Zwei Herzen im Schnee

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Vier Romane in einem Band!

Wenn es draußen stürmt und schneit, beginnt die Zeit der wärmenden Gefühle. Die vier winterlichen Liebesromane der Bestsellerautorinnen Susan Wiggs, Sherryl Woods, Liz Fielding und Jennifer Greene sorgen für gemütliche Stunden: Ein prinz zum fest, Zauber deiner Zärtlichkeit, Rendezvous mit dem Boss, So stark und so zärtlich.


  • Erscheinungstag 10.12.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493799
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Zwei Herzen im Schnee

Susan Wiggs

Ein Prinz zum Fest

Aus dem Amerikanischen von Astrid Hartwig

Sherryl Woods

Zauber deiner Zärtlichkeit

Aus dem Amerikanischen von Erdmute Gabriel-Seter

Liz Fielding

Rendezvous mit dem Boss

Aus dem Amerikanischen von Melissa Granau

Jennifer Greene

So stark und so zärtlich

Aus dem Amerikanischen von Brigitte Bumke

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgaben:

Cinderfella

Copyright © 1996 by Susan Wiggs

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Next Time … Forever

Copyright © 1990 by Sherryl Woods

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Dating Her Boss

Copyright © 1999 by Liz Fielding

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

A Groom For Red Riding Hood

Copyright © 1994 by Jennifer Greene

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf

ISBN 978-3-95649-379-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Susan Wiggs

Ein Prinz zum Fest

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Astrid Hartwig

1. KAPITEL

Hey, Riley! Gehst du zu dem Ball?“

„Brad, du kennst doch Riley“, mischte Derek sich ein. „Er kann mit Bällen nur etwas anfangen, wenn sie den Aufdruck ‚Wilson‘ tragen.“

Jack Riley hatte die Füße auf einem Stapel Akten auf seinem Schreibtisch ausgestreckt. Er war in einen meditationsähnlichen Prozess versunken. Betrachtungen über seine abgewetzten Schnürstiefel. Nun blickte er auf. Der kleinste Weihnachtsbaum der Welt, dekoriert mit Gegenständen, die die Kinder im Heim gebastelt hatten, thronte auf seinem Monitor.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sich der vollgestopfte Nachrichtenraum, die klingelnden Telefone, die grellen Leuchtstoffröhren mitsamt den beiden Quasselstrippen von Kollegen in Luft auflösen können.

„Sieh dir den Jungen doch an, Brad. Der alte Riley hat nichts anzuziehen.“ Derek Crenshaw war ekelerregend stolz auf seinen Kaschmirpullover von Brooks Brothers, den seine allzu nachsichtigen Eltern ihm geschenkt hatten.

„Nicht so voreilig“, sagte Riley, während er sein graues CUNY-Sweatshirt kratzte. „In meiner Sporttasche habe ich noch einen Trainingsanzug.“

Seine Kollegen brachen in schallendes Gelächter aus. Schüler, die sich hier als Starreporter aufspielen, dachte Jack. Sie sind wirklich leicht zu amüsieren. Er faltete seine langen Beine unter dem Schreibtisch und griff nach dem Bleistift, der hinter seinem Ohr klemmte. Dann schob er seine Hornbrille mit den dicken Gläsern auf der Nase zurecht. Für einen Moment blieb sein Blick auf der edlen Einladungskarte haften, die auf dem Müllberg seines Schreibtisches obenauf lag. Irgendwo darunter vergraben lag ein nagelneuer Tintenlöscher, ein Geschenk von einem dankbaren Jungen, dem er einmal geholfen hatte und der dafür sein letztes Kleingeld mühsam zusammengekratzt hatte.

Jack schielte auf die cremefarbene Karte. Miss Madeleine Langston bittet um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft … neun Uhr … im Dakota … Abendkleidung erbeten, schwarze Krawatte …

„Schwarze Krawatte“, murmelte er, während er seine Schirmmütze tiefer in die Stirn zog. Zweifellos betete Miss Madeleine Langston jeden Tag, dass Mr Jack Riley vom Erdboden verschwand. Warum hatte sie ihn überhaupt eingeladen? Aus Mitleid? Hatte sie einen Schuldkomplex? Oder war sie einfach neugierig auf einen Niemand aus Brooklyn?

„Hey, Riley!“, sagte Derek, während er mit einem Marker in der Hand auf ihn zutrat. „Ich hätte da so eine Idee. Soll ich dir die schwarze Krawatte auf dein Hemd aufmalen?“

„Hey, Derek“, gab Jack zurück. Mühelos kopierte er den südkalifornischen Akzent seines Kollegen. „Ich hätte da so eine Idee. Soll ich dir die Kniescheibe brechen und dich in ein dunkles Loch werfen?“

Brad und ein paar der übrigen Kollegen brachen erneut in schallendes Gelächter aus.

„Bei der Arbeit, Gentlemen?“ Diese Frage zerschnitt die ausgelassene Stimmung wie eine frisch geschärfte Messerklinge.

Die Eisvenus. Die Kristallgöttin. Der Fluch seines Lebens.

Seine Verlegerin.

„Jack gibt dem Artikel noch den letzten Schliff“, sagte Derek hastig, während er die Kappe auf den Marker steckte. Er ließ eine Mappe auf Jacks Schreibtisch fallen.

Madeleine Langston schwebte durch das Labyrinth der Schreibtische. Sie bewegte sich, als wäre die Anordnung der Tische und Stühle in dem gläsernen Nachrichtenraum in ihr Gehirn eingeprägt wie auf einem Computerchip.

Nach dem Tod ihres Vaters vor sechs Monaten hatte sie den Courier geerbt. Allgemein hatte man erwartet, dass sie sich würdevoll zurückzog und die Einnahmen hereinrollen ließ. Eine Zeit lang hatte sie das auch getan. Dann, etwa vor drei Wochen, hatte sie den unfähigen Chefredakteur entlassen und sich selbst zur Herausgeberin erklärt. Anscheinend hatte sie so schnell niemanden finden können, der ihre hohen Anforderungen erfüllte. Und deswegen traf sie, zum Leidwesen der gesamten Belegschaft, vorerst alle Entscheidungen selbst.

Bis letzte Woche hatte sie sich in den Redaktionsräumen nicht sehen lassen, sondern ihr steriles Büro eine Etage höher bevorzugt. Es war das zweite Mal, dass Jack sie aus der Nähe sah. Sie war beängstigend attraktiv und regte Jacks Fantasien in jeder Hinsicht an.

Weil er wusste, dass er sie damit reizen würde, legte er die Füße wieder auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände hinterm Kopf, während er sie mit gesenktem Kopf unter dem Schirm seiner Mütze hindurch beobachtete.

Wie ein Marschflugkörper nahte Madeleine Langston. Sie war, wie Jack geschworen hätte, die einzige Frau in Manhattan, die den ganzen Tag lang einen elfenbeinfarbenen Wollanzug tragen konnte, ohne auch nur eine einzige Falte darin zu bekommen. Vielleicht weil ihr die Körperwärme fehlte. Sie war kalt wie Eis.

Was sie besaß, waren gutes Aussehen, Verstand und Geld. All das im Überfluss. In ihrer Gegenwart verspürte er den Impuls, die Finger zu kreuzen, um das Böse abzuwenden. Schlimmer noch. Er verspürte den Impuls, mit ihr schlafen zu müssen, bis sie um Gnade flehte … oder nach mehr verlangte.

Sie blieb vor seinem Schreibtisch stehen. Gelassen betrachtete er ihr fein geschnittenes Gesicht. Zarte Wangenknochen und eine Nase, die womöglich als Modell in der Schönheitschirurgie diente. Augen blau wie ein Pool. Hellblondes Haar, das peinlich exakt zu einer Art Makramee-Arrangement frisiert war.

Madeleine Langston legte den lackierten Zeigefinger an die Unterlippe und ließ ihn dort einen Moment lang ruhen, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Jack ihr nicht seine Aufmerksamkeit schenkte. Dabei betrachtete sie den schiefen Miniatur-Christbaum auf seinem Monitor. Zweifellos war er ihr etwa so fremd wie Mondgestein.

Wenn sie darauf wartete, dass er aufstand oder seine Mütze abnahm, würde sie ihre Party am Abend verpassen.

„Der Finanzskandal bei der Abwasserwirtschaft?“, fragte sie. In ihrem geschliffenen Ostküstenakzent klang das Ergebnis einer seit Generationen hervorragenden Bildung mit. Jahre und Jahrzehnte in Marymount und Vassar.

Jack schenkte ihr sein arrogantestes Lächeln, während er sein vor einer Woche zum letzten Mal rasiertes Kinn rieb. „Warum engagieren Sie nicht endlich einen Chefredakteur, der über uns eigenwilligen Burschen die Peitsche schwingt?“

„Dies ist meine Zeitung, Mr Riley, und ich schwinge die Peitsche, wie es mir gefällt.“

„Klingt kindisch, Miss Langston“, murmelte er. Er beugte sich vor und zog aus dem Stapel unter seinen Füßen eine Mappe hervor, die er ihr entgegenhielt.

Platin- und Edelsteinringe blitzten an ihren Händen auf, als sie die Mappe aufschlug. Eine leere Kartoffelchip-Tüte segelte zu Boden. Sie machte einen bewundernswerten Versuch, dies zu ignorieren, während sie den Text überflog.

Mit einem kaum merklichen Nicken klappte sie die Mappe wieder zu. „Und die Schuldebatte? Ich meine die Gesundheitsdebatte?“

Jack grinste. „Sie meinen die Diskussion darüber, ob an den Highschools Kondome verteilt werden sollen?“ Mit Genuss bemerkte er die zarte Röte, die in ihre Wangen stieg. „Ja, damit bin ich fertig.“ Ohne den Blick von seiner Chefin abzuwenden, drückte er eine Taste auf der Tastatur. Der Drucker neben seinem Schreibtisch warf eine Kopie des Artikels aus.

Ihre zarten Nasenflügel begannen zu flattern. „Mr Riley, wie hat ein Mann mit Ihrem Charme es fertiggebracht, sich bisher noch keine nennenswerten Körperverletzungen zuzuziehen?“

Er grinste, während er mit dem kurzen Ringelzopf in seinem Nacken spielte. „Ich bin wahrscheinlich schnell genug auf den Beinen.“

Auf den geringschätzigen Blick, den sie ihm zuwarf, wäre Katharine Hepburn stolz gewesen. „Verstehe.“ Sie nahm das Blatt aus dem Drucker und fügte es ihrem Stapel hinzu.

Zu Jacks Erleichterung richtete sie ihren durchbohrenden Blick nun auf Brad und Derek. „Und was ist mit Ihnen, meine Herren? Sind Sie zu Redaktionsschluss ausnahmsweise einmal fertig?“

Die beiden stierten sie schmachtend an, wie man mit Schokolade liebäugelt, wenn man auf Diät gesetzt ist. Idioten, dachte Jack. Er wusste, dass sie eine Wette laufen hatten, wer von ihnen die Chefin als Erster ins Bett bekam. Als ob einer von ihnen eine Chance hätte. Und wer würde überhaupt ein Interesse an ihr haben, außer vielleicht ein Polarforscher, aber nur mit Kälteschutzanzug.

