrer Pflicht nachkommen, genau wie er der seinen, inmitten all des Leids und des Verlusts, aber voller Hoffnung, dass zwischen ihren Clans künftig Frieden herrschen würde.

Auf lange Sicht betrachtet, sollte sie also froh sein, dass sie ihn heiraten würde. Er benahm sich ihr gegenüber freundlich und höflich, sogar fürsorglich, und sie würde alles tun, was nötig war, um eine gute Ehe zu führen.

„Ah, da kommt Eure Tante, um Euch zu holen“, sagte er und erhob sich, um die so Angekündigte zu begrüßen. „Ist es an der Zeit?“, fragte er.

„Aye, Mylord.“ Tante Gillie versank in ihrem schönsten Knicks. „Ihr bekommt sie morgen wieder zu sehen.“

„Schlaft gut, Arabella. Ich sehe Euch dann in der Kirche.“

Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund, sehr zur Freude derer, die die intime Geste bezeugten. Unter lautem Gejohle verlangten sie nach mehr, und so nahm er Arabella in die Arme und küsste sie noch einmal. Sie versuchte sich in seinen Armen zu entspannen, sie wusste ja, dass er nur seine Bereitschaft demonstrieren wollte, sie als seine Braut zu akzeptieren. Er lockerte seinen Griff, zog sie jedoch noch einmal kurz an sich, bevor er sie mit ihrer Tante gehen ließ.

„Das ist ein gutes Zeichen“, flüsterte Tante Gillie ihr zu, als sie die Halle verließen. „Ich hatte schon befürchtet, dass die Zeit der Trennung euer Verhältnis womöglich hat sauer werden lassen.“

Es dauerte nicht lang, und Arabella lag im Bett, doch es gelang ihr nicht, in den so dringend benötigten Schlaf zu finden. Der morgige Tag versprach lang und aufwühlend zu werden, und Arabella wollte ihn guter Stimmung und ohne dunkle Ringe der Schlaflosigkeit unter den Augen begrüßen.

Als das erste Morgenlicht den Nebel zu verscheuchen suchte, stand Arabella immer noch am Fenster und starrte über den Hof in die Ferne. Sie hatte einfach nicht schlafen können, und so war sie vor einiger Zeit aus dem Bett gestiegen und hatte sich in eine alte Tunika und ein Überkleid gehüllt, um sich gegen die morgendliche Kälte zu schützen. Diese Tageszeit war ihr die liebste, kurz vor der Dämmerung, während auf dem Land und den Leuten immer noch Stille lag. Steifbeinig vom langen Stehen, wollte Arabella sich gerade abwenden, als ein einzelner Sonnenstrahl durch die Wolken drang und eine Stelle hoch oben in den Hügeln anstrahlte.

Die Lichtung.

Der Ort, an den Brodie sie geführt hatte, um ihr das Ausmaß der Ländereien zu zeigen, die sie als Frau des nächsten Mackintosh-Oberhaupts beanspruchen würde. Sie begann zu zittern, bevor es ihr bewusst war – sie hatte die Person erkannt, die jetzt dort im ersten Sonnenlicht stand. Ihr Atem stockte, und sie kniff die Augen zusammen, um ganz sicher zu sein.

Es konnte nur er sein. Da oben stand er, doch niemand wusste Bescheid. Wenn sie einen Warnruf ausstieß, würde er fliehen, bevor … Noch einmal erzitterte sie, diesmal bis ins Mark.

Auch in dem Bewusstsein, dass er Malcolms Mörder war, wünschte sie nicht unbedingt seinen Tod. Zumindest nicht, ehe sie in Erfahrung gebracht hatte, warum er ihrem Bruder das Leben genommen hatte. Sie wollte eine Erklärung von ihm.

Schweigend wanderte sie im Zimmer umher, kleidete sich vollends an und trat dann ins Vorzimmer, vorbei an den schlummernden Gestalten ihrer Tante und ihrer Cousine. Vorsichtig ging sie die Treppe hinunter und begab sich zu den Ställen. Mit einem leisen Wort zu einem jungen Burschen dort machte sie ihr Pferd bereit, wie sie es immer tat, und saß auf. Sobald das Tor für den Tag geöffnet wurde, ritt Arabella ohne ein weiteres Wort hindurch, Umhang und Kapuze fest um sich gezogen.

Sie trieb ihr Pferd an, indem sie sich vorbeugte und ihm die Fersen in die Flanken drückte. Das Pferd schritt weiter aus und wurde schneller, und sie kamen rasch voran. Sie lenkte es von der Burg weg und die Straße entlang, die sich um den Hügel nach oben winden würde zu dem Ort, an dem er, Brodie, sich befand.

Endlich würde sie die Antworten bekommen, die ihre eigene Schuld ein wenig mildern würde. Sie hätte Gelegenheit, dem Mann entgegenzutreten, der ihren Bruder getötet hatte. Sie würde …

Niemand war da.

Als sie die letzten Bäume hinter sich ließ und auf die Lichtung ritt, war sie leer. Sie suchte die Umgebung mit den Augen ab, sah und hörte in der morgendlichen Stille aber nichts, was von der Anwesenheit eines anderen gekündet hätte.

Sie stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte, und brachte das Pferd auf der ebenen Fläche zum Stehen, damit es sich nach dem anstrengenden Ritt ein wenig erholen konnte. Den Blick auf den Pfad gerichtet, wartete Arabella ab und lauschte.

Für den Rückweg brauchte sie länger, da sie sich in Gedanken mit der Tatsache auseinandersetzte, dass es nicht Brodies, sondern ihre eigene Schuld war, die sie zu dieser törichten Suche nach der Wahrheit veranlasst hatte. Schmerzlich machte sie sich bewusst, dass sie ihren Bruder in den Tod geschickt hatte. Sie war der Auslöser gewesen für die Folge von Ereignissen, die schließlich dazu geführt hatten, dass er starb. Wenn sie ihn nicht gebeten hätte, mehr über Brodie und Caelan herauszufinden, die beiden Männer für sie einzuschätzen, hätte es keinen Streit gegeben, keine Auseinandersetzung, keinen Kampf, der mit dem Dolch in seiner Brust geendet hatte.

Irgendwie fand das Pferd von selbst den Rückweg zur Burg, und sie ritt durch das Tor und zum Stall. Sie hatte keine Ahnung, wann die beiden Wachen aufgetaucht waren, die an ihrer Seite ritten.

Das Einzige, was sie nun tun konnte, um ihrem Bruder Ehre zu erweisen, war, das Abkommen zu besiegeln und der Fehde ein Ende zu bereiten. Das würde sie tun.

Für ihren Anteil am Tod ihres Bruders konnte ihr keiner Absolution erteilen.

„Komm zurück!“, flüsterte Rob barsch. Er zog seinen Freund tiefer in den Schatten des dichten Unterholzes. „Bist du verrückt geworden?“

„Sie haben mich nicht gesehen“, sagte Brodie und riss sich los.

Er hatte es nicht glauben können, als er Arabella in vollem Galopp auf diesem mächtigen Pferd den Berg hinaufpreschen sah. Sie war direkt auf die Lichtung geritten, und er hätte beinahe, um ein Haar, seine Deckung verlassen, um sie zu sehen. Ein paar Augenblicke waren in grauem Schweigen verstrichen, ehe sie das Pferd gewendet hatte und dieselbe Strecke zurückgeritten war, die sie gekommen war. Diesmal war ihr Pferd im Schritt gegangen, und sie hatte blicklos in die Ferne gestarrt, als sie an dem Unterholz vorbeigekommen war, in dem er und Rob sich versteckten. Er hätte nach ihr greifen können, wenn die beiden bewaffneten Wachen nicht gewesen wären, die ihr entgegengeritten waren. Und er hatte gewusst, dass andere auf dem Fuß folgen würden.

„Hast du es dir also anders überlegt? Hast du deinen selbstmörderischen Plan aufgegeben?“

„Keineswegs“, entgegnete Brodie, während er sich von der Straße weg durchs Unterholz kämpfte. Er ging zurück zu den drei anderen, die auf sie warteten. „Wir bleiben bei unserem Plan und lassen uns von Überraschungen nicht aus der Bahn werfen.“

„Und die Frau? Stellt sie bei dem Ganzen nicht nur eine Ablenkung dar?“, fragte Rob hinter ihm.

