Zu spät nein gesagt

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Als Julia nach zehn Jahren ihren ersten Liebhaber Adam Brody wieder sieht, muss sie nicht lange überlegen: Sie will ihn noch immer, aber diesmal darf er sie nicht - wie damals - wieder verlassen. Alles wird sie dafür tun, den Abenteurer davon zu überzeugen, dass sie genau die Richtige für ihn ist. Mutig will sie seine gefährlichen Sportarten mit ihm teilen. Doch Adam lehnt es ab, ihr Fallschirmspringen beizubringen, auch auf seine waghalsigen Klettertouren darf sie ihn nicht begleiten. Erst als er sie in ihrem Büro besucht, kommt sie ihm so nahe, wie sie es sich erträumte. Ganz offen gesteht sie Adam, dass sie sich danach sehnt, von ihm geliebt zu werden ...


  • Erscheinungstag 11.12.2012
  • Bandnummer 1011
  • ISBN / Artikelnummer 9783864949746
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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PROLOG

“Das ist die beste Idee, die ich jemals gehabt habe”, sagte Julia sich, um sich Mut zu machen. Sie setzte sich unsicher auf das Bett und faltete die Hände im Schoß. “Ganz ruhig. Er wird jede Minute da sein.”

In dem Plastikkübel neben dem Bett stand eine Flasche des teuersten Champagners, den sie sich leisten konnte. Er hatte sie fünfzehn Dollar gekostet. Die Rosen hatte sie so vor den Spiegel platziert, dass sie wie ein ganzer Strauß wirkten. Sie hatte alle Kerzen gekauft, die sie aufstöbern konnte, und sie im ganzen Raum verteilt. Sie tauchten ihn in ein romantisches Licht. Sie hatte sogar an Kondome gedacht und sich etwas Verführerisches zum Anziehen besorgt: ein kurzes Nachthemd aus pfirsichfarbener Seide mit passendem Negligé.

Die Minuten verstrichen. Sie bemühte sich, ihre Finger still zu halten und nicht die Nerven zu verlieren.

Die Bühne war bereitet, und sie wusste, was zu tun war.

Es war an der Zeit, Sex mit Zack Brody zu haben.

1. KAPITEL

Selbst zu seinen besten Zeiten hatte sich Adam Brody nie für Hochzeitsempfänge erwärmen können. Die lärmende Menge, das überreichliche Festessen, das Duftgemisch aus verschiedenen Parfüms und Aftershaves in der Luft, dies alles war nicht seine Welt. Aber der negative Höhepunkt des Festes war erreicht, als die Brautjungfer zu ihm kam und sagte: “Ich möchte dem Tod trotzen.”

Die Trauungszeremonie war ohne Probleme abgelaufen. Adam wollte sich auch gar nicht beschweren, hatte er doch schon ganz andere Torturen hinter sich. Zum Beispiel, drei Monate lang an ein Krankenhausbett gefesselt zu sein. Und bis auf seinen Toast auf das Brautpaar hatte er den Kontakt zu den anderen Gästen erfolgreich vermieden.

Bis Julia Knox gekommen war und diesen unglaublichen Satz ausgesprochen hatte.

Adam hätte fast das Käsehäppchen verschluckt, das er sich in den Mund gesteckt hatte. Das “Quimby Woodwind Trio” spielte gerade “Sunrise, Sunset”, und er hatte beschlossen, gleich zu verschwinden.

Aber zuerst musste er sich mit Julia beschäftigen. Er hatte sich eine Menge Sachen überlegt, die sie ihm bei ihrem Wiedersehen sagen würde. “Ich möchte dem Tod trotzen” hatte nicht dazugehört.

Vorsichtig nahm er den Zahnstocher aus dem Mund. “Wie bitte?”

“Ich möchte dem Tod trotzen.” Julia sah ihn ganz ernst mit ihren grünen Augen an. Aber sie war überhaupt fast immer sehr ernsthaft. Gerade deshalb war er ja so erstaunt darüber, was sie gesagt hatte. “Und du sollst es mir beibringen”, fuhr sie energisch fort. Es schien kein Scherz zu sein, obwohl sie in ihrem voluminösen Chiffonkleid und dem Blumenschmuck im Haar wie Heidi von der Alm aussah.

