Zum 50-Jahre-Jubiläum: 5 zärtliche Scheiche

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Seit 50 Jahren steht Julia für Liebesromane der Extraklasse: starke, mächtige Männer, hinreißende Frauen, zärtliche Romantik und prickelnde Leidenschaft an glamourösen Schauplätzen – Happy End garantiert! Der CORA Verlag möchte dieses Jubiläum gebührend feiern – feiern Sie mit!
Dieses Jubiläums-eBundle enthält die schönsten Scheich-Romane aus der Reihe Julia:

WIE ZÄHMT MAN EINEN SCHEICH? von TRISH MOREY

"Rennen Sie um Ihr Leben, Prinzessin!" Und Aisha gehorcht. Zusammen mit dem Fremden, der sie aus den Fängen ihrer Entführer befreit hat, läuft sie in die klare Wüstennacht hinaus. Der Freiheit entgegen, glaubt sie. Zu spät erkennt sie, dass sich ihre Situation nicht verbessert hat. Denn ihr Retter ist Scheich Zoltan Al Farouk – in ihren Augen ein Barbar – der sie zur Ehe zwingen will! Wild wie der Wind und feurig wie die Sonne scheint er nur seinem eigenen Gesetz zu gehorchen. Wird es Aisha jemals gelingen, diesen stolzen Sohn der Wüste zu zähmen?

EROBERT VON DEM PRINZEN DER WÜSTE von JENNIE LUCAS
Ich wünsche dir noch ein schönes Leben, Sharif! Scheich Sharif bin Nazih al-Aktoum ist fassungslos. Normalerweise sinken ihm die schönsten Frauen willenlos in die Arme. Aber Irene Taylor ist offensichtlich anders! Dabei versucht er seit 48 Stunden, sie zu verführen. Doch mit ihrer Absage ist sein männliches Interesse an dieser Traumfrau mit den aufregenden Kurven nicht gestorben. Im Gegenteil. Wenn er Irene nicht mit kostbaren Geschenken und seinem feurigem Charme locken kann, dann muss der Prinz der Wüste eben zu anderen Waffen greifen …

ZAUBER DER WÜSTE von SUSAN MALLERY
In einer heißen Wüstennacht lässt Kayleen sich von Prinz As'ad zur Liebe verführen und ist überglücklich. Bis As’ad entdeckt, dass er ihr erster Mann ist, und ihr sofort einen Antrag macht. Nur aus Pflichtgefühl? Denn die magischen drei Worte sagt er nicht …

FALSCHE VERLOBUNG MIT DEM PLAYBOY-SCHEICH von HEIDI RICE
Sie soll sich als seine Verlobte ausgeben? Orla kann nicht fassen, was Playboy-Scheich Karim vorschlägt. Doch der kämpferischen Irin bleibt keine Wahl. Wenn sie das geliebte Gestüt ihrer Familie behalten will, muss sie tun, was er verlangt. Aber Vorsicht: So arrogant und unendlich reich Karim ist, so atemberaubend sexy ist er. Als er sie zu einem Verlobungskuss in die Arme zieht, beginnt ein gewagtes Spiel. Denn Orla spürt nicht nur ungewollt sinnliche Erregung, sie ertappt sich auch bei dem heimlichen Wunsch, dass Karim sie nie mehr loslässt …

EIN SCHEICH FÜR DIE DIAMANTENPRINZESSIN von SUSAN STEPHENS
Kein Mann hat die kühle Britt Skavanga je so dahinschmelzen lassen wie der charmante Scheich Sharif. Aber will er wirklich sie – oder hat er es auf die Diamantenmine ihrer Familie abgesehen? Sie folgt dem Wüstenprinz heimlich in sein Königreich Kareshi ...


  • Erscheinungstag 09.03.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521796
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Morey

Wie zähmt man einen Scheich?

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de
Geschäftsführung: Thomas Beckmann
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christel Borges
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Trish Morey
Originaltitel: „Duty and the Beast“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2114 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: SAS

Fotos: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733700331

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Sie kamen in der Nacht, während alle im Lager schliefen. Nur das Rascheln der Palmen im kühlen Wüstenwind und das Schnauben der Kamele, die von einstigen Karawanen träumten, waren zu hören.

Sie verspürte keine Angst, als sie das leise Ritzen des Messers in der Zeltwand vernahm, auch nicht, als der Mann, ganz in Schwarz gekleidet und mit einem Tuch vor dem Gesicht, das die Augen durch schmale Stoffschlitze blitzen ließ, sich in das Zelt stahl. Selbst wenn seine große Gestalt und die Breite seiner Schultern ihr den Atem raubte und ihren Puls ins Stocken brachte.

Nein, es war Erleichterung, die sie durchflutete und ihr die Tränen in die Augen trieb. Erleichterung, dass die Rettung, um die sie so verzweifelt gefleht hatte, endlich hier war.

„Ich wusste, man würde mich finden“, flüsterte sie und glitt aus dem Bett, um ihrem Retter entgegenzueilen. Sie war komplett angezogen, und in ihrer Eile, von hier wegzukommen, wäre sie mit ihren feinen Pantoffeln fast gestolpert. Sie unterdrückte das Schluchzen, wusste sie doch, dass sie endlich fliehen konnte. Endlich war sie in Sicherheit. Es gab keinen Grund mehr für Angst.

Doch als sich eine Hand über ihren Mund legte, um sie zum Schweigen zu bringen, und sie sich mit dem Rücken gegen einen harten, muskulösen Körper gezogen fühlte, zuckte dennoch Angst durch sie hindurch.

„Kein Wort, Prinzessin“, zischte der Mann an ihrem Ohr. „Oder es könnte Ihr letztes sein.“

Sie versteifte sich. Ihre Erziehung erlaubte es ihr nicht, sich von Fremden anfassen zu lassen. Nur hatte sie keine andere Wahl, als die Unwürdigkeit der Berührung zu ertragen. Sein Arm lag wie ein eiserner Ring um ihre Taille, seine rechte Hand auf ihrem Leib, die andere noch immer über ihren Lippen. Fast konnte sie den Geschmack seiner warmen Haut schmecken.

Unnötig nah. Unnötig besitzergreifend.

Jeder Atemzug, den sie nahm, war angereichert mit seinem Duft, eine Mischung aus Pferdeschweiß und Leder und Wüstenluft, vermengt mit einem männlich herben Aroma, das ihr in der Nase brannte. Die Stellen, wo er sie berührte, flammten heiß auf, bis „unnötig besitzergreifend“ zu „unnötig intim“ wurde und ein ursprünglicher Instinkt sie warnte, dass sie vielleicht doch nicht so sicher war, wie sie zuerst angenommen hatte.

Etwas in ihr rebellierte. Törichter Mann! Er mochte gekommen sein, um sie zu retten, aber war sie nicht längst vorbereitet gewesen? Glaubte er wirklich, dass sie gebetet und gefleht hatte und jetzt hysterisch losschreien und alles verderben würde?

Sie war es leid, wie ein Ding behandelt zu werden, erst von Mustafas Schergen und jetzt von den Männern ihres Vaters. Sie war schließlich die Prinzessin von Jemeya. Wie konnte dieser Mann es wagen, sie wie einen Sack Mehl auf dem Basar herumzuschubsen?

Sie versuchte sich loszumachen, doch sein Griff wurde nur fester, auch wenn er plötzlich reglos verharrte und lauschte. So fest, dass es ihr die Luft aus den Lungen presste. Unwillkürlich rang sie um Atem, ihre Lippen teilten sich, und sie fühlte seinen Finger in ihren Mund dringen.

Schock wandelte sich in Panik, als sie seine Haut schmeckte. Die Intimität der Geste ließ sie sich fühlen, als würde man ihr Gewalt antun. So machte sie das Einzige, was ihr übrig blieb.

Sie biss zu.

Fest.

Er zuckte zusammen und stieß einen unterdrückten Fluch aus, zog den Finger zurück, ließ sie jedoch nicht los, sondern zog sie noch enger an sich. „Halten Sie still!“

Sie war überzeugt, dass er aus Stein gemacht sein musste, so hart, wie seine Brust war. Ein warmer Fels, in dessen Zentrum der Herzschlag rhythmisch wie eine Trommel schlug. Dieser Mann war nicht nur einfach ein namenloser Krieger, geschickt von ihrem Vater, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut. Ein Mann, der seine Hände an Stellen auf ihrem Körper legte, wo niemandes Hand das Recht hatte zu liegen. Eine Hand, die eine seltsame Hitze in ihrem Leib zusammenfließen ließ …

Sie war froh, dass sie ihn gebissen hatte. Hoffentlich tat es weh. Das würde sie ihm auch sagen, wenn er nur endlich seine Hand von ihrem Mund nehmen würde.

Dann hörte sie es – ein dumpfes Grunzen draußen vor dem Zelt. Sie zuckte zusammen, als ein Körper durch den Vorhang zu Boden sackte. Ahmed. Die Wache. Ahmed, der sie mit lüsternen Blicken taxiert hatte, jedes Mal, wenn er ihr Essen brachte. Ahmed, der nur gelacht hatte, wenn sie gebieterisch forderte, zu ihrem Vater zurückgebracht zu werden, und ihr genüsslich beschrieb, was Mustafa mit seiner Braut machen würde, sobald sie verheiratet wären.

Ein zweiter Mann in Schwarz tauchte hinter der bewusstlosen Wache auf und nickte dem ersten Krieger zu. „Die Luft ist rein. Aber geht schnell, da sind mehr.“

„Und Kadar?“

„Bereitet seine Überraschung vor.“

Sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde, ihre Füße berührten den Teppich nicht mehr. Ihr Krieger zögerte den Bruchteil einer Sekunde, dann setzte er sie wieder ab und gab sie frei.

„Können Sie so gut rennen, wie Sie beißen?“, fragte er.

Das amüsierte Funkeln in seinen Augen machte sie nur wütender. Jetzt lachte er auch noch über sie? Ihr hochmütiger Blick war dazu gedacht, ihm den Humor vergehen lassen! „Ich beiße besser.“

„Hoffen wir, dass Sie sich irren“, murmelte er düster, packte ihre Hand und rannte mit ihr auf die Dünen hinter dem Zelt zu.

Laute Rufe erschollen hinter ihnen, das Lager war alarmiert. Adrenalin pumpte durch ihren Körper, feuerte sie an, so wie sie sich an dem Gedanken festhielt, dass sie dem Mann ihres Vaters Manieren gegenüber einer Prinzessin beibringen würde, sobald sie in Sicherheit waren.

Eine Gewehrkugel flog zischend über ihre Köpfe hinweg, und sie vergaß, wütend auf ihren Retter zu sein. Erschießen würde man sie sicher nicht, die Banditen konnten keinen politischen Eklat riskieren. Doch es war dunkel, und unter ihren Entführern herrschte Hektik … Sie hatte nicht vor, es auf einen Beweis für ihre Theorie ankommen zu lassen.

So wie sie nicht gedachte, den lauten „Halt!“-Rufen Folge zu leisten. Sie würde sich nicht mehr einfangen lassen, nicht, wenn Mustafas Drohung ihr noch immer in den Ohren hallte und sie mit Abscheu erfüllte. Einen Wurm wie Mustafa heiraten? Niemals! Das hier war das einundzwanzigste Jahrhundert. Niemand würde sie zwingen, irgendjemanden zu heiraten!

Also klammerte sie sich fester an die Hand ihres Retters und zwang sich, durch den Sand zu laufen, so schnell sie konnte. Ihre Lungen brannten, ihre Muskeln schmerzten, ihr Mund war staubtrocken. Lange würde sie nicht mehr durchhalten …

Sie hatten den Grat der Düne erreicht und stolperten auf der anderen Seite den Hang hinunter. Über ihrem rasselnden Atem hörte sie plötzlich ein schrilles Pfeifen hinter sich, und dann färbte sich der Nachthimmel orangerot, als nacheinander eine Reihe von Explosionen hochgingen. Die gellenden Rufe und Schreie wurden hektischer, schriller, der beißende Geruch von Schwarzpulver hing in der Luft.

„Was haben Sie gemacht?“, wollte sie wissen. Von hier oben sah man das Flackern der Flammen von den brennenden Zelten. Flucht war eine Sache, aber dabei eine Spur von Verletzten, vielleicht sogar Toten zu hinterlassen, eine ganz andere.

Er zuckte mit den Schultern, als wäre es völlig unwichtig. „Wollen Sie nicht gerettet werden, Prinzessin?“ Er reckte den Kopf höher, sah sich suchend um und erblickte die Schemen in der Dunkelheit. Pferde schnaubten leise. Ein Mann wartete mit vier Tieren, eines für jeden von ihnen.

Für einen Moment bereute sie, dass sie beim Laufen durch den Sand ihre Pantoffeln verloren hatte, bis ihr klar wurde, dass es ein geringer Preis für das war, was sie gewinnen würde. „Sicher mussten Sie nicht zu weit reiten, oder?“, fragte sie, während sie auf die Tiere zueilten.

„Halten Sie sich der Mühe nicht für wert?“

Wieder gewann sie den Eindruck, dass er sich über sie amüsierte. Frustriert wandte sie das Gesicht ab, konzentrierte sich auf das Positive. Ihr Vater hatte einen Rettungstrupp geschickt. Bald wäre sie wieder zu Hause, wo man sie ernst nahm und Männer sie weder mit funkelnden Augen noch mit kaum verhohlenem Grinsen ansahen – und sie erst recht nicht anfassten und ihr Stromstöße über die Haut jagten.

Sie konnte es kaum noch abwarten. Sie wollte nach den Zügeln eines Pferdes greifen, doch er hielt ihr Handgelenk fest.

„Nein, Prinzessin. Sie reiten mit mir.“

„Wieso? Es sind doch vier Tiere.“

„Und wir sind zu fünft.“

„Aber …“ Dann sah sie die beiden Männer die Düne hinunterlaufen. Sie hatte nur mit einem Mann gerechnet.

„Kadar.“ Ihr Retter schlug einem der Männer auf die Schulter, und sie fragte sich, wie er überhaupt wissen konnte, wer wer war. Sie hätte die Männer niemals auseinanderhalten können. „Dein Feuerwerk hat die Prinzessin nicht beeindruckt.“

Feuerwerk? dachte sie fassungslos, während der Mann, der Kadar hieß, sich gespielt enttäuscht gab. Das war nur ein Feuerwerk gewesen?

„Dann muss ich mich entschuldigen, Prinzessin. Beim nächsten Mal werde ich mir mehr Mühe geben.“

„Den Zweck hat es auf jeden Fall erfüllt, Kadar. Jetzt lasst uns losreiten, sonst erinnern sie sich noch, was sie getan haben, bevor der Himmel explodierte.“

Sie sah sehnsüchtig zu dem Pferd hin, das sie für sich hatte wählen wollen, doch der Mann, der mit den Tieren hinter der Düne gewartet hatte, saß bereits im Sattel.

Sie alle waren Krieger, groß und breitschultrig gebaut. Söldner, angeheuert von ihrem Vater, um sie zu retten. Nun, vielleicht hatte ihr Vater sein Geld weise ausgegeben, vermutlich waren diese Männer gut in dem, was sie taten. Dennoch konnte sie es kaum erwarten, ihnen den Rücken zu kehren. Vor allem dem, der sich unerhörte Freiheiten mit seinen Händen erlaubte und eine zügellose Zunge besaß.

„Sind Sie so weit, Prinzessin?“

Bevor sie überhaupt die Chance zu einer Antwort hatte, fühlte sie sich auf das Pferd gehoben, und schon schwang sich ihr unmöglicher Retter hinter sie, zog sie an sich und ergriff die Zügel. Er breitete seinen Umhang um sie beide, so dass sie wie in einen Kokon eingewickelt war.

„Ich darf doch wohl bitten …!“ Sie drehte und wand sich, wollte Abstand schaffen.

Er zog den Umhang fester und stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken. „Wir haben einen langen Weg vor uns. Wenn Sie sich entspannen, wird es einfacher.“

Niemals! „Das hätten Sie mir auch sagen können.“ Sie hielt sich steif wie ein Brett und stellte sich vor, eine tiefe Kluft läge zwischen ihnen und nicht nur wenige dünne Schichten Stoff. Und sie versuchte, den Arm zu ignorieren, der um ihre Hüfte lag, ebenso wie sie sich weigerte, die Flammen wahrzunehmen, die überall dort an ihrer Haut leckten, wo ihre Körper sich im Rhythmus des Galopps aneinanderrieben.

„Was?“

„Dass es nur ein Feuerwerk war.“

„Hätten Sie mir geglaubt?“

„Sie haben mich denken lassen, es sei etwas viel Schlimmeres.“

„Sie denken zu viel.“

„Sie wissen doch gar nichts von mir.“

„Ich weiß, dass Sie zu viel reden.“ Er presste sie enger an sich. „Entspannen Sie sich.“

Sie gähnte. „Sie sind anmaßend und despotisch.“

„Machen Sie die Augen zu und versuchen Sie zu schlafen.“

Sie wollte nicht schlafen. Wenn sie einschlief, dann würde sie gegen ihn sacken, an seine harte Brust, näher heran an das schlagende Herz. Prinzessinnen schliefen grundsätzlich nicht zusammengesackt an der Brust eines Fremden, vor allem nicht bei Fremden wie diesem: arrogant, selbstherrlich, autokratisch.

