Zu spät für das Glück?

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Grace hält Dr. Harry Shaw, mit dem sie in der Landarztpraxis zusammenarbeitet, für einen Frauenhelden. Dieser Mann ist einfach zu attraktiv und lässt gegen ihren Willen sogar ihr Herz schneller schlagen. Dass sie eine falsche Vorstellung von ihm hatte, erkennt sie fast zu spät ...


  • Erscheinungstag 14.08.2019
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749910
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Willst du damit sagen, Harry Shaw hat tatsächlich angeboten, hier bei uns zu arbeiten?“

Dr. Grace Kennedy sah ihren Partner Miles Farrington verblüfft an. Sie hatten in ihrer Praxis in Ferndale gerade eine ungewöhnlich anstrengende Woche hinter sich und seit Tagen verzweifelt überlegt, wie sie die Krise bewältigen könnten. Zuerst hatte ihre bisherige Aushilfe, ein junger Arzt, ohne Vorwarnung zum Jahresende gekündigt, seinen Resturlaub genommen und sich sofort verabschiedet. Und ein paar Tage später hatte sich auch noch die Krankenschwester der Praxis den Knöchel gebrochen.

Es würde einige Zeit dauern, bis Allison wieder einsatzfähig war. In der Zwischenzeit mussten sie wohl oder übel ohne Krankenschwester über die Runden kommen. Denn es war so gut wie unmöglich, um diese Jahreszeit in einer kleinen Landarztpraxis eine Aushilfe zu finden. Grace hatte ohnehin schon eine ausgesprochen düstere Stimmung. Und jetzt auch noch das!

„Ist das derselbe Harry Shaw, der mal gesagt hat, dass nur Ärzte ohne Ehrgeiz eine Praxis für Allgemeinmedizin aufmachen würden? Das war hoffentlich bloß ein Scherz, Miles.“

„Ich kann mich gar nicht erinnern, dass Harry so etwas über Allgemeinmediziner gesagt hätte …“ Er unterbrach sich, als Grace ihn böse ansah. „Harry wollte dich wahrscheinlich nur ärgern. Du weißt doch, wie er ist. Jedenfalls hat er mich gestern Abend angerufen und gesagt, er sei in der Gegend, und da habe ich ihn zu einem Drink eingeladen. Dabei habe ich nur kurz erwähnt, was für Probleme wir zurzeit haben. Ich war genauso überrascht wie du, als er anbot, bei uns auszuhelfen. Aber du musst zugeben, dass es die ideale Lösung wäre. Er ist ein sehr guter Arzt. Ja, ich weiß, ihr habt euch schon auf der Universität dauernd in den Haaren gelegen …“

„Und wessen Schuld war das?“ Grace ging auf Miles zu und tippte ihm mit dem Finger auf die Brust. „Harry Shaw ist ein egoistischer, eingebildeter Kerl, das sage ich dir. Das Einzige, was er wirklich kann, ist, Frauen in sein Bett zu locken. Und zwar so viele wie möglich.“

„Hm, ja, er war schon immer ein Womanizer.“ Miles lächelte anerkennend, was Grace besonders ärgerte. Er hüstelte verlegen, als er Graces strafenden Blick sah. „Aber du musst doch zugeben, dass Harry von uns allen das beste Examen gemacht hat. Er hatte zwar immer große Pläne, aber er hat seine Ziele auch erreicht. Du hast doch sicher auch seine Karriere in den letzten Jahren verfolgt, oder?“

Grace überhörte die Frage. Tatsächlich hatte sie seinen Weg aufmerksam verfolgt, aber das würde sie nie zugeben. Sie kannte alle Stufen auf Harrys Karriereleiter. Und seine öffentlichen Ämter – Mitglied der Königlichen Ärztegesellschaft, Mitglied des neu gegründeten Beratungskomitees für das öffentliche Gesundheitswesen …

