Zum Küssen schön

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Am wohlsten fühlt sich Lucianna ölverschmiert in ihrer Autowerkstatt. Bloß so wird sie nie einen Mann für sich begeistern! Deshalb setzt ihr Bruder den Unternehmer Jake Carlisle auf sie an, der ihr zeigt, wie sie in ihrem Freund das Verlangen entfachen kann. Allerdings gelingt Jake das viel zu gut: Bald ist sie auch für ihn selbst einfach unwiderstehlich …


  • Erscheinungstag 19.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777906
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wo ist denn Lucianna? Wahrscheinlich steckt sie wieder in ihrer Werkstatt und hat den Kopf unter der Motorhaube irgendeines Schrottautos.“ Jake Carlisle lächelte.

Jake war von seinen Nachbarn Janey und David Stewart zum Essen eingeladen worden. Die drei saßen gemütlich in der Küche des großen Farmhauses und langten herzhaft zu. Janey, eine ausgezeichnete Köchin, hatte sich einmal wieder selbst übertroffen.

„Du wirst es nicht glauben aber Lucianna ist ausnahmsweise einmal nicht in der Werkstatt“, antwortete Janey.

Lucianna war Janeys Schwägerin und Davids einzige Schwester. Sie war als letztes von fünf Kindern geboren worden und hatte außer David noch drei ältere Brüder. Als Lucianna gerade achtzehn Monate alt gewesen war, starb die Mutter. Da ihr Vater nicht wieder geheiratet hatte, war Lucianna in einer reinen Männergesellschaft aufgewachsen und stets wie ein Junge behandelt worden.

„Sie hat eine Verabredung“, fuhr Janey fort, als Jake sie erstaunt ansah. „Sie verabschiedet sich von John.“

„Sie verabschiedet sich? Dann ist es also schon aus mit der großen Romanze?“

„Nein, so kann man es nicht sagen. John muss für drei Monate nach Kanada. Aber ich vermute, dass Lucianna schwer enttäuscht ist. Sie hatte wohl insgeheim gehofft, John würde sich noch vor der Abreise mit ihr verloben.“

„Dass ich nicht lache!“ David, Luciannas ältester Bruder, schüttelte den Kopf. Er hatte von seinem Vater die Farm übernommen, auf der die Geschwister groß geworden waren. Lucianna wohnte noch bei Janey und ihm, da sie sich im Moment keine eigene Wohnung leisten konnte.

„Sie wird nie einen Mann bekommen, wenn sie ewig in diesen unmöglichen Latzhosen herumläuft. Außerdem …“

„Es ist nicht allein ihre Schuld, David“, unterbrach ihn Janey. „Ihr vier Brüder habt ihr wirklich nicht geholfen, mit ihrer Rolle als Frau zurechtzukommen. Außerdem habt ihr euer Bestes getan, wenn es darum ging, potenzielle Verehrer in die Flucht zu schlagen.“

„Ich habe bloß gesagt, dass jeder, der Tisch und Bett mit Lucianna teilen möchte, es nur als Ehemann tun kann. Ist das etwa falsch?“

„Nein.“ Janey lächelte. „Aber wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, wolltest du schon vor unserer Hochzeit mit mir zusammenziehen.“

„Das war etwas ganz anderes“, klärte David sie auf.

„Ich kann nur hoffen, dass es Lucianna diesmal gelingt, eine feste Beziehung aufzubauen.“ Janey machte sich ernstlich Sorgen. „Schließlich ist sie schon zweiundzwanzig.“

„Jede Beziehung wird nur von kurzer Dauer sein, wenn es ihr nicht endlich gelingt, sich wie eine Frau zu benehmen. Könntest du ihr da nicht ein paar Tipps geben?“ David blickte Janey erwartungsvoll an.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe es schon versucht, David. Aber Lucianna braucht niemanden, der ihr etwas erklärt, sie braucht jemanden, der ihr etwas beweist: dass sie nämlich eine schöne, begehrenswerte Frau ist. Wärst du denn nicht der richtige Mann dafür, Jake?“