Über diesen Punkt hatten sie in den letzten beiden Wochen, während das Datum für die Hochzeit immer näher rückte, oft gestritten. Brodie wollte sich nicht abbringen lassen von seiner Absicht – Arabella zu entführen, um die Hochzeit zu verhindern. Nun drehte er sich so schnell um, dass Rob beinahe in ihn hineingerannt wäre.

„Aye, sie ist nicht nur eine, sie ist die Ablenkung. Caelan benutzt diese Hochzeit, um seine wahren Absichten zu verbergen. Alle sind so damit beschäftigt, die schöne Braut zu bewundern, dass niemand merkt, was er eigentlich im Schilde führt.“

Rob fuhr sich durch die Haare und schüttelte den Kopf, eine wohlvertraute Angewohnheit, die ihm nicht einmal mehr auffiel. „Bist du dir da sicher?“

In den letzten vier Monaten der Verbannung hatte Brodie jede Menge in Erfahrung bringen können, und alles deutete auf eine umfassende und von langer Hand geplante Verschwörung seines Vetters hin, der sich nicht nur den Sitz als Clanoberhaupt aneignen, sondern die Camerons dabei auch völlig vernichten wollte.

Und auch wenn Brodie Macht und Einfluss ebenso liebte, wie es die meisten Männer taten, hatte der Cameron-Clan doch einiges zu bieten, was Güter, Handelsbeziehungen und allgemeinen Einfluss in der Gegend betraf. Er sah keinen Grund, einen ganzen Clan zu vernichten, wenn man doch von ihm profitieren konnte.

Er schenkte seinem Freund ein grimmiges düsteres Lächeln. „Aye. Vollkommen sicher.“

„Und du musst das Mädchen unbedingt entführen? Es gibt keine andere Möglichkeit?“

„Die Hochzeit und das Zustandekommen des Abkommens müssen verhindert werden, Rob. Wir haben doch über alles gesprochen, und du weißt, was Caelan getan hat. Du, deine Schwester, ihr alle wärt nicht hier, ausgestoßen und in der Verbannung, wenn ihr mir nicht glauben würdet. Und glaub mir auch jetzt, wir müssen handeln.“ In diesem Augenblick hatten sie die anderen erreicht, und Brodie wartete, bis sie sich um ihn geschart hatten.

„Geht nun, und nehmt euren Posten ein“, sagte er. „Die Tore sind offen, viele Dorfbewohner werden jetzt in die Burg strömen.“ Er zeichnete etwas mit dem Finger in die Erde und fuhr fort: „Hamish, Duncan, macht die Pferde in den Ställen bereit.“ An Jamie gewandt, sagte er: „Und du folgst uns und warnst uns, falls es nötig ist.“

Brodie wischte sich den Dreck von den Händen und trat zurück.

„In den Küchen wird am meisten los sein. Diejenigen, die der Zeremonie beiwohnen, werden größtenteils vorausgehen und in der Kirche warten.“ Das kleine Steingebäude lag im südlichsten Winkel der Mauer, die das Wohngebäude, die Höfe und Nebengebäude umgab. „Ihr Vater und ein paar andere werden im Wohngebäude bleiben, um sie zu begleiten, wenn sie fertig ist.“

„Aber sie wird nicht fertig sein“, erklärte Rob.

Vor dem Aufbruch gingen sie den Plan noch einmal durch und dann noch einmal, bevor sie sich aufteilten, um sich getrennt und in Verkleidung durch die Tore zu schummeln. Die Sonne stand hoch am Himmel, als Brodie und Rob das Wohngebäude durch eine selten genutzte Tür betraten und die Treppe hinaufgingen, die zu Arabellas Gemächern führte.

Sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, als sie die Tür öffneten und Arabellas Tante und ihrer Zofe begegneten. In den paar Augenblicken, ehe die beiden Frauen die Eindringlinge erkannten, hatten Brodie und Rob sie schon in ihre Gewalt bringen und davon abhalten können, die Wachen oder die Frau im anderen Zimmer zu Hilfe zu rufen.

Sowie die beiden Frauen gefesselt und geknebelt waren, drückte Brodie die Tür zu Arabellas Zimmer auf. Rasch ging er hinein, während Rob im Vorzimmer blieb, und fand Arabella mit dem Rücken zur Wand, einen sehr interessanten Dolch in der Hand haltend. Er war auf ihn gerichtet.

6. KAPITEL

Ihr wart es also doch!“, sagte sie und sah ihn an.

„Aye, Mylady“, erwiderte er sanft und schob sich näher an sie heran. Er musste unbedingt verhindern, dass sie zu schreien anfing und die Wachen herbeirief. „Demnach habt Ihr mich auf der Lichtung gesehen?“

Sie in ein Gespräch verwickeln. Sich immer näher an sie heranbewegen. Er sagte sich diese Worte immer wieder vor, während er sich ihr beinahe unmerklich näherte. Noch ein Schritt; Pause.

„Ich habe Euch aus dem Fenster gesehen“, sagte sie, ließ den Blick kurz zum Fenster und wieder zurück schweifen. „Aber dann war die Lichtung leer.“

„Jetzt bin ich hier“, meinte er und streckte ihr die Hand entgegen. „Gebt mir den Dolch, Arabella. Ich tue Euch nichts.“

Sie starrte ihn mit düsterem trostlosem Blick an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Habt Ihr Malcolm so getötet? Ihn mit einem Trick dazu veranlasst, Euch seinen Dolch zu geben, um ihn dann mit Eurem umzubringen?“

Himmel! Er wollte es abstreiten, aber er konnte nicht. Was den Tod ihres Bruders anging, so konnte er sich immer noch an nichts zu erinnern. Rob kam über den Holzboden geschlittert und flüsterte ihm zu, sich zu beeilen.

„Gebt mir den Dolch, Arabella“, befahl Brodie leise.

Sie hob die Hand, wie um sich zu verteidigen, doch das verschaffte ihm die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Mit einem raschen Schritt war er bei ihr, packte die Hand, mit der sie die Waffe hielt, und drehte sie nach unten, bis sie sie fallen ließ. Arabella keuchte und öffnete den Mund, um zu schreien. Im nächsten Augenblick hatte er ihn mit der Hand bedeckt und nickte Rob zu.

Brodie fesselte ihr mit einem Stück Seil die Hände, nachdem Rob sie geknebelt hatte. Brodie hätte beinahe gelacht, als sein Freund sich bei ihr dafür entschuldigte, doch dazu war die Angelegenheit zu ernst. Innerhalb von Minuten war sie gefesselt – Hände, Mund, Beine.

„Wir bringen Euch von hier fort, Arabella“, sagte er, während Rob eine Tapisserie von der Wand riss und auf den Boden warf. „Wehrt Euch nicht, dann wird Euch auch nichts geschehen.“

Genauso gut hätte er Wasser über eine wütende Katze schütten können, denn sie drehte und wand sich, um sich von den Fesseln zu befreien. Mit raschen, geübten Bewegungen legten Rob und er sie auf die Tapisserie und rollten sie hinein. Vorsichtig hoben sie ihr Paket hoch und trugen es aus dem Raum, wobei sie die Tür hinter sich fest schlossen. Arabellas Vater würde erst kurz vor der Zeremonie nach ihr sehen.

Brodie und Rob nahmen die zweite Treppe, auf der sonst die Dienstboten auf- und abeilten, die an diesem Tag aber alle mit Hochzeitsvorbereitungen betraut waren, und begaben sich ins unterste Geschoss des Wohnhauses. Dort angekommen, brauchten sie nicht lange nach der Geheimtür zu suchen, die zu einem lang vergessenen Tunnel führte. Als Knabe hatte er hier gespielt; sein Onkel hatte immer vorgehabt, den Tunnel zu verschließen, hatte es jedoch nie getan. Brodie bezweifelte, dass irgendwer sich an diesen geheimen Weg erinnerte, über den man zu einem Lagerschuppen bei den Ställen gelangte.