Sie war schon die ganze letzte Nacht wach geblieben, da würden ihr ein paar Stunden mehr nicht schaden. Sie wandte sich zu ihm um, während sie dahinritten, sah die markante Linie seines Kinns, den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen. Als sie merkte, dass sie starrte, richtete sie den Blick gen Himmel und suchte nach dem hellsten Stern am samtschwarzen Wüstenhimmel.

„Wie weit ist es nach Jemeya?“

„Zu weit, um heute Nacht noch weiterzureisen.“

„Weiß mein Vater, dass ich in Sicherheit bin?“

„Er wird es erfahren.“

„Gut.“ Sie gähnte erneut, als die Müdigkeit sie plötzlich einholte. Um dem kalten Wind an ihren Wangen auszuweichen, barg sie das Gesicht tiefer in dem Umhang und stellte sich vor, sie läge in ihrem eigenen Bett in ihren Gemächern im Palast.

Das Pferd galoppierte weiter und weiter, wiegte sie rhythmisch mit jedem kraftvollen Schritt. Furcht, dass sie herunterfallen könnte, hatte sie nicht, dafür hielt der Mann sie zu fest. Sie atmete tief die warme Luft unter dem Umhang ein. Der Duft des Mannes war so anders als der vertraute Geruch ihres Vaters nach Pfeifentabak und Aftershave, aber nicht unangenehm. Der Mann strahlte die Essenzen der Wüste aus, eine Mischung aus Sonnenschein und Sand, Leder und Pferd und noch eine ganz eigene herbe Note.

Sie holte tief Luft, verstaute das Aroma in ihrer Erinnerung. Schon bald würde sie wieder in ihrem Bett liegen, umgeben von vertrauten Gerüchen und Geräuschen, warum also sollte sie diese neue Erfahrung nicht auskosten? Sie könnte sich auch entspannen, für eine kleine Weile nur …

Sie schloss die schweren Lider und lehnte sich an den warmen Oberkörper ihres Retters zurück. So schlimm war es gar nicht. Ein kurzes Schläfchen würde ihre Energie auffüllen, niemand brauchte zu wissen, dass sie in den Armen eines Fremden eingeschlafen war.

Und niemand würde erfahren, wie sehr sie es genossen hatte.

Zoltan Al Farouk bin Shamal konnte genau den Moment nennen, in dem die Prinzessin einschlief. Sie hatte sich tapfer gegen den Schlaf gewehrt, hatte steif wie Brett vor ihm gesessen.

Steif wie ein Brett. Bei dem Gedanken hätte er fast aufgelacht. Nein, ein Brett war sie wahrhaftig nicht, das hatte er sofort gemerkt, als er seine Hand auf ihren Körper gelegt und sie an sich gezogen hatte. Ein Manöver, das keineswegs geplant gewesen war. Er hatte sie nur zum Schweigen bringen wollen, bevor sie unabsichtlich Alarm auslöste. Auf diese Art hatte er jedoch feststellen können, dass die Prinzessin ihre Reize besaß. Es war ihm nicht schwergefallen, sie an sich zu pressen und ihr Zittern zu spüren, auch wenn sie sich alle Mühe gegeben hatte, unbeeindruckt zu wirken.

Zumindest bis sie ihren Instinkten nachgegeben und ihn gebissen hatte.

Jetzt erlaubte er sich doch ein leises Lachen. Es stieg rollend aus seiner Kehle und wurde von der Luft davongetragen. Nein, an der Prinzessin war nichts Hölzernes.

Vor allem im Moment nicht. Das rhythmische Galoppieren hatte sie eingelullt, er hatte spüren können, wie der Widerstand langsam aus ihr herausgeflossen war und sie sich mehr und mehr entspannt hatte, bis sie sich schließlich an ihn schmiegte.

Es fühlte sich überraschend gut an, wie sie da an seiner Brust lag, weich und nachgiebig. Jede einzelne ihrer femininen Kurven war eine Einladung zur Sünde.

Genau wie ihre berüchtigte Schwester. Ging sie ebenso frei mit ihren Liebesbeweisen um? Überraschen würde es ihn nicht, sie hatte das exotische Aussehen der königlichen Frauen von Jemeya. Allein die Augen reichten, um die Fantasie eines Mannes anzuregen, und die vollen Lippen versprachen unbeschreibliche Freuden. In ihrem Alter musste sie Liebhaber gehabt haben. Aber zumindest bewies sie mehr Verstand als ihre Schwester und hatte keine Kinder.

Es würde keine Bürde sein, mit dieser Frau zu schlafen. Bei der Aussicht meldete sich ein Ziehen in seinen Lenden. In weniger als achtundvierzig Stunden würde sie die Seine sein. So lange konnte er warten. Vielleicht ergaben sich aus dieser ungewollten Heirat ja doch noch unerwartete Vorzüge.

Vielleicht.

Er sah auf das Bündel in seinem Arm hinunter. Eines war sicher – verwöhnte Prinzessin oder nicht, für Mustafa und seinesgleichen war sie viel zu gut.

In unmittelbarer Nähe ritten seine Freunde mit ihm, die Hufe ihrer Pferde wirbelten Sand auf. Sie waren mehr als nur gute Freunde, sie waren die Brüder, die er nie gehabt hatte. Sie würden für die Hochzeit und die Krönung bleiben, danach würden sie wieder ihrer eigenen Wege ziehen – Kadar nach Istanbul, Bahir zurück an die Roulettetische in Monte Carlo und Rashid dorthin, wo immer sich das meiste Geld in der kürzesten Zeit verdienen ließ.

Er würde sie vermissen. Vor allem, da er ab jetzt nicht mehr frei sein würde, um zu ihnen zu stoßen, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Denn er war nicht länger der Kopf einer internationalen privaten Fluggesellschaft, der sich freinehmen konnte, wann immer er wollte. Vielleicht war all das, was er sich aufgebaut hatte, umsonst gewesen, denn ab jetzt saß er in Al-Jirad fest, um seine Pflicht zu erfüllen.

Die Frau in seinem Arm rührte sich und seufzte leise. Sie schmiegte sich noch enger an ihn, ihre Hand rutschte über seine Brust, an seinem Bauch hinunter und kam gefährlich nahe an seinen Schritt.

Er stöhnte auf, als sein Körper prompt unmissverständlich reagierte. Wenn sie das mit ihm anstellen konnte, wenn sie schlief, wie würde es dann erst sein, wenn sie hellwach war?

Schon jetzt freute er sich darauf, es herauszufinden.

2. KAPITEL

Aisha setzte sich im Bett auf, noch schlaftrunken und in Träume von geheimnisvollen Wüstenmännern mit breiten Schultern und starken Armen, die sie umschlungen hielten, verstrickt.

Nein, nicht Männer . Nur ein Mann hatte ihre Träume beherrscht, so als hätte er ein von Gott gegebenes Recht dazu.

Lächerlich. Gott sei Dank würde sie ihn nie wiedersehen müssen. Trotzdem bedauerte sie, dass sie nicht die Möglichkeit gehabt hatte, sich bei ihm zu bedanken.

Wie seltsam. Dieser unmöglich arrogante Mann hatte sich bei jeder Gelegenheit über sie lustig gemacht, zudem würde ihr Vater ihn mehr als großzügig für ihre Rettung entlohnen – und ihr tat es leid, dass sie sich nicht bei ihm bedankt hatte?

Sie war in Sicherheit, allein das zählte. Man hatte sie aus den Klauen ihrer Entführer befreit, die drohende Hochzeit mit diesem Widerling Mustafa war abgewendet worden. Mit einem Seufzer ließ sie sich in die seidigen Kissen zurückfallen.

Sie war frei.

Nur … wo war sie? Sie sah sich in dem dämmrigen Raum um. Von der Größe zu schließen, musste es sich um ein Luxushotel oder einen Palast handeln, und auch das Bett stand in Bequemlichkeit ihrem eigenen nicht nach. Oh, wie sehr freute sie sich schon darauf, in ihrem eigenen Bett zu liegen!

Als Aisha die Decke zurückschlug, stellte sie fest, dass sie vollständig angezogen war. Wer immer sie hergebracht hatte, hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu entkleiden. Etwa der Mann, der hinter ihr auf dem Pferd gesessen und sie festgehalten hatte?

Auf dem Weg zum Fenster drehte sie sich um und schaute zu dem luxuriösen Bett zurück. Hatte er sie dort abgelegt und die Decke über sie gezogen, behutsam und vorsichtig, damit sie nicht aufwachte?

Sie erschauerte leicht, als sie sich daran erinnerte, wie bei dem Ritt sein warmer Atem über ihre Wange gestrichen war, wie sie den Herzschlag in seiner Brust gefühlt hatte.

Dann allerdings erinnerte sie sich wieder daran, dass er sich über sie lustig gemacht hatte, und sie fragte sich, warum sie so viel Zeit mit Gedanken an ihn verschwendete, wenn es doch viel wichtigere Dinge gab, mit denen sie sich beschäftigen sollte.

Zum Beispiel, wie sie nach Hause kam.

Sie tappte zum Fenster, neugierig darauf, ob sie etwas erkennen könnte, das ihr sagte, wo sie war. Vielleicht war ja sogar ihr Vater hier und wartete darauf, dass sie endlich aufwachte, damit er sie begrüßen konnte.

Ihre Zehen krallten sich in den feinen Seidenteppich, als sie den schweren Brokatvorhang beiseiteschob. Helles Sonnenlicht ließ sie blinzeln. So hoch, wie die Sonne stand, war es längst nach Mittag. Wie lange mochte sie geschlafen haben?

Ihre Augen gewöhnten sich an die Helligkeit. Unter dem Fenster lag ein Innenhof, ein wunderschöner Garten mit blühenden Orangenbäumen und prächtigen Stauden. In der Mitte sprudelte munter Wasser in einen Springbrunnen, die Tropfen glitzerten wie Diamanten im Sonnenlicht. Jenseits des Innenhofs war ein großer Palast mit schlanken Türmen und goldenen Kuppeln zu sehen, zu dem ein überdachter Weg führte. Es war ein wunderschönes Bild.

Bis auf die schwarzen Flaggen, die an jedem Fahnenmast wehten. Ein ungutes Gefühl überlief Aisha und ließ sie trotz des warmen Tages erschauern.

Wieso hatte man schwarze Fahnen gehisst? Was war hier passiert?

Ein leises Klopfen ertönte an der Tür. Sie drehte sich zu dem jungen Mädchen um, das mit einem Tablett in Händen eintrat.

„Oh, Sie sind wach, Prinzessin.“ Die Dienerin stellte das Tablett ab und verbeugte sich, goss dann einen aromatisch duftenden Tee ein. „Sie haben fast den ganzen Tag geschlafen. Ich habe Ihnen Tee, Joghurt und Obst gebracht, falls Sie hungrig sind.“

„Wo bin ich hier? Und warum sind überall schwarze Fahnen gehisst?“

Das Mädchen wirkte verlegen, als wüsste es nicht, was es antworten sollte. Es reichte Aisha die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit. Der Duft von Honig, Gewürzen und Zimt stieg in die Luft. „Ich werde Bescheid geben, dass Sie wach sind.“

„Bescheid geben? Wem? Ist mein Vater hier?“

Das Mädchen sah zu einer Tür. „Sie haben lange geschlafen. Ihre Kleider finden Sie dort im Ankleidezimmer. Möchten Sie, dass ich Ihnen etwas heraussuche, während Sie baden?“

Mit einem Kopfschütteln stellte Aisha die Tasse ab. „Nein. Ich möchte, dass Sie meine Fragen beantworten.“

Das Mädchen blinzelte. „Sie sind in Al-Jirad, Prinzessin.“

Al-Jirad? Also nicht mehr weit von Jemeya entfernt, nur eine halbe Stunde Flug mit dem Hubschrauber von der Küste bis zur Insel. „Ist mein Vater hier, oder wartet er zu Hause auf mich?“

„Gleich wird jemand zu Ihnen kommen.“ Das Mädchen fühlte sich offensichtlich unwohl, mit einer tiefen Verbeugung wollte es sich zurückziehen.

„Warte!“

Unsicher blickte das junge Ding über die Schulter zurück. „Ja?“

„Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.“

Das Mädchen legte die Hände vor sich zusammen und neigte den Kopf. „Rani, Prinzessin.“

Aisha lächelte, sie wollte das Mädchen beruhigen. Außerdem hatte sie so viele Fragen, die die Dienerin ihr sicher beantworten konnte. „Danke für den Tee, Rani. Ich möchte dich etwas fragen …“

„Ja?“

„Der Mann … ich meine, die Männer, die mich hergebracht haben … sind sie noch hier im Palast?“

Das Mädchen blickte sehnsüchtig zur Tür.

„Ich möchte ihnen danken, dass sie mich gerettet haben.“

Jetzt wrang die junge Dienerin nervös die Hände. „Jemand wird gleich zu Ihnen kommen, Prinzessin. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“ Noch eine Verbeugung, dann floh sie praktisch aus dem Zimmer. Die Tür fiel leise klickend hinter ihr ins Schloss.

Frustriert seufzend nippte Aisha an ihrem Tee. Immerhin wusste sie jetzt, wo sie war, dennoch wunderte sie sich noch immer über die schwarzen Flaggen. Vielleicht war die Mutter des Königs der Krankheit erlegen, unter der sie seit Jahren litt. Sie hatte gehört, dass die alte Königin nicht mehr auf die Behandlung ansprach. Die ganze Nation würde trauern, das wusste sie. Königin Petra wurde von allen geliebt und bewundert.

Auf jeden Fall war sie froh, dass sie in Al-Jirad war. Die guten, engen Beziehungen zwischen Al-Jirad und Jemeya – das eine Königreich wenig mehr ein Wüstenstaat am Ende einer Halbinsel, das andere ein Punkt auf einer Insel vor der Küste – bestanden seit Jahrhunderten. Die geografisch günstige Lage direkt an der Schifffahrtsroute hatte ein festes Band zwischen beiden Nationen geknüpft, sie waren sozusagen die Wächter für den Weg ins Inland.

Und König Hamra von Al-Jirad war einer der engsten Freunde ihres Vaters. Das hier musste eine der Palastanlagen sein, die er im Land hatte erbauen lassen.

Aisha beeilte sich mit Duschen, sie brannte darauf, mehr herauszufinden. Dabei überlegte sie, warum sie das Mädchen überhaupt nach ihrem Retter gefragt hatte. Wollte sie den Mann wirklich wiedersehen, wenn sie doch wusste, welche Wirkung er auf sie gehabt hatte? Wie konnte sie ihm gegenübertreten und nicht daran denken, wie fest er sie gehalten hatte? Wie sollte sie das Erröten verhindern, wenn sie sich daran erinnerte, wie gut es sich angefühlt hatte?

Nein, es war wohl angebrachter, wenn sie Fremde blieben. Nur gut, dass er das Tuch nicht vom Gesicht genommen hatte. Sie wollte gar nicht wissen, wer er war.

Vor dem Tablett blieb sie stehen und nahm sich eine frische Dattel, schenkte sich Tee nach. Nach der Dusche fühlte sie sich erheblich besser und war zuversichtlich, dass sie schon bald wieder zu Hause sein würde. Dann sah sie in dem Ankleidezimmer nach, um etwas zum Anziehen für sich zu finden.

Die Zuversicht schwand, als sie die Tür aufzog. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Merkwürdig, sie hatte erwartet, ein oder zwei Teile vorzufinden, stattdessen hingen die Stangen voll.

Mit ihrer eigenen Garderobe.

Gewänder, Kleider, Schuhe, Pantoffeln, Handtaschen. Alles war da. Sie besah sich die Regale. Ihre Schmuckschatulle stand auch hier. Sogar Honey, der kleine Teddybär mit den abgewetzten Ohren aus ihrer Kindheit, saß auf einer Kommode und blickte ihr mit dem einen Auge, das ihm noch verblieben war, entgegen. Sie hob das geliebte Spielzeug auf, drückte es an die Brust und ließ sich auf das zierliche Sofa sinken. Sie wünschte, der Teddy könnte ihr den gleichen Trost spenden wie damals, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.

„Was bedeutet das alles, Honey?“, flüsterte sie dem Bären zu, genau wie damals, als sie die Welt der Erwachsenen nicht verstanden hatte. Genau wie damals, als ihr Vater ihr sagte, dass ihre Mutter nicht mehr aus dem Krankenhaus zurückkommen würde, in das sie gegangen war, um das neue Baby zu bekommen.

Ein Teil von ihr wollte wegrennen wie damals das Kind. Sie wollte die junge Dienerin finden, die Rani hieß, und von ihr eine Erklärung verlangen. Doch sie war erwachsen, und sie war eine Prinzessin. Und sie konnte kaum in einem Morgenmantel durch den Palast rennen.

So etwas würde sie niemals tun, ganz gleich, wie verwirrt sie war, wie drückend die Fragen auf sie einstürzten und wie dringend sie Antworten brauchte. Es musste eine logische Erklärung geben, warum sich all ihre Habseligkeiten in einem Palast in Al-Jirad befanden.

Nein, sie würde also keinen Wirbel machen. Sie würde etwas von ihren eigenen Sachen anziehen, und erst wenn sie wie eine Prinzessin aussah, würde sie sich auf die Suche nach Antworten machen.

Sie war fest entschlossen, sie zu finden!