„Und warum will er ausgerechnet bei uns arbeiten?“ Sie warf einen finsteren Blick auf Miles, der zusammenzuckte. „Du weißt doch genau, was hier anliegt, Miles. Wir haben eine schlichte Landarztpraxis, das heißt, keine Privatpatienten, keine VIPs. Was sollte Harry daran reizen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.“

„Das Vergnügen, in deiner Nähe zu sein.“

Grace fuhr herum, als sie die wohlbekannte Stimme hinter sich hörte. Ihr Mund wurde schmal, als sie Harry entdeckte, der lässig am Türpfosten lehnte. Sie hatte ihn längere Zeit nicht gesehen, aber er hatte sich kaum verändert. Seine schwarzen Haare, die blitzenden blauen Augen, sein klassisch geschnittenes Gesicht zogen alle Frauen in seinen Bann. Harry Shaw besaß zweifellos jede Menge Charme. Aber das konnte Grace nicht beeindrucken – sie wusste, wie er wirklich war.

„Soll ich mich etwa geschmeichelt fühlen, weil du uns die Ehre geben willst? So dumm könnte ich nur sein, wenn ich dir vertrauen würde.“ Sie bedachte ihn mit einem kalten, fast verächtlichen Lächeln. Erstaunt sah sie, dass ein schmerzlicher Ausdruck über Harrys Gesicht huschte. Sollte ihre Bemerkung den selbstsicheren Harry Shaw etwa getroffen haben?

„Schön, dass du da bist, Harry“, sagte Miles schnell. „Ich dachte schon, du hättest die Praxis nicht gefunden. Jemandem den Weg zu erklären, war noch nie meine Stärke.“ Er eilte zur Tür und schüttelte Harry demonstrativ herzlich die Hand.

Grace sah Miles anklagend an, als er mit Harry auf sie zuging. „Du hast mir nicht gesagt, dass Harry schon heute Nachmittag herkommt.“

„Habe ich das nicht? Wie nachlässig von mir. Das habe ich glatt vergessen.“ Miles rückte geschäftig einen Stuhl für Harry zurecht. Dann sah er Grace bittend an. „Wir haben das alles noch gar nicht richtig besprochen, aber du weißt doch selbst, wie dringend wir Hilfe brauchen. Ich habe in den letzten Tagen alle Personalagenturen abgeklappert, aber in dieser Jahreszeit ist niemand bereit, herzukommen und den Winter in einem verschlafenen Provinznest zu verbringen.“

„Das heißt also, entweder Harry oder keiner?“, sagte Grace mit zuckersüßer Stimme.

„Nun, so würde ich es nicht ausdrücken.“ Miles war rot geworden.

Harry Shaw dagegen schien von dem Disput der beiden und von Graces Offenheit überhaupt nicht beeindruckt zu sein. „Ihr steckt wohl ganz schön in der Klemme, wie?“ Er schlug Miles kollegial auf die Schulter und lächelte Grace an. „Ihr habt offensichtlich nur die Chance, mich auf eure Patienten loszulassen oder in Arbeit zu ertrinken. Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken, Gracie – aber du hast die Wahl.“

„Nenn mich nicht so“, fauchte Grace. „Du weißt, wie ich blöde Spitznamen hasse.“

„Tut mir leid.“

Es klang nicht so, als ob es ihm tatsächlich leidtäte. Sollte er ruhig annehmen, er hätte ihr eins ausgewischt. Er würde sich noch wundern. Sie lächelte zwar, aber ihre grauen Augen waren kalt wie Gletschereis. „Entschuldigung angenommen. Am besten fangen wir noch einmal von vorn an. Warum hast du Miles angeboten, bei uns auszuhelfen?“

„Mir ist klar geworden, dass ihr dringend Hilfe braucht. Und Miles ist mein Freund.“

Harry schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. Er wartete gespannt auf ihre nächste Attacke. Aber Grace nahm sich Zeit zum Überlegen und betrachtete ihn nachdenklich.

