Zärtliche Berührungen bei Kerzenschein - 5 winterliche Liebesromane

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IM GLANZ DER STERNE von RUTH LANGAN
Eine Vermählung im Glanz der Weihnachtssterne! Wie sehr wünscht sich die unschuldige Lindsay, dass Morgan ihr als Zeichen seiner Hingabe einen Ring über den Finger streift. Aber Morgan hat Verpflichtungen, die einer Ehe mit Lindsay im Wege stehen ...

IM WARMEN GLANZ DER KERZEN von JUDY DUARTE
Ein geschmückter Tannenbaum, warmer Kerzenglanz und eine Frau, die ihn liebevoll umsorgt – das alles lässt den attraktiven Greg völlig kalt. Nur die bezaubernde Connie kann ihn davon überzeugen, dass Weihnachten wirklich das Fest der Liebe ist …

STILLE NACHT, SINNLICHE NACHT von LOUISE ALLEN
Lady Julia fürchtet Mitgiftjäger und verschweigt Giles Markham ihr Vermögen. Aber je länger sie mit dem attraktiven Captain eingeschneit ist, desto sehnlicher wünscht sie, ihm nichts mehr zu verheimlichen …

KERZENGLANZ IN DEINEN AUGEN von SHIRLEY JUMP
Eigentlich wollte Jessica die Feiertage in Florida unter Palmen verbringen. Doch als Christopher Hamilton sie bittet, seinem Töchterchen Ellie ein schönes Fest zu bereiten, kann sie der Verlockung nicht widerstehen. Wird an Weihnachten ihr Traum vom Glück wahr?

LICHT DER HOFFNUNG von DEBORAH SIMMONS
Gerettet! In letzter Minute erreicht Lady Joy im Schneesturm eine Burg. Galant lädt der Earl of Campion sie ein, über die Festtage bei ihm zu bleiben, und fasziniert von ihm, willigt Joy ein. Dabei müsste sie weiter fliehen vor den Häschern, die ihr auf der Spur sind …


  • Erscheinungstag 03.11.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520645
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Im Glanz der Sterne erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Ruth Ryan Langan
Originaltitel: „Highland Christmas“
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL WEIHNACHTEN
Band 2 - 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Meriam Pstross

Umschlagsmotive: shutterstock_Darya Komarova, GettyImages_Khaneeros

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751504836

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Im schottischen Hochland, 1560

„Pass auf, Ramsey! Hinter dir!“ Morgan McLarin gelang es, einen Warnschrei auszustoßen, während er sich gegen ein halbes Dutzend mit Schwertern bewaffnete Männer verteidigte, die brüllend aus dem Wald hervorstürmten. Mit jedem Schwertstreich bewegte er sich näher auf seinen Freund zu, der vom Pferd gestoßen worden war und um sein Leben kämpfte.

Die Luft war erfüllt von Flüchen und Stöhnen, während die beiden Männer, die seit ihrer Kindheit befreundet waren, all ihr Geschick einsetzten, um den Feind rasch zu erledigen.

„Du hast deinen letzten unschuldigen Highlander getötet“, knurrte Morgan, als er seine Klinge ins Herz eines der Feinde stieß.

„Und ihr auch.“ Er drehte sich um und hob sein Schwert, als noch zwei weitere Angreifer sich auf ihn warfen. „Lasst euch das eine Lehre sein. Mein Vater, der Laird dieses Hochlandes, hat geschworen, nicht zu ruhen, bis sein Volk frei ist von solchen Kerlen wie euch.“

Als das Schwert seine Schulter durchstieß, verspürte Morgan keinen Schmerz. Das warme Blutrinnsal schien ihn ehrlich zu erstaunen. Und noch erstaunter war er, als sein Arm plötzlich nutzlos an der Seite herunterhing. Doch da er darin geübt war, beide Arme in der Schlacht zu gebrauchen, nahm er das Schwert in die linke Hand und hielt so seine Feinde weiterhin in Schach.

„Gütige Mutter!“ Ramsey blickte auf und sah ein weiteres Dutzend Männer aus dem Schatten des Waldes hervorstürmen. „Wir sind tote Männer, Morgan.“

Morgan wandte den Kopf und fasste dann einen jähen Entschluss. „Nimm mein Pferd. Reite zu unserer Burg und schlage Alarm. Diese gesetzlosen Barbaren müssen aufgehalten werden, bevor sie auf unserem Land ein Blutbad anrichten.“

„Ich werde dich nicht verlassen.“ Ramsey schlug einen Angreifer nieder und durchbohrte ihn mit seinem Schwert. Dann fuhr er herum und stellte sich den drei nächsten.

„Einer von uns muss die anderen benachrichtigen. Sonst überrennen die Fremden unser Land. Willst du das?“

„Nein.“ In diesem Augenblick war Ramsey dankbar, dass Morgans schnelle Reaktion ihn vor einer herabsausenden Schwertklinge rettete. Blitzschnell hielt sein Freund den ersten Mann auf und tötete einen zweiten, noch bevor der sein Schwert heben konnte.

Während er sich gegen die nächste Welle von Angreifern wappnete, drehte Morgan sich zu Ramsey um. „Du hast keine andere Wahl, mein Freund. Ich befehle dir, sofort aufzubrechen, denn ich bin der Stärkere und kann sie lange genug aufhalten, um dir die Flucht zu ermöglichen.“

„Morgan …“

„Kein Wort mehr. Das Überleben unseres Clans hängt von dir ab. Nimm das Gold hier. Ich brauche es nicht.“ Er griff in seinen Kittel, holte eine pralle Börse hervor und warf sie ihm geschickt zu. „Nimm es für Essen und Unterkunft auf deinem Weg. Jetzt reite, Ramsey. Und vergeude keine Zeit. Blicke nicht zurück.“

Erzogen zu gehorchen, warf sich der junge Krieger auf das Pferd seines Freundes. Er duckte sich, um einem Pfeilhagel zu entgehen. Als er doch noch einen Blick über die Schulter riskierte, sah er Morgan von Schwertkämpfern umringt, die sich wie die Fliegen auf ihn stürzten.

Ramsey knirschte mit den Zähnen, entschlossen zu tun, wie ihm befohlen worden war. Er wusste, wenn jemand eine Belagerung überleben konnte, dann war es sein Freund. In den letzten fünf Jahren hatte Morgans Furchtlosigkeit in der Schlacht dazu beigetragen, dass seine Feinde ihn inzwischen Den Wilden nannten. Es war ein Name, der seine Gegner vor Furcht erbeben ließ und unter den Männern, die die Ehre hatten, an seiner Seite zu kämpfen, eine Welle des Stolzes hervorrief.

Während Ramsey sein Pferd vorwärtstrieb, trug der Wind die Schreie und Rufe der Krieger zu ihm herüber. Er verspürte ein Prickeln auf der Kopfhaut und hätte fast dem Wunsch nachgegeben, an die Seite seines Freundes zurückzukehren. Doch dann dachte er an Morgans Worte. Nein, er durfte nicht umkehren. Das Überleben seines Clans hing von ihm ab. Er betete, seine Entscheidung möge ihn nicht das Leben seines liebsten Freundes kosten.

„Lindsay.“ Der kleine Junge und das kleine Mädchen stürzten aus der winzigen Hütte. Sie standen staunend da, dann stürmten sie wieder ins Innere und riefen: „Großvater! Komm und schau. Lindsay hat ein Pferd.“

„Ein Pferd?“ Der alte Mann humpelte nach draußen und stützte sich dabei schwer auf einen knorrigen Stock. „Wie kommst du nur zu solch einem Schatz, Mädchen?“

„Ich habe es gefunden. Es graste im Wald. Die Zügel waren um einen Ast geschlungen, damit es nicht davonlaufen konnte.“ Sie ritt näher und glitt vom Rücken ihres Reittiers, bevor sie dem Jungen die Zügel zuwarf.

„Was ist das?“ Der alte Mann deutete mit knotigen Fingern auf ein Bündel, welches das Pferd hinter sich herzog.

„Es ist ein Mann, Vater. Ein Krieger, glaube ich. Er war von einer Menge toter Männer umgeben.“

Das Lächeln des alten Mannes verblasste. „Ein Krieger? Und du hast ihn hierher zu uns nach Hause gebracht?“

„Er ist schwer verwundet. Ich weiß nicht einmal, ob er die Nacht überleben wird. Aber ich konnte ihn doch nicht allein sterben lassen.“

„Aber wir kennen diesen Mann nicht. Er könnte einer der Fremden sein, die das Gemetzel unter unserem Volk angerichtet haben.“

„Aye.“ Sie löste die Seile, mit denen sie das Bündel am Pferd befestigt hatte, und bedeutete dann dem Jungen und dem Mädchen, ihr zu helfen. „Kommt, Gwen. Brock. Helft mir, ihn hineinzutragen.“

Die drei begannen, das in ein Tuch gewickelte Bündel zu der winzigen Hütte zu zerren.

Der alte Mann schüttelte die Faust nach ihnen. „Du könntest Tod und Verderben über unsere Schwelle bringen, Mädchen.“

Lindsay verhielt einen Augenblick, um Luft zu schöpfen. „Wenn du dir auch nur einen Moment lang die Zeit nimmst, einen Blick auf ihn zu werfen, wirst du sehen, dass er noch nicht einmal stark genug ist, die Augen zu öffnen.“

„Jetzt vielleicht noch nicht.“ Ihr Vater humpelte in die Hütte und sah zu, wie die Mädchen eine frische Lagerstatt neben dem Feuer herrichteten. „Aber wehe uns, sollte er wieder zu Kräften kommen. Dann werden wir sogar Angst haben müssen, unsere Augen zu schließen, aus lauter Furcht, wir könnten im Schlaf erschlagen werden.“

„Darum werden wir uns sorgen, wenn er sich erholt hat. Falls er wieder gesund wird“, murmelte Lindsay, während sie den bewusstlosen Körper auf das saubere Laken rollte. „Gwen.“ Sie wandte sich an das kleine Mädchen. „Hole mir Leintücher und heißes Wasser. Brock, ich brauche meine Kräuter und meine Heilsalben“, fügte sie, an den Jungen gewandt, hinzu.

Die beiden Kinder eilten davon. Als sie zurückkehrten, gab sie weitere Befehle. „Du bist jetzt für das Pferd verantwortlich, Brock. Ich erwarte von dir, dass du dafür sorgst, dass es Futter und Wasser bekommt. Und verstecke es, damit es nicht gestohlen werden kann.“

„Ja.“ Entzückt darüber, einen so wichtigen Auftrag erhalten zu haben, rannte der Junge davon.

„Gwen.“ Lindsay sah kaum auf, während sie das saubere Leinen in Streifen riss. „Am Pferd sind noch mehr Überraschungen festgebunden.“

Mit einem begeisterten Aufschrei lief das Mädchen nach draußen. Als es zurückkam, zog es ein dickes Bündel hinter sich her. In dem zerrissenen Tuch waren etliche Kleider und Waffen eingewickelt, die Lindsay den Toten abgenommen hatte.

Während das Kind und sein Großvater die Sachen durchwühlten, schnitt Lindsay die blutigen Kleider des Mannes auf. Sie war entsetzt über seine vielen Wunden. Nicht nur über die frischen, sondern auch über die Narben älterer Verletzungen. Dieser Mann war zweifellos ein Krieger. Oft genug hatte sie in früheren Jahren die Wunden ihres Vaters versorgen müssen, um zu wissen, wie viele Blessuren ein Krieger sich gezwungenermaßen einhandelte.

Sie tauchte ein Leinentuch in die Schüssel mit dem warmen Wasser und fing an, das Blut abzuwaschen. Während sie das tat, kam sie nicht umhin, den harten, festen Körper und die muskulösen Arme und Schultern zu bewundern. Wer immer dieser Mann auch sein mochte, im Kampf wäre er ein gefährlicher Gegner. Das sollte ihr eigentlich Angst einjagen. Die Wahrheit aber war, dass ihr Vater in der Vergangenheit von Fremden gut behandelt worden war. Sie spürte, dass sie eine Schuld zurückzuzahlen hatte. Trotzdem flüsterte sie ein Gebet, dieser Mann möge sich als Freund und nicht als Feind erweisen.

Sie wischte mit dem Tuch über den Schnitt auf seiner Stirn. Als das Blut abgewaschen war, stellte sie fest, dass er ein anziehendes Gesicht besaß. Eine hohe Stirn. Nase und Kinn waren fein geschnitten. Lindsay fragte sich, welche Farbe seine Augen wohl hatten. Dann schalt sie sich wegen dieses Gedankens. Hatte ihre Mutter sie nicht immer gewarnt und gesagt, dass die Augenfarbe eines Mannes nicht wichtig sei? Was zählte, war das Gute oder Böse, das man in seinem Herzen fand.

Als seine Wunden gesäubert waren, durchsuchte sie ihren Vorrat an Kräutern und bereitete dann schnell eine Salbe zu, die sie auf die schlimmsten Wunden strich, bevor sie sie mit einem sauberen Tuchstreifen verband.

Währenddessen lag er da wie tot. Ein oder zwei Mal sah sie seine Lider flattern. Doch er gab keinen Laut von sich, als sie ihn vorsichtig erst auf die eine Seite und dann auf die andere rollte und sich um die kleineren Wunden an seinem Rücken und seinen Schultern kümmerte. Zufrieden darüber, das ihr Mögliche getan zu haben, deckte sie ihn schließlich mit Fellen zu und ging hinüber zu dem alten Mann und dem Mädchen, die ihre gefundenen Schätze prüften.

„Was ist das?“ Der alte Mann hielt ein Fässchen hoch. Als er den Stöpsel entfernte, verzog er das Gesicht zu einem Lächeln. „Bier.“ Er kostete, seufzte und nahm dann einen großen Schluck. „Kein einfaches Bier, sondern feines, wohlschmeckendes“, meinte er. „Unser Gast hat einen ausgezeichneten Geschmack.“

„Jetzt ist er also ein Gast.“ Lindsay lachte. „Einen Augenblick zuvor nanntest du ihn noch einen Fremden, der uns alle in unseren Betten töten wird. Jetzt hat er sich zum Gast gewandelt. Und das alles nur wegen seines Bieres.“

„Wenn es denn wirklich das seine ist. Es könnte auch denen gehören, die um ihn herum gelegen haben.“ Der alte Mann musterte seine jüngste Tochter. „Von den anderen lebte keiner mehr?“

Sie schüttelte den Kopf. „Es muss ein wüster Kampf gewesen sein. Mehr als zwanzig auf jeder Seite würde ich sagen.“

„Ich frage mich, warum der da …“, der alte Mann drehte sich um und betrachtete den Mann, „von seinen Kameraden zurückgelassen wurde.“

Lindsay zuckte die Achseln. „Er war dem Tod nahe. Vielleicht dachten sie, er würde eine zu große Last sein.“

Sie erlaubte ihrem Vater, noch einen großen Schluck zu nehmen, bevor sie ihm das Fässchen fortnahm. „Ich werde das hier brauchen. Es wird die Wunden reinigen.“

„Das gute Bier! Was für eine Verschwendung!“ Der alte Mann verzog missgelaunt die Mundwinkel.

