Zum Träumen schön

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Ausgerechnet in dem Moment, als das Notfallteam von Crocodile Creek eine seiner dramatischen Rettungsaktionen vorbereitet, tritt die neue Schwester ihren Dienst an. Dr. McGregor vergisst fast seine Pflicht - denn vor ihm steht eine Frau zum Träumen ...


  • Erscheinungstag 29.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747411
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Willkommen in Crocodile Creek!

Die Schrift leuchtete in Gold auf dem grünen Schild, sehr australisch, sehr patriotisch. Aber das beantwortete nicht die Frage, was um alles in der Welt eine Frau, die in einer Penthouse-Wohnung in Melbourne aufgewachsen war und für die schon ein zahmer Kakadu ein wildes Tier war, in einem Ort namens Crocodile Creek tat.

Eine Übersprunghandlung!

Und nicht die erste in Kates Leben.

Andererseits – hätte sie Daniel ihren Verlobungsring nicht ins Gesicht geworfen, dann hätte sie ihren jetzigen Exverlobten und ihre ehemals beste Freundin Lindy wahrscheinlich umgebracht.

Nach der anstrengenden Fahrt war Kate total erschöpft. Sie lenkte den Wagen auf den Grünstreifen neben der Straße und starrte das Schild an. Ihr Herz klopfte wie wild. Was genau machte sie eigentlich hier? Und was würde sie an diesem Ort erwarten?

Würde sie hier die Antworten finden, die sie brauchte, um ihr Leben neu zu ordnen?

Und wie kam ein Ort zu dem Namen Crocodile Creek? Das konnte ja wohl kaum bedeuten, dass hier echte Krokodile herumschwammen, oder?

Sie warf einen misstrauischen Blick auf den Fluss, der sich neben der Straße dahinschlängelte, und ließ den Motor wieder an.

In der Wildnis von North Queensland war wirklich fast alles möglich.

„Sie fahren durch den Ort, über die Brücke und dann vorbei an der Klinik bis zu dem großen Haus auf den Klippen.“

Die Wegbeschreibung, die die Leiterin der Pflegeabteilung ihr am Telefon gegeben hatte, klang einfach. Kate folgte der Straße durch die kleine Stadt und hätte fast gleich wieder angehalten, denn praktisch mitten im Ort entdeckte sie einen wunderbaren kleinen Sandstrand. Sehnsüchtig betrachtete sie das blaugrüne Meer, das in kleinen Wellen an den Strand spülte. Nach der langen Fahrt wäre sie am liebsten hineingesprungen, aber ein Mann namens Hamish erwartete sie, und sie sollte nicht allzu unpünktlich sein.

Das Haus!

Konnte es das Gebäude sein, das dort auf dem Felsen auf der anderen Seite der Bucht stand?

Als Kind hatte sie immer davon geträumt, in einem Haus am Meer zu leben.

Aufgeregt fuhr sie weiter. Ja, das da war eindeutig die Klinik, und dann musste das Haus auf den Klippen das Ärztewohnhaus sein, wo sie leben würde.

Kate parkte den Wagen neben dem Gebäude, öffnete den Kofferraum und trug ihr Gepäck auf die breite Veranda.

Die Haustür war nur angelehnt, aber sie klopfte dennoch an und rief ein lautes „Hallo“, bevor sie langsam in die Eingangshalle trat.

„Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wie aufwendig es ist, ein Rodeo zu organisieren?“

Am Ende des Korridors erschien ein großer Mann, der ein Telefon in der Hand hielt. In seinem weichen schottischen Dialekt sagte er jetzt zu ihr: „Dann sind Sie wohl Kate?“ Der Klang seiner Stimme ließ sie zum ersten Mal seit vielen Monaten lächeln.

„Das bin ich wohl, ja.“ Sie stellte ihren Koffer ab und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Kate Winship. Mir wurde gesagt, dass hier ein Hamish auf mich warten würde. Das sind dann wohl Sie?“

Seine große, warme Hand umfasste ihre. „Hamish McGregor“, sagte er und schaute sie an. Seine Augen waren von einem so dunklen Blau, dass sie in der dunklen Halle des großen, alten Hauses fast schwarz wirkten.

