Zu spät: Ich liebe dich!

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Es ist nur eine Nacht, die Amy und Jake miteinander verbringen, nachdem sie sich bei einer Taufe zufällig kennen gelernt haben. Aber was für eine! Zärtliche Umarmungen, Begehren, das Erfüllung verlangt, und ihre Herzen im völligen Gleichklang - so kommt es ihnen jedenfalls vor. Und Amy weiß auch, wie man dieses Gefühl nennt, nämlich Liebe. Aber instinktiv spürt sie, dass Jake davon nichts hören will, und deshalb macht sie das einzig Richtige: Am nächsten Morgen ist die Sache vorbei. Und an ihrem Entschluss, Jake zu vergessen, ändert sich auch nichts, als sie bemerkt, dass sie schwanger ist. Denn lieber gar keinen Mann, als einen, der sich zu einer Beziehung gezwungen sieht! Doch dann erfährt Jake über gemeinsame Freunde zufällig von Amys kleinem Geheimnis. Und er, der nie heiraten, nie eine Familie haben wollte, muss jetzt eine Entscheidung fällen...


  • Erscheinungstag 09.12.2012
  • Bandnummer 1496
  • ISBN / Artikelnummer 9783864947261
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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PROLOG

Jake Hallam war hingerissen. Er konnte den Blick nicht von ihr lassen. Sie kam zu spät zur Taufe und war anscheinend in einen der vielen Regenschauer geraten, die das Tal schon den ganzen Tag über heimgesucht hatten. Als sie auf ihn zuging, schien plötzlich die Sonne durch das Fenster der alten Kirche und spiegelte sich in den Tropfen wider, die überall auf dem silbergrauen knöchellangen Samtcape verteilt waren, das sie trug. Sie schob die Kapuze zurück, und die Sonnenstrahlen brachten ihr kurzes blondes Haar zum Leuchten, das Jake irgendwie an eine Elfe erinnerte. In der Hand trug sie einen Strauß Glockenblumen.

Das Baby, das in den Armen seiner Mutter Willow Armstrong lag, begann unruhig zu werden, und die geheimnisvolle Unbekannte beugte sich über das Kind. “Hallo, mein Kleiner.” Ihre Stimme klang verheißungsvoll und sanft, und der Junge lächelte zufrieden.

Dann blickte sie auf und sah Jake an. “Guten Tag. Mein Name ist Amaryllis Jones.” Sie reichte ihm die Hand.

“Amaryllis?”

“Reine Formsache. Jetzt, da wir uns vorgestellt haben, kannst du Amy zu mir sagen.” Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. “Und du bist Jacob Hallam. Willow und Mike haben mir schon viel von dir erzählt.”

“Du kannst mich Jake nennen. Was immer die beiden über mich berichtet haben, ist …”, ihm fiel ein, wo er sich befand, “… bestimmt wahr.”

“Tatsächlich?”, fragte sie spöttisch. “Das wäre ja wirklich eine Überraschung. Die meisten Menschen werden ihrem Ruf nicht gerecht – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.”

Diese Frau löste etwas in ihm aus, über das er nicht länger nachdenken wollte. Jedenfalls nicht hier, in der Kirche, kurz vor Bens Taufe, dessen Pate er werden sollte.

Amaryllis Jones wandte sich ab, gab Willow einen Kuss auf die Wange und entschuldigte sich für ihr Zuspätkommen. “Als ich losfahren wollte, habe ich bei mir im Garten diese Glockenblumen entdeckt. Sie haben die gleiche Farbe wie Bens Augen. Ich musste sie einfach pflücken.”

Jake versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Immerhin waren sie zu einem feierlichen Anlass hier zusammengekommen. Amy nahm Ben auf den Arm, und sie folgten dem Pfarrer nach vorn. Hatte denn niemand gemerkt, dass zwischen ihm, Jake, und Amy ein glühender Funke übergesprungen war? Ein Versprechen auf heiße … Nein, Schluss damit! Nicht jetzt, später. Vielleicht hatte er sich ja auch geirrt und nur zu viel Fantasie.