„Ärgere dich nicht.“ Lindsay lächelte verschmitzt. „Ich werde dir genug übrig lassen.“

Das kleine Mädchen schlug ein gegerbtes Fell auseinander. Frische Fleischstücke kamen zum Vorschein. „Schau, Großvater.“

Er schnüffelte. „Wild. Und nicht verdorben. Frisch getötet.“

Gwen klatschte in die Hände. „Heute Abend werden wir wie die Lairds essen.“

Der alte Mann drehte sich zu Lindsay um. „Vielleicht wurde der Mann während der Jagd überrascht.“

Lindsay zuckte die Achseln. „Vielleicht.“ Sie nahm das Fleisch und ging damit zum Feuer. „Wir sollten nicht vergessen, ihm später dafür zu danken. Aber Gwen hat recht. Heute Abend werden wir wie die Reichen essen. Und wenn wir sparsam mit dem Fleisch umgehen, können wir noch an vielen kommenden Abenden davon genießen.“

Inzwischen war Brock von seinen das Pferd betreffenden Pflichten zurückgekehrt. Der Duft nach gebratenem Fleisch und nach Brot, der vom Herd aufstieg, erfüllte die kleine Hütte. Die Familie saß um einen rohen Holztisch und genoss den seltenen Luxus des Wildbrets.

„Das mag ich lieber als nur Brot allein“, stellte der Junge mit vollem Mund fest.

„Ja. Und es ist besser als die Wurzeln und Beeren letzte Woche, als du den Fasan verfehlt hast, Lindsay“, bemerkte ihr Vater und wischte seinen Teller aus.

„Ich werde ihn nicht noch einmal verfehlen, darauf wette ich.“ Lindsay legte die Hand auf den Bogen und den Köcher mit Pfeilen, die sie vom Kampfplatz gerettet hatte.

„Hast du nicht vor, das alles im Dorf einzutauschen? Es würde einen guten Preis ergeben.“ Ihr Vater lehnte sich zurück. Er hätte gerne noch einen Schluck von dem guten Bier gehabt, aber er kannte seine Tochter und wusste, dass er es bereuen würde, wenn er sie fragte.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß, man könnte gut Tauschhandel damit treiben. Vielleicht könnte ich dafür sogar eine Bruthenne von der Witwe Chisholm bekommen. Aber ich habe lange gebraucht, um dem hier eine weitere Waffe hinzuzufügen.“ Sie legte die Hand auf den Dolch an ihrem Gürtel. „Mit den beiden werde ich uns jetzt immer Nahrung verschaffen können. Und das ist mehr wert als jede Henne.“

„Darf ich die Stiefel behalten, Lindsay?“ Brock strich mit der Hand über das abgetragene Leder der Stiefel, die auf einem Haufen blutbespritzter Kleider lagen. Es machte ihm nichts aus, dass sie einem toten Krieger gehört hatten.

„Ja. Falls sie dir passen.“ Sie sammelte die Teller ein. „Wenn der Winter kommt, wirst du festes Schuhwerk brauchen.“

Man musste den Buben nicht drängen, mit seinem Fuß hineinzuschlüpfen. Er stand auf und wackelte mit den Zehen. „Sie sind groß. Aber wenn du mir ein Paar dicke Socken strickst, sind sie in Ordnung.“

Lindsay seufzte. „Ich werde heute Abend damit anfangen. Bis sie fertig sind, kannst du die Spitzen mit etwas Wolle ausstopfen.“

Die Augen des Jungen leuchteten vor Aufregung. Es war das erste Paar Stiefel, das ihm gehörte. Bis jetzt hatte er sich die Füße immer mit Fellstreifen umwickelt.

Das kleine Mädchen hielt einen groben Wollmantel hoch. „Wirst du den behalten, Lindsay, oder willst du ihn gegen etwas eintauschen?“

„Das hängt davon ab.“ Lindsay stand mit dem Rücken zu ihnen, wusch die Teller ab und stellte sie beiseite. „Ich werde ihn zuerst Heywood Drummond anbieten und sehen, wie viel er dafür bietet.“

Als er den Namen erwähnte, sahen die Kinder einander an, und beide rümpften sie die Nase.

„Vielleicht ist er bereit, mir dafür einen Krug Milch von seiner Kuh zu geben.“

„Und dann wird er hingehen und den Mantel für den doppelten Wert verkaufen“, sagte ihr Vater mit einem Anflug von Abscheu.

„Ja. Gut möglich.“ Sie wischte den Tisch sauber. „Solange er mir gibt, was ich verlange, nehme ich es ihm nicht übel, wenn er Gewinn macht. Nun denn“, sie sah die beiden Kinder an, die bereits hinter vorgehaltener Hand gähnten, „ich glaube, es ist an der Zeit, euch ins Bett zu stecken.“

Ohne zu widersprechen kletterten sie die Leiter zu ihrer Schlafstelle hinauf. Als Lindsay ihnen folgte, beobachtete sie, wie ihr Vater nach dem Fässchen griff. Sie unterdrückte ein Lächeln. Eigentlich hätte sie mit ihm schimpfen müssen. Das war Teil ihres Spiels. Die Wahrheit aber war, dass es sie freute, ihm etwas mitbringen zu können, das ihm seine Bürde erleichterte. In den letzten Jahren hatte es so viel Elend in seinem Leben gegeben. Zu wissen, dass er heute Abend warm und zufrieden einschlafen würde, tat ihrem Herzen gut.

Sie küsste den Knaben und das Mädchen und lauschte ihren geflüsterten Gebeten. Nachdem sie sie mit warmen Fellen zugedeckt hatte, schlüpfte sie die Leiter wieder hinunter und griff nach ihren Stricknadeln und einem Strang Wolle.

Minuten später machte sich ihr Vater, vom Bier erwärmt, auf den Weg in sein Bett. Auch wenn Lindsay sich danach sehnte, es ihm gleichzutun, weil sie sich unglaublich erschöpft fühlte, gab es doch jetzt noch keine Ruhe für sie. Solange das Feuer nicht niedergebrannt war, würde sie sich zuerst um Brocks Socken kümmern.

Dann, und erst dann, würde sie dem Bedürfnis nach Schlaf nachgeben, zufrieden darüber, dass sie für ihre Familie alles getan hatte, was in ihrer Kraft stand.

2. KAPITEL

Morgan lag ruhig da und bemühte sich, Erinnerungsfetzen zu einem Bild zusammenzufügen. Fremde strömten aus dem Wald, entschlossen zu töten. Schwerter blitzten. Schreie und Flüche. Und Blut. So viel Blut. Männer fielen zu seinen Füßen nieder, während andere über ihre toten Kameraden kletterten, um ihn zu erreichen.

Er hatte standgehalten. Beim Himmel, er hatte standgehalten, obwohl einer seiner Arme nutzlos an ihm baumelte und sein Körper zerschlitzt und zerrissen wurde, bis wahre Höllenfeuer über ihm losbrachen.

Er erinnerte sich an einen letzten Schurken, der mit erhobenem Schwert auf ihn eindrang und dabei wüste Beschimpfungen brüllte. In diesem Augenblick hatte Morgan gewusst, dass seine Kraft, ja sein Leben dahinschwand. Es hatte ihm übermenschliche Zähigkeit abverlangt, aufrecht stehen zu bleiben.

War es ihm gelungen, den Gesetzlosen zu überwältigen? Oder war es ihm misslungen? Da er Schmerzen hatte, wusste er, dass er am Leben war. Auch wenn man das kaum noch als Leben bezeichnen konnte. Ihm war heiß. So heiß.

Irgendwo in der Nähe knisterte und prasselte ein Feuer. Er versuchte, seine Arme zu bewegen, aber irgendetwas, das um ihn herumgewickelt war, hinderte ihn daran. Vielleicht war er jetzt ein Gefangener.

Es gelang ihm, die Augen zu öffnen. Und er erblickte ein höchst erstaunliches Bild.

Eine Frau. Sie hielt den Kopf gebeugt, sodass ihr Haar wie ein Schleier nach vorne und ihr in einem Wust roter Locken über eine Schulter fiel. Sie trug ein grobes, handgewebtes Gewand, das nachlässig über die andere Schulter gerutscht war. Ihr entblößter Hals war so glatt und hell wie Alabaster. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, denn ihr Blick war auf die Nadeln gerichtet, die klappernd in ihren Händen tanzten. Neugierig sah er sich um, weil er wissen wollte, wo er war. Eine Hütte. Die Wände waren mit Fellen behängt. Es roch nach Holzrauch, vermischt mit einem Rest von Essensduft. Er entdeckte die Tür, die von innen verriegelt war, um Eindringlinge draußen zu halten. An der gegenüberliegenden Wand führte eine Leiter zu einem Hängeboden. Dort oben konnte er Gestalten ausmachen, aber er war nicht fähig, sie zu zählen.

Hatte man ihn in das Land seines Feindes gebracht? Langsam griff er mit der Hand an seinen Schenkel und suchte den Dolch, den er immer an der Hüfte trug. Seine Finger fühlten nur das eigene Fleisch. Man hatte ihm die Kleider ausgezogen. Und ihm die einzige Waffe genommen. Jetzt hatte er nichts mehr als seine List. Er würde das Überraschungsmoment als Waffe nutzen müssen. Falls draußen Wachen aufgestellt wären, würde er die Frau als Schild benutzen.

Durch einen Nebel von Schmerzen sammelte er seine Kräfte für das, was kommen würde, und war gewillt, die Fesseln zu sprengen, die ihn hielten. Er staunte über seine Schwäche. Trotz all seiner Bemühungen weigerte sich sein Körper, zu reagieren.

Mit einer letzten Kraftanstrengung gelang es ihm, sich aufzusetzen. Bei dieser Bewegung rutschten ihm die Felle bis zur Taille hinunter, bevor er hilflos wie ein Kind wieder zurücksank. Er hatte gerade noch genug Kraft, um überrascht nach Luft zu schnappen.

Die Frau sah zu ihm hin. Und in diesem Augenblick gewahrte er das schönste Gesicht, das er je gesehen hatte. Eine Haut so hell, dass sie einen Engel beschämen würde. Hohe Wangenknochen und vollkommen gezeichnete Lippen, die jetzt vor Staunen halb geöffnet waren. Und diese Augen. Grün waren sie, mit kleinen goldenen Flecken. Sternenaugen, dachte er, als sie sich ihm jetzt zuwandte.

„Du lebst also.“ Sie ließ Garn und Nadeln fallen und legte ihm die Hand auf die Stirn. Die Berührung war sanft, so zart wie eine Liebkosung.

„Tue ich das?“ Bei der Anstrengung, die ihn diese einfachen Worte kosteten, zuckte er zusammen. Seine Kehle war trocken, und jeder Atemzug tat ihm weh.

„Du hast hohes Fieber. Hast du Schmerzen?“

„Ja.“

Er betrachtete sie so eindringlich, dass Lindsay ein unangenehmer Schauer überlief. Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass sie ein wenig Befriedigung empfand, weil sie jetzt endlich die Antwort auf ihre frühere Frage erhalten hatte. Seine Augen waren blau. So blau wie der Himmel über dem Hochland.

Langsam ließ sie den Blick über ihn gleiten. Während er bewusstlos gewesen war, musste er nackt sein, damit sie seine Wunden hatte versorgen können. Jetzt stellte sie fest, dass sie ihn auf eine andere Art betrachtete. Der Anblick seines harten, muskulösen Körpers rief ein seltsames Prickeln in ihrer Magengrube hervor.

Sie hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, und wandte sich ab. „Ich hole dir ein Schlafmittel.“

Er ließ sie nicht aus den Augen, während sie den Raum durchquerte und mit einem Becher voll Flüssigkeit zurückkehrte. Sie setzte sich zu ihm, legte eine Hand hinter seinen Kopf und hob ihn sanft an, bis er ihn hoch genug hielt, um trinken und schlucken zu können. Hoch genug, wie er feststellte, dass sein Mund eine feste, schwellende Brust berühren könnte, wenn er sich nur hätte bewegen können. Der Gedanke ließ erneut Hitze in ihm aufsteigen, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb.

Als sie das Glas an seine Lippen hob, schnüffelte er und fuhr zurück. „Es riecht … scheußlich.“

„Ja. Es tut mir leid. Aber trinke es. Bald wirst du dankbar dafür sein.“

Er tat, wie ihm geheißen, und zwang sich, sich dabei auf den verführerischen Spalt zwischen ihren Brüsten zu konzentrieren. Wenn ich immer noch derart auf die Nähe einer Frau reagieren kann, bin ich wohl nicht mehr dem Tod nahe, dachte er. So dicht bei ihm roch sie so frisch und sauber wie ein Kiefernwald. Als sie sich vorbeugte, kitzelten ihre Haare ihn an der Brust. Gefühle übermannten ihn, die sogar noch stärker waren als der Schmerz.

Im Nu war das Glas leer, und fast bedauerte er, dass sie ihn jetzt wieder zurücksinken ließ.

„Wer bist du?“, brachte er flüsternd heraus. „Wohin hast du … mich gebracht?“

„Ich heiße Lindsay Douglas. Und du bist im Haus meines Vaters, Gordon Douglas.“

„Douglas.“ Er kämpfte gegen die Spinnweben an, die seinen Verstand zu vernebeln schienen. Ihre Stimme, so sanft und wohlklingend wie die eines Hochlandengels, schien davonzuwehen. Wahrscheinlich liegt es an der Wirkung des Schlafmittels, dachte er. Vielleicht war er aber auch wirklich im Begriff zu sterben. Denn das Feuer in seinem Innern schien zu wachsen und drohte, ihn zu Asche zu verbrennen.

