Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2018

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Historical-Romane aus 2018 - leidenschaftlich, aufregend und romantisch. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

VERSCHLEPPT VOM RUCHLOSEN HIGHLANDER

"Ich habe noch nie eine Frau zwingen müssen." Die dunkle Stimme des attraktiven Fremden ist unerbittlich. Verschleppt von einer Horde Verbrecher, bangt die blutjunge Fia Macintosh um ihre Unschuld. Sie weiß, in ihrer Situation muss sie sich dem Verlangen des unbekannten Highlanders wohl oder übel beugen: Doch nur für einen Kuss! Obwohl Iain Dubh eine wild-süße Sehnsucht in ihr weckt, ahnt sie, dass er ein doppeltes Spiel treibt. Warum sonst sollte er sie vor seinen ruchlosen Gefährten schützen? Und tatsächlich, als Iain unerwartet schwer verletzt wird, entdeckt sie, wer er wirklich ist …

WAS EIN WIKINGER BEGEHRT

Nach einem Überfall kann sich Wikinger Valdar mit letzter Kraft an den Strand von Northumbria retten. Ausgerechnet dorthin, wo der Befehl gilt, alle Nordmänner zu töten! Doch die Götter scheinen Valdar wohlgesonnen: Er wird von Lady Alwynn gefunden, der schönsten Frau, die er je gesehen hat. Ohne zu fragen, wer er ist, pflegt sie ihn auf ihrem Gut gesund. Und gegen jede Vernunft erwacht bald heiße Leidenschaft zwischen ihnen. Dabei weiß Valdar: Wenn Alwynn erst erkennt, wer er ist, wird sie sich von ihm abwenden! Statt Verlangen wird er Furcht und Hass in ihren blitzenden grünen Augen sehen …

IM SINNLICHEN BANN DES HIGHLANDERS

Mairead muss unbedingt den kostbaren Dolch finden, der ihrem toten Bruder geraubt wurde. Nur so kann sie die Schulden ihrer Familie zahlen! Doch als sie in einem Gasthof in den Highlands danach sucht, landet sie versehentlich in der Schlafkammer eines gut gebauten Fremden, der nackt vor ihr im Bett liegt. Ehe sie sich hinausschleichen kann, ist er schon aufgesprungen und packt sie. Von ungeahnt heißer Erregung durchflutet, erliegt sie der übermächtigen Versuchung und gibt sich seinem Kuss hin. Zu spät erkennt sie, dass Caird der Krieger eines feindlichen Clans ist - und ihr Rivale auf der Suche nach dem Dolch!


  • Erscheinungstag 03.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739188
  • Seitenanzahl 768
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Terri Brisbin, Nicole Locke, Michelle Styles

Zärtliche Barbaren: Wikinger und Highlander - Best of Historical 2018

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Theresa S. Brisbin
Originaltitel: „Kidnapped by the Highland Rogue“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 339 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Sabine Gehrmann

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733733766

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

 

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PROLOG

Brodie Mackintosh, Oberhaupt des mächtigen Chattan-Bündnisses, sah seinen Vetter grimmig mit zusammengekniffenen Augen an. Beißender Rauch stieg aus der verkohlten Ernte und dem verendeten Vieh auf und brannte in seinen Augen, während er das Ausmaß der Verwüstung um sich herum begutachtete.

„Wann ist es passiert?“

„Letzte Nacht“, antwortete Rob, sein Vetter und Kommandant aller Mackintosh-Krieger.

„Gibt es Verletzte? Tote?“ Brodie rechnete mit dem Schlimmsten. In den letzten Tagen hatte es mehrere solcher Überfälle gegeben, und das Ausmaß an Gewalt hatte immer mehr zugenommen. Es war also unvermeidlich, dass irgendwann ein Mitglied seines Clans zu Schaden kommen würde.

„Sie haben die Bauern davongejagt, doch der alte Angus hat sich geweigert zu gehen.“ Brodie stieß einen leisen Fluch aus, und Rob nickte zustimmend. Der alte Mann war ein Sturkopf gewesen, sie wussten beide, dass er mit voller Absicht zurückgeblieben war und nicht, weil ihn sein Alter oder seine Gebrechen am Gehen gehindert hatten.

Brodie beugte sich hinab und sah sich die Fußspuren in dem aufgeweichten Boden an. Dann blickte er sich in der Umgebung um. Dabei stellte er sich den Ablauf des Überfalls ganz genau vor.

Es war bereits der vierte Angriff dieser Art in den letzten zwei Wochen. Sie hatten sich jedes Mal in einem anderen Teil seiner Ländereien ereignet, und jedes Mal hatte man die gesamte Ernte niedergebrannt und das Vieh getötet. Die Dorfbewohner selbst waren jedoch verschont worden.

Bis letzte Nacht! Der alte Angus war das erste Opfer.

„Was denkst du, Rob?“, fragte Brodie, als er zurück zu seinem Vetter ging. „Wer oder was steckt hinter diesen Angriffen?“ Rob antwortete nicht, und Brodie wandte ihm fragend den Kopf zu. In Robs Augen stand die Antwort geschrieben, die sie beide so sehr fürchteten, dass keiner von ihnen es wagte, sie laut auszusprechen.

Über Jahre, nein, Jahrzehnte hatte es Krieg zwischen ihrem Clan und den Camerons gegeben. Erst als Brodie sich mit Arabella Cameron vermählt hatte, war Frieden eingekehrt. Seit ihrer strategischen Eheschließung vor sechs Jahren waren die feindlichen Übergriffe zunächst immer weniger geworden, bis sie schließlich ganz zum Erliegen gekommen waren. Einerseits lag das daran, dass sie gut verhandelt hatten, und andererseits daran, dass sie großzügige Ausgleichszahlungen erhalten hatten. Doch für viele der Clanältesten war es fast undenkbar, keine Zerstörung mehr auf der anderen Seite anzurichten, so sehr war die alte Fehde in ihren Köpfen eingebrannt.

„Kann das wirklich sein, Brodie?“, fragte Rob. „Meinst du, dass sie tatsächlich den Frieden gebrochen haben?“ Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, stieß er sogleich eine Reihe von Schimpfwörtern aus, die so derbe waren, dass Brodie vor Schreck zusammenfuhr. „Doch wer von ihnen könnte es sein? Wer würde so etwas tun?“

„Ich weiß es nicht. Aber ich muss genauere Informationen einholen, bevor ich Laird Cameron mit einer solchen Anschuldigung konfrontieren kann.“

Brodie war der Gedanke verhasst, dass die Camerons sich tatsächlich wieder gegen sie gewandt haben könnten. Alles, was sie während ihres Waffenstillstands ausgehandelt hatten und all die Opfer, die sie auf dem Weg dahin gemacht hatten, wären damit umsonst gewesen.

„Schick unsere Fährtensucher hinter ihnen her.“

Rob nickte und ging davon, um den Männern ihre neue Aufgabe mitzuteilen. Brodie begann wieder, im Umkreis des Geschehens nach Hinweisen zu suchen, die auf die Täter deuten konnten. Ein Stück Stoff hing an einem abgebrochenen Ast am Rand des Weges, der aus dem Dorf hinausführte. Er riss es herunter und betrachtete es.

Er kannte die Farben dieses Musters ganz genau, denn er hatte seine geliebte Arabella bereits darin gesehen, wenn sie das Plaid ihres Clans trug oder sich eine Schärpe umgelegt hatte. Und auch die Decke, die am Fußende ihres gemeinsamen Bettes lag, war im gleichen Muster und in denselben Farben gewebt.

Es handelte sich eindeutig um den Tartan des Cameron-Clans.

Kopfschüttelnd betrachtete Brodie den zerfetzten Stoff, Bestürzung und Unglauben machten sich in ihm breit. Schnell stieg er auf sein Pferd und ritt zurück zu seiner Burg. Noch immer hielt er das zerrissene Stück Stoff fest umklammert.

Er wollte, dass seine Frau es von ihm selbst erfuhr. Wenn ihre Familie tatsächlich so unehrenhaft war und ihr Abkommen gebrochen hatte, dann sollte sie zumindest die Erste sein, die davon wusste. Das war er ihr schuldig.

1. KAPITEL

Fia Mackintosh versuchte verzweifelt, den Blick abzuwenden, doch sie schaffte es einfach nicht. Dabei wusste sie, wenn sie ehrlich war, dass ihre Anstrengungen, die liebevolle Szene, die sich vor ihr abspielte, nicht zu beobachten, nur halbherzig waren. In Wahrheit sehnte sie sich nämlich von ganzem Herzen danach, endlich das gleiche zu erleben wie das, was gerade direkt vor ihren Augen passierte. Natürlich nicht mit dem Mann, um den es sich hier handelte, Gott bewahre! Nein, mit einem Mann, der sie auf die gleiche Weise ansah, wie ihr Vetter, der Laird, seine Gemahlin anblickte.

Brodie überragte Arabella um mehr als Haupteslänge, genau wie die meisten Männer des Clans war er hochgewachsen. Die Lady selbst war klein und zierlich, und es hieß, dass es in den schottischen Highlands keine schönere und anmutigere Dame gab als sie. Dennoch schien Arabella nicht im Geringsten von dem Hünen eingeschüchtert zu sein, der nun dicht vor ihr stand und sich zu ihr hinunterbeugte. Fia spürte, wie ihre Lippen zu kribbeln begannen, als Brodie zärtlich seinen Mund auf Arabellas legte. Doch das war noch nicht das Schlimmste.

Nein, das Schlimmste war, dass ihr, ohne es zu wollen, ein lauter Seufzer entfuhr, der nun die Stille des Gemachs durchschnitt.

Das Geräusch war laut genug gewesen, um Brodies Aufmerksamkeit von seiner Gemahlin abzulenken und sich stattdessen nun zu ihr umzudrehen. Und es war sogar so laut gewesen, dass Ailean, die Kusine und Kammerfrau der Lady, amüsiert auflachte. Glücklicherweise war Tante Devorgilla nicht hier und somit nicht Zeugin ihres peinlichen Ausrutschers geworden. Zum wiederholten Mal hatte Fia die Regel gebrochen, die besagte, dass diejenigen, die in den Diensten des Lairds standen, weder gehört noch gesehen werden durfte, solange er einen nicht ansprach. Ihre Mutter hatte sich schon häufig über diese Schwäche ihrer Tochter beklagt, und auch jetzt hatte sich Fia deswegen wieder Ärger eingehandelt.

„Ich bitte vielmals um Verzeihung, Laird, Mylady“, begann sie mit leiser Stimme, ohne den Blick zu heben. „Ich wollte nicht neugierig sein und bei so einem … privaten Moment zusehen.“

„Wenn mein Ehemann einen privaten Moment mit mir hätte haben wollen, dann hätte er mich schon vorher in unseren Gemächern aufgesucht, Fia“, sagte Arabella lachend.

Fia riskierte einen weiteren Blick und sah, wie sich die Lady fest gegen die breite Brust ihres Gemahls drückte. Doch der Laird machte einen Schritt zurück, verschränkte die Arme und sah seine Frau tadelnd an.

„Brodie, ich sagte doch, es geht mir gut. Du musst nicht ständig nach mir schauen.“

Fia sah zu Ailean herüber und wusste sofort Bescheid. Aileans Miene verriet alles – die Lady war erneut guter Hoffnung. Fia konnte es sich nicht verkneifen, erneut einen Blick auf das Ehepaar zu werfen. Es war offensichtlich, dass der Laird sich um seine Gemahlin sorgte und sie beschützen wollte, in ihrem jetzigen Zustand sogar noch mehr als sonst. Als sie sich vorstellte, dass sich ein Mann eines Tages derartig um sie sorgen würde, entfuhr ihr ein weiteres Seufzen. Ailean lachte erneut laut auf, und Fia spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

„Geh jetzt“, forderte Arabella ihren Gemahl auf, der sich jedoch keinen Deut bewegte. „Du hast unsere Fia in Verlegenheit gebracht, und ich möchte, dass sie sich ganz auf ihre Pflichten konzentriert.“

Die Näharbeit lag vollkommen vergessen auf ihrem Schoß, und Fia hob sie hastig wieder hoch, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie beschäftigt war und gar keine Zeit hatte, sich ihren Fantasien hinzugeben. Doch der Laird lachte herzlich auf.

„Ich glaube, unsere Fia hat Verständnis dafür, meine Liebste.“ Brodie beugte sich vor und gab Arabella einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Aber du hast recht, ich lasse euch weiterarbeiten.“

Ein neckisches Funkeln in den Augen des Lairds verriet ihr, dass er jedoch nicht so ohne Weiteres gehen würde. Stürmisch schloss er seine Gemahlin in die Arme und küsste sie voller Leidenschaft. Fia hätte genug Zeit gehabt, um den Blick abzuwenden … Doch sie schaffte es einfach nicht.

Es war so romantisch, wie sehr er seine Gemahlin begehrte. Fia wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie eines Tages das gleiche erleben würde. Der Seufzer, der ihr bei diesem Gedanken entwich, war wenigstens so leise, dass niemand ihn hörte.

„Einen guten Tag, liebste Arabella“, sagte Brodie zu seiner Gemahlin, als er sich von ihr löste und einen Schritt zurücktrat. „Und einen guten Tag, Ailean. Fia.“

Er nickte ihnen beiden zu und ging schnellen Schritts aus dem Raum. Die Tür schloss sich mit einem Knall, sodass alle drei Frauen zusammenzuckten. Schnell zog sich die Lady ihr Gewand glatt und steckte ein paar Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, zurück in ihren Zopf, der ihr bis zu den Hüften reichte. Ailean stand auf und füllte den Becher der Herrin auf. Fia konnte ihre Freude über die wundervolle Neuigkeit, die sie während dieser kurzen Zusammenkunft aufgeschnappt hatte, nicht verbergen. Und auch Arabella konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, als sie sah, wie Fia strahlte.

„Ich möchte aber nicht, dass die anderen schon davon erfahren“, sagte sie mit sanfter Stimme und strich sich beschützend mit der Hand über den Bauch. „Erst in ein paar Wochen“, fügte sie hinzu. „Wenn Brodie sich jedoch weiterhin so besorgt verhält, dann weiß bald ohnehin jeder Bescheid.“ Als die Lady das letzte Mal guter Hoffnung gewesen war, hatte dieser Zustand leider ein jähes, tragisches Ende gefunden, daher überraschte es Fia nicht, dass sie und der Laird diesmal mit der Verkündung der frohen Botschaft warten wollten.

„Ich werde nichts sagen, Mylady“, versprach sie. Als Kammermagd der Lady sah oder hörte sie oft Dinge, von denen niemand anders wissen durfte, daher hatte sie schnell gelernt, wie man ein Geheimnis für sich behielt.

Der restliche Tag verging wie im Flug, denn Fia hatte, so wie immer, wieder eine Vielzahl von Aufgaben zu erledigen. Dazu gehörte, sich ununterbrochen um das Wohl der Lady zu kümmern und sie bei jedem Gang durch die Burg und nach draußen zu begleiten. Fia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn der Laird wieder einmal wie zufällig auftauchte, wenn sie und Arabella auf dem Weg ins Dorf waren. Und die Lady strahlte jedes Mal, sobald sie ihrem Gemahl in die Augen sah.

Und jedes Mal musste Fia vor Sehnsucht seufzen.

Ailean und die Lady lachten amüsiert über sie, doch niemand machte sich über ihre romantischen Anwandlungen lustig. Fia wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Diese Gefühle waren vollkommen neu für sie. Sie stand seit über zwei Jahren im Dienst der Lady, und zuerst waren ihr die romantischen Gesten zwischen dem Laird und seiner Gemahlin zunächst gar nicht aufgefallen. Erst seit ein paar Monaten schenkte sie den zärtlich geflüsterten Worten und den liebevollen Küssen der Eheleute mehr Beachtung.

Fia erinnerte sich, dass ihre Mutter nur gelacht hatte, als sie ihre Reaktion gesehen hatte. Sie war der Ansicht, dass ihr Verhalten daher rührte, dass sie nun ein Alter erreicht hatte, in dem auch sie sich mit jemandem verheiraten sollte. „Und daher fallen dir ‚solche Dinge‘ nun stärker auf als früher, Fia“, hatte sie erklärt.

Doch in Wahrheit hatte sie schon in sehr jungen Jahren erkannt, dass die Gefühle zwischen Brodie Mackintosh und Arabella Cameron etwas … Besonderes waren. Etwas Wunderschönes. Selbst als ihre Clans noch verfeindet waren und Fia mit ihren Eltern fliehen musste, hatte sie bemerkt, auf welche Weise ihr Vetter die junge Frau, die er entführt hatte, behandelte. Obwohl sie selbst erst zehn Jahre alt gewesen war, war es ihr nicht entgangen.

In den darauffolgenden Jahren, und besonders seit die Lady ihr Versprechen eingelöst und sie zu sich in die Burg geholt hatte, hatte Fia erkannt, wie außergewöhnlich das Verhältnis der beiden war. Welche Frau würde sich nicht einen solchen Gemahl wünschen? Eine solch liebevolle Ehe? Wieder seufzte sie auf. Solche Leidenschaft?

Sie war gerade damit beschäftigt, die letzten Aufgaben für die Lady zu erledigen, damit diese sich zurückziehen und sich um ihren Gemahl und ihre Kinder kümmern konnte, als Arabella sich an sie und Ailean wandte.

„Morgen werde ich Brodie nach Achnacarry begleiten, um meinen Vetter zu besuchen“, verkündete sie mit ruhiger Stimme. „Wir werden niemanden von dieser Reise unterrichten, daher benötige ich euch beide auch nicht.“

„Arabella …“, setzte Ailean an, und Fia wusste, dass die beiden Frauen sich nun ein Duell liefern würden, in dem es darum ging, wer den stärkeren Willen hatte. „Aber Ihr seid doch …“

„Mein Gemahl wird für mein Wohl und meine Sicherheit sorgen“, erklärte Arabella.

„Aber die Überfälle?“ Ailean schüttelte voller Sorge den Kopf und presste angespannt die Hände auf ihrem Schoß zusammen.

„Es hat seit Wochen keine Angriffe mehr gegeben, Ailean.“ Arabella lächelte stolz und nickte. „Wer wäre so töricht, den bewaffneten Begleittrupp von Brodie Mackintosh anzugreifen? An seiner Seite bin ich vollkommen sicher.“

Fia wartete darauf, dass Ailean das nächste Gegenargument vorbrachte. Doch zu ihrem Erstaunen lenkte die junge Frau ein.

„Nun gut“, sagt Ailean mit sanfter Stimme und wandte den Blick ab.

„Deine Mutter wird sich sicher über einen Besuch von dir während meiner Abwesenheit freuen, Fia“, schlug die Lady vor und sah ihr in die Augen. „Ich habe dich in der letzten Zeit sehr beansprucht.“

Fia wusste, dass die Entscheidung feststand, daher erhob sie auch keine Einwände.

„Nein, das habt Ihr nicht, Mylady“, erwiderte sie. „Aber ich weiß Eure Umsicht zu schätzen.“ Auch die Menschen im Dienst des Lairds, die keine Familienangehörigen waren, wurden in dessen Haushalt als solche behandelt. „Nachdem Ihr morgen aufgebrochen seid, gehe ich ins Dorf.“ Fia ging zu dem Tisch und holte den Kamm, der darauf lag. „Soll ich mich jetzt um Euer Haar kümmern?“

„Das mache ich, Fia.“ Die tiefe Stimme des Laird erklang mit einem Mal in der Kammer. Fia lief rot an, und ihre Wangen begannen, heiß zu glühen.

„Natürlich, Mylord“, stieß sie hervor, beinahe hätte sie gestottert. Sie reichte dem Clanoberhaupt den Kamm. „Ich komme morgen früh wieder, Mylady.“

Sie öffnete die Tür und ging mit Ailean hinaus. Als sie die Tür hinter sich zuzog, hörte Fia, wie die Lady ihren Gemahl lachend dafür ausschimpfte, dass er ihre junge Kammermagd erneut in Verlegenheit gebracht hatte.

Ailean ging zu ihrer Schlafkammer, und auch Fia suchte den Raum auf, den sie mit einigen anderen Mädchen teilte. Während sie möglichst lautlos in ihr Schlafgewand schlüpfte, dachte sie darüber nach, Lady Eva morgen zu fragen, ob sie ihre Hilfe benötigte. Nessa, Lady Evas Kammerfrau aus Durness, hatte kürzlich geheiratet und stand daher nicht mehr im Dienst der Dame, und die neue junge Kammermagd war noch dabei, ihre Aufgabe zu erlernen. Sie könnte sicher ein paar gute Ratschläge gebrauchen.