Hochzeiten lösten merkwürdige Reaktionen bei Frauen aus. Nachdem er selbst einmal damit zu tun gehabt und alles in einer Katastrophe geendet hatte, mied er den Kontakt zu allen heiratswilligen Frauen. Nur die Tatsache, dass es sich um die Heirat seines älteren Bruders, Zack, handelte und er der Trauzeuge war, hatte ihn zur Teilnahme an der Feier bewogen. Es war ein weiter Weg gewesen, besonders für einen Hinkenden. Glücklicherweise hatte Zack ihn verstanden. Immerhin hatte er es ertragen, dass seine Braut die letzten drei Monate über nichts anderes als Farbschemata und die Gästeliste geredet hatte, als wäre es das Wichtigste auf der Welt.

Es war ganz einfach. Bei Hochzeiten waren Frauen nicht zurechnungsfähig.

Aber Julia Knox …

Sie war so gar nicht der impulsive Typ.

Es war lange her, dass Adam seine kleine Heimatstadt Quimby im Mittleren Westen verlassen hatte. Bei der ruhigen, vernünftigen Julia hätte er als Letztes damit gerechnet, dass sie sich verändert hatte, aber schließlich war alles möglich.

Eigentlich war er im Begriff gewesen, zu gehen, aber nun hatte sie seine Neugier geweckt.

“Es mag vielleicht nicht der ideale Zeitpunkt sein”, setzte sie erneut an, “aber für mich heißt es jetzt oder nie. Obwohl du so ein prominentes Mitglied der Hochzeitsgesellschaft bist, ist es schwer, an dich heranzukommen.”

Er zuckte mit den Achseln. Julia musste doch am besten wissen, wieso.

Sie blickte ihn nachdenklich an. “Du bist doch bestimmt sofort unter die Lupe genommen worden, als du dich in Quimby gezeigt hast, oder?”

“Ja, aber sie waren nicht an meinem Aussehen interessiert.”

Julia war viel zu geradeheraus, als dass sie sich zu verstohlenen Blicken oder Getuschel hinter vorgehaltener Hand herabgelassen hätte. Also betrachtete sie Adam ganz offen. Er trug einen Smoking, eine nachlässig gebundene Fliege und einen Kummerbund aus schwarzem Samt. Seine Lackschuhe waren bestimmt geborgt und drückten an den Zehen. Julia ließ ihren Blick über seine geschundenen Beine gleiten. Die meisten Hochzeitsgäste taten es ihr gleich, besonders, als er ihr seinen Arm anbot und mit ihr über das Parkett schritt. Er fragte sich, ob die anderen Leute darauf warteten, dass er stolperte.

Julias Interesse dagegen war ehrlich und voller Mitgefühl. Adam nahm die Reaktion der restlichen Gäste missmutig hin. Er hasste es, Gegenstand des neusten Klatsches zu sein. Genau deshalb war er über den Hochzeitsempfang nicht sonderlich erfreut gewesen. Eigentlich hatte er geplant, als Letzter bei der Feier zu erscheinen und als Erster wieder zu verschwinden, aber dann hatte er sich besonnen. Er konnte sich nicht so auf der Hochzeit seines Bruder benehmen. Er verdankte Zack sein Leben.

Vorsichtig setzte Adam einen Fuß vor den anderen. Die Muskeln an seinem Rücken und an der linken Hüfte schmerzten unangenehm. Er konzentrierte sich darauf, sich zu entspannen, damit die Muskeln sich nicht völlig verkrampften. Dazu stellte er sich vor, in einem klaren, kalten Fluss zu baden.

Bleib ruhig. Es ist doch nur Julia, ermahnte er sich.

Sie verschonte ihn auch mit unechten Komplimenten, wie gut er doch wieder aussähe. Ihr Blick drückte Anteilnahme aus, aber nicht dieses offenkundige Mitleid, das ihm unbehaglich war, wie er dankbar registrierte.