„Keine … Gesetzlosen?“

Sie lachte. Ihr Lachen hatte einen klaren Klang, der ihn an ein vom Wind getragenes Flüstern erinnerte. „Nein. Wir sind keine Gesetzlosen. Aber wir hatten Angst, du könntest einer sein.“

Er schüttelte den Kopf und holte unter einer Woge von Schmerz Luft. „Kein … Feind. Ich habe … gegen sie gekämpft.“

Sie konnte ihr Erstaunen nicht verbergen. „Du? Allein?“

„Ja.“ Seine Lider flatterten, doch er kämpfte darum, die Augen offen zu halten, um sie weiter anzuschauen. „Verlasse … mich nicht.“

Seine Finger umschlossen ihre Hand, und sie erschrak über deren Stärke. Selbst jetzt, wo er in Bewusstlosigkeit glitt, schien er noch die Kraft zu besitzen, ihr die Knochen zu brechen, wenn er es wollte.

„Ich werde dich nicht verlassen. Schlaf nun. Dein Körper braucht Ruhe, um gesund zu werden.“

„Du wirst hier sein … wenn ich erwache?“

„Ja.“ Sie starrte auf diesen hübschen Fremden herunter. Er brauchte ihre Zusicherung nicht mehr, denn er war bereits in Schlaf gesunken.

Der Klang von Stimmen weckte Morgan. Es waren viele Stimmen, die alle durcheinander schnatterten. Da war das hohe Lachen eines Kindes, gefolgt von den grollenden, dröhnenden Kommandos eines Mannes. Und dann war da noch die Stimme der Frau. Die Stimme, die immer wieder in seinen Träumen erklungen war.

Morgan öffnete die Augen dem schmerzenden Sonnenlicht, das durch die Tür fiel. Eine verschwommene Gestalt tauchte in seinem Blickfeld auf. Es war ein Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren, mit langen roten Locken, die ihm bis über die Taille fielen.

„Lindsay.“ Fast ließ sie den Wassereimer fallen, den sie trug. „Der Fremde ist aufgewacht.“ Sie stellte den Eimer auf den Boden und lief davon. Minuten später kniete die Frau neben ihm. Das Mädchen, ein Junge und ein gebeugter Mann lugten über ihre Schulter. Alle sahen aus, als würden sie davonlaufen wie die Hasen, wenn er auch nur nieste.

„So. Du bist also wach.“ Lindsay legte ihm die Hand auf die Stirn.

Fast hätte er genussvoll aufgeseufzt, so sanft und kühl fühlten sich ihre Finger auf seinem brennenden Fleisch an.

„Du hast immer noch Fieber. Doch es scheint zu sinken. Ich gebe dir gleich noch ein anderes Betäubungsmittel gegen die Schmerzen. Aber zuerst musst du etwas essen, um zu Kräften zu kommen.“ Sie drehte sich zu dem Mädchen um. „Gwen, hol einen Becher Brühe.“

„Ja.“ Das Kind schoss davon und kam mit einem Becher voll dampfender Flüssigkeit zurück.

Wieder setzte sich Lindsay zu ihm; mit einer Hand stützte sie seinen Kopf, während die andere den Becher an seine Lippen hielt. Es gelang ihm, einige Schlucke zu trinken, bevor er dann weitere ablehnte.

Während die Frau das Schmerzmittel zubereitete, starrten die drei ihn an, als wären ihm gerade zwei Köpfe gewachsen.

Der Junge, der anscheinend ein oder zwei Jahre älter war als das Mädchen, sprach zuerst. „Lindsay sagt, du wärst kein Fremder.“

„Das ist wahr.“

„Zu welchem Clan gehörst du?“ Die Frage kam von dem alten Mann.

„Ich bin Morgan vom McLarin Clan.“

„Ah.“ Die Augen des alten Mannes blickten wärmer. „Ein guter und ehrenwerter Clan.“

Lindsay kam zurück und hob einen Becher mit Flüssigkeit an Morgans Lippen.

Wieder zog er die Nase kraus und murmelte: „Scheußlich!“

„Ja. Aber du musst zugeben, dass es dir hilft zu schlafen.“

Er leerte den Becher und fiel dann schwer atmend zurück.

„Was hast du im Wald jenseits des Dorfes gesucht?“, fragte Brock.

Lindsay drehte sich zu ihm um, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Sei jetzt still, Brock. Zum Sprechen ist es noch zu früh für ihn. Du siehst doch, wie müde er ist.“

Sie stand auf, warf sich einen zerlumpten Mantel um und zog die Kapuze über den Kopf. Dann wandte sie sich an den alten Mann. „Ich reite ins Dorf und sehe, was ich eintauschen kann. Du bleibst hier bei … unserem Gast.“

Ihr Vater nickte.

Zu dem Jungen sagte sie: „Ich brauche noch mehr Kräuter, die ich auf die Wunden legen will, und etwas Moos, das am Flussufer wächst. Kümmerst du dich darum?“

„Aye, Lindsay.“

„Und Brock, kümmere dich auch um Gwen.“

„Du weißt, dass ich das tun werde.“

„Ich weiß.“ Sie zog ihn an sich und zauste ihm das Haar, bevor sie die Hütte verließ.

Morgan wollte den alten Mann fragen, wieso die Kin der sie bei ihrem Namen statt mit dem zärtlichen Wort Mutter riefen. Doch das Sprechen erschien ihm als eine zu große Anstrengung. Die Augen fielen ihm zu, und als der Hufschlag in der Ferne verklang, schlief er bereits.

Als er das nächste Mal erwachte, blieb er still liegen und lauschte den aufgeregten Stimmen. Langsam öffnete er die Augen. Die Familie war um den Tisch versammelt und prüfte eine Anzahl von Sachen, die Lindsay gerade unter ihrem Umhang hervorgeholt hatte.

„Man brauchte immer einen ganzen Tag, um zum Dorf und wieder zurückzukommen. Jetzt, mit einem Pferd, schaffe ich es in der halben Zeit. Und schaut euch nur an, was ich alles befördern kann. Sechs Eier von der Witwe Chisholm.“ Lindsay hielt sie mit einer Ehrfurcht hoch, die gewöhnlich nur dem Gold gezollt wurde.

„Was ist das, Lindsay?“ Brock hob einen ledernen Beutel hoch.

„Frische Milch. Du und Gwen werdet genug für eine Woche oder noch länger haben, wenn wir sorgsam damit umgehen.“

„Hast du die Waffen eingetauscht?“

„Ja.“ Ihr Lächeln verblasste ein wenig. „Heywood Drummond gab mir drei Goldmünzen dafür.“

„Drei.“ Gordon Douglas bekam einen Wutanfall. „Du hättest mindestens zwanzig dafür bekommen müssen. Allein das Schwert mit dem juwelenbesetzten Griff war bereits eine königliche Summe wert!“

Bei seinen Worten stieß Morgan einen leisen Fluch aus. Es war sein Schwert, über das sie sprachen, daran hatte er nicht denn geringsten Zweifel. Es war ein Geschenk seines Vaters gewesen. Eines, das er stolz in die Schlacht getragen hatte. Und jetzt war es zu einem erbärmlichen Preis eingetauscht worden.

„Kein anderer im Dorf hat die Waffen von mir kaufen wollen, Vater. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als zu akzeptieren.“

„Aye. Und Heywood weiß das. Er ist nicht besser als ein Dieb.“

Lindsay legte die Hand auf die ihres Vaters. „Das Gold reichte aus, um vom Müller einen Sack Mehl zu kaufen.“

Sein Ton wurde etwas milder. „Gott segne dich, Mädchen.“

Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Als sie sich aufrichtete, merkte sie, dass Morgan sie beobachtete. Sie trat näher. „Wie ich sehe, lässt die Wirkung des Schlafmittels nach. Möchtest du irgendetwas?“

Morgan nickte, und die Anstrengung ließ ihn schwindlig werden. „Wasser.“

„Gwen.“ Sie wandte sich an das Mädchen. „Hast du mit Brock Wasser vom Fluss geholt, während ich fort war?“

„Ja.“

Stumm nickte Lindsay ihr zu. Zögernd griff das Mädchen in einen Eimer und näherte sich dann mit einem Schöpflöffel in der Hand dem Lager.

Morgan bemerkte, dass sie ihn ansah, wie ein Rehkitz ein Raubtier ansehen mochte. Während er trank, wechselte sie Blicke mit den anderen.

Um sie zu beruhigen, zwang er sich zu einem Lächeln. „Ich danke dir. Ist Gwen die Abkürzung für Gwynnith?“

Sie schüttelte den Kopf, dass die roten Locken flogen. „Guinevere.“

„Guinevere. Ein hübscher, majestätischer Name für eine Königin.“

Sie machte große Augen, und ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. „Das sagte mein Vater immer.“ Sie nahm den Schöpflöffel aus seiner Hand, durchquerte den Raum und begann, Lindsay bei der Vorbereitung ihres Mahls zu helfen.

Morgan stellte fest, dass er während des Eindösens über den Vater des Kindes nachdachte. War er draußen auf der Jagd? Oder vielleicht war er in einer Schlacht? Was war das für ein Mann, der Frau und Kinder sich selbst überließ, sodass sie alles eintauschten, was sie nur konnten, nur um den nächsten Tag zu überleben?

Und was war mit dem alten Mann? Auch wenn das Alter und die Schwäche ihn jetzt zum Krüppel gemacht hatten, so umgab ihn doch noch ein Rest von Würde. In seiner Stimme lag ein Ton, der davon kündete, dass er früher Befehle gegeben haben mochte. Und sein hochmütiges Gebaren brachte einen auf die Idee, dass er einst ein weit besseres Leben als diese bescheidene Existenz hier geführt hatte.

Die Faszinierendste von allen aber war Lindsay. Trotz des groben Gewands und des schäbigen Mantels war sie eine seltene Schönheit, die weit eher in einen Palast passte, um einer Schar von Dienern zu befehlen. Doch sie war hier und ging allein ins Dorf. Wusste sie nicht, was mit einer Frau geschah, die den Gesetzlosen draußen in die Klauen fiel?

Aber das war nicht sein Problem, sagte er sich, während er tiefer in Schlaf sank. Sobald er Kraft genug zum Reiten hatte, würde er zur Burg eilen, um seinem Vater zu beweisen, dass er heil und gesund war. Dann würde er eine weitere Truppe anführen, um die Barbaren aus seinem geliebten Hochland zu vertreiben. Trotz dieser vielversprechenden Aussicht schweiften seine Gedanken schon wieder zu der Frau. Lindsay Douglas.

Es war ihr Gesicht, das er vor sich sah, als der Schlaf ihn überfiel. Im Geist hörte er ihre Stimme, und sie löschte den Kampfeslärm aus, der ihn sonst quälte. Ihre Berührung beruhigte das Feuer, das durch seinen Körper raste. Und ihr Duft, der dem eines Kiefernwalds ähnelte, füllte mit jedem mühsamen Atemzug seine Lungen.

3. KAPITEL

Morgan saß auf seiner Matratze. Einen Teil der schäbigen Decke des alten Mannes hatte er aus Scham um seine Taille gewickelt. Etliche Tage und Nächte waren in einem wirren, durch Schlafmittel verursachten Schlaf vergangen. Immer wenn er aufgewacht war, ging Lindsay gerade oder kehrte von irgendeinem entlegenen Dorf oder Schlachtfeld zurück. Ihm kam es vor, als würde sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten, und das nur, um ihre Familie für einen weiteren Tag satt zu bekommen.

Trotz ihres freudlosen Daseins war sie erstaunlich vergnügt. Sie hatte immer Zeit, den Jungen Brock in die Arme zu nehmen oder das Mädchen Gwen auf die Wangen zu küssen. Was ihren Vater betraf, so brachte sie ihm immer eine Kleinigkeit mit, was seine Stimmung hob und ihn für eine Weile seine verkrüppelten Beine und seine schwachen Lungen vergessen ließ.

Während seines erzwungenen Nichtstuns war Morgan zu einem Entschluss gekommen. Er würde seine Identität als Sohn des Lairds nicht enthüllen, denn das brächte diese stolzen Menschen in Verlegenheit. Stattdessen würde er ihre Gastfreundlichkeit annehmen und einen Weg finden, ihnen seine Dankbarkeit zu zeigen. Doch wie sehr wünschte er sich, er hätte noch seinen Beutel voller Gold. Er könnte diesen guten Leuten das Leben so viel leichter machen.

„Ah, Morgan. Wie ich sehe, bist du kräftig genug, um zu sitzen.“ Gordon Douglas humpelte in die Hütte und blinzelte in Morgans Richtung. „Kannst du stehen?“

„Ich glaube schon.“ Mühsam stemmte Morgan sich hoch, lehnte sich dann an den steinernen Kaminsims und wartete, bis der Schwindel verging.

„Gut, dann komm. Wir werden uns eine Weile in die Sonne setzen.“

Der alte Mann ging voran, und Morgan folgte ihm nach draußen. Die beiden Männer ließen sich ins Gras sinken und lehnten den Rücken an einen gefällten Baumstamm.

Wenig später tauchten die Kinder auf. Brock schleppte in jeder Hand einen Eimer voll Wasser. Gwen neben ihm hatte ihre Schürze mit etwas gefüllt, das sie mit großer Vorsicht trug.

Als sie näher kamen, schienen sie erstaunt zu sein, den Fremden hier draußen und nicht im Bett zu sehen.

„Lindsay hat nicht geglaubt, dass du vor einer weiteren Woche kräftig genug sein würdest, um gehen zu können“, rief Brock.

Morgan grinste ihn an. „Ich könnte nicht weit gehen. Aber wenigstens kam ich nicht in die peinliche Lage hinzufallen.“

„Was hast du da geholt, Mädchen?“, rief der Großvater.

„Kräuter. Vom Fluss. Lindsay möchte heute Abend noch mehr von ihren Heilmitteln herstellen. Sie sagt, die alte Witwe Chisholm kann einige für ihre Hüfte brauchen.“

Der alte Mann seufzte. „Ich weiß nicht, wann mein Mädchen es schafft zu schlafen.“

Ein paar Augenblicke später gesellten sich die Kinder zu ihnen. In einträchtigem Schweigen saßen sie beisammen, und die schwache Wintersonne wärmte ihre Gesichter. Während sie sich ausruhten, lehrte Gordon seine Enkelkinder, neue Wörter in den Sand zu schreiben.