Dann kroch sie unter ihre Bettdecke. Fia wusste, was sie zu Hause erwarten würde. Ihre Mutter würde ihr die ganze Zeit in den Ohren liegen, dass sie doch endlich den Heiratsantrag des Müllersohns annehmen sollte. Er war eine gute Partie für ein Mädchen wie sie. Die Tochter eines einfachen Bauern konnte nicht erwarten, über ihren Stand hinaus zu heiraten, und wenn sie ehrlich war, dann hegte sie auch keine derartigen Wünsche.

Sie träumte von einem Mann, der ihr mit seinem Blick die Hitze ins Gesicht treiben konnte, so wie Brodie es bei Arabella tat. Oder Rob bei Eva. Fia wollte spüren, wie es war, im Sturm von einem Mann erobert zu werden, der sie beschützte, Tag für Tag, und der sie liebte und auf die gleiche Weise begehrte, wie diese beiden Männer ihre Gemahlinnen begehrten. Wieder seufzte sie voller Sehnsucht auf, zog sich die Decke bis unters Kinn und schloss die Augen. Wenn sie Dougal, den Sohn des Müllers, heiratete, dann würde sie das alles niemals erleben. Es würde nie mehr sein als eine Sehnsucht.

In der Nacht hatte sie einen Traum. Ein Mann stand im Dunkeln und streckte eine Hand nach ihr aus. Fia ging auf ihn zu, doch dann blieb sie stehen, denn sie wollte sein Gesicht sehen, das von einem tiefen Schatten verdeckt war. Das Einzige, was sie erkennen konnte, war, dass er schwarzes Haar hatte, aber sein Gesicht blieb im Dunkeln verborgen. Noch einmal streckte er ihr seine Hand entgegen. Sie lächelte ihn an und wollte sie ergreifen und damit auf sein Angebot eingehen.

Doch in dem Moment wachte sie unruhig auf, noch ehe sie erfahren hatte, was danach passieren würde, und wälzte sich die restliche Nacht ruhelos umher.

Ihre Mutter glaubte an die Macht der Träume, so wie die meisten der Clanmitglieder. Bedeutete das, dass sie den Mann ihrer Träume tatsächlich finden würde? Dass sie Dougals Antrag ablehnen und darauf warten sollte, dass der schwarzhaarige Mann aus ihrem Traum eines Tages vor ihr stehen würde?

Bei Sonnenaufgang war sie noch immer wach und dachte darüber nach, ob sie den Antrag annehmen sollte oder nicht. Doch nachdem sie Lady Arabella für die Abreise fertiggemacht und sich von ihr verabschiedet hatte und sich auf den Weg zum Haus ihrer Eltern befand, konnte Fia sich nicht vorstellen, ihr Leben an der Seite von Dougal, dem Müllersohn, zu verbringen.

„Du darfst sie nicht immer so ärgern, Brodie“, sagte Arabella vorwurfsvoll.

Doch in diesem Moment kümmerte ihn nichts auf der Welt. Das Einzige, woran er denken konnte, war, wie schön es war, die geflochtenen Haare seiner Ehefrau sanft zu lösen. Arabella war sein Ein und Alles, und er nahm mit Genuss wahr, wie ihre seidigen Locken über seine Hände und seine Arme strichen. Bei der Vorstellung, dass diese Locken gleich einen ganz anderen Teil von ihm streicheln würden, wurde er sofort hart.

„Ich wollte sie nicht ärgern, Liebste“, sagte er und schmiegte das Gesicht in ihr Haar, um ihren Duft nach wilder Heide und der Honigseife, die sie immer verwendete, einzuatmen. „Sie ist noch ein unerfahrenes Ding, da wird man wegen jeder Kleinigkeit rot.“

„Unsere Fia ist eine junge Frau, Brodie“, sagte Arabella und wandte ihm das Gesicht zu. „Und sie ist schon immer in dich vernarrt gewesen.“

„Ist das meine Schuld? Ich versichere dir, dass ich nichts getan habe, um irgendwelche Hoffnungen in ihr zu wecken.“

Er ließ seine Hände auf ihre Schultern hinabgleiten und zog sie zu sich heran. Großer Gott, würde sein Verlangen nach ihr denn niemals gestillt sein? Seit sechs Jahren waren sie Mann und Frau, sie hatten bereits zwei Kinder, ein weiteres Baby war auf dem Weg, und dennoch hatte er nach wie vor ununterbrochen den Drang, sie ständig zu sehen, sie zu berühren, mit ihr zu sprechen, jeden Tag, am liebsten die ganze Zeit. Brodie neigte den Kopf und küsste sie sanft. Sofort öffnete sie die Lippen, wie sie es immer tat, sodass er ihren süßen Geschmack kosten konnte.

„Ich denke doch gar nicht, dass es an dir liegt“, versicherte Arabella ihm und zog den Kopf ein klein wenig zurück. Offensichtlich wollte sie das Thema noch weiter vertiefen, bevor sie sich den anderen, wichtigeren Dingen widmen würden.

„Woran liegt es dann?“ Brodie nahm seine Hände von ihren Schultern und trat einen Schritt zurück. Vielleicht würde sein Verlangen ein wenig nachlassen, wenn er Abstand zu ihr hielt. Doch noch im selben Augenblick wurde ihm klar, dass es ein sinnloses Unterfangen war.

„In ihren Augen sehe ich die Hoffnung einer jeden jungen Frau, die sich danach sehnt, die große Liebe zu erleben“, sagte seine Gemahlin und seufzte, genau wie ihre junge Kammermagd zuvor. „Sie findet unsere Geschichte und die von Rob und Eva romantisch.“

„Ich habe dich entführt und dich gegen deinen Willen festgehalten. Und Rob hat Eva gejagt, sie gefangen genommen und anschließend gegen ihren Willen geheiratet. Was ist daran romantisch?“, fragte Brodie kopfschüttelnd. Er war zwar bereits seit mehreren Jahren verheiratet und sollte in dieser Zeit einiges gelernt haben, doch er würde die Frauen niemals verstehen. „Ich weiß beim besten Willen nicht, was sie meint.“

Arabella kam auf ihn zu, und er erschauerte in freudiger Erwartung auf ihre Berührung. Sie hob eine Hand und strich ihm mit einem Finger über den Arm, hinauf zu seiner Schulter und von dort hinab über seine Brust. Er ärgerte sich, dass er noch seine Kleider trug. Wie gern hätte er ihre Liebkosung direkt auf seiner Haut gespürt.

„Du verstehst also nicht, dass es reizvoll ist, von einem gut aussehenden Highland-Krieger gerettet zu werden, der noch dazu der nächste Chief seines Clans ist.“ Er versuchte, ihr in die Augen zu sehen, doch sein Blick blieb an ihrem Finger hängen, der nun, langsam und genüsslich, tiefer und tiefer hinabwanderte. „Von einem starken Mann auserwählt zu werden, der dich gegen alle deine Feinde beschützt und der dir genau den Teil von deiner Seele gibt, der dir immer gefehlt hat?“ Schon wollte er widersprechen, denn bei Rob und Eva war es nicht ganz so passiert, doch dann spürte er, wie sie über seinen Gürtel fuhr, die Hand tiefer gleiten ließ und seine Hose öffnete. Sofort vergaß er jeglichen klaren Gedanken.

Als sie ihn umfing, stöhnte er vor Begierde auf. Da hielt sie inne, seinen aufgerichteten, pulsierenden Schaft in ihrer Hand, und sah ihm direkt in die Augen. Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, doch Brodie hatte Mühe, sich überhaupt daran zu erinnern, worüber sie gesprochen hatten. Ach ja … das Mädchen. Und Fias romantische Träume … oder etwas in der Art.

„Ich … oh … werde versuchen … zum Teufel, Arabella! Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich so berührst!“ Sie lachte laut auf, und sein Herz flog ihr entgegen.

„Sei nett zu ihr, Brodie. Sie ist so jung, und sie verdient es, noch ein wenig träumen zu dürfen, bis sie sich dem wahren Leben stellen muss.“

„Soll ich ihr jemanden suchen, der sie entführt? Der sie im Sturm erobert, so wie ich dich erobert habe, meine Liebste?“ Er hob seine Frau auf die Arme und trug sie zum Bett, wo er sie sanft ablegte. „Dann weiß sie, wie romantisch es bei uns war.“

Er legte sich zu ihr und rutschte sofort zwischen ihre Schenkel. Arabella konnte spüren, wie erregt er war, und freute sich darüber, dass sie ihn wieder einmal mit nicht viel mehr als einem Kuss und einer Berührung in diesen Zustand gebracht hatte. Sie drückte ihre Hände gegen seine Brust und schob seinen Oberkörper von sich weg.

„Brodie, sie wird ihre Liebe schon finden, auch ohne entführt zu werden. Sei einfach ein bisschen rücksichtsvoll mit ihr, sie ist im Moment sehr empfindsam.“

„Gut. Aber jetzt, meine liebe Gemahlin, solltest du dich um mich und meine Gefühle kümmern. Ich bin nämlich auch sehr empfindsam“, neckte er sie. Langsam und genüsslich rieb er sich an ihr und betrachtete zufrieden, wie sie auf diese Bewegungen reagierte.

„Ja, mein schöner Highland-Krieger“, sagte sie und spreizte die Beine ein wenig mehr, damit er noch besser an die Stelle ihres Körpers herankam, die sich, wie er wusste, bereits heftig danach sehnte, endlich von ihm berührt zu werden. „Dann zeig mir deine Gefühle …“

Für seinen Geschmack kam der Morgen viel zu schnell, doch glücklicherweise würde er sie bis an sein Lebensende jede Nacht im Arm halten können. Wenn sie aus Achnacarry zurückkehrten, würde er nach einem Bräutigam für das Mädchen Ausschau halten. Er konnte zwar keine Entführung für sie arrangieren, aber vielleicht wenigstens eine standesgemäße Ehe.

2. KAPITEL

Wenige Tage später …

Niall Corbett hatte die Arme über der Brust verschränkt und sah dabei zu, wie die wilde Truppe ausschwärmte und jeder sich einen guten Schlafplatz suchte. So wie jedes Mal, wenn sie einen Ort zum Lagern gefunden hatten, begannen auch jetzt sogleich wieder die üblichen Streitereien darüber, welches die beste Schlafstätte war und wem sie zustand. Anndra war zwar der Größte und Stärkste von ihnen, doch Micheil war schneller und hinterhältiger.

Das vertraute Gebrüll noch im Ohr, lief Niall auf eine kleine Erhöhung am Rande der Lichtung, auf der ein Baum wuchs. Fürs Erste würde es reichen.

Er ließ seine wenigen Besitztümer auf den Boden fallen und setzte sich auf einen Baumstumpf, um zu beobachten, wie sich der Kampf unter den Männern weiterentwickelte. Wie erwartet war Micheil auch heute wieder siegreich. Er versetzte Anndras Satteltaschen einen Tritt, sodass sie von dem kleinen Grasflecken direkt neben der Feuerstelle flogen, und legte seine eigenen stattdessen dorthin.

Auch Lundie beobachtete das Schauspiel aufmerksam, wie Niall bemerkte. Mit verschränkten Armen sah er den Streithähnen zu, sein Gesicht zeigte deutlich seine Missbilligung darüber. Es war hoffnungslos, Lundie hatte den Männern schon hundertfach eingebläut, dass sie nicht streiten sollten. Und doch, an jedem neuen Ort, an dem sie ihr Lager aufschlugen, ging es wieder von vorne los. Niall zog schon über sechs Monate mit diesen Männern umher, er hatte in dieser Zeit also bereits so einige Kämpfen miterlebt. Außer ein paar blauen Augen und einigen gebrochenen Rippen war dabei allerdings nicht viel passiert, daher duldete Lundie die Streitereien.

Niall stand auf, ging ein wenig umher und sah sich um. Hier musste sich irgendwann einmal ein richtiges, gut organisiertes Lager befunden haben, denn in den Höhlen in den Felsen, die eine Seite der Lichtung begrenzten, befanden sich noch einige Dinge, die dafür sprachen, dass hier einmal Menschen gelebt hatten. Abgeschirmt durch die Wälder und durch die hohe Lage in den Bergen, war es ein idealer Ort, um sich für längere Zeit zu verstecken. Lundie kam auf ihn zu, daher blieb Niall stehen.

„Jemand hat diesen Ort zuvor bereits genutzt“, sagte Lundie. „Als Lagerplatz oder Versteck.“ Niall nickte zustimmend.

„Ja, das ist etwas anderes als die morschen Berghütten, in denen die Clanmitglieder Unterschlupf suchen, wenn sie ihre Schafe hüten“, fügte er hinzu. „Die Höhlen bieten einen perfekten Unterschlupf.“

„Denkst du, es ist sicher hierzubleiben, Niall?“ Lundie hatte das Kommando über diese Horde, und er hatte sich in den letzten Monaten angewöhnt, seinem Rat zu vertrauen. Das war ein Teil seines Plans, und zumindest in dieser Hinsicht war er bisher erfolgreich gewesen.

„Mit dem toten Alten bei unserem letzten Überfall befürchte ich, dass wir an keinem Ort mehr lange sicher sind“, erwiderte Niall.

Der Mackintosh war dafür bekannt, dass er bei Unrecht gnadenlos durchgriff, genau wie für seinen Scharfsinn und seine Stärke. Durch den Tod eines seiner Clanmitglieder konnte er die Vorfälle auf seinem Land nicht mehr ignorieren, er würde diejenigen, die das getan hatten, hart bestrafen. Niall blickte noch einmal auf die Lichtung zu den Männern. Er hatte versucht, sich einzureden, dass das Ganze bloß passiert war, weil die Dinge außer Kontrolle geraten waren, doch eine nagende Stimme in ihm sagte ihm, dass es nicht so war. Und wenn er sich in Gedanken rief, wie der Überfall abgelaufen war, dann wusste er es eigentlich bereits. Lundies nächste Worte bestätigten alle seine Zweifel.

„War klar, dass so etwas passieren würde“, sagte er mit einem Achselzucken.

Wer auch immer Lundie die Befehle für die Überfälle gab, hatte also auch diesen Befehl gegeben.

Mit dem Tod des alten Mannes hatten sie eine Grenze überschritten. Sie hatten die Leute nur einschüchtern wollen, sie bedrohen wollen, doch jetzt war das Ganze mit einem Mal viel ernster. Wenn der Tod des Mannes zu einem größeren Plan gehörte, was würde dann als Nächstes passieren?

„Wir bleiben nicht länger als ein paar Tage hier. So lange wird es schon sicher sein.“ Lundie hatte seine Entscheidung offensichtlich getroffen. Niall nickte nur, und Lundie trat in die Mitte der Lichtung, damit die Männer ihn sehen konnten.

Er war zwar der Anführer dieser Truppe, doch der eigentliche Drahtzieher, der Mann, der den Befehl für diese Überfälle gegeben hatte, war jemand anderes. Jemand mit mehr Macht als Lundie, jemand, der in irgendeiner Form von ihren Taten profitierte. Nach jedem Angriff ritt Lundie davon, traf sich mit dem Befehlsgeber und kehrte mit dem nächsten Auftrag zurück. Niall musste herausfinden, wer dieser Mann war, der darauf aus war, Zwietracht zwischen den Camerons und den Mackintoshs zu säen.

Sein eigener Auftraggeber erlaubte ihm zwar, alles zu tun, was nötig war, um sowohl unerkannt zu bleiben als auch herauszufinden, wer hinter den Angriffen steckte. Doch dass Menschen zu Schaden kamen, konnte er auf keinen Fall tolerieren. Vor allem nicht, wenn es sich um unschuldige Dorfbewohner handelte. Nach Lundies Bemerkung zu urteilen, war dieser Mord nur der Anfang gewesen. Es würden weitere Opfer folgen. Lundie zog einen Beutel aus der Tasche an seinem Gürtel und wiegte ihn in den Händen. Man konnte die Münzen darin klimpern hören, und die Männer kamen grinsend näher. Niall blieb reglos stehen und wartete.

„Ihr habt gute Arbeit geleistet. Hier ist eure Belohnung.“ Lundie warf den Beutel Iain Ruadh zu, damit der den Inhalt verteilte. Jeder von ihnen würde einige Goldmünzen bekommen. Wenn sie ehrlicher Arbeit nachgingen, würden sie so viel nicht in mehreren Jahren verdienen.

„Iain Dubh“, rief Lundie. Das war der Name, den Niall benutzte, solange er bei dieser Truppe war. „Nach dem nächsten Angriff bist du derjenige, der eine besondere Belohnung erhält.“ Die anderen protestierten aufgebracht, weil sie fanden, dass sie für die vielen Entbehrungen alle eine Prämie verdient hatten. „Such dir etwas aus, und es gehört dir.“

Niall nickte lächelnd, als er seine Goldmünzen entgegennahm. Wenn alles nach dem inzwischen gewohnten Muster verlief, dann würde Lundie ihnen jetzt das nächste Ziel verraten, und sie würden am nächsten Morgen angreifen. Wegen des toten Mannes hatten sie eine kurze Pause zwischen den Attacken eingelegt. Schnell steckte er die Münzen in seinen Lederbeutel und wartete auf weitere Erklärungen.

„Der Mackintosh hat sein Land verlassen und ist zum Cameron geritten“, erklärte Lundie. „Morgen früh statten wir dem Dörfchen Drumlui einen Besuch ab.“

Niall zwang sich dazu, genauso erfreut zu reagieren wie die anderen Männer. Dieser Überfall war eine echte Herausforderung, und die Männer klopften sich gegenseitig ermutigend auf die Schultern. Offensichtlich waren sie glücklich, dass ihr Anführer ihnen so viel zutraute. Niall hingegen empfand Sorge bei dem Gedanken, wie waghalsig dieses Unterfangen war.

Selbst wenn Brodie Mackintosh nicht vor Ort war, sein Kommandant und unzählige Krieger würden bereitstehen, um die Burg und das Dorf zu verteidigen. Drumlui verfügte über hervorragende Verteidigungsanlagen, und wenn der Chief abwesend war, würde man die Anzahl der Soldaten sicher noch erhöht haben. Großer Gott! Es würde ein schreckliches Desaster werden!

„Bei Einbruch der Dunkelheit, wenn sie die Tore schließen, machen wir ein bisschen Ärger.“ Die Männer jubelten erfreut, doch Lundie bedeutete ihnen mit einem Zeichen, dass sie schweigen sollten. „Nichts Großes, nur eine klitzekleine Aufregung … sozusagen eine Überraschung.“

In anderen Worten, ein paar Männer niederschlagen, einige Hütten in Brand setzen und anschließend die Flucht ergreifen. Niall erschauderte bei dem Gedanken daran, dass er sich in unmittelbarer Nähe der Burg des Lairds der Mackintoshs befinden würde. Er wusste, dass irgendjemand es darauf anlegte, dem Mackintosh Ärger zu bereiten, doch er selbst wollte lieber nicht in dessen Nähe sein, wenn es passierte.

„Ruht euch aus. Wir reiten vor Sonnenaufgang los, jeder auf einem anderen Weg, und ihr werdet das Dorf einzeln betreten.“

Lundie nickte den Männern zu, die sogleich ihre Schlafstätten aufsuchten. Sie würden kein Feuer anzünden, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, selbst hier, in dieser abgelegenen, unwegsamen Gegend. Vorsichtshalber hielten sie des Nachts abwechselnd Wache.

Niall war nicht wohl bei ihrem neuesten Plan, daher entschloss er sich, noch einmal mit Lundie zu sprechen.

„Das ist gefährlich, und du weißt es, Lundie“, sagte er so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. „Es ist etwas anderes, den Mackintosh ein wenig zu ärgern, aber sein Dorf anzugreifen, seine Burg … das grenzt schon an Wahnsinn.“

„Aber so lautet der Befehl“, gab Lundie achselzuckend zurück. „Keine Sorge. Die Bezahlung macht das Risiko wieder wett, Iain.“ Lundie war offensichtlich der Überzeugung, dass auch Niall nur von der Gier nach Gold getrieben war wie die anderen Männer.

„Na gut.“ Niall nickte. Sollte Lundie doch glauben, was er wollte, was die Belohnung betraf. Er selbst war entschlossen, am morgigen Tag bei dem Überfall besonders auf der Hut zu sein.

Nachdem sie sich den ganzen Tag in der Höhle versteckt gehalten hatten, machten sie sich an den Abstieg zum Dorf hinunter. Niall passierte das Tor der hohen, breiten Mauer, die das Dorf schützend umgab, und wandte den Blick von der noch viel höheren Mauer ab, hinter der sich die Burg befand. Er stieg ab und band sein Pferd fest. Da er hungrig war, kaufte er einen Laib Brot und brach ein Stück davon ab. Während er aß, beobachtete er die Dorfbewohner.

Es dauerte nicht lange, da bemerkte er sie.