In diesem Moment blickte Amy auf. Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Ihre Augen waren nicht blau, sondern grün und tief wie ein Ozean. Er glaubte, in ihnen ertrinken zu müssen. So hatte er noch nie zuvor empfunden. Diese Frau brachte ihn völlig durcheinander. Lauf, bevor es zu spät ist, sagte eine innere Stimme, aber er ignorierte die Warnung. Er hatte versprochen, Bens Pate zu sein, und nichts würde ihn davon abhalten. Flucht kam nicht infrage.

Den ganzen Gottesdienst über lenkte ihn der Duft der Glockenblumen ab, die Amy mitgebracht hatte. Er verwirrte seine Sinne, und es wurde auch nicht besser, als sie nach der Zeremonie in Willows und Mikes Haus mit Champagner auf Bens Gesundheit und Glück anstießen. Amaryllis Jones war allgegenwärtig. Sie schien ihn förmlich zu beherrschen und ihm den Kopf zu verdrehen. Irgendwie gelang es ihm, ihr so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Er wollte gar nicht wissen, was geschehen wäre, wenn sie ihn berührt hätte. Wahrscheinlich wäre er in Flammen aufgegangen oder hätte sich in etwas Fürchterliches verwandelt. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis die letzten Fotos aufgenommen worden waren und er, ohne allzu großes Aufsehen zu erregen, die Flucht ergreifen konnte.

Nur leider schien Ms Jones die gleiche Idee gehabt zu haben, denn sie gingen gemeinsam zur Tür und streiften sich die Mäntel über. Was für ein Zufall!

“Warte, Amy.” Mike war ihnen gefolgt. “Es hat schon wieder zu regnen begonnen. Du wirst ganz nass, wenn du auf deinem Besen nach Hause reitest. Ich fahre dich.”

“Besen?” Jake glaubte, sich verhört zu haben. Er atmete tief durch und riskierte einen Blick in die betörend grünen Augen.

“Mike denkt, ich sei eine Hexe.” Normalerweise hätte Amy lächeln müssen, aber sie tat es nicht. “Nicht wahr, mein Lieber?” Sie sah Jake nach wie vor unverwandt an.

Mike war anzumerken, dass ihm die Frage nicht behagte. Bevor er noch antworten konnte, rief Willow etwas aus dem Kinderzimmer. “Du wirst gebraucht, Mike”, sagte Amy, und jetzt lächelte sie.

“Ja, aber …”

“Ich bringe Amy nach Hause.” Jake wusste selbst nicht, warum er so einen Vorschlag gemacht hatte.

“Bist du sicher? Du musst doch in die ganz andere Richtung.”

“Kein Problem.” Was sagte er da eigentlich? Vielleicht hatte Mike recht, und Amy war tatsächlich eine Hexe. Anders konnte er sich sein Verhalten nicht erklären.

“Oh gut.” Sein Freund war erleichtert. “Übrigens, ich wollte euch beiden noch danken. Bens Taufe ist wunderschön gewesen. Es hat uns sehr gefreut, dass ihr gekommen seid. Ruf uns an, wenn du wieder in den Staaten bist, Jake.” Er zögerte einen Augenblick. “Passt auf euch auf.” Dann schloss er die Tür.

Jake und Amy blickten sich schweigend an. “Bist du wirklich sicher?”, fragte sie schließlich und wiederholte Mikes Worte von vorhin. Allerdings bezog sie sich auf etwas ganz anderes.

“Ja.” Er war noch nie so entschlossen gewesen. Schnell führte er sie zum Wagen. Sie stieg ein, und ihr Cape blieb an der Tür hängen. Er beugte sich hinunter und befreite das seidige Material. Es fühlte sich an wie Samt und erinnerte ihn an die Haut einer Frau. Vielleicht zitterten seine Hände deshalb so sehr, als er schließlich den Schlüssel in die Zündung steckte und den Motor anließ. “Wo entlang?”, fragte er heiser.

“Nach links. Ich wohne am anderen Ende des Dorfes. Es ist nicht weit.”

Das Haus der Armstrongs war modern, ein Wunder der Architektur und wie geschaffen für zwei berufstätige Menschen, die nicht viel Zeit für Haushalt und Garten hatten.