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis ein Mann zu ihr kam, der sich als Hamzah vorstellte. Der Wesir des Scheichs, wie er sie mit einer tiefen Verbeugung wissen ließ. Alle Fragen würde der Scheich ihr beantworten, versprach er. Also folgte sie wortlos dem drahtigen alten Mann über den Weg durch die prächtige Gartenanlage, die sie von ihrem Fenster aus gesehen hatte, auch wenn ihre Ungeduld von Minute zu Minute wuchs.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, überzog den Sandstein des Palasts mit leuchtendem Rot, aber eigentlich war es noch viel zu heiß für den weißen Leinenanzug, den sie aus ihrer Garderobe gewählt hatte.

Es störte sie nicht, im Gegenteil. Sie hatte sich aus einem ganz bestimmten Grund nicht für eine der kühleren Seiden-Abayas entschieden – es sollte von vornherein klar sein, dass sie sich bei der ersten Gelegenheit auf den Weg nach Jemeya machen wollte, am besten heute noch. Ihre Sachen konnte man ihr nachschicken.

Ein leichter Windhauch, gekühlt vom Wassernebel der vielen Springbrunnen, strich über ihren Nacken. Nur gut, dass sie ihr Haar aufgesteckt hatte. Sie hatte darauf geachtet, mit ihrem Erscheinungsbild den Eindruck von gelassenem Ernst und Selbstbewusstsein zu bieten. Beides brauchte sie, und von beidem besaß sie genug. Dennoch war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihre gesamten Sachen sich hier befanden. Es ergab einfach keinen Sinn.

Die Erleichterung, Mustafas Wüstenlager entkommen zu sein, wich schnell einem neuen Argwohn. Etwas stimmte hier nicht.

Der Wesir führte sie in den Hauptteil des Palastes und durch einen Irrgarten von Gängen. Wunderschöne Mosaike aus Kristallen und Halbedelsteinen schmückten die Wände, Wandbehänge und Brokatteppiche stellten farbenfrohe Szenen von Tieren an ihren Tränken dar. Und überall das ewige Thema Wasser – in Tierszenen, Mosaiken und in den Nischen, in denen kleine Springbrunnen plätscherten.

Es war wunderschön und zweifelsohne dazu gedacht, Ruhe zu spenden … würde nicht die Ungeduld das Geräusch eines jeden fallenden Tropfens, eines jeden leise zischenden Sprühens, eines jeden Murmelns in das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schultafel verwandeln.

Bis sie bei den geschnitzten Flügeltüren ankamen, die sich imposant und geheimnisvoll vor ihnen erhoben, lagen Aishas Nerven so blank, dass sie gut und gern die eigenen Fingernägel über etwas hätte ziehen können.

Dabei war sie normalerweise weder angriffslustig noch gewalttätig.

Können Sie so gut rennen, wie Sie beißen?

Noch immer hörte sie das Lachen in seiner Stimme. Hätte sie doch nur härter zugebissen! Doch da bedeutete Hamzah ihr, ihm zu folgen, und sie verdrängte den Gedanken an den fremden Mann. Wahrscheinlich war er längst auf und davon und verprasste seine Belohnung im nächstgelegenen Kasino oder in irgendeiner berüchtigten Kontaktbörse. Sie nahm an, dass Söldner so etwas taten. Es ging ihnen um das schnelle Geld und den Kick der Jagd.

Sie betraten eine Bibliothek, die Regale an den hohen Wänden bis zur Decke vollgestellt mit Büchern und alten Manuskripten. Viel Marmor machte den großen Raum angenehm kühl, ein Stuhl hier oder ein Sessel dort mit einem Seitentischchen mit Intarsienarbeiten luden zum Sitzen ein. In der äußersten Ecke des Raumes saß ein Mann an einem Schreibtisch hinter einem Computer, sein Haar schimmerte blauschwarz im Licht des Bildschirms.

Er hob den Kopf und sah den Ankömmlingen entgegen. Ein Sekretär, dachte Aisha. Ihre Laune sank. Wie viele Ränge der Bürokratie würde sie noch durchlaufen müssen, bevor sie endlich von dem mysteriösen Scheich Antworten auf ihre Fragen bekam?

„Prinzessin Aisha.“

Ihre Geduld war am Ende. „Können Sie meine Fragen beantworten? Oder können Sie mich wenigstens an jemanden verweisen, der es kann? Sosehr ich Ihre Gastfreundschaft zu schätzen weiß, ich will wissen, wieso ich nicht längst auf dem Weg nach Jemeya bin. Stattdessen finde ich meine gesamte Garderobe hier in einem Ankleidezimmer.“

Der ältere Mann schreckte zusammen. „Sie müssen entschuldigen, Hoheit.“

Ruckartig drehte sie den Kopf zum Wesir. Hoheit?

„Danke, Hamzah. Von hier an übernehme ich.“

Ihr Blick glitt zu dem Mann, der jetzt hinter seinem Schreibtisch aufstand. Er war groß und hatte breite Schultern. Und etwas an seiner Stimme …

Ihre Kehle wurde trocken. Das konnte doch unmöglich er sein! Verlor sie den Verstand? Ihr Vater hatte Söldner zu ihrer Rettung geschickt, dieser Mann jedoch gehörte … zum Adel?

Der Wesir hatte sich ehrerbietig zurückgezogen. Aisha nutzte die erste Chance. „Wieso hat er Sie mit ‚Hoheit‘ angesprochen? Dieser Titel ist doch sicherlich für König Hamra reserviert?“

Sie schluckte unmerklich, als er um den Schreibtisch herumkam und sich lässig an die Kante lehnte. Mit verschränkten Armen musterte er sie kühl, der Ausdruck in seinen Augen war nicht zu deuten. Sein Gesicht mit den markanten Zügen wirkte zu harsch, um als attraktiv zu gelten, und mit dem schwarzen Bartschatten sah er regelrecht … gefährlich aus.

„Also, wer sind Sie?“ Sie hob ihr Kinn an, unterdrückte rigoros das Beben in ihrer Stimme. „Warum scheint es unmöglich, Antworten auf meine Fragen zu erhalten?“

„Sie sind ungeduldig, Prinzessin. Vor dieser Charaktereigenschaft hat man mich nicht gewarnt. Andererseits … Sie haben einiges durchgemacht, insofern denke ich, dass man Ihnen den Mangel an Geduld dieses eine Mal verzeihen kann. Haben Sie gut geschlafen?“

Aha. Dieses eine Mal konnte man ihr also ihre Ungeduld verzeihen? Für wen hielt er sich? „Antworten Sie immer mit einer Gegenfrage?“

Er lächelte, für einen Moment sah er fast freundlich aus. Aber nur für einen Moment. Dann verdüsterte sich seine Miene. „Touché.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich bin Scheich Zoltan Al Farouk bin Shamal, aber natürlich können Sie mich mit Zoltan anreden.“

„Und ich bin Prinzessin Aisha aus dem königlichen Hause der Peshwah-Familie von Jemeya, und Sie können mich mit Prinzessin Aisha anreden.“

Er lachte auf, ein sonorer, tiefer Laut, viel zu attraktiv für jemanden, an dem sie alles unsympathisch finden wollte. „Wo ist mein Vater?“, verlangte sie zu wissen. „Warum ist er nicht hier, um mich in Empfang zu nehmen? Man hat mir versichert, dass er erfährt, wenn ich mich in Sicherheit befinde. Doch noch immer bin ich hier in Al-Jirad anstatt auf dem Heimweg nach Jemeya.“

Zoltan breitete die Arme aus. „Sagt Ihnen Ihre Unterbringung nicht zu? Fehlt etwas?“

„Man versprach mir, dass mein Vater verständigt wird.“

„Das wurde er, Prinzessin. Sobald Sie letzte Nacht das Wüstenlager verlassen hatten. Ich habe noch einmal mit ihm gesprochen, nachdem wir den Palast erreichten. Er ist über die Maßen erfreut. Er bat mich, Ihnen das auszurichten.“

Ihr war nicht einmal klar gewesen, dass sie den Atem angehalten hatte, bis sie die Luft aus den Lungen entweichen ließ. Endlich ergab etwas Sinn – das waren genau die Worte, die ihr Vater benutzen würde. „Also wartet er in Jemeya auf meine Rückkehr.“ Was allerdings nicht erklärte, wieso er ihre gesamte Garderobe hergeschickt hatte. Ihre Ankleidedame hätte einige Garnituren auswählen können. Aber vielleicht hatte er in der Panik nicht überlegt.

„Nein, Ihr Vater ist hier, im Blauen Palast, und erledigt Geschäftliches. Er wird Sie morgen besuchen.“

Sie blinzelte. Der Blaue Palast war der repräsentative Hauptsitz der königlichen Familie. Ihr Vater hatte wohl etwas mit dem König zu besprechen. Dann fielen ihr die schwarzen Flaggen wieder ein. Natürlich würde ihr Vater in Al-Jirad sein, wenn etwas vorgefallen war. „Ist etwas mit Königin Petra passiert? Ich habe die gehissten schwarzen Flaggen gesehen.“

Er runzelte die Stirn und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Um genau zu sein, ja.“

„Oh, das tut mir so leid. Also werde ich vorerst wohl nicht abreisen.“

Er lächelte wieder. „Nein, Prinzessin.“

„Dann warte ich solange hier.“

Er kreuzte die Beine an den Knöcheln. „Ich habe den Eindruck, dass Warten Ihnen nicht gefällt, Prinzessin.“

Ihr wurde bewusst, dass sie auf seine langen, muskulösen Beine starrte. Abrupt riss sie den Blick los und hob die Augen zu seinem Gesicht, nur um das amüsierte Zucken um seine Lippen zu erhaschen. Ein unterdrücktes Lachen … und noch etwas anderes, etwas Bedrohliches … wie ein Katze, die mit der Maus spielte, sie freigab, nur um erneut zum Sprung ansetzen zu können.

Nun, weder war sie eine Maus, noch würde sie rennen. Scheich oder nicht, sein Ton gefiel ihr nicht. Noch etwas auf ihrer Liste von Minuspunkten. Sie reckte die Schultern. „Vermutlich liegt es daran, dass ich in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit hatte, etwas anderes zu tun als warten. Endlose Stunden habe ich in der Wüste auf eine Fluchtmöglichkeit gehofft, da werde ich eine weitere Nacht auch noch durchhalten.“

Er nickte, sein Lächeln wurde breiter. „Gut. Ich bin sicher, Sie werden Ihre Zeit hier als sehr unterhaltsam empfinden.“

Sie spürte, dass sie damit entlassen war. Scheinbar war sie diejenige, die für die Unterhaltung sorgte, denn er schien sich bestens zu amüsieren. Doch ganz gleich, wie sehr dieser Mann sie ärgerte, sie konnte nicht gehen, ohne ihm nicht für den sicheren Hafen zu danken. „Ich möchte mich für Ihre Gastfreundschaft bedanken, Scheich Zoltan, und mich für meine Ungeduld entschuldigen. Sie werden meine Frustration sicher verstehen, nachdem niemand meine Fragen beantworten wollte.“

„Natürlich habe ich vollstes Verständnis dafür, Prinzessin.“

Sie nickte mit einem höflichen Lächeln, erleichtert, dass sie mit ihrem Verhalten keine diplomatische Krise zwischen den beiden Ländern heraufbeschworen hatte. Der Nachbarstaat hatte ihr Zuflucht geboten, eine solche Geste würde sie niemals herabwürdigen. „Dann möchte ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Scheich Zoltan. Ich werde in meiner Suite auf die Ankunft meines Vaters warten.“

Er nahm die Hand, die sie ihm reichte, und sie fühlte ein Prickeln des Erkennens, so als hätte sie diese Hand schon einmal gehalten. Die Hand eines Mannes, der mit langen, kräftigen Schritten rannte …

Unmöglich!

„Sagen Sie mir nur noch eines.“ Im letzten Moment erinnerte sie sich an die drängende Frage, die noch immer nicht beantwortet war. „Wieso hat mein Vater meine Garderobe nach Al-Jirad schicken lassen, wenn ich doch bald wieder zu Hause bin? Eine kleine Auswahl von Kleidern hätte völlig gereicht.“

Er zuckte mit den Schultern, ohne ihre Hand loszulassen. „Vielleicht dachte er, dass Sie die Sachen hinterher brauchen.“

„Hinterher?“

„Ja, nach unserer Hochzeit.“

3. KAPITEL

Abrupt zog Aisha ihre Hand zurück. „Sie haben den Verstand verloren!“ Die ganze Welt schien schlagartig verrückt geworden zu sein. Erst Mustafa und jetzt dieser Mann! „Ich heirate niemanden.“ Ein hysterisches Lachen arbeitete sich in ihrer Kehle empor. Sollte sie es herauslassen, würde man sie für verrückt halten. „Weder Mustafa noch Sie!“

„Ich bedaure, dass Sie es auf diese Art erfahren, Prinzessin. Ich wollte Sie zum Dinner einladen und Sie bei dem besten Essen, dem besten Wein und der besten Unterhaltung, die Al-Jirad zu bieten haben, von den Vorteilen dieses Arrangements überzeugen.“

„Es ist völlig gleich, wie Sie die Botschaft überbringen wollten. Die Antwort bleibt dieselbe. Ich heirate Sie nicht! Und jetzt werde ich in meine Suite gehen und dort warten, bis mein Vater ankommt. Es tut mir leid, dass sich jemand umsonst die Mühe gemacht hat, meine Sachen auszupacken, denn sie werden für meine morgige Abreise wieder eingepackt werden müssen. Gute Nacht.“

Sie schwang herum. Die Tür schien ihr plötzlich meilenweit entfernt, doch da wurde ihr Handgelenk mit eisernem Griff gepackt.

„Nicht so schnell, Prinzessin.“

Erst sah sie auf seine Finger, die um ihr schmales Gelenk lagen, dann hob sie den Blick zu seinen dunklen Augen. „Niemand fasst eine Prinzessin von Jemeya ohne deren Erlaubnis an.“

„Nun, der Verlobte …“

Sie riss sich los. „Es gibt keinen Verlobten!“

„Ihr Vater sieht das anders.“

„Sie haben wirklich den Verstand verloren. Mein Vater würde niemals seine Einwilligung zu einer Heirat geben, die ich nicht wünsche.“

„Vielleicht bleibt Ihrem Vater keine Wahl.“

„Und vielleicht träumen Sie nur. Er hat seine Männer nicht zu meiner Rettung geschickt, nur um mich dem nächsten verrückten Despoten zu übergeben.“

„Sind Sie sicher, dass es die Männer Ihres Vaters waren?“

Seine knappe Frage ließ sie stutzen. Natürlich hatte ihr Vater die Retter geschickt, er würde alles in seiner Macht Stehende für sie tun. Sie hasste diesen Mann dafür, dass er tatsächlich Zweifel in ihr säte. „Sobald ich in den Händen der Entführer war, wusste ich, dass mein Vater Leute aussenden würde, um mich zu suchen und zurückzuholen, und ich hatte recht. Die Männer sagten mir, mein Vater würde es sofort erfahren, wenn ich in Sicherheit bin. Wer sonst sollte sie geschickt haben?“

„Und wenn ich Ihnen sagte, dass es meine Männer waren, die Sie Mustafas Klauen und dem Schicksal, seine Söhne zu gebären, entrissen haben?“

Aufgebracht stemmte Aisha die Hände in die Hüften. „Ich habe genug gehört. Auf Wiedersehen.“ Sie drehte sich um und steuerte den Ausgang an. Sie würde durch diese Tür gehen, und dann würde sie alles vergessen, was sie über das Benehmen einer Prinzessin gelernt hatte und losrennen, so schnell sie konnte. Zurück in ihre Suite und sich einschließen. Sie würde erst wieder hervorkommen, wenn ihr Vater hier war und alles für die sichere Rückreise nach Jemeya arrangiert war. Dieses Mal hielten keine Fesseln sie zurück, dieses Mal gab es keine Wachen.

Für einen Moment war sie fest davon überzeugt, dass sie es schaffen würde, bis sie die schicksalhaften Worte hinter sich hörte.

„Und wenn ich Ihnen außerdem sagte, dass ich mit dem Segen Ihres Vaters zu Ihnen kam?“

Wie erstarrt blieb sie stehen. Panik erfasste sie, sie konnte sich nicht mehr rühren. Sie hörte nur noch das brausende Rauschen des eigenen Blutes in ihren Ohren.

Zu Ihnen kam? Hieß das, er war gestern Nacht in dem Lager gewesen? Er war einer der Männer der Rettungstruppe? Oder sollte er gar derjenige sein, der die Zeltwand aufgeschlitzt hatte? Der sie an seinen Körper gepresst und den dumpfen Puls in ihrem Leib in Gang gesetzt hatte? Der, in dessen Armen sie auf dem Pferderücken geschlafen hatte?

Der Fremde war auch groß und breit gebaut gewesen, offensichtlich durchtrainiert und genauso unerträglich arrogant. Allerdings war er ganz in Schwarz gekleidet gewesen, sein Gesicht hinter einer Maske verborgen, so dass sie von seinem Gesicht nur die blitzenden dunklen Augen hatte sehen können.

Nein, das konnte nicht sein. Sie weigerte sich, diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen!