Eine junge Frau, groß und schlank, ging an ihm vorbei, gefolgt von einem Mann. Sofort hatte er die Situation durchschaut: Der Bursche, ein schlaksiger, unbeholfener Kerl, war verliebt in die junge Frau. Doch sie schenkte ihm so gut wie keine Beachtung. Plötzlich drehte sie sich um, und Niall konnte zum ersten Mal einen richtigen Blick auf sie werfen.

Mein Gott! Sie war eine echte Schönheit!

Sie trug ein schlichtes, schmuckloses Kleid, doch der Rest von ihr war alles andere als unscheinbar. Ihre Augen leuchteten hellgrün wie ein junger Frühlingswald, in ihrem hellbraunen Haar schimmerten goldene Strähnen. Ihre Nase war zierlich, ihre Lippen hatten die Farbe von reifen Kirschen. Es waren die schönsten Lippen, die er jemals gesehen hatte. Sie waren … einfach perfekt. Er stellte sich vor, wie diese Lippen wohl schmecken würden, wie es sich anfühlen würde, sie zu küssen. Oder wie ihre Stimme klingen würde, wenn sie voller Lust seinen Namen flüsterte …

Niall schüttelte den Kopf. Woher kam dieses seltsame Verlangen nur? Er steckte sich das letzte Stück Brot in den Mund und dachte darüber nach, was diese heftige Reaktion in ihm ausgelöst haben mochte. Er war nicht unerfahren, was Frauen betraf, im Gegenteil. Bevor er zu Iain Dubh geworden war, hatte er verschiedene Gespielinnen gehabt, und selbst jetzt noch, wo er als Räuber durch die Lande zog, teilten die Frauen mit größtem Vergnügen sein Bett.

Nein, an seiner Unerfahrenheit konnte es nicht liegen. Er trat vom Weg hinüber in eine schattige Ecke, wo man ihn nicht sehen konnte, damit er die Szene, die sich zwischen den beiden abspielte, weiter verfolgen konnte.

Ohne dass er auch nur ein Wort davon hören konnte, was sie sagten, konnte er sich ein Bild von der Lage machen. Der Mann versuchte, die Frau davon zu überzeugen, ein Angebot, das er ihr gemacht hatte, anzunehmen. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen und vermied es, bis auf wenige kurze Male, den Blick zu heben und in ihre schönen Augen zu sehen.

Dann nahm die junge Frau seine Hand. Es war offensichtlich, dass sie versuchte, seinen Vorschlag möglichst behutsam auszuschlagen. Hatte er ihr womöglich einen Heiratsantrag gemacht? Dann war er weitaus mutiger, als Niall gedacht hatte.

„Dougal!“, sagte die schöne Frau nun etwas lauter. Aha, der Kerl heißt also Dougal. „Ich habe mich klar ausgedrückt, was eine Verbindung zwischen uns beiden angeht. Bitte, tu mir den Gefallen und sprich nicht mehr davon.“

Der unglückselige Bursche schnappte ein paar Mal nach Luft, offensichtlich suchte er nach Worten. Was würde er auf diese Ablehnung wohl entgegnen? Doch die energische junge Frau – wie hieß sie wohl, Isabel oder Margaret? – gab ihm keine Möglichkeit dazu. Sie ließ seine Hand los und trat ein paar Schritte zurück. Deutlicher konnte ihre Antwort nicht ausfallen.

Niall seufzte und sah diesem unerwarteten Schauspiel weiter zu. Wenigstens war es unterhaltsam und verkürzte ihm die Wartezeit.

Verdammt! Er musste gleich seinen Posten einnehmen. Doch plötzlich bemerkte er, dass das Mädchen und auch der Bursche sich inmitten der Gefahrenzone befinden würden, wenn er und seine Kumpane gleich für Aufruhr sorgten. Er sah sich um und überlegte, wie er sie von hier weglocken konnte. Niemand hatte ihn bemerkt. Vielleicht würden sie von hier weggehen, wenn sie ihn sahen, und sich in eine andere Richtung wenden.

Er hatte in den Monaten, seit er mit dieser Bande unterwegs war, vor den Überfällen schon viele Männer und Frauen gesehen und nie gedacht, dass er einen von ihnen warnen müsste. Warum also jetzt? Warum gerade bei ihr? Denn wenn er ehrlich war, ging es ihm nur um das Mädchen.

Ohne weiter darüber nachzudenken trat er aus dem Schatten hervor und pfiff laut vor sich hin, damit sie ihn bemerken mussten. Als sie ihn sah, wich sie noch weiter vor dem jungen Dougal zurück, hob den Kopf und sah stattdessen zu ihm herüber, direkt in seine Augen. Niall stockte der Atem, als sich ihre Blicke trafen. Sofort wurde er von heftigem Verlangen gepackt.

Er sog den Atem hörbar ein und nickte ihr zu, blieb aber stehen. Er wollte sie dazu bringen, den Weg zu nehmen, der vom Dorf wegführte, und der befand sich zu seiner Rechten. Sein Pferd hinter sich herziehend ging er langsam an ihr vorbei. Dabei starrte sie ihn an, als würde sie überlegen, ob sie sich bereits einmal begegnet waren. Schließlich drehte sie sich zu ihrem Begleiter um und ging dann davon, so wie er es geplant hatte.

Er würde sich ganz bestimmt an sie erinnern, wenn sie sich schon einmal getroffen hätten. Doch nein, es war nicht der Fall. Vor den Überfällen war er noch nie auf dem Land der Mackintoshs oder der Camerons gewesen.

Nun blieb sie überraschend stehen und wandte sich zu ihm um. Dann kam sie auf ihn zu.

Aus der Nähe sah er, dass ihre Augen sogar noch eindrucksvoller waren als aus der Ferne. Sie leuchteten hell im Sonnenlicht, funkelten wie edle Steine. Während sie ihn fragend anschaute, spürte er Erregung in sich aufsteigen. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Guten Tag“, sagte sie ruhig und sah ihm noch immer direkt ins Gesicht. „Braucht Ihr etwas?“

Warum musste sie ihn ausgerechnet das fragen? Ein bestimmter Teil von ihm fasste ihre unschuldige Frage sehr wörtlich auf. Ihre Stimme klang sanft und melodisch zugleich, genauso sinnlich, wie er sie sich vorgestellt hatte. Doch bevor er ihr eine Antwort geben konnte, war der unglückselige Dougal schon an ihrer Seite und trat noch einen Schritt näher zu ihr, als wolle er sie beschützen. Der arme Bursche würde keine Chance haben, seiner Bande Widerstand zu leisten, wenn sie gleich loslegten.

„Guten Tag, euch beiden“, erwiderte Niall. „Nein, ich bin nur auf der Durchreise und wollte da an dem Brunnen etwas trinken.“ Niall deutete mit dem Kopf auf den steinernen Brunnen. Das war eine plausible Erklärung.

„An der Seite hängt ein Eimer mit einer Schöpfkelle“, erwiderte das schöne Mädchen. Der unglückselige Dougal warf ihm einen wütenden Blick zu und verschränkte die Arme vor seiner mageren Brust.

Vielleicht hat er meine Blicke besser gedeutet als sie selbst, dachte Niall.

Er zog sein Pferd weiter und ging in Richtung des Brunnens. Mit einem Mal erklangen Schreie und Kampfgeräusche, und das Mädchen und der junge Mann blickten unruhig umher, um die Quelle des Lärms auszumachen. Dann machte die junge Frau einen Schritt in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, und Niall packte sie ohne nachzudenken bei den Schultern. Sie sog ängstlich die Luft ein, doch Niall achtete nicht darauf und schob sie auf den anderen Pfad.

„Geh! Weg von hier! Jetzt!“, flüsterte er ihr eindringlich zu, sodass nur sie die Worte hören konnte.

Stolpernd lief sie einige Schritte davon und prallte mit dem unglückseligen Dougal zusammen, der sie festhielt. Niall konnte nicht noch mehr Zeit hier verschwenden. Er musste sich unter die anderen mischen, damit sie sahen, dass er bei dem Überfall mitmachte. Schließlich hatte er eine Rolle zu spielen. Daher wandte er den Blick von ihr ab, stieg auf sein Pferd und ritt auf den nun immer lauter werdenden Tumult zu.

Sie würde allein zurechtkommen müssen, so gerne er, oder besser gesagt sein Körper, sich auch um sie kümmern würde. Nur mit viel Mühe schaffte er es, sich nicht umzudrehen und sie noch einmal anzusehen. Dieses Mädchen mit den wundervollen Augen und dem verlockenden Mund stellte wirklich eine Gefahr für ihn dar, eine weitaus schlimmere als alles, was ihm bislang auf seiner Mission widerfahren war. Und das, obwohl die letzten Monate ihn vor unzählige Herausforderungen gestellt hatten.

Doch jetzt musste er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kampf lenken. Die Schreie wurden immer lauter und ängstlicher. Er konnte nicht weiter über das verführerische Mädchen mit den grünen Augen nachdenken, so schwer es ihm auch fiel.

3. KAPITEL

Im ersten Moment verwirrte der Fremde sie.

Sie war es gewohnt, mit Leuten zu sprechen, die sie nicht kannte, wenn sie für Lady Arabella tätig war. Viele Menschen aus ganz Schottland kamen zu ihnen, um mit dem mächtigen Oberhaupt des Chattan-Bündnisses zu sprechen. Doch dieser Mann war ganz anders als die Männer, die Brodie Mackintosh gewöhnlich aufsuchten. Er hatte zwar oft Besuch von Dorfleuten und Bauern, doch nicht von Männern, die so aussahen, als ob sie auf der anderen Seite des Gesetzes standen.

Der Mann war ebenso hochgewachsen und muskulös wie Brodie. Obwohl seine Kleidung vollkommen dreckverschmiert war, wirkte dieser Aufzug irgendwie aufgesetzt an ihm, so als wäre es nur eine Verkleidung. Seine Augen leuchteten blau in dem markanten Gesicht, das ebenso schmutzig war wie die Sachen, die er am Leib trug. Wie lange hatte er wohl schon dort im Schatten gestanden? Hatte er ihr Gespräch mit Dougal etwa belauscht und wusste, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte?

Warum nur hatte er sie gerade eben aufgefordert, wegzulaufen? Als ob sie in ihrem eigenen Dorf den Worten eines Fremden vertrauen würde.

Doch dann hörte Fia die Schreie! Ängstlich blickte sie sich um und sah, dass die Tore, durch die man zur Burg gelangte, bereits geschlossen waren. Sobald die Sonne unterging, waren die Dorfbewohner bei einem Überfall so lange schutzlos und auf sich allein gestellt, bis Soldaten aus der Burg eintrafen. Die Geräusche, die aus dem westlichen Teil des Dorfes zu ihnen herüberdrangen, waren so besorgniserregend, dass Fia nicht länger tatenlos abwarten konnte.

„Dougal! Lauf zur Burg und hol Hilfe!“, rief sie und blickte in die Richtung, aus der der Lärm kam. „Los, Dougal! Lauf!“

Fia wartete nicht ab, ob er ihr antwortete, sondern rannte so schnell sie konnte den Weg entlang, am Brunnen vorbei. Die Dorfbewohner kamen ihr panisch entgegengelaufen. Was war bloß geschehen? Fia erreichte die Weggabelung, der eine Pfad führte zu den Feldern, der andere zu einigen Hütten und zur Mühle. Voller Schreck sah sie, dass sich der Tumult immer weiter ausbreitete, Pferdewagen wurden umgeworfen, und einige der Dorfbewohner versuchten verzweifelt, sich den Angreifern entgegenzustellen. Als zwei von ihnen an ihr vorbeigaloppierten, um die anderen Räuber zu unterstützen, stockte Fia vor Angst der Atem.

In dem Moment kam alles wieder in ihr hoch, und die schmerzhaften Erinnerungen an den Überfall auf das Lager vor einigen Jahren prasselten auf sie ein. Sie war erst zehn Jahre alt gewesen, als Caelans Männer sie bedroht hatten. Und jetzt, beim Anblick der Männer, die jeden zu Boden warfen, der sich ihnen in den Weg stellte, war sie mit einem Mal wieder das zehnjährige, zu Tode erschrockene Mädchen von damals. Sie war vor Angst vollkommen gelähmt, und der Lärm und die Schreie, die nun auf sie eindrangen, vermischten sich in ihrem Kopf mit den Schreckensschreien von damals.

Mit einem Mal hörte sie ein Kind vor Angst laut weinen.

Damals hatte Lady Arabella sie gerettet, indem sie sie aus dem Weg gezerrt und in ein sicheres Versteck gebracht hatte. Fia wusste, dass sie handeln musste, sonst würden die Angreifer dem Kind etwas antun. In gebückter Haltung lief sie in die Richtung, aus der das Weinen erklang, und suchte nach dem Kind. Inzwischen stiegen bereits Rauchfahnen aus den mit Stroh gedeckten Dächern auf, die das Raubgesindel angezündet hatte. Zum Glück entdeckte sie das weinende Mädchen, ehe die Schwaden dicker wurden und die Sicht versperrten.

„Komm, Meggy!“, rief sie und lief auf die Kleine zu. Sie nahm sie bei der Hand und zog sie schnell hinter sich her in den Wald, weg vom Kampf und von den Bränden. „Wo ist deine Mam?“, fragte sie. Doch das Mädchen weinte so heftig, dass es nicht sprechen konnte. Fia nahm es auf den Arm und versteckte es unter einem dichten Busch. „Ich gehe sie suchen und bringe sie zu dir. Bleib hier, bis ich wiederkomme!“

Fia zog ein paar Zweige über das Mädchen und rannte davon, um Meggys Mutter zu finden. Plötzlich stolperte sie über die reglose Anice, die mitten auf dem Weg lag. Fia kniete sich neben sie, strich ihr über die Stirn und sagte ein paar Mal leise ihren Namen. Anice bewegte sich leicht, sie war jedoch bewusstlos. Gott sei Dank! Sie war am Leben! Fia rollte sie auf den Rücken und sah nach, ob sie irgendwelche Verletzungen hatte. Dann machte sie sich daran, die Frau in die Büsche zu ziehen. Doch sie hatte kaum die Arme der Frau gepackt, da kamen plötzlich zwei Reiter auf sie zu und umkreisten sie bedrohlich.

„Was haben wir denn da?“, rief der eine und kam ihr so nahe, dass sein Pferd gegen ihren Rücken stieß. Beinahe hätte Fia das Gleichgewicht verloren, doch sie fing sich sogleich wieder und umgriff Anices Handgelenke noch fester.

„Nicht doch, Mädchen“, sagte der andere Mann höhnisch, er hatte ein rattenartiges, verschlagenes Gesicht. Er lenkte sein Pferd so dicht an sie heran, dass es sie wegdrückte und sie Anice loslassen musste. Sie stand einen Moment lang da, strich sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht und blickte zur Burg. Kamen die Soldaten den Dorfbewohnern bald zu Hilfe? Dann wandte sich Fia den Männern zu.

„Oh, es dauert noch, bis sie hier sind“, sagte der erste Mann, stieg von seinem Pferd und ging auf sie zu. Jetzt, wo er neben ihr stand, bemerkte sie erst, wie groß er war. Gegen ihren Willen erschauderte sie vor Angst. „Dafür haben wir gesorgt.“

Dougal? Hatten sie Dougal erwischt, bevor er die Burg erreicht hatte? War er etwa …? Langsam wich sie zurück, Schritt für Schritt, bis sie nicht mehr weitergehen konnte. Das Rattengesicht war jetzt hinter ihr, sie war zwischen den beiden Männern gefangen. Fia versuchte verzweifelt, nicht in Panik auszubrechen, doch die lüsternen Blicke der Angreifer sagten ihr, dass sie keine Chance hatte.

„Ach, Anndra, jetzt hast du der Kleinen Angst eingejagt“, sagte das Rattengesicht.

Ja, das hatte er. Fia stand reglos da und hoffte, dass sie sie nicht packen würden, denn dann wäre sie verloren. Die beiden waren viel zu stark, sie konnte sie unmöglich abwehren.

Der Größere der beiden trat noch einen Schritt auf sie zu, und ihr stockte vor Angst der Atem. Fia betrachtete voller Panik seine massige Gestalt und seine riesigen Pranken. Der Lärm im Dorf wurde jetzt immer lauter, doch diese beiden machten keinerlei Anstalten, zu ihren Kumpanen zurückzukehren und ihnen bei ihrem Raubzug zu helfen. Nein, im Gegenteil, sie verschlangen sie förmlich mit bohrenden, lüsternen Blicken, und Fia bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun. In dem Moment nickte der Mann, der Anndra hieß, dem Rattengesicht zu, und sie wusste, dass ihre Stunde geschlagen hatte.

Riesige Hände schlossen sich schmerzhaft um ihre Schultern und hielten sie mit eisernem Griff gefangen, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Verzweifelt versuchte sie, sich loszumachen, doch das machte alles nur noch schlimmer. Als sie den Mund öffnete, um zu schreien, steckte das Rattengesicht ihr einen faulig riechenden Stofffetzen in den Mund und zog sie fest zu sich heran.

„So, Mädchen, jetzt zeigen wir dir, wie es ist, von einem echten Mann beglückt zu werden“, flüsterte er, leckte ihr über den Hals und biss ihr in die Schulter. Sie stieß einen gedämpften Schrei aus, doch das schien die beiden nur noch mehr zu erregen.

„Du? Ein richtiger Mann, Micheil?“ Anndra lachte laut auf und durchtrennte die Bänder ihres Mieders mit einem Messer. Dann packte er den Stoff und riss ihn auseinander. Fia versuchte mit aller Kraft sich zu wehren und wand sich verzweifelt hin und her, um sich loszureißen. Wegen des Lappens in ihrem Mund konnte sie kaum atmen, geschweige denn um Hilfe rufen. „Ich zeige ihr, was ein richtiger Mann ist, und du kannst zuschauen, damit du es lernst.“

Mit einem Ruck zog er ihr das Mieder bis zur Taille hinunter, und sie spürte einen kalten Lufthauch auf ihrer Haut. Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn, doch dadurch wurde sie nur noch dichter an den Mann hinter ihr gedrückt. Der Größere starrte grinsend auf ihre entblößten Brüste, deren Spitzen sich durch die Kälte zusammengezogen hatten, und streckte die Hand nach vorne, um sie anzufassen. Fia hielt den Atem an und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Wenn ihr doch nur jemand helfen würde! In dem Moment hörte sie, wie ein Schwert gezogen wurde, und sie sah, wie die Strolche verwundert innehielten.

„Vielen Dank, Kumpels“, erklang eine kräftige Männerstimme hinter dem Rücken des größeren Mannes. „Ihr habt sie also gefunden.“

Micheil stieß einen Fluch aus, die Worte waren so derbe, dass sie gar nicht verstand, was er meinte. Anndra drehte sich halb um, ließ sie jedoch nicht los.

„Wen gefunden?“, fragte er aufgebracht.

„Das Mädchen, das ihr da zwischen euch habt.“

Anndra drehte sich diesmal ganz zu dem Mann um, und Fia nutzte die Gelegenheit und ließ sich auf die Knie fallen, damit sie davonkriechen konnte. Sie kam allerdings nicht weit, denn Anndra packte sie an den Haaren und zog sie hoch, bis sie wieder auf ihren Füßen stand. Einen Moment lang herrschte absolute Stille, und ihr wurde schlagartig bewusst, dass die Männer sie anstarrten. Schnell versuchte sie, sich mit ihrem zerrissenen Gewand notdürftig zu bedecken. Dabei fiel ihr Blick auf den dritten Mann.

Der Fremde. Er gehörte also auch zu ihnen. Hatte er in dem Tumult etwa nach ihr gesucht? Fia konnte vor lauter Angst und Schmerzen kaum denken. Der fremde Mann kam auf sie zu, sein Schwert noch immer erhoben. Fia konnte nicht sagen, ob er Freund oder Feind war. Er hatte sie gewarnt und ihr so die Möglichkeit gegeben, der Gefahr zu entfliehen, selbst wenn sie sich nicht an seine Worte gehalten hatte. In dem Moment erklang ein schriller Pfiff, und alle drei wandten ruckartig die Köpfe um.

„Das war’s, Zeit zu gehen“, sagte der Fremde.

„Es dauert doch bloß ein oder zwei Minuten.“ Anndra zog sie wieder fest zu sich heran.

„Nein, sie gehört mir.“ Micheil zerrte sie zurück zu sich.

Fia schaffte es, den Lappen aus dem Mund zu nehmen, und begann, sich nun mit aller Kraft zu wehren. Sie rammte den Kopf fest gegen Micheils lange, spitze Nase, und zu ihrer Genugtuung hörte sie, wie er vor Schmerz aufheulte. Doch da packte Anndra sie erneut.