Sie atmete tief durch, und dabei hoben und senkten ihre Brüste sich verführerisch. “Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber mein Leben ist furchtbar langweilig. Ich suche ein wenig Aufregung. Eine neue Herausforderung, um dem Alltag mehr Glanz zu verleihen. Da dachte ich mir, dass du genau der richtige Mann dafür bist.” Sie machte eine fahrige Handbewegung, sodass ihr perlenbesetztes Armband an ihrem Unterarm herunterrutschte.

Adam konnte seinen Blick nicht von ihrer zarten Haut nehmen. Er wusste nicht, wieso, aber auf ein Mal verspürte er ein merkwürdiges Kribbeln in der Magengegend.

“Ich fühle, dass ich auch einmal etwas riskieren muss”, fuhr sie fort. “Ich will den Adrenalinkick.” Sie zögerte und stemmte ihre Hände in die Hüften, um ihrer Aussage mehr Gewicht zu verleihen. “Ich möchte, dass du mir beibringst, neue Dinge zu wagen, Adam.”

Oh nein, dachte er.

Nicht er. Nicht mit ihr. Nicht nach all diesen Jahren.

Die letzten Töne der Klarinette verklangen, aber Adam zuckte nur mit den Schultern, so als ob er über ihre Worte nicht einmal nachdenken wollte. “Hol dir lieber ein Stück vom Hochzeitskuchen, Goldie. Der Zucker wird dir den nötigen Kick geben.” Er drehte sich um, wobei er vorgab, den Schmerz in ihren Augen nicht gesehen zu haben.

Sie hielt ihn am Ärmel fest. “Wie in den alten Zeiten, nicht wahr? Ein kurzes Hallos, und schon bist du verschwunden. Ich weiß es, wenn ich eine Abfuhr erhalte, Adam Brody.”

“Da bin ich mir gar nicht so sicher.”

Sie blickte auf seinen Ärmel und ließ ihn langsam los. “Heutzutage nennt mich niemand mehr Goldie.” In ihrem Blick lag ebenso viel Melancholie wie in ihren Worten.

“Du meinst, es klingt zu schülerhaft für eine vernünftige, verantwortungsbewusste Frau wie dich?”

Sie verzog den Mund. “Es scheint, als wäre ich schon immer vernünftig und verantwortungsbewusst gewesen.”

Nein, dachte Adam. Er erinnerte sich an den einzigen Moment in ihrem Leben, an dem sie genauso leichtsinnig wie er gewesen war. Aber davon sprachen sie nie. Seit zehn Jahren vermieden sie dieses Thema. Für ihn war Julia Knox auf immer die Freundin seines Bruders, und daran würde sich auch nichts ändern. Ende der Geschichte.

“Zack ist jetzt verheiratet.” Sie betrachtete Adams Gesicht. “Das ist endgültig offiziell. Schluss, aus und ab in die Flitterwochen.”

“Das ändert nichts an unserem …” Adam unterbrach sich. Stimmte das wirklich? Nach der Heirat galt das ungeschriebene Gesetz nicht mehr, wonach Brüder nicht hinter demselben Mädchen her sein sollten. Einen Moment lang empfand er eine tiefe Erleichterung, als würde ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. Doch dann musste er an Laurel Barnard denken, die es fast geschafft hätte, die Brody-Brüder zu entzweien. Da war es wieder, das alte Schuldgefühl.

“Es ist Jahre her, dass Zack und ich uns getrennt haben.” Julia lachte unsicher. “Ich denke, dass es in Ordnung ist, wenn wir Freunde sind.” Sie musste schlucken.

Adam fragte sich verwundert, ob die sonst so sichere und besonnene Julia auf einmal nervös war. “Natürlich.” Er nickte, nur um dieser unangenehmen Situation möglichst schnell zu entkommen. Er hatte nicht vor, sich noch weiter mit Julia zu unterhalten, denn sie konnte ihm viel zu gefährlich werden. “Kein Problem. Wir waren doch schon immer befreundet.” Er drückte ihren Arm, und sofort stellte sich dieses merkwürdige Kribbeln in seinem Bauch wieder ein. Wir sind keine Freunde, dachte er bei sich und verließ das Büfett. Wir können keine sein.