„Jake?“ David schüttelte sich vor Lachen. „Jake würde sich doch nach einer Frau wie Lucianna nicht einmal umdrehen! Kannst du dich nicht an seine Freundinnen erinnern? Das italienische Model, die Managerin aus New York, die …“

„Immerhin hast du mich auch geheiratet, ohne dass ich ein Model oder aus New York bin“, belehrte Janey ihren Ehemann ungerührt. „Du bist vielleicht nicht die absolute Idealbesetzung, Jake, aber Lucianna braucht unbedingt Hilfe. Es wäre eine Katastrophe für sie, wenn John sie verlassen würde.“

„Bedeutet er ihr wirklich so viel?“ Jake runzelte die Brauen. Er hatte sehr kräftige Brauen und helle graublaue Augen, die einen seltsamen Kontrast zu seinem dunklen Teint bildeten, den er von seiner italienischen Großmutter geerbt hatte. Auch sein dunkles und kräftiges Haar verriet den südländischen Einschlag.

Sein Körperbau und seine Größe aber wiesen ihn eindeutig als Nordeuropäer aus. Sein Großonkel väterlicherseits war von ähnlich beeindruckender Statur gewesen. Von ihm hatte Jake das Herrenhaus mit dem Gut geerbt, das an die Farm der Stewarts grenzte.

„Ich befürchte, ja“, sagte Janey ernst. „Jake, sie braucht Unterstützung, selbst wenn sie das nie zugeben würde – dir gegenüber schon lange nicht.“

Jake nickte lächelnd. „Ich weiß. Wir zwei sind wie Katz und Hund.“

Als die Standuhr im Flur schlug, horchte Janey auf. „In einer halben Stunde geht Johns Flug. Lucianna wird bald nach Hause kommen.“

„Um sich dann bei dir auszuweinen?“ Jake sah Janey fragend an.

„Lucianna weint nie. Dazu ist sie nicht der Typ“, mischte David sich ein.

Janey schüttelte nur den Kopf. Es war nicht zu fassen, wie blind David sein konnte. Gerade sein Verhalten und das seiner Brüder war der Grund dafür, dass Lucianna ihre Gefühle nicht zeigen konnte. Schon als kleines Mädchen war ihr beigebracht worden, dass Gefühle da sind, um sie zu verleugnen.

Schade, dass Lucianna nicht besser mit Jake zurechtkam. Er war jemand, der ihr hätte verständlich machen können, warum ihre Beziehungen zu Männern immer wieder scheitern mussten. Es war wirklich jammerschade, denn Jake hatte eine gefestigte Persönlichkeit und eine ausgesprochen sinnliche Natur. Außerdem hatte er genügend sexuelle Erfahrung und das nötige Einfühlungsvermögen. Er war für einen so männlich wirkenden Mann ungewöhnlich sensibel und rücksichtsvoll. Aber Lucianna war da leider anderer Meinung. Janey seufzte.

Jake lächelte ihr über den Tisch zu. „Vielen Dank für das ausgezeichnete Essen. Jetzt muss ich aber wirklich gehen, denn ich erwarte noch einige wichtige Faxe.“

„Wahrscheinlich wieder ein Riesendeal“, zog David seinen Freund auf. „Sieh dich vor, sonst bist du schon Multimillionär, ehe du vierzig bist, und kannst dich vor heiratswütigen Weibsbildern nicht mehr retten.“

„Mit dem Gut am Hals werde ich es nie zum Multimillionär bringen“, antwortete Jake wahrheitsgemäß.

„Was hättest du eigentlich getan, wenn du das Erbe ohne dein Aktienvermögen im Hintergrund hättest antreten müssen?“, fragte David.

„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich hätte ich sowohl das Haus als auch die Ländereien verkaufen müssen. Ich hoffe, eines Tages wird sich der Besitz selbst tragen. Aber das wird erst der Fall sein, wenn mein frisch angelegter Wald alt genug ist, forstwirtschaftlich genutzt zu werden. Dann habe ich zusätzliche Einnahmen aus dem Holzverkauf.“

„Es wäre wirklich schade gewesen, wenn du das Gut hättest verkaufen müssen. Schließlich gehört Grund und Boden schon seit fast zweihundert Jahren eurer Familie“, sagte Janey.