„Du kannst lesen und schreiben?“, fragte Morgan.

„Aye. Krieger müssen ihren Kameraden Botschaften schicken können. Ich habe darauf geachtet, dass auch Lindsay und meine Enkel es können.“

Morgan lehnte sich zurück, lauschte und sah zu, wie die Kinder ihre Wörter vollendeten.

Schließlich wandte der alte Mann sich ihm zu. „Seit wann bist du ein Krieger, Morgan McLarin?“

„Seit ich vierzehn bin.“

„So jung?“

„Aye.“ Morgan nickte. „Meine Mutter, Gott schenke ihr die ewige Ruhe, bat mich, doch noch ein Jahr zu warten. Doch die Fremden strömten über unsere Grenzen und richteten Unheil an. Und ich brannte auf Rache, da mein Vater in einer früheren Schlacht mit ihnen schwer verletzt wurde.“

Der alte Mann seufzte erinnerungsschwer. „Ich weiß, wie das ist. Ich tat das Gleiche für meinen Vater. Und Jahre später wieder, als ich neben dem Laird selbst kämpfte.“

„Du kämpftest mit meinem … mit dem Laird?“ Morgan drehte sich um und musterte den Mann neben sich.

„Ja. Damals war ich der Anführer unseres Clans. Und wir hatten ein seit langem bestehendes Bündnis mit dem McLarin Clan. Es war zu unserem gegenseitigen Vorteil, bei einem Angriff zusammenzustehen. Als dann die Fremden kamen, kämpften wir voller Mut. Aber wir waren ihnen zahlenmäßig schrecklich unterlegen.“ Er legte die Hand auf sein Bein. „Das hier ist damals geschehen. Am Ende der Schlacht konnte ich nicht länger stehen, aber ich konnte noch ein Pferd reiten. Und ich kämpfte neben dem Laird der McLarin, bis die Barbaren schließlich vertrieben wurden. Der Laird sagte, ohne unsere Hilfe wäre alles verloren gewesen. Und er gab mir sein Wort, dass von diesem Tag an der McLarin Clan darauf eingeschworen würde, uns zu beschützen, solange wir leben.“

„Und hat er sein Wort gehalten?“, fragte Morgan.

„Aye. Und dem Himmel sei Dank dafür.“ Gordon Douglas senkte die Stimme. „Mehr als die Hälfte meines Clans wurde in der Schlacht getötet. Der Rest war wie ich so schwer verwundet, dass wir wussten, wir würden nie wieder kämpfen. Ohne den Schutz des Lairds wären wir überrannt worden und aus dem Land verschwunden. Als wir aus der Schlacht heimkehrten, gab es hier im Hochland bei den Witwen und Waisen, welche diese schlimme Sache hinterlassen hatte, großes Weinen und Wehklagen. Aber wir lernten bald, dass wir noch zu den Glücklichen gehörten.“ Selbst nach all der Zeit, die vergangen war, verriet seine Stimme noch seinen Schmerz. „Als ich heimkehrte, entdeckte ich, dass die meisten aus meiner Familie von den Fremden, die sich zurückzogen, getötet worden waren. Sie schlachteten meine Frau und meinen Sohn und dessen Frau ab. Und sie hätten auch diese zwei und Lindsay getötet, wenn sie sie gefunden hätten.“

Morgan bemerkte, dass die beiden Kinder enger zueinander rutschten. Die bloße Erwähnung dieser grausamen Zeit brachte neuen Schmerz. Und mehr als nur ein wenig Furcht.

„Wie gelang es euch zu entkommen?“, fragte er den Jungen.

„Lindsay holte uns aus unseren Betten und versteckte uns im Wald“, berichtete Brock nüchtern. „Wir froren, denn es war Winter, und wir hatten Hunger und Angst. Oft wachten wir nachts weinend auf, aber sie beruhigte uns und sagte, wir dürften keinen Ton von uns geben, ganz gleich, wie schlimm es für uns sei. Viele Monate lang blieb sie mit uns in den Wäldern. Bis Großvater zurückkehren konnte.“

„Wie alt war sie damals?“, fragte Morgan.

Gordon überlegte einen Moment. „Das Mädchen konnte zu der Zeit nicht älter als zwölf gewesen sein. Aber sie wusste, dass sie alles tun musste, um das Leben der Kinder ihres Bruders zu retten.“

Morgan ertappte sich dabei, wie er an sein eigenes Leben in diesem Alter dachte. Trotz der Tatsache, dass er, wie alle anderen Jungen auch, damit begonnen hatte, für den Kampf zu trainieren, war es eine glückliche und sorgenfreie Zeit gewesen. In der Burg seines Vaters hatte es immer genug zu essen gegeben. Und selbst im eisigen Winter hatte er warme Kleidung besessen und gemütlich am Feuer sitzen können. „Wie habt ihr euch Schutz und Essen besorgt, Brock?“

Der Junge zuckte die Achseln. „Gewöhnlich ging Lindsay nach Anbruch der Dunkelheit fort und kehrte mit allem, was wir brauchten, zurück. Ich dachte nie daran, sie zu fragen, wo sie es her hatte. Aber ich vermute, es war ähnlich wie heute auch. Bis zu diesem Tag durchstreift sie die Schlachtfelder und Dörfer, bis sie findet, was immer sie gegen Dinge eintauschen kann, die wir benötigen.“

„Lindsay!“ Gwen sprang auf, als ein Pferd mit einer Reiterin auf die Lichtung galoppierte und rannte zu ihr, um sie zu begrüßen. Die Liebe zu ihrer Tante leuchtete aus ihren Augen.

„Was bringst du uns heute, Mädchen?“, rief ihr Vater.

„Nicht viel, fürchte ich.“ Die schlanke Frau glitt aus dem Sattel und begann, verschlissene Bündel loszubinden.

„Hast du heute irgendwelche Waffen gefunden?“ Die Augen des Jungen blickten begierig. „Irgendwelche Schätze?“

„Nein. Vielleicht habe ich morgen mehr Glück. Nimm das Pferd, Brock“, sagte sie sanft. „Sorge dafür, dass es Futter und Wasser bekommt. Gwen, du kommst mit mir. Es ist Zeit, dass wir uns um die Mahlzeit kümmern, wenn wir heute Abend etwas essen wollen.“

Als sie sich zur Hütte umwandte, konnte Morgan ihr Gesicht betrachten. Obwohl sie lächelte und die Fragen der Kinder so geduldig wie möglich beantwortete, sah sie blass und mitgenommen aus. Er konnte die Schatten unter ihren Augen sehen.

Kein Wunder, dachte er. Diese junge Frau war für das Überleben eines Jungen, eines Mädchens und eines verkrüppelten alten Mannes verantwortlich. Nicht zu reden von der zusätzlichen Bürde eines verwundeten Fremden.

Er musste ihre stille Kraft bewundern. Und er schwor, alles zu tun, um ihr die Bürde leichter zu machen.

Die Sonne glitt hinter eine Wolkenbank und ließ Morgan erschauern. Langsam erhob er sich und half dann dem alten Mann beim Aufstehen. Zusammen machten sie sich auf den Weg zur Hütte, die von einem wunderbaren Duft nach Fleisch, das auf dem Feuer schmorte, und von Brot erfüllt war, das auf den Kohlen buk und ihn daran erinnerte, dass sein Appetit endlich wieder zurückgekehrt war.

Erschöpft sank der alte Mann auf seinen Stuhl. „Leistest du uns bei Tisch Gesellschaft, Morgan McLarin?“

„Aye. Danke.“ Morgan nahm den angebotenen Platz an und sah zu, wie Lindsay eine Platte mit Wild auf den Tisch stellte, dann zum Feuer zurückging, um das Brot zu holen und schließlich den Kessel mit Kräutertee. Dann hob sie die Platte hoch und bot ihm Fleisch an.

Er überraschte sie, indem er sie ihr aus der Hand nahm. „Ich kann mich selbst bedienen, werte Dame. Setzt Euch und füllt Euren Teller.“

Die Kinder beobachteten das Ganze mit erstaunten Blicken.

Gwen machte runde Augen. „Du sprichst zu unserer Lindsay, als würdest du mit einer Königin reden.“

„Sie ist besser als eine Königin, Mädchen. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich noch lebe.“

Lindsay spürte, dass ihre Wangen glühten, als sie sich jetzt neben ihm niederließ. Ihre Knie berührten sich, und es wurde ihr angenehm warm. Vergnügt hielt Morgan ihr die Platte hin. Lindsay war gezwungen, sich unter seinem aufmerksamen Blick zu bedienen. Als sie sich von dem Essen genommen hatte, füllte Morgan seinen eigenen Teller, bevor er ihn an die anderen weitergab.

Nach dem ersten Bissen stieß er einen genüsslichen Seufzer aus. „Ich weiß nicht, wann ich je so etwas Zartes gekostet habe. Was hast du mit dem Fleisch gemacht?“

„Nichts Besonderes. Ich habe es nur so gekocht, wie meine Mutter es immer tat.“

„Dann muss deine Mutter ein Engel gewesen sein. Dieses Essen kommt bestimmt aus dem Himmel.“

Lindsay sah, dass die Kinder herüberstarrten, und senkte den Blick. „Das scheint dir nur so, weil du so lange nichts gegessen hast, Morgan McLarin.“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe in den feinsten Burgen und in den feinsten Städten gegessen. Selbst in der Residenz der Königin in Holyrood House. Doch nirgends habe ich etwas Besseres bekommen.“

„Du warst in Edinburgh?“ Brock bleib vor Staunen der Mund offen stehen.

Morgan fluchte innerlich über seinen Fehler. „Ja.“

„Aber warum?“ Das Essen hatte der Junge völlig vergessen.

Die anderen schienen ebenfalls fasziniert.

„Unser Clan hatte der Königin seine Treue zugesichert. Wir waren die Ersten, die vortraten und uns auf ihre Seite stellten. Und so bestand sie darauf, dass wir nach Edinburgh kamen, damit sie uns anerkannte.“

„Wie ist es dort?“ Die sonst so scheue Gwen glühte vor Aufregung.

„Es ist wirklich großartig.“ Morgan zwinkerte ihr zu, was sie erröten ließ. „Und in Gegenwart der Königin zu sein ist tatsächlich erschreckend.“ Er wandte sich an Lindsay. „Aber Edinburgh ist voller lauter Händler. Pferde und Wagen verstopfen die Straßen, und es gibt dort so viele Menschen. Viele von ihnen wollen sich wie die Engländer kleiden.“ Er lehnte sich zurück, nippte an seinem Bier und spürte, wie seine Kräfte langsam zurückkehrten. „Mir ist das einfache Leben im Hochland viel lieber.“

„Ist dein Heim so wie dort?“ Gwen war ganz bezaubert von diesem weltmännischen Mann und seinen Reisen.

Morgan dachte an die hoch aufragende Burg aus massiven Balken, die groß genug war, um einem ganzen Dorf während eines Angriffs Schutz zu bieten. Seine Mutter, Gott hab sie selig, befehligte eine Armee von Dienern, die die Feuer am Brennen hielten und die Tische mit Speisen deckten, die eines Königs würdig waren. Die Binsen auf den Korridoren waren immer frisch, die Vorratsschränke immer voll und das Leinen war mit den feinsten Spitzen und Stickereien gesäumt. Aber er sagte nur: „Nicht so schön. Denn das Essen konnte es niemals mit dem aufnehmen, was ich gerade aus der Hand deiner Tante probiert habe.“

Die Kinder kicherten, während Lindsay tief errötete.

Verlegen schob Lindsay ihren Stuhl zurück und begann, den Tisch abzuräumen. „Gwen, hilf mir, bevor du dich aufs Lager legst.“

„Ja.“ Immer noch breit grinsend nahm sie die jetzt leere Platte und folgte Lindsay zu dem Topf mit warmem Wasser.

„Komm, Morgan McLarin.“ Gordon ging zu der Holzbank, die vor das Feuer geschoben war.

Während Lindsay ihnen den Rücken zuwandte, zwinkerte er und goss ein wenig Bier in ihre Becher. Dann streckte er seine steifen Beine der Wärme entgegen und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer zurück. „Du hast nicht viel von deiner Familie erzählt.“

Morgan nippte an seinem Bier und starrte in die Flammen. „Meine Mutter starb, als ich in der Schlacht war. Ich habe es immer bedauert, dass ich ihr nicht noch einmal einen Besuch abstatten konnte.“

„Aye.“ Der alte Mann nickte und dachte dabei an seine eigene Frau und Familie, die ihm brutal entrissen wurden, während er fort war, um zu kämpfen. „Und dein Vater? War er auch ein Krieger?“

„Das war er. Und wie du trägt er bis zum heutigen Tag die Wunden aus den zahlreichen Kämpfen mit den Eindringlingen. Die Gebrechlichkeit lässt ihn nun alles langsamer angehen, aber immer noch würde er sich einem Feind entschlossen entgegenstellen.“ In Morgans Stimme klang Verehrung mit. „Auch wenn ich viele Freunde habe, so ist mein Vater mein engster Freund. Er ist mein Lehrer, mein Bruder, mein Held.“

Der alte Mann betrachtete ihn mit neuer Hochachtung. „Wenn mein Sohn noch leben würde, würde ich mir nichts mehr wünschen, als diese Worte zu hören, die du gerade gesprochen hast.“

Er leerte seinen Becher und ging mit steifen Schritten zu der Leiter, die zu den Schlafstellen hinaufführte. dann besann er sich eines Besseren, humpelte zu seiner Tochter, beugte sich zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Erstaunt sah sie bei dieser unerwartet gezeigten Zuneigung auf. „Wofür war das jetzt, Vater?“

„Für all die Dinge, die du für uns tust, Lindsay. Es beschämt mich, dass erst ein Fremder kommen musste, um mich daran zu erinnern.“ Er drehte sich zu den Kindern um, die ihn in sprachlosem Erstaunen anstarrten. Seine Stimme nahm wieder den üblichen mürrischen Befehlston an. „Wenn ihr mit eurer Hausarbeit fertig seid, helft einem alten Mann ins Bett.“

„Ja, Großvater.“

Nachdem sie Lindsay und Morgan eine gute Nacht gewünscht hatten, folgten der Junge und das Mädchen ihm die Leiter hinauf auf den Zwischenboden.