Ihr Plan funktionierte genauso, wie er es sich erhofft hatte – seine Männer waren alle auf ihrem Posten und erfüllten präzise ihre Aufgaben. Jene, die innerhalb der Burgmauern lebten oder arbeiteten, hatten alle Hände voll zu tun mit den Vorbereitungen für die Hochzeitsfeier. So beschäftigt waren sie, dass keiner Notiz von den beiden Männern nahm, die einen Teppich davontrugen. Bald ritt Brodie auf Arabellas Pferd durch das Tor, mit der Tapisserie quer über dem Schoß. Rob folgte ihm, während die anderen sich trennten. In zwei Tagen wollten sie sich in ihrem Lager treffen, wobei jede Gruppe eine andere Route wählen sollte.

Das Pferd hatte die zusätzliche Last mühelos akzeptiert, und sie ritten Meilen, bevor Brodie bemerkte, dass die junge Frau aufgehört hatte, sich unter seiner Hand zu bewegen, mit der er sie sicher auf seinem Schoß festhielt. Er gab Rob ein Zeichen, worauf sie ihre Pferde zügelten, sie kurz im Schritt gehen ließen und dann anhielten. Im nächsten Augenblick war Rob an seiner Seite. Brodie ließ Arabella zu ihm hinunter und stieg ab. Rob warf ihm den Wasserschlauch zu und kümmerte sich um die Pferde, brachte sie an einen kleinen Fluss, um sie zu tränken, während Brodie sich hinkniete, um ihre Gefangene zu befreien. Vorsichtig lockerte er die Tapisserie, rollte Arabella heraus und trat dann einen Schritt zurück, um ihre Reaktion abzuwarten.

Es gab keine. Sie bewegte sich nicht. Ihre Augen blieben geschlossen. Sie wehrte sich nicht. Brodie beugte sich über sie und horchte, ob sie noch atmete, und legte ihr dann die Hand auf die Brust, um zu prüfen, ob ihr Herz noch schlug.

Sie lebte noch, Gott sei Dank, war jedoch bewusstlos. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und schob eine Hand unter ihren Kopf. Er hob sie ein Stück an und lockerte den Knebel. Dann flüsterte er ihren Namen.

„Arabella. Wacht auf, Mädchen.“ Keine Reaktion. Er klopfte ihr auf die Wange und versuchte es noch einmal. „Arabella, wacht jetzt auf.“

Als nichts geschah, zog er den Verschluss aus dem Wasserschlauch und tröpfelte ihr ein wenig Wasser über den Mund und das Gesicht. Da flatterten ihre Lider, und sie formte tonlos Worte, ehe sie die Augen öffnete. Es dauerte ein bisschen, doch Brodie wusste genau, in welchem Augenblick sie zu sich kam. Sie richtete sich auf oder versuchte es zumindest, bevor sie merkte, dass sie an Händen und Füßen gefesselt war.

Brodie machte einen Schritt zurück, ließ ihr Zeit und Raum, völlig wach zu werden. Sie zerrte an den Fesseln und drehte sich einmal herum, bevor sie sich ein wenig beruhigte und seinem Blick begegnete. Die flüchtige Angst in ihren blauen Augen verwandelte sich rasch in Zorn, was ihm aus irgendeinem Grund lieber war. Er bot ihr den Wasserschlauch an, überließ ihr die Entscheidung, ob sie davon trinken wollte. Sie hatte nicht geschrien, das war auch gut. Arabella streckte die Hände nach dem Wasserschlauch aus, und er ging in die Hocke und gab ihn ihr. Sie nahm zwei, drei Schlucke, hielt inne und reichte ihm den Schlauch zurück.

Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich. Ihm fiel nichts ein, was er ihr hätte sagen können, und sie starrte ihn nur abwartend an. Brodie wusste, dass sie nicht allzu lang verweilen durften, denn sie hatten noch eine weite Strecke zurückzulegen, ehe sie sich in Sicherheit fühlen durften. In diesem Moment kehrte Rob mit den Pferden zurück. Brodie streckte die Hand aus und löste das Seil um ihre Knöchel.

Es war offensichtlich, dass sie sich nichts anmerken lassen wollte, doch sie verzog das Gesicht und biss sich auf die Zähne, während sie versuchte, die Beine zu bewegen. Ein Stöhnen entschlüpfte ihr, als ihre Beine zu zucken anfingen. Er stand auf, nahm sie bei den Armen und zog sie auf die Füße.

„Kommt. Geht ein wenig auf und ab. Ihr werdet Euch bald besser fühlen, wenn Ihr Euch bewegt“, sagte er, hielt sie fest und führte sie im Kreis. Er spürte, wie ihr Zittern nachließ und ihre Beine sie bei der dritten Runde allmählich wieder zu tragen begannen. Er ging mit ihr zu einem umgestürzten Baumstamm und setzte sie darauf ab, ehe er ihr noch einmal den Wasserschlauch anbot. Sie lehnte stillschweigend ab.

Seit er sie geweckt hatte, hatte sie noch kein Wort gesagt. Allerdings schleuderte sie ihm aus den eisigen Tiefen ihrer blauen Augen alle möglichen Vorwürfe entgegen. Er wünschte, er verfügte über Robs ungezwungenen Umgang mit Frauen, dann hätte er etwas Aufmunterndes zu ihr sagen können.

„Seid Ihr verletzt?“, rang er sich ab. Die Art, wie sie bei jeder Bewegung nach Luft schnappte, legte die Vermutung nahe.

„Zerschrammt“, sagte sie mit leiser Stimme. Das Haar fiel ihr auf die Schultern, halb noch zu einem kunstvollen Zopf geflochten, der Rest offen und wild. Es juckte ihn in den Fingern, es zu berühren, doch er hielt sich im letzten Augenblick zurück. „Und zerschlagen“, fügte sie hinzu und zuckte zusammen, als sie die immer noch gefesselten Hände gegen die Rippen drückte.

Brodie sah zu Rob hinüber und gab ihm Zeichen, dass sie bald aufbrechen mussten.

„Heißt das, dass mein Vater und Caelan uns folgen?“, fragte sie. Sie stand auf und spähte durch die Bäume. Verdammt! Sie hatte wieder gesehen, wie sich seine Hände bewegten.

„Es heißt, dass wir aufbrechen müssen“, erklärte er, nahm sie am Arm und brachte sie zu Rob und den Pferden. Als er sich anschickte, sie erneut zu knebeln, wich sie zurück. Doch Geräusche, vor allem Schreie, trugen weit im Wald und konnten über Meilen hinweg gehört werden.

„Ich muss … ich muss …“, flüsterte sie, während er das Tuch nach oben zog. „Ich bitte Euch …“ Der Knebel hinderte sie am Weiterreden, doch sie umklammerte Brodies Arm und zog daran.

„Was müsst Ihr, Lady Arabella?“, fragte er ungeduldig. Er lockerte den Knebel wieder.

„Ich müsste einem Bedürfnis nachkommen.“

Sein Körper reagierte auf ein komplett anderes Bedürfnis als das, welches sie vermutlich meinte, doch er verstand sie schon. Sie waren nun schon stundenlang unterwegs. Er hatte sie direkt nach dem Morgenmahl entführt.

„Hier entlang“, befahl er und zog sie tiefer ins Dickicht, wo sie ein gewisses Maß an Intimsphäre hatte. „Rasch jetzt.“ Er ließ sie frei und entfernte sich ein paar Schritte aus dem Dickicht.

Gleich darauf sagte ihm sein Bauchgefühl, dass sie vermutlich zu fliehen versuchen würde. Er bedeutete Rob, ihr auf der anderen Seite entgegenzukommen und ihr den Weg abzuschneiden. Dann stand er ganz still und lauschte, bis er das Laub auf dem Boden rascheln hörte. Daraufhin stürzte er sich wieder ins Dickicht, um sie wieder einzufangen. Es überraschte ihn nicht, dass sie nicht mehr da war. Aber sie hatte nur wenige Schritte Vorsprung und keinerlei Erfahrung darin, sich wegzuschleichen. Ihr Fluchtversuch war weithin hörbar, und er hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich an ihre Fersen zu heften. Als Rob sich ihr in den Weg stellte, schlug sie eine andere Richtung ein, dort wartete Brodie bereits auf sie.