Jack Riley, der hat ein Interesse, dachte er nicht ohne Ekel vor sich selbst. Sie verkörperte alles, was er an einer Frau verachten sollte. Perverserweise fand er sie trotzdem umwerfend sexy. Er begehrte sie, wie er schon lange keine Frau mehr begehrt hatte. Er wollte das Eis, das sie umgab, mit seiner Hitze schmelzen.

„Natürlich, Miss Langston“, sagte Brad mit einer Miene, als hätte er die Tüchtigkeit erfunden.

„Selbstverständlich“, bestätigte Derek.

„Ausgezeichnet.“ Madeleine drehte sich um und steuerte auf die Tür zu. Doch bevor Jack endgültig aufatmen konnte, blieb sie stehen. Das Klicken ihrer Dreihundert-Dollar-Schuhe verstummte, als sie sich ihnen zuwandte. „Und, Gentlemen? Sehe ich Sie heute Abend im Dakota?“

„Sicher“, erwiderten Derek und Brad wie aus einem Munde. In ihren Kaschmirpullovern personifizierten sie den neuen Look geklonter Nachrichtenreporter. Im Smoking würden sie anschwellen. Geradezu aufblähen. Und sicher würden sie den ganzen Abend ihre Chefin schmachtend anstarren.

Madeleine Langstons Blick ruhte auf Jack. Verdammt, sie war eine unglaubliche Schönheit. Welch eine Verschwendung an …

„Nun?“, unterbrach sie seine Gedanken. „Werden Sie kommen?“

Jack beschloss, ihre Wortwahl nicht mit einer sarkastischen Bemerkung zu kommentieren. „Nein“, sagte er. Seine Augen funkelten amüsiert, als er ihre Erleichterung sah. „Ich werde es leider nicht einrichten können. Heute Abend habe ich eine Verabredung mit den Urban Animals.“

Plötzlich zog sie fragend eine gezupfte Augenbraue hoch. „Urban Animals?“

„Eine Gruppe von halbstarken Schlittschuhläufern im Central Park.“

„Oh. Man wird Sie vermissen.“

Jack konnte sein Lachen nicht länger unterdrücken. Meine Güte, ihre überhebliche Höflichkeit tat fast weh. Dies war erst ihre zweite Begegnung, und die Fronten waren bereits geklärt. Er liebte es, sie zu provozieren. „Wissen Sie“, sagte er in einem Tonfall, als würde er noch mal darüber nachdenken, „ich könnte es vielleicht doch einrichten …“

Ihre schönen großen Augen verrieten, dass sie keinen Wert auf seine Gesellschaft legte. Für eine Göttin aus Eis war sie eine ziemlich armselige Lügnerin. Und ihre Angewohnheit, in Situationen der Bedrängnis zu erröten, ließ sie beinah menschlich wirken.

„Keine Sorge, Prinzessin“, sagte er beruhigend, während er die Einladung in den überfüllten Papierkorb neben seinem Schreibtisch segeln ließ. „Der charmante Prinz hat andere Pläne.“

2. KAPITEL

Im perfekten Abendkleid stand Madeleine Langston in der perfekten Suite im Dakota. In der Mitte des Raumes stand ein perfekter Designerchristbaum. Sie hörte die perfekten Klänge der Swing-Band und beobachtete die perfekte Haltung der Gäste, während sie an einem perfekten Horsd’œuvre knabberte.

„Madeleine, Darling!“ William Wornich, zuständiger Redakteur für die Klatschspalte im Courier, beugte sich zu ihr hinüber, um einen Kuss auf ihrer Wange anzudeuten. „Eine wundervolle Party. Alles ist perfekt. Ein traumhaft perfekter Ball.“

„Danke, William.“

Der beißende Rauch seiner Zigarre trieb ihr die Tränen in die Augen. Verdammt. Sie musste ihre Kontaktlinsen herausnehmen, und ohne Linsen war sie praktisch blind.

Wornich fuhr unbeirrt mit der Plauderei fort. „Und dieses Kleid!“, sagte er, während er einen Schritt zurücktrat. „Einfach zu raffiniert. Wo hast du es erstanden?“

Sie schenkte ihm ihr einstudiertes Lächeln. „Darling, du würdest es nicht glauben, wenn ich es dir sagen würde.“ Es hatte ihrer Großmutter gehört. Ganz im Stil der Vierzigerjahre, aus schwarzem Seidentaft mit Trompetenrüschen an Schultern und Saum. Das perfekte Tanzkleid. Leider war aber niemand da, mit dem sie hätte tanzen wollen.

Oh, Daddy, dachte sie unwillkürlich. Wehmütige Erinnerungen stiegen in ihr auf. Das luxuriöse Apartment im Dakota hatte ihm gehört. Nächste Woche sollte es verkauft werden. Es war ein seltsames Gefühl, hier in diesen Räumen zu stehen, umgeben von all den Menschen, die er gekannt hatte. Er selbst hatte diese Party geplant, schon vor Monaten, ohne zu wissen, dass er nicht mehr da sein würde, um die Rolle des Gastgebers zu übernehmen.

Einen Vorteil hatte es, dass die Party in den Räumen stattfand, die für Madeleine voller schmerzlicher Erinnerungen steckten. Es bedeutete, dass sie gehen konnte, wann sie wollte. Ihr blieb die Möglichkeit zur Flucht.

„Madeleine, Liebling“, sagte Wornich, während er den dicken Rauch in die Luft blies. „Ich muss dich etwas fragen. Ich weiß, dass du dieses Fest in Gedenken an deinen Vater veranstaltest. Aber was ist der wahre Grund für die Party? Die Suche nach einem Ehemann?“

An diese Frage war sie so gewöhnt, dass sie sich nicht einmal mehr beleidigt fühlte. Nach dem Tod ihres Vaters hatten alle erwartet, dass sie sich einen Mann suchen würde, der das Ruder beim Courier übernehmen konnte. Oder einen Magnaten, der ihr den Verlag abkaufte.

Madeleine hatte sich für eine völlig andere Richtung entschieden. Sie hatte beantragt, dass das Kuratorium sie als Herausgeberin einsetzte. In letzter Zeit arbeitete sie bis zur Erschöpfung, weil sie die Aufgaben des Chefredakteurs übernommen hatte. Niemand verstand, warum sie das tat.

Sie wusste, warum. Madeleine suchte nach einem Weg, sich selbst zu definieren. Sie wollte in den Spiegel schauen und einen Menschen sehen, der etwas bewegte. Wichtige Entscheidungen traf. Nützliche Dinge tat. Dinge, die sie menschlich machten.

„Sei nicht albern, William“, sagte sie, während sie mit der Hand wedelte, um den Rauch zu vertreiben. „Die Männer, die ich kennenlerne, haben es entweder auf mein Geld abgesehen oder auf meine gesellschaftliche Position. Oder sie haben solche Angst vor mir, dass sie am liebsten im Erdboden versinken würden.“

„Trifft das auf alle Männer zu?“

„Ausnahmslos.“

Als William sich unter eine Gruppe von Buchkritikern mischte, nutzte Madeleine die Gelegenheit, in der Damentoilette ihre Kontaktlinsen herauszunehmen. Vom Zigarrenrauch brannten ihre Augen. Nun würde sie zwar nicht mehr viel sehen, aber das störte sie nicht. Ihre Kurzsichtigkeit würde die langweilige Gesellschaft nur erträglicher machen.

Während sie in den Spiegel starrte, dachte sie über ihr Gespräch mit William Wornich nach.

„Trifft das auf alle Männer zu?“

„Ausnahmslos.“

Vor sich selbst musste sie allerdings zugeben, dass es eine Ausnahme gab … Jack Riley.

Der Gedanke an ihn ließ ihr vor Abscheu eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Obwohl sie ihn kaum kannte, war sie bereits davon überzeugt, dass Jack Riley alles in sich vereinte, was sie an Männern hasste. Er war ungehobelt, ungepflegt, respektlos und arrogant.

Und er war der talentierteste und zuverlässigste Journalist in ihrer Redaktion.

Sie wusste, dass sie sich von ihm nicht provozieren lassen sollte, aber er hatte eine lästige Art, ihr auf die Nerven zu fallen. Dieser entsetzliche Fünftagebart und dieser Zopf im Nacken. Dieser beißende Spott, der sie jedes Mal wie eine Betrügerin dastehen ließ, diese überhebliche Scher-dich-zum-Teufel-Haltung. Er hatte das Gebaren eines Mannes, der das Leben in großen Stücken abbiss und keine Nachsicht mit denen übte, die vorsichtig und schüchtern waren.

So wie sie.

Ihr Auftritt in den Redaktionsräumen war eine Katastrophe gewesen. Sie hatte sich unter die Schreiber gemischt und sogar gehofft, sie könnte dazugehören. Was für ein Irrtum. Ein Witz. Wie ein Fisch auf dem Trockenen hatte sie sich gefühlt. Keiner der Redakteure schien zu bemerken, dass sie nur unsicher war. Und schon gar nicht dieser unerträgliche Mr Riley, der selbst alles andere als schüchtern war. Er kannte sie nicht einmal. War erst ein einziges Mal mit ihr zusammengetroffen. Warum also schien er es auf sie abgesehen zu haben?

Während sie diese Gedanken zu verdrängen suchte, nahm sie ihre Kontaktlinsen heraus und verwahrte sie in ihrer perlenbesetzten Abendtasche. Dann beugte sie sich vor, um einen kritischen Blick auf ihr leicht verschwommenes Spiegelbild zu werfen. Sie hätte den Lippenstift nachziehen sollen, bevor sie die Kontaktlinsen entfernt hatte.

Mit einem Seufzer beschloss sie, dass die Welt einer Madeleine Langston ohne frischen Lippenstift begegnen musste. Sie trat aus der Damentoilette direkt in den grellen Schein eines Blitzlichts. Das Lächeln erschien automatisch auf ihrem Gesicht, wenn jemand sie für den Gesellschaftsteil eines Blattes fotografierte. Die Konversation über das Verlagswesen, das Erbe ihres Vaters, beherrschte sie fließend. Niemand in dieser eleganten Gesellschaft wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie sich in ihrer Haut nicht wohlfühlte.

Oder dass sie unbeschreiblich einsam war. Es war kurz vor Weihnachten, und sie würde die Feiertage mit ihrer Katze verbringen. Einfach zu erbärmlich.

Und wieder wanderten ihre Gedanken zu Jack Riley. Er langweilte sich bestimmt nicht. In diesem Moment zog er wahrscheinlich mit etwas skandalös Engem aus schwarzem Leder bekleidet auf Schlittschuhen seine Kreise auf dem Teich im Central Park.

Jack war gelangweilt.