Unwillkürlich entzog sie ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück. Und noch einen. Dann wurde ihr jedoch klar, wie dumm das wirken musste, und so versuchte sie, es so aussehen zu lassen, als wollte sie sich nur nach ihrem Koffer bücken.

„Warten Sie, lassen Sie mich den nehmen.“ Mit einer schnellen Bewegung löste er ihre Finger vom Griff des Koffers.

„Wir werden Sie hier unterbringen. Es war Mikes Zimmer, aber er … ach, was soll’s, Sie werden es ohnehin mitbekommen.“ Er lächelte sie an, ein leichter Spott lag in seiner Miene. „Ich muss Sie warnen, Schwester Winship. Wir haben hier in den letzten Wochen und Monaten eine wahre Liebesepidemie erlebt. Romanzen, Verlobungen, Hochzeiten – und es scheint ansteckend zu sein. Also, nehmen Sie sich in Acht.“

„Oh, mit diesem Virus werde ich mich sicher nicht infizieren“, versicherte Kate ihm. „Ich bin geimpft und immun dagegen, glauben Sie mir.“

Er stellte den Koffer ab und drehte sich zu ihr um. Fragend zog er die dunklen Augenbrauen in die Höhe. Sein Gesichtsausdruck war freundlich, fast liebevoll, aber dennoch hatte Kate nicht vor, ihre Worte näher zu erläutern. Der Schmerz war noch zu frisch, zu stark. Sie musste erst lernen, selbst damit klarzukommen, bevor sie sich anderen anvertraute.

Aber Hamish sah sie immer noch abwartend an.

Zeit, das Thema zu wechseln.

„Warum organisieren Sie ein Rodeo?“

Wieder lächelte er, was seine markanten Gesichtszüge plötzlich sehr weich erscheinen ließ. Kate versuchte, das leise Kribbeln, das über ihre Haut lief, zu unterdrücken.

„Wegen des Schwimmbads.“

„Ach so, ein Schwimmbad für Bullen und Wildpferde, na sicher.“

Dieses Mal lachte er leise. Ein tiefes, warmes Lachen. Wie gut, dass sie immun war …

„Wir wollen mit dem Rodeo Geld sammeln, um ein Schwimmbad in Wygera zu bauen. Das ist eine Aborigine-Siedlung im Outback. Für die Kids dort gibt es kaum etwas zu tun, also nehmen sie Drogen oder machen illegale Autorennen, sie kommen vor Langeweile buchstäblich um.“

Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, und in seiner Miene spiegelte sich der ganze Frust darüber, wie diese jungen Menschen ihr Leben einfach wegwarfen.

„Und wann findet dieses Rodeo statt?“

„Am übernächsten Wochenende. Deswegen ist auch niemand sonst hier. Wer dienstfrei hat, ist im Augenblick mit den Vorbereitungen beschäftigt, es gibt nämlich einen Wettbewerb für das beste Schwimmbad-Design. Die Kinder müssen ihre Entwürfe bis heute eingereicht haben, und da gibt es gerade jede Menge zu tun. Ich bin für Notfälle hier, falls wir mit dem Hubschrauber …“

Das Klingeln des Telefons unterbrach Hamishs Ausführungen, und er verließ das Zimmer, während er den Anruf entgegennahm.

Kate öffnete ihren Koffer und starrte einen Augenblick lang auf die zusammengefalteten T-Shirts, in Gedanken jedoch war sie dort draußen bei den Aborigine-Jugendlichen, denen es an einer echten Perspektive für ihr Leben fehlte.

Du bist hier, um mehr über deine Herkunft zu erfahren, nicht um die Welt zu retten.

Erst Hamishs Rückkehr lenkte sie wieder ab.