„Nein!“ Der Fremde kam mit erhobenem Schwert näher. „Lundie hat gesagt, dass ich mir dieses Mal eine Belohnung aussuchen kann. Und ich habe mir sie ausgesucht.“

Er nahm sie am Arm und zog sie von seinen beiden Kumpanen weg. Ihren Mienen nach zu urteilen würden sie sich nicht so schnell geschlagen geben. Der Fremde starrte sie unverwandt an, selbst als er mit den anderen sprach.

„Es stimmt doch, ich habe die Wahl, oder, Lundie?“

„Aye.“ Ein Mann, den Fia zuvor gar nicht bemerkt hatte, trat mit seinem Pferd aus dem Schatten heraus. „Wenn du mein großzügiges Angebot für ein Stück Hintern verschwenden willst, dann nur zu.“

Lundie sah die beiden anderen an und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, dass sie verschwinden sollten. Sofort setzten sie sich in Bewegung und rannten davon.

„Dir ist klar, dass sie Probleme machen wird, oder?“ Er deutete mit dem Kopf in ihre Richtung. Dann ließ er den Blick über ihren Körper hinabgleiten, an ihrem Bauch machte er halt, anschließend musterte er genussvoll ihre Brüste. Schnell zog sie den zerrissenen Stoff ihres Gewands noch fester an sich. „Wär’ besser, wenn du dich jetzt gleich mit ihr vergnügst und sie anschließend hierlässt.“

Der Fremde ging auf sie zu, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. Sie zitterte am ganzen Körper, denn sie wusste, dass ihre spärlichen Kampfkünste bei ihm nichts bewirken würden. Doch er hatte ihr vorhin bereits die Möglichkeit gegeben, wegzulaufen. Vielleicht würde er es ja wieder tun.

„Oh ja, ich werde mich mit ihr vergnügen“, flüsterte er, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste und ihre stille Frage damit beantwortete.

Fia hatte nicht mit einem solchen Ansturm an Empfindungen gerechnet, die dieser Kuss in ihr auslöste. Er war vollkommen anders als jeder Kuss, den sie in ihrem Leben bekommen hatte, denn die waren vollkommen harmlos und unschuldig gewesen. Nein, dieser Kuss war feurig und zog sie ganz in seinen Bann, und es dauerte einen Moment, ehe ihr klar wurde, dass der Fremde nicht vorhatte, sie gehen zu lassen.

Er fuhr ihr mit einer Hand durch das Haar und spielte mit den seidigen Strähnen. Dabei zog er sie noch fester zu sich heran und umspielte mit seiner Zunge ihre Lippen. Sie öffnete sie leicht, um zu protestieren, doch in diesem Moment ließ er sie schon in ihre Mundhöhle gleiten und löste damit einen solchen Strudel der Gefühle in ihr aus, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie vergaß, wo sie war und was um sie herum passierte, und sie nahm nichts mehr wahr außer das immer stärker werdende Feuer, das er in ihrem Inneren entflammte.

Doch dieses Gefühl hielt nur einen kurzen Moment an, denn auf einmal prasselte alles wieder auf sie ein, und ihr fiel ein, was gerade vor sich ging. Sie biss mit voller Kraft zu, und er schrie vor Schmerzen auf. Wie sie gehofft hatte, ließ er von ihr ab.

„Verdammt!“ Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

„Große Probleme, sag ich dir“, rief Lundie. Wieder erklang ein Pfiff, und beide Männer sahen zur Burg hinüber. „Nimm sie jetzt auf der Stelle oder lass sie hier, aber mach schnell. Wir müssen weg.“ Lundie wendete sein Pferd und ritt davon.

„Ich flehe Euch an, lasst mich gehen“, sagte Fia und wich vor ihm zurück. „Meine Freundin braucht Hilfe.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die bewusstlose Anice.

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie langsam rückwärts zu ihrer Freundin. Die Kampfgeräusche hatten ein wenig nachgelassen, und aus Richtung der Burg war jetzt lautes Gebrüll zu hören. Die Soldaten rückten aus, um ihnen Beistand zu leisten und die Angreifer zu vertreiben.

„Lauft! Weg von hier! Jetzt!“, beschwor sie ihn mit den gleichen Worten, die er vorhin zu ihr gesagt hatte, und lief zu Anice. Doch sie hatte nicht bemerkt, dass der große Mann namens Anndra zurückgekehrt war. Er packte mit einem seiner dicken Arme ihre Hüfte und schleuderte sie in Richtung seines Kumpans.

„Wenn du nicht mit ihr fertig wirst, dann nehme ich sie mir vor.“

Jede Hoffnung, doch noch fliehen zu können, löste sich in Luft auf. Der Fremde kam auf sie zu, sein Blick war eiskalt und hart, die Begierde war nun vollkommen aus seinen Augen gewichen. Und auch jegliches Zeichen, das darauf hindeutete, dass er sie gehen lassen würde.

„So macht man das“, hörte sie Anndras Stimme hinter sich.

Noch bevor sie sich zu ihm umwenden konnte, spürte sie einen heftigen Schlag gegen ihren Hinterkopf. Und dann wurde alles um sie herum schwarz wie die Nacht.

Niall stieß einen Fluch aus, als das Mädchen nach dem Hieb zusammensackte. Anndra grinste ihn höhnisch an und hielt die Ohnmächtige weiterhin fest. Schnell lief Niall zu seinem Pferd, stieg auf und ritt auf die beiden zu. Mit sicherem Griff zog er das Mädchen zu sich auf den Sattel.

Da erklang ein weiterer Pfiff, und er wusste, dass sie sofort von hier verschwinden mussten. Es blieb keine Zeit, zu überlegen, was er mit ihr tun sollte, also wendete er sein Pferd und ritt in Richtung Westen davon. Er, Anndra und Lundie folgten einem Pfad, der sie an die Furt durch einen kleinen Fluss führte, sodass man ihre Fährte nicht weiter verfolgen konnte.

Er versuchte, die Frau auf seinem Schoß nicht weiter zu beachten, obwohl er sie die ganze Zeit festhalten musste, damit sie nicht hinunterrutschte. Es war schwierig, mit ihrem wie leblosen Körper auf den Beinen zu reiten, doch es ging nicht anders. Zum Glück war sie nur bewusstlos und nicht tot. Wenn sie wieder aufwachte, würde es erst richtig schwierig für ihn werden.

Lundie hatte gesagt, dass sie Probleme bereiten würde. Und, ja, es hatte bereits welche gegeben, und das würde auch so bleiben, bis er sie loswurde. Eine einzelne Frau in einer Horde von Männern würde nichts Gutes bringen. Er blickte Anndra von der Seite an und wusste, dass er sie nicht ewig vor ihm und den anderen beschützen konnte, indem er sie als seine Belohnung für sich beanspruchte. Nein, die Situation würde außer Kontrolle geraten.

Eine Weile folgten sie dem Fluss in Richtung Nordosten, dann nahmen sie einen schmalen Pfad, der immer tiefer in die Wälder hineinführte. Als es dunkel wurde, ritten sie langsamer, doch Lundie führte sie auch im schwachen Mondlicht auf Umwegen sicher weiter zu ihrem Versteck in den Bergen. Das Mädchen hatte sich nicht bewegt, seit sie das Dorf verlassen hatten.

Als sie das Lager erreichten, forderte Lundie ihn auf, zu ihm zu kommen, und Niall ritt vor an seine Seite.

„Du hättest sie dalassen sollen“, sagte der Anführer und spuckte auf den Boden. Er hatte so leise gesprochen, dass Anndra ihn nicht hören konnte.

„Du weißt, was Anndra mit ihr vorhatte“, erwiderte Niall ausweichend.

„Du bist zu weich, Iain, das wird dich nochmal das Leben kosten.“

Niall wusste nicht, was er Lundie entgegnen sollte. Er war schon so lange nicht mehr der Mann, der er einmal gewesen war, und dadurch, dass er das Mädchen gerettet hatte, fühlte er sich zum ersten Mal seit Langem wieder wie der ehrenhafte Mann, der er früher gewesen war. Wie ein Mann von adeliger Herkunft mit edlen Absichten. Doch wenn er sich auf ihrer Mission wie ein Nobelmann verhielt, dann würden die anderen ihm auf die Schliche kommen und ihn töten.

Er sah, wie Lundie abstieg und die Zügel seines Pferds an einem Baum festband. Nachdem er Anndra aufgetragen hatte, zum Bach zu gehen und Wasser zu holen, kam er zu Niall und streckte ihm die Arme entgegen, um ihm die immer noch Bewusstlose abzunehmen. Sie zeigte keinerlei Reaktion, als er sie hinunterhob. Niall stieg ebenfalls ab, zog eine Decke aus seiner Satteltasche und breitete sie auf dem Boden in einer der Höhlen aus. Lundie legte das Mädchen darauf. Dann nahm er eine Fackel aus seinem Gepäck und zündete sie an.

Der Zopf des Mädchens hatte sich gelöst, und die Haarpracht umrahmte ihr schönes Gesicht. Niall sah, dass einige Strähnen im Feuerschein golden aufleuchteten, und er musste sich beherrschen, um sie nicht zu berühren. Stattdessen konzentrierte er sich auf das, was tatsächlich wichtig war, und untersuchte die Stelle an ihrem Hinterkopf, an der Anndra sie mit dem Ast geschlagen hatte. Als er seine Hand wieder zurückzog, klebte frisches Blut daran.

Lundie kam zu ihm und reichte ihm einen Trinkbeutel. Niall nahm einen tiefen Schluck und gab ihn anschließend wieder zurück.

„Zwei Wochen. Mehr gebe ich ihr nicht. Wenn sie dann überhaupt noch lebt, musst du sie loswerden. Oder ich übernehme das.“ Lundie sah ihn mit Nachdruck an, und Niall nickte. „Anndra bringt frisches Wasser, damit kannst du sie säubern. Ich übernehme die erste Wache, schlaf ein wenig.“

Niall nickte und wandte sich wieder der Ohnmächtigen zu. Nach kurzer Zeit hatte er ihren Kopf verbunden und ihr Gewand notdürftig wieder zusammengeflickt. Noch immer lag sie reglos da, und Niall legte sich hinter sie, nachdem Lundie die Fackel gelöscht hatte. Langsam wurde es immer kühler, und das Mädchen begann, in seinen Armen zu zittern. Schnell deckte er sein Plaid über sie, und sie stöhnte leise auf. Sofort versuchte er, sie zu beruhigen.

„Nicht doch. Keiner tut dir etwas“, flüsterte er.

Er spürte, dass sie sofort wieder das Bewusstsein verlor, und dachte an sein Versprechen. Erneut fragte er sich, wie lange die anderen sie wohl in Ruhe lassen würden. Die Mission wurde langsam immer gefährlicher.

Doch er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Es stand zu viel auf dem Spiel.

4. KAPITEL

Die Schmerzen waren so unerträglich, dass sie davon aufwachte.

In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nicht so schlecht gefühlt, ihr Magen rebellierte von dem bohrenden Stechen in ihrem Kopf. Fia wollte sich umdrehen, sie konnte nicht auf dem Rücken liegenbleiben, doch der Schmerz schoss in Wellen durch sie hindurch, sodass sie reglos liegenblieb und laut aufstöhnte.

„Nicht doch“, flüsterte jemand im Dunkeln.

Sie spürte starke Hände, die sich um sie legten und auf die Seite drehten, und sie wehrte sich nicht dagegen. Wenigstens wurde der Schmerz nicht noch schlimmer. Doch ihr Magen machte eine unangenehme Drehung und zog sich so krampfhaft zusammen, dass sie würgen musste. Zwei kräftige Arme hoben sie hoch, zogen sie auf die Knie und hielten sie so lange fest, bis nichts mehr aus ihr herauskam. Dann spürte sie, wie sie sanft zurück auf ihr Lager gelegt wurde.

„Das kommt von der Kopfwunde, fürchte ich.“

Fia hob ihre Hand und suchte ihren Kopf nach der Quelle dieser höllischen Schmerzen ab. Jemand hatte einen Verband angelegt. Schließlich fand sie eine feuchte, klebrige Stelle. Blut? Woher kam diese Verletzung? In ihrem Kopf war alles dunkel und neblig, als sie versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war. Tiefe Dunkelheit umgab sie, und sie blinzelte ein paar Mal, doch sie konnte noch immer nichts sehen. Panik machte sich in ihr breit, sie konnte kaum noch atmen.

„Warte. Ich zünde eine Fackel an“, sagte der Mann nun, als hätte er ihre Gedanken erraten.

Sie kannte diese Stimme. Doch ihre Angst war so stark, dass sie sich nicht daran erinnerte, wem sie gehörte. In dem Moment spürte sie eine Bewegung, und dann sah sie, wie ein paar Funken aufblitzten. Schließlich brannte die Fackel hell auf, sodass Fia vor Schmerzen die Augen schließen musste. Doch schließlich hatte sie sich an das Licht gewöhnt und sah sich ein wenig um. Da war er, der Fremde, der ihr geholfen hatte.

Derselbe Fremde, der während des Überfalls auf ihr Dorf mit ihr gesprochen und sie gewarnt hatte. Derselbe Fremde, der sie geküsst hatte.

„Wer seid Ihr?“, fragte sie. Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch ihr wurde sofort schwindlig, und sie legte sich wieder hin.

„Zuerst mache ich das weg.“ Er deutete mit dem Kopf auf das Erbrochene.

Fia sah zu, wie er eine Schaufel holte und alles nach draußen beförderte. Der Gestank ließ ein wenig nach und damit auch ihre Übelkeit, und sie sah sich erneut um.

Sie hatte das Gefühl, diesen Ort zu kennen. Doch sie wusste nicht mehr, woher. Doch dann hörte sie Stimmen, die von draußen zu ihnen hereindrangen … draußen vor der Höhle! Sie waren in einer Höhle!

„Glaubst du, dass er sie umbringt?“, sagte jemand laut genug, dass sie es hören konnte.

„Nee. So einer ist er nicht“, entgegnete eine andere Stimme.

„Was für einer?“, fragte der erste Mann wieder.

„Du weißt schon. Einer, der eine umbringt, wenn sie nicht …“

„Haltet eure Mäuler!“, rief der Fremde nach draußen, der mit der Schaufel vor dem Höhleneingang stand. „Ich bringe sie nicht um.“

„Teilst du sie denn wenigstens mit uns?“, fragte der andere Mann wieder, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. Sie teilen? Fia stockte der Atem.

Schmerz hin oder her, sie wollte sofort aufstehen und wegrennen. Mühsam stand sie auf und ging rückwärts, doch dann stieß sie gegen die Höhlenwand und kam nicht mehr weiter. Sie blickte sich um, suchte etwas, das sie als Waffe benutzen konnte, fand jedoch nichts. Es fiel ihr schwer, die Augen offenzuhalten, aber sie hatte keine Wahl. Als der Mann sich umdrehte und auf sie zutrat, streckte sie abwehrend die Hände vor sich aus.

Zwei, nein, drei Männer standen jetzt vor ihr. Im flackernden Lichtschein der Fackel fiel es ihr schwer, etwas zu erkennen, und sie rieb sich ein paarmal die Augen. Jetzt schien er plötzlich dichter herangekommen zu sein. Sie presste sich ängstlich gegen die Steinwand, als sie sah, dass er gebückt vor ihr stand.

„Ich bringe dich nicht um, Mädchen“, sagte er und legte die Schaufel hin. Dann streckte er die Hände aus, sie waren leer – keine Waffe. „Und ich habe auch nicht vor, dich und deine Reize mit diesen Kerlen zu teilen.“

Sein Tonfall beruhigte sie ein wenig, doch dann wurde ihr klar, was er da gesagt hatte. Ja, es war gut zu hören, dass er sie nicht umbringen wollte. Aber, so verwirrt sie auch war, in seinem zweiten Satz hatte er gesagt, dass er sie zwar nicht mit diesen Räubern da draußen teilen würde, er hatte allerdings auch kein Wort darüber verloren, was er selbst mit ihr vorhatte.

Sie folgte seinem Blick, und zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass das Oberteil ihres Kleids nur notdürftig zusammengehalten wurde und der Rock so zerrissen war, dass man ihre nackten Beine sehen konnte. Schnell verknotete sie die Enden ihres weiten Rocks so gut es ging. Er sah sie mit unbewegter Miene an, aber sie konnte deutlich die Lust in seinen Augen sehen, allerdings lag jetzt auch ein wenig Belustigung darin.

„Ihr habt das Dorf überfallen!“ Ihre Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, und sie stellte fest, dass sein Gesicht einen finsteren Ausdruck annahm.

„Überfallen ist etwas zu viel gesagt.“ Er hatte sich hingesetzt, die Beine vor sich gekreuzt, und wischte sich den Dreck von den Händen. „Wir hatten bloß ein wenig Spaß.“

„Unschuldige Dorfbewohner anzugreifen und zu töten ist für Euch Spaß? Und Häuser niederbrennen? Den Besitz anderer Leute zerstören? Ich finde das abscheulich!“

Fia hatte mit so viel Intensität gesprochen, dass der Schmerz in ihrem Kopf stärker wurde und sie einen Moment lang die Augen schließen musste. Als sie sie wieder öffnete, stand er dicht vor ihr, nur wenige Zoll trennten sie. Sie hatte nicht gehört, dass er sich bewegt hatte, aber jetzt beugte er sich so weit vor, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte.

„In deiner Situation würde ich dir raten, nicht solche Anschuldigungen zu machen. Wenn meine Freunde da draußen das hören, dann werden sie sicher nicht gerade freundlich mit dir umspringen“, warnte er sie in rauem Ton. Doch dann lächelte er, unter anderen Umständen wäre sie bei einem solchen Lächeln dahingeschmolzen, aber jetzt blieb sie einfach nur reglos stehen und wartete darauf, dass er weitersprach. „Und da ich der Einzige bin, der zwischen dir und diesen Kerlen steht, die sich nur zu gern mit dir vergnügen würden, wäre ich an deiner Stelle lieber still.“

Fia nickte. Er fügte nichts mehr hinzu, blieb nur weiter vor ihr stehen und sah sie an. Erst nach einer Weile wandte er sich ab und hob ein paar Dinge vom Boden auf. Sie war töricht gewesen, das wusste sie selbst. Es war besser, nichts zu sagen, als zu riskieren, dass sie die Männer durch eine unbedachte Bemerkung verärgerte, und sie schwor sich, von jetzt an den Mund zu halten … sofern sie konnte. Langsam kam er wieder auf sie zu und hielt ihr einen Trinkschlauch und einen Beutel hin.

„Wahrscheinlich ist dir noch nicht nach essen zumute, aber in dem Schlauch ist Ale, mit Wasser verdünnt, und hier ist etwas Brot.“ Sie zögerte, und er legte die beiden Dinge neben ihr ab. „Hier ist außerdem ein Eimer für … deine Notdurft.“

Er kümmerte sich um ihr Wohlergehen, warum auch immer. Da sie ihm keine Antwort gab, zuckte er mit den Schultern und drehte sich um.

Unzählige Fragen wirbelten in ihrem Kopf umher, sie fühlte sich so benommen, dass ihr ganz schwindlig wurde und sie nichts weiter tun konnte als zu nicken. Ein Teil von ihr kämpfte darum, nicht die Beherrschung zu verlieren, während ein anderer Teil nichts lieber tun wollte, als einfach zu weinen und den Fremden vor ihr mit allen Flüchen zu belegen, die sie kannte.

„Ich habe etwas zu erledigen. Ich komme gleich wieder.“

Wusste er etwa, was in ihr vorging … dass sie kurz davor war zusammenzubrechen? Was auch immer, ihr war es vollkommen egal. Allerdings kam es ihr entgegen, einen Moment lang allein zu sein, um in Ruhe nachzudenken. Verwirrt und mit schmerzendem Kopf saß sie da, als sie ihn draußen mit den anderen reden hörte.

„Ich hab noch nie eine zwingen müssen“, sagte er. „Wetten? Mit ein paar süßen Worten bringe ich die Kleine unter mir laut zum Stöhnen, und zwar schneller, als sie gucken kann.“ Die Männer lachten lauthals.

Fia erstarrte. Wie konnte er es wagen, so verächtlich über sie zu reden?

„Im Liegen, gegen die Wand, mir egal, Jungs“, rief er. „Iain Dubh wird schneller zwischen ihren Schenkeln sein, als sie meinen Namen aussprechen kann.“

„Iain Dubh!“, riefen die anderen aus. „Iain Dubh!“ Immer wieder erklang sein Name, als wollten sie ihn beschwören. Es klang bedrohlich, und sie bekam Angst.

Der Mann war ein übler Schuft, einer von der schlimmsten Sorte. Für ihn und die anderen dieser Verbrecher war das alles nur ein Spaß. Sie schwebte in höchster Gefahr. Nicht nur sie, auch ihre Ehre und ihre Unschuld waren bedroht. Wut brannte in ihr auf, doch mit einem Mal kam ihr ein Gedanke. Während sie dem Sprechchor da draußen lauschte, bemerkte sie, dass Iain Dubh mit den Männern in derbem Dialekt sprach, als wäre er ein ungebildeter, einfacher Mann. Sie selbst hatte von Lady Arabella gelernt, sich kultiviert auszudrücken.