Sie rannte in ihn hinein, sah ihn erst, als es schon zu spät war. Sie gingen beide zu Boden, sie wegen der Wucht des Aufpralls und er, weil er vermeiden wollte, dass er ihr mit seinem Gewicht wehtat. Seine Anstrengungen waren vergebens, denn sie landeten aufeinander. Ihre gefesselten Hände waren an der Stelle eingeklemmt, an denen sie den größten Schaden anrichten konnten. Das einzig Gute war, dass er sich im letzten Moment noch einmal drehte und Arabella obenauf zu liegen kam.

Es dauerte nur einen Moment, bevor ihm klar wurde, dass das gar nicht gut war. Und als sie sich bewegte und versuchte, auf die Füße zu kommen, war das noch schlechter.

Doch zu Brodies Erleichterung kam Rob in diesem Moment herbeigeritten, beugte sich herab und hob sie von ihm weg. Bis Brodie aufgesprungen war, hatte Rob sie bereits wieder geknebelt und vor sich gesetzt. Brodie blieb nichts anderes zu tun übrig, als auf den schwarzen Hengst zu steigen, den Rob festhielt. Mit einem grimmigen Nicken in Robs Richtung und verärgert über sein eigenes Ungeschick im Umgang mit dem Mädchen, ließ Brodie den Freund voranreiten.

Erst eine Weile später, als sie hinauf in die Berge geritten waren und einen Ort für ihr Nachtlager gefunden hatten, gestattete Brodie sich schließlich, Arabella anzusprechen.

Sie litt. Bei jedem Atemzug, bei jeder Bewegung taten ihr alle Knochen im Leib weh. Nicht genug, dass sie in einen Teppich gerollt und über ein Pferd geworfen worden war oder dass sie gegen Brodies harte Wand aus Muskeln geprallt war, nein, danach war sie auch noch stundenlang im Sattel unterwegs gewesen. Wenn man ihr gestattet hätte, so zu reiten, wie sie es gewohnt war – rittlings und nicht über oder auf dem Schoß eines anderen – dann hätte sie jetzt sicher nicht so viele Schmerzen.

Das dachte sie zumindest, bis sie ihren unermüdlichen Ritt in die Berge unterbrachen. Denn nun gesellte sich zu den Schmerzen und der ständig wachsenden Liste von Vorwürfen, die sie gegen Brodie Mackintosh vorzubringen hatte, auch noch die Kälte. Ganz zu schweigen davon, dass er sie entführt und ihre Hochzeit verhindert hatte. Und seiner ursprünglichsten, größten Sünde. Ihr Plan bestand darin, am Leben zu bleiben und sich irgendwie ihr Pferd zu schnappen, um ihm zu entkommen und zu Caelan zurückzukehren.

Wenn sie überhaupt je den Weg aus den Bergen zurückfand.

Schweigend stand sie da und wartete ab, bis die Schmerzen nachließen, die sie wellenartig überliefen, ehe sie einen Schritt tat oder etwas sagte. Die Männer hatten sie hier stehen lassen, ein paar Vorräte aus den Satteltaschen genommen und die Pferde weggeführt. Wind kam auf und jagte ihr die Kälte noch tiefer in den Leib, während die Sonne hinter den Bergen versank, und die letzten Sonnenstrahlen erloschen. Da sie nichts hatte als ihre Kleider und die dünne Decke, die Rob ihr vor einer Weile gegeben hatte, begann sie bald zu zittern.

„Kommt.“ Sie war so in ihr Elend versunken gewesen, dass sie Brodie nicht kommen gehört oder gesehen hatte. Er löste das Seil um ihre Handgelenke. Arabella schüttelte die Hände, um das Taubheitsgefühl zu vertreiben, und zuckte zusammen, als es in ihren Fingern zu prickeln begann.

Brodie bot ihr seinen Arm, als hätte sie die Wahl gehabt. Trotz ihres glühenden Wunsches, ihn gefangen und bestraft zu sehen, ertappte sie sich dabei, dass sie sich an ihn klammerte, während sie zu einem kleinen Unterstand gingen. Er half ihr, sich hinzusetzen, und sie beobachtete ihn, wie er im Unterstand herumwanderte, dies und das aufsammelte und ein paar Worte mit seinem Freund wechselte.

Keiner war grausam zu ihr gewesen, auch wenn es einfach barbarisch gewesen war, sie zu fesseln und in einen Teppich einzurollen. Vermutlich hatten sie vor, sie als Geisel einzusetzen, sonst wäre sie inzwischen ja wohl tot gewesen, oder nicht? Rob setzte sich neben sie, brach ein Stück von einem Laib Brot ab und gab es ihr. Brodie nahm auf der anderen Seite Platz, sodass sie zwischen beiden festsaß, aber auch vor dem Wind geschützt war. Er reichte ihr einen zerbeulten Becher, und als sie ihn entgegennahm, füllte er ihn aus dem Schlauch, den er ebenfalls den Satteltaschen entnommen hatte.

Völlig ausgehungert, aß sie mehrere Bissen Brot, tauchte es dabei erst ins Wasser ein, um es ein wenig aufzuweichen, ehe sie dann die Frage stellte, die ihr auf den Lippen brannte.

„Warum?“, fragte sie fest und herausfordernd.

Die beiden Männer sahen sich an, schienen dabei eine wortlose Botschaft auszutauschen, die sie nicht verstand, und dann begegnete Brodie ihrem Blick.

„Um die Hochzeit zu verhindern“, entgegnete er knapp. Er reichte ihr einen anderen, kleineren Schlauch. „Trinkt etwas“, befahl er. „Davon wird Euch warm.“

Sie führte den Schlauch an den Mund und trank. Die feurige Flüssigkeit brannte sich durch ihre Kehle bis hinab in den Magen. Sie hatte dergleichen schon früher getrunken, ihr Bruder … hatte ihr davon abgegeben, wenn ihr sonst so wachsamer Vater einmal nicht hingesehen hatte. Nun wärmte das Getränk sie, breitete sich in ihren Gliedern und ihrem Blut aus.

„Ich wart Euch doch nicht einmal sicher, ob Ihr mich zur Frau wollt, warum also solltet Ihr die Hochzeit verhindern wollen?“, hakte sie nach. Sie gab den Schlauch zurück; sie wusste, dass sie nur die Kontrolle über sich verlieren würde, wenn sie zu viel trank.

„Es war notwendig“, sagte er und reichte den Schlauch an Rob weiter.

„Und jetzt? Was passiert jetzt mit mir?“ Seine Augen flackerten, einen Augenblick glomm ein Gefühl in ihnen auf, was jedoch im nächsten Moment verschwunden war.

„Ihr tut, was man Euch sagt, dann geschieht Euch auch nichts“, erklärte er. Als sie darauf etwas erwidern wollte, nicht gewillt, diese höhnischen Worte schweigend hinzunehmen, schüttelte er nur den Kopf. „Es gibt so viel, was Ihr nicht wisst. Was Ihr nicht wissen könnt.“

Im Zusammenleben mit ihrem Vater hatte sie schon in sehr jungen Jahren gelernt, sich genau zu überlegen, wogegen sie rebellierte, denn der Preis dafür war üblicherweise hoch. Euan Cameron hatte ihre Schwachstelle früh entdeckt und nicht gezögert, ihren Bruder zur Rechenschaft zu ziehen, um sie zu bestrafen. Ihr Vater erwartete absoluten Gehorsam von seinen Kindern, und sie und Malcolm hatten früh lernen müssen, sich daran zu halten. Etwas sagte ihr, dass sie sich jetzt in einer ähnlichen Lage befand, dass sich die Dinge jeden Augenblick gegen sie wenden konnten, und so hörte sie auf ihr Bauchgefühl und überließ Brodie das letzte Wort … für den Moment.