Wegen ihres Geheimnisses. Und was für eins das war. Zu schockierend, als dass man darüber in der Öffentlichkeit hätte sprechen können. Und es würde immer zwischen ihnen stehen wie eine unsichtbare Mauer.

“Es gibt keinen Grund, wieso du mir nicht das Fallschirmspringen beibringen solltest”, warf Julia schnell ein, da sie bemerkte, dass er sich absetzen wollte.

Adam blieb stehen. “Fallschirmspringen? Du machst Witze?”

“Es ist mir ernst. Es ist einfach die riskanteste Sache, die ich mir vorstellen kann.”

“Du bist verrückt.” Jetzt dachte er nicht mehr, dass ihr Zustand ein Nebeneffekt der Hochzeit war. Sie schien über Zacks Heirat nicht unglücklich zu sein. Immerhin war sie sogar die Ehrenbrautjungfer gewesen.

Julia Knox und Fallschirmspringen? Die brave Julia Knox, das nette, beliebte Mädchen, dass alle Goldie nannten, in Anspielung auf das berühmte Fort Knox, in dem die Goldreserven der Vereinigten Staaten lagerten. Adam hatte immer gefunden, dass dieser Name auch wunderbar zu ihrem Aussehen passte. Zack Brody und Julia Knox waren das perfekte Ken-und-Barbie-Paar an der Quimby High School gewesen – der Kapitän des Basketballteams und die Anführerin der Cheerleader. Der Schulsprecher und die Präsidentin des Clubs für Hochbegabte, die Veranstalterin der Schulfeste, das Traumpaar des Abschlussballs. Sie passten zusammen wie Kaffee und Sahne.

Die paar Jahre, die seither verstrichen waren, oder eine kleine seelische Erschütterung, ja, selbst Zacks Hochzeit mit Cathy Timmerman hätten Julia niemals in ihrem Wesen verändern können. Sie brauchte bestimmt nichts, um ihr Leben aufzupeppen. Julia Knox würde immer reinstes Gold sein.

“Du hast bestimmt wieder diese Dokumentationen über Abenteuerreisen im Fernsehen gesehen, oder?”

“Sei bitte nicht so herablassend, Adam.”

Bei ihrer Sturheit musste er lächeln. Vielleicht hatten sie die letzten Jahre doch etwas härter gemacht. “Entschuldige. Es ist nur so, dass von allen Menschen …” Er musterte sie von oben bis unten. “Du bist die bodenständigste Person, die ich kenne.”

“Das genau ist der Punkt.”

“Bitte mich nicht, dir bei dieser verrückten Idee zu helfen. Geh meinetwegen zu einer Fallschirmspringerschule, aber lass mich da raus.”

Sie wollte seine Hand greifen, aber er zog sich rasch zurück. Seine Schnelligkeit war ihm geblieben. Leider war er nun hier in der Ecke gefangen, und der Weg zum Ausgang war von der Masse der Gäste blockiert. Er hatte das brennende Verlangen, den Raum zu verlassen und die frische Nachtluft zu atmen.

“Adam.” Sie errang erneut seine Aufmerksamkeit. Was ging nur in ihrem Kopf vor? “Ich schätze, ich habe einfach Angst”, gestand sie. In ihren Augen blitzten unbekannte Gefühle auf. “Darum habe ich mich an dich gewandt. Ich möchte jemanden haben, dem ich vertrauen kann, keinen Fremden.”

“Ich besitze in diesem Staat keine Lizenz zum Unterrichten.”

“Ach.” Einen Moment lang schien sie getroffen, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. “Wie wäre es dann mit Bergsteigen? Als Anfang, sozusagen.”