Amy hingegen wohnte in einem kleinen, verwinkelten Cottage, das von einem großen Garten umgeben war, in dem ein Meer von Frühlingsblumen in allen Farben blühte. Sie wucherten über den mit Steinen ausgelegten Pfad, den Jake und Amy im Regen entlangliefen. Atemlos blieben sie auf der Veranda unter dem Schutz des Daches stehen und sahen sich schweigend an. Noch konnten sie es sich überlegen. Sie hatten es zwar nicht ausgesprochen, doch sie wussten beide genau, dass es kein Zurück mehr gab, sobald sie das Haus betreten hatten.

Jake kam es vor, als fragte sie noch einmal: “Bist du auch ganz sicher?” Nur sprach sie es nicht laut aus. Sein Schweigen war Antwort genug. Sie hielt ihm den Schlüssel hin, aber er nahm ihn nicht. Noch nicht. Erst musste er etwas klarstellen. “Ich will keine feste Bindung.” Wie würde sie reagieren? Schickte sie ihn weg? Oder ließ sie sich auf das Spiel ein?

Sie blickte ihm direkt in die Augen, sagte aber nichts. Es war fast so, als forderte sie ihn auf, selbst zu entscheiden, ob er bliebe oder nicht. Das ist deine letzte Chance, warnte ihn eine innere Stimme. Er achtete nicht auf sie, sondern warf alle Vorbehalte über Bord. Diese Frau zog ihn mit einer Macht an, gegen die er sich nicht wehren konnte. Sie war geheimnisvoll, eine einzige Verführung, und ihr Blick versprach ihm die Erfüllung seiner Träume.

Nur hatte er leider keine. Sie verschwendete nur ihre Zeit. Er war reich und in der Lage, sich all seine Wünsche zu erfüllen, nur einen nicht: Er konnte nicht lieben. Sein Herz war erkaltet, seine Gefühle waren schon lange erstorben.

Die meiste Zeit konnte er damit leben. Er hatte so viel zu tun, dass er die Einsamkeit nicht bemerkte. Nur heute, als er bei der Taufe die fröhlichen Gesichter und die glückliche Familie gesehen hatte, war ihm schmerzlich bewusst geworden, wie leer das Leben ohne Liebe war.

Amy Jones gab ihm die Möglichkeit, dies für einige Stunden zu vergessen. Er konnte sich verlieren und jeden Gedanken auslöschen. Schweigend nahm er den Schlüssel, öffnete die Tür und legte die Arme um Amy. Einen Moment lang hielt er sie nur fest und atmete ihren betörenden Duft ein: den von Blumen und regennasser Erde. Es kam ihm vor wie im Märchen. Alles schien möglich.

Ich mache mir etwas vor, dachte er noch, aber es war ihm egal. Langsam senkte er den Kopf, presste die Lippen auf ihre, und dann gab es kein Zurück mehr.

1. KAPITEL

Erster Monat. Noch ist die Schwangerschaft nicht bestätigt worden. Viele Frauen spüren es aber auch so.

Amy brauchte keinen Test, dafür kannte sie ihren Körper zu gut. Sie war noch nicht einmal überrascht. Bereits in dem Augenblick, als die Sonne an dem Morgen vor zwei Wochen die Welt in ein goldenes, magisches Licht getaucht hatte, hatte sie es gewusst.

Eigentlich sogar schon vorher – in dem Moment, als sie in die Kirche gekommen und Jake das erste Mal erblickt hatte. Er war der Mann ihrer Träume. Auf ihn hatte sie gewartet. Sie war sich ganz sicher gewesen.

Später hatte er sie im Arm gehalten, und obwohl er schwieg, spürte sie doch, dass es für ihn mehr war als nur eine leidenschaftliche Nacht mit gutem Sex. Sie sah es in seinen dunklen Augen. Allerdings entdeckte sie dort auch etwas anderes – Furcht. Er hatte Angst davor, sich zu binden. Das hatte er ihr ja auch deutlich genug zu verstehen gegeben. ‘Liebe’ schien für ihn ein Fremdwort zu sein. Trotzdem hatte er ihr so viel gegeben, mehr als er je vorgehabt hatte. Zwei Menschen, die sich zufällig getroffen und etwas Wundervolles erschaffen hatten. Amy lächelte versonnen. Sie konnte es gar nicht erwarten, endlich Gewissheit zu haben.