Die Starre löste sich, sie schwang herum. „Sie bluffen! Sie haben zugegeben, heute mit meinem Vater gesprochen zu haben. Da hat er Ihnen alles über meine Rettung berichtet, und jetzt nutzen Sie das aus. Ich soll mich Ihnen verpflichtet fühlen, damit ich auf …“ Sie suchte nach einem Wort, das ihm den Irrsinn klarmachen würde. „… auf diese Verrücktheit eingehe.“ Und das stand völlig außer Frage! „Fantasieren Sie ruhig weiter. Mein Vater wird morgen sicherlich höchst amüsiert sein.“

Er stieß sich vom Schreibtisch ab und überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit langen Schritten. Blieb groß, ja fast bedrohlich vor ihr stehen, schaute kalt auf sie herunter. „Da wir gerade von Fantasien reden, Prinzessin, möchte ich diese eine mit Ihnen teilen: Ich bin gespannt darauf, was Ihr Mund alles vollbringen kann, wenn Leidenschaft und nicht Angst Sie im Griff hält.“

Der Schock jagte einen Blitz über ihren Rücken, fuhr durch ihren ganzen Körper, ließ sie die Hände zu Fäusten ballen, damit sie ihn nicht ohrfeigte. „Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen?“

Er streckte die Hand aus, fuhr mit dem Daumen über ihre Unterlippe. „Sie sind es, die mir die Idee in den Kopf gesetzt hat, Prinzessin. Sie mit Ihren kleinen scharfen Zähnen.“

Sie schnappte nach Luft und wich zurück. „Sie!“

Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust, und jetzt sah sie es: den roten Abdruck, den ihr Biss auf seinem rechten Zeigefinger hinterlassen hatte.

Er konnte mitverfolgen, wie sie die Augen aufriss, als sie begriff. Und er konnte ihre Angst förmlich wahrnehmen.

Es war ein seltsam gutes Gefühl.

„Genau, Prinzessin, ich. Sie haben mir Ihr Zeichen aufgedrückt. Ist das eine Tradition in Jemeya? Dass man den Versprochenen kennzeichnet?“

Sie hielt seinem Blick trotzig stand. „Es ist gleich, wer Sie sind und ob Sie gestern Nacht dort in dem Lager waren. Ich schulde Ihnen nichts außer meinem Dank, und ich kann Ihnen versichern, den haben Sie. Trotzdem werde ich Sie nicht heiraten.“

„Sie können sich sträuben, so viel Sie wollen, Prinzessin. Es gibt keine andere Lösung.“

„Und wenn ich mich weiterhin weigere?“

Er lächelte nur. „Vielleicht gäbe es doch eine Möglichkeit, wenn Sie tatsächlich so absolut dagegen sind.“

„Nämlich?“

„Ich bringe Sie zurück zu Mustafas Wüstenlager. Dann kann er nach Belieben mit Ihnen verfahren. Die Wahl liegt bei Ihnen, Prinzessin.“

Sie sah aus, als könnte sie jeden Moment explodieren. Ihr Gesicht war hochrot, die Hände hatte sie an den Seiten zu Fäusten geballt, ihre Augen schleuderten Dolche. „Wenn mein Vater seine Gespräche mit dem König abgeschlossen hat und morgen kommt, wird er Ihnen dasselbe sagen – es wird keine Heirat geben.“

Plötzlich war er das Spiel leid, auch wenn sie das einzig Amüsante in einer Welt war, die von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt worden war. Ihre Rettung hatte ihn seit Langem wieder mit seinen drei Freunden zusammengebracht. Sie seinem verhassten Halbbruder unter der Nase wegzuschnappen, war eine so unglaublich befriedigende Erfahrung gewesen, dass er das Gefühl noch jahrelang genießen würde.

Allerdings sah er sich jetzt mit einer verwöhnten Prinzessin konfrontiert, die sich tatsächlich einbildete, sie hätte ein Mitspracherecht. Warum hatte er ihr überhaupt den Eindruck vermittelt? Warum hatte er ihre Forderungen toleriert und ihre Fragen nicht unmissverständlich beantwortet?

Er wusste, warum. Weil er selbst in dieser unerquicklichen Situation gefangen war. Weil er nicht einsah, dass er als Einziger frustriert sein sollte. Weshalb also sollte er nicht wenigstens die Befriedigung empfinden, sie aus ihrer komfortablen Prinzessinnenrolle zu reißen?

Und welches Recht hatte sie überhaupt, wütend zu sein, wenn die Heirat das Einzige war, was von ihr verlangt wurde? Er dagegen hatte eine ganze Liste von Notwendigkeiten vom Wesir vorgelegt bekommen, die er alle erfüllen musste, bevor er den Thron von Al-Jirad besteigen konnte. Wer hatte überhaupt so viel Zeit? Er sollte fließend Jiradi und Arabisch sprechen können, das Heilige Buch auswendig lernen, um in der Lage zu sein, jederzeit daraus zu zitieren. Und um die Allianz zwischen den beiden Nationen weiter zu festigen, wurde ihm die zweifelhafte Ehre zuteil, eine Prinzessin aus dem königlichen Hause des Nachbarstaats zu heiraten.

Plötzlich wurde ihm alles zu viel. Er seufzte schwer, als er die offene Feindseligkeit in ihrem Blick las. Ihm reichte es schon jetzt, obwohl es noch gar nicht angefangen hatte.

„König Hamra ist tot.“

Sie blinzelte. Blinzelte noch einmal. Dann schien sich ihr Gesicht in ein einziges Fragezeichen zu verwandeln, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen. „Nein!“ Schockiert schlug sie die Hand vor dem Mund. „Aber Sie sagten doch, Königin Petra … Nein!“

Er hob den Blick zu ihren Augen. Sie hatten sich mit Tränen gefüllt, die überzulaufen drohten. Es überraschte ihn, dass sie offenbar die Macht besaß, ihn vom Wesentlichen abzulenken, und fluchte in Gedanken. Das, was er bisher unerwähnt gelassen hatte, war noch schlimmer.

„Aber wie?“, rief sie aus. „Wann?“

„Am Morgen Ihrer Entführung. König Hamra und die Königin waren unterwegs zu einem Urlaub in Ägypten. Seine Berater saßen mit ihnen in einem Helikopter, seine Mutter mit den anderen Söhnen und deren Familien in einem zweiten. Aus bisher ungeklärtem Grund sind die Rotoren während des Fluges aneinandergeschlagen. Beide Hubschrauber stürzten ab.“ Er machte eine Pause, ließ ihr Zeit, die Neuigkeit zu verarbeiten. „Es gab keine Überlebenden“, fügte er dann leise hinzu.

Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, ihre Augen kontrastierten scharf mit der bleichen Haut und wirkten wie dunkle Höhlen. Sie sah aus, als könnte sie jederzeit zusammenbrechen, und er packte sie bei den Schultern und drückte sie auf den nächsten Stuhl.

„Keine Überlebenden? Aber doch nicht Akram und Renata? Und Kaleem und Akra? Nein, bitte nicht auch die Kinder. Sie waren noch so jung, noch Babys …“

Er hatte ihr nichts anzubieten, also schwieg er, nickte nur unmerklich.

„Man hat mir nichts davon gesagt. Keiner in dem Lager hat etwas davon gesagt. Sie haben nur gelacht und anzügliche Bemerkungen darüber gemacht, was Mustafa mir antun wird. Niemand hat mir gesagt, dass der König und seine Familie tot sind. Niemand hat etwas gesagt …“

Mit großen Augen starrte sie ihn an, der Schock, die Verzweiflung, die Trauer deutlich darin zu lesen. Fast hatte er Mitleid mit ihr, was diese ganze scheußliche Angelegenheit für sie bedeuten würde. Aber warum sollte er Mitleid mit ihr haben, wenn es auf sein Leben ebenso weitreichende Auswirkungen hatte? Seine Zukunft wurde von Regeln bestimmt, die vor Jahrhunderten aufgestellt worden waren. Sie beide waren hilflos der Situation ausgeliefert.

„Ist das der Grund, weshalb dies alles passiert? Wegen der schrecklichen Tragödie?“

Warum musste sie so verdammt verletzlich aussehen? Er wollte wütend auf die verwöhnte Prinzessin sein, die jetzt ihre Pflicht gegenüber ihrem Volk erfüllen musste, statt dem eigenen Vergnügen nachzugehen. Mitleid und Verständnis für sie waren das Letzte, was er fühlen wollte. Vor allem, weil er sich denselben Zwängen zu beugen hatte. „Al-Jirad braucht einen König.“

Tränen hingen an ihren langen Wimpern, als sie ihn ansah. „Dieser Mann, der Wesir … er hat Sie mit Hoheit angesprochen. Heißt das, Sie werden der neue König?“

„König Hamra war mein Onkel. Mein Vater hatte zwei Söhne mit zwei Frauen – Mustafa und mich.“ Er hielt inne. „Der Pakt entscheidet, wer von uns König wird.“

Sie nickte, als sie begriff. Die Trauer stand noch immer auf ihrer Miene, aber jetzt mischte sich Wut hinzu. „Darum geht es also. Das ist der Grund für die Jagd nach der Prinzessin. Wer immer die Prinzessin heiratet, erhält auch die Krone von Al-Jirad.“

„So besagt es der Pakt. Da die Krone Al-Jirads in Gefahr ist, muss die Allianz durch eine Heirat innerhalb der königlichen Familien unserer beiden Länder neu geschmiedet werden. Aufgrund der Bewandtnis mit Ihrer älteren Schwester …“

„Sie meinen, weil sie zwei uneheliche Kinder von zwei verschiedenen Männern hat, kommt sie für die Position der Königin nicht infrage? Dabei hat sie die besseren Voraussetzungen. Marina hat bereits bewiesen, dass sie für Erben sorgen kann. Ich dagegen kann keinen solchen Beweis liefern.“

„Ihre Schwester ist … nun, sozusagen überqualifiziert. Die Tatsache, dass Sie noch nicht entbunden haben, gereicht Ihnen zum Vorteil.“

Noch nicht entbunden. Es juckte ihr in den Fingern, mit der Faust auf irgendetwas zu schlagen. Vielleicht auf ihn. Nur gaben Prinzessinnen solch niederen Instinkten nicht nach. „Wie kann es ein Vorteil sein, wenn es mich in diese Zwangslage bringt?“

„Die Pflicht verlangt es, Prinzessin. Es ist nichts Persönliches.“

Nichts Persönliches? Vielleicht war die Vorstellung ihr genau deshalb so zuwider. Sie stand weit unten auf der Liste der Thronfolger, sie hatte sich immer darauf verlassen, dass sie niemals in die Herrscherpflicht genommen werden würde, schon gar nicht als Frau. Sie hatte ihre Brüder mit deren Tutoren gesehen, hatte miterlebt, wie kurz die Leine gehalten wurde. Und ihre Schwester, deren Leine viel zu locker saß, weil alle Aufmerksamkeit allein auf den männlichen Nachkommen lag. Naiverweise hatte sie wirklich darauf gehofft, dass sie diesem Wahnsinn entkommen und ein normales Leben führen könnte. Sie war sogar dumm genug gewesen zu glauben, sie würde eines Tages aus Liebe heiraten …

Zoltan musterte sie, wie sie da saß, stumm und zusammengesunken, und versuchte, das ganze Ausmaß der Situation zu verarbeiten. Nun, es war auf jeden Fall nicht das Ende der Welt, auch wenn sie es so darstellte. Er würde als Herrscher auf dem Thron sitzen, eine Position, für die er nie vorbereitet worden war, während sie von Prinzessin zu Königin aufsteigen würde. Ihr ganzes Leben war sie für diese Rolle erzogen worden. Was also sollte so schwierig daran sein? Die Ehe zwischen ihnen könnte sogar funktionieren, wenn sie beide es wollten. Die Prinzessin war schön, hatte eine tolle Figur. Es würde ihm nicht schwerfallen, sie in sein Bett zu holen und die Thronerben zu produzieren, die Al-Jirad brauchte. Außerdem schwelte unter ihrer kühlen Fassade ein Feuer, das ihn neugierig machte. Er würde dieses Feuer gern ein wenig mehr anfachen.

Warum also sollte es nicht funktionieren? Zumindest im Schlafzimmer. Ein Erstgeborener und noch ein potenzieller Nachfolger, und sie hatten ihre Pflicht erfüllt und konnten sich nach anderen Optionen umsehen. Eine Heirat war schließlich kein Todesurteil.

Jetzt schüttelte sie den Kopf, stand auf und strich sich die Hose glatt. Er hatte den Eindruck, dass sie am liebsten ebenso ungerührt die Verpflichtungen wegwischen würde, die ihr der jahrhundertealte Pakt auferlegte.

„Es ist also mein Schicksal, Sie zu heiraten, weil ein vergilbtes Stück Papier es so will?“

„Der Pakt wurde für Situationen wie diese geschlossen.“

„Und natürlich müssen wir uns unbedingt daran halten.“

„Er ist das Fundament für die Verfassungen unserer Länder, das wissen Sie. Glauben Sie, es wäre zu viel von der Prinzessin eines dieser Länder verlangt, ihre Pflicht zu erfüllen?“

„Ja! Weil diese Pflicht mich dazu zwingt, entweder Sie oder Mustafa zu heiraten!“

„Dann ist es vielleicht gut, dass Sie gar keine andere Wahl haben.“

„Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Was, wenn ich keinen von Ihnen beiden heiraten will? Was, wenn ich andere Pläne für mein Leben habe, in denen eine Heirat mit einem Despoten, der glaubt, eine Frau beanspruchen zu können, nur weil sie zufällig in eine bestimmte Familie hineingeboren wurde, nicht vorkommt?“

„Mit diesem Zufall, wie Sie es nennen, sind Reichtum und enorme Privilegien verbunden – aber auch Verantwortung. Ihre Schwester hat es vorgezogen, alles aufzugeben und hinter sich zu lassen. Ihnen als das einzige andere infrage kommende Mitglied der Königsfamilie von Jemeya steht diese Option nicht offen.“

„Trotzdem kann ich immer noch Nein sagen. Und das tue ich hiermit.“

„Ich wiederhole, dass Sie diese Option nicht haben.“

Sie seufzte frustriert auf und ballte die Fäuste an den Seiten. Er gähnte nur und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. Vermutlich würde sie jetzt auch noch mit dem Fuß aufstampfen, wie ein verzogenes Kind. Nützen würde es ihr nichts.

„Hören Sie“, hob sie an, und das Blitzen in ihren Augen zeigte deutlich, dass ihr ein neuer Ansatz für die nächste Attacke eingefallen war. Sie lächelte sogar, wenn man das leichte Verziehen der Lippen ein Lächeln nennen konnte. „Das alles ist nicht wirklich nötig. Der Pakt ist Jahrhunderte alt. Wir alle haben uns weiterentwickelt. Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln.“

„Glauben Sie?“

„Ich bin fest davon überzeugt.“ Sie hielt die Hände vor sich, als würde sie predigen. Vermutlich hatte sie das auch vor, denn eine ungeheure Energie ging plötzlich von ihr aus, alles an ihr schien unglaublich lebendig. Erneut dachte er, wie schön sie war, wie fein ihre Züge, wie voll ihr Mund. Nein, es würde wirklich keine Qual sein, mit ihr zu schlafen.

„Mein Vater liebt mich. Um nichts auf der Welt würde er mich zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe.“

„Um nichts auf der Welt?“ Er hob eine Augenbraue. „Auch nicht, damit die Allianz zwischen unseren Ländern bestehen bleibt?“

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ein neuer Vertrag aufgesetzt wird.“ Sie hatte sich in Fahrt geredet. „Die Zeiten haben sich geändert … die ganze Welt hat sich geändert! Wir können unsere Länder in die Zukunft führen, mit einer neuen, einer besseren Allianz. Einer Allianz, die in die heutigen Zeiten passt, anstatt eine, die aus einer längst vergangenen Ära stammt.“

Er verschränkte die Arme, verkniff sich das Grinsen und tat, als würde er ernsthaft darüber nachdenken. „Ein neuer Vertrag? Interessante Idee.“

„Schließlich ist da auch meine Arbeit in Jemeya. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater mich so einfach von meinen Pflichten entbindet.“

„Ah ja, Ihre Arbeit. Jemand wie Sie würde es natürlich als Arbeit ansehen, Waisenkindern Märchen vorzulesen. Zweifelsohne wichtige Arbeit. Vor allem gibt das ganz großartige Publicity-Fotos.“

Ihr Lächeln erstarb. „Ich lehre die Kinder unsere Sprache! Ich bringe ihnen Lesen und Schreiben bei.“

„Und sicher kann das niemand sonst in ganz Jemeya, richtig?“ Er stieß sich von der Säule ab, an die er gelehnt stand. „Akzeptieren Sie es, Prinzessin. Für Jemeya sind Sie so unnötig wie ein Kropf.“

„Wie können Sie es wagen?“

„Ich wage es, weil es Zeit wird, dass Ihnen jemand die Augen öffnet. Sie haben zwei ältere Brüder, von denen der Erstgeborene den Thron übernehmen wird. Sollte er das aus irgendeinem Grund nicht können, gibt es den jüngeren Bruder als Alternative. Also, welchen Zweck haben Sie für Jemeya? Sie sind die überflüssige Prinzessin, der Überschuss, der nicht gebraucht wird. Wenn Sie Ihrem Land in irgendeiner Hinsicht nützlich sein wollen, heiraten Sie mich.“

Eiskalter Hass glitzerte in ihren Augen. „Ich sagte es bereits mehrmals – ich werde Sie nicht heiraten, und mein Vater wird mich nicht zwingen. Welche vernünftige Frau würde schon jemanden wie Sie heiraten wollen? Sie haben mich tatsächlich glauben lassen, Sie hätten mich vor einem Irren gerettet, dabei sind Sie genauso verrückt. Vielleicht sollten Sie etwas akzeptieren – Sie sind ein arroganter Rüpel, der vor nichts haltmacht, um sich den Thron von Al-Jirad zu sichern! Ich werde Sie nicht heiraten, und wären Sie der letzte Mann auf Erden!“

Blut pochte dröhnend hinter seinen Schläfen. Wie musste er in einem früheren Leben gesündigt haben, dass er sich eine egoistische Prinzessin wie diese hier als Ehefrau aufbürden sollte? Welche Götter hatte er so maßlos beleidigt, dass sie ihm einen derart zänkischen Drachen schickten?