Lindsay blickte ihnen hinterher. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Morgan in die Flammen starrte. Sein Gesicht trug einen Ausdruck angespannter Konzentration.

„Möchtest du noch etwas Bier?“

Er schüttelte den Kopf und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. „Nein, danke.“

Mit einem Mal fühlte Lindsay sich befangen. Sie nahm das Garn und die Stricknadeln und setzte sich neben ihn. Mit gebeugtem Kopf saß sie da und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Socken, den sie für Brock strickte. Doch sie war sich quälend des Mannes neben ihr bewusst, dessen Hüfte sich an die ihre presste und dessen Arm auf der Lehne der Bank ruhte.

„Du arbeitest so schwer“, bemerkte er.

„Nicht so schwer.“ Sie spürte, wie seine Finger über die Spitzen ihrer Haare strichen, und ließ eine Masche fallen. Sie hielt inne, ordnete das Garn und fing noch einmal an.

„Wann ruhst du dich aus?“

„Wenn … ich nicht mehr kann.“ Sie wusste, dass sie ihn nicht ansehen durfte. Doch trotz aller guten Vorsätze hob sie den Kopf und warf ihm einen Blick von der Seite zu.

Sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. Mit einer seltsamen Faszination starrte er sie an. Als würde er sie verschlingen. In seinen Augen lag etwas, das sie sofort erkannte. Der nackte Hunger. Ein Hunger, der dem ihren glich.

„Ich muss …“ Sie wollte aufstehen. Klappernd fielen die Nadeln mit dem Garn von ihrem Schoß zu Boden. Verlegen hielt sie inne, um alles wieder aufzuheben, doch im gleichen Augenblick sank er neben ihr auf die Knie.

Lindsay lachte nervös auf. „Sonst bin ich nicht so ungeschickt …“

„Lindsay.“ Er berührte ihre Hand, und sie erstarrte, als hätte er sie verbrannt.

Als sie Anstalten machte aufzustehen, legte er ihr beide Hände auf die Schultern und hielt sie neben sich fest. Ihre Augen wurden groß vor Angst und Verwirrung, und sie wandte das Gesicht ab.

„Hab keine Angst, mich anzusehen.“ Zart hob er ihr Kinn an und zwang sie so, den Kopf zu heben.

„Du darfst nicht. Wir dürfen nicht …“

„Schscht.“ Er beugte sich vor, bis sein warmer Atem über das Haar an ihrer Schläfe strich. „Ich möchte nur deine Lippen kosten. Denn seitdem ich dich das erste Mal sah, denke ich an nichts anderes mehr.“

„Aber ich …“

„Willst du das einem verhungernden Mann abschlagen?“

Bevor sie ihm antworten konnte, lag sein Mund auf dem ihren, so weich und kühl wie die Berührung einer Schneeflocke. Er hörte, wie sie hastig die Luft einsog und zwang sich, reglos zu verharren, auch wenn er sie am liebsten in die Arme gezogen und seinen Hunger gestillt hätte.

Lindsay fühlte, wie eine seltsame Wärme durch ihre Glieder strömte, ihr Blut erhitzte und den Verstand vernebelte. Einen Augenblick war sie nahe daran, wie ein erschrecktes Reh davonzulaufen. Im nächsten war sie wie erstarrt und nicht fähig, sich zu rühren. Auch wenn seine Hände sanft waren wie seine Lippen, so hielt er sie doch fest, als wäre sie seine Gefangene. So konnte sie nur da knien, während die erstaunlichsten Gefühle sie erfüllten. Es war ein seltsames Kitzeln, als wären in ihrem Innern Schmetterlinge losgelassen worden und kämpften nun darum, sich zu befreien. Ein plötzliches Sehnen nach etwas, das sie noch nicht einmal benennen konnte.

Als Morgan den Kopf hob, bemerkte er die warme Röte, die sich über ihren Hals und ihre Wangen ausbreitete. Und er konnte in ihren Augen das Erwachen einer seit langem schlummernden Leidenschaft erkennen.

Plötzlich sprang Lindsay auf die Füße und betete, dass ihre zitternden Beine sie tragen mögen. Hilfesuchend umklammerte sie die Banklehne und holte zitternd Luft, bevor es ihr gelang zu sprechen „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Morgan McLarin.“

„Und ich dir ebenfalls, Lindsay Douglas.“

Während sie zur Leiter eilte, sammelte er Garn und Nadeln ein. „Du hast vergessen …“

Sie raffte die Röcke und zwang sich, die Leiter hinaufzuklettern.

Morgan stand unten und freute sich über den Anblick der enthüllten Fußknöchel und darüber, wie ihr Gewand sich um ihr wohlgeformtes Hinterteil schmiegte, bevor sie verschwand.

Langsam atmete er tief aus und stellte fest, dass seine Hände zitterten. Mit einem leisen Fluch legte er Nadeln und Wolle beiseite und ging zu seiner Lagerstatt auf dem Fußboden.

Der Schlaf, das wusste er, würde diese Nacht lange auf sich warten lassen.

4. KAPITEL

Die Dämmerung färbte gerade erst den Horizont, als Lindsay die Leiter herunterkletterte. Stunden hatte sie wach gelegen und in Gedanken immer wieder durchgespielt, wie Morgan sie küsste. In ihren ganzen achtzehn Jahren hatte sie so etwas noch nie erlebt.

Wie sollte sie ihm jetzt wieder entgegentreten? Was sollte sie nur sagen, um ihre Verlegenheit zu verbergen? Für so einen weltgewandten Mann wie Morgan bedeutete ein Kuss wahrscheinlich nicht mehr als ein angenehmer Augenblick. Für sie war es wie ein Erdbeben gewesen.

Sie warf einen raschen Blick auf den Berg aus Fellen, unter dem er im Schatten verborgen an der gegenüberliegenden Wand lag. Entschlossen durchquerte sie den Raum und trat durch die Tür ins Freie.

Barfuß und immer noch im Hemd eilte sie zwischen den Bäumen hindurch zum Fluss hinunter. Dann hängte sie ein Fell und ein Stück Tuch über einen tiefen Ast, zog ihr Hemd aus und schritt in das kalte Wasser. Wie sie es gewöhnt war, seifte sie sich rasch ein, beugte den Kopf vor und wusch ihr Haar. Zitternd watete sie bis ins tiefere Wasser, holte tief Luft und tauchte unter, um so schnell wie möglich die Seife aus ihrem Haar und von ihrer Haut zu spülen. Sekunden später tauchte sie nach Luft schnappend wieder auf und schüttelte den Kopf, dass ihre Haare in einem Schauer kleiner Tropfen tanzten, bevor sie ihr wieder wie ein seidiger Schleier über die Schultern und den Rücken fielen.

Rasch watete sie ans Ufer und griff nach dem Tuch. Sie drückte es an ihr Gesicht, beugte sich dann nach vorne und wickelte es um ihre Haare. Als sie sich aufrichtete, griff sie nach dem Fell. Und erstarrte beim Anblick einer Gestalt, die im Dämmerlicht stand.

„Morgan!“, keuchte sie. „Was machst du …? Ich habe dich nicht kommen sehen.“ Dann merkte sie plötzlich, dass sie nackt war. Hastig wickelte sie sich in das Fell, darum bemüht, noch etwas von ihrer Würde zu retten.

„Verzeih mir, Lindsay. Ich bin gerade aus dem Fluss gestiegen und merkte noch nicht einmal, dass du hier bist, bis es zu spät war.“

Bis zu einem gewissen Punkt entsprach das der Wahrheit. Er war überrascht worden. Doch in Wahrheit hatte ihr Anblick ihn hypnotisiert. Und obwohl er wusste, dass er ihre Privatsphäre verletzte, war es ihm unmöglich gewesen fortzugehen. Und so war er geblieben und hatte etwas gesehen, das weit schöner war als alles, was er sich hätte vorstellen können.

Lindsay sah seine nass glänzenden dunklen Haare und die Tropfen, die immer noch auf seiner behaarten Brust schimmerten. Das Plaid, das er nachlässig über die Schulter geworfen hatte, klebte an seinem flachen Bauch und verhüllte nicht die Muskeln seiner nackten Schenkel.

Wieder durchströmte sie dieses Gefühl. Ein seltsames Kitzeln und das hungrige Sehnen. Verzweifelt kämpfte sie gegen diese Empfindungen an und hob das Kinn. Die Verlegenheit ließ sie schroffer klingen als beabsichtigt. „Aber du hast dir auch nicht die Mühe gemacht, mich vor deiner Anwesenheit zu warnen. Schlimmer noch, du bist geblieben. Ein Gentleman hätte sich aus Respekt abgewandt.“

„Ja.“ In seiner Stimme klang warm das unterdrückte Lachen mit. „Vermutlich ist das nur allzu wahr, doch man hat mich nie bezichtigt, ein Gentleman zu sein. Aber du kannst es mir nicht übel nehmen, dass ich mich an deinem Anblick erfreute. Besonders, da er so … so äußerst erfreulich war.“

Wütend funkelte sie ihn an. „Glaubst du, dass ich es zu deiner Unterhaltung tat, Morgan McLarin? Glaubst du, ich bin eine leichte Frau, die ihren Körper gerne zu deinem Vergnügen entblößt?“

Er unterdrückte ein Lächeln. Das hier war eine Seite an ihr, die er noch nicht kannte. Und sie war genauso faszinierend wie die Sanftheit und Zärtlichkeit, die sie ihrer Familie gegenüber zeigte. Sie besaß Feuer, ja. Ein Feuer und eine Leidenschaft, die er höchst anziehend fand.

Er streckte die Hand aus und hielt Lindsay zurück, bevor sie sich abwenden konnte. Seine Stimme wurde leise. „Es tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe, Lindsay. Aber mir tut nicht leid, was ich sagte. Noch tut mir leid, was ich jetzt tun werde.“

„Was …?“ Schnell streckte sie die Hand aus, um ihn von sich fernzuhalten, doch er hob sie an seine Lippen.

Ein Schlag hätte sie weniger schockiert. Der Druck seiner Lippen auf ihrer Handfläche sandte ihr immer wieder Schauer über den Rücken.

Dann drückte er Küsse auf ihr Handgelenk und in ihre Armbeuge, zog sie eng an sich und fuhr mit den Lippen über ihre Schläfen.

„Verzeih mir, aber ich muss Euch wieder küssen, werte Dame. Der erste Geschmack gestern Abend steigerte mein Verlangen nach mehr.“

Er ließ die Lippen über ihre Wangen bis zu ihrem Mundwinkel gleiten. Und obwohl sie daran dachte, ihn von sich zu stoßen, konnte sie sich nicht rühren. Mit klopfendem Herzen wartete sie, während er mit der Zungenspitze die Form ihrer Lippen nachzeichnete.

Sie vergaß zu atmen. Ihr Herz vergaß zu schlagen. Und sie wusste, dass sie vergehen würde, würde er sie nicht bald küssen.

Endlich lag sein Mund auf dem ihren, und Lindsay seufzte genussvoll auf. Als sich seine Hände um ihre Schultern schlossen und seine Zunge die ihre fand, wurde aus ihrem Seufzen ein leises Stöhnen, und sie verlor sich in ihm.

Morgan kämpfte um seine Beherrschung, aber er spürte, wie sein Verlangen nach ihr wuchs. Er küsste sie immer leidenschaftlicher, bis er schließlich das Gefühl hatte, sie zu verschlingen. Ihr heftiges Atmen und ihre kleinen, lustvollen Seufzer machten ihn fast verrückt vor Begierde.

Er schob die Hände unter das Fell und ertastete ihre nackte Haut. Langsam strich er über ihre Seite, bis er ihre Brüste umfasste.

Lindsay zuckte zusammen. Lieber Himmel, was geschah mit ihr? Einen Augenblick zuvor war sie noch bis auf die Knochen durchgefroren gewesen. Jetzt stand ihre Haut in hellen Flammen. Und das war nichts im Vergleich zu dem Feuer in ihrem Innern. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er flüssig und ohne Knochen. Das Blut, das durch ihre Adern floss, war wie ein Feuerstrom.

Sie schien nicht mehr atmen zu können. Die Kehle wurde ihr eng, während sie von Gefühlen überwältigt wurde, wie sie sie nie zuvor gekannt hatte. Tief in ihr zog sich etwas wie eine Faust zusammen. Ein seltsames Sehnen ergriff sie, bei diesem Mann zu liegen und sich von ihm küssen und berühren zu lassen. Er sollte mit ihr machen, was er wollte.

Ach, wenn sie nur wüsste, was mit ihr geschah! Plötzlich hatte sie schreckliche Angst vor diesen seltsamen neuen Gefühlen. Sie schrie auf und stieß ihn von sich.

„Nein. Halt. Ich kann nicht mehr denken.“

Er hob den Kopf, holte tief Luft und kämpfte um seine Beherrschung. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas so Süßes wie ihre Lippen gekostet.

„Du … gehst zu weit, Morgan McLarin. Du nutzt die Situation aus.“

„Tue ich das?“ Immer noch tobte das Verlangen in ihm und ließ ihn seine Worte sorglos wählen. „Die Art, wie du darauf geantwortet hast, ließ mich glauben, wir beide wollten das Gleiche.“

Wie recht er doch hatte. Sie hob das Kinn, um ihre Verlegenheit zu überspielen, zog das Fell enger um sich und hielt es mit beiden Händen fest. „Nun, da hast du dich getäuscht. Du … hast mich nur in einem schwachen Augenblick erwischt. Und ich wünsche, dass es nicht noch einmal passiert.“

„Aye. Ich werde daran denken.“ Sie sah so klein und wütend und so … verlockend aus. Er konnte nicht anders, als sie an sich zu ziehen und die Finger in das Fell um ihren Hals zu graben. Das Gesicht nur wenige Zoll von dem ihren entfernt, sah er ihr lächelnd in die Augen. „Bevor ich Euch das nächste Mal küsse, werde ich Euch bestimmt um Eure Erlaubnis fragen, meine Dame. Ist es das, was Ihr möchtet?“

„Was ich möchte …“ Zu viele widersprechende Gefühle wirbelten ihr durch den Kopf. Sie war wütend und verwirrt, und vor allem war sie zutiefst erregt. Und diese Tatsache ängstigte sie am meisten. „Ich möchte vor allem, dass du dein Feuer unter Kontrolle bringst, Morgan McLarin.“

Mit einem kräftigen Stoß schubste sie ihn von sich. Das Gras am Ufer des Flusses war glitschig. Der Stoß traf ihn unerwartet, und Morgan kämpfte, um nicht zu fallen. Doch er rutschte aus, taumelte rückwärts und landete mit lautem Platschen im Wasser.