Er konnte es. Er konnte sie mit zu den Granitfelsen nehmen, auf denen er schon als Kind herumgeklettert war, und ihr vormachen, es sei sehr schwierig und gefährlich, dort herumzukraxeln. Wahrscheinlich würde er ihre Sehnsucht nach dem Abenteuer noch vor dem Mittagessen befriedigen und sich verziehen können.

Ja, das könnte er wahrscheinlich.

Doch plötzlich kamen ihm Zweifel. Er hasste dieses Gefühl. Vor seinem Unfall war er Motorrad- und Fahrradrennen gefahren, hatte an Wildwasserfahrten teilgenommen und Berge bestiegen, ohne auch nur einen Gedanken an die Gefahr zu verschwenden. Selbst jetzt, achtzehn Monate nach seinem Unfall, spürte er, dass es ihm nicht reichte, einfach nur wieder laufen zu können. Obwohl das am Anfang fast ein kleines Wunder gewesen war. Er wusste, dass er dankbar sein konnte, aber er war mit sich und seiner Zukunft zutiefst unzufrieden.

Julia schien sein Zögern zu beunruhigen. “Oh Adam, tut mir leid, ich …” Sie warf einen kurzen Blick auf seine Beine. “Ich dachte nur, da Zack meinte, deine Genesung würde gut vorangehen …”

“Das ist kein Problem.”

Doch entgegen seiner Versicherung wurde ihm plötzlich die Kehle eng. Er wollte nicht, dass Julia bemerkte, welche Anstrengungen es ihn gekostet hatte, nach dem Unfall wieder zu Kräften zu kommen. Jetzt arbeitete er daran, seine alte Kondition wiederzugewinnen. Der Unfall hatte sich ereignet, weil er viel zu schnell auf einer Bergstraße um eine Kurve gefahren war. Er hatte dem entgegenkommenden Laster nicht mehr ausweichen können. Er, der so viele riskante Abenteuer überlebt hatte, war auf einmal unter Plastikröhren begraben gewesen, die der Laster zum Snake River transportieren sollte. Ironischerweise wurden diese Röhren für den Bau von Flößen für Wildwasserfahrten gebraucht. Adam hatte das gar nicht komisch gefunden.

“Ich mache mir eher Sorgen um dich”, entgegnete er offen. “Du warst doch immer eher der vorsichtige Typ. Was ist los?”

Julia blickte ihn so ernst an, dass er beinahe gelächelt hätte. Sie wusste wohl gar nicht, wie aufregend sie aussah, wenn sie so ein ernstes Gesicht machte.

“Du meinst, ich würde das nicht schaffen? Ich bin völlig fit. Ich habe trainiert.” Sie hob ihren Arm, um ihm ihren Bizeps zu zeigen. “Ich bin körperlich und geistig bestimmt dazu in der Lage.”

“Dem Tod zu trotzen?”

“Nun ja. Da habe ich vielleicht ein wenig übertrieben.”

Immerhin hatte sie damit seine Aufmerksamkeit erregt. Aber er hatte nach wie vor keine Ahnung, was sie damit erreichen wollte. “Und du willst es nur, weil du dich langweilst?”

Sie sah ihn streng an. “Warum machst du es?”

Er lächelte sie ausweichend an. “Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.” Wollte sich nicht mehr erinnern. Denn wenn er sich daran erinnerte, dann würde er es wieder vermissen. Und das bedeutete, dass er es auch wieder versuchen würde. Es wäre zu schmerzhaft. Kaum zu glauben, wenn er daran dachte, wie er mit nur einer Hand an einem Felsvorsprung gehangen hatte, alle Muskeln schmerzhaft angespannt, nur mit der Kraft seiner Finger sich hochziehend.

“Ich erinnere mich”, warf Julia sanft ein. “Du bist ein Teufelskerl gewesen, seit Chuck Cheswick dich so lange gepiesackt hat, bis du auf den Wasserturm geklettert bist. Zehn Jahre warst du damals. Ich weiß noch, dass Zack vor Angst fast gestorben ist. Er hat bei deinen Abenteuern immer ein Auge auf dich gehabt.”