Ungeduldig blickte sie auf die Uhr. Sie hatte ihre Assistentin gebeten, länger zu bleiben und den Laden zu schließen, und war schnell nach Hause gefahren. Obwohl sie sich ihrer Sache sicher war, wollte sie doch den offiziellen Beweis für ihre Schwangerschaft. Nicht dass die Fantasie ihr einen Streich spielte!

Gespannt blickte sie auf das Kunststoffröhrchen, drückte fest die Daumen und beschwor förmlich den blauen Strich herauf, an dem all ihre Hoffnungen hingen.

Vor genau zwei Wochen war Jake nach London zurückgekehrt. Er hatte nicht versprochen, sie anzurufen oder sie wiederzusehen. Sie hatte auch nichts anderes erwartet. Nicht von Jake. Seine Warnung war deutlich genug gewesen. Sie hatte genau gewusst, worauf sie sich einließ.

Warum fürchtete er sich vor einer festen Bindung? Ihre gemeinsame Nacht war eine Offenbarung gewesen, und sie war sicher, er wäre gern noch geblieben. Was hatte ihn dazu gebracht, die Flucht zu ergreifen? Schlechte Erfahrungen mit Frauen? Irgendetwas belastete ihn, und sie hätte nur zu gern gewusst, was.

Warum stehe ich hier eigentlich herum, dachte sie böse und wandte sich ab. Der blaue Strich tauchte nicht schneller auf, wenn sie die ganze Zeit starr auf das Röhrchen blickte. Sie hatte bessere Dinge zu tun. Außerdem wusste sie ja sowieso schon, wie das Ergebnis lautete. Unwillkürlich legte sie sich die Hand auf den Bauch und schloss kurz die Augen. Es war keine Einbildung, da war sie sich sicher.

Sie verließ das Badezimmer und ging in den kleinen Raum, den sie als Büro nutzte. Prüfend blickte sie sich um. In Zukunft musste sie mehr von zu Hause aus arbeiten, aber das war kein Problem.

Nebenan stapelten sich Schachteln mit handgefertigter Seife, Duftkerzen und ätherischen Ölen. Mike vermietete ihr sicher noch einen zusätzlichen Raum, wo sie die Sachen unterbringen konnte. Auch für den Laden musste sie eine Lösung finden. Sie hatte schon lange vorgehabt, Vicki mehr Verantwortung zu übertragen und sie zur Geschäftsführerin zu machen. Außerdem würde sie eine Halbtagskraft einstellen. Sie brauchte Hilfe, je eher sie es einsah, desto besser. Plötzlich kamen ihr Zweifel. Was wäre, wenn sie das alles nicht bewältigen konnte?

Wieder berührte sie ihren Bauch. Ich muss mich zusammenreißen, dachte sie. Sie war nicht allein. Von jetzt an hatte sie für zwei Personen zu sorgen. Ihr Baby war vielleicht nicht größer als ein Streichholzkopf, aber schon jetzt war es für sie das Wichtigste auf der Welt. Etwas Wundervolles geschah, ein neues Leben wuchs heran.

Die Nachmittagssonne schien durch das Fenster, von dem aus man einen schönen Blick in den Garten hatte. Ja, das war das perfekte Kinderzimmer! Sie konnte es schon direkt sehen … das Bettchen … die Tapeten … die Spielsachen …

Das gab den Ausschlag. Sie wirbelte herum und lief ins Badezimmer zurück. Ja! Mit bebenden Fingern nahm sie das Röhrchen hoch. Ein blauer Strich! Hieß das, es wurde ein Junge? Unsinn! Natürlich wurde es ein Mädchen. Das war doch sonnenklar! Plötzlich versagten ihr die Beine den Dienst, und Amy musste sich auf den Badewannenrand setzen.