Er war elegant und teuer angezogen, wie immer. Der schwarze, hervorragend geschnittene Anzug war bestimmt nicht von der Stange. Sein blassblaues Hemd und die blau-rot gestreifte Krawatte mussten ein Vermögen gekostet haben. Aber Geld war für Harry nie ein Problem gewesen. Seine Familie war sehr wohlhabend. Für Harry war immer nur das Beste gut genug.

Im Gegensatz zu Harry sah Miles noch ungepflegter aus als sonst. Miles war einfach nicht mehr zur Ruhe gekommen und hatte sein Äußeres vernachlässigt, seit seine Frau Penny ihm gesagt hatte, dass sie wieder schwanger sei. Penny hatte ein Jahr zuvor eine Fehlgeburt erlitten. Jetzt wollten sie jedes Risiko ausschalten. Darum hatte Miles darauf bestanden, dass Penny sich schonte und keine Hausarbeit mehr machte. Das bedeutete allerdings, dass Miles neben seiner Arbeit in der Praxis auch noch weitgehend die häuslichen Arbeiten erledigte. Er stand enorm unter Druck – und das sah man ihm auch an.

Grace wusste, dass Miles sich überanstrengt hatte und völlig erschöpft war. Harrys Unterstützung konnte tatsächlich ihr Personalproblem lösen.

„Wie wär’s mit einem Kaffee?“, fragte Miles. „Ich gehe schnell los und hole welchen.“

„Mach dir meinetwegen keine Umstände“, sagte Harry. „Ich werde später im Hotel zu Abend essen.“

„Oh, das ist keine Mühe. Außerdem hättet ihr beide Gelegenheit, euch auszusprechen und zu einer Einigung zu kommen.“ Miles drehte sich zu Grace um und sah sie beschwörend an. „Sag bitte nicht Nein, bevor du es dir genau überlegt hast.“

Grace schwieg. Einerseits wollte sie Miles nicht aufregen, aber andererseits schätzte sie es gar nicht, sich zu einer Entscheidung drängen zu lassen, die sie vielleicht schon bald bereuen würde.

Sie wartete, bis Miles gegangen war, und wandte sich dann an Harry. „Es wäre für uns tatsächlich eine große Hilfe, wenn du für ein paar Wochen aushilfst. Wie kommt es überhaupt, dass du so frei über deine Zeit verfügen kannst? Vor Kurzem erst war zu lesen, dass du Mitglied im staatlichen Gesundheitskomitee geworden bist. Und außerdem hast du doch deinen Job als Oberarzt im St. Theresa Hospital in London.“

„St. Theresa wird grundlegend renoviert und teilweise umgebaut. Das kann sich über zwei Jahre hinziehen. Das Krankenhaus wird in dieser Zeit natürlich nicht vollständig geschlossen, aber nacheinander die einzelnen Abteilungen.“ Er zuckte die Achseln. „Und jetzt ist meine Abteilung an der Reihe. Daher habe ich ein paar Wochen Sonderurlaub.“

„Wenn du bei uns mitmachen solltest, ist das alles andere als Urlaub.“

„Ach, ich weiß nicht … sagt man nicht, Abwechslung sei so gut wie Erholung?“, grinste er und lehnte sich lässig zurück.

Es war dieses jungenhafte Grinsen, das Frauen dahinschmelzen ließ, wie Grace von früher wusste. Aber sie war gegen Harrys Charme immun. Wenn er glaubte, er könne sie so einfach dazu bewegen, seinem Vorschlag zuzustimmen, hatte er sich geirrt. Bei allem, was Harry tat, verfolgte er in erster Linie seine eigenen Interessen. Und ihr war bisher überhaupt nicht klar, was hinter seinem überraschenden Auftauchen steckte.

„Wenn das dein einziges Argument ist, können wir gleich aufhören, zu diskutieren.“ Sie stand auf.