Er blickte auf die Ordner, die auf seinem Schreibtisch lagen. Diesmal schuldeten Derek und Brad ihm wirklich etwas. Er hatte ihre Artikel für sie überarbeitet. Ihre langweiligen, fantasielosen Artikel. Auch er hatte seit Wochen keine pikante Story zu Papier gebracht. Was war mit den Leuten in Manhattan los? Wo blieben die Morde und Überfälle, wenn man sie brauchte?

Jack schloss seinen Schreibtisch ab, schaltete den Computer aus und verließ das Büro. Automatisch duckte er sich, um nicht gegen den getrockneten Mistelzweig zu stoßen, der über der Tür von der Decke herabhing. Auf dem langen Korridor begegnete er einer der Putzfrauen.

„Machen Sie wieder Überstunden, Jack?“, rief sie ihm zu.

Er grinste. „So bald werde ich nicht in die Chefetage aufsteigen, Cora.“

„Na gut, aber haben Sie wenigstens schon mal an ein neues Auto gedacht?“

„Ein Auto? Bei meinem Gehalt?“, fragte er zurück. Seinen Mercury Marquis hatte er längst verkauft. Der Wagen hatte seine besten Zeiten schon hinter sich gehabt, als Jack vor sechs Jahren damit von Muleshoe, Texas, nach Manhattan gefahren war, mit nichts im Gepäck als einem Journalistendiplom und einer Handvoll Träume. „Ich nehme die U-Bahn.“

„Seien Sie vorsichtig, Jack.“

Schon fünf Minuten später, als er Richtung Lexington ging, hatte er allen Grund, sich an diese Warnung zu erinnern. Er sah zwei junge, ungepflegte Kerle, die über einen kleinen Mann herfielen.

Ich lebe jetzt in New York, ermahnte er sich im Stillen, während er im Laufschritt auf die dunklen Gestalten zusteuerte. Als New Yorker müsste ich eigentlich die Straßenseite wechseln und wegsehen. Aber in seiner Brust schlug das Herz eines waschechten Texaners, eines Mannes, der Gewalt und Ungerechtigkeit zutiefst verabscheute.

Mit langen Schritten lief er über das vereiste Pflaster. Einer der beiden zwielichtigen Typen hatte den kleinen dicken Mann gegen die Hauswand gedrückt und hielt ihn fest, während der andere seine Taschen durchsuchte.

Jack startete einen Überraschungsangriff. Er versetzte dem Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hatte, einen Fausthieb gegen die Schulter und schickte ihn damit in einen Schneehaufen. Der Mann taumelte und brach schließlich, möglicherweise durch Drogenkonsum geschwächt, ohne jede Gegenwehr in einem Haufen aus Abfall und Pappkartons zusammen.

Eine Faust traf Jack in die Magengrube. Augenblicklich spannten sich seine durchtrainierten Muskeln an, sodass er den Schmerz kaum spürte. Er setzte einen gezielten Kinnhaken an. Sein Angreifer hielt sich das Gesicht und flüchtete wimmernd. Inzwischen hatte sich der schmierige Komplize aufgerappelt.

Breitbeinig baute Jack sich auf, für einen eventuellen Angriff gewappnet. Der Straßenräuber taxierte ihn ein, zwei Sekunden. Dann folgte er stolpernd seinem Kollegen.

Im ersten Impuls wollte Jack die beiden verfolgen, doch ein Blick in das blasse, schweißüberströmte Gesicht des Opfers hielt ihn zurück.

Der übergewichtige Mann war auffällig gut gekleidet. Sein Schnurrbart und der Spitzbart am Kinn waren perfekt gepflegt. In seinen zitternden Händen hielt er einen Spazierstock mit Messinggriff.

„Sind Sie verletzt?“, fragte Jack. Er bückte sich und hob einen eleganten Hut auf, den er dem Mann reichte.

„Nein. Nur erschrocken.“ Der Mann zog ein seidenes Taschentuch aus seiner Manteltasche und wischte sich die Stirn ab. Dann setzte er seinen Hut auf. „Vielen Dank.“

Im nebligen Licht der Straßenlaterne musterte Jack das aschfahle, pausbäckige Gesicht. „Sind Sie sicher? Soll ich nicht lieber einen Arzt rufen?“

„Nein. Ich gehe in den Laden zurück und rufe mir ein Taxi. Ich habe einen Truck, aber im Moment möchte ich mich nicht hinters Steuer setzen.“ Während er Jack betrachtete, schien er sich an seine Umgangsformen zu erinnern. „Verzeihen Sie. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich habe mich nicht einmal vorgestellt.“ Er streckte ihm die Hand entgegen, ohne den Handschuh auszuziehen. „Harry Fodgother.“

„John Patrick Riley. Nennen Sie mich Jack.“ Er konnte den kleinen Mann sofort einordnen. Noch aus seiner Anfangszeit als Redakteur war ihm der Name vertraut, der damals häufig in der Gesellschaftsspalte aufgetaucht war. Jeder, der etwas auf sich hielt, trug einen Harry-Fodgother-Smoking. „Sie sind der Schneider, habe ich recht?“

Mit gespielter Verachtung verzog Harry das Gesicht. „Herrenausstatter, bitte schön!“ Dann lachte er. „Wenn ich mich so nenne, kann ich den doppelten Preis verlangen.“

Er zog einen dicken Schlüsselbund aus seiner Tasche und öffnete eine schwere Stahltür mit der Aufschrift „Liefereingang“. Jack folgte ihm durch einen großen Raum, vollgestopft mit Stoffballen, Nähmaschinen, Schaufensterpuppen und Zuschneidetischen. An den Wänden hingen Plakate mit Who’s-who-Typen, die Fodgothers Kreationen präsentierten.

Durch eine Doppeltür gelangten sie in den Laden. Bei jedem Schritt sank Jack nun zwei Zentimeter tief in einen Teppich ein. Der Verkaufsraum war in Leder, Messing und Jägergrün gehalten. Er erinnerte an einen englischen Club. Selbst die Jagdszenen an den Wänden fehlten nicht. Und es gab keinen Hinweis darauf, dass man hier etwas kaufen konnte. Kein einziges Kleidungsstück war zu sehen. Jack vermutete, dass sie in den antiken Schränken und Kommoden verstaut waren.

„Ein netter Laden“, bemerkte er.

„Nicht wahr?“ Harry schaltete die grüne Schreibtischlampe an und nahm den Telefonhörer ab. „Unter dem Tresen dort drüben ist ein Kühlschrank. Nehmen Sie sich ein Bier.“

Jack öffnete zwei Flaschen Bier. Inzwischen rief Harry ein Taxi. Als er aufgelegt hatte, fragte Jack: „Wollen Sie den Überfall der Polizei melden?“

Fodgother schüttelte den Kopf. „Das waren nur zwei arme Schlucker. Junkies wahrscheinlich. Ich habe sie nicht einmal richtig gesehen. Und bevor sie mir irgendetwas stehlen konnten, sind Sie dazwischengegangen. Die Polizei hält mich den ganzen Abend auf, und …“ Er hielt inne, als er sah, dass Jack etwas aus seiner Tasche zog.

„Verdammt“, sagte Jack stirnrunzelnd. „Ich dachte, das hätte ich weggeworfen.“ In der Tat hatte er die Einladung weggeworfen, aber aus einem unerklärlichen Grund hatte er sie wieder an sich genommen. Vielleicht um sie seiner Mutter zu zeigen, die immer etwas über seine hochtrabenden Freunde in New York erfahren wollte. Es schien einfach nicht in ihren Kopf zu gehen, dass er nicht regelmäßig mit John F. Kennedy junior verkehrte.

Er kam hinter dem Tresen hervor und gab Harry ein Bier. „Sie arbeiten aber lange“, bemerkte er. „Prost.“

Harry hob seine Bierflasche. „Sie sind nicht von hier?“

„Aus Texas. Aber mein Akzent verschwindet allmählich.“

Harrys Blick fiel auf die Einladungskarte. Er las. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Eine Einladung von Madeleine Langston! Wie um alles auf der Welt sind Sie an diese Einladung gekommen?“

Jack nahm einen Schluck von seinem Bier. „Sie ist mein Boss. Sonst auch bekannt als göttliche Hexe.“

„Ein prachtvolles Weib. Sie ist eine Weile mit einem von meinen Sechsundvierzigern ausgegangen.“

Jack grinste, als er sich Madeleine Langston in Begleitung eines leeren Anzugs vorstellte. Doch sein Vergnügen war kurz, denn der leere Anzug verwandelte sich plötzlich in das Abbild seiner selbst. Er verlor den Verstand. Er war krank. Er wollte sie.

„Behaupten Sie nicht, es hätte Sie nicht erwischt.“ Harry zeigte mit seinem Stock auf Jack. „Ich war auch einmal jung.“

„Sie ist eine Schneekönigin“, protestierte Jack. „Bei einer Skulptur aus Eis hätte ich mehr Glück.“

„Mir scheint, der Gentleman protestiert zu viel.“

„Ich kenne sie außerdem kaum. Habe sie nur einmal oder vielleicht zweimal gesehen. Und glauben Sie mir, die Welt geriet nicht aus den Fugen.“

„Dakota“, murmelte Harry. „Das ist die alljährliche Party ihres verstorbenen Vaters.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Es ist für sie das erste Jahr ohne ihren Vater. Und für die Party das letzte Jahr. Überlegen Sie mal, wie sie sich fühlen muss.“

Jack würgte sein Bier herunter. So wie Harry von ihr sprach, erschien Madeleine ihm wie ein Mensch, jemand mit Gefühlen, der auch verletzlich war. Das sollte ihn eigentlich nicht berühren. Tat es aber.

„Wahrscheinlich tanzt sie Löcher in den Teppich“, sagte er.

„Wahrscheinlich trinkt sie zu viel und lächelt zu viel und wünscht sich sehnsüchtig, jemand würde kommen, der sie rettet.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Jack.

Wieder zeigte Harry mit dem Stock auf Jacks Brust. „Ich weiß es eben. Glauben Sie mir.“

Hartnäckiger kleiner Zwerg, dachte Jack. Harry musterte ihn. Sein prüfender Blick war so durchdringend, dass Jack rote Ohren bekam. „Ich glaube, ich entspreche nicht ganz Ihrer gewohnten Klientel, habe ich recht?“

„Ich liebe die Herausforderung. Vielleicht ist unter den Lumpen ein Prinz verborgen.“ Harry ging mehrmals um Jack herum und ließ dabei seinen Stock durch die Luft kreisen. „Jack Riley“, sagte er schließlich. „Ich werde Sie ausstaffieren, dass Sie sich selbst nicht wiedererkennen. Wie durch Zauberei. So etwas haben Sie sich nicht einmal im Traum vorgestellt.“

„Also, eigentlich lege ich auf Kleidung keinen Wert, Harry.“

„Bitte, bitte. Haben Sie noch nie den Wunsch verspürt, einen Saal voller Menschen zu betreten und sie buchstäblich umzuhauen?“

„Nur, wenn es Republikaner sind.“

„Bah. Sie machen Scherze, wo Sie doch auf diesen Ball gehen und die Frau Ihrer Träume treffen könnten.“

Jack lachte laut und herzlich.