“Und mir aus der Patsche geholfen.”

“Ja, auch das.”

Beide wussten, was gemeint war. Vor etwa anderthalb Jahren wäre es fast zu einem Zerwürfnis zwischen Adam und Zack wegen Laurel Barnard gekommen. Adam war der Frau verfallen gewesen. Laurel hatte die Brüder gegeneinander ausgespielt, bis Adam nach einem heftigen Streit mit Zack fortgegangen war. Damit wollte er Zack Laurel überlassen, die genau das geplant hatte: den Mann zu heiraten, der als “Herzensbrecher Brody” bekannt war, der begehrteste Junggeselle von ganz Quimby. Kurz darauf hatte Adam seinen Unfall gehabt. Ein Anruf hatte Zack am Vorabend seiner Hochzeit zu seinem Bruder nach Idaho geführt, und daraufhin war die Hochzeit geplatzt.

Adam fand, dass er Zack in doppelter Hinsicht etwas schuldig war. Nicht nur, dass er ihn vor der hinterhältigen Laurel bewahrt hatte, Zack war auch für ihn da gewesen, als die Ärzte noch glaubten, er würde nie wieder laufen können. Ein ganzes Jahr war Zack bei ihm geblieben und hatte ihn so lange unterstützt, bis er wieder auf den Beinen war. Daher war es eine Selbstverständlichkeit für Adam gewesen, zuzusagen, als sein Bruder ihn bat, sein Trauzeuge zu sein. Dafür hatte er die heimlichen Blicke und das Getuschel der Leute gern in Kauf genommen.

“Hey, Madman!”, rief ihm Fred Spangler winkend von einer Gruppe junger Männer aus zu. “Komm rüber, Kumpel. Wir überlegen gerade, wie wir den Wagen des Bräutigams verschandeln können.”

Adam warf Julia einen kurzen Blick zu. “Entschuldige. Die Pflicht ruft.”

“Aber was ist …”

“Es war schön, mit dir zu reden.”

Julie umarmte ihn. Normalerweise hielten sie Abstand zueinander. “Es war wundervoll, dich wieder einmal gesehen zu haben”, flüsterte sie. “Du siehst …”

Großartig aus! ergänzte Adam und grinste sie in freudiger Erwartung an.

“Du siehst richtig zivilisiert aus.”

Zivilisiert?

“Hey, was meinst du damit?”, fragte Adam, doch in diesem Moment ergriff Fred Spangler seinen Arm und zog ihn weg. Ein spöttisches Lächeln umspielte Julias Lippen, als sie ihm nachblickte.

Das “Woodwind Trio” spielte eine langsame irische Weise, um den Abend ausklingen zu lassen. Julia ging durch das Restaurant zu ihrem Tisch. Ein Stück der Hochzeitstorte wartete noch immer auf sie. Obwohl es schon Herbst war, hatte der Konditor die Torte so dekoriert, als ob es noch Frühling sei. Julia hatte Cathy darauf hingewiesen, dass die einzige Konditorei am Ort mit einem solchen Auftrag überfordert sein würde, aber es war sinnlos, einer Frau kurz vor ihrer Hochzeit so etwas zu erzählen. Ein ewiges Rätsel für die vernünftige und nüchtern denkende Julia.

Ihre Tischnachbarinnen waren dabei, sich zu betrinken und die neusten Gerüchte auszutauschen. In dieser Atmosphäre gestattete Julia es sich, einen tiefen Seufzer auszustoßen und sich mit den Ellbogen am Tisch aufzustützen. Verunsichert starrte sie das Stück Torte eine Weile an, bevor sie es mit der Gabel zerteilte. Es machte keinen Sinn, nach altem Brauch mit einem Stück Hochzeitstorte unter dem Kopfkissen zu schlafen. Sie wollte nicht heiraten, sondern eine Veränderung.

Nervenkitzel.

Adam Brody.

Je schneller, desto besser.