David klopfte Jake auf die Schulter. „Du solltest langsam daran denken, die nächste Generation der Carlisles zu produzieren, alter Freund, sonst wird es aus sein mit der Familientradition. Schließlich bist du auch nicht mehr der Jüngste. Wie alt bist du eigentlich? Vierunddreißig?“

„Zweiunddreißig. Genau ein Jahr älter als du, junger Freund. Dabei fällt mir ein, hatte Lucianna nicht letzte Woche Geburtstag?“

„Ja, aber es war eine traurige Veranstaltung. Sie hatte wohl insgeheim einen Verlobungsring als Geburtstagsgeschenk erwartet.“

Jake äußerte sich nicht dazu. „Wie läuft eigentlich die Werkstatt?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

„Langsam, ganz langsam geht es aufwärts“, antwortete Janey vorsichtig. „Lucianna ist dabei, sich einen festen Kundenstamm zu schaffen. Es gibt immer mehr Frauen, die ihr Auto bewusst zu einer Frau in die Werkstatt geben.“

„Das ist doch Quatsch! Sie lebt immer noch von Bankkrediten.“ David nahm kein Blatt vor den Mund. „Welcher Mann, der seine fünf Sinne beisammenhat, vertraut sein Auto einer Frau an? Aber das mach mal Lucianna klar! Ihre einzige Rettung ist, dass sie bei uns mietfrei leben kann. Erst wollte sie sich ja eine eigene Wohnung nehmen. Aber das kann sie sich in absehbarer Zukunft überhaupt nicht leisten.“

„Du bist ein entsetzlicher Chauvi, David“, kritisierte Janey ihren Ehemann. „Lucianna ist schließlich nicht zuletzt das, was ihr und euer Vater aus ihr gemacht habt. Habt ihr dem armen Mädchen je die Chance gegeben, ihre Identität als Frau zu finden?“

2. KAPITEL

„Wir haben dich gestern gar nicht nach Hause kommen hören, Lucianna. Ist John gut weggekommen?“

Janey backte, und Lucianna hatte sich zu ihr in die Küche gesetzt, um ihre Buchführung auf den neuesten Stand zu bringen. Lucianna rechnete erst die Zahlenreihe zusammen, ehe sie ihrer Schwägerin antwortete.

„Es ist später geworden, als ich dachte“, antwortete sie dann ausweichend, ohne den Kopf zu heben. Sie wollte Janey nicht verraten, dass sie am Vortag völlig deprimiert gewesen war.

Nachdem der Flug aufgerufen und John hinter der Glastür verschwunden war, war sie nicht gleich nach Hause gefahren, sondern ziellos durch das Flughafengebäude geirrt. Sie hatte sich so verzweifelt und enttäuscht gefühlt. John hatte ihr einen flüchtigen, brüderlichen Kuss gegeben und war in Windeseile verschwunden, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach ihr umzudrehen. Und vorher hatte er nur Augen für eine ausnehmend hübsche und gut angezogene Frau gehabt, die anscheinend denselben Flug gebucht hatte. Lucianna konnte nur an das eine denken: Während der vier Monate, die sie John nun schon kannte, hatte er sich mehr um andere Frauen als um sie gekümmert.

Janey, die ahnte, was passiert war, versuchte Lucianna zu trösten. „Du wirst sehen, wenn John erst einige Zeit weg ist, wird er schon merken, was er an dir hat.“

Lucianna schüttelte den Kopf. Sie glaubte nicht mehr an die Zukunft. Sie musste lernen, den Tatsachen ins Auge zu sehen und sich und anderen nichts vorzumachen.

Sie und John hatten sich vor sechs Monaten kennengelernt. John hatte eine Panne in der Nähe der Farm gehabt, und Lucianna war zufällig vorbeigekommen und hatte ihm geholfen. Schnell und fachkundig hatte sie den Schaden behoben.