Wieder hob Harry seinen Stock und zeigte auf ihn. „Erlauben Sie mir, dies für Sie zu tun. Sie haben mir das Leben gerettet.“

„Ich bin wirklich mehr der häusliche Typ, der mit einem Bier vor dem Fernseher sitzt, Harry.“

„Wunder geschehen jeden Tag, mein Junge.“

Jack vergrub die Hände in den Taschen seiner Yankee-Jacke. „Sie ist nicht mein Typ.“

„Ich glaube, Sie sind der Typ, der gern ein wenig Spaß hat. Eine einsame Lady auf einer Party, wo jeder irgendetwas von ihr will. Diesen Gedanken kann doch niemand ertragen.“ Harry warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Einladungskarte. Dann trat er zu Jack heran und nahm ihm als Erstes die Brille ab. Es war ihm anzusehen, dass die bevorstehende Verwandlung des abgerissenen Reporters ihm Vergnügen bereitete. „Trinken Sie Ihr Bier aus, Cowboy. Es gibt eine Menge Arbeit, wenn wir das erreichen wollen, was mir vorschwebt. Und viel Zeit haben wir nicht.“

Jack fügte sich ergeben in sein Schicksal. Im Kampf mit der Dankbarkeit entwickelte wohl selbst die Hölle nicht den Zorn dieses Schneiders … Verzeihung, Herrenausstatters.

3. KAPITEL

Madeleine ertappte sich dabei, wie sie wieder auf die Uhr schaute. Halb elf. Ganze zwei Minuten waren vergangen, seit sie das letzte Mal nachgesehen hatte. Ihr Plastiklächeln hatte sie hundertmal gelächelt, hundert hohle Begrüßungen gemurmelt und hundertmal an ihrem Dom Pérignon genippt. Der Schampus begann seine Wirkung zu zeigen.

Wie immer, wenn sie einen Schwips hatte, war sie taktvoll und vorsichtig. Alles, was sie sah, präsentierte sich in einer angenehmen Unschärfe. Ihr Blick fiel auf ein Model in einem Kleid, das aussah, als wäre es komplett aus Öffnungslaschen von Sodadosen konstruiert. Madeleine unterdrückte ein Kichern.

Das fiel ihr nicht schwer, als sie Britt Beckworth III auf sich zukommen sah. Mit seinem kantigen Kinn, dem gestriegelten Haar und seinem hohlen Kopf war er eine lebende Ken-Puppe.

Madeleine flüchtete sich hinter eine Steinskulptur im Foyer. Was habe ich nur an mir, dass ich auf langweilige, eitle Männer wie ein Magnet wirke, fragte sie sich. Und auch auf boshafte, eifersüchtige Frauen. Warum konnte sie nicht einfach einen Freund haben?

Auf der ganzen Party konnte sie keinen Kandidaten entdecken. Derek und Brad aus dem Nachrichtenraum warfen ihr unentwegt lüsterne Blicke zu, nicht ganz das Gefühl, das sie in Männern erwecken wollte.

Sehnsüchtig schaute sie zum Eingang und steuerte schließlich unwillkürlich darauf zu. Ihre Gedanken waren bei einem kleinen roten Auto eines italienischen Herstellers mit einem unaussprechlichen Namen. Es stand in der Garage, vollgetankt und auf Hochglanz poliert. Hätte sie doch nur nicht so viel Champagner getrunken und ihre Kontaktlinsen nicht entfernt. Dann könnte sie jetzt in ihr Auto steigen und einfach losfahren. Schnell und weit weg. Bis sie einen Ort erreichte, wo der Name Madeleine Langston keine Bedeutung hatte.

Sie wollte etwas Wildes und völlig Verrücktes tun. Einmal in ihrem Leben die Kontrolle verlieren. Oder, was ihr noch reizvoller erschien, die Kontrolle jemand anderem übergeben, jemandem, dem sie vertrauen konnte. Jemand, der ihr Herz im Sturm eroberte.

Ich wünsche mir, dachte sie. Ich wünsche mir … Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Sehnsüchte zu vertreiben. Aber es gelang ihr nicht. Sie wusste, dass so etwas im wirklichen Leben nicht passierte, und trotzdem …

Sie legte die Hand auf den Türknauf. In diesem Moment wurde der Knauf von außen gedreht. Madeleine trat erstaunt einen Schritt zurück, während sie sich ihre Entschuldigung zurechtlegte. Ich freue mich, dich zu sehen, Darling, aber ich muss leider weg, übte sie im Stillen. Wir treffen uns zum Lunch …

Die Tür ging auf.

Die Entschuldigungen erstarben Madeleine auf der Zunge. Wie in Trance trat sie einen weiteren Schritt zurück und war plötzlich davon überzeugt, dass sie gestorben war und sich im Himmel wiederfand.

Er war etwa eins neunzig groß, selbst nachdem er seinen schwarzen Stetson abgesetzt hatte. Sein dichtes schwarzes Haar glänzte vor Vitalität. „Hallo, Darling“, begrüßte er sie gut gelaunt, während er ihr die Einladungskarte reichte. „Hiermit bin ich am Portier vorbeigekommen. Komme ich auch an Ihnen vorbei?“

„Nur, wenn ich es nicht verhindern kann“, murmelte Madeleine, ohne nachzudenken. Ihr bewundernder Blick wanderte zu seinem gepflegten Haar. Das Kerzenlicht verlieh den Wellen, die über den Kragen seines schneeweißen Hemds reichten, einen rötlichen Schimmer. Der elegante schwarze Smoking hob seine breiten Schultern hervor. Er trug ihn offen, sodass man das edle Hemd mit den spanischen Falten und den Florentinerknöpfen sah. Die schwarze Anzughose umspannte seine schmale Taille. Dazu trug er schwarze Cowboystiefel mit extrem schmaler Spitze.

Als sie sein markantes, frisch rasiertes Gesicht betrachtete, hatte sie das Gefühl, diesen Mann zu kennen. In gewisser Weise erschien er ihr sogar äußerst vertraut. Als er ihr aber sein charmantes Lächeln schenkte, war sie davon überzeugt, dass sie dieses Gesicht noch nie gesehen hatte. Allenfalls in ihren schönsten Träumen.

„Darling“, sagte er ungeduldig, „wenn wir hier noch länger herumstehen, wird uns jemand mit dem Kleiderständer verwechseln.“

„Natürlich“, erwiderte sie, bevor sie seine Einladung auf dem Tisch neben dem Eingang ablegte. „Kommen Sie herein, Mr …“

„Patrick. John … Patrick. Nennen Sie mich John, Miss …“

„Madeleine“, sagte sie hastig. Aber es gefiel ihr besser, wenn er sie Darling nannte.

„Tanzen Sie mit mir, Darling.“ Er legte seinen Hut auf den Tisch.

Die Swing-Band spielte einen melancholischen Song aus den Vierzigerjahren. Die Bluesklänge erschienen ihr plötzlich unwiderstehlich. Mit einem wundervollen Gefühl der Unbeschwertheit, als ob der Champagner ihr Flügel verliehen hätte, legte Madeleine ihre Hand in seine und ließ sich von ihm in den Himmel entführen.

Zu seinem größten Erstaunen fand sich Jack Riley auf dem Tanzparkett wieder und wiegte sich zu einer langsamen, schwermütigen Melodie mit Madeleine Langston in seinen Armen.

Eine unfassbare Situation. Entweder spielte sie das Spiel mit, oder sie erkannte ihn wirklich nicht. Konnten Harry Fodgothers Zauberkünste eine so perfekte Verwandlung bewirken?

Als er sich zufällig in einem antiken Spiegel erblickte, begann er daran zu glauben, dass ihn tatsächlich niemand erkannte. Seine Hornbrille war verschwunden. Der elegante Smoking, die Stiefel und die Frisur verwandelten eine graue Maus aus Brooklyn in einen Stadtcowboy. Dazu sein übertrieben gedehnter texanischer Akzent, und die Maskierung war perfekt.

Vielleicht.

Beinahe unbewusst legte er den Arm fester um ihre Taille und wurde von einem unerwartet erotischen Gefühl überrascht. In seinen Armen war die Eisprinzessin nicht aus Eis. Sie war warm. Weich. Berührbar.

„Gefällt Ihnen die Party?“, fragte er, während er zuschaute, wie sein Atem durch ihr Haar wehte. Kleine Lockenbüschel zierten ihre Schläfen und den Nacken. Den Rest hatte sie in einem Perlenband zusammengefasst.

„Mm. Mittlerweile, ja. Ich habe mich seit Wochen vor dieser Party gefürchtet.“ Sie schenkte ihm ein traurig-süßes Lächeln, das ihn im Innersten berührte. „Dies ist die Wohnung meines Vaters. Er ist verstorben. Aber ich hatte das Gefühl, ich bin es ihm schuldig, diese traditionelle Party ein letztes Mal zu veranstalten.“

„Mein Beileid zum Tod Ihres Vaters.“

„Ich werde damit fertig.“ Ihre Oberschenkel berührten sich, als sie die Richtung auf der Tanzfläche änderten. Ihr Lächeln nahm einen koketten Ausdruck an. „Es ist eine großartige Gelegenheit, Männer aufzulesen.“

Er schluckte. Seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. „Gehört das zu Ihren Gewohnheiten?“

Sie lachte. „Sie sind der Erste. Und ich glaube, Sie sind es wert.“

Ihr freimütiges Eingeständnis schockierte ihn. Sie wusste Bescheid. Natürlich, sie spielte mit ihm. Dennoch stiegen Zweifel in ihm auf. Madeleine Langston war unfähig, zu lügen. Noch vor wenigen Stunden hatte sie versucht, ihm vorzumachen, sie würde sich freuen, wenn er zu ihrer Party kam. Es war ein kläglicher Versuch gewesen, der auf ganzer Linie missglückte. Jack hatte gesehen, wie sie sich verkrampft hatte, wie ihr die Röte ins Gesicht gestiegen war, bis an die Wurzeln ihrer blonden Haare. Sie war eine schlechte Lügnerin.

Er manövrierte sie über die Tanzfläche zu einer Marmorsäule, wo er stehen blieb und sie zwischen sich und der Säule einsperrte, indem er sich mit einem Arm an der Wand abstützte. Himmel, sie war wunderschön. Wie von Botticelli erschaffen, eine kühle Elfenbeinnixe, die aus ihrem Wasserreich aufstieg. Ihre Augen leuchteten vor Bewunderung.

„Madeleine.“

Sie berührte seine schmale Frackschleife. „Es gefällt mir, wie Sie meinen Namen sagen.“

Plötzlich fühlte sich sein Kragen unbequem eng an. Dies war Irrsinn. „Haben wir … haben wir uns schon einmal gesehen?“ Aufmerksam beobachtete er ihre Reaktion.