Seit Cathy ihr berichtet hatte, dass Adam zur Hochzeit nach Quimby kommen würde, war Julia von einer gewissen Ruhelosigkeit erfasst worden, so als wäre dies die letzte Möglichkeit, ihr Leben zu ändern.

Wenn sie nicht einen neuen Weg einschlug und mehr Lebensfreude entwickelte, würde alles ewig weitergehen wie bisher. Entweder würde sie es schaffen, dass Adam sie mit anderen Augen sah, oder sie würde ihn guten Gewissens aufgeben. Wenn eine Frau so lange auf einen bestimmten Mann wartete, musste sie zwangsläufig etwas seltsam werden.

Jahrelang hatte sie ihre wahren Gefühle für Adam Brody wie ein Geheimnis behandelt. Doch nun würden einige ihrer Freundinnen wohl misstrauisch werden. Cathy vermutete ganz bestimmt etwas in der Richtung, was bedeutete, dass auch Zack Bescheid wusste. Aber er war so integer und ehrenhaft, dass er das Ganze mit größter Verschwiegenheit behandeln würde. Julia hatte keinen Zweifel daran, dass er Adam und ihr alles Gute wünschen würde, sollten sie jemals zueinander finden.

Jemals?

Oder nie?

Ein Schauer durchlief sie. Aber sie würde auch mit einem “Niemals” leben können. Es gab Schlimmeres.

Zum Beispiel Fallschirmspringen.

Wie kam sie nur auf diese Gedanken? Adam hatte recht. Sie war nicht der Typ dafür.

Die rothaarige Allie Spangler ließ sich auf den Stuhl neben ihr fallen. Sofort erspähte sie das Stück Hochzeitstorte. “Isst du das noch?”, fragte sie hungrig und ließ dann ihren Blick durch das noble Restaurant schweifen. Sie und ihr Mann Fred hielten schon seit Monaten Diät, aber hinter seinem Rücken genehmigte sie sich immer wieder eine Kleinigkeit.

Julia schob ihrer alten Freundin die Torte hin. “Bitte schön.”

“Adam sieht wirklich sehr gut aus”, bemerkte Allie, während sie Sahne von ihrem Finger leckte. “Ich hatte eigentlich mit einem völlig gebrochenem Mann gerechnet, aber …” Sie blickte zu der Horde jüngerer Männer hinüber. “Er hinkt ja kaum.”

“Ja.” Julia brauchte Allies Blick nicht zu folgen. Adams Bild stand ganz klar vor ihrem inneren Auge. Seine zerzausten braunen Haare, sein schlanker, athletischer Körper in dem zerknitterten Smoking, die Fliege längst gelockert, der Hemdkragen geöffnet. Sein ernster Gesichtsausdruck. Er wirkte eigentlich wie immer, aber der erlittene Schmerz und das Wissen um seine Sterblichkeit hatten ihre Spuren hinterlassen. Es tat Julia in der Seele weh, wenn sie daran denken musste, was er alles durchgemacht hatte. Doch sein jugendliches, herausforderndes Grinsen erinnerte sie daran, was für ein Teufelskerl er früher gewesen war. Hinter seiner abweisenden Fassade verbarg sich noch immer der rastlose, junge Mann, in den sie sich vor über zehn Jahren verliebt hatte.

“Hey, schau nicht so traurig drein.”

Allie lächelte sie mit tortenverschmiertem Mund an. “Nur weil Zack, der Herzensbrecher, jetzt nicht mehr zu haben ist …”

“Ach ja.” Julia setzte das traurige Lächeln auf, das von ihr erwartet wurde. Zack Brody war der begehrteste Junggeselle von Quimby gewesen. Also hatten sich seine ehemaligen Freundinnen zum “Club der gebrochenen Herzen” zusammengeschlossen. Die Schwesternschaft des Leids. Julia gehörte zusammen mit Allie zu den Gründungsmitgliedern, obgleich ihre Gefühle für Zack längst nicht dem entsprachen, was man ihr unterstellte. “Darüber bin ich längst hinweg”, versicherte Julie.

Allie tätschelte ihre Hand. “Natürlich.”