„Hören Sie“, sagte er und strich sich eine ungebärdige dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß, es ist total unfair, weil Sie doch gerade erst angekommen sind, aber könnten Sie mich auf einem Rettungsflug begleiten? Drüben in der Klinik haben sie alle Hände voll zu tun, weil fünfzehn Jugendliche nach einer Geburtstagsparty mit Lebensmittelvergiftung eingeliefert wurden.“

Kate klappte ihren Koffer wieder zu. „Wo steht das Flugzeug?“

„Nicht so eilig. Erst sollten Sie sich andere Schuhe anziehen. Diese pinkfarbenen Sandalen sind sehr hübsch, aber absolut nicht das Richtige für einen Rettungseinsatz. Sie knicken sofort um, wenn wir abgeseilt werden.“

„Aha. Kaum bin ich angekommen, schon kritisieren Sie meine Schuhwahl“, gab Kate zurück, während sie sich gleichzeitig ein wenig für ihre unpraktischen Sandalen schämte, die sie erst am Tag zuvor während ihrer Fahrt hierher gekauft hatte. Aber man konnte eben nicht immer vernünftig sein.

Sie öffnete ihren Koffer erneut und suchte ihre festen Wanderschuhe heraus, die ebenso wie die kakifarbene Cargohose und das rosa T-Shirt, die sie trug, eher praktisch als schick waren.

Während sie auf dem Bett saß, um die Schuhe zu wechseln, war Kate sich bewusst, dass Hamish sie schweigend weiter ansah.

„Sie brauchen nicht auf mich zu warten. Sagen Sie mir einfach, wo ich hinkommen soll. Am Flugplatz bin ich auf dem Weg hierher vorbeigefahren.“

„Dort starten nur unsere normalen Einsätze. Für Notfälle wie diesen nehmen wir den Hubschrauber.“

Er stand noch immer im Türrahmen, und Kate beeilte sich, ihre Schuhe zuzubinden, um seinem prüfenden Blick zu entgehen.

Sie gingen durch das Haus und zur Hintertür hinaus in den großen Garten. Kate sah sich neugierig um und atmete den süßen, blumigen Duft ein. Es war wunderschön hier, aber Hamish schien seine Umgebung kaum wahrzunehmen, sondern ging mit schnellen Schritten weiter.

„Wir haben einen Hubschrauberlandeplatz hinter der Klinik“, erläuterte er. „Einer unserer beiden Piloten, Mike Poulos, ist auch ausgebildeter Rettungssanitäter, sodass er allein mit einem Arzt fliegen kann. Heute hat aber Rex Dienst, also müssen zusätzlich zwei Mitglieder des medizinischen Teams mit an Bord sein.“

„Worum geht es überhaupt? Ein Verkehrsunfall?“ Kate war froh, dass sie täglich joggen ging, sonst wäre es ihr wohl schwergefallen, mit Hamish Schritt zu halten.

„Anscheinend nicht“, erwiderte er nachdenklich und runzelte die Stirn. Neugierig sah Kate ihn an.

„Es war ein etwas merkwürdiger Notruf.“ Hamish zögerte. „Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, dass Sie mitkommen.“

„Tja, jetzt ist es zu spät. Was meinen Sie mit merkwürdig?“

„Der Anrufer sagte, dass ein verletzter Mann in der Cabbage-Palm-Schlucht liegen würde, gab eine GPS-Position durch und legte dann auf. Kennen Sie sich mit GPS aus?“

„Auch wenn wir uns in Melbourne eher an Straßennamen orientieren, ja. Ich weiß, was das ist.“

Für einen Augenblick machte die Besorgnis in Hamishs Gesicht einem kleinen Grinsen Platz. „Sehr gut. Da es sich um eine Schlucht, und zwar eine sehr enge, handelt, wird Rex uns mit der Seilwinde vom Hubschrauber herunterlassen.“

„Kein Problem, das habe ich schon öfter gemacht. Zwar nicht in eine enge Schlucht, aber dafür auf eine Bohrinsel mitten in einem Sturm. Das war auch nicht gerade ein Spaziergang.“

Als sie am Hubschrauber-Landeplatz eintrafen, stellte Hamish sie dem Piloten Rex vor, einem Mann in mittleren Jahren mit Glatze und einem eindrucksvollen Schnurrbart.