Ihr Gesicht war ganz nah. Sie hob die Hand und strich zaghaft über sein Kinn. Wie ein neugieriges Kind. Sein glatt rasiertes Kinn, das Harry Fodgother mit etwas horrend Teurem bespritzt hatte. „Ausgeschlossen“, flüsterte sie, während sie ihre Hand auf seine Brust legte. „Ich hätte es nicht vergessen, wenn wir uns schon einmal begegnet wären.“

Zu spät. Wenn sie es jetzt herausfand, würde sie ihn umbringen.

Von Panik erfüllt, ergriff er ihr Handgelenk und schob ihre Hand weg. „Madeleine, tun Sie das nicht“, sagte er. „Täuschen Sie nicht vor, Sie wüssten nicht …“

„Oh Gott.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über seine Schulter zu spähen. Ihre Augen nahmen einen wilden, gehetzten Ausdruck an. „Sie kommen.“

Jack blickte sich um und sah William Wornich inmitten einer Schar von Reportern auf sie zukommen. Im Bruchteil einer Sekunde begriff er. Madeleine lebte wie unter dem Mikroskop und wurde regelmäßig von den gebündelten Strahlen der öffentlichen Aufmerksamkeit verbrannt. Er sah die morgigen Schlagzeilen schon vor sich: Verlegererbin tanzt den Twostepp mit mysteriösem Cowboy.

„Kommen Sie.“ Er setzte seinen nagelneuen Stetson auf, legte den Arm um ihre Schulter und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir verschwinden von hier.“

Ein Blitzlicht blendete ihn. Er hörte das Surren einer Kamera. Dann sah er Brad und Derek im hinteren Teil des Raums. Mehr Argumente brauchte er nicht, um mit Madeleine die Party zu verlassen. Sie ignorierten die Fragen, die ihnen hinterhergerufen wurden, und flüchteten in den Fahrstuhl. Eine kleine Ewigkeit lang blieben die Türen offen, sodass sie den neugierigen Blicken der herannahenden Sensationsjäger ausgesetzt waren, unter ihnen auch Brad und Derek.

Jack zog seinen Hut tiefer in die Stirn und drückte auf den Abwärtsknopf. Die Türen des Fahrstuhls schlossen sich.

Als der Lift sich in Bewegung setzte, lehnte Madeleine sich erleichtert gegen die Wand. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Danke.“

„Gern geschehen, Ma’am.“

„Ich habe meinen Mantel vergessen.“

„Soll ich zurückgehen und ihn holen?“

„Nein. Auf keinen Fall.“

Galant, wie man es erwarten würde, zog er sofort seinen Smoking aus und legte ihn Madeleine um die Schultern. Sie versank in den schwarzen Stoffmengen. Als sie aufblickte und ihn anlächelte, verspürte er ein prickelndes Gefühl, einen magischen Zauber.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie.

Er sah auf das Tableau mit den Etagenknöpfen. „In die Parkgarage?“

Sie lachte ein glockenhelles Lachen. „Danach, meine ich.“

„Nun, wohin möchten Sie?“

Der Fahrstuhl hielt. „Fahren Sie?“, fragte sie, als die Türen sich öffneten und sie hinaustrat.

„Ja.“ Ein dankbarer Harry Fodgother hatte ihm seinen Truck für diese Nacht geliehen. Gegen seinen Protest hatte er ihm die Wagenschlüssel und die Magnetkarte für eine Garage gegeben, in der ein einziger Parkplatz teurer war als Jacks Wohnung in Brooklyn. Der Truck war der Kindheitstraum eines Schneiders mittleren Alters. Groß, schwarz, glänzend und mit allen nur erdenklichen technischen Spielereien ausgestattet, einschließlich einer Hupe, die wie eine Kuh muhte und wie ein Truthahn kollerte. „Wollen Sie fahren?“, fragte Jack.

Zögernd biss sie sich auf die Unterlippe. „Heute nicht mehr. Ich habe etwas zu viel Champagner getrunken. Wo wohnen Sie?“

„Wohnen?“ Jack brach in Schweiß aus, als er ihr die Beifahrertür aufhielt. Dass es so weit kommen würde, hatte er nicht erwartet. „Oh, ich wohne bei Freunden in White Plains.“

Als sie sich in den erhöhten Schalensitz setzte und die Beine übereinanderschlug, betörte das Geräusch von aneinanderreibender Seide seine Sinne. Ihre Nahtstrümpfe umspannten die außergewöhnlichsten Waden, die er je gesehen hatte.

Es war eins von Jack Rileys bekannten Lastern, dass er Frauenkörper bewunderte. Er liebte sie ganz einfach. Die weichen Rundungen und den zarten Duft.

Enttäuschung spiegelte sich in ihrem Gesicht. Sie wirkte so einsam und verzweifelt, dass er sich sagen hörte: „Wir könnten in einen Club gehen, wenn Sie wollen.“

Sie blickte ihn lange an. „Nach Hause“, flüsterte sie schließlich, während sie ihre Hand sanft auf seinen Arm legte. „Ich möchte, dass Sie mich nach Hause bringen.“

4. KAPITEL

Madeleines Hand zitterte ein wenig, als sie im Fahrstuhl die Sensortaste auf der Schalttafel berührte. Schweigend fuhren sie zu ihrer Wohnung in der Park Avenue hinauf, umgeben von mattgelben Lampen und bronzegetönten Spiegeln. Sie hatte sich auf der Party vorgenommen, etwas Ungewöhnliches und Verwegenes zu tun. Diesen Anspruch erfüllte die Situation, in der sie sich jetzt befand, zu hundert Prozent.

Sie dachte an das letzte Mal, als sie einen Mann mit nach Hause genommen hatte. Ein kompletter Reinfall. Die erste Stunde war damit vergangen, dass er einen Vortrag über ihre Gemälde von Monet und die Baccarat-Objekte hielt. Danach versuchte er eine Stunde lang, sie ins Schlafzimmer zu manövrieren, und in der dritten Stunde versuchte er herauszufinden, warum sie ihn wegen plötzlicher Kopfschmerzen wegschicken wollte.

Madeleine musterte ihren Begleiter mit einem verstohlenen Blick. Seine Körperhaltung war entspannt. Er hatte einen freundlichen, warmherzigen Ausdruck in den Augen, dem sie nur zu gern vertrauen wollte.

Hoffentlich ist er anders, betete sie im Stillen. Er muss anders sein.

Geräuschlos öffneten sich die Türen des Lifts. Ihre Hände waren ruhiger, als sie die Magnetkarte einschob und ihre Wohnungstür öffnete.

Eine diskrete indirekte Beleuchtung erhellte den Eingangsbereich und das Wohnzimmer. Jack nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Schirmständer. Sie schlüpfte aus seinem Smoking. Achtlos warf sie ihn auf einen Stuhl. Einen Augenblick lang erregte die mit einem Spot angestrahlte Gartenszene von Monet, die über dem Tisch gegenüber der Wohnungstür hing, seine Aufmerksamkeit.

Madeleine hielt den Atem an. Würde nun der unvermeidliche Diskurs über die Bedeutung der impressionistischen Kunst beginnen?

„Hübsch“, bemerkte er nur, während er sich ihr zuwandte.

Sie seufzte erleichtert. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Er zögerte. „Ein Bier vielleicht.“

Sie lachte. „Bier ist ungefähr das Einzige, was ich nicht im Hause habe.“ Sie ging zur Bar hinüber und deutete auf das stattliche Sortiment an Kristallflaschen mit Remy Martin, Glenmorangie und Frangelico.

„Macht nichts“, sagte er. „Wie wäre es mit Champagner? Wirklich schlechter Champagner schmeckt ähnlich wie Bier.“

„Schlechten Champagner habe ich nie im Haus.“

Er stützte sich mit dem Ellbogen auf den Bartresen und zeigte auf die Kaffeemaschine. „Dann machen wir einen Kaffee.“

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. „Ich mache den schlechtesten Kaffee der Welt.“

„Ich mache den besten Irish Coffee der Welt. Ein wahrhaft himmlischer Genuss.“ Er löste seine Frackschleife und den Kragenknopf. Das Hemd fiel v-förmig auseinander und entblößte seine rötliche Brustbehaarung. Diesen Anblick fand Madeleine so erregend, dass sie verunsichert den Blick abwandte.

„Ma’am“, sagte er. „Sie dürfen einem Meister bei der Arbeit zuschauen.“ Mit sicheren Handgriffen legte er Filterpapier ein und zählte einige Löffel von der Gourmet-Mischung ab. „Der Trick ist, man nimmt die doppelte Menge Kaffee und die dreifache Menge Whiskey.“

„Aha. Auf diese Weise ist man dann so aufgedreht, dass der Geschmack nicht mehr interessiert.“ Sie öffnete eine Flasche Evian und füllte sie in das Reservoir der Krupps. Während der Kaffee durchlief, holte Madeleine eine kleine Tüte Kaffeesahne aus der Küche. Sie kam an die Bar zurück und beobachtete Jack, wie er eine Flasche irischen Whiskey aufschraubte. Plötzlich breitete sich in ihrem Apartment, das ihr so schrecklich steril und einsam erschienen war, eine gemütliche Atmosphäre aus.

Er lächelte, als er sie erblickte, und nahm ihr die Kaffeesahne ab. „Wohnen Sie hier allein?“

„Ich teile die Wohnung mit Blake.“

Sie meinte einen Anflug von Eifersucht in seinen Zügen zu entdecken, war sich aber nicht sicher. Dazu sah sie zu schlecht ohne die Kontaktlinsen. „William Blake ist mein Kater“, klärte sie ihn lachend auf. „Manchmal kommt meine Mutter zu Besuch, aber nach dem Tod meines Vaters hält sie sich lieber in wärmeren Gegenden oder auf Kreuzfahrtschiffen auf.“

Er sah sie einen Moment nachdenklich an. Dann hob er die Hand, als würde er ihren Arm berühren wollen. Sie wünschte es sich. Aber er ließ die Hand wieder sinken und konzentrierte sich auf die Zubereitung des Irish Coffee.

Schließlich gingen sie ins Wohnzimmer hinüber. Als Madeleine eine Lampe einschalten wollte, ergriff er sanft ihr Handgelenk und hielt sie zurück. „Ich mag es lieber dämmrig“, sagte er leise. „Dann können wir die Aussicht auf die Stadt besser genießen.“

Sie blickte zum Fenster. In dieser kristallklaren Nacht glich New York einem funkelnden Lichtermeer von besonderer Magie. „Natürlich“, sagte sie lächelnd. „Ich vergesse immer wieder, dass Sie ein Tourist sind.“

Sie setzten sich auf ein weißes Ledersofa, das zur Fensterfront ausgerichtet war. Madeleine beugte sich vor, um ihre Schuhe abzustreifen. „Sie haben doch nichts dagegen?“

„Nein. Um Gottes willen, Madeleine. Machen Sie es sich bequem.“

Seine Verlegenheit war hinreißend. Madeleine lachte ihn an. Dann entledigte sie sich mit einem erleichterten Seufzer ihrer Schuhe.