Es war keine Vermutung mehr, sondern eine Tatsache. Etwas, das sie nicht mehr leugnen konnte und das ihr Leben für immer verändern würde. Sie bekam ein Baby. Gezeugt in einer Nacht der Liebe und Leidenschaft ohne Grenzen. Jake und sie hatten ein neues Leben erschaffen. Es war wirklich wahr: Sie war schwanger! Amy lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.

Die Sache hatte nur einen Haken: Es war dumm gewesen, sich Hals über Kopf in Jake Hallam zu verlieben. Für ihn war es nur ein One-Night-Stand gewesen. Aber sie konnte es nicht ändern, ihr Herz hatte seine eigenen Gesetze. Schon als sie Jake in der Kirche erblickt und ihm die Hand gegeben hatte, war es um sie geschehen gewesen. Es fiel ihr schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ihre Gedanken kreisten nur um ihn. Ihre beiden Schicksale waren untrennbar miteinander verknüpft, das war ihr klar, auch wenn sie es zuerst nicht hatte wahrhaben wollen.

Wenigstens ahnte er nicht, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Das war der einzige Trost. Männer reagierten in dieser Beziehung sowieso anders als Frauen. Sie ließen sich nicht von ihren Gefühlen leiten. Schon die Erwähnung des Wortes mit ‘L’ hätte ihn panikartig in die Flucht geschlagen. Nachher dachte er noch, sie wäre nur schwanger geworden, um ihn in die Falle zu locken! Nein, das durfte sie nicht zulassen. Wenn er zu ihr zurückkam, dann nur freiwillig. Weil er es wirklich wollte und ihn nichts davon abbringen konnte.

Das allerdings würde ein schweres Stück Arbeit werden. Er war an dem Morgen vor zwei Wochen davongefahren, als säßen ihm tausend Teufel im Nacken. Wahrscheinlich hatte er gespürt, dass diese Nacht mehr bedeutete als nur einen One-Night-Stand, und wollte es nicht zugeben.

Das brauchte er auch nicht. Sie konnte damit leben. Es war seine Entscheidung. Sie durfte ihm natürlich nicht verschweigen, dass sie ein Baby erwartete. Er sollte es von ihr und nicht von jemand anders hören. Sie hatte ja noch drei oder vier Monate Zeit, bis sie ihn informieren musste. Danach würde sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen können. Was aber war mit Mike und Willow? Die beiden waren so leicht nicht zu täuschen. Vor allem Mike zog bestimmt sofort die richtigen Schlüsse …

Was hatte er noch zum Abschied gesagt? “Passt auf euch auf.” Es war, als hätte er versucht, sie zu warnen. Ihm war also nicht entgangen, was zwischen ihr und Jake passiert war. Wenn er von dem Baby hörte, würde er eins und eins zusammenzählen und bestimmt nicht auf drei kommen.

Das Telefon klingelte, und Amy stand auf. Es war sinnlos, sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen, wie Jake wohl reagierte, wenn er erfuhr, dass er Vater wurde. Er war nach Amerika geflogen und hatte dort – das hatte er ganz besonders betont – wochenlang geschäftlich zu tun. Als ob sie nicht auch so verstanden hätte, was in ihm vorging.

Im Augenblick war die Schwangerschaft ihr Geheimnis, und das sollte auch so bleiben. Als sie zur Tür ging, stellte sie fest, dass sie immer noch das Röhrchen in der Hand hielt. Sie wollte es in den Mülleimer werfen, hielt aber inne. Immerhin war es der erste offizielle Beweis für das Wunder, das sie in sich trug. Stattdessen legte sie es in ein auf dem Fenstersims stehendes Glas und ging dann hinaus, um den Anruf entgegenzunehmen.

“Jake? Was halten Sie davon?”

Die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf den Mann, der am anderen Ende des Konferenztisches saß. Erstaunt blickte dieser auf. Er war ganz woanders gewesen. Sein Körper befand sich zwar hier in Chicago in einem Sitzungssaal, aber sein Geist war Tausende von Meilen entfernt auf der anderen Seite des Atlantiks. Amaryllis Jones. Wieso musste er plötzlich wieder an sie denken?