Hätte er eine Wahl, würde sonst Mustafa nicht die Krone an sich reißen … er würde sie zurück in das Wüstenlager bringen und nichts mehr mit ihr zu tun haben.

„Sie glauben, ich wäre darauf aus, König zu werden? Glauben Sie wirklich, ich wollte ein egoistisches Weibsbild zur Ehefrau, wenn sie eindeutig den besseren Teil des Deals abbekommt?“

„Widerlicher Barbar!“

Er hörte den schallenden Knall, spürte gleichzeitig das Brennen auf seiner Wange, und sein Blut kochte über. Er packte ihr Handgelenk und zog sie mit einem Ruck an sich. „Das werden Sie bereuen!“

Vergeblich versuchte sie sich loszureißen, sie wand sich und trommelte mit der einen Faust auf seine Schulter. „Lassen Sie mich los!“

Von wegen! Er griff auch noch ihr anderes Handgelenk, und sie schrie auf und ruckte und zerrte, bis ihr Haar sich löste und ihr über den Rücken fiel. „Warum?“, knurrte er. „Damit Sie mich noch einmal ohrfeigen können?“

Genau in dem Moment gelang es ihr tatsächlich, den Arm aus seinem Griff zu drehen, und sie holte aus. Er fing ihre Hand gerade noch rechtzeitig ab, bevor sie auf seiner Wange landen konnte, drehte ihr den Arm hinter den Rücken und drückte sie an sich, so dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. Stoßweise holte sie Luft, als hätte sie einen Spurt hinter sich, ihre Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug, ihre Augen sprühten wütende Funken.

Er sah auf ihre geöffneten Lippen und fragte sich, wie sie schmecken mochte – wahrscheinlich süß wie Honig mit einem Hauch von Chili. Er sah ihre weißen Zähne aufblitzen und überlegte, ob es das Risiko wert war. Dann wanderte sein Blick zu ihren Augen, und er stellte fest, dass sie ihn ebenso genau musterte wie er sie.

„Ich hasse Sie!“, spie sie aus und wand sich. Mit dem Resultat, dass ihr Körper sich an seinem rieb und Hitze erzeugte, die prompt in Verlangen umschlug.

In drängendes Verlangen.

„Ich weiß, ich hasse Sie auch“, sagte er noch, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste.

Er spürte, wie sie sich abrupt versteifte, und gleichzeitig fühlte er Wärme unter dem Kuss aufblühen, schmeckte den Honig, den Chili und die Frau, die sich hinter der Prinzessin verbarg.

Und er wollte mehr.

4. KAPITEL

Der Schock raubte ihr den Atem, sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Aber fühlen konnte sie. Und wie!

Er schien überall zu sein. Seine harte Brust presste sich an ihre. Seine Arme hielten sie wie Stahlbänder. Seine Bartstoppeln kratzten über ihre Wange. Seine weichen Lippen übten sanften Druck auf ihren Mund aus. Ihrer beider Atem vermischte sich, und sie schmeckte ihn .

Für einen Moment überwältigte sie dieses Bewusstsein. Sie erkannte seinen Duft, erkannte, wie er sich anfühlte, und sie wusste, es war wirklich er, der Mann, der sie in seinem Arm gehalten hatte, während das Pferd sie von dem Wüstencamp wegtrug, weg von Mustafa, der sie mit Gewalt hatte nehmen wollen …

Ekel und Abscheu stiegen in ihr auf, schickten Kraft in ihre erstarrten Muskeln und füllten ihren Kopf mit einem einzigen Gedanken: Dieser unnachgiebige Kuss musste sofort beendet werden!

Sie riss ihren Kopf zurück. „Nein“, stieß sie aus. „Nein!“

Doch Zoltan hörte nicht auf, er gewährte ihr keine Gnade. Stattdessen fühlte Aisha sich hochgehoben und mit dem Rücken an die Säule gedrückt. Sein suchender Mund fand erneut ihren, und sie war wieder erfüllt von ihm und seinem Geschmack. Verlockend, fordernd, verführerisch.

So verführerisch …

Sie seufzte lustvoll auf, und sie hasste sich dafür, noch während sie den Kopf leicht zur Seite legte, um seiner heißen Zunge besseren Zugang zu verschaffen.

Doch dann strich er über ihren Arm, berührte dabei die aufgerichtete Brustwarze, und plötzlich waren es Mustafas Finger, die sie hinter ihren geschlossenen Lidern vor sich sah. Es waren Mustafas fleischige Lippen, die sich auf ihren Mund pressten …

Das Bild gab ihr die Kraft, die sie brauchte. „Nein!“ Sie schaffte es, ihre Hände zu befreien, ihre Fingernägel fanden Fleisch und gruben sich tief ein.

Sie hörte ihn fluchen, dann wurde sie zurückgestoßen. Sie strauchelte, versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er stand dort wie ein Rachegott, düster, grimmig und bedrohlich, und befühlte seine zerkratzte Wange. Mit angehaltenem Atem wartete sie ab, schockiert über sich, dass sie als Mitglied der königlichen Familie von Jemeya auf solch niedere Instinkte reduziert war. Es tat ihr nicht leid, was sie getan hatte, kein bisschen.

Aber sie hatte Angst.

Sie war allein hier im Palast, ohne Freunde oder Verbündete, niemand, der sie beschützen würde. Und Zoltan war groß und stark, und er war wütend. Und sie hatte ihn geschlagen und ihm eine blutende Wunde zugefügt. Er würde ihr das nicht ungestraft durchgehen lassen.

Doch er überraschte sie damit, dass er die Lippen zu einem Lächeln verzog – zu einem Krokodilslächeln. „Welch seltsame Gebräuche ihr in Jemeya doch habt. Ich frage mich, wofür dieses zweite Mal steht. Als Symbol für ewige Liebe und Treue? Oder ist es ein Versprechen auf leidenschaftliche Nächte?“

„Sie wissen genau, weshalb ich Sie geohrfeigt habe. Wie sonst hätte ich Sie davon abhalten sollen, sich wie ein Barbar aufzuführen?“

„Möglicherweise war nicht eindeutig, dass Sie aufhören wollten.“ Ihre fassungslose Miene ließ ihn hinzufügen: „Ihr Körper übermittelte zumindest eine andere Botschaft.“

„Dann haben Sie nicht richtig zugehört!“

Er drehte den Kopf, zeigte ihr die drei roten Striemen auf seiner Wange. „Das wird Ihnen noch leidtun.“

Fast hätte sie aufgelacht. Seine Drohung schreckte sie nicht. „Das glaube ich eher nicht. Mir tut allerdings leid, dass ich wirklich glaubte, gestern Nacht gerettet worden zu sein. Dabei bin ich nur in den nächsten Albtraum entführt worden. Mir tut es leid, dass ich tatsächlich Zeit darauf verschwendet und mir Ihr irrwitziges Konstrukt angehört habe. Und Sie tun mir zutiefst leid, weil Ihnen überhaupt nicht klar ist, wie gestört Sie sind. Aber dass ich Sie geohrfeigt habe, tut mir nicht leid. Das hatten Sie verdient.“

Zoltan verzog abschätzig den Mund. „Ich sollte Sie zu Mustafas Lager zurückbringen. Mein Halbbruder hat eine Frau wie Sie verdient, eine Frau, die ihm das Leben zur Hölle macht.“

Nicht nur perlte seine Beleidigung an ihr ab, sie fachte Aishas Wut weiter an. Von jemandem wie ihm würde sie sich nicht einschüchtern lassen. „Sie irren, wenn Sie sich einbilden, Sie wären anders als er.“

Sein Gesicht lief dunkelrot an, die Sehnen an seinem Hals traten hervor. „Er und ich haben nichts gemein.“

„Sie beide sind verachtenswert! Beide unfähig, über eine Dynastie zu herrschen, geschweige denn über ein ganzes Königreich.“

„Und wer soll König von Al-Jirad werden?“

„Das sollen andere regeln. Ich sage es noch einmal, und mein Vater wird es Ihnen bestätigen: Ich heirate keinen von Ihnen beiden!“

„Tun Sie das, Prinzessin, reden Sie mit Ihrem Vater. Und reden Sie sich ein, was Sie wollen. Sie vergeuden nur Energie und Zeit. In weniger als vierundzwanzig Stunden sind wir verheiratet, ob es Ihnen passt oder nicht.“

„Nur über meine Leiche!“

„Wenn das nötig ist …“ Ein gefährliches Glitzern trat in seine Augen, die Striemen auf seiner Wange leuchteten tiefrot.

Hätte der Wesir nicht ausgerechnet diesen Moment gewählt, um einzutreten, hätte Aisha zu einer zweiten Ohrfeige ausgeholt.

Natürlich hatte man ihr eingehämmert, dass Prinzessinnen nicht handgreiflich wurden, aber sie war mit Brüdern aufgewachsen. Ihre Brüder mochten junge Prinzen gewesen sein, aber sie hatten die Schwestern ganz bestimmt nicht wie Prinzessinnen behandelt. Oh ja, sie wusste genau, wie man mit Rüpeln umging.

„Was gibt es, Hamzah?“, fragte Zoltan.

Der Wesir starrte auf die roten Striemen auf Zoltans Wange, sah dann fassungslos zu Aisha, blinzelte und wandte sich wieder an den Scheich.

„König Ashar ist am Telefon. Er möchte mit der Prinzessin sprechen.“

Endlich! Aisha lächelte erleichtert. Endlich konnte sie mit ihrem Vater reden. Er würde diesen verrückten Heiratsplänen ein Ende setzen. Er würde ihr zuhören, und sie brauchte nicht länger gegen eine undurchdringliche Wand anlaufen. „Wo kann ich den Anruf annehmen?“

Als der Wesir mit einer Verbeugung zu dem Telefon auf dem Schreibtisch zeigte, musste Aisha sich zurückhalten, um nicht loszuspurten. Sie musste ihren Vater wissen lassen, was passiert war. Er mochte denken, sie sei in Sicherheit, dabei war sie nur von einem Despoten in die Hände des nächsten gereicht worden. Ihr Vater war getäuscht worden, man hatte ihm absichtlich Dinge verschwiegen. Er konnte nicht wissen, was dieser Mann hier vorhatte …

„Wir werden Sie jetzt allein lassen, Prinzessin, damit Sie mit Ihrem Vater sprechen können …“, erklärte Zoltan und wandte sich zusammen mit Hamzah zum Gehen.

„Bleiben Sie ruhig. Es wird Sie sicher interessieren, was mein Vater zu sagen hat.“ Sie wollte, dass er mithörte, es sollte keine Missverständnisse geben. Endlich konnte sie mit einem vernünftigen Menschen reden, mit jemandem, dem an ihr lag, der in ihr nicht nur ein bewegliches Gut in einem Businessdeal sah. Und dann würde sie den Hörer an Zoltan weiterreichen, damit er sich selbst überzeugen konnte, denn aus ihrem Mund glaubte er es ja nicht.

„Papà, es tut so gut, deine Stimme zu hören.“

Sie lachte und hörte ihrem Vater zu, der seine Freude über ihre Rettung ausdrückte und sich entschuldigte, dass er bei ihrer Ankunft nicht hatte anwesend sein können, und sie versicherte ihm, dass sie unverletzt sei und es nicht erwarten könne, endlich nach Hause zu kommen.

Noch immer ein Lächeln auf den Lippen, warf sie Zoltan einen Blick zu. Sicherlich biss er jetzt die Zähne zusammen. Gewiss war der Anruf ihres Vaters das Letzte, was er gewollt hatte, denn ihr Vater würde ihr in diesem ganzen lachhaften Szenario die Unterstützung geben, die sie brauchte.

Bis vom anderen Ende nur noch ein Schweigen kam, das sich nicht länger ignorieren ließ. „Papà?“

Die nächsten Worte, die durch die Leitung drangen, erfüllten sie mit ungläubigem Schock und ließen sie schwindeln.

„Aisha, du kehrst nicht nach Hause zurück. Hat es dir denn niemand gesagt? Du heiratest Zoltan.“

Sie beging den Fehler und blickte zu Zoltan – und sah den triumphierenden Ausdruck auf seiner Miene, so als hätte er die Kehrtwende in der Konversation erkannt. Kein Wunder, er hatte ihr Gesicht genau beobachtet und gesehen, wie ihre Züge sich verändert hatten. Abrupt drehte sie sich um und verfluchte sich dafür, dass sie dem Impuls nachgegeben hatte, ihn im Raum bleiben zu lassen. Sie hasste die gelangweilte Aura, die von ihm ausstrahlte, hasste das süffisante Lächeln, das um seine Lippen zuckte.

Sie hasste alles an ihm.

Doch sie war noch nicht fertig. „Aber Papà, ich will ihn nicht heiraten!“

Fast hätte Zoltan aufgelacht. Glaubte sie wirklich, er wollte sie heiraten? Absurd! Eigentlich war es nur traurig, die eine Hälfte dieses Gespräch mit anhören zu müssen, wenn keine Hoffnung bestand.

Es folgten noch unzählige „Aber Papàs“, gespickt mit ebenso vielen „Aber warums?“, und immer wieder sagte sie gar nichts, hörte nur den Erklärungen ihres Vaters zu. Das, was ihm nahezu zusetzte, war ihr „Bitte, Papà, bitte!“. In dieser Kleinmädchenstimme. Die leidende Prinzessin. Doch, das war rührend, wirklich. Wenn es einen interessierte.

Selbst wenn … was ließe sich schon tun? Hatte er selbst nicht auch nach anderen Möglichkeiten gesucht? Jede Option in Betracht gezogen?

Dann der letzte Paukenschlag – das „Ja, Papà“. Wie ein Kind, das gescholten worden war und nun versprach, brav zu sein. Damit legte sie den Hörer auf und blieb mit dem Rücken zum Raum stehen.

Es war bizarr, die Niederlage und Erniedrigung eines anderen mitzuerleben, vor allem, wenn der andere von seinem Triumph so völlig überzeugt gewesen war.

Bizarr und gleichzeitig befriedigend.

Sie sah ihn nicht an, als sie sich umdrehte, doch auch so konnte er erkennen, dass sie geweint hatte. Ihre Augen glänzten feucht, ihre Wimpern staken dunkel und zusammengeklebt hervor. Er fragte sich, warum sie es sich so schwer machte.

Früh hatte er gelernt, dass es sich für manche Dinge zu kämpfen lohnte, bei anderen dagegen bestand vom ersten Augenblick an keine Hoffnung auf Erfolg. „Wähle sorgfältig, für was du deine Energien einsetzt“, hatte sein Onkel, der König, ihn schon als Junge gelehrt. Wie oft war er nicht wütend gewesen, weil sein Vater bei einem Streit der Halbbrüder wieder einmal Partei für Mustafa ergriffen hatte. „Vergeude weder Zeit noch Energie auf Dinge, die du nicht ändern kannst. Wähle deine Schlachten und schlage sie nur dann, wenn sie es wert sind.“

Damals hatte Zoltan die Worte nicht wirklich verstanden, doch nach und nach hatte das Leben ihn die gleiche Lektion gelehrt. Er hatte gelernt zu akzeptieren, was er nicht ändern konnte. Jemand hätte dieser Frau das auch beibringen sollen.

Sah sie denn nicht ein, dass es nicht zu ändern war? Sie war in einer jahrhundertealten Zeitschleife gefangen. Genau wie er.

„Sie haben also alles besprochen?“, fragte er, als sie sich nicht rührte.

Aisha stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus, dann streckte sie den Rücken durch. „Mein Vater wird morgen hier sein.“ Ihre Stimme klang flach und tonlos, alles Leben schien aus ihr gewichen.

Er wartete weiter. Er konnte sich vorstellen, was es sie an Kraft kosten musste, die Niederlage einzugestehen, und fast fühlte er so etwas wie Bewunderung für sie. Vielleicht war sie ja doch nicht so schwach, wie er angenommen hatte, sonst würde sie wahrscheinlich noch am Telefon mit ihrem Vater wüten und toben und hysterische Anfälle bekommen. Sich ihm zu stellen, nachdem er Zeuge der Blamage geworden war, konnte nicht leicht sein. Für niemanden, schon gar nicht für eine verwöhnte Prinzessin.