Während er eine ganze Reihe wütender Flüche ausstieß, drehte Lindsay sich um und rannte zur Hütte. An der Tür blickte sie noch einmal über die Schulter. Es war ihm gelungen, sich aufzurichten und das Ufer hinaufzuklettern. Jetzt trug er das Plaid nicht mehr lässig über die Schulter geworfen. Stattdessen klebte es ihm am Körper, und bei jedem Schritt liefen Bäche von Wasser heraus.

Morgan hinkte und hielt sich den Arm, als hätte er Schmerzen. Sofort hatte Lindsay ein schlechtes Gewissen, denn sie wusste, wie ernst seine kürzlich erhaltenen Wunden waren. Doch dann reckte sie das Kinn und trat durch die Tür. Keine Sekunde lang würde sie ihr Mitleid an Morgan McLarin verschwenden.

Ein Mann, der es fertigbrachte, dass sie sich wie eine wollüstige Frau fühlte, war sicher auch fähig, sich um sich selbst zu kümmern.

„Du warst schon früh auf, Lindsay“, sagte ihr Vater einige Zeit später. Er saß am Tisch und aß seine Hafergrütze.

„Aye.“ Sie wandte sich ab, um Gwens Schüssel zu füllen.

Auf der anderen Seite des Raums kauerte Morgan vor dem Feuer. Er hatte sich ein Fell von seinem Lager umgewickelt. In einer Ecke hing ein nasses Plaid und tropfte vor sich hin.

Brock kam mit einem Eimer voll Wasser herein. „Das hier habe ich unten am Fluss gefunden.“ Er zog Lindsays Hemd unter dem Mantel hervor.

„Ich … habe es vergessen.“ Sie riss es ihm aus der Hand und wandte sich ab, sah aber noch, dass Morgan den Kopf hob und ihren Blick auffing.

Der alte Mann sah von seiner Tochter zu ihrem Gast. Irgendetwas war zwischen den beiden geschehen, auch wenn er nicht genau wusste, was es war. „Willst du dich nicht zu uns an den Tisch setzen, Morgan?“

Als Morgan sah, dass Lindsays Wangen sich röteten, spürte er, wie sich seine Stimmung hob. Also fühlte sie sich wohl ein wenig schuldig, oder? Er freute sich darüber. Es war eine kleine Revanche für das unerwartete Bad im Fluss.

Er stand auf und hinkte zum Tisch. „Gerne. Mein Appetit wächst mit jedem Tag ein wenig mehr.“ Morgan wusste, dass Lindsay ihn nur ungern bedienen würde, und so bediente er sich selbst und füllte eine Schale mit Hafergrütze, bevor er am Tisch Platz nahm.

Gezwungen, neben ihm zu sitzen, war Lindsay fest entschlossen, ihn so gut wie möglich zu ignorieren. Bewusst wandte sie den Kopf ab und sprach mit ihrem Vater.

„Heywood bot mir dreizehn Goldmünzen für das Pferd.“

„Das Pferd?“ Der alte Mann machte ein finsteres Gesicht. „Du würdest es doch nicht eintauschen, Mädchen, oder? Wo es dir dein Leben so sehr erleichtert.“

„Ich könnte es tun. Aber nicht für dreizehn. Vielleicht würde ich es für dreiundzwanzig tun.“

„Das würde er dir bieten und noch mehr, wenn du noch einen Kuss drauflegst“, sagte Brock lachend.

Wütend fuhr Lindsay zu ihm herum. „Du hältst den Mund.“

Bei ihrer so ungewohnt schlechten Laune wurde der Junge rot und biss sich auf die Lippen.

Lindsay tat es leid, so heftig geworden zu sein. Als sie sah, dass Morgan sie beobachtete, wandte sie sich ab und senkte die Stimme. „Denk doch mal, was man für dieses Gold kaufen könnte, Vater. Zucker zum Beispiel. Genug, um Gebäck und einen mit Brandy getränkten Kuchen backen zu können.“

„Wozu brauchen wir so etwas?“

Ihre Stimme nahm einen weichen, nachdenklichen Klang an. „Bald ist Weihnachten. Ich dachte an all die besonderen Sachen, die Mutter zum heiligen Fest backte. Alle waren dann immer so fröhlich.“ Sie sah über den Tisch hinweg ihre Nichte und ihren Neffen an. „Ich möchte, dass Gwen und Brock sich genauso daran erfreuen, wie ich es als Mädchen tat.“

„Rede keinen Unsinn, Lindsay.“ Der alte Mann schob seine halb leere Schale beiseite. Plötzlich schien ihm der Appetit vergangen zu sein. „Damals war ich ein junger Mann und Anführer eines großen Clans. Aber diese Tage sind vorbei. Und eine solche Zeit werden wir nie mehr erleben.“

„Aber das Gold …“

„Vergiss das Gold.“ Er erhob sich und schob in seinem Zorn den Stuhl so heftig zurück, dass der beinahe umfiel. „Seit Jahren musst du nun schon zum Dorf laufen und bist die meiste Zeit des Tages unterwegs. Denk doch an all die langen, einsamen Winternächte, in denen du fast erfroren wärst, bevor du nach Hause kamst. Jetzt hast du ein Pferd, und du machst deine Wege in der halben Zeit. Ist das ist nicht viel mehr wert?“

Bevor sie etwas erwidern konnte, schüttelte er den Kopf. „Heywood weiß, dass das Pferd doppelt so viel wert ist, wie er dir dafür bietet. Mag sein, dass du dich über Brock geärgert hast, aber der Bursche hat recht.

Wir alle wissen, dass es nicht das Pferd ist, was Heywood will.“

Während er durch den Raum humpelte, war Lindsay flammend rot geworden. Wortlos sammelte sie das Geschirr ein und begann es abzuwaschen. Als sie damit fertig war, griff sie nach ihrem schäbigen Umhang und zog die Kapuze über den Kopf.

„Wo gehst du hin?“, fragte ihr Vater.

„Ich hörte etwas von einem Scharmützel in Glen Lowe. Vielleicht finde ich dort ein paar Kleidungsstücke.“ Sie warf einen Blick zu Morgan. „Vielleicht sogar einen sauberen Kittel für unseren Gast, damit mich der Anblick all dieser Narben nicht mehr beleidigt.“

Schweigend sah er sie an, was ihren Zorn nur noch mehr entfachte. „Ich hoffe, auch Waffen zu finden, die ich eintauschen kann.“ Als sie durch die offene Tür trat, fügte sie noch hinzu: „Wer weiß, vielleicht finde ich auch noch ein Pferd. Und dann kann ich beides haben: Ein Transportmittel und Zucker für unser Weihnachtsfest.“

Erstaunt über ihren Ausbruch humpelte ihr Vater nach draußen und blickte ihr hinterher. Minutenlang hörten sie den Klang von Hufschlägen. Danach war nur noch Stille.

Morgan sah über den Tisch hinweg Brock an. „Wer ist Heywood?“

„Heywood Drummond.“ Er spuckte den Namen aus, als würde er vergiftet. Wie sein Großvater, schob auch der Junge seine Schale beiseite, ohne seine Hafergrütze aufzuessen. Ein Zeichen, dass ihn etwas bekümmerte.

„Ist er ein reicher Mann?“

„Aye. Der reichste Mann im Dorf. Aber seine Frau ist tot. Einige sagen, dass sie durch seine Hand starb. Und er lässt klar erkennen, dass er um Lindsays Hand anhalten will, damit sie an Weihnachten heiraten können.

Das ist der einzige Tag, an dem ein Priester in unser Dorf kommt. Wenn sie nicht einwilligt, muss er noch ein weiteres Jahr warten, bis der Priester wiederkommt.“

„Und ist …“, mit einem Mal hatte Morgan eine trockene Kehle, „… ist eure Tante seinem Angebot geneigt?“

Gwen fing zu kichern an, und bald stimmte Brock in ihr Glucksen ein. „Lindsay sagte einmal, Heywood würde wie eine Kröte aussehen.“

Morgan entspannte sich wieder und nippte an seinem Becher. „Sein Reichtum lockt sie also nicht?“

Während Gwen immer noch weiterlachte, bemerkte Morgan einen seltsamen Ausdruck in Brocks Augen, der jedoch verschwand, als er schnell blinzelte. Selbst die Stimme des Burschen verriet das Unbehagen, das in den dunklen Ecken seines Bewusstseins lauerte.

„Ja, natürlich spielt sein Reichtum eine Rolle. Der Winter ist für Großvater immer eine harte Zeit. Bald wird ihn wieder der Fluch des Hustens quälen, und er wird nicht fähig sein, die Leiter zu seiner Lagerstatt hinaufzuklettern. Jeden Winter wird der Husten schlimmer. Ich hörte Lindsay sagen, dass Heywood ein schönes großes Haus besitzt, und ein Feuer, das nie erlöscht.“

Als er den Zweifel sah, der in den Augen seiner Schwester erwachte, zwang er sich, seiner Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. „Aber vielleicht findet Lindsay ja auch noch mehr Schätze, mit denen sie Tauschhandel betreiben kann.“ Er stand vom Tisch auf. „Vielleicht geschieht zu Weihnachten auch ein Wunder.“

„Oh, Brock. Glaubst du?“ Das kleine Mädchen bekam vor Aufregung große Augen.

Der Junge zuckte die Achseln und wandte sich ab. Er hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie skeptisch er war. „Du weißt doch, was Lindsay uns immer sagt. Harte Arbeit und genug Beten kann uns alles verschaffen, was wir uns wünschen.“

Das kleine Mädchen faltete die Hände und schloss dabei die Augen.

„Los, komm, Gwen“, rief Brock gereizt. „Wir müssen unsere Hausarbeit tun.“

„Ja. Und ich will sie auch tun. Jede Hausarbeit. Aber zuerst möchte ich inständiger beten als je zuvor.“

Brock verdrehte die Augen und nahm seine Schwester dann bei der Hand. „Wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind, wird dafür noch genug Zeit sein.“

Als die beiden gegangen waren, saß Morgan allein am Tisch und nippte an seinem Becher. Ohne Heywood Drummond je getroffen zu haben, verachtete er den Mann bereits jetzt. Er wusste, dass es Eifersucht war. Das Gefühl war ihm fremd gewesen – bis er Lindsay Douglas kennenlernte. Und jetzt verspürte er es umso stärker. Er verachtete den Mann nicht nur, weil er um Lindsay werben wollte, auch wenn das allein schon Grund genug war. Doch viel schlimmer war, dass dieser Mann seinen Reichtum und seine Macht benutzte, um eine hilflose Frau einzuschüchtern. Eine Frau, die so viel mehr vom Leben verdient hätte. Mit tyrannischen Menschen konnte Morgan nichts anfangen.

Er stand auf und begann, auf und ab zu gehen, bis der Schmerz ihn zwang, sich wieder hinzusetzen. Müde rieb er sich die Schulter und verabscheute seine Schwäche. Noch etwas, was ihm bisher fremd gewesen war. Doch Schmerzen konnte er aushalten. Sie waren ein fester Bestandteil seines Kriegerdaseins. Und so konzentrierte er sich auf den Schmerz und nützte ihn, um seine Energie anzufeuern.

Zähneknirschend zog er sich hoch und wartete, bis der Schwindel vergangen war. Dann ging er zur Tür. Vielleicht konnte er noch keinen Hirsch jagen, aber gewiss doch kleinere Tiere und Fische. Und er könnte Wasser holen und Feuerholz sammeln.

Solange er gezwungen war, hierzubleiben, würde er einen Weg finden, Lindsays Mühen ein wenig zu erleichtern, auf welche Art auch immer. Er war entschlossen, dieser erstaunlichen kleinen Frau zu helfen, den rauen Hochlandwinter zu überleben. Und dafür zu sorgen, dass sie Heywood Drummond nicht brauchen würde.

5. KAPITEL

„Was ist das?“ Lindsay betrat die Hütte und sog prüfend die Luft ein, die wunderbar nach frisch gebackenem Brot duftete.

Sie ging zum Herd und fand einen Brotlaib, der dabei war, braun zu werden. Sie lüftete den Deckel eines geschwärzten Topfes, der auf dem Feuer stand. Darin kochten Fleischstücke und Wurzelgemüse in einer verführerisch riechenden Soße.

„Hast du das gemacht, Gwen?“

Das kleine Mädchen, das gerade den Tisch deckte, blickte auf. „Nein. Das war Morgan. Nachdem er und Brock nach seiner Geheimmethode vier Eichhörnchen für unser Abendessen gefangen hatten, zeigte er mir, wie ich sie zubereiten muss.“

„Eine Geheimmethode, Eichhörnchen zu fangen?“ Lindsay ertappte sich bei dem Gedanken, ob er ihr diese Methode wohl auch beibringen würde. „Und das Brot?“

„Morgan sagte, seine Mutter lehrte ihn, wie man es backt. Und jetzt hat er es mich gelehrt.“

Lindsay hätte vor Erleichterung weinen mögen. Niedergedrückt von all den Sorgen war sie nach Hause gekommen und hatte sich gefragt, woher sie die Kraft nehmen sollte, jetzt auch noch die Hausarbeit zu erledigen. Plötzlich fühlte sie sich, als wäre ihr eine Last von den Schultern genommen worden. „Wo ist Morgan?“

„Am Fluss. Er bringt Brock bei, wie man Häute zum Gerben vorbereitet. Soll ich die beiden holen?“

Lindsay schüttelte den Kopf. „Du kannst das hier fertig machen. Ich werde gehen.“

Sie lächelte beim Anblick ihres Vaters, der friedlich vor dem Feuer schlief, dann trat sie nach draußen und ging im schwindenden Licht des Tages zum Flussufer hinunter. Der Mann und der Junge knieten Seite an Seite. Die Felle hatten sie über einen flachen Felsen ausgebreitet.

Da Lindsay wusste, dass die beiden sie noch nicht entdeckt hatten, stand sie einen Moment lang da, beobachtete sie und hörte zu. Wieder trug Morgan das Plaid als einzige Kleidung. Er hatte es sich um die Taille gewickelt, sodass es ihm halb über die muskulösen Schenkel reichte. Das andere Ende hatte er sich über die Schulter geworfen. Auch wenn der Stoff ihn züchtig bedeckte, ließ er doch viel muskulöse Haut sehen, die bei Lindsay wieder die seltsamsten Gefühle und wirrsten Gedanken hervorrief.