Harry erhob sich ebenfalls und beugte sich zu ihr hinüber. Sie stellte verwundert fest, dass er sehr ernst aussah. Normalerweise betrachtete Harry das ganze Leben als großen Spaß. „Ich weiß, was du von mir hältst, Grace. Du hast immer deutlich gemacht, dass dir meine Lebensweise nicht gefällt. Aber um ehrlich auf deine Frage zu antworten – ich bin nicht hierhergekommen, um Urlaub zu machen, sondern hatte einen beruflichen Anlass. Aber ein paar Wochen bei euch auszuhelfen, würde meine Pläne in keiner Weise stören.“

Er ließ sich nicht näher über seine Pläne aus. Und Grace fragte nicht nach. Ihr Interesse an Harrys Plänen war begrenzt, solange er ihr nicht in die Quere kam.

„Aha, ich verstehe. Da sie deine Abteilung zurzeit dichtgemacht haben, suchst du eine sinnvolle Beschäftigung.“ Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie ihm nicht glaubte. „So selbstlos kenne ich dich sonst gar nicht, Harry. Nicht viele Menschen wären bereit, ihre Freizeit für einen Job wie diesen hier zu opfern.“

„Ich will nur helfen, das ist alles. Miles hat mir von euren aktuellen Schwierigkeiten erzählt, mit der Aushilfe und eurer Krankenschwester. Du scheinst ja zu glauben, dass du das packst, aber Miles teilt deinen Optimismus offensichtlich nicht. Ehrlich gesagt schien er mir gestern Abend ziemlich am Ende zu sein. Es ist doch klar, dass ihr beide enorm unter Druck steht. Daran solltest du denken, bevor du mein Angebot ablehnst.“

„Du musst mich nicht daran erinnern, dass wir ein großes Problem haben“, giftete sie ihn an. Harry hatte mit seiner Bemerkung einen wunden Punkt bei ihr erwischt. Obwohl Miles und sie gleichermaßen für die Praxis verantwortlich waren, konnte sie nicht übersehen, dass Miles sich auch noch um Penny kümmern musste. Grace dachte nicht zum ersten Mal daran, dass sie sich zum Glück um niemand anders Sorgen zu machen brauchte als um sich selbst. Sie war Single aus Überzeugung. Und zufrieden mit ihrem Leben.

Meistens jedenfalls.

Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Das würde sie nur ablenken und bei ihrer Auseinandersetzung mit Harry hinderlich sein. Sie setzte sich wieder und musterte ihn mit einem Blick, der ihm klarmachen sollte, sie habe alles völlig unter Kontrolle. Aber Harry sah so besorgt aus, dass sie unruhig wurde.

„Ich will nicht mit dir streiten, Grace. Das mag dich überraschen, aber ich bin nur gekommen, weil ich mir ernste Sorgen um Miles mache. Hast du ihn in der letzten Zeit mal richtig angesehen?“

„Was für eine dumme Frage. Ich bin doch jeden Tag mit ihm zusammen.“

„Ich meine, hast du ihn richtig angesehen?“ Harry lehnte sich zurück und musterte sie nachdenklich. Seine Augen hatten etwas Hypnotisierendes, sie konnte nicht wegschauen.

„Ich wusste bisher nicht, dass es verschiedene Arten gibt, jemand anzusehen“, sagte sie barsch.

„Man kann Menschen auf viele unterschiedliche Arten betrachten“, erklärte Harry. „Es hängt davon ab, wer sie sind und ob sie einem wichtig sind oder nicht. Und es kommt auch darauf an, wie lange man den anderen nicht gesehen hat.“ Harry unterbrach sich einen Moment und musterte sie prüfend. „Nehmen wir dich zum Beispiel, Grace. Es muss jetzt ungefähr ein Jahr her sein, dass wir uns zum letzten Mal trafen. Ich stelle fest, dass du heute anders aussiehst als damals. Dein Haar ist kürzer. Die neue Frisur steht dir, obwohl ich dich mit langen Haaren schöner finde. Dein karamellbraunes Haar ist so ungewöhnlich. Außerdem hast du abgenommen. Nicht sehr viel, aber du bist schlanker geworden.“

„Bist du endlich fertig?“ Grace schnitt ihm brüsk das Wort ab. Seine Bemerkungen beunruhigten sie. Zum ersten Mal schien er sie als Frau zu sehen. Und sie war sich ihrer Weiblichkeit lange nicht mehr so bewusst gewesen wie in diesem Moment.