Sie blinzelte noch einmal, bevor sie ihn ansah. „Mein Vater – Scheich Ashar – hat mir erklärt, dass ich keine Wahl habe. Offensichtlich haben wir beide keine Wahl. Es scheint um sehr viel mehr als eine bloße Allianz zu gehen. Er sagt, dass, sollte diese Hochzeit nicht stattfinden, unsere beiden Familien das Recht auf den Thron verlieren. Somit würde dann nicht nur Al-Jirad ohne König dastehen.“

Ihm war das bereits klar gewesen, doch sie hätte es ihm nicht geglaubt, wenn er es ihr mitgeteilt hätte. Besser, dass ihr Vater das übernommen hatte. „Dann wäre das also geklärt. Keiner von uns kann der Hochzeit entkommen.“

Die Augen, mit denen sie ihn anblickte, waren ebenso leer wie die Stimme, mit der sie sprach. „Nicht, wenn mein Vater den Thron und meine Brüder nicht ihr Geburtsrecht verlieren sollen.“ Sie holte tief Luft, schien sich mit dem Atemzug aufzurichten und größer zu werden. Sie hob das Kinn, auch wenn noch immer ein feuchter Schimmer in ihren Augen lag. „Das werde ich meiner Familie natürlich nicht antun.“

„Natürlich nicht.“

„Es sieht aus, als gäbe es keinen Ausweg.“

Er sah ihr nach, wie sie den Raum verließ – mit geradem Rücken, den Kopf stolz erhoben, würdevoll und beherrscht, und er musste zugeben, dass Hochmut ihr stand. Sie war wieder ganz die dünkelhafte Prinzessin, sah man von der ungezähmten Haarpracht ab, die ihr frei und wild über den Rücken fiel. Haar, das sich wie Seide anfühlte. Er erinnerte sich, wie es auf seinem Arm gelegen hatte, spürte noch immer die süße Hitze ihrer Lippen, die weibliche Nachgiebigkeit ihres Körpers an seinem, und unwillkürlich entfuhr ihm ein knurrendes Stöhnen.

Trotz allen Protests und Widerstands … hinter der Fassade von Überheblichkeit und Selbstverliebtheit verbarg sich eine leidenschaftliche Frau. Es würde ihm großen Spaß bereiten, die Fassade einzureißen.

„Was ist denn mit dir passiert?“ Das Lachen in Rashids Frage war nicht zu überhören, als er mit den anderen beiden Freunden die Bibliothek betrat und die Striemen auf Zoltans Wange sah.

„Lass mich raten.“ Bahir grinste wissend. „Die Prinzessin.“

Kadar setzte sich auf die Schreibtischkante und studierte die Kratzer im Gesicht des Freundes genauer. „Kein Wunder, dass mein Feuerwerk sie nicht beeindruckt hat. Sie ist scheinbar selbst eines.“

Zoltan lehnte sich in den Stuhl zurück und massierte sich die Nasenwurzel. Nach Stunden des Auswendiglernens schwirrte ihm der Kopf von Zitaten und Versen. Seine Freunde würden das sicherlich äußerst amüsant finden. Noch mehr würden sie sich amüsieren, wüssten sie, was er getan hatte, um zu diesen roten Streifen zu kommen.

„Ich bin immer froh, wenn ich zur allgemeinen Erheiterung betragen kann. Was tut ihr überhaupt hier? Wolltet ihr nicht heute mit den Falken in die Wüste reiten?“

„Wir dachten, du wärst vielleicht einsam.“ Rashid nahm einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch, um Ball damit zu spielen.

„Lass die Kugel bloß nicht fallen.“ Zoltan war dankbar, das Thema wechseln zu können. „Das ist Murano-Glas, über dreihundert Jahre alt. Ein Geschenk des damaligen Scheichs an seine Frau. Soll ein Vermögen wert sein.“

Bahir besah sich die Glaskugel genauer, dafür drehte Kadar jetzt den dicken Buchband, der vor Zoltan lag, schwungvoll zu sich herum. „Und was ist das?“

„Das Heilige Buch von Al-Jirad. Bis zur Krönung muss ich es auswendig können.“

„Was denn? Alles?“

„Alles“, bestätigte Zoltan. „Jedes einzelne Kapitel, jeden einzelnen Vers. Damit ich die Weisheit des gesamten Universums parat habe und zu gegebener Zeit prompt zitieren kann.“

Rashid pfiff durch die Zähne. „Wie gut, dass wir zu deiner Rettung gekommen sind.“

Kadar schlug das Buch zu, bevor Zoltan ihn aufhalten konnte, und sprang vom Schreibtisch. „Komm mit.“

„Keine Zeit“, knurrte Zoltan. „Wir sehen uns beim Dinner.“

„Du hast nicht einmal ein paar Minuten für deine besten Freunde, wenn wir alle die weite Reise auf uns genommen haben, um dir zu helfen? Das ist ja wirklich nett.“

Rashid ließ die Glaskugel in einer Hand auf und ab tanzen. „Ein echtes Armutszeugnis. Wir gehen an den Pool.“ Und damit warf er Zoltan ohne Vorwarnung die Kugel zu, dass der sie zwar im letzten Moment auffing, sie ihm aber fast aus den Fingern auf den Marmorboden geglitten wäre.

„Deine Reflexe sind heute nicht die besten, was?“ Rashid starrte vielsagend auf die Kratzer. „Ich wette, ich kann dich über zwanzig Bahnen sogar schlagen.“

Zoltan war schon aufgesprungen. „Du hast keine Chance.“

Aisha fasste es noch immer nicht. Sie lag auf dem großen Bett, die Kissen nass von ihren Tränen. Inzwischen hatte sie keine Träne mehr übrig, ihre Augen brannten. Dort, wo einst Hoffnung und Lebensfreude in ihr gelebt hatten, herrschte nur noch eine große Leere.

Morgen würde sie Zoltan heiraten, einen arroganten, egoistischen, unmöglichen Mann, der sie für eine verwöhnte Prinzessin hielt und ihr deutlich gezeigt hatte, dass sie seiner Meinung nach den besseren Teil des Deals ergatterte, indem sie einen Barbaren wie ihn heiraten musste. Sie war der Königsmacher in diesem Szenario, sie hatte die Macht, gleich zwei Königshäuser zu Fall zu bringen, doch nie in ihrem Leben hatte sie sich machtloser gefühlt.

Nie in ihrem Leben war sie einsamer gewesen.

Sie rollte sich auf die Seite, und ihr Blick fiel auf die goldene Hochzeitsrobe, die auf einer Ankleidepuppe in der Ecke des Zimmers auf die Braut wartete.

Ein Traum von einem Kleid, für eine Märchenhochzeit gemacht. Ein wahres Kunstwerk – und eine solche Verschwendung. Sie heiratete ein Monster und sollte seine Söhne gebären. Wie eine Zuchtstute. Dazu verdammt, nie die Liebe zu finden, von der sie immer geträumt hatte.

Nur sinnlose, alberne Träume.

Sie wischte sich über die feuchten Wangen. Schließlich war sie eine Prinzessin. Welches Recht hatte sie da schon, sich ein normales Leben zu wünschen, nicht wahr? Und doch heirateten andere Prinzen und Prinzessinnen heutzutage aus Liebe. Deshalb hatte sie darauf gehofft, dass auch sie …

Sie schüttelte den Kopf. Selbstmitleid hatte noch niemandem genutzt. Sie zwang sich, aufzustehen, ins Bad zu gehen und einen kalten Waschlappen an ihre geschwollenen Lider zu halten. Selbst wenn sie auf ewig heulte, es würde nichts ändern.

Sie kehrte in ihren Raum zurück. Die Vorhänge an den offenen Balkontüren bauschten sich in der sanften Brise, und sie spürte den kühlenden Lufthauch auf ihren erhitzten Wangen. Rani musste die Türen wohl geöffnet haben, bevor sie Aisha ihrem Elend überlassen hatte. Sie war sicher, dass die Türen vorher nicht geöffnet gewesen waren.

Die arme Rani. Sie war so aufgeregt gewesen, als Aisha von dem Treffen mit Zoltan in die Suite zurückkehrte. Begeistert hatte sie all die Vorbereitungen für den nächsten Tag beschrieben – das duftende Ölbad, die Henna-Ornamente, die Frisur … Auf dem Weg durch die Gänge und Korridore bis zur Suite hatte Aisha sich zusammengenommen, auch wenn es sie die letzte Kraft gekostet hatte. Als sie dann in ihrem Zimmer ankam, hatte sie nur einen Blick auf das Kleid geworfen, und zusammen mit dem Feuereifer des jungen Mädchens war es einfach zu viel gewesen. Sie war in Tränen ausgebrochen, hatte sich auf das Bett geworfen und Rani weggeschickt.

Die Brise wehte durch die offenen Türen, brachte das Aroma des stillen Gartens in der späten Nachmittagssonne mit sich – das süße Aroma der Orangenblüten, den schweren Duft des Jasmins. Die leichten Vorhänge an den Fenstern wehten sanft im Wind, lockten sie, zum Balkon zu kommen und hinauszutreten. Die Sonne stand schon tief, ihre Strahlen ließen den Palast golden aufleuchten und tauchten den Garten in mildes Licht. Leises Wassermurmeln stieg von den Springbrunnen zu Aisha herauf, Vögel zwitscherten im dichten Grün der Büsche.

Es wirkte alles so friedlich, so perfekt. Auch wenn sie wusste, dass die Situation alles andere als perfekt war, konnte sie sich dem Zauber des Gartens mit seinen Wohlgerüchen nicht entziehen.

Vom Balkon führte eine Treppe hinunter. Aisha sah suchend ins Zimmer zurück, doch die Jacke, die sie sich auf dem Weg zum Bett ausgezogen und achtlos fortgeschleudert hatte, war bereits weggehängt worden. Sie brauchte sie so oder so nicht. Es war angenehm warm, die Sonnenstrahlen hatten ihre stechende Kraft bereits verloren. Und Aisha hatte ganz bestimmt nicht vor, irgendjemandem über den Weg zu laufen.

Sie hatte nicht die geringste Lust auf Gesellschaft. Sie war dazu erzogen worden, jederzeit perfekt zurechtgemacht zu sein, sich immer den Augen anderer zeigen zu können, auf jede Situation vorbereitet zu sein, und ihr Leben lang hatte sie sich daran gehalten. Doch wozu sollte das gut sein, wenn das Leben eine abrupte Wende nehmen und sie zu einer Ehe zwingen konnte, nur weil ein vergilbtes Stück Papier es so wollte? Was machte es da noch aus, wie sie aussah? Mit den Fingern kämmte sie ihr Haar, dann strich sie, so gut es ging, die Falten aus der Hose. Das musste reichen. Noch vor Kurzem wäre es ihr nicht gleich gewesen, aber nach allem, was passiert war, fühlte sie sich seltsam losgelöst von ihrem einstigen Leben.

Es war nicht mehr wichtig.

Wenn man sie zu einer Ehe zwingen konnte, war nichts mehr wichtig. Nicht die äußere Erscheinung, nicht das Benehmen und ganz sicher nicht die Erwartungen, die man von seinem Leben hatte. Es zählte nur, dass man eine Prinzessin war. Man stammte aus der richtigen Familie, konnte den richtigen Stammbaum vorweisen. Und Zoltan verachtete sie so oder so. Ihm war völlig gleich, wie sie aussah. Er saß mit ihr fest, genau wie sie mit ihm festsaß.

In gewisser Hinsicht tröstete sie der Gedanke, während sie langsam die Stufen hinabstieg. Warum sollte sie die Einzige sein, die unter diesem Arrangement litt?

Der Garten war menschenleer, wie sie gehofft hatte, nur das leise Rascheln der Blätter, das Wassermurmeln und der Gesang der Vögel waren zu hören. Ziellos wanderte sie über die Wege, atmete tief die laue Luft ein und erfreute sich an dem abwechslungsreich angelegten und mit Sorgfalt gepflegten Park. Bei einem der Frangipani-Bäume blieb sie stehen, brach einen Zweig mit den weiß-gelben Blüten ab und sog tief den süßen Duft ein.

Die Lieblingsblumen ihrer Mutter, so hatte ihr Vater erzählt, als sie sich das Album mit den Hochzeitsfotos der Eltern angesehen hatte. Und ja, im Hochzeitsstrauß ihrer Mutter hatte sie die Frangipani-Zweige stecken sehen. Aisha fragte sich, was ihre Mutter ihr in der jetzigen Situation raten würde. Ob sie die Sache ebenso nüchtern und sachlich wie König Ashar betrachten würde? Der Vater hatte ihr nämlich heute klipp und klar gesagt, dass es keinen Zweck hatte, sich zu wünschen, die Dinge lägen anders. Es war eben so, wie es war. Punkt. Würde ihre Mutter mehr Mitgefühl und Verständnis zeigen?

Nicht zum ersten Mal fragte Aisha sich, wie die Ehe ihrer Eltern wohl gewesen sein mochte. Sie wünschte, sie wüsste, wie die beiden sich kennengelernt hatten. Doch ihre Mutter war zu früh gestorben, damals war Aisha noch zu jung gewesen, als dass ihr solche Fragen überhaupt in den Sinn gekommen wären.

Sie kam an einen Durchgang in der Wand, zu dessen Seiten Palmen in Terrakottatöpfen standen. Führte dieser Weg in den nächsten Garten? Als sie durch den Torbogen trat, merkte sie, dass Bogen um Bogen folgte: eine Art Arkadengang, prächtig geschmückt mit großen Pflanzenkübeln.

Sie sah sich um, prägte sich alles genau ein, damit sie sich nicht verlief und wieder zurückfinden würde, dann gab sie ihrer Neugier nach. Es konnte nichts schaden, sich ein wenig umzusehen, schließlich sollte dieser Palast ihr neues Zuhause werden.

Sie ging an einer Vogeltränke vorbei, in der Vögel munter badeten und sich nicht von ihr stören ließen. Die Palmwedel raschelten leise im Wind, und der nächste Torbogen lockte dazu, herauszufinden, was hinter ihm lag. Aisha bewunderte die kunstfertigen Mosaikarbeiten und die Intarsien aus Perlmutt, staunte über das stolz dahinschreitende Pfauenpärchen. Nur eine junge Dienerin begegnete ihr. Mit einer Verbeugung eilte das Mädchen davon, und Aisha ließ sich von der Neugier weiterziehen.

Der letzte Durchlass lag vor ihr, als sie laute Rufe und Lachen vernahm – Männerlachen und das Spritzen von Wasser, offensichtlich von einem Schwimmbecken. Hastig schwang sie herum und drückte sich mit dem Rücken gegen den Torbogen. Sie schluckte. Nur gut, dass sie die Stimmen gehört hatte, bevor sie unwissentlich mitten in die Gruppe gestolpert wäre. Sie sollte nicht hier sein, sie war dem Weg zu weit gefolgt.

Dann hörte sie seine Stimme, Zoltans, und ein bitterer Geschmack stieg ihr in den Mund. Zu frisch war die Erinnerung an die Anstrengung, die es gekostet hatte, mit geradem Rücken und gereckten Schultern die Bibliothek zu verlassen, wenn Elend und Kummer sie doch fast erdrückt hätten. Jede Unze ihrer Selbstbeherrschung war nötig gewesen, um erst in Tränen auszubrechen, als die Tür ihrer Suite hinter ihr sicher ins Schloss gefallen war. Sie würde seinen Anblick nicht ertragen, wenn die Bilder in ihrem Kopf noch zu lebendig waren.

Seine Stimme ertönte wieder … er stieß eine Herausforderung aus, und unter lautem Gelächter gingen die anderen darauf ein. Der fröhliche Lärm zerrte an Aishas Nerven. Es war so unfair. Ganz offensichtlich kümmerte Zoltan die erzwungene Heirat nicht, obwohl er sie nicht zur Frau haben wollte. Auf jeden Fall litt er nicht, wenn er sich Zeit nehmen und sich mit seinen Freunden im Pool amüsieren konnte. Er hatte sich jedenfalls nicht die Augen ausgeweint, so wie sie. Und ein weiteres Mal schlug die Wahrheit mit voller Wucht zu: Sie war nicht mehr als eine Figur in einem Spiel, das andere spielten, nicht einmal wert, um damit einen Zug zu machen.

Das Geräusch von aufspritzendem Wasser und Anfeuerungsrufe drangen zu ihr. Die Neugier wurde stärker. Wer waren die Männer bei Zoltan? Etwa jene, die mit ihm zu dem Wüstenlager gekommen waren? Vielleicht sollte sie einen Blick riskieren. Der Pool schien kein Privatpool zu sein, schließlich hatte sie keine verschlossenen Tore passiert.

Dennoch achtete sie darauf, im Schatten des Torbogens zu bleiben, als sie in den dahinterliegenden Garten blickte. Zwei Männer konnte sie sehen, sie standen am Ende des Pools im Schatten von Palmen und feuerten laut jemanden an. Der Schatten jedoch konnte die tiefen Narben nicht verbergen, die im Zickzack über den Rücken des einen Mannes liefen. Aisha fragte sich, woher solche Narben stammen konnten, als sie zwei Armpaare mit kräftigen Schlägen das Wasser durchpflügen sah und ein Mann sich eine Kopflänge vor dem anderen aus dem Pool stemmte.

„Ich habe gewonnen!“, sagte er grinsend und schüttelte seinem Gegner die Hand.

Zoltan. Wie typisch, dass er auch hier als Sieger hervorgeht, dachte Aisha verstimmt. Wie typisch – und wie bedauerlich. Zu gern hätte sie ihn verlieren sehen. Sie wünschte, irgendjemand oder irgendetwas würde ihm dieses selbstzufriedene Grinsen vom Gesicht vertreiben. Selbst sein Körper strahlte pure Arroganz aus, jeder einzelne Muskel.