“Zack und Cathy passen doch wunderbar zusammen. Ich freue mich wirklich für sie.”

“Ja, ja. Wie wir alle.” Allie sah zu ihrem Ehemann und lächelte, als wollte sie sich bei ihm entschuldigen. “Egal. Ein paar von uns wollen sich nachher noch treffen, um gemeinsam zu trauern … äh … zu feiern. Ha, ha.”

Julia murmelte etwas Unverständliches. Sie hatte keine Lust, mit Allie, Gwen, den Thompson-Zwillingen und den übrigen unverheirateten Frauen über ihre unerfüllte Liebe zu Zack zu lamentieren.

Sie brauchte Action. Nein, diesmal würde sie nicht abwarten, bis Adam sich zu ihr bequemte. Sie würde sich nicht mehr an die Anstandsregeln halten. Sie wollte kein langweilige, angepasste Frau mehr sein.

“Für Oktober ist der Abend noch angenehm warm. Wir überlegen uns, ein Feuer am Strand zu machen. Ganz so wie früher. Einige von den Kerlen wollen auch kommen.” Allie lachte. “Mit Schnaps, wie ich denke. Wahrscheinlich glauben sie, leichtes Spiel zu haben, wenn sie euch Brautjungfern damit betäuben.”

Julia wollte schon den Kopf schütteln, hielt dann aber inne. “Wer kommt alles?”

“Fred und ich. Gwen, Karen und Kelly. Bei Faith weiß ich es nicht genau, sie zieht sich in letzter Zeit etwas zurück. Vielleicht trauert sie ja Zack nach. Von der Gruppe des Bräutigams kommen wohl alle und vielleicht ein oder zwei Knaben von Zack und Freds alter Basketballtruppe.”

“Was ist mit Adam?”, fragte Julia ungeduldig.

Allie verspeiste den Rest der Torte, bevor sie antwortete. “Es war seine Idee. Du kennst ihn doch.”

Nie im Haus bleiben, wenn man auch raus konnte. Immer der Erste sein, wenn es darum ging, etwas zu machen, etwas zu wagen. Und jedes Mal wilder und gefährlicher als beim vorherigen Mal.

Wie ein Komet, der auf seinem Weg durchs All verglühte. Sie war nur Julia Knox, die Bodenständige. Konnte sie es wagen, nach ihm zu greifen, ohne sich zu verbrennen? Ich muss, sagte sie sich. Es ist meine letzte Chance.

“Ich komme. Ich will nur erst nach Hause und mich umziehen.”

Allie betrachtete ihr kürbisfarbenes Kleid. Für Julias Geschmack war es viel zu übertrieben, aber Cathy hatte entschieden, den Einzelhandel von Quimby zu unterstützen. Und von dem örtlichen Brautausstatter konnte man schwerlich so etwas wie Geschmack verlangen.

“Auf immer eine Brautjungfer?”, fragte Allie spitz, denn sie war überhaupt nicht gebeten worden, als Brautjungfer zu fungieren. Obwohl sie mittlerweile glücklich verheiratet war, hatte sie doch seinerzeit eine sehr heiße Affäre mit Zack gehabt. Glücklicherweise interessierte Cathy sich nicht für die Vergangenheit ihres Mannes.

Julia setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. “Vielleicht ist das ja die Chance für uns alle, uns weiterzuentwickeln, jetzt, da Zack vergeben ist.”

Allie wechselte achselzuckend das Thema. “Es gibt immer noch Adam. Obwohl der nicht gerade für die Ehe gemacht ist. Kein fester Job, kein Haus, keine Rücklagen.”

Autor

Carrie Alexander
Von Anfang an stand fest, dass Carrie Alexander einen kreativen Beruf ausüben würde. Bereits als Kind hatte sie eine überaus lebhafte Fantasie, dachte sich Geschichten aus und malte viel.

Schließlich wurde sie Bibliothekarin. Sie versuchte sich in ihrer Freizeit an Horrorgeschichten und malte in Öl. Damals entdeckte sie ihre erste...
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