„Ein Krieger lernt, nichts zu verschwenden, Junge. Das Fleisch, selbst wenn es nur wenig ist, kann dich während einer langen Belagerung am Leben erhalten. Mit Därmen, an jeder Seite zugebunden, kannst du unter deinem Kittel Flüssigkeiten transportieren. Und die Felle können dir Wärme spenden, besonders dann, wenn der Feind nahe ist und man kein Feuer anzünden kann.“

„Aber wozu sind die hier gut?“ Der Junge deutete auf die Eichhörnchenfelle. „Sie sind zu klein, um zu irgendetwas nütze zu sein.“

„Meinst du? Und wenn man sie aneinandernäht? Ein Dutzend davon können so einen warmen Umhang abgeben. Selbst ein oder zwei kannst du benutzen, um dir Hände oder Füße zu wärmen. In deine Stiefel gesteckt, verhindern sie, dass dir die Füße erfrieren, selbst im Schnee. Und diese kümmerlichen Häute sind mehr als ausreichend für Gwens kleine Hände.“

Sichtlich beeindruckt von dem, was er alles lernte, nickte Brock. Dann sah er auf und entdeckte seine Tante.

„Lindsay. Schau mal, was Morgan mir beibringt.“

„Ich sehe es.“ Unter Morgans Blick wurde ihr warm.

Brock hob eines der Felle hoch. „Meinst du, Gwen würde so etwas gerne tragen?“

„Ja, sie würden sie im Winter warm halten. Und sie wären etwas Besonderes für sie, weil ihr Bruder sie für sie gemacht hätte. Vielleicht als ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk.“

Sie sah, wie seine Augen bei dem Gedanken zu leuchten begannen.

„Jetzt komm.“ Sie legte dem Jungen den Arm um die Schultern. „Es ist Zeit zu essen.“

„Hast du gesehen, was Morgan vorbereitet hat?“, fragte der Junge, während sie zur Hütte gingen.

„Ja, das habe ich.“

„Warst du überrascht?“

„Ja. Es war eine wunderbare Überraschung.“ Sie wandte sich zu dem Mann um, der nur wenige Schritte hinter ihnen ging. „Ich danke dir.“

Er lächelte, und ihr Herz machte einen Sprung.

In der Hütte war ihr Vater schon wach und saß bereits am Tisch. Er knabberte an einem Stück von dem Brot, das Gwen gerade aufschnitt.

Als sie eintraten, blickte er auf. „Wenn du nicht aufpasst, Mädchen, wird dieser Krieger vielleicht noch deinen Platz einnehmen.“

Morgan lachte. „Da würde ich mir keine Sorgen machen, Lindsay. Ich fürchte, das sind die einzigen zwei Dinge, die ich kann: Fleisch kochen und Brot backen.“

„Es reicht, um am Leben zu bleiben“, meinte der alte Mann, während sie am Tisch Platz nahmen.

„Aye.“ Morgan zwinkerte Lindsay zu. „Aber was würde das für ein eintöniges Leben sein, wenn das alles wäre, was wir hätten.“ Er wandte sich an Gordon. „Was mich betrifft, so würde ich die Kochkünste deiner Tochter jederzeit über die meinen stellen.“

Der alte Mann nickte. „Da magst du recht haben, Morgan. In der Tat schätze ich die Kochkünste meiner Tochter mehr als alles Gold von Holyrood House.“

Als Morgan die Brauen hob, wurde der alte Mann rot und fügte hinzu: „Nun ja, vielleicht nicht mehr als das ganze Gold. Aber ich stelle meine Lindsay über die Königin.“

„Nun, darüber werde ich mit dir nicht streiten, Gordon.“

Die beiden Männer tauschten ein wissendes Lächeln.

Während die Platte herumging und sie sich die Teller füllten, ließ Lindsay den Blick über ihre Familie schweifen und wunderte sich, dass alle so guter Laune waren. Dank Morgan McLarin hatten sie genug zu essen, um sich auch noch am nächsten Tag die Mägen zu füllen. Und er hatte sogar noch etwas viel Wichtigeres bewirkt: dass ihr Vater wieder einen Grund hatte zu lächeln.

Nach dem Abendessen setzten die beiden Männer sich ans Feuer und tranken ihr Bier, während Lindsay und Gwen den Abwasch machten. Als die Dunkelheit sich über das Land gelegt hatte, kletterten die Kinder und ihr Großvater über die Leiter in den Schlafraum.

Lindsay nahm ihre Flickarbeit und machte es sich vor dem Feuer bequem. Als sie aufblickte, sah sie, dass Morgan sich die Schulter rieb.

„Hast du Schmerzen?“

„Nur ein wenig.“ Er versuchte zu lächeln, aber sie konnte die Wahrheit in seinen Augen lesen.

„Du hast heute zu viel gearbeitet. Gejagt, Felle abgezogen, gekocht und gebacken. Gerade bist du erst dem Tod von der Schippe gesprungen, Morgan McLarin. Du solltest ruhen, nicht arbeiten.“

„Ich halte es nicht aus, so untätig zu sein. Außerdem werde ich mich morgen früh wieder besser fühlen.“

„Aber nur dann, wenn du dich von mir mit meiner Salbe einreiben lässt.“ Sie legte ihre Flickarbeit beiseite und verließ den Raum. Minuten später kehrte sie mit einem Korb getrockneter Kräuter zurück und warf ein Fell auf den Fußboden.

„Du musst deine Schulter entblößen und dich hier vor das Feuer legen“, sagte sie.

Er wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos war. Also tat er, worum sie ihn bat. Er nahm sein Gewand von der Schulter, knotete es sich um die Taille und legte sich, das Gesicht nach unten, auf das Fell.

Lindsay kniete sich neben ihn und begann, ein wenig von der Salbe auf seiner Haut zu verreiben. Bei der ersten Berührung spürte sie, wie eine warme Welle in ihr hochstieg. Sie mahnte sich, nicht den Mann in ihm zu sehen, sondern nur den verwundeten Krieger, den sie damals gefunden hatte.

Aber sie merkte, dass das nicht länger möglich war. Sie konnte nicht vergessen, dass er sie geküsst und Gefühle in ihr geweckt hatte, von denen sie bisher nichts wusste. Und sie gestand sich ein, dass sie so etwas Wunderbares auch gar nicht vergessen wollte.

Während ihre Finger sein Fleisch kneteten, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein Seufzer über die Lippen kam. „Oh Lindsay, du hast Hände wie ein Engel.“

„Vielleicht bereust du diese Worte schon bald.“ Trotz des Aufruhrs in ihrem Innern musste sie lachen. „Denn man sagte mir, dass es zuerst brennt, bevor es dann die Schmerzen lindert.“

„Es ist mir gleich, was die Salbe macht. Aber deine Finger auf meiner Haut zu spüren ist das Schönste, was ich je kennengelernt habe.“

Sie wurde still und fragte sich, ob er ihre Gedanken lesen konnte. Gerade hatte sie genau das Gleiche gedacht. Seine harten Muskeln unter ihren Fingerspitzen zu fühlen war etwas, das sich mit nichts vergleichen ließ, was sie je erlebt hatte. Sie hätte ihn gerne überall berührt. Und, um die Wahrheit zu sagen, sie hätte auch gerne gehabt, dass er es bei ihr tat.

„Was ist, Lindsay? Warum hörst du auf?“ Er rollte sich herum und sah ihre geröteten Wangen. Sofort kniete er sich vor sie hin und nahm ihre Hände in die seinen. „Es tut mir leid. Ist es der Anblick meiner Kriegswunden? Ich weiß, du findest sie widerwärtig.“

„Nein.“ Weil er sie festhielt, konnte sie nichts weiter tun, als den Kopf zu senken, um ihre Scham zu verbergen. „Ich habe diese Worte im Zorn gesagt. Aber es war eine Lüge. Deine Wunden finde ich nicht widerwärtig, Morgan. Eigentlich finde ich gar nichts widerwärtig an dir.“ Sie hob den Kopf, und Tränen glänzten in ihren Augen. „Ach Morgan, es tut mir so leid, dass ich so etwas Abscheuliches sagte.“

„Still jetzt.“ Ihr Eingeständnis wärmte sein Herz, und er zog sie in die Arme und bettete sie an seine Brust. „Du musst nichts bereuen, meine liebe Dame. Im Zorn sagen wir alle Sachen, die wir nicht wirklich so meinen.“

Sie stieß einen leisen Seufzer aus. „Wenn du mich ‚Dame‘ nennst, fühle ich mich wie jemand, der fein und etwas Besonderes ist.“

„Du bist etwas Besonderes, Lindsay.“ Er presste die Lippen in ihr Haar. „Für mich bist du etwas ganz Besonderes.“

Eine heiße Welle schoss durch ihre Adern, als seine großen Hände über ihre Schultern und den Rücken glitten. Überall dort, wo er sie anfasste, konnte sie kleine Funken spüren, die tief in ihrem Innern ein Feuer entzündeten. Ein Feuer, das sich ausbreitete, wuchs, bis sie fürchtete, bald in Flammen aufzugehen.

Sie wollte ihn auch so berühren, wollte ihm mit den Händen über die nackte Brust streichen, über seinen Hals, die Arme entlang und über die Schultern. Aber sie hatte Angst. Und sie war zu scheu. So kniete sie nur da, steif und starr. Und sie fürchtete, dass ihre Knochen wie feines Glas zerspringen könnten, wenn sie sich jetzt bewegte.

„Ich werde wieder …“, er nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr mit solcher Eindringlichkeit in die Augen, dass ein ängstlicher Schauer sie durchfuhr, „deinen Zorn riskieren müssen?“

„Meinen Zorn?“

Sein Lächeln wirkte amüsiert, aber auch bedrohlich. „Ich werde dich wieder küssen.“

„Ja. Das ahne ich. Ich nehme es dir nicht übel, Morgan.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Gut zu wissen.“

Und als er dann den Kopf senkte und Lindsay mit solcher Zärtlichkeit, solcher Süße küsste, dass sie ihr Herz in der Brust flattern spürte wie einen gefangenen Vogel, wurde jedes Wort überflüssig. Den Mund immer noch auf dem ihren, zog er sie fester an sich. Es schien das Natürlichste der Welt zu sein, ihm die Arme um den Hals zu schlingen und sich an ihn zu schmiegen, während der Kuss nicht zu enden schien.

Der Boden unter ihr schien sich tatsächlich zu neigen. Hinter den geschlossenen Augen sah sie heitere Farben. Draußen wurde das Zwitschern eines Nachtvogels zu einem wunderschönen Liebeslied. Das Zischen und Knistern des Feuers schien zu verklingen, wie auch das Schnarchen ihres Vaters oben im Hängeboden. Tatsächlich war die ganze Welt mit einem Mal wie versunken. Sie war allein im Universum, allein mit diesem Mann. Verloren im Wunder seines Kusses.

Als Morgan endlich den Kopf hob, sog er tief die Luft ein und hielt Lindsay ein wenig von sich.

Lindsay hielt die Augen noch einen Moment geschlossen, bevor sie sie zitternd öffnete. „Warum …“ Sie rang um Atem. „Warum hörst du auf?“

Sie war so offen. So ehrlich. An ihren geröteten Wangen und der Verwirrung in ihren Augen konnte er erkennen, dass er sie überrumpelt hatte und zu weit gegangen war. Sie war noch unschuldig, und er hatte die Situation ausgenützt. „Du brauchst deinen Schlaf, Lindsay. Und ich …“ Er stand auf und zog sie mit sich hoch. „Ich brauche einen Spaziergang.“

„Einen Spaziergang? Aber es ist dunkel draußen. Und kalt.“

„Aye.“ Seine Stimme klang ungewöhnlich barsch. „Genau das ist es, was ich jetzt brauche.“

„Aber ich möchte, dass du mich wieder küsst.“

Er war nahe daran, gequält aufzustöhnen, als er sie jetzt umdrehte und in Richtung Leiter schob. „Geh jetzt zu Bett. Und lass mich etwas Luft schöpfen.“

Sprachlos und verwirrt durchquerte Lindsay langsam den Raum. Am Fuß der Leiter blieb sie stehen und drehte sich um.

Morgan nahm das Fell vom Boden auf und warf es sich um die Schultern. Dann schritt er zur Tür. Ohne einen Blick zurück ging er hinaus.

Enttäuscht ließ Lindsay sich auf die unterste Sprosse sinken und stützte das Kinn in die Hand. Was hatte sie falsch gemacht? Lag es an der Art, wie sie ihn geküsst hatte? Oder vielleicht auch daran, dass sie ihn nicht so angefasst hatte wie er sie?

Ach, wenn sie nur mehr über diese Dinge wüsste. Aber der Kampf ums Überleben ließ ihr wenig Zeit für anderes, wie zum Beispiel für die Kunst des Werbens.

Das Werben. Sie krauste die Stirn noch mehr. Sie wusste, was Männer und Frauen danach taten. Sie vereinigten sich. Aber das ist nicht dasselbe, dachte sie. Was sie so von dem mitbekommen hatte, was andere Frauen untereinander flüsterten, schien die Vereinigung nie etwas Angenehmes zu sein, sondern eher etwas, das eine Frau hinnehmen musste, damit sie versorgt war. Und ihrer Beobachtung nach nahmen sich die meisten Frauen im Hochland aus praktischen Gründen einen Ehemann. Es war der Mann, der jagte, der sich um Nahrung und Unterkunft kümmerte und die Frau vor den Angriffen der Fremden schützte.

Lindsay dachte dabei an Heywood Drummond, der klar zu erkennen gegeben hatte, dass er sie zur Ehefrau wünschte. Doch es gab Gerüchte, er habe seine erste Frau ins Grab geprügelt. Weil sie Anzeichen seiner Grausamkeit gesehen hatte, war es Lindsay bis jetzt gelungen, ihn auf Abstand zu halten.

Morgan McLarin war da ganz anders. Er ähnelte keinem Mann, den sie je getroffen hatte. Stark, wie ein Krieger nur sein konnte. Und doch liebevoll im Umgang mit ihr und ihrer Familie. Wenn er sie berührte, ertappte sie sich dabei, dass sie an die seltsamsten Dinge dachte: bei ihm zu liegen und zuzulassen, dass er sie überall küsste. Selbst zuzulassen, dass er sich mit ihr vereinigte, auch wenn das sicher grässlich war, davon war sie überzeugt.