„Du verstehst, was ich meine, ja?“ Harry schien zum Glück ihre Verlegenheit nicht bemerkt zu haben. „Gerade, weil du Miles jeden Tag gesehen hast, sind dir die Veränderungen bei ihm weniger aufgefallen. Ich jedenfalls war geschockt, als ich ihn gestern Abend nach gut einem Jahr wiedersah. Er schien um mindestens fünf Jahre gealtert zu sein.“

„Das letzte Jahr war für Miles alles andere als einfach“, gab Grace zu. Sie seufzte. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als Harry einige Dinge zu erklären. „Ich verrate kein Geheimnis, denn Miles hat selbst nie eins daraus gemacht, dass Penny und er große Probleme hatten“, fuhr sie fort.

„Probleme?“ Harry sah sie verblüfft an. „Doch nicht mit ihrer Ehe?“

Grace war überrascht, dass Harry so besorgt reagierte. „Nein, sie sind sehr glücklich miteinander, aber ihr Glück wäre erst vollkommen, wenn sie eine richtige Familie wären. Leider hatte Penny im letzten Jahr eine Fehlgeburt. Jetzt ist sie wieder schwanger. Und Miles möchte, dass sie jedes Risiko vermeidet. Er verlangt, dass sie sich weitestgehend schont. Deshalb erledigt er alle Arbeiten zu Hause selbst.“

„Nicht einfach, wenn man nebenher noch einen anstrengenden Job hat“, stimmte Harry düster zu. Er seufzte, und sein markantes Gesicht sah ungewohnt traurig aus. „Das ist wirklich ungerecht. So viele Ehen mit Kindern gehen schief. Und hier sind zwei Menschen, die eine Musterehe führen – und die haben solche Probleme.“

„Ich wusste ja gar nicht, dass du so viel von der Ehe hältst, Harry“, wunderte sich Grace.

„Oh, ich bin ein großer Befürworter der Ehe“, erklärte Harry. „Jedenfalls, solange ich nicht selbst vor den Altar gezerrt werde.“

„Das klingt schon mehr nach dem Harry Shaw, den ich kenne.“ Grace verzog sarkastisch den Mund. „Warum solltest du dich mit einer einzigen Frau zufriedengeben, wenn du ein Dutzend haben kannst, wie? Ich frage mich, warum du den Abend hier nutzlos vergeudest, wenn du ihn doch viel angenehmer verbringen könntest.“

„Oh, der Abend ist lang – da ist noch viel Zeit, sich zu vergnügen.“

Seine tiefe Stimme und die Doppeldeutigkeit seiner Worte verursachten ein Kribbeln in Graces Nacken. Sie hatte plötzlich ein allzu deutliches Bild von Harry vor sich, von Harry in den Armen einer Frau. Hastig schüttelte sie den Gedanken ab. Sollte Harry ruhig versuchen, seine kleinen Spielchen mit ihr zu spielen. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun, darauf einzugehen.

„Wie schön für dich“, sagte sie kühl. „Und jetzt entschuldige mich bitte, ich möchte noch mit Miles sprechen, bevor ich meine Entscheidung treffe.“

„Natürlich. Aber denk bitte noch einmal in Ruhe darüber nach, Grace. Es wäre schade, wenn du mein Angebot ablehnst und es dann später bereust.“

Harry wusste nur zu gut, dass es nicht ratsam war, Grace immer wieder herauszufordern, aber sie ging ihm so leicht auf den Leim. Er unterdrückte ein Lächeln und beobachtete ihr Gesicht, das eine ganze Reihe unterschiedlicher Emotionen zeigte. Sie überlegte, ob sie ihn nur ignorieren oder wütend sein sollte. Harry wurde plötzlich klar, dass es ihm viel mehr Spaß machte, mit Grace zu streiten, als mit einigen der Frauen, mit denen er in den vergangenen Monaten zusammen gewesen war, ins Bett zu gehen.