„Sie haben sich wohl die Füße wund getanzt“, bemerkte er.

Noch bevor sie etwas erwidern konnte, zog er ihre Füße auf seinen Schoß und begann eine behutsame Massage. Sie zuckte erschrocken zusammen.

Jack sah sie fragend an. „Bin ich anmaßend?“

„Ja.“

„Soll ich aufhören?“

„Nein.“

Ein versonnenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit sanftem Druck ihre Knöchel massierte und dabei jede Bewegung mit den Augen verfolgte. Madeleine durchströmte ein Wohlgefühl, das sie schockierte. Dieser Mann gab ihr Rätsel auf. Er war nett und von einer Freundlichkeit, die sie bei Männern selten erlebt hatte.

Wie weit würden sie heute Nacht gehen? Wie lange würde es dauern, bis er sich als echter Freund oder als Glücksjäger entpuppte? Als Liebhaber oder als Lügner?

„Oh, nein. Das sollten Sie nicht tun“, flüsterte er, während er sich zu ihr beugte, bis sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte.

Sie begann zu zittern. „Was sollte ich nicht tun?“, fragte sie leise.

„Grübeln. Denken Sie nicht nach, Madeleine. Sonst zerstören Sie es.“

„Was zerstöre ich?“

„Dies.“ Er umfasste vorsichtig ihr feines Gesicht mit seinen großen warmen Händen und küsste sie zärtlich auf den Mund.

Sie hielt den Atem an, als sie seine weichen Lippen spürte. Noch nie zuvor hatte ein Mann sie so … Nein, nicht nachdenken. Er hatte recht. Sie verstand es nur allzu gut, sich die schönsten Dinge auszureden.

Madeleine rückte näher an ihn heran und erwiderte seinen Kuss. Es war ein betörendes Gefühl. Bereitwillig ließ sie sich von dem Zauber gefangen nehmen, der ihren Körper in Flammen zu setzen schien. Aber sie wartete vergeblich darauf, dass er den Kuss vertiefte. Unsichtbare Flammen drohten sie zu verschlingen, und er blieb reserviert. Verhalten. Aber warum? Sie hatte sich ihm doch praktisch in die Arme geworfen.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie erstarren ließ. Sie löste sich von ihm und wich ans äußerste Ende des Sofas zurück. „Schwindler!“

Jack spürte, wie ihm schlagartig alles Blut aus dem Gesicht wich. Das Spiel war aus. Womöglich hatte Madeleine es vom ersten Augenblick an gewusst, aber er hatte ihr einen geeigneten Vorwand geliefert, die langweilige Party zu verlassen. Und jetzt, da die Dinge außer Kontrolle gerieten, meldete die Eisgöttin in ihr Protest an.

„Madeleine, ich kann es erklären. Ich …“

„Oh, das würde mich interessieren.“ Sie nahm ihre Kaffeetasse und trank einen Schluck, dann zuckte sie zusammen, als hätte sie sich die Kehle verbrannt.

„Madeleine, ich hatte nicht vor, es so weit kommen zu lassen, aber …“

„Du bist verheiratet.“

„Nein!“, widersprach er erleichtert und ein wenig amüsiert. „Hast du das geglaubt? Maddy, ich schwöre, ich bin nicht verheiratet.“

„Dann hast du eine … Krankheit oder irgendetwas.“

„Bestimmt nicht. Ehrlich.“

„Ein Flüchtling?“, vermutete sie weiter.

„Okay“, sagte er immer noch verblüfft darüber, dass sie ihn nicht erkannte. „Ich bin aus Texas geflohen, um mich zu finden.“

„Und ist es dir gelungen?“ Sie musterte ihn skeptisch.

„Vielleicht. Ich habe dich gefunden. Das ist schon etwas.“ Er sah sich in dem sterilen Wohnzimmer um. Ob ihr wohl bewusst war, dass sie in einem perfekten, aber vollkommen unpersönlichen Arrangement von „Modernes Wohnen“ lebte? Irgendwie war es trostlos. Öde. Wie der große Tannenbaum, der in einer Ecke des Zimmers stand. Ohne jeden Schmuck. Nur um den Topf am Fuß des Baumes war eine rote Schleife gebunden.

„Ich habe so meine Schwierigkeiten mit Weihnachten“, gab sie verlegen zu, als sie sah, in welche Richtung seine Gedanken zielten.

„Ich nicht“, erwiderte Jack. „Wo sind die Kerzen und die Dekoration?“

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, hätte er sie am liebsten wieder zurückgenommen. Idiot, beschimpfte er sich im Stillen. Da hatte er die Gelegenheit, Madeleine Langston zu verführen, und war seinem Ziel schon ganz nah gewesen. Aber anstatt sie in die Arme zu nehmen, bot er ihr an, ihren Christbaum zu dekorieren. Er war auf dem besten Wege, seine Chance zu vertun.

Während sie an ihrem Irish Coffee nippte, sah sie ihn über den Rand der Tasse hinweg aus ihren unergründlichen blauen Augen an. „Vielleicht fange ich an zu weinen“, sagte sie leise.

Ein unerwartetes Gefühl der Zärtlichkeit überkam ihn. „Warum?“

„Daddy hat immer viel Aufhebens um Weihnachten gemacht.“

Er umfasste ihre Hand. „Verstehe. Wenn du es lieber nicht …“

„Das habe ich nicht gesagt“, unterbrach sie ihn. „Ich habe nur gesagt, dass ich vielleicht weine, wenn wir den Baum schmücken. Und ich wollte sehen, ob es dich stört.“

„Stören!“ Diese Frau überraschte ihn stets aufs Neue. „Darling, glaub mir, es gibt schlimmere Dinge im Leben als eine faszinierende Frau mit einem reizenden Schwips, die sich an meiner Schulter ausweint.“

Sie legte den Kopf auf die Seite. „Du hast schöne breite Schultern. Am Ende weine ich vielleicht gar nicht.“

Am Ende weinte Madeleine natürlich doch, woran sie beide nicht gezweifelt hatten. Mitten aus dem Lachen heraus schwenkte ihre Stimmung um. Sie waren gerade damit fertig, die Lichterkette auf den dürren Zweigen des Baums zu arrangieren.

Jack steckte den Stecker in die Dose. Die Lichter und der Stern auf der Baumspitze begannen in allen Farben zu funkeln und tauchten den Raum in eine festliche Atmosphäre. Madeleine stand vor dem glitzernden Baum. Ein seltsam entrückter Ausdruck trat in ihr Gesicht. Ihre großen, tränenerfüllten Augen glänzten im Schein der Kerzen. Aus ihrer Frisur hatten sich vorwitzige Locken gelöst, die ihr Gesicht umrahmten.

„Maddy?“, fragte Jack sanft, als fürchtete er, ein lautes Geräusch könnte sie wie das Kristallglas eines Zauberers zerspringen lassen.

Lautlos rollten die Tränen über ihre Wangen. Schließlich flüsterte sie: „Deine Schultern sind zu weit weg.“

Ein Gefühl von Zärtlichkeit durchströmte ihn. Er nahm sie in die Arme und drückte ihren Kopf behutsam gegen seine Brust. Ihre Tränen sickerten in sein original Fodgother-Hemd. „Schsch“, machte Jack. „Ist ja gut.“ Er verzog das Gesicht. Für jemanden, der den ganzen Tag mit Sprache umging, war er nicht sehr redegewandt.

Nach einer Weile hob sie den Kopf. „Es ist wirklich gut. Ich meine, ich vermisse Daddy. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nicht einmal den nächsten Atemzug tun kann. Aber dann atme ich. Einen Zug und noch einen Zug, und ich stelle fest, dass die Welt nicht aufhört, sich zu drehen. Dann weiß ich, dass ich es schaffe.“

Jack konnte den Impuls nicht unterdrücken. Er küsste sie auf die Stirn. Als er ihre weiche Haut auf den Lippen spürte und ihren Duft einatmete, empfand er etwas, das an Ehrfurcht grenzte. Das Letzte, was er von diesem Abend erwartet hatte, war, Madeleine Langston als zarte, empfindsame und kluge Frau zu erleben.

Ein Mädchen in dem Jugendheim, wo er in seiner Freizeit half, hatte vor Kurzem die Mutter verloren. Diesem Mädchen würde er erzählen, was Madeleine über das Atmen gesagt hatte. Vielleicht half es.

Er gab ihr ein Tuch aus der Kleenex-Schachtel, die auf dem Tisch stand. Madeleine trocknete ihr Gesicht. Dann lachte sie unsicher. „Ich glaube, den Irish Coffee rühre ich besser nicht mehr an.“

Jack nahm zwei kleine Flaschen Mineralwasser aus der Bar. Nun tauchte auch der Kater Blake auf. Mit geschmeidigem Gang strich er um den Baum herum und tippte mit den Pfoten gegen die Christbaumkugeln. Madeleine und Jack beobachteten ihn lachend. Dann stießen sie mit ihren Wasserflaschen an.

Sie lehnte sich mit dem Rücken an ihn, als sie mit einem absurden Stolz noch einmal ihr Werk betrachteten. Er streichelte ihren Arm. Schließlich drehte sie sich um, nahm ihm die Flasche ab und stellte sie auf den Tisch. Dann schlang sie die Arme um seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich herab. „Danke“, flüsterte sie. „Danke, dass du den Abend mit mir verbringst.“

Was war mit ihr los? War sie von Sinnen, dass sie ihm für seine Gesellschaft dankte?

„Ja“, sagte er mit einem leisen Lachen. „Es ist wirklich eine Qual für mich, eine schöne Frau in den Armen zu halten.“

Madeleine lachte und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dann küssten sie sich. Zärtlich schmiegte sie sich an ihn und ließ ihre Hände verführerisch über seine Brust gleiten, während sie sein Hemd aufknöpfte. Jack ließ es geschehen. Seine Erregung wuchs, als sie seinen Gürtel öffnete. Kummerbund hatte Harry diesen schärpenähnlichen Leibgurt genannt, und Jack hatte einen sarkastischen Kommentar unterdrückt.

Irgendwo schlug eine Uhr Mitternacht und erinnerte ihn daran, dass er ein Schwindler war. Fast fürchtete er, dass seine elegante Hose sich in eine Trainingshose verwandelte. Aber er kam nicht dazu, seine Ängste näher zu untersuchen. Madeleine hinderte ihn daran.

Er spürte ihre Hände auf seiner nackten Brust. Sag es ihr, drängte ihn eine innere Stimme. Sag es ihr, bevor es zu spät ist.

„Maddy“, murmelte er.

„Mmm?“ Zärtlich knabberte sie an seiner Unterlippe. Im selben Moment vergaß er, was er sagen wollte. Er küsste sie leidenschaftlich.