Schon als Mädchen hatte sie sich für Motoren interessiert. Natürlich verstanden auch ihr Vater und ihre Brüder etwas von Maschinen. Jeder von ihnen konnte einen Traktor oder eine Mähmaschine reparieren, das gehörte schließlich auf einer Farm zum Alltag. Aber Lucianna war bei Weitem die Geschickteste und fand den Fehler immer als Erste.

Einige Jahre später standen dann ihre Kenntnisse noch höher im Kurs. Lewis, ihr zweitältester Bruder, fuhr damals Stockcar-Rennen. Er und seine Freunde rissen sich geradezu um Lucianna. Sie arbeitete besser als jeder Mechaniker und noch dazu umsonst.

Lucianna litt darunter, das Nesthäkchen der Familie und obendrein nur ein Mädchen zu sein. Dies versuchte sie durch Ehrgeiz und vollen Einsatz zu kompensieren. Sie wollte beweisen, dass sie besser als jeder Junge war.

Als sie mit der Schule fertig war, hatte sie noch keinen bestimmten Berufswunsch. So half sie weiterhin auf der Farm und reparierte nebenbei die Traktoren und Autos ihrer Brüder und deren Freunde. Schließlich war sie sich sicher, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen wollte.

Ihr ursprünglicher Plan war es gewesen, eine richtige Lehre in der Vertragswerkstatt einer bekannten Autofirma zu machen. Doch wohin sie sich auch wandte, die Werkstattleiter hatten sie nur ausgelacht. Einen weiblichen Mechaniker konnte sich niemand vorstellen. Schließlich hatte ihr Vater den Vorschlag gemacht, dass Lucianna sich in einer alten Scheune, die nicht mehr benötigt wurde, eine eigene Werkstatt einrichtete.

Als John erfuhr, wie Lucianna ihr Geld verdiente, war er peinlich berührt. Er fand die Arbeit ausgesprochen unweiblich. Lucianna kam sehr schnell dahinter, dass John feminine Frauen liebte. Und das war sie nun einmal nicht.

Lucianna biss sich vor Verzweiflung auf die Lippe. John und sie trafen sich nun schon seit einem halben Jahr regelmäßig jede Woche. Aber bisher hatte er noch nichts davon gesagt, dass er sie liebte und mit ihr zusammenbleiben wollte.

Endlich blickte sie von ihrer Arbeit auf und sah Janey an. „Wenn ich John wirklich etwas bedeuten würde …“, begann sie und verlor dann doch den Mut. Sie konnte den schrecklichen Gedanken einfach nicht aussprechen. „Janey, was ist los mit mir?“, fragte sie verzweifelt. „Was stimmt mit mir nicht? Warum kann ich John nicht klarmachen, dass wir so gut zusammenpassen?“

Da Lucianna mit dem Rücken zur Tür saß, hatte sie nicht bemerkt, dass David und Jake gerade noch rechtzeitig in die Küche gekommen waren, um ihren letzten Satz zu hören. Jake brach das peinliche Schweigen als Erster.

„Vielleicht, weil du mehr von Verbrennungsmaschinen als von Männern verstehst, Lucianna. Die menschliche Natur ist zu kompliziert, als dass man sie mit mechanischen Gesetzmäßigkeiten erklären könnte.“

Beim Klang der tiefen, ihr nur zu gut bekannten männlichen Stimme fuhr Lucianna herum. Ihre Wangen waren hochrot vor Wut, und ihre Augen blitzten. Sie hatte das Haar aus dem Gesicht gekämmt, was ihre hohen Wangenknochen und ihr energisches Kinn betonte. Herausfordernd sah sie Jake direkt in die Augen.

„Dich hat niemand gefragt, Jake. Misch dich bitte nicht in Gespräche ein, die dich nichts angehen. Wenn mich deine Meinung auch nur im Geringsten interessieren würde, hätte ich dich schon längst darum gebeten.“

Jake und sie gerieten stets aneinander. Schon als Kind hatte sie etwas gegen ihn gehabt. Sie konnte sich nicht mit dem Einfluss abfinden, den er auf ihre Brüder und sogar ihren Vater zu haben schien. Jake war nur ein Jahr älter als ihr ältester Bruder. Trotzdem war er anders – reifer und überlegener. Er wusste und konnte immer alles viel besser. Wahrscheinlich störte sie das. Es war seine Überheblichkeit, gegen die sie sich sträubte.