Rex überreichte ihnen die Overalls für den Einsatz. „Wir werden etwa eine Dreiviertelstunde bis zum Eingang der Schlucht brauchen, aber wir werden erst wissen, wo der Mann ist, wenn wir drüber hinwegfliegen und die GPS-Position erreichen“, sagte er mit ernster Miene. „Das Gelände ist schwierig, ich werde oberhalb der Schlucht landen, dann müsst ihr euch abseilen.“

Der Pilot wandte sich meist an Hamish, während er sprach, warf aber Kate immer wieder einen besorgten Blick zu.

„Okay“, versicherte sie ihm, bevor Hamish etwas sagen konnte. „Ich bin für solche Einsätze ausgebildet und habe erst vor ein paar Wochen einen Auffrischungskurs gemacht.“

Weil sie davon ausgegangen war, dass sie im St. Stephen’s wieder bei Einsätzen mit dem Notfallhubschrauber unterwegs sein würde. Von wegen …

„Wir werden sehen“, sagte Hamish. „Es ist besser, wenn ich mich zuerst abseile und den Patienten untersuche. Wenn er transportfähig ist, dann …“

„Tut mir leid, Doc, aber das wird nichts werden“, unterbrach Rex ihn, während sie im Hubschrauber Platz nahmen. „Bis wir da sind, wird es bereits dämmern. Heute Abend können wir ihn keinesfalls mehr abtransportieren. Ihr könnt euch also schon mal auf eine Nacht in der Cabbage-Palm-Schlucht einstellen, für solche Einsätze sind zwei Leute vom medizinischen Personal Vorschrift.“

Kate warf dem Mann, mit dem sie die Nacht in einer Schlucht verbringen würde, einen neugierigen Blick zu. Hamish runzelte noch immer die Stirn.

„Haben Sie irgendeinen Ritterkomplex gegenüber Frauen, dass das so ein Problem für Sie ist?“, fragte sie ihn. Da sie beide noch nicht ihre Kopfhörer mit den eingebauten Mikros trugen, war sie gezwungen, gegen den Lärm der Motoren anzubrüllen. Zur Antwort zuckte Hamish nur mit den Schultern. Nun gut, sie würden heute noch genug Zeit für eine Unterhaltung haben.

Kate widmete sich der Aussicht auf die Landschaft unter ihnen. Sie konnte die Klinik am gewundenen Flusslauf des Crocodile Creek erkennen und das Wohnhaus an der Bucht. Gleich hinter der Stadt begann eine baumbedeckte Hügelkette.

„Wenn wir diese Hügel hinter uns gelassen haben, fängt das Weideland an.“

Sie wandte sich Hamish zu und nickte nur. Gleich darauf kam auch schon die weite Landschaft in Sicht. Rex flog an einem Flusslauf entlang, immer wieder konnte Kate jetzt rote, zerklüftete Felsformationen erkennen, die im Licht der langsam untergehenden Sonne geheimnisvoll leuchteten. Das also war das rote Herz Australiens. Sie lehnte sich dichter ans Fenster, um besser sehen zu können.

„Sie werden noch genug davon aus der Nähe zu sehen bekommen“, erklang Hamishs Stimme in ihrem Kopfhörer. Tatsächlich begann der Hubschrauber nach einer Weile mit dem Sinkflug. Bis Rex einen Landeplatz fand, dauerte es allerdings noch eine gute Viertelstunde. Dann schaltete er den Motor ab und kletterte zu ihnen nach hinten. Gemeinsam packten sie die Ausrüstung zusammen, die sie brauchen würden.

„Wir lassen Sie zuerst herunter, Doc, dann die Ausrüstung, und dann kommen Sie, Schwester Winship.“

„Nennen Sie mich doch Kate.“ Aber Rex schüttelte den Kopf.