In den letzten vier Wochen war es ihm gelungen, sich mit Arbeit abzulenken und diese eine Nacht aus der Erinnerung zu verbannen – na ja, wenigstens beinahe. Er war nach Amerika geflogen, um mit einer großen Computerfirma eine Partnerschaft einzugehen. Die Verhandlungen mit dem Aufsichtsrat waren lang und anstrengend gewesen, hatten aber schließlich zum Erfolg geführt. Jetzt saß er zahlreichen Anwälten gegenüber, die die letzten Einzelheiten abklären wollten. Wieso fiel ihm gerade jetzt Amy Jones wieder ein? Hatte er sich nicht geschworen, diese Frau ein für alle Mal zu vergessen? Entnervt schloss er kurz die Augen. Warum schien der Raum nach Glockenblumen und regennasser englischer Erde zu duften?

Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht? Sie waren zu einer Taufe eingeladen gewesen, verdammt noch mal, und er war sogar Pate gewesen! Lag es vielleicht daran? Sehnte er sich nach einem eigenen Kind? Blödsinn! Ein schreiendes Baby, dem man andauernd die Windeln wechseln musste – wer konnte so etwas schon gut finden! Ich bestimmt nicht, dachte er entnervt. Pate ja, Vater nein.

Deshalb wählte er seine Freundinnen auch sehr genau aus. Er war nicht bereit, sich zu binden oder Verpflichtungen einzugehen. Sobald eine Beziehung zu eng wurde, ergriff er sofort die Flucht. Keine Komplikationen, das war sein Motto. Viele hielten ihn deswegen für kalt und rücksichtslos, aber er hatte seine Gründe. Das Wort ‘Liebe’ existierte für ihn nicht. Es war ein Lippenbekenntnis, mehr nicht. Alles Schall und Rauch. Er hatte diese Lektion auf harte Art und Weise lernen müssen.

Seine Pflegemutter Lucy war die Einzige, die immer für ihn da gewesen war. Sie hatte ein großes Herz, aber das bezog sich auf alles, was herrenlos und allein war: Hunde, Katzen, Vögel und auch Kinder, die kein Zuhause mehr hatten. Er, Jake, war nur einer von zwölf Waisen, die sie im Lauf der Jahre großgezogen hatte. Er war ihr sehr dankbar, aber er machte sich nichts vor: Sie hatte ihn nie geliebt. Er war immer nur einer von vielen gewesen.

Seine Kindheit hatte ihn entscheidend geprägt. Er hatte gelernt, dass Gefühle ein Luxus waren, den man sich nicht leisten konnte. Die Gefahr, von einem anderen Menschen verletzt zu werden, war zu groß. Deshalb hatte er schon früh damit begonnen, eine hohe Mauer um sich her zu errichten. Für Liebe war kein Platz in seinem Herzen.

Als er Amy Jones kennenlernte, hatte ihn seine innere Stimme eindringlichst gewarnt. Er versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen, aber es war sinnlos. Schließlich kämpfte er nicht mehr dagegen an, sondern warf alle Bedenken über Bord. Vielleicht hatte Mike recht, und sie war wirklich eine Hexe, die ihn mit einem Zauberspruch in ihren Bann gezogen hatte. Möglich war alles. Sie brauchte ihn nur mit ihren grünen Augen anzublicken, und schon brachte sie ihn um den Verstand. Er konnte sie einfach nicht vergessen, und das ärgerte ihn über alle Maßen.

“Was ist nun, Jake? Sind wir im Geschäft?”

Zur Hölle, wenn er jetzt nicht aufpasste, verdarb er noch alles! Mit größter Willensanstrengung konzentrierte er sich wieder auf die Männer, die ihm gegenübersaßen. Sie warteten auf seine Entscheidung. Toll. Die letzten zehn Minuten hatte er nicht ein Wort von dem verstanden, was besprochen worden war. Keine gute Basis für so einen wichtigen Abschluss.

Er stand auf und klappte die Mappe zu, die vor ihm auf dem Tisch lag. “Vielen Dank für Ihre Geduld, Gentlemen. Ich werde Ihnen meine Entscheidung so bald wie möglich mitteilen.” Bevor noch jemand reagieren konnte, hatte er schon den Saal verlassen. Er holte das Handy aus der Tasche und buchte einen Flug nach London.