Jake war es auch gewesen, der ihre Tante überredet hatte, dieses alberne Kleid zu ihrem dreizehnten Geburtstag zu kaufen. Die Jungen hatten sich gebogen vor Lachen, als sie damit aufkreuzte: rosa Rüschen und eine Schärpe! Aus Protest hatte sie die Schärpe dann für die Radaufhängung des Carts benutzt, an dem sie damals gerade bastelte. Nie würde sie Jakes entgeistertes Gesicht vergessen, als er das sah. Noch heute konnte sie sich an den wütenden Triumph erinnern, den sie dabei empfunden hatte.

„Aber du hast doch etwas wissen wollen“, erinnerte Jake sie freundlich. Er schien von ihrem Ausbruch völlig unbeeindruckt zu sein.

„Aber von Janey, nicht von dir!“

„Vielleicht ist Janey zu weichherzig, um dir eine ehrliche Antwort zu geben. Sie scheut sich aus verständlichen Gründen, die Wahrheit auszusprechen.“

„Welche Wahrheit? Was meinst du damit?“

„Du hast gefragt, was mit dir nicht stimmt und warum sich John nicht offen zu dir bekennt“, wiederholte Jake ihre Frage in seinen Worten. „Soll ich es dir sagen? John ist ein Mann, kein starker zwar, aber immerhin ein Mann. Wie alle heterosexuellen Männer sucht er in seiner Partnerin den Gegenpol, das Weibliche. Weiblich, Lucianna, das bedeutet, weich, lieblich, anschmiegsam und zärtlich. Ein Mann möchte, dass ihm eine Frau Zärtlichkeiten ins Ohr flüstert. Er möchte keine Vorträge über Hubraum, PS und die neusten Motoren hören.

Gib mir deine Hand“, bat er und griff nach ihrer Linken, bevor sie noch reagieren konnte. Eingehend betrachtete er sie und verzog den Mund. „Dein Ringfinger verlockt wirklich nicht dazu, ihn mit Gold und Edelsteinen zu schmücken. Küssen möchte man diese Hand schon gar nicht.“

Mit einem kräftigen Ruck entzog Lucianna ihm die Hand und sah ihn wütend an. „Weiblich, das ist für mich verweichlicht, lasch, unterwürfig und unselbstständig!“, fuhr sie ihn an.

Es war still in der Küche. Jake betrachtete Lucianna von oben bis unten. Am liebsten hätte sie die Hände hinter dem Rücken versteckt. Jake hatte nämlich mit seiner Bemerkung genau ins Schwarze getroffen. Erst letztes Wochenende hatte sich John über ihre ungepflegten Hände beschwert. Die Freundinnen seiner Freunde hätten alle lange und sorgfältig lackierte Fingernägel.

„Wenn du deine Weiblichkeit so umschreibst, kannst du mir nur leidtun, Lucianna“, sagte Jake schließlich langsam.

Sie schluckte. Sie hatte einen dicken Kloß im Hals und befürchtete, gleich weinen zu müssen.

„Du bist noch nicht zur Frau gereift, Lucianna. Du magst einen weiblichen Körper haben – obwohl selbst das bei deiner Kleidung schwer zu beurteilen ist.“ Kritisch musterte er ihre viel zu weite Latzhose. „Aber Schönheit ist nicht die Voraussetzung für Weiblichkeit. Ich wette, die unscheinbarste deiner Freundinnen weiß das Interesse eines Mannes besser zu erregen als du. Selbst ich als Mann weiß mehr darüber.“

David lachte. „Dann gib ihr doch ein paar Nachhilfestunden. Vielleicht gelingt es ihr dann, sich einen Mann zu angeln.“

„Da ist was dran, David.“ Jake schien den Vorschlag tatsächlich ernsthaft zu erwägen, obwohl Lucianna noch nie im Leben etwas derart Lächerliches gehört hatte. Sie war zutiefst empört.