„Unser Pilot hier ist ein echter Gentleman, er möchte allen Frauen den angemessenen Respekt erweisen“, sagte Hamish grinsend und untersuchte sorgfältig die medizinische Ausstattung, während er sprach.

Inzwischen installierte Rex die Abseilvorrichtung. Alles machte auf Kate einen sehr professionellen Eindruck.

„Ihr müsst das tragbare GPS-Ortungsgerät benutzen, um den Mann zu finden. Sobald es wieder hell wird, solltet ihr nach einem Platz Ausschau halten, wo ich die Trage herunterlassen kann. Wenn ich dann zurückkomme, funkt ihr mich an und teilt mir die Position mit.“ Rex schaute Hamish eindringlich, er war sichtlich unglücklich darüber, den Einsatz erst morgen abschließen zu können. „Ich werde über Nacht zur Wetherby Downs-Farm fliegen und dort auftanken und übernachten. Morgen früh bin ich dann um kurz nach sechs wieder hier.“

„Wir kommen schon zurecht, mach dir keine Gedanken“, beruhigte ihn Hamish und reichte Kate einen Abseilgurt. Sie legten beide die Ausrüstung an und setzten die dazugehörigen Helme auf. „Kate, sind Sie sicher, dass Sie das hinkriegen? Sie könnten mit Rex zurückfliegen, es wäre nicht das erste Mal, dass wir die Regeln ein bisschen weiter auslegen.“

„Aber nicht gleich an meinem ersten Arbeitstag“, erwiderte Kate. Sie musste allerdings zugeben, dass die Schlucht in der langsam hereinbrechenden Dämmerung nicht gerade nach dem behaglichsten Ort der Welt aussah.

Sie sah zu, wie Hamish unterhalb der Felskante verschwand, und half dann Rex dabei, ihre Rucksäcke und die restliche Ausrüstung herunterzulassen.

„Es ist auch ein kleiner Gaskocher dabei, Sie können also etwas Heißes trinken“, sagte er. „Offenes Feuer ist nicht erlaubt, das hier ist ein Nationalpark.“

Kate nickte und blickte in die Schlucht. Gleich war sie an der Reihe.

Kate spürte den Griff kräftiger Arme von hinten. Hamish stützte sie ab, bis sie einen sicheren Stand hatte, dann löste er das Seil und gab Rex das Zeichen, es wieder hinaufzuziehen.

Hamish trat zur Seite, griff nach dem größeren der beiden Rucksäcke und schnallte ihn sich um. Dann hob er den anderen auf und hielt Kate die Gurte hin, damit sie sie sich umschnallen konnte. „Wir haben noch einen kleinen Marsch vor uns“, sagte er.

Kate lächelte. „Meine Beine sind zwar vielleicht nicht so lang wie Ihre, aber sie werden mich schon tragen.“

Seine Antwort bestand nur aus einem leisen Murmeln, aus dem Kate die Worte „störrische Frau“ heraushören konnte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Ortungsgerät zu, um den verletzten Mann zu finden.

„Okay, wir müssen in diese Richtung.“ Er wies auf die Karte, die auf dem kleinen Bildschirm erschien.

Sie machten sich auf den Weg, vorbei an den Palmen, die der Schlucht ihren Namen gegeben hatten, und kletterten über die Felsen am Rand des schmalen Flussbettes, das sich im Laufe von Millionen Jahren in den Sandstein gegraben hatte.

Die Dunkelheit brach erschreckend schnell herein, aber im Licht ihrer starken Taschenlampen konnte sie mögliche Hindernisse auf dem Weg gut erkennen.

„Gleich sollten wir ihn erreicht haben“, sagte Hamish. „Ich werde mal rufen.“

Zu Kates Erstaunen erklang aus dem Mund des Schotten das traditionelle „Coo-ee“ der australischen Buschmänner. Kurz darauf hörten sie beide eine Antwort aus dem Zwielicht vor ihnen.