Fast wäre es ihr gelungen, sich abzuwenden, als er seine Schultern lockerte. Fasziniert beobachtete sie das Muskelspiel der breiten Brust. Wie von allein wanderten ihre Augen über seinen Torso, hinunter zu den schmalen Hüften, der knappen schwarzen Badehose, den muskulösen, langen Beinen …

Sie schnaubte leise, weigerte sich, beeindruckt zu sein. Zugegeben, in einer Hinsicht hatte sie sich wohl geirrt – wie Mustafa war er nicht, zumindest nicht, was die Statur betraf. Noch immer konnte sie vor sich sehen, wie der feiste Kerl sich mit beringten, fleischigen Fingern und Fingernägeln, lang wie die einer Frau, den üppigen Wanst kratzte. Noch jetzt erschauerte sie, wenn sie sich vorstellte, welchem Schicksal sie entkommen war.

Trotzdem – ob Muskeln oder nicht, vom Wesen her glich Zoltan genau seinem Halbbruder. Es war auch unerheblich, dass seine nasse Haut im Sonnenlicht wie dunkles Gold schimmerte, wenn es genügend Gründe gab, ihn zu hassen.

Sie war sicher, dass sich mit der Zeit noch mehr Gründe finden lassen würden.

„Ich hab dir Vorsprung gelassen“, hörte sie den anderen Mann behaupten.

Lachend schlug Zoltan seinem Gegner auf den Rücken, legte den Kopf in den Nacken und schüttelte sich das Wasser aus dem Haar.

Aisha blinzelte. Zoltan, der lachte? War das derselbe Mann, den sie heute in der Bibliothek getroffen hatte? Das Monster? Der Barbar, der sie böse angeknurrt und sie dann so anmaßend informiert hatte, dass sie keine Wahl hatte? Denn wenn er lachte, wurde er ein ganz anderer. Sein Gesicht veränderte sich, auch wenn es wohl nie schön zu nennen wäre. Dazu waren seine Züge zu markant, zu düster, wie der stärkste, schwärzeste Kaffee, den man sich vorstellen konnte. Aber wenn er lachte … dann wirkte er nahezu sympathisch.

Nahezu – attraktiv.

Ein prickelnder Stromstoß lief ihr über den Rücken. Morgen … morgen schon wäre dieser Mann ihr Ehemann. Er würde neben ihr im Bett liegen und noch weniger anhaben als jetzt. Und er würde von ihr erwarten, dass sie …

Furcht vor dem großen Unbekannten, das ihr bevorstand, überkam sie jäh. Sie barg ihr Gesicht in dem Zweig mit den duftenden Blüten und schloss die Augen.

So hatte sie sich das wirklich nicht vorgestellt …

„Prinzessin Aisha?“

5. KAPITEL

Der Blütenzweig fiel ihr aus der Hand, als sie sich überrascht umdrehte. Hinter ihr stand der Wesir, in eine respektvolle Verbeugung gesunken.

„Eine der Dienerinnen sah Sie hier spazieren gehen. Suchen Sie etwas Bestimmtes, Prinzessin?“ Er hob den Kopf und sah zu den vier Männern, die lachend beim Pool standen.

Alle vier breit gebaut und gebräunt, jeder von ihnen beeindruckend auf seine eigene Weise. Aishas Blick blieb auf Zoltan haften. Irgendetwas jedoch war an ihm, das ihn von den anderen unterschied, etwas, das ihren Puls unwillkürlich beschleunigte.

„Sie haben sich weit von Ihrer Suite entfernt.“

Mit brennenden Wangen drehte sie den Kopf zum Wesir zurück. „Der Garten hat mich bezaubert.“ Es war extrem peinlich, hier hinter dem Torbogen beim Spannen ertappt worden zu sein. „Ich wusste nicht, wohin der Weg führt. Ich wollte gerade umkehren.“

Der Wesir nickte. „Rani hat Ihr Essen serviert. Erlauben Sie mir, Sie zu Ihrer Suite zurückzugeleiten.“

Aisha wusste, das war keine Bitte, wie sie auch wusste, dass sie nicht ablehnen konnte. „Natürlich.“ Sie wollte so schnell wie möglich weg von dem Rätsel, das Zoltan hieß – dem Mann, der morgen ihr Ehemann wurde.

„Prinzessin!“

Zu spät.

Schameshitze rann ihr über den Rücken. Der Voyeur in den Schatten war entdeckt worden, nicht nur vom Wesir, sondern auch von Zoltan selbst. Wie viel Erniedrigung hielt der Tag noch für sie bereit? Sie schien eine nie versiegende Quelle aufgetan zu haben, und dieses Mal konnte sie niemandem die Schuld zuweisen außer sich selbst – sich und ihrer vermaledeiten Neugier.

Würde er wütend sein, weil sie ihn beobachtet hatte? Oder würde er sich über sie lustig machen und sie verspotten, wie er es schon vorher getan hatte, mit diesen süffisant verzogenen Lippen?

Was auch immer er tat, sie würde ihn nur noch mehr dafür hassen. Und sie hasste sich selbst für die eigene Dummheit. Hasste es, dass er ihr Urteilsvermögen derart durcheinanderbringen konnte. Warum war sie nicht sofort gegangen, sobald sie merkte, dass er hier war? Sie holte tief Luft, wappnete sich für die Konfrontation und drehte sich zu ihm um.

Nichts hätte sie auf die Wirkung vorbereiten können, als sie ihn in diesem fast nackten Zustand auf sich zukommen sah. Ihr Mund wurde staubtrocken, ihr Puls begann zu rasen, und sie wusste nicht mehr, wohin sie schauen sollte. Er war so groß, Wassertropfen perlten über seine goldene Haut und verfingen sich in den feinen Härchen auf seiner Brust, bevor sie weiter herabliefen über seinen flachen Bauch und …

Sie erlaubte es ihrem Blick nicht, den Wassertropfen weiter zu folgen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das weiße Handtuch, mit dem er sich das Gesicht abtrocknete.

„Sie hätten Ihren Badeanzug mitbringen sollen, wenn Sie ein kühles Bad nehmen wollten.“ Mit einem knappen Nicken entließ Zoltan den Wesir, dann schaute er auf ihr schulterfreies Top und die bloßen Arme.

Er war also nicht wütend, sondern lachte über sie. Im Moment wäre ihr sein Ärger lieber gewesen.

„Es sei denn natürlich, Sie schwimmen lieber au naturel .“

„Nein!“ Den empörten Ausruf konnte sie ebenso wenig aufhalten wie die brennende Röte, die ihr in die Wangen schoss. Ließ seine unverschämte Musterung ihr eine Gänsehaut über den Körper laufen, so blühte bei der Vorstellung, nackt zusammen mit ihm im Pool zu schwimmen, ein ganz anderes Gefühl in ihr auf. Sie meinte das kalte Wasser an ihren aufgerichteten Brustwarzen spüren zu können, meinte zu fühlen, wie es seidig über ihre heißen Schenkel lief … Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust und wünschte, sie hätte sich die Mühe gemacht und ihre Jacke geholt. „Ich wollte nur spazieren gehen.“ Warum nutzte er das Badelaken nicht endlich, um sich damit zu bedecken? Damit sie nicht länger versucht war, dorthin zu starren? „Um einen klaren Kopf zu bekommen.“

„Eine gute Idee“, sagte er und zerschlug ihre Hoffnungen, indem er das Handtuch von sich schleuderte.

Noch ein Grund, ihn zu hassen. Ein zivilisierter Mann hätte sich in Gegenwart einer Frau bedeckt. Aber er war ein Barbar, ein arroganter, selbstgefälliger Rüpel, der es offensichtlich gewöhnt war, halb nackt vor Frauen herumzustolzieren. Unwichtig, dass er fast sympathisch aussah, wenn er lachte.

Und sie verabscheute ihn dafür.

Vielleicht hätte sie ihm das sogar gesagt, doch da bückte er sich und hob den Zweig auf, der ihr aus den Fingern geglitten war.

„Es ist die richtige Zeit, um im Garten spazieren zu gehen. Nach der Hitze des Tages senden die Blüten am Abend ihren Duft aus, um uns den Schlaf zu versüßen und uns von kühleren Jahreszeiten träumen zu lassen.“ Mit geschlossenen Augen roch er an den Blüten, bot ihr so die Möglichkeit, sein Gesicht genauer zu betrachten – die langen Wimpern, die schmale, gerade Nase, die roten Striemen, die ihre Nägel auf seiner Wange hinterlassen hatten. „Wunderschön“, murmelte er und sah sie an. „Haben Sie den Zweig fallen lassen?“

Sie nickte stumm, unfähig, einen Ton hervorzubringen. Er zupfte eine Blüte ab, steckte sie ihr hinters Ohr und gab ihr dann den Zweig zurück.

„Ich sollte gehen.“ Schon wich sie zurück, über die Maßen verstört von seiner sanften Berührung, all ihre Sinne in Alarmstellung. Plötzlich schien er wieder der Mann zu sein, der sie gerettet hatte, an dessen Brust sie geschlafen hatte.

Wie konnte ein Mensch, den sie von Grund auf verachtete, solche Gefühle in ihr wecken? Er hatte sie nur gerettet, um König zu werden. Jetzt konnte er es sich leisten, so entspannt zu sein. Er hatte sie genau da, wo er sie haben wollte, es gab keinen Grund mehr für Diskussionen. Sie war gezwungen, ihn zu heiraten.

Er wollte keine Ehefrau, er wollte nur König werden. Und sie war zufälligerweise diejenige, die es möglich machte. Mittel zum Zweck, mehr war sie nicht. Er konnte es sich leisten, mit seinen Freunden die Freizeit zu genießen, zu lachen und zu scherzen. Es musste ihm sogar leichtfallen, umgänglich und höflich zu ihr zu sein.

Der Gedanke fachte den brennenden Hass auf ihn nur noch an. Denn er glaubte, gewonnen zu haben. Er glaubte, dass sie zu einer willigen Braut geworden sei, nachdem ihr Vater ihr die Umstände erklärt hatte.

Von wegen!

Dieser Gedanke gab ihr die Kraft, sie selbst zu sein. „Sie sind beschäftigt“, sagte sie kühl, „da möchte ich auf keinen Fall stören.“ Doch als sie erneut zum Pool blickte, lag das Wasser spiegelglatt da, von seinen Freunden war keine Spur mehr zu sehen.

Sie runzelte die Stirn. Wieso war ihr nicht aufgefallen, dass die Männer verschwunden waren? Sie war allein mit ihm – mit dem Mann, der nichts als eine Badehose trug. Sie schluckte unmerklich und starrte auf den Blütenzweig in ihrer Hand – alles, nur um ihre Augen davon abzuhalten, erneut die unangemessen neugierige Reise anzutreten. „Ich sollte gehen.“

„Das sagten Sie bereits.“ Er lächelte. Ihre offensichtliche Unsicherheit hinter der kühlen Fassade amüsierte ihn. Für einen Moment hatte es ausgesehen, als würde sie die eiskalte Haltung wiedererlangen, die er schon bei ihrem Abgang aus der Bibliothek hatte erleben können, doch die Verwirrung schimmerte wieder durch, so wie bei einem Schauspieler, dem es nicht gelang, den Charakter seiner Rolle beizubehalten.

Wie lange mochte sie hier wohl schon gestanden haben? Welche Gedanken mochte sie gehabt haben, die ihre Wangen so schuldbewusst rot färbten?

Was auch immer sie gedacht haben mochte … im Moment wirkte sie keineswegs selbstsicher, sondern regelrecht schüchtern und verletzlich. Eine Frau, keine Eisprinzessin. Eine Frau, die nicht wusste, wohin mit ihren Augen.

„Stimmt etwas nicht, Prinzessin? Sie wirken … aufgeregt.“

Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, Empörung stand jetzt in ihrer Miene. „Sie könnten sich bedecken! Ich bin es nicht gewöhnt, mich mit halb nackten Männern zu unterhalten.“

„Nein, Sie scheinen sie lieber zu beobachten“, spottete er. Insgeheim freute es ihn aber, das zu hören. Die Vorstellung von ihr mit anderen Männern behagte ihm nicht. Sie musste andere Männer gehabt haben, sie war immerhin vierundzwanzig. Doch zumindest war sie, anders als ihre Schwester, bei ihren Liaisons diskret vorgegangen.

„Ich konnte doch nicht ahnen, dass Sie hier sind!“

„Und als Sie uns gesehen haben, sind Sie auch sofort wieder gegangen, nicht wahr?“, fasste er amüsiert zusammen. Doch er griff nach dem Handtuch und band es sich um die Hüften. „Besser?“

„Ja, danke.“ Trotzdem blickte sie überallhin, nur nicht auf ihn. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“

„Bleiben Sie noch ein wenig.“ Er wollte seine spröde Prinzessin noch nicht gehen lassen. Sie war ihm ein Rätsel. Sie durchlief die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen und Reaktionen im Zeitraffer, dass er tatsächlich Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten. Und sie frustrierte ihn höllisch, denn einerseits verstand er sie nicht, andererseits faszinierte sie ihn. „Sie sollten ein paar Freunde von mir treffen. Oder besser gesagt wiedertreffen. Dieses Mal ohne Masken.“ Er sah über die Schulter zurück, wollte seine Freunde rufen und stellte erstaunt fest, dass sie sich zurückgezogen hatten, ohne dass er es bemerkt hatte. Was ihn noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass sie nicht längst in Reih und Glied darauf warteten, der Frau gratulieren zu können, der es gelungen war, innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht nur ein Mal, sondern gleich zwei Mal ihr deutliches Zeichen auf seiner Haut zu hinterlassen.

Sie hatten wohl erkannt, dass er diese Schlacht allein schlagen musste, und ihn seinem Schicksal überlassen. Natürlich würden sie es sich nicht entgehen lassen, ihm das bei nächstbester Gelegenheit unter die Nase zu reiben.

Vielleicht waren der Bissabdruck und die Kratzer ja bis zur morgigen Hochzeit verheilt, und sie würden es einfach vergessen …

Sicher, und Kamele konnten fliegen. Mit Sicherheit warteten sie nur darauf, dass die Prinzessin ihm eine weitere Blessur zufügte.

„Ihre Freunde sind längst weg. Und ich gehe jetzt auch“, sagte sie, und aus einem unerklärlichen Impuls heraus hätte er sie fast gebeten, heute Abend mit ihm zu essen.

Fast. Im letzten Moment verkniff er sich die Einladung. Das Dinner mit seinen Freunden wäre schnell vorüber, und dann würde er sich wieder in der Bibliothek über die Bücher setzen. Das war es, worauf er sich konzentrieren musste, wollte er die Bedingungen erfüllen.

Während ein Dinner mit dieser Frau … Wer konnte schon sagen, wohin das führte, nach allem, was heute passiert war. Er wusste nicht einmal, warum es passiert war, aber er erinnerte sich daran, wie gut sie sich in seinem Arm angefühlt hatte, erinnerte sich an ihre weichen Lippen, an den brennenden Kuss voll weiblichen Verlangens. Wäre er versucht, sie nach dem Dinner zu der Seinen zu machen, bevor sie seine Frau wurde?

Doch dann fiel ihm wieder ein, wie sie ihm die Wange zerkratzt hatte. Er brauchte nicht noch eine Erinnerung, dass sie diese Ehe nicht wollte, schon gar nicht vor der Hochzeit, die bald genug stattfinden würde. Morgen Nacht würde sie ihm gehören, in jeder Hinsicht. So lange konnte er warten. Zum jetzigen Zeitpunkt brauchte er sich auf keine weitere Schlacht einlassen, vor allem nicht, wenn der Krieg bereits gewonnen war.

„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Prinzessin.“ Zoltan verbeugte sich vor ihr. „Schlafen Sie gut. Das nächste Mal sehen wir uns bei unserer Hochzeit.“

Er sah ihr nach, wie sie davonging, sah, wie sie von Hamzah in Empfang genommen wurde, der sie durch die Arkaden zurück zu ihrer Suite geleitete.

Langsam wandte auch er sich zum Gehen und verfluchte die Pflicht – die Pflicht, die ihn in diese Situation gebracht hatte, die Pflicht, dass er eine bestimmte Frau zu einer bestimmten Zeit heiraten musste, die Pflicht, dass er die Nacht damit verbringen musste, ein uraltes Buch auswendig zu lernen, anstatt sich in einer Frau zu verlieren, deren Aussehen und Haltung der einer Göttin glich. Eine Frau, die den Gedanken an die Pflichterfüllung offensichtlich noch mehr verabscheute als er.

Oder vielleicht brauchte sie auch einfach nur mehr Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Immerhin hatte er ihr drei Tage voraus. Drei Tage länger, um sich auf die Tatsache einzustellen, dass er Al-Jirads Thron besteigen sollte. Zwar hatte ihr Vater ihr erklärt, weshalb es keine andere Lösung gab, aber ihr waren nur Stunden geblieben, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. Da war es verständlich, dass sie sich noch weigerte, ihr Schicksal zu akzeptieren.

Es war wohl besser, dass er nichts von einem gemeinsamen Dinner erwähnt hatte. So konnte sie diese eine Nacht lang noch ihre Freiheit genießen.