Diese Einsicht kam so überraschend für ihn, dass er froh war, als Grace um ihn herumging und den Raum verließ. Harry trat ans Fenster und blickte nachdenklich hinaus. Er fragte sich, was in ihn gefahren war – schließlich war Grace, seit sie sich das erste Mal in Oxford getroffen hatten, unausstehlich gewesen. Sie hatte nie damit hinterm Berg gehalten, dass sie ihn nicht mochte, und ihn das auch bei jeder Gelegenheit spüren lassen.

Würde es unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich sein, vernünftig zusammenzuarbeiten?

Dabei wäre seine Mitarbeit in der Praxis die ideale Lösung sowohl für Miles’ Probleme als auch für seine eigenen Pläne. Er hatte am Abend zuvor Miles nicht gesagt, warum er tatsächlich in das kleine Städtchen gekommen war. Miles hatte so sehr unter Stress gestanden, dass Harry ihn nicht weiter aufregen wollte. Sonst hätte er ihm erklärt, dass sein Auftauchen mit seiner Arbeit für das Nationale Gesundheitskomitee zusammenhing. Sein Auftrag war, zu untersuchen, wie die organisatorischen und personellen Probleme vieler Landpraxen behoben werden könnten.

Harry hatte in den vergangenen Wochen mit Dutzenden von Landärzten gesprochen. Aber er war nicht zufrieden mit dem, was er bisher erfahren hatte. Viele seiner Gesprächspartner waren nicht sehr auskunftsfreudig gewesen, entweder, weil sie sich keine Blöße geben wollten oder eine Einmischung von oben befürchteten. Eigentlich hatte er auch seinen alten Freund Miles nur ausführlich befragen wollen, aber als Miles ihm von den Schwierigkeiten erzählte, in denen Grace und er steckten, hatte Harry sich überlegt, dass er hier die praktischen Erfahrungen sammeln konnte, die ihm bisher noch fehlten.

Er hatte sich vorgenommen, Grace und Miles an diesem Abend zu erklären, warum er ihnen seine Hilfe anbot. Aber das sollte er jetzt vielleicht besser lassen. Miles würde wahrscheinlich zustimmen, aber Grace würde mit Sicherheit heftig reagieren. Sie würde es als den Versuch eines Außenstehenden ansehen, sich in die Arbeit der Praxis einzumischen. Und das Letzte, was Harry wollte, war, einen Keil zwischen die beiden Partner zu schieben. Das Beste wäre demnach, wenn ich mein Angebot zurückziehe, dachte er resigniert.

„Kannst du einen Krankenwagen anrufen?“ Grace kam ins Zimmer gestürmt. Ein Blick in ihr Gesicht ließ Harry aufschrecken. „Was ist los?“, fragte er, während sie die Türen eines Medizinschranks aufriss und hektisch anfing, etwas zu suchen.

„Miles hat einen Herzanfall!“ Grace versagte die Stimme, und sie biss sich auf die Lippen. Harry bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Die Injektionsspritze, die sie aus dem Schrank nehmen wollte, fiel ihr fast aus der Hand.

Mit zwei Schritten war er bei ihr und nahm ihr die Spritze ab. „Wo sind die Medikamente?“, fragte er hastig.

„Dort, in dem Stahlschrank in der Ecke.“ Grace deutete auf ihren Schreibtisch. „Da liegt der Schlüssel.“

Harry griff nach dem Schlüssel und öffnete den Schrank. „Du rufst den Notarzt an, und ich mache hier weiter.“

„Aber ich …“

„Um Himmels willen, Grace, jetzt keine Diskussion. Bitte tu es einfach.“

Harry kümmerte sich nicht darum, wie sie auf seine Bemerkung reagierte. Dazu hatte er keine Zeit. Fluchtartig verließ er den Raum und lief den Flur entlang. Er fluchte leise, weil er Grace nicht gefragt hatte, wo er Miles finden konnte. Aber die Praxis war nicht groß. Er kam an einer offenen Tür vorbei und sah Miles an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzen.