Und Iain Dubh hatte es ebenfalls irgendwo gelernt.

Denn als er allein mit ihr gesprochen hatte, war von dem derben Dialekt nichts zu hören gewesen. Er hatte wie ein gebildeter Mann geklungen. Wie ein Adeliger.

Offenbar hatte sie den Verstand verloren, wenn sie ihn für einen Edelmann hielt, und sie konnte nur mit Mühe verhindern, vor Verzweiflung laut aufzulachen. Es musste an dem Schlag auf ihren Kopf liegen und daran, dass sie von diesen Gesetzlosen entführt und an diesen schrecklichen, kalten Ort gebracht worden war, dass ihr Geist ihr solche Streiche spielte.

Ein Adeliger, der mit einer Horde von Dieben und Verbrechern umherzog? Es ergab keinen Sinn.

Als der Schwindel in ihrem Kopf etwas nachließ, verrichtete sie ihre Notdurft und richtete ihre zerrissene Kleidung, so gut es ging. Nadel und Faden wären hilfreich gewesen, doch dieses räuberische Gesindel konnte ihr sicher nicht damit aushelfen.

Es war genauso lächerlich wie zu glauben, dass jemand mit ihnen umherzog, der von adeliger Herkunft war.

Er hatte das Aussehen und das Verhalten eines Verbrechers angenommen.

Er hatte einen neuen Namen angenommen.

Er gab vor, ein anderer zu sein, ein Räuber, der mit Gesetzlosen durch die Lande zog und plünderte und raubte. Der trank und sich Frauen nahm, wie es ihm passte, und die Highlands auf der Suche nach Beute durchstreifte.

Doch wenn er mit ihr zusammen war, dann fiel das alles von ihm ab, und er wollte nichts mehr, als wieder er selbst zu sein. Er hatte jede Menge Schauspielkunst aufbringen müssen, als er vorhin diese widerlichen Worte zu den anderen gesagt hatte.

Er hatte nicht vor, eine Frau zu irgendetwas zu zwingen, das sie nicht wollte. Aber das brauchten die anderen nicht zu wissen. Egal, ob er nun Iain Dubh oder Lord Niall Corbett war, er beherrschte das Spiel der Verführung sogar sehr gut. Er hatte ihr das Leben gerettet, und sofern sie sich dafür erkenntlich zeigen wollte, wenn ihre Angst vor ihm erst ein wenig nachgelassen hatte, dann würde er sich mit größtem Vergnügen darauf einlassen.

Doch zunächst musste er seine Maskerade weiter aufrechterhalten, damit die anderen Männer keinen Verdacht schöpften und merkten, dass er ein anderer war, als er vorgab. Das Wichtigste war, dafür zu sorgen, dass das Mädchen am Leben blieb und nicht von den anderen belästigt wurde. Solange sie sich ruhig verhielt und nicht wusste, wo sie lagerten, würde Lundie nichts gegen sie haben.

Niall nahm einen Schluck Ale und hörte den Männern dabei zu, wie sie darüber sprachen, was sie mit dem Mädchen in der Höhle gerne machen wollten, und seine Stimmung verdüsterte sich. Zum Teufel! Seine Lage war schon schwierig genug, auch ohne sie. Nur mit viel List und Verstand hatte er Lundie dazu gebracht, ihm zu vertrauen. Er war fast am Ziel, bald konnte er seinen Auftrag erfüllen und würde endlich sein altes Leben zurückbekommen. Und niemand, nicht einmal er selbst, durfte ihm dabei im Weg stehen.

Und schon gar nicht irgendeine dahergelaufene Frau, die ihn hart werden ließ, wenn er sie nur ansah. Plötzlich bemerkte er, dass sie ihm alle die Köpfe zugewandt hatten und ihn schweigend anblickten. Verlegen stellte er fest, dass er die ganze Zeit gedankenverloren zu der Höhle gestarrt hatte, in der das Mädchen lag. Anndra, der Hüne, stand auf, packte ihn am Arm und stieß ihn in Richtung des Höhleneingangs.

„Los! Nun mach schon!“, rief er. „Je schneller du mit ihr fertig bist, desto eher bin ich dran!“ Anndra griff sich prahlerisch in den Schritt, und die anderen johlten und klatschten vor Begeisterung.

Offensichtlich erwarteten sie von ihm, dass er sich mit dem Mädchen vergnügte, daher stand Niall auf, machte eine Verbeugung, salutierte und lief auf die Höhle zu. Sie hatten so laut gesprochen, dass sie alles hätte mithören können. Als er vorhin die Höhle verlassen hatte, war ihr Gesicht so schmerzverzerrt und sie so erschöpft gewesen, dass er vermutete, dass sie inzwischen wieder das Bewusstsein verloren hatte. Aus irgendeinem Grund hoffte er jedoch, dass es nicht so war. So leise, wie er konnte, und in geduckter Haltung betrat er die Höhle.

Irgendwie sah sie verändert aus. Den Rücken hatte sie gegen die Wand gelehnt, ihr Kopf war zur Seite geneigt, und sie hatte sich die Haare geflochten und einen frischen Verband angelegt.

Sie schien fest zu schlafen, deshalb ging er vorsichtig zu ihr hinüber. Doch plötzlich sah er, dass sie ein Messer in der Hand hielt. Wo hatte sie das gefunden? Er blickte zu seinem Gürtel. Er musste es verloren haben, als er sie hineingetragen und abgelegt hatte. Da es nicht sein kostbares Sgian dubh war, kümmerte es ihn nicht weiter.

Niall sah, dass ihr Atem ruhig und gleichmäßig ging, offenbar schlief sie. Er hatte keine Ahnung, wie sie hieß. Der unglückselige Dougal hatte ihren Namen nicht ein einziges Mal erwähnt, und auch sonst hatte niemand im Dorf nach ihr gerufen. Wenn sie erwachte, würde er sie als Erstes danach fragen. Von draußen schallten die derben Kommentare der anderen zu ihm herüber, und er wusste, dass er ihnen ein Spektakel bieten musste, wenn er verhindern wollte, dass sie ihm in die Höhle folgten. Er holte tief Luft und stemmte die Arme in die Seiten.

„Nun, meine Kleine“, rief er laut. „Bist du bereit?“ Draußen erklang schallendes Gelächter. Sie hörten ihnen also zu. Vor Schreck fuhr sie zusammen und sah ihn verwirrt und voller Angst an.

„Nein!“, schrie sie, drückte sich vor Angst bebend gegen die Höhlenwand und streckte ihm das Messer entgegen. Ihre Hände zitterten immer stärker, bei jedem Schritt, den er auf sie zukam.

„Ach, Mädchen. Mit der kleinen Stecknadel kannst du nichts gegen mich ausrichten.“ Er lachte gezwungen. „Ich habe allerdings ein ganz anderes Schwert, das ich dir gleich zeige.“ Wieder erklang johlendes Gelächter.

„Ich werde Euch erstechen“, drohte sie ihm, doch mit einem Mal lockerte sich ihr Griff, und ihr Kopf neigte sich zur Seite. „Ich werde …“ Das Messer entglitt ihr, und sie fiel auf die Seite.

Niall legte sie schnell auf eine der Decken und warf eine andere über sie. Dann zog er sie von der feuchten, kalten Felswand weg, legte ihr das Messer in die Hand und schloss ihre Finger darum. Er selbst stellte zwar keine Gefahr für sie dar, aber von den Männern da draußen konnte man das nicht behaupten. Mit dem Messer war sie wenigstens nicht vollkommen wehrlos. Schließlich trat er aus der Höhle, ging zurück zum Feuer und legte sich mit einer übertriebenen Geste die Hand aufs Herz.

„Sie ist schließlich doch meinem Charme erlegen“, sagte er und goss sich einen Schluck Whisky ein. „Auf dass sie morgen länger durchhalten möge.“

„Sei nicht so zimperlich, Iain“, rief Micheil. „Wenn sie bewusstlos ist, kann sie sich wenigstens nicht wehren.“

„Und jetzt wissen wir auch, warum so viele Frauen hinter Micheil her sind“, sagte Niall in scherzhaftem Ton. Er hob seinen Becher in dessen Richtung. „Auf dass Micheil auch noch herausfindet, dass es mehr Spaß macht, ein Mädchen zu rammeln, das wach ist.“

So wie Niall gehofft hatte, lachten die Männer über seinen Scherz und fuhren fort zu trinken und einander zu verspotten. Als sie schließlich das Feuer austraten, hoffte Niall inständig, dass er morgen ebenso gut durch den Tag kommen würde wie heute. Zu allem anderen musste er nun auch noch innerhalb von zwei Wochen einen Weg finden, das Mädchen in Sicherheit zu bringen.

Möge Gott ihm und ihr beistehen!

Achnacarry Castle

Brodie Mackintosh hörte den Nachrichten des Boten mit grimmiger Miene zu und nickte. Als dieser fertiggesprochen hatte, verließ er mit einer Verbeugung das Gemach und ließ Brodie mit Arabella und ihrem Vetter allein. Er ging zu seiner Gemahlin, die in einer anderen Ecke des großen Raums saß, und nahm tröstend ihre Hand.

„Es hat wieder einen Angriff auf ein Dorf gegeben, diesmal auf Drumlui.“ Er wusste, dass seine Frau Wert darauf legte, dass er ihr immer die Wahrheit sagte, selbst wenn es sich um schlechte Nachrichten handelte, daher erzählte er ihr auch den Rest der Botschaft, die er gerade erhalten hatte. „Vieles wurde zerstört, und es gab auch Verletzte.“ Er hielt inne und holte tief Atem. „Und Fia ist verschleppt worden.“

„Fia?“ Arabella schüttelte ungläubig den Kopf und stand auf. Sie konnte nicht fassen, was sie soeben gehört hatte.

„Sie war während des Überfalls im Dorf. Es war vor drei Tagen, genau zu dem Zeitpunkt, wenn die Tore zum Sonnenuntergang geschlossen werden. Rob hat einen Suchtrupp und Fährtenleser losgeschickt. Wir werden sie finden, Bella.“

„Aber sie ist noch ein Mädchen“, flüsterte sie. Von dem Tag an, als sie Fia damals gerettet und Zeit mit ihr in dem Lager verbracht hatte, war sie für sie wie eine Tochter gewesen. „Was mag ihr wohl passiert sein? Wir müssen sie finden.“

„Das werden wir auch, Bella.“ Brodie sah zu Arabellas Vetter Gilbert, der auf dem Sitz des Chiefs der Camerons saß. Obwohl Gilbert es abstritt, hatte Brodie den Verdacht, dass er irgendwie in diese Vorfälle verstrickt war. Er war ein habgieriger, skrupelloser Mann wie der unbarmherzige Euan, der damals Laird der Camerons gewesen war, als ihre Clans noch verfeindet gewesen waren. „Ich würde Eure Hilfe in dieser Angelegenheit sehr zu schätzen wissen, Gilbert. Das Mädchen ist praktisch ein Familienmitglied.“

Obwohl Gilbert nickte, hatte Brodie das untrügliche Gefühl, dass er etwas ganz anderes vorhatte.

„Natürlich“, sagte Gilbert und nickte seinem Diener zu. „Lass Alan kommen.“

Alan war ebenfalls ein Cameron. Brodie erinnerte sich, dass er seinen Freispruch erwirkt hatte, als man ihn des Mordes an Arabellas Bruder Malcolm bezichtigte, der ursprünglich Chief des Clans hatte werden sollen. Alan war in der Lage, alles und jeden aufzuspüren. Brodie kannte keinen Besseren als ihn, nicht einmal in seinem eigenen Clan.

„Er wird voraussichtlich in zwei Tagen von Tor Castle zurückkehren, Mylord“, antwortete der Diener.

„Schicke ihm eine Nachricht, dass er unverzüglich zur Burg Drumlui aufbrechen soll. Dort wird er alle weiteren Anweisungen erhalten.“

Brodie nickte Gilbert zu und blickte dann zu seiner Frau. In Arabellas Augen war die Furcht um das Mädchen deutlich zu lesen. Sie alle konnten sich nur zu deutlich ausmalen, was ihr wahrscheinlich zugestoßen war.

„Wir brechen im Morgengrauen auf und reiten nach Hause zurück“, sagte er. „Es ist besser, wenn wir dort sind, wenn man sie findet.“

Er hoffte, dass seine Stimme mehr Zuversicht ausdrückte, als er fühlte. Wenn man Fia überhaupt fand, dann war sie wahrscheinlich bereits tot. Und wenn sie noch lebte, dann …

„Brodie, warum haben sie sie mitgenommen?“, fragte Arabella mit zitternder Stimme.

Die Antwort lag auf der Hand, doch Brodie sah, dass sie vor Angst und Sorge vollkommen fassungslos war. Was sollte er ihr antworten? Gilbert schnaufte höhnisch, und Brodie kochte vor Wut über so viel Unverfrorenheit. Wenn er nicht sein Wort gegeben hätte, den Frieden zwischen ihren beiden Clans zu wahren, dann hätte er ihm am liebsten sein hämisches Grinsen aus dem Gesicht geprügelt.

„Wir werden sie finden, Bella“, wiederholte er beschwörend.

„Und dann?“, fragte Arabella.

„Dann bringen wir sie nach Hause.“

Sie begaben sich zur Tafel in der Großen Halle. Heute nahmen sie ihr Nachtmahl schweigend ein. Niemand hatte Lust, belanglosen Klatsch auszutauschen, wenn die Situation so besorgniserregend war. Die Stunden zogen sich endlos dahin, und weder er noch Bella machten in dieser Nacht ein Auge zu.

In aller Herrgottsfrühe verabschiedeten sie sich von Gilbert. Schweigend ritten Brodie und Arabella aus dem Burghof und bogen auf die Straße nach Drumlui ein.

Die Überfälle waren sorgfältig geplant worden, ihr Ausmaß hatte sich mit jedem Mal gesteigert. Als wolle man mich mit aller Kraft dazu bringen, mich zur Wehr zu setzen, dachte Brodie grimmig. Er zweifelte nicht im Geringsten daran, dass man im Dorf Hinweise finden würde, die darauf hindeuteten, dass die Camerons ihre Finger im Spiel hatten. Irgendjemand versuchte, ihre beiden Clans gegeneinander aufzuhetzen. Während sie langsam weiterritten, dachte Brodie darüber nach, wer davon profitieren würde, wenn die alte Feindschaft zwischen Arabellas und seiner Familie wieder aufflammte.

5. KAPITEL

Ein gleißendes Licht durchschnitt die Finsternis.

Ihr Kopf schmerzte, genau wie ihr Nacken und ihr Rücken, doch sie konnte sich nicht an den Grund dafür erinnern. War sie krank gewesen? War sie …?

Doch dann kam alles wieder zurück, und sie stöhnte gequält auf, als sie an den Überfall auf das Dorf und an den Fremden dachte. Sie wollte ihren Hinterkopf befühlen, aber als sie die Hand hob, sah sie zu ihrer Überraschung, dass sie ein Messer umklammerte.

Fia wusste noch, dass der Mann, dieser Iain, zurück in die Höhle gekommen war. Sie konnte die unflätigen Rufe der anderen noch immer hören. Sie sah ihn vor sich stehen, wie er erwartungsvoll auf sie heruntergeblickt hatte … und dann war alles dunkel. Sie setzte sich auf, legte das Messer neben sich auf den Boden und zog ihre Kleider zurecht. Vorsichtig tastete sie über den Verband und stellte fest, dass kein Blut mehr austrat. Allerdings hatte sich eine Beule gebildet.

Mit Mühe zog sie sich hoch und stand auf. Auch der Schwindel hatte nachgelassen. Sie war zwar noch immer wacklig auf den Beinen, doch es gelang ihr, langsam und mit zitternden Knien auf die andere Seite der Höhle zu dem Eimer zu gehen und ihre Notdurft zu verrichten. Draußen herrschte absolute Stille, also schlich sie zum Eingang und lugte vorsichtig hinaus.

Sie konnte niemanden sehen. Sollte sie es wagen und hinausgehen? Hatten sie sie womöglich allein hier zurückgelassen und waren weitergezogen?

Sie hatte keine Ahnung, wo sie überhaupt war. Wahrscheinlich würde sie allein versuchen müssen, zurück zum Gebiet der Mackintoshs zu gelangen. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie Brodie und Arabella von den sich häufenden Angriffen auf ihrem Land gesprochen hatten. Vielleicht hatten die Räuber Umwege gemacht, um zu ihrem Versteck zu gelangen, sodass sie möglicherweise noch ganz in der Nähe von Glenlui und ihrem Heimatdorf Drumlui war. Damit durfte sie jedoch nicht rechnen und musste sich auf einen längeren Marsch einstellen.

Fia holte das Messer und eine der Decken. Sie nahm einen Schlauch mit Ale und das Haferbrot, von dem sie noch keinen Bissen zu sich genommen hatte. Sie sah sich um und fand einen Sack, der groß genug war, schüttete dessen Inhalt aus und legte stattdessen das Brot, den Trinkschlauch und die Decke hinein. Mit nur einem Gepäckstück würde es sich leichter laufen lassen. Dann schlich sie vorsichtig aus der Höhle und wartete, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten.

An jedem anderen Tag hätte sie sich über das schöne, sonnige Wetter gefreut, doch heute wären ein paar graue Wolken durchaus hilfreich gewesen. Im Sonnenlicht konnte man sie viel besser sehen. Fia hielt sich im Schutz der Büsche neben dem Höhleneingang. Dabei lauschte sie angestrengt, ob sie die Kerle irgendwo hörte. Anhand der Stimmen von gestern Abend schätzte sie, dass die Bande aus etwa vier oder fünf Männern bestand. Dann hörte sie plötzlich, wie ein Ast hinter ihr zerbrach. Ohne nachzudenken rannte sie los.

„Verdammt!“, fluchte ein Mann. „Sie läuft schon wieder weg, Iain.“

Fia rannte in die entgegengesetzte Richtung, als die, die sie ursprünglich hatte einschlagen wollen, und stellte verwundert fest, dass die Umgebung ihr irgendwie bekannt vorkam. Doch das war unmöglich. Sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken, musste sich ganz auf die Flucht konzentrieren.

Der Mann, der ihr auf den Fersen war, kam immer näher. Aber bei dem Anblick, der sich ihr jetzt bot, blieb sie reglos stehen. Der Mann hinter ihr wäre beinahe gegen sie geprallt. Er blieb jedoch rechtzeitig stehen und packte sie an den Schultern.

Sie stand mitten in ihrem Lager.

Nicht im Lager dieser Räuber, sondern in dem Lager, in das sich die Mackintoshs damals geflüchtet hatten, als ihr Vetter Caelan versucht hatte, sie alle zu töten, um selbst das Oberhaupt des Clans zu werden. Zu Dutzenden hatten sie hier gelebt, Männer, Frauen, Kinder, und den Glauben an Brodie und an seinen rechtmäßigen Anspruch, ihr Anführer zu sein, aufrecht erhalten.

Fast ein Jahr war das hier ihr Zuhause gewesen, ehe Brodie endlich siegreich gewesen war und sie alle nach Drumlui zurückkehren konnten. Fia wusste genau, wo sich dieser Ort befand.

Und jetzt war sie wieder hier.

Inmitten einer Horde von Verbrechern, die ihr Dorf überfallen und sie entführt hatten.

Sechs Männer standen mit gezückten Waffen vor ihr. Doch es waren nicht die Waffen, die ihr Angst machten. Nein, es waren ihre lüsternen, gierigen Blicke, die sie vor Entsetzen erstarren ließen, sodass sie weder atmen noch denken konnte. Nach wie vor wurde sie mit eisernem Griff an den Schultern festgehalten und schließlich nach vorne gestoßen.

Ihre Furcht schien die Kerle noch weiter anzustacheln, und sie riefen ihr voller Freude zu, was für abscheuliche Dinge sie mit ihr tun wollten. Sie suchte nach dem Mann, der ihr geholfen hatte, doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Der Wind hatte gedreht und blies nun den Rauch des Lagerfeuers zu ihr herüber. Sofort stiegen ihr die Tränen in die Augen, und es brannte beim Einatmen. Immer weiter stieß der Mann, der sie festhielt, sie nach vorne, sodass ihr bereits der widerliche Gestank, der von den Männern vor ihr ausging, in die Nase stieg.