Die Wolken am Himmel verdunkelten alles Mondlicht. Rob nutzte seinen Flintstein und etwas trockenes Laub, um ein kleines Feuer zu entzünden. Es würde nicht viel Wärme spenden, aber zumindest vertrieb es erst einmal die Dunkelheit. Da Sommer war, würde die Nacht hier im schottischen Hochland ohnehin nicht zu lang dauern. Was bedeutete, dass sie hier schlafen würden.

Ob sich dabei für sie eine Chance zur Flucht ergäbe? Als hätte er ihre Gedanken gelesen, deutete er auf ihre Hände. „Gebt mir Eure Hände, Arabella.“

„Wohin sollte ich hier denn fliehen, Brodie?“, fragte sie und blickte in die Dunkelheit ringsum. „Ich wäre ja dumm, es zu versuchen …“

„Ich habe es in Eurem Blick gesehen“, erwiderte er. Um seine Lippen spielte ein Lächeln. Es war ziemlich grimmig und kündete von seinem Misstrauen gegen sie. Wenn man bedachte, dass sie beim letzten Mal, als sie einen Moment frei gewesen war, hatte fliehen wollen, konnte man ihm es nicht verübeln.

Er schlang ihr das Seil wieder um das Handgelenk, diesmal nur um eines, und überraschte sie dann damit, dass er das andere Ende um sein eigenes Handgelenk wickelte. Dann streckte Brodie den Arm aus, damit sein Freund die Aufgabe vollenden konnte. Sie waren nun aneinandergefesselt, und sie konnte sich nicht bewegen, ohne dass er es mitbekam.

„Wie soll ich …?“ Sie konnte nicht aussprechen, welches Bedürfnis sie im Augenblick verspürte, doch Brodies Lachen war zu entnehmen, dass er sie verstand.

„Keine Sorge“, sagte er, stand mit ihr auf, zog am Seil und führte sie weg vom hellen Feuerschein. „Es ist so dunkel, dass ich nichts sehen kann.“

Ein paar beschämende Augenblicke später kehrten sie zurück zum Unterstand, wo Rob inzwischen ein paar Decken ausgelegt hatte. Zwei Schlafstätten. Arabella blickte von Rob zu ihrem Wärter und schüttelte den Kopf. So nah bei ihm wollte sie nicht schlafen. Sie wich zurück, bis das Seil sie aufhielt.

„Eure Tugend ist bei mir sicher, Lady“, sagte er. Er schob sie zu einem der Deckenlager. „Solange Ihr ruhig bleibt, nehme ich den Knebel ab.“ An diese Möglichkeit hatte sie gar nicht gedacht.

Arabella entschied, dass sie ihren nächsten Fluchtversuch im Tageslicht wagen würde. Bis dahin würde sie ihn in dem Glauben belassen, sie sei eine willfährige Gefangene … Sie musste das Überraschungsmoment auf ihrer Seite behalten, da ihre Entführer in der Überzahl waren. Und sie sich in dieser Gegend nicht auskannte. Ihr Vater und Caelan würden nach ihr suchen, sie musste ihnen nur Zeit geben, sie einzuholen.

Sich hinzulegen dauerte nicht lang. Die Decken unter ihr waren überraschend bequem, doch sie machte sich am ganzen Körper steif, als er sich hinter sie legte. Arabella rückte so weit wie möglich von ihm ab – sie rechnete nicht damit, in dieser Nacht viel Schlaf zu finden. Doch sie war so erschöpft von den aufreibenden Stunden, die hinter ihr lagen, dass ihr Widerstand erlahmte. Wärme umgab sie, kurz bevor sie einschlief, und sie ließ sich hineinsinken. Im Traum sah sie im Kamin ihres Gemachs ein loderndes Feuer brennen.

Brodie spürte genau, in welchem Moment sie aufhörte, sich gegen den Schlaf zu wehren, denn plötzlich entspannte sie sich und schmiegte sich an ihn. Er warf noch ein Plaid über sie, legte den Arm um sie und zog sie näher an sich.

Um sie zu wärmen.

Damit sie nicht fror oder gar krank wurde.

Sie würde ihnen ja nichts nützen, wenn sie krank würde oder starb.

Er behütete sie nur um seines Clans willen und nicht etwa, weil er irgendwelche tieferen Gefühle für sie hegte.

Diese Worte sagte er sich die ganze übrige Nacht immer wieder vor, während sie sich an ihn kuschelte. Immer wieder führte er sich den eigentlichen Sinn dieser Unternehmung vor Augen und dass sie für ihn nur ein Mittel zum Zweck war – Caelan die Kontrolle über die Mackintoshs aus den verräterischen Händen zu reißen und den Cameron-Clan vor der vollkommenen Vernichtung zu retten.

Als das spärliche Licht der Dämmerung durch den kalten Nebel kroch, wiederholte er diese Gedanken noch immer und versuchte sich dazu zu bringen, sie auch zu glauben. Brodie wusste, dass er ihre Nähe nur noch zwei Tage ertragen musste. Sobald sie das geheime Lager oben in den Bergen erreicht hatten, würde er jemand anderen zu ihrer Bewachung abstellen. Dann würde er sich von ihr fernhalten, bis er seine Pläne in die Tat umgesetzt hatte.

Noch zwei Tage.

7. KAPITEL

Zwei Tage in der Hölle. Zwei Tage reinen Elends.

Zwei Tage.

Vielleicht hätte er dem Druck besser standgehalten, wenn sie geschrien oder getobt hätte, geheult, gestöhnt oder gewimmert. Wenn Rob ihn nicht aufgezogen hätte wegen seiner Schwierigkeiten, sie auf Distanz zu halten und nicht mit ihr zu diskutieren oder zu streiten. Wenn sie ihm keine Fragen gestellt hätte, die so spitz waren, dass er sich mit seinen Antworten vorsehen musste.

Am schlimmsten war es gewesen, als er ihr die Augen verbunden hatte, kurz bevor sie die verborgenen Höhlen und Lichtungen erreichten, die er und die anderen verlorenen Seelen nun ihr Zuhause nannten. Als er ihr das Tuch um den Kopf gebunden hatte, hatte es sich in ihrem Haar verheddert, und sie hatte das Gesicht verzogen. Er hatte versucht, die blonden Locken zu entwirren, und dabei ihren Atem auf der Haut gespürt. Am liebsten hätte er sich ihr Haar um die Hände gewickelt, es sich durch die Finger gleiten lassen, um in der seidigen Vollkommenheit zu schwelgen. Brodie hatte die Zähne zusammengebissen und seine Aufgabe beendet, während Rob ihn mit einem süffisanten Grinsen beobachtete. Während sie den Bach überquert hatten und dem letzten Stück Wegs gefolgt waren, hatte er sich gefragt, wie er sich so lange etwas hatte vormachen können.

Nach der Ankunft im Versteck hatte er beschlossen, Arabella zu ignorieren und sich auf die wichtige Aufgabe zu konzentrieren, seinen Clan zu schützen. Er hatte sich nicht vorgenommen, sie nicht zu mögen, doch am Ende war es so gekommen. Mit jedem falschen Lächeln hatte Brodie sie mehr verabscheut. Mit jedem jämmerlichen Versuch, den Caelan unternommen hatte, sie zu umwerben, hatte er sie noch mehr verabscheut.

Und so war es eine Überraschung gewesen, als er anfing, sie zu mögen. Noch überraschender war es gewesen, dass er begonnen hatte, sich auf die Zeiten zu freuen, die er auf Befehl seines Onkels mit ihr verbringen musste. Sie hatte ihm immer wieder einmal ihr wahres Selbst offenbart, und er hatte die echte Person hinter der Fassade kennengelernt. Anfangs hatte er sie für eine oberflächliche, eitle, verzogene Erbin gehalten, doch das war sie ganz und gar nicht. Arabella Cameron war weitaus mehr.

Und dann hatte der Wunsch in ihm Gestalt angenommen, sie für sich zu gewinnen.