„Gut, er ist auf jeden Fall bei Bewusstsein“, sagte Hamish. Er griff nach Kates Hand, während er seine Schritte beschleunigte, um den Patienten bald zu erreichen.

Kurz darauf waren sie bei ihm. Der junge Mann lag an eine Felswand gelehnt da, das Gesicht vom Schmerz gezeichnet. Mühsam versuchte er, die Tränen zurückzuhalten, als er sie sah. „Digger sagte, dass er jemandem Bescheid geben würde, aber ich wusste nicht, ob ich ihm glauben sollte“, flüsterte er mit erstickter Stimme.

„Na, er hat sein Versprechen gehalten, und jetzt sind wir hier“, sagte Hamish. „Ein Arzt und eine Krankenschwester, ganz zu Ihren Diensten. Ich bin Hamish, und das ist Kate, die noch nicht einmal richtig in Crocodile Creek angekommen war, als ich sie mitgeschleppt habe.“

„Crocodile Creek? Sie sind aus Crocodile Creek?“

Der Junge klang leicht panisch. Kate kniete neben ihm nieder und griff nach seiner Hand, die sich heiß und trocken anfühlte.

„Wir sind vom medizinischen Flugrettungsdienst“, sagte sie sanft. „Warum erzählen Sie uns nicht, was passiert ist?“

Sie legte eine Hand auf seine Wange. Er hatte Fieber, ganz wie sie vermutet hatte. Seine Atmung war beunruhigend flach und unregelmäßig. Sie würde ihm Sauerstoff geben, während Hamish seine Untersuchung durchführte.

Ihr Kollege hatte sich auf der anderen Seite niedergelassen. Mit einer Hand nahm er den Puls des Patienten, mit der anderen öffnete er seinen Rucksack. Kate ließ den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über den Körper des Jungen gleiten. Um sein rechtes Bein war ein blutiger, provisorischer Verband gewickelt.

„Ich habe eine Kugel im Bein“,sagte er als Antwort auf Kates Frage. Hamish nickte nur und fragte: „Wie heißen Sie?“

Der Junge zögerte ein paar Sekunden. „Mein Name ist Jack.“

Er stand so unter Spannung, dass Kate sich fragte, ob es nur an seiner Wunde oder an noch etwas anderem lag. Und ob Jack wirklich sein Name war. Ein Verletzter, der mitten in der Wildnis gerettet wurde, zeigte für gewöhnlich mehr Freude über das Auftauchen von Hilfe.

Für den Moment spielte das jedoch keine Rolle. Sie würden sich um ihn kümmern, egal, wie er hieß und wie die Kugel in sein Bein gekommen war.

Hamish redete beruhigend auf den jungen Mann ein und stellte weitere Fragen, während er langsam Hals und Kopf abtastete. Hatte er Schmerzen? Wo genau? Wie war er hierhergekommen?

Jack antwortete vorsichtig und zögerlich. Er gab an, mit einem Offroad-Motorrad unterwegs gewesen zu sein, von dem jedoch keine Spur zu sehen war. Eine seltsame Geschichte.

Als Hamish den Verband von Jacks Bein löste, erkannte Kate an dem durchdringenden Geruch sofort, dass das Gewebe nekrotisch geworden war. Kein Wunder, dass der Junge Fieber und Schmerzen hatte.

„Wann ist das passiert?“

Jack zuckte die Achseln.„Gestern, glaube ich. Oder vielleicht vorgestern? Mir ging es ziemlich schlecht, ich habe geschlafen, bis Digger mich heute Morgen hierhergebracht hat.“

„Und wo ist dieser Digger jetzt?“, fragte Kate und bereitete die Sauerstoffmaske vor.

„Weiß ich nicht.“

Fragend hob Hamish die Augenbrauen, als er Kate ansah. „Sein Puls rast. Wir müssen einen Zugang legen, damit er Flüssigkeit bekommt. In Ihrem Rucksack ist alles, was wir brauchen. Die Kanülen und Injektionen sind beschriftet.“

Kate stellte eine batteriebetriebene Lampe auf, um besser sehen zu können, dann legte sie die sterilen Verpackungen mit Kathetern, Kochsalzlösung und Spritzen bereit.