„Ich glaube, es ist Schicksal, dass wir uns heute begegnet sind“, flüsterte sie.

Lady, du kennst nicht mal die halbe Wahrheit.

„Wie meinst du das?“, fragte er. Dann strich er mit der Zungenspitze über ihre vollen Lippen.

„Kurz bevor wir uns begegnet sind, hatte ich mir vorgenommen, etwas Wildes zu tun. Etwas Ausgefallenes, was ich sonst nicht tue. Und dann bist du aufgetaucht. Wie aus dem Nichts.“ Sie nahm seine Hand und führte ihn langsam, aber zielstrebig einen schwach erleuchteten Flur entlang.

Von diesem Schlafzimmer würde jeder Innenarchitekt träumen, dachte Jack, als er den Raum betrat. Den Mittelpunkt bildete ein antikes Himmelbett, dem nur noch die Aufschrift fehlte: Hier schlief Napoleon.

Madeleine zog ihm das Hemd aus der Hose und ließ ihre Hände genießerisch über seine nackte Haut gleiten.

Sag es ihr. Jetzt gleich.

Er löste einen perlenbesetzten Kamm aus ihrer Frisur. Was sollte er ihr sagen? Dass sie Jack Riley verführte? Dass sie gerade ihre geheimsten Gefühle einem Mann offenbart hatte, den sie zutiefst verachtete? Dass das Ekelpaket, das ihr im Verlag das Leben zur Hölle machte, dabei war, sie in den siebten Himmel zu führen?

Es ist noch nicht zu spät. Sag es ihr!

„Maddy“, zwang er sich schließlich.

„Mmm?“, fragte sie, während sie ihre Lippen über seinen Hals gleiten ließ.

„Warum tust du das, Madeleine?“

Ihr goldblondes Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Noch nie hatte er sie mit offenem Haar gesehen.

„Weil ich es brauche“, sagte sie. „Hast du noch nie das Gefühl gehabt, einen Menschen zu brauchen, Zärtlichkeit zu wollen? Das Gefühl, du müsstest sterben, wenn du allein bleibst?“

Großer Gott, sie würde sterben, wenn sie erfuhr, dass sie das eben zu Jack Riley gesagt hatte.

„Doch, das Gefühl kenne ich“, gab er zu. Sollte er in dieser Situation wirklich noch Selbstdisziplin üben? Er streichelte ihre Schultern, bevor er den Reißverschluss ihres Kleides öffnete.

Die Entdeckung, die er nun machte, raubte ihm den allerletzten Funken Anstand. Schon vorher hatte er ihre Nahtstrümpfe bewundert. Dass sie aber schwarze Seidenstrapse trug, übertraf seine kühnsten Träume.

Strumpfbänder.

Dieser Anblick machte ihn wahnsinnig. Wenn er Strapse sah, konnte er zum Tier werden.

Als er einen letzten Versuch unternehmen wollte, ihr die Wahrheit zu erzählen, versagte ihm die Stimme.

„Es ist verrückt“, flüsterte Madeleine. „Ich weiß nicht, wer du bist und wo du herkommst. Aber ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.“

John Patrick Riley aus Muleshoe, Texas, hörte diese Worte und wusste zwei Dinge mit absoluter Sicherheit. Erstens, dies würde die unglaublichste Nacht seines Lebens werden.

Und zweitens, was auch immer geschah, es würde sich nie wiederholen.

5. KAPITEL

Verdammt, Madeleine“, sagte er, während er sein Hemd auf den Boden fallen ließ. „Du hast einfach zu viel getrunken.“ Mit einer koketten Geste schlüpfte sie aus ihrem Kleid. „Wenn ich trinke, werde ich nur ehrlich. Was ich dir gerade gesagt habe, habe ich noch nie einem Mann gesagt. Ich vertraue dir. Nenn es Instinkt, wenn du willst. Ich habe das Gefühl, dass ich dir alles sagen kann.“

Als er sich bückte, um seine polierten schwarzen Cowboystiefel auszuziehen, wirkte er hinreißend schüchtern. Schmunzelnd stellte sie fest, dass er zu seinem Abendanzug weiße Sportsocken trug.

Dann zog er seine Hose aus. Madeleine schluckte. Mit unverhohlener Bewunderung starrte sie ihn an. Dieser Mann hatte einen perfekten Körper.

„Sie starren, Ma’am“, bemerkte er.

Madeleine schluckte noch einmal. „Das letzte Mal, dass ich so einen Körper gesehen habe, war in einem Museum in Italien.“

Er lachte und nahm sie in die Arme, sodass sie seine festen Muskeln spürte, den Duft seines teuren Eau de Toilette einatmete und seine persönliche einzigartige Note, die verführerischer war als jedes Parfum der Welt.

„Du kannst dich aber auch sehen lassen“, sagte er, während er den Verschluss ihres trägerlosen BHs öffnete. Sein Stöhnen war ein überzeugenderes Kompliment als wortgewandte Schmeicheleien. Als er sie zärtlich zu streicheln begann, fühlte sie sich geliebt und geborgen wie noch nie in ihrem Leben.

Besonderes Gefallen schien er an ihrem Strumpfhalter zu finden. Sie hatte ihn aus einer Laune heraus gekauft, weil sie fand, dass er gut zum Vierzigerjahre-Stil ihres Kleids passte. Aber natürlich hatte sie sich nicht träumen lassen, dass irgendjemand sie darin sah.

Er betrachtete sie nicht einfach nur. Nein, er schien jede Einzelheit mit den Augen aufzusaugen. Es machte sie schwindlig, das Objekt solch unverhohlener Begierde zu sein. Seine Aufmerksamkeit und Konzentration waren ganz und gar auf sie gerichtet. Auf ihre Bedürfnisse, ihre Gefühle und ihre Wünsche.

Und das war der Grund dafür, dass sie sich in diesen Mann verliebt hatte. Für ihr Umfeld und ihren Reichtum schien er sich überhaupt nicht zu interessieren. Sie allein stand im Mittelpunkt seines Interesses. Er schien genau zu wissen, wonach sie sich sehnte. Er schien zu ahnen, wie sie berührt werden wollte, noch bevor sie selbst es wusste.

Mit ihren Strümpfen ließ er sich Zeit. Wie ein Prinz kniete er sich vor sie hin und rollte die Seidenstrümpfe am Bein hinab. Erst den einen, dann den anderen. Dann stand er auf und küsste sie auf den Mund, zärtlich und genießerisch. Madeleine hatte das Gefühl, zu träumen, als sie schließlich gemeinsam aufs Bett sanken. Im Traum hatte sie einen Augenblick wie diesen schon einmal erlebt, aber sie hätte nicht für möglich gehalten, dass so etwas Wirklichkeit werden konnte.

Sie stöhnte und schmiegte sich an ihn, während sie die Arme um seinen Hals schlang und ihn voller Hingabe küsste. Mit der Zunge erforschte er ihren Mund. Madeleine versank im Reich der Sinne. Sie streichelte ihn, lernte seinen Körper kennen, seine Muskeln. Alles an ihm wirkte geschmeidig und natürlich. Er hatte sich seine Figur bestimmt nicht in einem Bodystudio antrainiert.

Natürlich konnte sie das nicht mit Sicherheit sagen. Dazu wusste sie zu wenig von ihm. Und gerade dieses Geheimnisvolle, das Unbekannte machte den besonderen Reiz aus. Sie verschmolzen miteinander, und er führte sie zu immer neuen Gipfeln der Lust. Glücksgefühle von unbeschreiblicher Intensität durchströmten sie. Sie hörte, wie er ihren Namen flüsterte und schließlich leise aufschrie.

Stille senkte sich wie Schneeflocken auf sie. Sie lagen nebeneinander und hielten sich in den Armen, während sie dem Atmen des anderen lauschten, erstaunt über die Plötzlichkeit und Intensität dessen, was sie gerade erlebt hatten.

Nach einer Weile drehte Madeleine sich auf die Seite und stützte sich auf dem Ellbogen ab, um sein Gesicht zu betrachten. „Ich möchte dir etwas sagen.“

Er strich ihr eine ihrer schönen Locken aus der Stirn. „Was denn, Darling?“

„Ich mache so etwas nicht sehr oft.“ Sie spürte, dass sie bei diesem Bekenntnis dunkelrot wurde.

„Was machst du nicht sehr oft?“, fragte er amüsiert.

„Dies … alles.“ Es war ihr peinlich, und sie fand keine Worte. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben war sie in der Lage, über sich selbst zu lachen. „Ich habe so etwas noch nie bei der ersten Verabredung gemacht.“

„Darling, es tut mir leid, dass ich dich korrigieren muss, aber wir hatten nie eine Verabredung. Du hast mich auf einer Party aufgelesen. Hast du das vergessen?“

„Oh. Wie schamlos von mir.“ Sie berührte mit der Zungenspitze seine Brust, nur um seine Reaktion zu sehen. Sein zufriedenes Stöhnen ließ sie lächeln. „Was ich sagen wollte, ist, dass ich nicht der Typ für einen One-Night-Stand bin. Ich möchte, dass du das weißt.“

„Sicher.“ Er lächelte immer noch. „Dann erklär mir, was heute so anders ist?“

„Du“, sagte sie ohne Zögern. „Du bist anders. Du erweckst in mir Wünsche …“ Sie hielt inne und ließ ihre Hand über seinen Bauch gleiten.

„Was für Wünsche?“ Jetzt war sein Lächeln verschwunden. Seine Stimme klang nervös.

„Ich möchte mehr als eine Nacht“, flüsterte sie. „Viel mehr.“

Er murmelte etwas, das wie ein Fluch klang, und richtete sich auf. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sie auf den Rücken und drang in sie ein. Sein Temperament raubte ihr den Atem.

Jack liebte sie bis zur Erschöpfung. Als sie schließlich ihren Kopf an seine Schulter legte und glückselig in den Schlaf hinüberschwebte, machte sie eine erstaunliche Entdeckung.

Manchmal wurden Träume wahr.

Das elektronische Surren eines Hightech-Telefons bahnte sich einen Weg in Jacks Bewusstsein und riss ihn aus dem besten Schlaf, den er seit Monaten gehabt hatte.

Zwischen dem ersten und zweiten Läuten fiel ihm wieder ein, wo er war. Im Schlafzimmer von Madeleine Langston. Mit Miss Maddy persönlich, die nackt in seinen Armen lag.

Heiliger Strohsack.

Zwischen dem zweiten und dem dritten Läuten gelang es ihm, sich aus dem Bett herauszuziehen. Sie stöhnte und seufzte. Dann drehte sie sich auf die andere Seite und zog sich das Kissen über den Kopf.

Sehr gut, dachte er, während er hastig in seine Kleidung schlüpfte. Schlaf weiter, Baby, betete er im Stillen. Gib deinem Traumliebhaber eine Chance, sich in Luft aufzulösen.