Dafür hätte er zum neuen Than ernannt werden müssen, und so hatte er seine Bemühungen in diese Richtung verstärkt, selbst erschrocken gewesen, wie sehr er sie begehrte, und gleichzeitig voll Sorge, dass er sie nie für sich erringen würde. Während dieser Zeit war der Verdacht in ihm aufgekeimt, dass Caelan mit dem Cameron-Clan etwas ganz anderes im Sinn hatte als die geplante Allianz. Daraufhin hatte er angefangen, Fragen zu stellen, und in dieser Zeit war die schreckliche Sache mit Arabellas Bruder geschehen.

Nun, da er ausgestoßen und vogelfrei war, war es ihm beinahe unmöglich, seinen Verdacht zu beweisen. Was er bisher hatte zusammentragen können, war nichts als Stückwerk, Berichte von Freunden und jenen, die ihn unterstützten – bisher noch nichts, was Beweis genug gewesen wäre, um Caelan zu entmachten. Wenn er jedoch recht hatte, war Caelans Ziel keineswegs der Frieden.

Was ihn in den letzten Monaten wirklich beunruhigt hatte, war die Frage, was Caelan wohl für Arabella geplant haben mochte. Zum Teufel, er hatte sich von seiner wachsenden Schwäche für eine Frau von seinen Pflichten ablenken lassen.

Er hörte das verabredete Signal und antwortete darauf, als sie um eine Kurve bogen und ihre Pferde durch eine torartige Lücke zwischen den Bäumen lenkten. Im Vorbeireiten nickte Brodie den Männern zu, die dafür sorgen würden, dass die Äste wieder so zurückgebogen wurden, dass niemand den Durchgang bemerken konnte. Zwei Männer kamen aus einem Versteck im Unterholz und begrüßten ihn.

„Bring sie zu Margaret“, sagte er zu Rob und setzte Arabella auf der Erde ab. „Vergiss nicht, sie ist eine Gefangene, kein Gast.“ Er versuchte den Schauder nicht zu beachten, der sie bei seinen Worten überlief, allerdings ohne großen Erfolg. „Sie bleibt so, wie sie ist, bis ich zu euch stoße.“

„Aye, Brodie“, erwiderte Rob, nahm sie am Arm und führte sie weg.

Brodie musste sich um verschiedene Dinge kümmern und konnte seine Zeit nicht damit vergeuden, an sie zu denken. Er wandte sich an einen der Wachmänner und fragte knapp: „Duncan? Hamish? Jamie?“

„Sind alle gestern zurückgekehrt. Sie haben gesagt, es gebe keinerlei Anzeichen, dass Ihr verfolgt worden seid.“

„Und Caelan? Der Cameron?“, fragte er. Er packte die Zügel des Rappen fester, als das Tier an dem ihm unbekannten Ort unruhig wurde. Er zog es vorwärts und führte es zu einem kleinen Pferch, in dem die Pferde gehalten wurden. Ranald eilte ihm nach, hielt aber einen sicheren Abstand zu dem Pferd, während er berichtete.

„Mehrmals am Tag haben sie Suchtrupps ausgeschickt. Manchmal hat Caelan sie angeführt, manchmal ein anderer“, erklärte Ranald. „Sie haben sich immer nach Westen gewandt.“ Sie hatten auf den Straßen nach Westen falsche Fährten ausgelegt – dieser Plan war offenbar aufgegangen.

„Sonst noch etwas?“ Brodie blieb stehen und nickte ein paar Männern zu, die an ihnen vorbeigingen.

„Nay, Brodie. Alles ist gut.“

„Bewacht die Straßen weiter unten. Wir dürfen Caelan nicht unterschätzen. Und sagt den anderen, sie sollen sich vorsehen. In den Wäldern werden weitere Suchtrupps unterwegs sein.“

Ranald nickte und entfernte sich, um die Warnung weiterzugeben. Brodie blieb zurück und überlegte, was er wegen Arabellas Pferd unternehmen sollte. Es würde in der Herde Probleme verursachen, weil es fremd war. Er übergab den Hengst einem Burschen und wies ihn an, wie er ihn versorgen sollte, und ging davon, um sich um all das zu kümmern, was während seiner Abwesenheit in den letzten Tagen liegen geblieben war.

Vielleicht würde das die rastlose Spannung lösen, die sich seiner bemächtigt hatte, seit er Arabella entführt hatte.

Caelan wartete in seinem Gemach auf die Rückkehr seines Dieners mit dem letzten Suchtrupp. Unruhig ging er zwischen Tür und Fenster hin und her, auch wenn das die Angelegenheit nicht beschleunigen würde. Endlich waren draußen auf dem Flur schwere Schritte zu hören. Jetzt würde er das Ergebnis erfahren. Ein lautes Klopfen kündigte Gavin an, der daraufhin eintrat. Caelan bot dem Mann keinerlei Erfrischung an, wollte ohne Umschweife die Neuigkeiten hören.

„Habt ihr sie gefunden?“

„Nay, Mylord“, begann Gavin, doch Caelan hatte im Augenblick keine Geduld für Ausflüchte. Sie suchten nun schon tagelang nach seiner entführten Verlobten und seinem vogelfreien Vetter.

„Ist Euan schon zurück?“ Der Laird der Camerons hatte unermüdlich nach seiner Tochter gesucht. Das war äußerst hilfreich, da er damit beschäftigt und aus dem Weg war.

„Man hat ihn auf der Straße gesehen, Herr. Er sollte jeden Moment eintreffen.“

Caelan hatte gehofft, der alte Mann würde länger fortbleiben, die Entführer seiner Tochter verfolgen und ihn nicht weiter behelligen.

„Sind noch Freunde meines Vetters auf der Burg oder im Dorf?“, erkundigte er sich. Indem Brodie am Leben geblieben war, hatte er ihm die Sache in gewisser Weise einfacher gemacht, zumindest bis zu dieser Eskapade.

Während der letzten Monate, in denen Brodie auf der Flucht gewesen war, hatte Caelan jene ausgemerzt, die seinen Vetter früher unterstützt hatten, entweder indem Caelan sie gewaltsam vertrieben oder so lange unter Druck gesetzt hatte, bis sie freiwillig gegangen waren. Und alles natürlich ganz diskret, damit man ihm keinen Vorwurf machen konnte. Der bedauerliche, aber zeitlich so günstige Tod seines Onkels hatte ihm die Stellung und die Macht verliehen, dies und anderes zu vollbringen. Brodies Wiederkehr und die Entführung der Cameron-Erbin stellte jedoch eine Bedrohung für seine Pläne dar.

„Ich denke nicht, Herr“, erwiderte Gavin.

„Geh – und such die auf, die einmal zu seinen Freunden zählten. Oder deren Verwandte, Gavin“, sagte er. Er packte den Mann, zog ihn näher und sprach eine Warnung aus: „Du würdest nicht wollen, dass mir Zweifel an deiner Loyalität kommen. Finde meinen Vetter.“ Er stieß den Lakaien zur Tür, wandte sich ab und wartete, bis der Mann verschwunden war.

In langsamen, wohlüberlegten Schritten hatte Caelan seinen Plan in die Tat umgesetzt und stand kurz davor, alles zu erringen, was er sich erhoffte. Die Camerons eingeschüchtert und besiegt, die Erbin sein und er Herr über ihr Gold und das Leben der Camerons. Oberhaupt des Mackintosh-Clans, Anführer der Chattan-Konföderation. Völlige Herrschaft über einen großen Teil des schottischen Hochlands und das Ansehen und die Macht, die damit einhergingen.

Während er zusah, wie die Camerons zu den Hochzeitsfeierlichkeiten eintrafen, sagte er sich, er könne die Farce aufrechterhalten, bis er die Mitgift in der Hand hatte. Er konnte den angenehmen, interessierten, großherzigen Laird spielen und die Leute dazu bringen, es ihm abzunehmen. Das tat er ja schon einen Großteil seines Lebens, und er war gut darin. Er konnte sich in Geduld üben, schließlich war sein Ziel zum Greifen nah.

Selbst wenn sich sein Vetter jetzt einmischte.