Amy arbeitete gerade im Garten, als sie hörte, wie die Pforte geöffnet wurde. Sie blickte auf und entdeckte Willow, die ihren Sohn Ben in einem nagelneuen Buggy den mit Steinen ausgelegten Pfad entlang schob.

“Tolles Gefährt!” Amy lachte und winkte dem kleinen Jungen zu.

“Sein Granddad ist sehr großzügig gewesen. Er ist vernarrt in seinen Enkel.” Willow lächelte glücklich.

Mein Baby hat keine Großeltern, dachte Amy traurig. Nicht einmal eine Tante. “Glücklicher Ben”, sagte sie leise.

“Störe ich dich gerade?” Willow blickte auf den halb fertigen Graben, den ihre Freundin gezogen hatte. “Ich habe dich seit der Taufe nicht mehr gesehen. Das ist jetzt vier Wochen her.”

“Tatsächlich? So lange schon?” Amy spielte gekonnt die Überraschte. Als ob sie das nicht auch wüsste! Immerhin hatte sie die Stunden und Tage seit Jakes Abreise gezählt. Wann kam er zurück? Sie wusste es nicht. Natürlich freute sie sich schon, ihn wiederzusehen, aber sie hatte noch keine Ahnung, wie sie es ihm sagen sollte. “Ach übrigens, du wirst Vater.” Nicht gerade sehr feinfühlig! Sie hatte sich den Kopf zerbrochen, aber bis jetzt keine Lösung gefunden. “Ich habe im Augenblick sehr viel im Garten zu tun. Um diese Jahreszeit ist er am arbeitsintensivsten.”

“Dann mach wenigstens einmal eine Pause. Es ist ein so schöner Abend. Ich wollte den Buggy ausprobieren. Komm doch mit. Wir machen einen langen Spaziergang, und ich erzähle dir den neusten Klatsch und Tratsch.”

Amy lächelte. Sie konnte ihrer Freundin nichts abschlagen. Sie legte den Spaten zur Seite und streifte die Gartenhandschuhe ab. Dann betrachtete sie den kleinen Jungen, der schlafend unter dem Verdeck lag. Er war so süß, einfach vollkommen. Unwillkürlich berührte sie ihren Bauch. Auch dort wuchs ein Baby heran – auch wenn es noch niemand ahnte.

“Ich begleite euch gern.” Schnell ließ sie die Hand sinken, und Röte stieg ihr in die Wangen. Hoffentlich hatte Willow nichts bemerkt. Sie war noch nicht bereit, ihr wundervolles Geheimnis mit jemandem zu teilen. Auch nicht mit ihrer besten Freundin. Erst musste Jake Bescheid wissen. “Eigentlich hatte ich schon lange vor, euch zu besuchen”, sagte sie schnell, um ihre Verlegenheit zu verbergen, “aber ich musste meinen Laden neu organisieren, die Bohnen konnten auch nicht warten …” Sie schob den Buggy den Pfad entlang zur Haustür. “Eine kleine Pause wird mir guttun. Ich muss mir nur noch die Hände waschen. Kommt doch einen Moment mit herein.”

Ben wachte auf und begann, unruhig zu werden. Willow nahm ihn auf den Arm und schnitt ein Gesicht. “Uh … Ich sollte seine Windel wechseln, bevor wir uns auf den Weg machen, und das so schnell wie möglich, bevor deine Blumen eingehen.”

“Soll ich dir helfen?” Hoffentlich hatte sie sich jetzt nicht verraten und zu eifrig geklungen. “Wahrscheinlich stehe ich dir sowieso nur im Weg herum. Ich weiß bei einem Baby gar nicht, wo oben und unten ist.”

“Das lernt man schnell.” Willow lachte und hielt sich mit einer Hand die Nase zu. “Vielleicht solltest du mit etwas Leichterem anfangen.”

“Gute Idee. Was hältst du davon, wenn wir vor dem Spaziergang noch eine Tasse Tee trinken? Ich setze schnell das Wasser auf. Du weißt ja, wo das Badezimmer ist.”

“Jake! Was für eine Überraschung!” Mike stand an der Tür und beobachtete, wie sein Freund das Taxi bezahlte. “Ich dachte, du wärst noch in Amerika.”