„Sie sieht so aus, als ob sie jetzt wach wäre, Iain Dubh“, rief der Hüne. Sie hatte Iain nicht kommen sehen, doch da war er und stieß den Mann, der sie hielt, kraftvoll zur Seite. Dann nahm er sie am Handgelenk. „Ich helfe dir gerne, sie zu rammeln, wenn du nicht weißt, wie es geht.“

„Ich hab’s euch gesagt, ich teile sie nicht“, gab er zurück. Die Männer murrten enttäuscht. „Aber …“, setzte er an, „… ich habe nichts dagegen, sie andere Sachen für euch Halunken machen zu lassen.“

Die Männer johlten und klatschten in die Hände. Fia sah Iain voller Entsetzen an. Was hatte er mit ihr vor?

„Nein, nein, versteht mich nicht falsch“, rief er den Männern zu. „Sie kann Essen für uns kochen. Das wäre bestimmt immer noch besser als der Fraß, den du uns vorsetzt, Martainn.“ Er wandte sich nun ihr zu. „Kannst du kochen, Mädchen?“

Fia brachte vor Angst keinen Ton hervor. Alles, was sie tun konnte, war zu nicken.

„Na, also. Endlich kriegen wir mal was Richtiges zu essen.“ Mit eisernem Griff zog er sie näher zu sich heran. „Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn sie meine Klamotten wäscht“, sagte er. „Sie stehen beinahe schon von alleine vor lauter Dreck.“ Er lachte laut auf. „Lundie, sind wir lange genug hier, dass die Kleine unsere Sachen waschen kann?“

„Aye“, sagte ein großgewachsener Mann, der ein wenig abseits stand. Sie hatte ihn bereits im Dorf gesehen, als Iain sie mitgenommen hatte. Anscheinend war er der Anführer dieser Truppe. „Ein paar Tage.“

„Na, also, Freunde.“ Iain lächelte in die Runde. „Eine warme Mahlzeit und frische Klamotten, damit ihr nicht genauso stinkt wie Micheil. Ist das nichts?“

Die Männer wirkten ein wenig besänftigt und nicht mehr so furchteinflößend wie zuvor. Fia machte sich allerdings nichts vor. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würden sie ihr ohne zu zögern Gewalt antun. Doch fürs Erste schien die Gefahr abgewendet zu sein. Dank Iain Dubh. Nur mit Worten hatte er sie davon abgehalten, ihr etwas anzutun, und ihnen stattdessen ein Angebot gemacht, das sie einigermaßen zufriedengestellt hatte. Doch im nächsten Moment zog er sie zu sich heran und legte ihr eine Hand auf den Hintern, und sofort waren ihre wohlwollenden Gedanken über ihn verflogen.

„Wenn sie müde wird von all dem Waschen und Kochen, dann halte ich sie mit anderen Sachen auf Trab.“ Die Männer lachten, und Iain beugte seinen Kopf zu ihr herunter. Sie war schon drauf und dran, ihn wieder zu beißen, falls er noch einmal diese widerliche Sache mit seiner Zunge anstellen würde, doch im letzten Moment flüsterte er ihr zu: „Wenn du dich wehrst, Mädchen, dann lasse ich sie mit dir machen, was sie wollen.“

Obwohl sie erwartet hatte, dass er sie küsste, war sie nicht darauf vorbereitet gewesen, wie zärtlich er dabei vorgehen würde. Genauso wenig wie darauf, dass er sie dabei liebevoll streichelte. Sie war gefangen zwischen seiner breiten Brust und seinen starken Armen, doch sie versuchte gar nicht erst, ihn abzuwehren. Sie dachte darüber nach, was er eben gesagt hatte. Sein Tonfall hatte nicht erkennen lassen, ob er es ernst gemeint hatte.

Um die aufsteigende Panik zu bekämpfen, tat sie, was sie immer tat, wenn sie sich ablenken wollte – sie begann, die einzelnen Mackintosh-Vetter mit Namen und Alter aufzuzählen. Sie war bis fünfzehn gekommen, als sich sein Kuss plötzlich veränderte und ihre Aufmerksamkeit wieder bei ihm und seinem Mund war. Langsam und genussvoll fuhr er mit der Zunge über ihre Lippen.

Vielleicht lag es daran, dass sie diesmal nicht bei der Sache gewesen war, doch es kam ihr gar nicht so abscheulich vor wie beim letzten Mal. Jetzt strich er ihr mit einer Hand durch das Haar und zog ihren Kopf noch ein wenig näher heran, bevor er seine Zunge in ihren Mund gleiten ließ und das Innere erforschte. Die andere Hand ließ er ihren Rücken hinabgleiten und drückte sie fest gegen die deutlich spürbare harte Wölbung in seinem Schritt. Sie wand sich unruhig umher, bis er lachend den Kopf hob.

„Scheint so, als hätte ich nun doch ihr Interesse geweckt“, rief er so laut, dass alle ihn hören konnten. „Aber du musst das Essen vorbereiten, Mädchen. Kümmere dich erst mal darum, dann kümmere ich mich später auch um dich.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er sie umgedreht und ihr einen Klaps auf den Hintern gegeben. Dann stieß er sie von sich weg in Richtung der Feuerstelle. Fia schrie erschrocken auf und stolperte nach vorne. Ihr war es wesentlich lieber, Haferbrei zu machen, als dass diese abscheulichen Kerle irgendetwas von den Dingen mit ihr taten, die sie ihr zugerufen hatten. Sorgfältig glättete sie ihr zerrissenes Kleid.

„Wo sind die Vorräte?“, fragte sie Lundie. Er war der Anführer dieses Haufens, also war er auch dafür zuständig, ihr alles zu zeigen.

Er führte sie zu einem mit einer Plane bedeckten Stapel und zog den Stoff an einer Ecke nach oben. Darunter befanden sich Holzkisten und Säcke in allen möglichen Größen und Formen. Sie fragte sich, ob sie das alles auf ihren Raubzügen erbeutet hatten, doch zumindest würde es ausreichen, um die Horde satt zu bekommen.

Sie sah sich um und fand einen großen Eisentopf und trug ihn zum Feuer. Der Boden war schwarz und verkrustet von verbrannten Essensresten, und sie wollte fragen, ob sie kurz zum Bach gehen konnte, um ihn auszuwaschen. Da fiel ihr jedoch ein, dass sie dadurch verraten würde, dass sie sich in der Umgebung auskannte.

Sie wusste, wohin der Bach führte, und sie wusste auch, welche der Höhlen miteinander verbunden waren. Und sie erinnerte sich ebenfalls daran, wo sich die geheimen Tunnel befanden. Brodie hatte darauf bestanden, dass jeder im Lager, egal ob Mann, Frau oder Kind, zumindest einen Fluchtweg kannte, der aus dem Berg herausführte. Fia hatte nichts darüber gehört, dass man die Gänge wieder zugeschüttet hatte, nachdem sie alle nach Drumlui zurückgekehrt waren. Dieses Wissen konnte der entscheidende Schlüssel sein, vielleicht würde sie es schaffen zu fliehen.

„Kann man den Topf irgendwo hier auswaschen und Wasser holen?“, fragte sie.

„Aye, den Weg runter. Aber es ist ’ne Viertelmeile.“

„Soll ich dort auch die Kleider waschen?“

„Aye.“ Lundie nickte und stieß dann einen Pfiff aus. Sofort trat ein Mann zwischen den Bäumen hervor und kam zu ihnen. „Geh mit ihr zum Bach, Martainn.“

„Gehört sie nicht Iain Dubh?“, fragte dieser und rieb sich mit dem Handrücken über die verdreckte Stirn.

„Ich habe dir ja auch nicht gesagt, dass du dich am Bach auf sie werfen sollst. Ich habe lediglich gesagt, dass du sie dort hinbringen sollst, damit sie abwaschen und Wasser holen kann“, erklärte Lundie. „Mehr nicht, verstanden?“

Einen Moment lang sah es so aus, als ob Martainn widersprechen wollte, doch er biss die Zähne aufeinander und schwieg. Dann nickte er in Richtung des Pfads und ging los.

Fia nahm den Topf und einen Eimer und folgte ihm. Sie wusste, dass es einen kürzeren Weg gab, man hätte sogar einen der Tunnel benutzen können, doch sie behielt dieses Wissen lieber für sich.

Zum ersten Mal seit dieser schreckliche Albtraum begonnen hatte, fühlte sie ein wenig Hoffnung in sich aufsteigen. Solange sie am Leben war, konnte sie fliehen. Egal, was passierte, sie würde zurück nach Hause finden.

Obwohl Martainn zuerst so widerwillig gewesen war, war er ein verhältnismäßig angenehmer Aufpasser und blieb auf Distanz, während sie den Topf im Bach ausschrubbte. Nach einer Weile beobachtete er sie nicht mehr, und Fia schaffte es sogar, sich unbemerkt die Kleider zu ordnen und ihr Haar neu zu flechten. Dann füllte sie den Eimer mit Wasser und stand auf. Zu ihrer Überraschung kam Martainn und nahm ihn ihr ab, als sie sich auf den Rückweg zum Lager machten, wo die anderen schon ungeduldig auf sie warteten.

Sie beachtete die spöttischen Bemerkungen der Kerle nicht weiter und machte sich ans Kochen. Schon bald blubberte der Haferbrei auf dem Feuer. Ehe sie sichs versah, standen die Männer mit ihren Schüsseln vor ihr und warteten darauf, dass sie fertig war und sie essen konnten.

Schließlich teilte sie mit der Kelle den heißen Brei aus, und zu ihrer Überraschung flüsterten ihr einige der Männer einen leisen Dank zu. Als sie schließlich alle schweigend aßen, setzte sie sich erschöpft auf einen Baumstumpf und schloss die Augen. Plötzlich wurde ihr eine Schale unter die Nase gehalten. Es war Iain Dubh, der sie ihr reichte.

„Du hast gar nichts gegessen, Mädchen“, sagte er.

Dankbar nahm sie die Schale entgegen, denn ihr Magen knurrte nun hörbar.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich genug gemacht habe“, sagte sie. Jetzt fiel ihr der Sack mit dem Haferbrot wieder ein, doch sie wusste nicht, wo sie ihn fallengelassen hatte.

„Schmeckte er?“, fragte sie und nahm einen Löffel voll Brei. Er war dünnflüssiger, als sie es gewohnt war. Zu Hause dickte sie ihn meist mit Sahne und Honig an.

Er sah sie an, und sie entdeckte ein spöttisches Funkeln in seinen tiefblauen Augen. „Er ist so gut, dass ich gar nicht erwarten kann, deine anderen Talente kennenzulernen.“

Sein missglückter Versuch, in dieser unpassenden Situation einen Scherz zu machen, verdarb ihr den Appetit. Sie stellte die Schale weg und blickte in eine andere Richtung.

„Gibt es noch mehr?“ Anndra unterbrach die unangenehme Stille und hielt ihr seine Schüssel entgegen. Schnell ging sie zum Feuer, kratzte den letzten Rest aus dem Topf und reichte ihm seine Schale.

Unwillkürlich musste sie an Iain denken, und um sich abzulenken, nahm sie den Eimer und goss etwas Wasser in den Kochtopf, um den Bodensatz zu lösen. Doch trotz ihres Bemühens, ihm keine Beachtung mehr zu schenken, spürte sie seine Anwesenheit nur allzu deutlich, als er wieder neben ihr stand.

„Ich weiß nicht einmal deinen Namen, Mädchen. Wie heißt du?“

Sie zögerte. War es sicherer für sie, wenn sie ihm sagte, dass sie die Kammermagd von Lady Arabella war, oder sollte sie ihn in dem Glauben lassen, dass sie nur eine einfache Dorfbewohnerin war? Noch ehe sie sich entschieden hatte, nickte er bereits.

„Ich sehe schon. Du willst es lieber für dich behalten, wer du bist. Gut, dann gebe ich dir eben einen Namen, damit wir dich rufen können, wenn wir dich brauchen … zum Kochen oder Waschen, versteht sich.“ Er zwinkerte ihr zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Augen leuchteten spöttisch auf, als ob er etwas im Schilde führte, und eine schwarze Haarlocke hatte sich gelöst und war ihm in die Stirn gefallen, sodass er wie ein richtiger Schurke aussah. „Was meint ihr, Jungs? Ist sie eher eine Isobel oder … vielleicht eine Margaret?“

Wieder richteten alle ihre Aufmerksamkeit auf sie, und ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Eine Weile sahen sie alle schweigend zu ihr herüber, bis Martainn schließlich das Wort ergriff. Fia musste sich beherrschen, um nichts zu sagen, denn sie hatte inzwischen gelernt, dass es manchmal besser war zu schweigen.

„Meine Tante Agneis kann gut kochen. Also vielleicht Agneis?“, schlug er vor.

„Deine Tante Aggie war so hässlich wie eine Teufelskröte“, rief Anndra. „Nein, diese hier ist eine … Cora.“

Die Männer schüttelten die Köpfe und äußerten lautstark ihr Missfallen. Fia sah ihnen schweigend zu und hörte sich alle ihre Vorschläge an, doch keiner von ihnen traf auch nur annähernd ihren richtigen Namen. Es war allerdings sehr aufschlussreich, ihnen zuzuhören, denn so lernte sie jeden einzelnen der Männer besser kennen und konnte sich ein Bild davon machen, wer welche Bedeutung innerhalb der Gruppe hatte. Durch ihre Jahre beim Laird und bei der Lady hatte sie Erfahrung damit, Menschen einzuschätzen.

Lundie war offensichtlich der Anführer, und alle anderen folgten seinem Kommando.

Iain Dubh genoss in der Gruppe einen gewissen Respekt, wenngleich manche ihn ihm nur widerwillig entgegenbrachten.

Anndra, Micheil, Martainn, Iain Ruadh und Conall führten lediglich Befehle aus, doch es herrschte eine gewisse Kameradschaft zwischen ihnen. Sie war sich allerdings sicher, dass sie sich ohne zu zögern gegenseitig bekämpfen würden, wenn sich die Gelegenheit dazu bieten sollte.

„Also, Iain Dubh, wie sollen wir sie nennen?“, rief Micheil, der des Spiels sichtlich überdrüssig war. Indem er Iain nach einer Entscheidung fragte, bekräftigte er vor den anderen dessen Anspruch auf sie.

Iain dachte eine Weile nach und lächelte dann. Fia konnte nicht sagen, welchen der Vorschläge er wählen würde.

„Ich finde, Lundie hatte den besten Namen. Nennen wir sie Ilysa.“

Ihr neuer Name schallte über die ganze Lichtung, jeder Mann probierte ihn einmal aus. Fia musste zugeben, dass es eine kluge Entscheidung gewesen war, den Vorschlag des Anführers zu wählen.

„Komm, Ilysa, lass uns an den Bach spazieren und zusammen den Topf abwaschen“, forderte Iain sie auf. Den Männern entging nicht die Absicht, die hinter dieser Bemerkung steckte.

Genauso wenig wie ihr.

Es war ein sonniger, milder Frühlingstag, und es würde noch viele Stunden dauern, ehe es dunkel wurde. Doch Fia hatte wenig Hoffnung, dass sie es schaffen würde, bis zur Dämmerung verschont zu werden. Iain hob den mittlerweile abgekühlten Kochtopf hoch und streckte ihr eine Hand entgegen. In seinen Augen sah sie ein teuflisches Blitzen. Sie versuchte, es zu ignorieren. Sie musste ihre Kräfte für später aufheben, wenn es wirklich darauf ankam, daher ergriff sie wortlos seine Hand und folgte ihm.

Im Kopf versuchte sie, die Geheimpfade und die verstecken Orte im Lager durchzugehen. Der schwere Kochtopf würde eine gute Waffe darstellen, wenn es so weit kommen sollte. Und dann könnte sie sich so lange verstecken, bis diese Verbrecher weiterzogen oder bis Hilfe nahte.

6. KAPITEL

Ilysa.

Sie hieß genauso wenig Ilysa wie er Iain Dubh, doch fürs Erste würden diese Namen es tun müssen. Schweigend und in Gedanken versunken ging sie neben ihm her, und er fragte sich, woran sie wohl dachte. Hatte sie Angst, dass sie ihre Tugend verlieren würde? Dass er sie überfallen würde, wenn sie am Bach angekommen waren?

Mit leerem Blick lief sie weiter, sogar als er vor ihrer Höhle stehen blieb. Sie zog fragend die Augenbrauen hoch und blickte ihn voller Sorge an.

„Ich brauche ein paar Sachen“, sagte er. „Wartest du kurz hier?“

Er konnte sehen, dass seine Frage sie überraschte, doch dann nickte sie.

„Ich glaube nicht, dass ich eine Wahl habe.“

„Ach, Mäd … Ilysa, du hast immer die Wahl.“ Verwirrt sah sie ihn an, doch er ging nicht darauf ein und betrat die Höhle.

Er ließ ihr keine Zeit zu fliehen, griff nur schnell nach seinem Kleidersack und einem kleinen Tongefäß und kam wieder heraus.

Als sie weitergingen, nahm er nicht wieder ihre Hand, und keiner von beiden sagte ein Wort. Sie war den Weg bereits mit Martainn gelaufen, also wusste sie, wo sie langgehen mussten. Auf der Hälfte des Weges nahm Iain ihr den Topf ab. Die Sonne brach gerade durch die Wolken, als sie am Bach eintrafen.

„Ich wasche das ab“, sagte sie und streckte die Hände nach dem Topf aus. Er reichte ihn ihr, setzte sich auf eine mit Gras bewachsene Stelle, die von der Sonne bereits angewärmt worden war, und beobachtete, wie sie zum Ufer ging. Als sie sich hinkniete, um den Topf zu säubern, musterte er sie eingehend. Zwar konnte er sie nur von der Seite sehen, aber er stellte fest, dass sie versucht hatte, sich ein wenig zu waschen. Ihr Kopf und ihr Kleid waren jedoch noch immer blutverschmiert. Aber das war nicht, was ihn besorgte, nein, es war die unnatürliche Blässe ihrer Haut. Ihr Gesicht war vollkommen weiß. Ihre zarten, anmutigen Hände zitterten, genau wie der Rest ihres Körpers, als sie sich nun vorbeugte, um den Topf ins Wasser zu tauchen.

Er war so damit beschäftigt gewesen, seine Maskerade aufrecht zu erhalten, dass ihm gar nicht aufgefallen war, in welch schlechtem Zustand sie sich befand. Doch nun hatte er es bemerkt. Entschlossen stand er auf, ging zu ihr hinüber, nahm ihr den Topf aus den Händen und warf ihn auf den Boden.

„Ich mache ihn sauber“, sagte sie und wischte sich die Hände an ihrem zerrissenen Kleid ab. Als sie den Blick zu ihm hochwandte, hielt sie sich abwehrend die Hände vor den Körper. Sie hatte Angst. Es stand deutlich in ihren traurigen Augen geschrieben.

„Hör auf!“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich werde dir nichts tun.“

„Doch, das werdet Ihr“, flüsterte sie. „Und wenn nicht Ihr, dann die anderen.“

Sie glaubte tatsächlich, dass er mit ihr hierhergekommen war, um seine Lust an ihr zu stillen.

„Du musst dich waschen und ein wenig ausruhen, Ilysa, oder was auch immer dein richtiger Name ist!“, entgegnete er in scharfem Ton. „In meinem Beutel ist eine saubere Hose und eine Tunika. Wasch dir die Haare und auch alles andere und komm dann zu mir, wenn du fertig bist.“

„Zu Euch?“ Sie schüttelte entgeistert den Kopf.

„Ich warte auf dich, da, wo der Pfad den Hügel hinaufführt. Mach ganz in Ruhe. Wasch dich, ruh dich aus. Ich warte dort auf dich“, sagte er und zeigte auf die Stelle, die er meinte. Dann warf er ihr seinen Beutel zu.

Er wandte sich verstohlen um, nachdem er ein Stück gegangen war, und sah, dass sie mit dem Lederbeutel an die Brust gedrückt dasaß und hinter ihm her starrte. Niall verdrängte all die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, und ging so lange weiter, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Dann lehnte er sich gegen einen Baum und wartete.

Verdammtes Weib! Warum war er ihr bloß in dem Dorf begegnet? Warum hatte er eingegriffen und ihr geholfen? Er hatte schon viele Frauen gesehen, denen man Gewalt angetan hatte, es war bei Überfällen leider nichts Ungewöhnliches. Doch was hatte ihn diesmal dazu bewegt einzugreifen? Warum ausgerechnet dieses Mal?

Er stand kurz davor, das Rätsel zu lösen und herauszufinden, wer hinter den Überfällen steckte. Dieser Jemand wollte aus unerfindlichen Gründen die alte Feindschaft zwischen zwei der mächtigsten Clans der ganzen Highlands wieder aufleben lassen. Der König hatte mehr als deutlich gemacht, dass er dauerhaften Frieden zwischen den Clans wünschte. Es ging also nicht nur darum, den Mackintoshs und den Camerons Probleme zu bereiten, sondern auch dem König.