Würde es das wirklich sein?

Sie schloss die Augen und stöhnte auf bei all den Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen. Was für eine Närrin musste sie in Morgans Augen sein! Was für eine törichte, nutzlose Närrin.

Morgan ging durch den Wald zum Flussufer hinunter, blieb stehen und sah zum mitternächtlichen Himmel hinauf. Er hatte sich heute bis an seine Grenzen gefordert, und jetzt fühlte er sich schwach, und alles tat ihm weh. Eigentlich hätte er wie ein kleines Kind schlafen müssen. Stattdessen stand er hier und trug einen Kampf mit sich aus. Und er konnte nicht zur Hütte zurückkehren, bis er sich nicht sicher war, dass Lindsay schlief.

Er begehrte sie. Und dieses Begehren löste einen Schmerz aus, der schlimmer war als der einer jeden Wunde, die er bisher auf dem Schlachtfeld erhalten hatte.

Noch nie hatte er ein so süßes Mädchen gekannt. Ein so unschuldiges. Doch ihre Unschuld war der Grund, warum er jetzt hier draußen stand, statt in der warmen Hütte in ihren Armen zu liegen.

Er hatte kein Recht auf die Unschuld eines Mädchens. Das war die erste Lektion, die er auf den Knien seines Vaters gelernt hatte. Wenn es eines Mannes Aufgabe war, Laird zu sein, musste er den Respekt seines Volkes besitzen. Und das hieß, ein ehrbares Leben zu führen, und zwar nicht nur für eine kurze Zeit, sondern für immer.

Er hatte versucht, nach diesem Ehrenkodex seines Vaters zu leben. Und bis jetzt war er auch noch nie übermäßig in Versuchung gekommen. Doch Lindsay Douglas könnte sich nun als sein Untergang erweisen.

6. KAPITEL

Lindsay kletterte die Leiter hinunter und warf einen Blick auf die Matratze in der Ecke. Sie war bereits sorgfältig zusammengelegt und beiseitegeräumt worden. Der Anblick ließ ihr das Herz vor plötzlicher Furcht stocken. Sie wandte sich ab und begann, die morgendliche Hafergrütze zuzubereiten.

Wenig später kamen Brock und Gwen heruntergeeilt. Sie zitterten in der morgendlichen Kälte und zogen sich rasch vor dem Feuer an.

„Wo ist Morgan?“, fragte der Junge.

Lindsay zuckte die Achseln. „Vielleicht auf und davon.“ Nicht, dass sie es ihm übel genommen hätte. Auch wenn sie sich diesem Gedanken nicht gerne stellte, musste sie ehrlich zu sich sein. „Jetzt, da seine Wunden heilen, wird er Leute seiner Art sehen wollen, Brock. Krieger, mit denen er in den nahe gelegenen Wirtshäusern trinken kann.“ Bier und Frauen. Die Vorstellung machte ihr plötzlich das Herz schwer. Vielleicht hatte sie ihn mit ihrer närrischen Unwissenheit fortgetrieben. Was brauchte er eine Frau, die sich nicht wie eine Frau zu benehmen wusste? Warum sollte er sich wünschen, Teil dieses erbärmlichen Lebens zu sein?

„Ohne ein Wort soll er gegangen sein?“ Der Junge schüttelte entschieden den Kopf. „Das würde Morgan nicht tun.“

Lindsay sah zu ihrem Neffen hinüber. „Du bist also Morgan McLarins Fürsprecher geworden?“

„Aye. Ich kenne ihn, Lindsay. Er würde nicht einfach fortgehen.“

Sie entschied, dass es wohl das Beste war, dem Jungen die Illusionen zu nehmen. „Ein welterfahrener Mann wie Morgan McLarin, der sogar in Edinburgh war und die Königin gesehen hat, gehört nicht in so eine armselige Hütte.“

„Was höre ich da?“, donnerte von oben die Stimme ihre Vaters. „Ich will nicht, dass du so über unser Heim sprichst.“ Steifbeinig kletterte er die Leiter herunter.

Beschämt darüber, dass sie einem so unwürdigen Gedanken ihre Stimme geliehen hatte, senkte Lindsay den Kopf.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Morgan trat mit einem Arm voll Feuerholz ein.

„Siehst du?“ Brocks Stimme war voller Triumph. „Ich wusste doch, dass er nicht gehen würde, ohne auf Wiedersehen zu sagen.“

„Wer geht?“ Morgan stapelte das Holz neben der Feuerstelle, richtete sich dann auf und wischte die Hände am Plaid ab.

„Lindsay glaubte, du hättest uns verlassen.“

Als er zu ihr hinübersah, bemerkte er, dass sie sich jäh abwandte. Aber nicht so schnell, dass er die Röte auf ihren Wangen nicht gesehen hätte.

„Ich gehe nirgendwohin, Brock.“ Er zauste dem Jungen die Haare, bevor er zum Tisch trat. „Jedenfalls nicht, bevor ich nicht noch eine Gelegenheit bekomme, die Kochkunst deiner Tante zu genießen.“

Lindsay füllte die Schalen mit Haferbrei und stellte eine vor ihn hin. „Du solltest bei der Kälte nicht draußen im Wald Holz schlagen.“

„Warum nicht?“ Er sah mit einem Lächeln auf.

„Weil deine Wunden noch nicht verheilt sind. Erst gestern Abend hast du mir gesagt, du hättest Schmerzen.“

„Ja. Hatte ich, bevor du mich mit deiner Heilsalbe eingerieben hast. Heute Morgen sind die Schmerzen fort.“

„Wirklich?“

Er nickte und sah, wie das Lächeln in ihre Augen zurückkehrte.

Die anderen nahmen ihre Plätze am Tisch ein und aßen.

„Wohin gehst du heute, Mädchen?“ Ihr Vater wischte mit einem Stück Brot den Rest des Haferbreis aus.

„Ich muss ins Dorf und der Witwe Chisholm etwas von meiner Salbe bringen. Und dann reite ich über die Hochwiese, um nach Wild zu suchen.“

„Wenn du deinen Bogen und deine Pfeile hierlassen würdest, könnte ich Brock zum Jagen mit in den Wald nehmen“, erklärte Morgan, an Lindsay gewandt.

„Aber deine Schulter …“

Er legte seine Hand auf die ihre, und sie verstummte. „Ich bin stark genug, einen Bogen zu spannen, Lindsay. Und man hat mir beigebracht, ein wahres Ziel zu haben.“

Sie errötete und bemerkte, dass die anderen sie beobachteten.

Hastig senkte sie den Kopf und wich seinem Blick aus. „Ich nehme meinen Dolch. Du kannst Bogen und Pfeile haben. Aber du darfst diese Wunde nicht zu sehr belasten, oder sie wird wieder bluten.“

Er lächelte verschmitzt. „Ich werde daran denken.“

Von seinem Platz am Tisch sah Gordon Douglas zu und lauschte. Er war verblüfft, wie sich seine Tochter vor seinen Augen veränderte. Und dieser dreiste junge Krieger auch. Sie fühlten sich zueinander hingezogen, das war nicht zu leugnen.

Er wurde an einen anderen Krieger erinnert, der sein Herz an ein reizendes Mädchen mit feurig leuchtenden Haaren und lachenden grünen Augen verloren hatte. Immer, wenn er Lindsay ansah, sah er ihre Mutter in ihr. Deshalb konnte er gut verstehen, warum Morgan McLarin verzaubert war. Vor so vielen Jahren war ihm das Gleiche passiert. Und bis zu diesem Tag hatte sein Herz den Verlust seiner über alles geliebten Frau nicht verwunden.

„Du hättest es sehen sollen, Lindsay.“ Brocks Augen leuchteten vor Freude, als die Familie sich an diesem Abend hinsetzte, um frisches Wildbret zu genießen. „Morgan hat mir gezeigt, wie man die Fährten auf dem Boden liest. Allein aus den Abdrücken kann er den Unterschied zwischen einem Reh und einem Hirsch herauslesen, und wie groß das Rudel ist. Wir sind den Spuren des Rudels gefolgt und fanden es in einem kleinen Tal. Morgan hat gesagt, dass ein Jäger Geduld haben muss. Deshalb versteckten wir uns hinter einem Baum, bis der Hirsch den Kopf senkte, um zu fressen. Und dann zielte Morgan und erlegte ihn mit einem einzigen Pfeil.“

„Ich wäre so gern dabei gewesen“, sagte Gwen zwischen zwei Bissen.

Morgan wandte sich ihr mit einem raschen Lächeln zu. „Das nächste Mal nehme ich dich auch mit, Gwen.“

„Wirklich?“ Das kleine Mädchen strahlte über das ganze Gesicht, während sie zuende aß.

„Wie war dein Tag, Mädchen?“ Douglas hob fragend die Braue zu seiner Tochter hin, die seit ihrer Rückkehr aus dem Dorf seltsam still war. „Hast du der Witwe Chisholm deine Salbe gegeben?“

„Ja. Und sie war so dankbar, dass sie darauf bestand, mir ein Nest mit Wachteleiern zu schenken, das sie in den Wiesen gefunden hat. Zwölf Eier lagen darin.“

Der alte Mann lächelte. „Wieder etwas, um damit zu handeln. Was hast du dafür bekommen, Mädchen?“

„Keiner wollte tauschen. Außer Heywood.“

Schlagartig wurden die anderen still, als der Name fiel.

„Was hat er dir gegeben?“, fragte ihr Vater.

Sie starrte auf ihren Teller. Das Essen hatte plötzlich seinen Reiz verloren. „Er sagte, die Witwe Chisholm hätte das Nest vor mehr als einer Woche gefunden und hätte selbst versucht, es bei ihm einzutauschen, bevor sie es mir gab. Er meinte, die Eier wären jetzt wahrscheinlich schon verfault, und dass er mir nicht mehr als ein Hühnerei dafür geben kann.“

„Ein Ei für zwölf?“ Der alte Mann ballte die Hand zur Faust. „Heywood Drummond wird schlimmer als ein Dieb. Er weiß, dass ein harter Winter vor der Tür steht und unsere Not groß ist. Hatte er nichts anderes anzubieten?“

Lindsay erhob sich. Mit leiser Stimme sagte sie zu Gwen: „Kannst du den Abwasch allein erledigen, Kind?“

„Ja, Lindsay. Aber wo willst du hin?“

Sie machte Anstalten, zur Leiter zu gehen. „Ich glaube, ich gehe hinauf in mein Bett.“

Bevor sie den Fuß auf die erste Sprosse setzen konnte, hieb ihr Vater mit der Faust auf den Tisch. „Du gehst nicht, bevor du mir nicht meine Frage beantwortet hast. Hat Heywood dir etwas anderes angeboten?“

Sie hielt inne und nickte. Mit einer Stimme, die so leise war, dass man sie kaum hören konnte, sagte sie: „Er bot mir ein Mutterschaf und seine Jungen an und auch eine Schar Hühner.“

„Schafe und Hühner?“ Der alte Mann sah aus wie vom Donner getroffen. „Nun, das ist ein Schatz, der mehr wert ist als Gold. Bei sorgfältigem Umgang und geschickter Zucht hätten wir bald überhaupt keine Sorgen mehr. Warum, in aller Welt, hast du solch ein Angebot abgelehnt?“

„Darum.“ Sie hob den Kopf und erwiderte den ernsten Blick ihres Vaters. „Er will es nur tun, wenn ich in eine förmliche Verlobung einwillige, sodass wir an Heiligabend heiraten können. Und nur, wenn ich zulasse, dass Brock und Gwen in einem Nachbardorf bei einem Bauern angelernt werden, der keine eigenen Kinder hat und Arbeiter braucht.“

Entschieden raffte sie die Röcke und kletterte die Leiter hinauf. Ihr Vater stieß seinen Stuhl zurück, stürmte aus der Hütte und schlug die Tür hinter sich zu.

Morgan ballte die Hände zu Fäusten und wünschte, er könnte dem alten Mann folgen und seinen Zorn abreagieren. Stattdessen wandte er sich an die beiden Kinder, die angstvoll die Gesichter verzogen. In der Hoffnung, sie beruhigen zu können, stand er auf und sammelte das Geschirr ein. Als der Tisch abgeräumt war, füllte er eine Schüssel mit warmem Wasser und fing mit dem Abwasch an. Während er arbeitete, redete er in gelassenem, besänftigendem Ton mit ihnen.

„Ich wurde auch einmal angelernt.“

„Wurdest du?“ Brock sah ihn erstaunt an, während er und seine Schwester näher kamen.

„Aye.“

„Weil du arm warst?“, fragte das Mädchen.

Morgan schüttelte den Kopf und gab jedem von ihnen ein Stück Tuch, damit sie die Teller trockneten, während er spülte. „Ich wollte lernen, ein Krieger zu werden. Und mein Vater erzählte mir, dass der beste Krieger des Hochlands Allistair McLarin sei, ein Verwandter. Also bat ich um die Erlaubnis, von ihm angelernt zu werden, damit ich alles lernte, was er mich lehren konnte.“

„Wie lange bist du bei ihm geblieben?“, fragte Brock mit leiser Stimme.

„Drei Jahre.“

„Drei Jahre“, murmelte Gwen mit einem Anflug von Ehrfurcht.

Wieder sahen die Kinder sich an, bevor Brock fragte: „Hat er dich geschlagen?“

Autor

Ruth Langan
Ruth Langan (auch als Ruth Ryan Langan bekannt) war eine ausgezeichnete Schülerin an der High School, die auf Grund ihrer Leistungen ein volles College – Stipendium bekam. Sie wollte am College ihren Englisch – Abschluss machen. Ihre Pläne veränderten sich auf Grund finanzieller Probleme und sie ging ins Arbeitsleben. Sie...
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Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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Louise Allen
<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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Deborah Simmons
Die ehemalige Journalistin Deborah wurde durch ihre Vorliebe für historische Romane angespornt, selbst Historicals zu schreiben. Ihr erster Roman "Heart's Masquerade" erschien 1989, und seitdem hat sie mehr als 25 Romane und Kurzgeschichten verfasst. Zwei schafften es bis ins Finale der alljährlichen RITA Awards, einer Auszeichnung für besondere Leistungen im...
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