Mit dem morgigen Tag und danach mit jedem Tag und jeder Nacht, die folgten, wäre ihre Pflicht dann eindeutig klar: an seiner Seite zu sein.

Und in seinem Bett.

6. KAPITEL

„Es ist so weit, Prinzessin.“

Aisha blinzelte. Vor einem Augenblick noch hatten unzählige helfende Hände die letzten Korrekturen an ihrem Make-up, ihrer Frisur und ihrem Schleier vorgenommen, jetzt griffen die kalten Finger der Panik zu. Es konnte doch unmöglich schon Zeit für die Zeremonie sein? Der Tag war im Wirbel der Vorbereitungen vergangen, erst das duftende Bad, dann die Massage, um die Steifheit in Schultern und Nacken zu verscheuchen – was sich als vergebliche Mühe erwiesen hatte –, gefolgt von Maniküre, Pediküre, Make-up und schließlich dem Auftragen der Henna-Ornamente auf Händen und Füßen, um zu zeigen, dass sie die Traditionen Al-Jirads hochhalten würde.

Es hatte Stunden gedauert, aber … der Tag konnte doch nicht so einfach verflogen sein? Ein Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims jedoch sagte ihr, dass Rani recht hatte. In weniger als zehn Minuten würde die Trauung beginnen.

Aisha schloss die Augen. Ihr war übel.

„Kein Grund, nervös zu sein, Prinzessin. Sie sehen wunderschön aus.“ Rani missverstand die Reaktion offensichtlich.

Denn es hatte nichts mit der typischen Nervosität der Braut vor der Hochzeit zu tun, schließlich war nichts an dieser Hochzeit typisch. Auch wenn Rani ihr jetzt einen Spiegel vorhielt und Aisha unwillkürlich vor Erstaunen nach Luft schnappte.

Sie blinzelte und schaute genauer hin. Das sollte sie sein? Diese wunderschöne Frau dort im Spiegel in dem goldenen Kleid, mit den Perlenschnüren in dem hochgesteckten dunklen Haar? Ihre Augen wirkten riesig, umrandet mit Kajal und betont mit sanft schimmerndem Lidschatten, ihre Lippen glänzten voll und kirschrot.

Sie sah aus wie eine echte Braut, doch die Ungeheuerlichkeit, zu einer Ehe gezwungen zu sein, lag ihr wie ein Bleigewicht in der Brust. Gezwungen, einen Fremden zu heiraten. Einen Despoten.

Einen Barbaren, dem nicht sie wichtig war, sondern nur das, was er mit ihr erreichen konnte.

„Absolut hinreißend, Prinzessin. Perfekt. Scheich Zoltan wird seiner Braut nicht widerstehen können.“

Aisha presste die Lippen zusammen. Hoffentlich half das, denn sonst würde sie in der goldenen Robe zum Bad stürzen müssen und die wenigen Schlucke Tee, das Einzige, was sie heute hinunterbekommen hatte, wieder ausspucken.

Sie konzentrierte sich darauf, tief und ruhig zu atmen. Nein, das würde sie nicht zulassen. Sie würde ihren Vater und ihr Land nicht beschämen. Mit aller Willenskraft bezwang sie ihren Körper, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann lächelte sie den Frauen zu, die alle vor Zufriedenheit mit ihren Bemühungen strahlten, und sagte mit dem leisesten Anflug von Ironie: „Dann sollten wir den Scheich besser nicht warten lassen.“

Die Trauung sollte hier im Palast stattfinden und kurz gehalten werden, schließlich trauerte die Nation um die königliche Familie. Sobald die Zeit der Staatstrauer vorüber war, würde die Krönung folgen. Die Hochzeit diente dazu, Zoltans Anspruch als nächstem Herrscher auf dem Thron zu festigen.

Aishas Magen zog sich schmerzvoll zusammen, als man sie gemessenen Schrittes in einen prunkvollen Ballsaal führte, in dem Zoltan und ihr Vater zusammen mit einer ausgewählten Gruppe von Gästen bereits warteten. Sie suchte in der Menge nach ihrer geliebten Schwester und spürte die Enttäuschung in sich aufsteigen, als sie sie nirgends entdeckte. Entweder hielt Marina ein Kommen nicht für nötig, oder aber sie hatte es aus irgendeinem Grund nicht geschafft. Marina hatte noch nie viel auf Konventionen gegeben, hatte immer nach eigenen Regeln gelebt, und wenn etwas schiefging, schob sie niemandem die Schuld zu außer sich selbst.

Vielleicht hatte Marina ja schon immer recht gehabt.

Die Musik spielte auf. Schritt für Schritt ging Aisha ihrem Schicksal entgegen. Ihr Vater lächelte ihr stolz zu, zum Teil als der Vater, der seine Tochter nach der Rettung noch nicht gesehen hatte und froh um ihre Sicherheit war, zum Teil als der Mann, der seine Krone behalten konnte. Aisha verübelte es ihm nicht. Er war zum König geboren, ein anderes Leben konnte er sich nicht vorstellen, und Jemeya kannte es nicht anders. Und sie … sie war seine Tochter und liebte ihn, deshalb tat sie ihr Bestes, um ein Lächeln in ihre starren Züge zu legen. Sie war nicht sicher, ob es ihr gelang.

Der andere Mann, der an der Seite ihres Vaters stand, überragte den Älteren um Haupteslänge. Fast wäre Aisha stehen geblieben, als sie das Mal sah, das sie mit ihren Fingernägeln auf seiner Wange hinterlassen hatte. Sie hob den Blick zu seinen Augen, zu seinen dunklen, kritischen Augen. Der Ausdruck von Triumph stand deutlich darin zu erkennen, aber auch noch etwas anderes: wildes, ungezügeltes Verlangen. Nach ihr.

Sie senkte den Blick, als sie die letzten schicksalhaften Schritte tat. Konnte kaum noch atmen. Konnte nicht mehr denken. Nahm nur vage wahr, dass die Musik ausgesetzt hatte. Hörte nur noch den eigenen dröhnenden Herzschlag. Dann murmelte jemand etwas – der Wesir? –, nahm ihre mit Henna verzierte Hand und reichte sie ihrem Vater, der sie mit ein paar leise gesprochenen Worten in Zoltans legte. Es war vollbracht. Sie war verheiratet.

Draußen dröhnte das Donnern von Kanonen, hier drinnen im Saal setzte die Musik wieder ein, dieses Mal heiter und lebendig – der Auftakt zur Hochzeitsfeier. Doch die Musik drang nicht wirklich zu ihr durch. Die Glückwünsche des Vaters drangen nicht wirklich zu ihr durch …

Sie war verheiratet.

Das Brautpaar wurde zu seinen Plätzen geführt. Wie benommen setzte Aisha einen Fuß vor den anderen, und die ganze Zeit über hielt Zoltan ihre Hand, so fest, als hätte er Angst, sie könnte jeden Moment die Flucht ergreifen. Wie albern. Er musste doch wissen, dass es für sie keine Fluchtmöglichkeit gab – jetzt nicht mehr.

Sie wagte es nicht, ihn anzusehen, aus Furcht vor der Reaktion des eigenen Körpers, sollte sie erneut das Verlangen in seinen Augen sehen. Jetzt rieb er leicht mit dem Daumen über ihre Hand, und mit geschlossenen Augen versuchte sie, die Hitze zu ignorieren, die ihren Arm hinaufkroch. Warum tat er das?

Sie wollte nicht so fühlen. Sie verabscheute ihn. Und doch prickelte und brannte ihre Haut, ihre Brüste spannten, und zwischen ihren Schenkeln pochte ein unbekannter dumpfer Schmerz …

Während sie mit der überwältigenden Reaktion ihres Körpers kämpfte, nahm sie kaum wahr, dass die Diener Gläser füllten und Speisen auftrugen, bis die Tische sich unter der Last der Platten bogen. Sie war sicher, dass ein wunderbares Aroma von den dampfenden Speisen aufstieg und dass sie köstlich schmecken mussten. Doch sie konnte sich nicht dazu bringen, irgendetwas davon zu probieren.

„Vielleicht könntest du es mit einem Lächeln versuchen.“

Zoltan hatte sich zu ihr herübergelehnt, sie hörte den beißenden Vorwurf in seinem Flüstern. Es riss sie aus ihrer Erstarrung. Es war Zoltan, der Barbaren-Scheich, der neben ihr saß. Wenn sie Verlangen in seinem Blick erkannt hatte, dann war es das Verlangen nach der Krone von Al-Jirad, nicht nach ihr.

Sie zog ihre Hand aus seiner und griff nach ihrem Wasserglas. „Vielleicht habe ich keinen Grund zu lächeln.“

„Es ist unser Hochzeitstag.“

Sie funkelte ihn an, mit all dem Hass und der Feindseligkeit, die sie für ihn empfand. „Genau“, zischte sie.

Ein Muskel zuckte in seiner Wange, seine Augen blickten plötzlich kalt wie schwarzer Marmor, und sie wusste, in diesem Moment hasste er sie ebenso sehr wie sie ihn. Sie war froh darum. Jetzt würde es kein abwesendes Streicheln mit dem Daumen mehr geben.

Sie nippte an ihrem Wasser, zufrieden mit ihrem Erfolg. Der jedoch nicht lange währte.

„Oh, ich weiß nicht.“ Er nahm einen Pfirsich von der Obstplatte, roch an der samtenen Schale. „Da ist die Vorfreude auf die Hochzeitsnacht, die ein Lächeln auf die Lippen zaubert, meinst du nicht auch?“ Er biss herzhaft in die süße Frucht, dass ihm der Saft am Kinn hinunterlief, und hielt ihren Blick gefangen. Spöttisch, herausfordernd.

„Du bist widerwärtig!“ Sie machte Anstalten, aufzustehen. Keine Sekunde länger würde sie es an seiner Seite aushalten!

„Und du“, er packte ihr Handgelenk, „bist meine Scheicha. Vergiss das nicht.“

„Besteht überhaupt Hoffnung, das vergessen zu können?“

„Nein, nicht die geringste. Jetzt setz dich wieder und lächle.“ Seine Mundwinkel zogen sich in die Höhe. „Du ziehst schon die Aufmerksamkeit auf dich.“

Sie blickte in den Saal. Alle Köpfe hatten sich zu ihnen gedreht, die Hälfte der Mienen neugierig, die andere Hälfte mit gerunzelter Stirn. Außer die drei Männer, die an einem Tisch gleich nebenan saßen. Es waren die Männer, mit denen Zoltan gestern am Pool gewesen war. Sie schienen die kleine Show zu genießen.

Aisha setzte sich, nicht, weil sie es wollte, sondern um keine Szene zu machen. „Wer sind diese Männer?“, fragte sie Zoltan leise. „Die drei, mit denen du gestern zusammen warst. Die drei, die so zufrieden aussehen wie Falken, die den Hasen gefangen haben.“

Er wusste genau, wen sie meinte. Seine Freunde steckten die Köpfe zusammen und amüsierten sich offensichtlich königlich. „Das sind Freunde von mir.“

„Waren sie das, in jener Nacht in Mustafas Camp?“

„Du meinst in der Nacht, in der ich dich gerettet habe?“ Allein ihr böser Blick war es wert, die Frage gestellt zu haben. „Ja, das sind sie. Der links ist Bahir, in der Mitte sitzt Rashid, recht daneben Kadar.“

Sie kniff leicht die Augen zusammen. „Er hat die Narben auf dem Rücken, richtig?“

„Ja.“ Er wartete darauf, dass sie nach Details fragte, so wie die meisten Frauen, die er kannte, doch sie überraschte ihn, indem sie nur nickte.

„Und du bist als Einziger verheiratet?“

„Ja, mit dem heutigen Tag.“

„Wieso?

„Was meinst du – wieso?“

„Nun, da sitzen drei Männer im heiratsfähigen Alter, alle drei gut gebaut, wie ich sehen konnte, und attraktiv …“ Ihre Stimme erstarb.

Was ihm Zeit gab, die unangenehme Erkenntnis zu verarbeiten, dass sie seine Freunde für gut aussehend hielt. Es gefiel ihm nicht. Er wollte nicht, dass sie sie ansah.

„Ihr scheint einander sehr nahezustehen“, fügte sie noch hinzu.

„Und was soll das jetzt heißen?“

Zum ersten Mal schaute sie ihn direkt an. „Ich frage mich nur, ob ihr vielleicht alle schwul seid. Versteh mich nicht falsch, ich sehe das nicht als Problem, ich möchte nur verstehen. Es würde jedoch erklären, warum ihr keine Ehefrauen habt.“

Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Wären sie allein, würde er ihr die goldene Robe vom Leib reißen und ihr zeigen, wie sehr sie irrte. Doch da ihm diese Möglichkeit im Moment nicht offenstand, berief er sich auf ihre kurze gemeinsame Geschichte.

„Ich erinnere mich da an eine gewisse Szene gestern in der Bücherei. Du warst doch dabei. Musst du dich da wirklich fragen, ob ich schwul bin?“

Sie zuckte mit einer Schulter, zupfte eine Traube ab und schob sie sich in den Mund. „Vielleicht genießt du das Beste aus beiden Welten, woher sollte ich das wissen? Schließlich hast du gesagt, dass du keine Ehefrau willst. Du heiratest mich nur, um die Krone von Al-Jirad zu erlangen. Was soll ich also davon halten?“

Er stieß ein Knurren aus und ließ den Blick über die Gäste wandern, die fröhlich bei der Feier zusammensaßen, aßen, redeten, lachten. Würden sie überhaupt bemerken, wenn das Brautpaar für eine Weile fehlte? Er wollte Aisha mit sich in eine dunkle Ecke ziehen und ihre Sorgen über seine sexuelle Orientierung ein für alle Mal ausräumen. Allein bei dem Gedanken machte sich sein Körper bemerkbar, und er musste unauffällig seine Position verändern – nicht zum ersten Mal heute. Seit sie den Saal in dem goldenen Kleid, in dem sie wie eine Göttin aussah, betreten hatte, musste er ständig gegen das Verlangen ankämpfen, jede einzelne Lage Stoff, jeden einzelnen Schleier von ihr abzuschälen, bis sie nackt vor ihm stand.

„Lass dir versichert sein, in dieser Hinsicht brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Er war sich der drei neugierigen Augenpaare bewusst, die interessiert das Brautpaar beobachteten statt der Tänzerinnen, so wie die anderen Gäste. „Und noch etwas … wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?“

„Nämlich?“

„Mit Hinsicht auf dein Interesse, auf welche Art ich meine Sexualität auslebe, wäre es wohl klüger, kräftigere Nahrung zu dir zu nehmen als nur eine Traube. Du wirst deine Energie heute Nacht brauchen.“

Prompt verschluckte sie sich, und es war nur dem einsetzenden Applaus für die Tänzerinnen zu verdanken, dass niemand ihren Hustenanfall bemerkte.

Widerling!

Sie stand auf, eine der Dienerinnen eilte herbei, um ihr mit Kleid und Schleier zu helfen. Zoltan erhob sich ebenfalls.

„Wohin willst du?“

„In den Waschraum. Ist das erlaubt, Euer Selbstherrlichkeit?“

Er ließ sie gehen, und sie schwebte aus dem Raum – eine goldene Wolke, in deren Innerem ein düsterer Gewittersturm tobte.

Aisha ging am Waschraum vorbei, strebte stattdessen dem offenen Fenster am Ende des Ganges zu. Tief atmete sie die frische Abendluft ein, betete darum, dass sie ihr Kraft geben möge. Sie brauchte Abstand. Abstand von dem Barbaren, mit dem sie nunmehr verheiratet war, Abstand von dem Wissen, dass er sie heute Nacht zu seiner Frau machen wollte, im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie hatte solche Angst.

Sie hätte ihn nicht provozieren dürfen. Sie hätte wissen müssen, dass er einen Weg finden würde, sich zu revanchieren.

Sie schaute in den Himmel auf. Ein Flugzeug, nicht mehr als ein silberner Fleck dort oben, zog eine weiße Spur durch das wolkenlose Azurblau. Sie wünschte, sie könnte dort in der Maschine sitzen und so weit wie nur möglich wegfliegen von Al-Jirad, Zoltan und ihrem Schicksal.

Doch sie saß nicht dort oben, sie war eine Prinzessin, und die Pflicht verlangte von ihr, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte.

Pflicht.

Ein so knappes Wort mit solch immensen Auswirkungen. Auch Zoltan würde heute Nacht von ihr erwarten, dass sie ihre Pflicht erfüllte.

Sie erschauerte, als Myriaden von Bildern und Gefühlen auf sie einstürzten: das Gefühl seiner starken Arme, die sie gehalten hatten, sein heißer Mund, der ihren erbarmungslos plünderte, der Anblick seines fast nackten Körpers am Pool, die Wassertropfen, die glitzernd wie Diamanten über seine goldene Haut liefen …

Sie atmete tief die Aromen der Gärten ein, blickte dem Flugzeug nach, das am Himmel außer Sicht verschwand, und dachte an ihre zerstörten Träume, an die zerbrochene Hoffnung, aus Liebe zu heiraten und eine glückliche Ehe zu führen. Doch aus dieser erzwungenen Ehe gab es kein Entkommen.

Was nicht hieß, dass sie völlig machtlos war.

„Prinzessin.“ Rani tauchte an ihrer Seite auf. „Der Scheich wird sich Sorgen machen.“

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
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