Beinahe hatte er Lundie so weit, dass er ihm voll und ganz vertraute. Er hatte angedeutet, dass er bald so weit sei, ihren Auftraggeber kennenzulernen. Jeder Fehler, alles, was ihn irgendwie verdächtig erscheinen ließ, könnte das alles wieder zunichte machen. Und damit wäre nicht nur er, sondern auch seine Familie und alles, was ihm wichtig war, in großer Gefahr.

Er trat gegen einen Stein.

Niall überlegte angestrengt, wie er beide Dinge schaffen sollte, das Mädchen zu behalten und gleichzeitig seinen Plan weiterzuverfolgen. Lundie würde bald aufbrechen, um neue Anweisungen für sie einzuholen. Die letzten zwei Male hatte er ihm das Kommando überlassen, während er weg war, und Niall hoffte, dass es auch diesmal wieder so sein würde, vorausgesetzt, das Mädchen machte keine Probleme. Er hatte versucht, anhand der Länge der Zeit, die Lundie weg gewesen war, herauszufinden, wohin er geritten sein könnte und woher die Anweisungen kamen. Wenn doch nur …

Mit einem Mal drehte der Wind, und eine kühle Brise wehte über ihn hinweg. Es war nun schon einige Zeit vergangen, seit er Ilysa allein gelassen hatte … zu viel Zeit. Beunruhigt lief er zurück zum Bach, um nach ihr zu suchen.

Zunächst sah er keine Spur von ihr und wollte schon nach ihr rufen, besann sich dann aber doch eines Besseren. In wenigen, schnellen Schritten hatte er das Ufer erreicht.

War sie geflohen? War sie womöglich schon ein gutes Stück entfernt? Oder hatte sie sich irgendwo versteckt?

Besorgt blieb er stehen und blickte sich erneut um. Und dann sah er sie. Sie lag im hohen Gras und schlief tief und fest. Sie hatte sich zusammengerollt wie ein Kätzchen, ihr Haar war noch feucht und lag über ihrer Schulter, wo es von der Sonne beschienen. Sie hatte sich seine Sachen übergestreift, so wie er es ihr aufgetragen hatte, und hatte ihre eigenen zum Trocknen über ein paar Äste gehängt. Niall ging zu ihr, beugte sich zu ihr hinunter und stand einfach nur da und sah sie an. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er so erleichtert war, dass sie noch da war.

Auch nachdem er eine Weile gewartet und darüber nachgedacht hatte, konnte er den Grund dafür nicht benennen.

Er wusste, dass er sie aufwecken musste, doch bei ihrem Anblick wurde ihm klar, dass sie den Schlaf dringend nötig hatte. Wenn sie zum Lager zurückkehrten, dann würde man ihr wieder irgendwelche Arbeiten auftragen. Daher ließ er ihr noch ein wenig Zeit, um zu Kräften zu kommen. Außerdem konnte er dann selbst weiter darüber nachdenken, was er mit ihr tun sollte.

Die anderen schienen nicht verwundert darüber zu sein, dass sie so lange wegblieben, jedenfalls kam niemand hinter ihnen her, um nach ihnen zu sehen. Also setzte er sich ein wenig entfernt von ihr ins Gras und wartete weiter … und weiter … und weiter.

Er merkte erst, dass er eingeschlafen war, als er von dem raschelnden Geräusch von Schritten im Gras geweckt wurde. Er war in der warmen Sonne eingedöst, während er auf Ilysa gewartet hatte. Aus halb geschlossenen Augen sah er, dass sie es war, die auf ihn zugeschlichen kam. Zuerst dachte er, dass sie einfach zurückkam, wie er es ihr aufgetragen hatte, doch beim zweiten Hinsehen entdeckte er, dass sie den Kochtopf wie eine Waffe vor sich hertrug, als wolle sie jemandem einen Schlag damit verpassen.

Ihr Ziel war eindeutig sein Kopf.

Niall wartete, bis sie nahe genug herangekommen war, und trat ihr dann mit einer schnellen Bewegung die Beine weg, damit sie zu Boden fiel. Der Topf flog in hohem Bogen aus ihren Händen, und Niall sprang nach vorne, um sie festzuhalten. Wütend versuchte sie, ihn abzuwehren, doch schließlich rollte er sich auf sie und drückte sie nach unten, sodass sie reglos unter ihm lag.

Bisher war sie gefügig gewesen, daher war dieser Angriff sehr überraschend für ihn gekommen. Noch einmal bäumte sie sich wütend auf und kratzte ihm mit den Nägeln durchs Gesicht, während sie gleichzeitig versuchte, ihm ihr Knie zwischen die Beine zu rammen. Niall konnte den Tritt gerade noch abwehren, packte ihre Handgelenke und drückte sie über ihrem Kopf auf den Boden.

„Lasst mich los!“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und bewegte sich wie wild umher. Doch leider löste sie damit eine ganz andere Reaktion bei ihm aus, als sie beabsichtigt hatte. Wahrscheinlich konnte sie spüren, dass er hart geworden war. „Lasst mich los, dreckiger Schuft!“

„Hör auf, mich zu kratzen“, sagte er und drückte mit den Knien ihre Beine nach unten, sodass sie still liegen musste. Doch sie schaffte es, eines ihrer Knie loszureißen und versuchte sofort, seine empfindlichste Stelle damit zu treffen. Mit einer leichten Drehung konnte er es gerade so eben abwenden. „Hör auf damit!“, forderte er sie auf.

Doch seine Worte zeigten keinerlei Wirkung. Wütend wand sie sich unter ihm und versuchte sich loszumachen, trotz ihrer Ungleichheit, was Kraft und Größe betraf. Sie hatte noch nicht begriffen, dass sie ihm im Kampf gnadenlos unterlegen war.

„Lundie will wissen, ob du das Mädchen schon fertig gerammelt hast, Iain.“

Sie hielt inne und sah ihn ängstlich an. Jemand näherte sich durch das Gras, es war Conall, er hatte seine Stimme erkannt. Niall hob den Kopf und blickte zu ihm auf. Conall war der jüngste in der Truppe und seine kleinste Sorge.

„Fast, Conall“, rief er und warf Ilysa einen warnenden Blick zu. „Wir kommen gleich.“

„Lundie hat gesagt, dass ihr den Topf mit Wasser füllen sollt. Wir haben ein paar Hasen gefangen für das Abendessen.“

„Gut.“

Niall bewegte sich nicht, nickte dem Jungen nur kurz zu, der sofort wieder umdrehte und zwischen den Bäumen verschwand. Doch dann machte er den Fehler und blickte das Mädchen an – Ilysa, die er hier gegen ihren Willen gefangen hielt … und sah, dass ihr die Tränen in die tiefgrünen Augen gestiegen waren. Sie versuchte zwar, sie wegzublinzeln, aber es war zu spät, er hatte sie bereits entdeckt.

„Bitte, ich flehe Euch an, lasst mich gehen“, flüsterte sie.

„Mädchen, ich kann dich jetzt nicht gehen lassen“, sagte er. „Du würdest deine Leute direkt zu uns führen, und das können wir nicht riskieren.“ Niall ließ ihre Handgelenke los und stand auf. „Wir müssen den richtigen Augenblick abwarten, damit ich dich freilassen kann.“

Er machte den großen Fehler und sah zu ihr hinüber, während sie aufstand. Sie trug seine Kleidung. Seine Hose, in der sich die Form ihrer Hüften und ihrer Beine deutlich abzeichnete. Eng schmiegte sich der Stoff an ihre Rundungen. Die Vorstellung, dass der Stoff seiner Hose direkt auf ihrer Haut lag, erregte ihn.

Sie war größer als die meisten Frauen, und ihre Beine waren lang und schlank, genau wie der Rest ihres Körpers. Nun, da sie sicher stand, wandte sie sich zu ihm, und er sah, dass ihre grünen Augen vor Wut aufblitzen.

„Erwartet Ihr wirklich von mir, dass ich Eure Bedürfnisse …“ Sie winkte ab, offensichtlich wusste sie nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Ihm waren schon einige Wörter dafür eingefallen, er behielt sie jedoch für sich. „Eure Bedürfnisse erfülle?“

Als er darüber nachdachte, was seine Bedürfnisse waren, und sich vorstellte, was er mit ihr tun wollte, überlief ihn ein Hitzeschauer. Er konnte den Blick nicht von ihrem Körper in den eng anliegenden Hosen und der Tunika abwenden, und er sah, wie ihr das inzwischen trockene Haar lang und seidig über die Brust fiel, die sich unter ihrem schnellen Atem hob und senkte. Ihr Haar war wunderschön, genau wie der Rest von ihr. Sie wich ängstlich zurück, und Niall merkte, dass er, ohne es zu merken, auf sie zugegangen war.

„Dougal hat doch bestimmt auch Bedürfnisse“, sagte er. „Um die hast du dich gewiss gekümmert.“ Hatte sie sich um den unglückseligen Dougal gekümmert? Hatte der Junge überhaupt eine Ahnung, wie man eine Frau wie sie zufriedenstellte? Er konnte es sich kaum vorstellen. Sie sog erschrocken die Luft ein und blickte ihn entsetzt an. Sie war also noch Jungfrau. Das war es, was er hatte wissen wollen.

„Dougal? Woher wisst Ihr von ihm?“, fragte sie und sah ihn voller Zorn an. „Ihr habt uns belauscht! Im Dorf, vor dem Überfall!“

„Ihr zwei wart sehr unterhaltsam, wie ihr über eure Hochzeitspläne gesprochen habt. Vor allem die kläglichen Überzeugungsversuche vom unglückseligen Dougal.“

„Unglückselig? Wie könnt Ihr es wagen, ihn so zu beleidigen?“ In drei schnellen Schritten war sie bei ihm. Sie schäumte vor Wut. „Er ist gutherzig und loyal und …“

„Er klingt wie ein treuer Hund, ja“, gab Niall zurück. „Nicht wie ein heißblütiger Mann, der weiß, was man einer Frau wie dir geben muss.“ Sie hob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen, doch Niall bekam ihr Handgelenk zu fassen und zog sie in seine Arme. „Dougal hätte keine Ahnung, was er mit dir tun sollte, wenn du so in seinen Armen liegen würdest.“ Er fuhr durch ihr langes, seidiges Haar und wickelte es sich um die Hand, dann zog er ihren Kopf zu sich heran. „Und Dougal würde dich auch nicht so küssen.“

Mit einem leidenschaftlichen, hungrigen Kuss eroberte er ihre Lippen, um ihr zu zeigen, welches Vergnügen es ihr bereiten würde, wenn sie sich darauf einließ, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Da sie so groß war, schmiegte sich ihr Körper perfekt an seinen, und er konnte ihre Brüste an seinem Oberkörper spüren. Wie sehr er jetzt seine Tunika beneidete, die diese Brüste berühren konnte! Noch immer hielt er ihren Kopf fest, jetzt neigte er ihn ein wenig zur Seite, damit er sie noch inniger küssen konnte. Schließlich gab sie sich seinem Kuss hin und öffnete den Mund.

Zärtlich fuhr er mit seiner Zungenspitze über ihre Lippen und ließ sie dann in ihren Mund gleiten. Er wollte ihre Süße kosten, wollte wissen, wie sie schmeckte. Zuerst wehrte sie sich, er spürte die Anspannung in ihrem ganzen Körper, doch mit einem Mal war sie ganz entspannt und ruhig. Und zwar genau in dem Moment, als sie sich seinem Kuss hingab. Er lächelte und ließ seinen Lippen zärtlich über ihren Mund gleiten. Mehr wollte er gar nicht. Noch nicht.

Ihm reichte es zu wissen, dass sie es zugelassen hatte, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Niall machte einen Schritt zurück, und sie sah ihn vollkommen entgeistert an.

Sie hatte erwartet, dass er viel mehr von ihr verlangen, nein, sie zu mehr zwingen würde, als sie bloß zu küssen.

Sie hatte erwartet, dass seine Begierde überhand nehmen würde und er die Beherrschung verlor.

Sie hatte erwartet, dass er sie rücksichtslos nehmen würde und sie ihre Ehre und ihre Unschuld an diesen verwilderten Räuber verlor.

„Mach dich wieder zurecht“, sagte er und deutete auf ihr zerzaustes offenes Haar. „Und sammele deine Sachen zusammen, ich fülle in der Zeit Wasser in den Topf. Eine Horde hungriger Männer kann sehr ungemütlich werden.“

Sie stand einfach nur da und sah ihn mit dieser verführerischen Mischung aus Unschuld, Verwirrung und Überraschung an, die er schon so oft bei ihr gesehen hatte. Wie gern würde er ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn sie den Höhepunkt der Leidenschaft zum ersten Mal erreichte – und sie vor Lust laut seufzen und stöhnen hören. Wenn sie ihn weiterhin so ansah, dann würde er am Ende doch noch die Beherrschung verlieren.

„Worauf wartest du, Ilysa?“

Erschrocken fuhr sie zusammen und lief hastig zu dem Gebüsch, an das sie ihre Kleider zum Trocknen gehängt hatte. Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie sich mit den Fingern durch die Haare fuhr und sie glatt strich, so gut es eben ging. Nun stieß sie einen leisen Schmerzensschrei aus, sie musste gegen die Kopfwunde gekommen sein. Geschickt flocht sie jetzt ihr Haar zu einem langen Zopf und band ihn mit einem dünnen Lederband zusammen. Dann rollte sie ihre Kleider zu einem Bündel zusammen und nahm es unter den Arm, drehte sich um und ging einen Pfad hinab.

„Ilysa, hier entlang“, sagte er und zeigte auf den richtigen Weg. Sie sah ihn an, zuckte mit den Schultern und folgte ihm. Während er darauf wartete, dass sie in die richtige Richtung lief, kam ihm ein Verdacht.

Ihre Beine waren zwar lang, doch er verlangsamte seinen Schritt, damit sie nebeneinander hergehen konnten. Unwillkürlich stellte er fest, dass ihre Wangen rötlich gefärbt und ihre Lippen vom Küssen leicht angeschwollen waren. Auch ihre Augen leuchteten endlich wieder ein wenig, der Schlaf schien ihr gutgetan zu haben.

Schweigend liefen sie zurück zum Lager, und er ließ die anzüglichen Sprüche und Anspielungen der Männer über das, was sie am Bach getan hatten, ohne ein Wort über sich ergehen. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass die unflätigen Bemerkungen mehr gegen ihn gerichtet waren als gegen sie, denn sie hatte bereits damit begonnen, ihre nächste Mahlzeit vorzubereiten. Martainn ging ihr ein wenig zur Hand und brachte Zutaten oder Küchenwerkzeuge, wenn sie ihn darum bat.

Eine Geste jedoch brachte ihn innerlich zum Lächeln, denn sie fasste sich beim Kochen immer wieder gedankenverloren an die Lippen. Sie schien weder zu bemerken, was sie tat, noch, dass er sie dabei beobachtete. Während sie den Kanincheneintopf umrührte, hob sie mehrmals die Hand und streichelte sich mit einem versonnenen Lächeln über die Lippen.

Sie dachte an den Kuss. Er war sich absolut sicher.

Er war höchst zufrieden, dass er eine solche Wirkung auf sie hatte, und konnte es kaum abwarten, ihre Lippen so bald wie möglich wieder zu kosten.

7. KAPITEL

Dumm war sie! Dumm und töricht.

Dumm, albern und vollkommen verrückt!

Fia schob die Schuld daran, dass sie so durcheinander war und so merkwürdige Gedanken hatte, auf ihre Kopfverletzung. Als sie sich neben das Feuer setzte und ihre Portion Eintopf mit Haferbrot aß, versuchte sie, sich nur darauf zu konzentrieren, wie sie von hier fliehen könnte. Und sie versuchte tapfer, wenn auch ohne Erfolg, nicht an den Kuss zu denken.

Und vor allem versuchte sie, nicht an den Moment zu denken, auch wenn er noch so kurz gewesen war, als sie den Kuss nicht nur zugelassen, sondern fast erwidert hatte.

Dumm, töricht und verrückt!

Und dann hatte sie sich auch noch beinahe verraten und ihn merken lassen, dass sie die Gegend kannte, als sie einen anderen Weg genommen hatte, der zurück zum Lager führte, einen, den er nicht kannte. Fürs Erste schien er keinen Verdacht geschöpft zu haben.

Sie musste vorsichtiger sein. Ihr Entführer konnte ihr jederzeit etwas antun.

Fia tauchte ihr Brot in den Eintopf und biss ein Stück davon ab. Sie hätte niemals, nicht in ihren wildesten Träumen gedacht, dass ihr einmal so etwas passieren würde. Dass sie eines Tages für eine Räuberbande kochen würde, die sich im ehemaligen Lager der Mackintoshs versteckte. Was für eine absurde Situation!

All die Jahre hatte sie davon geträumt, entführt zu werden. Für sie war die Vorstellung der Inbegriff von Romantik gewesen. Doch jetzt fand sie diesen Gedanken nur noch albern und kindisch. Brodie und Arabella hatten sich hier an diesem Ort verliebt. Sie sah sich auf der Lichtung um, und für einen Moment konnte sie das Leben, das damals hier stattgefunden hatte, beinahe wieder sehen … ihre Eltern, ihre Verwandten und alle anderen, die hier Zuflucht gesucht hatten.

Trotz der ständigen Bedrohung gehörten diese Monate zu den glücklichsten ihres Lebens. Denn in dieser Zeit hatte sie gelernt, was Loyalität, Ehrgefühl und Zusammenhalt waren.

Und was Liebe war.

Außer Brodie und Arabella hatten sich noch weitere Paare in diesem Lager gefunden. Margaret und Magnus hatten hier Gefühle füreinander entwickelt und waren inzwischen verheiratet. Sie selbst war zwar erst zehn Jahre alt gewesen, doch sie hatte schon damals verstanden, dass die Bande, die an diesem Ort geknüpft wurden, unverwüstlich waren, und sie hatte beschlossen, dass sie sich nicht mit weniger zufriedengeben würde.

Sie seufzte und schloss die Augen, denn ihr fiel wieder ein, aus welchem Grund sie hier war. Sie hatte genau das bekommen, was sie sich immer gewünscht hatte, und es war kein bisschen so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Womöglich würde sie die Entführung nicht einmal überleben.

Die Sonne begann zu sinken, und eine Böe wirbelte eine Staubwolke über die Lichtung. Fia blieb reglos stehen und spürte, wie der kalte Wind ihr über das Gesicht wehte. Ein Sturm braute sich zusammen, und er kam schnell auf sie zu. Oft blieben die Regenwolken an den Berggipfeln hängen, doch dieses Unwetter würde sich nicht aufhalten lassen. Der Winter war vorbei, und die Frühjahrsstürme hier oben hatten es in sich. In kürzester Zeit wurde der Wind immer stärker, und dabei konnte es heftig regnen oder auch schneien, manchmal tagelang.

„Iain“, rief sie. Er sprach gerade mit Lundie und drehte sich jetzt überrascht zu ihr um. „Ein Sturm zieht auf.“

Iain, Lundie und die anderen schienen den stärker werdenden Wind gar nicht zu bemerken. Stammte denn keiner von ihnen hier aus den Highlands? Nur Fremde machten den Fehler, nicht auf die Anzeichen eines Wetterwechsels zu achten.

„Ich habe das schon oft gesehen, Iain. Ein Frühjahrssturm braut sich zusammen, wir müssen uns in Sicherheit bringen“, erklärte sie, da auch die restlichen Männer sie nun ansahen. „Wir müssen die Vorräte in die … Höhle bringen.“ Beinahe hätte sie verraten, dass sie mehr wusste als die Männer. Sie musste auf der Hut sein. „Die Pferde müssen auch ins Trockene gebracht werden.“

Kaum jemand, weder Mensch noch Tier, würde das, was auf sie zukam, ungeschützt überleben. Iain näherte sich ihr, packte sie an den Schultern und blickte sie an, als ob er in ihren Augen nach der Wahrheit suchte.

„Ist das wieder ein Fluchtversuch?“, fragte er.

„Eine Flucht ist jetzt nicht mehr möglich. Nicht mit dem nahenden Sturm.“

Es herrschte absolute Stille, bis auf den immer stärker werdenden Wind war nichts zu hören. Die Männer brummten und blickten dann fragend zu Lundie.

„Martainn, Anndra, holt die Vorräte. Conran und Micheil, bringt die Pferde in Sicherheit. Iain Dubh, hast du eine größere Höhle gefunden als die, in die du die Kleine gesteckt hast?“

„Aye. Die dahinten ist größer. Da passt ihr alle rein.“ Zum Glück hatte Iain die Gegend erkundet, sonst wäre sie womöglich Gefahr gelaufen, den anderen zu sagen, dass sie mehr über diesen Ort wusste, als sie ahnten.