„Wir müssen Sie mit Flüssigkeit versorgen, Jack“, erklärte sie dem jungen Mann. „Dafür werden wir eine Nadel in Ihre Vene stechen müssen. Da Sie schon sehr dehydriert sind, könnte das etwas schwierig werden.“ Sie reichte Hamish das Spritzbesteck.

„O nein, Schwester Winship. Da kennen Sie mich aber schlecht“, sagte der Schotte grinsend und band Jacks Oberarm mit einer schnellen Bewegung ab. „Ich bin allgemein dafür bekannt, dass ich jede Vene schon beim ersten Versuch treffe.“ Er klopfte prüfend auf den Handrücken des Patienten und setzte die Nadel.

„Sehen Sie? Schon drin.“ Hamish wandte sich an Jack.

Kate hatte den Beutel mit der Kochsalzlösung bereits vorbereitet und platzierte ihn auf einem Felsvorsprung, damit die Flüssigkeit nach unten in den Tropf laufen konnte. Sie erläuterte Jack, was sie tat, ohne ihn weiter nach seiner Verletzung zu befragen. „Hamish wird Ihnen gleich noch einen Zugang legen, damit wir Ihnen auch Antibiotika und Schmerzmittel geben können. Die Infektion der Wunde ist der Grund, dass Sie sich so schlecht fühlen.“

„Genau genommen“, sagte Hamish, „würde sich wohl jeder schlecht fühlen, der angeschossen wurde.“

Jack lachte leise auf, und Kate stimmte erleichtert ein. Endlich schien sich ihr Patient etwas zu entspannen. Aber er war sehr schwach, und die infizierte Schusswunde sah übel aus.

Hamish hatte inzwischen den zweiten Infusionsbeutel gelegt. „Kate wird jetzt die Wunde im Auge behalten, falls die Blutung wieder stärker wird, und ich werde die Reflexe in Ihrem Fuß und Unterschenkel testen. Sie haben wirklich Glück, dass die Kugel nicht die Arterie getroffen hat. Und wissen Sie, woher wir das wissen?“

Er öffnete die Zufuhr für die Antibiotika und die Schmerzmittel. „Nun, ganz einfach. Dann wären Sie inzwischen verblutet“,fuhr er munter fort.„Aber möglicherweise sind Nerven verletzt, oder die Blutzufuhr ist durch abgesplitterte Knochen eingeschränkt worden. Das werden wir jetzt überprüfen.“

Kate sah in Jacks Gesicht und erkannte, dass Hamish genau den richtigen Ton traf. „Und warum soll Kate darauf achten, ob es wieder blutet?“, fragte er jetzt sogar.

„Gute Frage, junger Mann“, sagte Hamish grinsend. „Es sind Blutgefäße verletzt worden, die sich selbst verschlossen haben, aber durch die Flüssigkeitszufuhr könnten sie sich jetzt wieder öffnen.“

Jacks Bein zuckte, als Hamish seine Untersuchung durchführte, und gleich darauf setzte die Blutung aus der Wunde ein.

„Sie haben Gefühl in Ihren Zehen und einen fühlbaren Puls, das ist gut. Damit hört Ihr Glück aber auch auf, denn jetzt werde ich die Wunde säubern, und das wird trotz der Betäubung, die ich Ihnen geben werde, wehtun. Kate, wie wäre es, wenn Sie unseren Jack ein bisschen ablenken? Können Sie sich mit ihm unterhalten und mir gleichzeitig die Instrumente und Verbände reichen?“

Sie starrte den schottischen Arzt an, der so ruhig und gelassen vor sich hin plauderte, als säßen sie in einem modernen Krankenhaus statt mitten in der australischen Wildnis, während vielleicht ein Mann mit einer Waffe in der Nähe war.

„Kate?“

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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