Harry eilte zu ihm und hockte sich neben ihn. „Was machst du für Sachen, alter Junge?“

Miles legte die Hand auf die Brust und verzog schmerzlich das Gesicht. „Es ging mir schon mal besser“, murmelte er.

Harry schob Miles’ Hemdsärmel hoch und stach die Nadel der Injektionsspritze in die Vene. „So, das wird dir erst einmal helfen.“ Er griff nach Miles’ Handgelenk und fühlte den Puls. Er war beschleunigt, aber stabil.

Harry fuhr fort, Miles auf die üblichen Anzeichen eines Herzanfalls zu untersuchen, wie Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche oder bleiche Hautfarbe. Alle Anzeichen waren bei Miles vorhanden. Deshalb war Harry froh, als Grace hereinkam und ihm zurief, der Krankenwagen müsste gleich da sein.

„Gut. Miles muss sofort ins Krankenhaus“, meinte Harry. Grace, die neben Miles kniete, öffnete den Hemdkragen des Kollegen.

„Der Krankenwagen wird jede Minute hier sein“, sagte Grace, „aber ich fürchte, er fährt in der Dunkelheit vorbei. Unsere Praxis liegt ein Stück abseits von der Straße.“

„Ich gehe hinunter und warte auf ihn.“ Harry eilte zur Tür. „Du bleibst bei Miles.“

„Ja, Harry. Danke für deine Hilfe.“

Das ist das erste Mal, dass in ihrer Stimme so etwas wie Wärme mitklingt, wenn sie mit mir spricht, dachte Harry. Verwundert fragte er sich, warum ihn das plötzlich so in Hochstimmung versetzte.

Er lief aus dem Haus die Zufahrt hinunter bis zur Straße. Es war eine kalte Nacht. Sein Mantel hing noch in Miles’ Arbeitszimmer, aber Harry spürte die Kälte kaum. Er musste an Grace denken. Bisher waren sie wie Hund und Katze miteinander umgegangen. Wie würde es sein, wenn sie vernünftig miteinander redeten und dabei vielleicht mehr Gemeinsamkeiten entdeckten, als sie ahnten? Er spann den Gedanken weiter. Und wenn sie dabei sogar herausfanden, dass sie gut zusammenpassten? Wäre es dann nicht angebracht, die Beziehung zu vertiefen?

Grace war eine attraktive, begehrenswerte Frau, das war ihm immer bewusst gewesen. Er schüttelte verwundert den Kopf. Was war nur in ihn gefahren? Eine Beziehung zwischen Grace und ihm? Eher würde die Hölle einfrieren …

Das Heulen der Sirene unterbrach seine Gedanken. Er winkte dem Fahrer des Krankenwagens zu, in die Einfahrt einzubiegen.

2. KAPITEL

„Warum sagt uns denn keiner, was mit Miles los ist?“

„Sie untersuchen ihn noch, Penny, sei nicht ungeduldig.“ Grace legte tröstend den Arm um Pennys Schulter. Aber das Warten zerrte nicht nur an den Nerven von Miles’ Frau, sondern auch an ihren eigenen. Sie blickte auf die Uhr. Über eine Stunde war es jetzt her, seit sie zusammen mit Miles im Krankenwagen in der Klinik angekommen war. Harry hatte unterdessen mit seinem Wagen Penny von zu Hause abgeholt. Für sie schien es ganz selbstverständlich zu sein, dass er dabei war. Und Grace musste sich eingestehen, dass sie über seine Anwesenheit froh war. Er hatte augenscheinlich eine sehr beruhigende Wirkung auf Penny.

Als die ihn jetzt fragend ansah, nickte er ihr zu. „Grace hat recht. Mach dir keine Sorgen, Penny, Miles ist in guten Händen. Du warst selbst Krankenschwester und weißt, wie lange ein EKG und die anderen Tests dauern.“

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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