„Als ob ausgerechnet du mir sagen könntest, was es bedeutet, eine Frau zu sein, Jake! Nichts weißt du darüber, absolut gar nichts!“

„Wetten, dass doch? Du solltest dich hüten, mich herauszufordern, Lucianna.“

„An deiner Stelle würde ich seinen Rat annehmen, Lucianna“, sagte David ernsthaft. „Schließlich ist er ein Mann und …“

„Ach, ist er das wirklich? Vielen Dank für die Aufklärung“, unterbrach sie ihren Bruder mit einem Sarkasmus, der selbst in ihren Ohren kindisch klang.

Gespielt erstaunt zog Jake die Brauen hoch. „Also gibst du zu, dass du Aufklärung nötig hast, Lucianna. Sehr interessant. Du weißt also noch gar nicht, was ein Mann ist.“

„Hört endlich auf damit, beide!“, wandte Janey sich entschieden an die Männer. „Obwohl ich sagen muss, Lucianna, dass Jake nicht so ganz unrecht hat. John ist jetzt drei Monate weg. Das wäre eine ideale Gelegenheit, die Zeit zu nutzen und etwas an dir zu arbeiten. Zeig John beim Wiedersehen, was ihm in Kanada alles entgangen ist!“

Lucianna wollte gerade den Mund öffnen, um zu sagen, dass sie alle total übergeschnappt seien, als Jake ihr zuvorkam.

„Wie ich Lucianna verstanden habe, hat sie schon so gut wie zugesagt. Vorher müssen wir jedoch noch einige Grundvoraussetzungen klären.“

„Grundvoraussetzungen? Du willst mir doch wohl keine Vorschriften machen?“ Aber während sie nach Worten suchte, um ihre Ablehnung klar und unmissverständlich zu formulieren, sah sie plötzlich das Bild jener Frau vor sich, der John vor dem Abflug so interessiert und begehrlich nachgesehen hatte. War es möglich, dass Jake ihr, der unscheinbaren Lucianna Stewart, zu einer ähnlich faszinierenden Ausstrahlung verhelfen konnte?

„Abgemacht“, hörte sie sich sagen und staunte über sich selbst.

„Er muss dir ja wirklich viel bedeuten! Warum bloß?“ Jake gab sich zwar ironisch, aber in seiner Stimme schwang ein anderer Unterton mit. Lucianna war nur viel zu aufgeregt, um das zu bemerken.

„Ich weiß nicht, was die Frage soll. Ich liebe John“, antwortete sie aufsässig.

„Dabei fällt mir etwas ein. Vor einiger Zeit hast du ein uraltes, verrostetes Auto gekauft. Du hast behauptet, ohne es nicht leben zu können. Was ist daraus geworden?“

„Es steht in der Scheune und rostet gemütlich weiter vor sich hin.“ David grinste, und Lucianna sah ihn böse an.

„Lucianna!“ Jake nahm das Gespräch wieder auf. „Drei Monate mögen dir sehr lang erscheinen. Aber wir haben viel zu tun und dürfen keine Zeit verlieren. Bitte komm gleich morgen früh zu mir. Vorher kannst du schon …“

„Zu dir? Das geht nicht. Ich habe schließlich zu tun“, entgegnete sie trotzig.

„Wirklich?“ Jake nahm die Aufstellung, die sie vorhin gemacht hatte, zur Hand. „Diese Zahlen sagen etwas anderes. Deine Rechnung geht noch nicht einmal plus minus null auf.“

Lucianna errötete. Es war nicht fair, dass Jake ihr das unter die Nase rieb. Sie wusste es schließlich selbst. Und beim nächsten Termin würde es auch die Bank wissen.

„Sie hat natürlich Zeit, Jake. Ich werde schon dafür sorgen, dass sie morgen früh bei dir ist“, versprach David seinem Freund.