Als sich nach Brodies Verbannung kein Protestgeschrei erhoben hatte und sein Onkel Euan Cameron durch zusätzliche Zugeständnisse hatte überreden können, an ihrer Abmachung festzuhalten, war Caelan erfreut gewesen und war einen Schritt weitergegangen. Als nach dem Tod seines Onkels keinerlei Verdacht gegen ihn, Caelan, aufgekommen war, hatte er den nächsten Schritt unternommen. Und nun brauchte er nur noch Arabella Cameron vor den Altar zu schleppen, dann wäre er am Ziel.

Und er würde sie kriegen.

Nicht einmal Brodie Mackintosh – zum Teufel mit ihm! – konnte ihn aufhalten.

Geräusche draußen im Hof kündeten von Euans Rückkehr, und so bezähmte Caelan seinen Zorn und machte sich bereit, den Mann zu begrüßen. Als er unten im Hof ankam, war der ältere Mann bereits vom Pferd gestiegen und ging auf ihn zu.

„Keinerlei Anzeichen von ihnen auf der anderen Seite des Flusses“, sagte er und deutete in die Ferne. „Euer Mann Magnus meint, man habe uns auf eine falsche Fährte gelockt.“

„Magnus? Das hat er gesagt?“

Magnus hatte viel von Brodie gelernt, obwohl er Brodie nicht mochte. Sie waren einmal wegen irgendeiner Frau in Streit geraten und seither nicht mehr gut aufeinander zu sprechen. Aber Magnus kannte Brodies Eigenheiten.

„Gavin, ruf Magnus in die Halle“, rief Caelan. „Kommt, Euan. Ich habe die anderen Karten gefunden, die uns weiterhelfen könnten.“

Er hasste das Oberhaupt des Cameron-Clans, es bedurfte aller Willenskraft, ihm kein Messer in die Brust zu rammen. In seinen Bemühungen, die Fehde zu beenden, hatte Lachlan eine Information gefehlt: Er hatte nicht gewusst, dass Euan derjenige gewesen war, der Caelans Eltern nach der verlorenen Schlacht gequält und getötet hatte. Seine Mutter war als Erste an der Reihe gewesen, er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, vor den Augen ihres Ehemanns …

Und ihres Sohns.

Euan hatte ihn damals gezwungen zuzusehen, und jetzt konnte er sich nicht einmal mehr daran erinnern. Heute gab er den weisen Anführer, der den Frieden suchte.

So viele, zu viele wollten die Vergangenheit vergessen und die Verfehlungen auf beiden Seiten verzeihen, um in der Zukunft Frieden zu erlangen, doch Caelan würde nichts vergessen. Und er würde nie vergeben. Er würde Rache üben für jene, die unter den Händen der diebischen, schurkischen Camerons gestorben waren. Er würde sie so teuer bezahlen lassen, dass keiner sich je wieder zum Clan der Camerons bekennen würde.

Zuerst musste er seine Verlobte finden und seinen Vetter töten. Danach würde er sich um den Rest kümmern.

Arabella wehrte sich nicht, als Rob sie über das unebene Gelände führte. Sie stützte sich sogar auf seinen starken Arm, als der Boden holpriger wurde. Wie Brodie es befohlen hatte, waren ihr die Augen verbunden, und sie folgte Robs Anweisungen. Doch praktisch blind zu sein hieß nicht, dass sie nichts hören konnte.

Geflüster, als sie vorbeikam. In der Ferne Kinderlachen. Ihr Name wurde genannt, überrascht oder auch höhnisch. Mehrere Leute riefen Rob etwas zu, doch der strebte weiter ihrem Ziel zu, ohne langsamer zu werden oder stehen zu bleiben.

Margaret. Sie wurde zu einer Margaret gebracht, wer das auch sein mochte, und auf Brodies Befehl hin hatte sie als Gefangene zu gelten. Ein Zittern überlief sie, denn seine Stimme hatte merkwürdig geklungen … und zornig. Sein Zorn machte ihr Angst. Sie musste an die Prügel und Strafen ihrer Kindheit denken – wenn ihr Vater wütend gewesen war, hatte er gern und unerbittlich zugeschlagen. Meistens hatte es Malcolm getroffen, aber hin und wieder war auch sie das Opfer gewesen. Wieder erschauerte sie, und Rob hielt inne und fluchte in sich hinein.

Beinahe hätte ihr das ein Lächeln entlockt, denn er stieß wirklich eine erstaunliche Anzahl an Flüchen und Schimpfwörtern aus. Normalerweise fluchte er als Antwort auf etwas, das Brodie gesagt oder befohlen hatte, was Brodie keineswegs aus der Ruhe brachte. Rob war das genaue Gegenteil seines Freundes, der selten etwas sagte und jedes einzelne Wort auf die Goldwaage zu legen schien. Aber dieser wortkarge Mann konnte ihr immer noch das Leben nehmen, genau wie er ihrem Bruder das Leben genommen hatte, sie musste jetzt also bei klarem Verstand bleiben. Sie setzten sich wieder in Bewegung, doch diesmal gingen sie nur ein paar Minuten, ehe sie wieder anhielten.

„Margaret?“, rief Rob. Ein paar Augenblicke verstrichen, und dann rief er noch einmal: „Bist du da drin, Margaret?“ Er ließ Arabella einen Moment los, packte dann ihren Arm und führte sie vorwärts. Sie hörte keine Antwort, doch er musste etwas gesehen oder ein Zeichen bekommen haben.

„Hier sind wir, Mylady“, sagte er. Sie spürte seine Hand an ihrem Kopf. „Die Öffnung ist recht niedrig, Ihr müsst Euch beim Eintreten ein wenig bücken.“

Sie ließ sich von ihm ein Stück nach unten ziehen und folgte ihm hinein in … irgendeine Unterkunft. Es war wärmer hier, roch nach Rauch und irgendeiner Mahlzeit auf dem Feuer. Plötzlich knurrte ihr der Magen. Nach ein paar weiteren Schritten blieben sie stehen, Rob nahm sie bei den Armen und drückte sie auf einen Schemel oder Stuhl. Irgendwer, vermutlich Margaret, schlurfte von hinten heran.

„Brodie sagt, sie ist eine Gefangene, Margaret, kein Gast“, wiederholte er die Worte ihres Anführers.

„Ach ja?“, sagte die Frau. „Und soll sie die ganze Zeit so verschnürt bleiben, solange sie seine Gefangene ist?“

„So lange, bis er etwas anderes anordnet“, erwiderte Rob. Er hatte sich ein Stück entfernt. „Du tätest gut daran, seinen Befehlen zu gehorchen.“

Arabella glaubte, einen belustigten Unterton herauszuhören, aber das war ja wohl nicht möglich. Dann verabschiedete er sich, und sie konnte nur noch Margaret hören, wie sie sich um sie herum bewegte. Ein paar Minuten herrschte Schweigen. Sie war immer noch geknebelt und konnte nichts sagen zu dieser Frau, die anscheinend ihre Gefängniswärterin war. Während sie in der Wärme saß, spürte sie mehr und mehr die langen Stunden im Sattel, und ihr Körper begann gegen die Fesseln zu rebellieren. Ihr wurde schwindelig, und sie befürchtete das Bewusstsein zu verlieren. Eine Berührung an ihrem Gesicht überraschte sie.

„Schon gut, Mylady“, sagte Margaret, während sie Arabella von ihrem Knebel befreite. „Ich nehme Euch das alles mal ab.“

„Nay“, warnte Arabella. „Er hat doch gesagt …“ Sie wollte nicht, dass ein anderer unter Brodies Zorn zu leiden hatte.

„Ach was, Unsinn“, flüsterte Margaret, während sie die Augenbinde entfernte. „Der Mann redet eine ganze Menge, aber ich tue trotzdem, was mir gefällt.“

Arabella öffnete die Augen und sah sich um. Sie saß in einem Zelt, in dem an einem Ende ein kleiner Feuerkorb stand und Wärme spendete. In einer Ecke lag ein Strohsack, in einer anderen befand sich eine kleine Truhe. Dann blickte sie die Frau an, zu der Brodie sie geschickt hatte. Sofort bemerkte sie die Ähnlichkeit zwischen Margaret und Rob. Vermutlich Geschwister.