“War ich auch. Bis gestern Abend jedenfalls.” In einer Hand hatte er eine Reisetasche, in der anderen eine Tüte. “Ich habe Ben ein Geschenk mitgebracht.”

“Du bist gleich vom Flughafen hergekommen?” Mike runzelte die Stirn. “Das muss ja ein besonderes Präsent sein.” Er nahm die bunte Einkaufstasche entgegen und blickte hinein. “Ein Teddybär?”

“Nicht irgendeiner, ein amerikanischer.” Jake merkte selbst, wie lahm die Ausrede klang. Er hatte keine Ahnung, warum er das Tier überhaupt gekauft hatte. “Wenn du die Pfote drückst, singt er den Yankee Doodle.” Am Vortag hatte er es noch für einen guten Einfall gehalten, jetzt kam er ihm nur noch lächerlich vor. Er hasste Plüschtiere. Wozu war so ein Teddybär überhaupt gut? Er, Jake, hatte auch nie einen gehabt. Sein Patenkind konnte mit dem erstklassigen Aktienpaket, das er ihm zur Taufe geschenkt hatte, viel mehr anfangen.

Mike nahm den Teddy aus der Tasche, betrachtete ausgiebig die Krawatte und die Weste mit dem Sternenbanner und begann zu lachen. “Ich finde alles gut, was dich zu uns verschlägt. Du weißt doch, wie sehr wir uns über deinen Besuch freuen. Willow gefällt der Bär bestimmt.”

“Na toll.” Jake war noch nie im Leben so verlegen gewesen. Was tat er eigentlich hier?

“Was stehst du da herum wie ein Ölgötze? Komm herein. Du musst sehr müde sein nach dem langen Flug.”

“Nein, ich möchte euch nicht stören. Ich hätte vorher anrufen sollen.” Jake schwieg. Was sollte er noch sagen? Normalerweise überfiel er seine Mitmenschen nicht unangemeldet und kaufte auch keine Teddybären. Ganz zu schweigen von den unerklärlichen Konzentrationsschwierigkeiten, die er in Chicago gehabt hatte … So langsam war er reif für den Psychiater!

“Unsinn. Willow ist mit Ben spazieren gegangen, aber sie kommt bald wieder. Sie wird sich so freuen, dich wiederzusehen, und darauf bestehen, dass du bei uns übernachtest. Du kannst also deine Reisetasche schon einmal auspacken. Du weißt ja, wo sich das Gästezimmer befindet.” Er hielt seinem Freund die Tür auf.

Jake fuhr sich müde übers Gesicht. “Bist du sicher?” Er zögerte einen Augenblick. “Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin. Eigentlich hätte ich direkt nach Hause fahren müssen …”

Mike betrachtete ihn mit einem wissenden Blick, aber er war so taktvoll und gab keinen Kommentar ab. “Du bist unser Freund, Jake, und hier jederzeit willkommen. Was hältst du von einer schönen heißen Dusche, während ich uns einen Kaffee koche?”

“Genau das brauche ich jetzt.”

“Zehn Minuten?”

“Mike …”

“Ja?” Bens Vater sah ihn fragend an.

Eigentlich hatte Jake wissen wollen, wie es Amy ging, aber er überlegte es sich anders. “Nichts. Danke.”

“Gern geschehen. Lass dir Zeit.”

Jake hob die Reisetasche hoch und folgte Mike ins Haus. Er ging nach oben und sofort unter die Dusche. Normalerweise hätte er müde sein müssen, war es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Er fühlte sich gut und hätte Bäume ausreißen können. Schließlich nahm er ein Handtuch, trocknete sich ab und betrat wieder das Gästezimmer. Er blickte aus dem Fenster und entdeckte Willow, die den Buggy auf das Haus zuschob. Sie schien es sehr eilig zu haben. Hochzeit, eine Familie gründen. Er, Jake, konnte nur den Kopf schütteln. Es war ihm ein Rätsel, warum manche Menschen miteinander so glücklich sein konnten. Es war fast so, als fehlte ihm das letzte Stück eines Puzzles.

Autor

Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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