Lundie brüllte ein paar Befehle, und alle setzten sich in Bewegung. Schon bald war alles im Inneren der großen Höhle verstaut. Fia bemerkte, dass sie es gewohnt waren, ihr Lager in Windeseile abzubauen, wenn es die Umstände erforderten. Als die ersten dicken Schneeflocken vom Himmel fielen, waren sowohl sie als auch die Vorräte in Sicherheit.

„Was glaubst du, wie lange wird der Sturm dauern?“, fragte Iain, als Fia sich in der kleineren Höhle auf eine Holzkiste setzte.

Sie zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Um diese Zeit des Jahres waren die Stürme noch unberechenbarer als sonst.

„Stunden … Tage, schwer zu sagen“, antwortete sie.

Ihr war jetzt klar, dass keiner der Männer aus den Highlands stammte, denn sonst wüssten sie, wie launisch das Wetter hier oben sein konnte und dass ein Sturm eine ernste Bedrohung war. Doch wenn keiner von ihnen aus den Highlands kam, dann war auch keiner von ihnen ein Cameron.

Nach jedem Angriff hatte man anschließend Hinweise auf die Camerons gefunden, wie ein Stück Stoff mit dem Tartan, dem typischen Muster des Clans. Daher war man davon ausgegangen, dass die Überfälle von den Camerons verübt worden waren. Sie hatte Brodie mit seinen Beratern und mit Arabella, die selbst eine Cameron war, darüber sprechen hören. Sie hatten Drumlui verlassen, um nach Achnacarry zu reiten, um mit dem neuen Oberhaupt des Cameron-Clans zu reden.

Keiner dieser Männer war ein Cameron.

Wer steckte dann hinter den Überfällen? Sie wandte den Blick zu Iain und sah, dass er sie anstarrte, so als warte er auf etwas.

„Nun?“

„Bitte, wiederholt Eure Frage noch einmal.“

„Ich sagte, es werden lange Stunden oder Tage, wenn du die ganze Zeit schweigend herumsitzt.“

Er ging zu einer Laterne und zündete sie an. Durch die Flamme wurden dunkle Schatten an die Höhlenwand geworfen. Fia wartete darauf, dass er seine Frage wiederholte, und versuchte, sich zu konzentrieren, damit sie nichts Falsches antwortete.

„Ich habe gefragt, warum du dich so gut mit dem Wetter auskennst.“ Er stand ein Stück entfernt und sah sie an.

„Ich bin in dieser Gegend geboren und habe immer hier gelebt. Meine Eltern sind Bauern, daher wissen sie, woran man erkennt, dass ein Sturm aufzieht oder Schneefall droht.“ Sie strich sich das lose Haar aus dem Gesicht. „Sie haben gelernt, richtig hinzusehen und hinzuhören, damit ihrer Ernte und ihrem Vieh nichts geschieht.“

„Die Mackintoshs haben sehr fruchtbares Land“, entgegnete er.

„Greift Ihr uns deswegen an? Weil Eure Leute uns unseren Ertrag neiden?“, fragte sie. Nun hatte sie die Gelegenheit, ihn zu beobachten. „Oder wollt Ihr etwas, das wir haben?“

Fia nannte ‚seine Leute‘ absichtlich nicht beim Namen. Niemand außer Brodies engsten Beratern und seiner Gemahlin und ihren Kammerfrauen wusste davon, dass die Angriffe im Zusammenhang mit den Camerons standen. Brodie hatte dafür gesorgt, dass es niemand sonst erfuhr.

Iain sah ihr in die Augen, und seine linke Braue zuckte ein wenig. Nur für einen kurzen Moment und auch nur ganz leicht, doch sie hatte es bemerkt.

„Vielleicht wollen wir nur ein bisschen Spaß haben?“ Er zuckte mit den Achseln. „Vielleicht war uns langweilig, und wir wollten uns ein wenig amüsieren?“

Er log, sie wusste es. Seine Augenbraue hatte ihn verraten. Fia fragte sich, ob er ahnte, dass sie es wusste. Sie hatte schon oft Leute beobachtet, während sie mit Brodie sprachen, Freunde, Familie und unzählige Fremde, und sie wusste, woran man erkannte, wenn jemand log. Eine Frage schoss ihr in den Kopf, doch sie wollte nicht neugierig sein … noch nicht. Daher zuckte sie nur mit den Schultern.

„Ja, vielleicht.“ Sie nickte in Richtung der Laterne, um das Thema zu wechseln. „Woher habt Ihr die?“

„Ich habe sie in einer der anderen Höhlen gefunden. Der ganze Berg ist von Höhlen durchzogen, und sie wurden eindeutig auch bewohnt.“

„Hier in der Gegend gibt es unzählige solcher Höhlen“, erklärte sie. „Weiter im Norden, wo das Vieh im Sommer weidet, wurden Schutzhütten errichtet. Sie haben schon so manchem das Leben gerettet, der von einem Sturm überrascht wurde.“

„Bestimmt.“ Er wandte den Blick von ihr ab. Hatte sie ihn mit ihrem Wissen skeptisch gemacht?

„Jetzt, da wir endlose Stunden vor uns haben und noch dazu ganz allein sind …“, er drehte sich zu ihr um, „… frage ich mich, womit wir uns die Zeit vertreiben.“ Weder seine Worte noch sein Tonfall waren anstößig, doch Fia hatte keinen Zweifel daran, was er meinte.

„Wenn ich Nadel und Faden hätte, könnte ich in der Zeit mein Kleid flicken“, entgegnete sie.

Sie hatte seine Frage wahrheitsgemäß beantwortet, doch sein überraschter Gesichtsausdruck zeigte, dass er nicht im Geringsten damit gerechnet hatte. Im nächsten Moment lehnte er sich zurück und lachte lauthals auf, und Fia konnte sich ein verhaltenes Lächeln nicht verkneifen.

Wenn er so lachte, dann sah er vollkommen anders aus. Seine Augen leuchteten, und er wirkte um Jahre jünger. Dabei wusste sie noch nicht einmal, wie alt er war. Sein zerzaustes Haar fiel ihm über die Stirn, und sie verspürte den Drang, die Hände auszustrecken und es nach hinten zu streichen. Doch stattdessen blieb sie reglos sitzen und sah ihn an.

„Willst du meine Hose nicht mehr? Ich kann sie dir jederzeit ausziehen, wenn du magst“, sagte er in anzüglichem Ton. Fia hatte schon oft gehört, wenn Männer in Drumlui mit den Waschmägden oder anderen Dienstmädchen auf diese Weise sprachen, doch sie selbst hatte sich nie darauf eingelassen. Weder bei den Männern, die für Brodie arbeiteten, noch bei den unzähligen Besuchern, die dachten, an den Lord oder die Lady heranzukommen, wenn sie mit ihr anbändelten.

„Funktioniert das normalerweise?“, fragte sie. „Wenn Ihr solche Zweideutigkeiten hervorbringt?“ Sein Lachen erstarb, und er sah sie überrascht an. Anscheinend hatte ihm noch nie zuvor jemand so eine Frage gestellt. „Fallen die Frauen auf Euch herein und in Eure Arme, wenn Ihr ihnen solche Sachen sagt?“ Er schien angestrengt über ihre Frage nachzudenken und nickte schließlich.

„Um ehrlich zu sein, ja, normalerweise schon“, antwortete er. „Jedenfalls bei den meisten.“

Seine Stimme strotzte nur so vor männlicher Selbstgefälligkeit, als er sprach, und Fia wusste, dass dies für gewöhnlich seine Art war, Frauen zu verführen. Sein Aussehen war dabei sicher ebenfalls hilfreich – diese blauen, frech funkelnden Augen, das dunkle Haar, das ihm in die Stirn fiel, und seine breiten, muskulösen Schultern. Ohne Zweifel würden eine ordentliche Wäsche und saubere Kleidung seinem Erscheinungsbild jedoch guttun.

In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass dieser Mann, der weder Freund noch Familie war, einen hervorragenden Blick auf ihre Beine hatte. Schlimmer noch, er begehrte sie, das stand ganz deutlich in seinen Augen geschrieben, mit denen er jetzt genüsslich ihre Beine und ihren restlichen Körper betrachtete.

Bisher hatte er sich jedoch zu ihrer großen Verwunderung zurückgehalten. Viel verwunderlicher war allerdings, dass er sie noch nicht dafür bestraft hatte, dass sie vorgehabt hatte, ihn am Bach mit dem schweren Topf bewusstlos zu schlagen. Er hatte nichts weiter getan, als sie auf den Boden zu drücken … und sie voller Leidenschaft zu küssen. Noch immer fühlte sie ein Kribbeln in ihren Lippen, wenn sie daran dachte. Sogleich hob sie eine Hand und legte sie auf ihren Mund, was ihm nicht entging, da er sie unverwandt beobachtete. Schlimmer noch, sie wusste, dass er ebenfalls an den Kuss dachte, da sein Mund sich zu einem spöttischen Lächeln verzogen hatte.

„Also, habt Ihr Nadel und Faden oder nicht?“, fragte sie, um die Spannung zwischen ihnen zu lösen. „Ich könnte auch Eure Kleidung flicken.“

„Ich habe tatsächlich Nähzeug. Überrascht dich das?“

Auch Wunden, die man sich beim Kämpfen zuzieht, werden genäht, dachte sie. Dann sah sie sich in der Höhle um. Es schien genug Vorräte zu geben, dass sie es hier eine Zeit lang aushalten konnten.

„Nicht wirklich, nach dem, was ich bereits gesehen habe.“

Er stand auf, kramte eine kleine Holzschatulle hervor und gab sie ihr. Dann holte er die Laterne und stellte sie neben sie. In der Schatulle befanden sich Nadeln und Garn. Sie brauchte nur noch …

„Versprich mir, dass du mich nicht damit angreifst“, sagte er und hielt ihr eine Schere hin. Er hatte also nicht vergessen, dass sie ihn mit dem Topf bedroht hatte, und seinem Ton nach zu urteilen würde er von nun an vorsichtiger sein.

Sie nickte und nahm die Schere. Die Bänder, die ihr Kleid zusammenhielten, fehlten. Sie konnte jedoch ein paar schmale Stoffstreifen von ihrem Rock abschneiden, sie zusammendrehen und damit ihr Kleid zubinden. Sie trug zwar nicht zum ersten Mal in ihrem Leben Hosen, doch es störte sie, ausgerechnet seine tragen zu müssen.

Plötzlich fuhr ein kühler Windstoß in die Höhle, sodass das Wolltuch, das sie als notdürftigen Schutz vor den Eingang gehängt hatten, heftig flatterte. Die Flamme in der Laterne zuckte ebenfalls wild umher, erlosch jedoch nicht. Unruhig ging Iain hin und her. Mit einem Mal zog er ihren Mantel hervor, kam zu ihr herüber und legte ihn ihr um die Schultern. Sie hatte geglaubt, ihn verloren zu haben.

„Vielen Dank“, sagte sie leise und zog ihn zurecht, bis er richtig lag. Dann nähte sie weiter.

Sie ging vollkommen in dieser Handarbeit auf, für einen Moment konnte sie alle ihre Ängste vergessen und dachte an nichts anderes als an das Stück Stoff auf ihrem Schoß. Ihre Hände bewegten sich schnell und geschickt trotz des spärlichen Lichts. Sie hatte in all den Jahren die Fähigkeit erlernt, nähen zu können, ohne hinsehen zu müssen, da sie immer alles um sich herum mitbekommen wollte. Doch jetzt gab sie sich nur zu gerne ganz dem Reparieren ihrer Kleidung hin, damit sie für einen Moment nicht über die Ausweglosigkeit ihrer Lage nachdenken musste.

Ihr Entführer hatte sich vor der gegenüberliegenden Wand niedergelassen. Und sie konnte nichts dagegen tun, dass er sie nicht aus den Augen ließ. Erneut wurde das Tuch vor dem Eingang von einem heftigen Windstoß ergriffen, und sie dachte angestrengt darüber nach, wie sie von hier entkommen konnte.

Das Wetter konnte ein Vorteil für sie sein.

Wenn sie es aus der Höhle schaffte, würde man sie in dem Schneetreiben nicht so leicht erkennen können, und sie konnte es ungesehen bis zu den geheimen Tunneln schaffen, die aus dem Berg hinausführten.

Doch wenn sie jetzt weglief, würde sie niemals herausfinden, was diese Männer vorhatten.

Wenn sie floh, dann würden sie einfach weiterziehen, und Brodie und seine Verbündeten hätten keine Chance, sie zu erwischen. Niemand würde dann erfahren, wer sie waren und wer tatsächlich hinter den Überfällen steckte. Sie stieß einen Seufzer aus, und Iain sah sie fragend an. Kopfschüttelnd beugte sie sich wieder über ihre Näharbeit.

Natürlich wusste sie, dass sie in großer Gefahr schwebte, solange sie hier war. Allen voran durch die anderen Verbrecher in der großen Höhle. Sie musste so schnell wie möglich von hier weg. Wenn sie Brodie berichtete, was sie herausgefunden hatte, dann würde er den wahren Schuldigen schon finden.

Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass jemand versuchte, es so aussehen zu lassen, als ob die Camerons für die Angriffe verantwortlich waren. Und der einzige Grund, warum jemand das tun würde, war, Unfrieden zwischen den beiden Clans zu stiften, deren lange währende Feindschaft vor noch nicht allzu langer Zeit beigelegt worden war.

Wer wollte also Brodies und Arabellas Clans gegeneinander aufhetzen? Wer hätte etwas davon, wenn die alte Fehde wieder auflebte? Unglücklicherweise kannte sie sich mit den Machenschaften der Mächtigen zu wenig aus, um das beurteilen zu können. Doch Brodie könnte es. Wenn sie nur irgendwie zurück nach Drumlui kommen konnte …

„Ich kann deine Gedanken beinahe bis hier drüben hören, Mädchen“, sagte Iain von der anderen Seite der Höhle. Er hatte den Rücken gegen die Felswand gelehnt und seine langen Beine vor sich ausgestreckt. „Vielleicht sagst du mir einfach, worüber du so angestrengt nachdenkst. Wer weiß, vielleicht fällt mir eine Lösung für dein Problem ein.“

Erneut versuchte er, den verführerischen Räuber zu spielen. Seine Stimme klang tief und sinnlich, und Fia verstand, warum die Frauen reihenweise in seine Arme und in sein Bett sanken.

„Ich konzentriere mich nur auf meine Arbeit“, gab sie zurück, ohne den Blick zu heben. Sie wusste, dass er sie mit einem herausfordernden Lächeln und spöttisch funkelnden Augen anblicken würde, wenn sie zu ihm aufsah. „Wenn ich es nicht einmal schaffe, meine Kleider zu flicken, dann lasst Ihr Euch womöglich andere Aufgaben für mich einfallen.“

Verdammt! Warum hatte sie das gesagt? Ihre Worte hatten beinahe so anzüglich geklungen wie seine eigenen. Da stand er auf und kam langsam auf sie zu. Fia spürte, wie die Spannung zwischen ihnen immer stärker wurde. Er kniete sich neben sie auf den Boden, nahm ihr das Nähzeug aus der Hand und warf es zur Seite. Dann griff er nach der Schere und schob sie so weit weg, dass sie außer ihrer Reichweite lag.

„Schluss mit Kochen, Putzen und Nähen, Ilysa. Du schuldest mir eine Belohnung“, sagte er. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es ein wenig an, sodass sie seinem Blick nicht länger ausweichen konnte.

„Eine Belohnung?“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. Was meinte er? Würde er … würden sie … jetzt?

„Dafür, dass ich deine mörderischen Absichten vor Lundie und den anderen verschwiegen habe.“ Er strich ihr mit dem Finger über die Wange, über ihren Hals, sodass sie erzitterte. Aus Angst? Aus Erregung? Sie wusste es nicht.

„Dafür, dass ich mich beherrsche. Andere Männer hätten die Situation schon längst ausgenutzt, wenn sie eine Frau wie dich in der Nähe hätten.“ Jetzt ließ er einen Finger am Ausschnitt ihrer Tunika entlanggleiten, und Fia stockte der Atem. Ganz langsam fuhr er mit dem Finger auf der anderen Seite ihres Halses wieder hinauf, strich sanft über ihr Ohrläppchen … über ihre Wange … ihren Mund.

„Nun sag schon, Ilysa“, flüsterte er und beugte sich zu ihr. Nur ein Hauch Luft trennte ihre Münder voneinander, und als er erneut sprach, konnte sie seinen Atem auf ihren Lippen spüren. „Muss ich mir meine Belohnung selbst holen, oder gibst du sie mir freiwillig?“

8. KAPITEL

Er war schon immer ein entschlossener Mann gewesen. Wenn Niall sich für etwas entschieden hatte, dann blieb er so lange dabei, bis die Sache erledigt war. Wenn man ihn um eine Entscheidung bat, dann traf er sie ohne Zögern. Und als sein Patenonkel, der König, ihm das Angebot unterbreitete, ihm all das zurückzugeben, was er verloren hatte, wenn er den wahren Schuldigen hinter den Angriffen fand, hatte er sofort und ohne nachzudenken eingewilligt.

Doch als er jetzt vor dieser Frau kniete, konnte er sich einfach nicht entscheiden, ob er sie hier auf der Stelle nehmen oder weglaufen sollte. Oh, in seinen Lenden spürte er nur allzu deutlich, wie die Entscheidung ausfallen würde, wenn er die freie Wahl hätte, aber wenn er an die Konsequenzen dachte, dann bekam er Bedenken.

Seine Vernunft riet ihm, dass sie ihm als Belohnung die Wahrheit sagen sollte, sodass er mehr über diese Frau und ihre Stellung im Mackintosh-Clan herausfinden konnte – und über den Mackintosh selbst und über die Camerons. Er brauchte Fakten, damit er sein Versprechen gegenüber dem König einlösen konnte. Er musste seine Mission erfüllen und dem König berichten, was vor sich ging. Nur dann wären seine Mutter und seine Schwestern wieder frei, und seine Ländereien, sein Titel und sein Vermögen gehörten wieder ihm.

Doch als er jetzt ihren Mund betrachtete und sah, wie sie sich voller Sorge auf die Unterlippe biss und anschließend mit der Zungenspitze darüberfuhr, spürte er, wie sehr er sie begehrte. Heftiges Verlangen packte ihn, beinahe wäre er zu Boden gesunken, wenn er nicht ohnehin schon gekniet hätte, und er fühlte, wie seine Männlichkeit vor Erregung pulsierte und sich kraftvoll aufrichtete.

In ihrem letzten Kuss hatte eine solch unschuldige Unerfahrenheit gelegen, sie würde sich ihm nicht freiwillig hingeben, wenn er sie jetzt nahm. Damit stand es auch nicht zur Debatte. Dennoch fiel es ihm schwer, die Beherrschung zu wahren, sein Verlangen nach ihr wurde immer stärker, sodass er fürchtete, doch noch davon überwältigt zu werden. Wenn sie ihn von sich aus aufforderte, dann würde er das Angebot mit Freude annehmen. Aber ihrem Blick nach zu urteilen – einer Mischung aus Angst und Neugier – würde das nicht so bald passieren.

Der Wind heulte mit einem Mal auf, und das Schneetreiben wurde immer dichter. Vermutlich würden sie noch mehrere Stunden, wenn nicht sogar Tage, hier festsitzen. Also lächelte er sie an.

„Und was ist nun diese Belohnung, die Ihr Euch holen wollt?“, fragte sie.

„Dieses Mal …“, setzte er an.

„Dieses Mal?“ Empört stieß sie sich von ihm ab, fiel von der Holzkiste und kam mühsam auf die Knie. „Was meint Ihr damit?“

„Jedes Mal, wenn ich dich beschützen muss oder eine deiner Fragen beantworte, bekomme ich eine Belohnung.“

Er hob die Kiste hoch und stellte sie zur Seite. Dann bewegte er sich langsam auf Ilysa zu und sah, dass ihre Augen immer dunkler wurden, je näher er ihr kam. Er war sich sicher, dass sie genauso viele Fragen an ihn hatte wie er an sie. Das erkannte er daran, wie sie die Augen zusammenkniff. Vielleicht würde sein Belohnungssystem funktionieren, und er würde doch bekommen, was er wollte. Er musste lächeln.

„Nur ein Verbrecher würde …“

„Ich habe nie behauptet, etwas anderes zu sein.“

„Ein echter Ehrenmann würde niemals …“

„Ich würde mich auch niemals als einen solchen bezeichnen, Mädchen.“ Er beugte sich vor. „Mach dir also keine Hoffnungen, dass ich irgendetwas anderes bin als das, was du hier vor dir siehst.“ Er deutete mit den Händen auf sich.

„Ein Dieb und ein Rohling, der eine Frau ihre Tugend rauben würde, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern!“ Sie schien von ihren Worten genauso überrascht zu sein wie er selbst.

Autor

Terri Brisbin
<p>Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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