„Trinkt erst einmal das.“ Margaret hielt ihr einen Becher mit dampfendem Inhalt hin, und Arabella streckte die gefesselten Hände danach aus. „Dieser Mann!“, stieß Margaret in empörtem Flüsterton aus.

Sie stellte den Becher ab und machte sich daran, das Seil um Arabellas Handgelenke zu lösen. Dabei hörte sie nicht auf, weiter leise auf Brodie zu schimpfen. Bruder und Schwester, dachte sie. Sobald sie frei war, ergriff Arabella den Becher und trank daraus. Irgendein Kräutertee. Sie erkannte nicht, um welches Kraut es sich handelte, aber die Wärme half gegen das Zittern. Als ihr erneut der Magen knurrte, schüttelte Margaret den Kopf und begann wieder leise vor sich hin zu fluchen. Bald war der Becher mit einer herzhaften Suppe gefüllt, und Arabella löffelte sie so schnell in sich hinein, dass sie kaum schmeckte, was sie aß.

Sobald sie gesättigt war und nicht mehr zitterte, übermannte sie die Erschöpfung, und sie schlief ein, wo sie saß.

Erst als sie von lautem Flüstern geweckt wurde, bemerkte sie, dass Margaret sie zu der Pritsche gebracht und sie mit einer warmen Decke zugedeckt hatte.

„Ich habe Befehle ausgegeben, Margaret.“ Brodies Stimme war harsch und fordernd. „Sie sollte die Augen verbunden haben und gefesselt bleiben.“

„Oh, aye, das hast du“, erwiderte Margaret. Arabella hätte zu gern die Augen geöffnet und den Streit beobachtet, tat aber lieber so, als schliefe sie, um die beiden Streithähne nicht zu unterbrechen. Auf diese Weise würde sie mehr in Erfahrung bringen.

„Und du hast das arme Ding tagelang und meilenweit herumgeschleppt, ohne ordentliches Essen und ohne dass sich jemand um sie gekümmert hätte. Ich habe geglaubt, dich besser zu kennen, Brodie.“

„Sie ist eine Gefangene, Margaret. Das darfst du nicht vergessen“, entgegnete er und stieß den Atem aus. „Die Augenbinde war zu deinem Schutz und zu dem der anderen. Wenn sie euch nicht gesehen hätte, hätte sie Caelan nicht berichten können, wer alles hier ist. Jetzt kann sie euch alle identifizieren.“

„Dann überlass sie doch mir, mein Gesicht hat sie ja schon gesehen“, meinte Margaret ruhig. „Kein Grund, die anderen ebenfalls in Gefahr zu bringen.“

„Beantworte ihr keine Fragen. Sie wird dich bedrängen und keine Ruhe geben, aber verrate ihr nichts“, warnte er sie.

„Soll ich sie jetzt aufwecken?“, fragte Margaret.

„Nay.“ Er hielt inne.„Nay, lass sie schlafen. Lass nach mir schicken, wenn sie aufwacht.“

„Mach ich, Brodie“, sagte Margaret.

Eigentlich hatte Arabella am Ende des Gesprächs etwas sagen wollen, doch die Wärme, die sie einhüllte, und die erste richtige Rast seit Tagen zogen sie zurück in den Schlaf.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, denn als sie erwachte, herrschte draußen vor dem Zelt nächtliche Stille. Sie schob die Wolldecken von sich, setzte sich auf und reckte und streckte sich. Bemüht, leise zu sein, bekam sie ihr heillos verwirrtes Haar zu fassen und kämmte es mit den Fingern durch. Dann band sie es zu etwas zusammen, was entfernte Ähnlichkeit mit einem Zopf hatte.

Gerade als sie ihn sich über die Schulter warf, schnaufte es im Raum laut auf. Sie blickte in die dunkle Ecke, aus der der Laut gekommen war, und sah, wie sich eine Gestalt aus den Schatten löste und näher kam.

„Habe ich Euch aufgeweckt?“, fragte er. Brodie.

„Nay“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Wie lang habt Ihr dort schon gesessen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Seit ich die Dinge erledigt habe, die erledigt werden mussten. Und nachdem ich etwas gegessen hatte“, sagte er und deutete auf ein Bündel neben der Schlafstatt. „Für Euch.“

Sie wollte schon ablehnen, doch ihr Magen antwortete für sie. Die paar Brocken Brot, Käse und Fleisch und dazu etwas Wasser hatten sie unterwegs nicht gerade gesättigt. Ihr war aufgefallen, dass Brodie und Rob ihr größere Portionen gegeben hatten, sodass es anscheinend nicht zu ihrem Plan gehörte, sie verhungern zu lassen. Sie griff nach dem Bündel und wickelte es aus, entdeckte ein Stück gebratenes Geflügel, noch mehr Käse und Brot. Im Handumdrehen hatte sie die Mahlzeit verspeist und etwas von dem Ale getrunken, das er ihr danach anbot.

„Ich habe Fragen“, sagte sie. Als er darauf nur knurrte, allerdings ohne ihr Einhalt zu gebieten, fuhr sie fort. „Ich möchte wissen, was Ihr Euch von dieser Entführung erhofft. Wolltet Ihr tatsächlich die Hochzeit verhindern? Erklärt mir bitte diesmal vernünftig, was Euch dazu veranlasst hat, mich zu entführen. Was steckt dahinter?“

Er streckte die Hand aus und legte ihr die Finger über den Mund. Entsetzt von dieser intimen Geste, schreckte Arabella zurück und schwieg dann.

„Je weniger Ihr wisst, desto sicherer seid Ihr, Lady.“

„Warum?“, fragte sie, bevor er ihr noch einmal die Finger auf die Lippen presste.

„Wenn Ihr es nicht wisst, kann Caelan es Euch auch nicht gewaltsam entreißen“, erwiderte er. In seiner tiefen Stimme schwang so etwas wie Traurigkeit mit. Sie rückte außer Reichweite und schüttelte den Kopf.

„Caelan würde mich niemals …“

„Verletzen?“, unterbrach er sie. „Denen etwas zuleide tun, die Euch am Herzen liegen? Ich fürchte, Ihr habt Caelans wahre Natur noch nicht gesehen. Beides würde er ohne zu zögern und ohne Reue tun, Lady.“ Er erhob sich, stand groß und mächtig vor ihr.

„Aber Caelan war nicht derjenige, der einem Menschen, der mir am Herzen lag, etwas zuleide getan hat, nicht wahr?“

Sie hatte es aussprechen müssen, doch als sie sah, wie sich sein Blick bei dieser Anschuldigung nachtschwarz verdüsterte, erkannte sie, dass es falsch gewesen war. Er ballte die Hände und biss die Zähne zusammen.

„Nay, war er nicht“, stieß er hervor.

Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus und ließ sie in dem dunklen Zelt zurück. Sie rappelte sich auf die Füße und folgte ihm nach draußen. Vielleicht war dies hier ihre Gelegenheit zur Flucht, sie wollte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Warum aber verspürte sie das Bedürfnis, zu ihm zu laufen und die Anschuldigung zurückzunehmen? Draußen vor dem Zelt blieb sie stehen und sah ihm nach, während er sich entfernte, ohne sich noch einmal umzudrehen. Statt nun in das Zelt zurückzugehen, schürzte sie ihre Röcke und folgte ihm. Mit jedem Moment und jedem Schritt erwartete sie, dass irgendwer sie aufhielt oder einfing. Arabella duckte sich hinter ein paar Bäume, als er sein Tempo verlangsamte, und umrundete dann ein paar Zelte und Hütten, um sich in der Nähe zu halten.

Dann blieb er stehen. Soweit Arabella erkennen konnte, hatte er den Rand eines Abgrunds erreicht. Brodie stand mehrere Augenblicke da und starrte reglos in die Dunkelheit. Der Wind drehte sich und erinnerte sie daran, dass sie ohne Mantel oder Decke losgerannt war, die sie gegen die beißende nächtliche Kälte und die Bergluft hätte schützen können.

„Geht zurück in Margarets Zelt, Arabella“, befahl er ihr, ohne sich umzusehen.

Autor

Terri Brisbin
<p>Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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