Lucianna war müde. Sie parkte ihr Auto vor dem Farmhaus und stieg aus. Da kein Licht mehr brannte, mussten Janey und David schon im Bett sein.

Lucianna war den Nachmittag über bei ihrem Vater gewesen. Nachdem er die Farm an David übergeben hatte, war er zu seiner verwitweten Schwester gezogen. Die beiden wohnten in einer kleineren Stadt gut zwanzig Meilen von der Farm entfernt. Lucianna hatte ihrem Vater und ihrer Tante versprochen gehabt, das Auto durchzusehen. Aber sie war mit den Gedanken nicht bei der Sache gewesen. Sie musste an Jake und sein Versprechen denken: dass er sie zu einer Frau machen konnte, nach der sich die Männer umdrehten.

Jake hatte einen eigenen Willen und setzte ihn auch durch, das wusste Lucianna aus Erfahrung. Er war es schließlich gewesen, der ihren Vater dazu gebracht hatte, die Farm an David zu übergeben. Jahrelang hatte es so ausgesehen, als würde David es nie schaffen, sich von der väterlichen Vorherrschaft zu befreien und den Betrieb zu modernisieren.

Auch ihren jüngsten Bruder Adam hatte Jake unterstützt. Adam wollte sich erst die Welt ansehen, bevor er eine Existenz gründete, was ihr Vater damals überhaupt nicht verstehen konnte. Dank Jakes Intervention war Adam jetzt in Australien. Er jobbte bei einer Tauchbasis am Great Barrier Riff. Dick, der altersmäßig zwischen Lewis und Adam kam, arbeitete in China an einem Staudammprojekt.

Was würden ihre anderen drei Brüder wohl von Jakes Plan halten, sie zu einer richtigen Frau zu machen? Eine müßige Frage, denn Lucianna kannte die Antwort: Sie würden sich vor Lachen schütteln und sagen, dass Jake sich eine unlösbare Aufgabe gestellt habe.

Sie war nicht das kleine Dummchen, als das sie ihre Brüder immer wieder hinstellten, dessen war Lucianna sich sicher. Auch ohne dass es ihr jemand hätte sagen müssen, hatte sie schon längst erkannt, dass ihr etwas fehlte, was andere junge Frauen ihres Alters im Übermaß zu besitzen schienen: die Fähigkeit, die Blicke des anderen Geschlechts wie magisch auf sich zu ziehen. Sie hatte keine Ahnung, woran es bei ihr in dieser Hinsicht haperte. Es konnte einfach nicht an ihrer zweckmäßigen Garderobe und ihrem eher burschikosen Auftreten liegen. Aber genau das würde Jake ihr einreden wollen: Sie müsse nur Stöckelschuhe tragen und hilflos mit den Augendeckeln klappern, und schon würden ihr die Männer zu Füßen liegen. So einfach konnte es doch nicht sein!

Natürlich hatte sie schon mehrere Freunde gehabt, Jungen, mit denen sie sich eine Zeit lang getroffen hatte. Sie war mit ihnen ausgegangen, sie hatten sich lustig unterhalten und viel Spaß gehabt, bis dann jeder wieder seine eignen Wege gegangen war. Aber mit John verhielt es sich anders. Zum ersten Mal dachte Lucianna an eine gemeinsame Zukunft mit einem Mann, an Ehe und Kinder.

John schien sich in ihrer Gesellschaft sehr wohl zu fühlen. Trotzdem war ihre Beziehung über flüchtige Küsse und freundschaftliche Umarmungen nie hinausgekommen. Lucianna hatte sich eingeredet, dass John ein rücksichtsvoller Mann sei, der sie nicht drängen wolle. Aber sein Verhalten bei der Abreise hatte eine andere Sprache gesprochen.

Lucianna öffnete geräuschlos die Haustür und schlich leise die Treppe hoch, um Janey und David nicht zu wecken. Als sie an deren Zimmer vorbeikam, stellte sie allerdings fest, dass sie doch noch wach waren. Sie unterhielten sich. Ob sie wollte oder nicht, sie musste sich das Gespräch mit anhören.

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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