Beim vierten Läuten war er angezogen und tastete auf allen vieren nach seinem zweiten Cowboystiefel. Wo zum Teufel konnte er …

„Hallo, hier ist Madeleine …“

Jack blieb das Herz stehen, als er ihre Stimme hörte. Dann begriff er, dass es ein Anrufbeantworter war.

„Oh, Maddy“, sagte William Wornich mit seiner klatschsüchtigen Stimme. „Mir ist schon ganz schwindlig vor Neugier. Wer war er, Maddy? John Wayne, um Himmels willen?“

Sie murmelte etwas unter dem Kissen.

Oh, verdammt. Jeden Moment würde sie aufwachen.

Jack sah sich vor die Wahl gestellt. Entweder konnte er hier verschwinden und sie mit den glücklichen Erinnerungen an ihren Mystery Man allein lassen, oder er konnte sich als Ehrenmann erweisen. Gestehen, was er getan hatte, und die Konsequenzen tragen.

Er brauchte genau eine halbe Sekunde, um zwischen Held und Feigling die Wahl zu treffen.

John Patrick Riley ließ seinen Cowboystiefel Größe zwölf irgendwo im Schlafzimmer zurück. So schnell er konnte verschwand er aus Madeleines Designer-Apartment und aus ihrem märchenhaften Leben.

6. KAPITEL

Nennst du das einen Weihnachtsmann?“, fragte Jack, während er an Derek auf und ab blickte. Sie waren im Santiago-Jugendzentrum in Brooklyn. In Jacks engem und vollgepacktem Büro. Draußen auf dem schneebedeckten Basketballhof lungerten ein paar Jugendliche herum. Von nebenan drangen Mädchenstimmen zu ihnen. Dort fand ein Spanischkurs statt.

Derek zupfte an seinem mottenzerfressenen roten Mantel. „Mir war nicht klar, dass du ein Wunder erwartest“, brummte er. „Ich weiß sowieso nicht, wie du es geschafft hast, mich zu diesem Unsinn zu überreden, Riley.“

Jack rückte seine Brille zurecht. „Vielleicht ist es dein angeborener Sinn für Menschlichkeit und Nächstenliebe, Derek. Deine feste Überzeugung, dass es eine gute Sache ist, benachteiligten Kindern zu helfen.“ Jack steckte sich ein Juicy Fruit in den Mund. „Ganz zu schweigen von den Knicks-Tickets, die du von mir erpresst hast.“

„Vielleicht sind es auch deine ständigen Drohungen, mir die Kniescheibe zu brechen. Warum verschwendest du eigentlich deine Zeit in diesem Loch?“

Wegen Annie, dachte Jack. Eine sechs Jahre alte Wunde riss in diesem Moment wieder auf. Er hatte sie geliebt, wie man einen Menschen nur lieben konnte, aber Liebe allein hatte sie nicht retten können. In gewisser Weise war dieses Jugendzentrum ein Denkmal für seine erste Liebe. Jedes Kind, das nicht in Schwierigkeiten geriet, personifizierte die Hoffnungen, die sich für Annies Leben nicht erfüllt hatten.

Jack rieb sich das Kinn. „Ich hatte einmal eine gute Freundin. Drogen und Bandenkriege haben sie umgebracht.“

„Mann, das tut mir leid …“

„Es ist lange her.“

Als Derek die Kapuze aufsetzte, fiel der Pompon ab. „In diesem Aufzug kann ich nicht einmal einen Dreijährigen überzeugen.“

„Aber natürlich kannst du das“, widersprach Jack, obwohl auch ihm Zweifel kamen. Er nahm seine Baseballmütze ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Die Leute glauben, was sie glauben wollen.“

Derek stützte sich mit dem Ellbogen auf einen Aktenschrank und fingerte an einer Blumenampel herum. Eine Makramee-Arbeit von Maria, einer der Problemfälle des Jugendzentrums. Jack fragte sich, was aus Maria in letzter Zeit geworden war.

„Was ist eigentlich mit dir los, Riley?“, riss Derek ihn aus seinen Gedanken. „Irgendwie bist du anders.“

Jack spürte, dass seine Ohren rot wurden. Er setzte seine Mütze wieder auf und zog sie in die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Ich weiß auch nicht genau, irgendwie …“ Derek sah ihn genauer an. „Hey, du hast dich rasiert. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.“

Jack versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, obwohl ihm der Atem stockte. „Ein verschütteter Sinn für Anstand und Ordnung.“

„Soso. Wie war es eigentlich gestern Abend? Wie bist du zurechtgekommen?“

Jack wurde blass. Kein Zweifel, Derek wusste Bescheid.

„Nun?“, drängte Derek weiter, während er seinen Mantel aufknöpfte. „Erzähl schon!“

„Was zum Teufel soll ich erzählen?“ Jack verschluckte sich fast an seinem Kaugummi.

„Wie war sie? Wild und süß?“

„Herrgott, Derek, hör schon auf.“

„Ich wollte es auch schon immer mal mit einer wilden Stadtmaus treiben“, sagte Derek mit einem wehmütigen Lächeln.

Jack konnte seine Erleichterung kaum verbergen. „Nun, die Sache ist ganz einfach, es wird nie passieren, wenn du es nicht von Zeit zu Zeit versuchst.“

„Wahrscheinlich hast du recht.“ Derek zog den roten Mantel aus. Er hielt ihn hoch und inspizierte ein Loch, das aussah, als stammte es von einer Pistolenkugel. „Die Sache hat keinen Sinn. Sieht aus, als hätte Santa Claus im Tompkins Square Park gewohnt und nicht am Nordpol.“

„Du bist zu pessimistisch“, sagte Jack. „Vielleicht hast du einen Kater.“

Derek zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. „Nach einer Party bei Madeleine Langston hat niemand einen Kater. Jeder achtet darauf, dass er nicht zu viel trinkt. Zu gefährlich bei all den Reportern, die nur auf Klatsch und Tratsch aus sind.“ Er hielt inne und runzelte die Stirn. „Stimmt nicht ganz, was ich sage.“

Jack sah ihn scharf an. „Was soll das heißen?“

„Wirklich komisch.“ Derek stopfte das Santa-Claus-Kostüm in eine abgenutzte Macy-Tüte. „Es gab doch jemanden, der es gestern Abend übertrieben hat. Soll ich dir sagen, wer? Das errätst du nie.“

„Nun sag schon“, drängte Jack mit gespielter Neugier.

„Madeleine Langston. Bestimmt haben die wenigsten es bemerkt. Aber Brad und mir ist es aufgefallen. Hast du die Zeitung heute Morgen nicht gelesen? Wornichs Kolumne?“

„Wornich lese ich aus Prinzip nicht. Was hat er geschrieben?“ Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, als er an die ironische, durchtriebene Stimme auf Madeleines Anrufbeantworter dachte.

Derek nahm die zusammengefaltete Zeitung vom Tisch und blätterte den Gesellschaftsteil auf. „Lies es selbst“, sagte er, während er Jack die Zeitung unter die Nase hielt.

Jack starrte auf das Blatt. Er spürte, wie er ganz langsam rot anlief. Da waren sie abgebildet, Madeleine Langston und ihr charmanter Prinz, wie aus dem Ei gepellt und in einer Pose wie für das Cover eines Liebesromans. Der Mann, dessen Gesicht im Schatten war, beugte sich zu der Frau hinab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sein Smoking und die elegante Haltung schrien vor Reichtum und Bildung.

Obwohl das Foto gestellt wirkte, strahlte es dennoch Wärme aus. Die Art, wie Madeleines schmale Hand auf seinem Arm ruhte, wie seine ganze Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war … Das Foto vermittelte den Eindruck, dass diese beiden Menschen voneinander fasziniert waren. Irgendwie war alles eingefangen. Die Sehnsucht, das Zögern. Scheue Zurückhaltung und zugleich unverhohlene Begierde. Das vorbestimmte Schicksal, dass diese beiden Menschen sich ineinander verlieben würden.

„Dieses Bild ist mit tausend Worten nicht zu beschreiben, was?“, fragte Derek.

„Stimmt.“ Jack legte die Zeitung achtlos beiseite und hob die Macy-Tüte auf. „Ich kenne jemanden, der das Kostüm in Ordnung bringt.“ Mit Derek im Schlepptau verließ er das Zimmer. „Der beste Schneider in Manhattan. Um es genau zu sagen, ein Herrenausstatter. Wenn er dich anzieht, siehst du wie ein Millionär aus.“

„Sicher, Riley.“

„Ich meine es ernst.“ Unwillkürlich dachte Jack an das Foto im Courier. „Der Typ kann zaubern.“

Bevor sie in die Stadt gingen, führte er Derek durch das Jugendheim. Ein umgebautes Mietshaus, in dem das Santiago-Center seit fünf Jahren untergebracht war.

Fünf Jahre, in denen Erfolg und Versagen einander abwechselten. Und daran würde sich wohl auch in Zukunft nichts ändern. Für jedes Kind, das sie aus Schwierigkeiten heraushalten konnten, rutschte ein anderes durch die Maschen.

„Ich habe einfach nicht genug Zeit für sie“, setzte Jack seinen Gedanken fort, während er Derek die Metalltür zum Innenhof aufhielt.

„Ich werde aus dir nicht schlau, Riley“, erklärte Derek kopfschüttelnd. Er trat auf den Basketballhof hinaus.

Jack folgte ihm. Geschmeidig nahm er einem schlaksigen Jungen namens André den Ball ab und spielte ihn Derek zu, der mit einem passablen Wurf auf den Korb punktete. „Jetzt spielt ihr mit Profis“, erklärte Derek, bevor einer der Jungen ihm auf den Rücken klopfte und einen Rebound ergatterte. Jack lachte. Er ließ Derek mit den Jungen allein und betrat das Gebäude auf der anderen Seite des Hofs.

Sein Lachen verschwand, als er ein Mädchen dort sitzen sah. Mit einem zusammengeknüllten Taschentuch in der Hand saß es auf einem Metallstuhl und starrte mit leerem Blick auf den Stadtplan, der gegenüber an der Wand hing. Unter dem rechten Auge hatte sie einen Bluterguss, ihre Unterlippe war geschwollen.

Sie war schwanger und sah aus, als könnten die Wehen jeden Moment einsetzen.

Jack räusperte sich. „Kümmert sich schon jemand um dich?“

Das Mädchen hob langsam den Kopf und blickte zu ihm auf. „Hallo, Mr Riley.“

Nun erst erkannte er sie. Diese riesengroßen braunen Augen konnte man nicht vergessen. Und er hatte sie seit Monaten nicht gesehen. „Maria“, sagte er. Er hockte sich neben sie und ergriff ihre Hände. „Wo bist du die ganze Zeit gewesen?“

„Ich hätte weiter hierherkommen sollen.“ Ihre geschwollene Lippe zitterte. „Ich habe Probleme, Mr Riley.“

„Maria.“ Er drückte ihre Hand. „Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich. Erzähl mir, was passiert ist.“

„Es wird nie wieder gut“, sagte sie theatralisch wie eine Schauspielerin, ein Talent, das Jack schon bei früheren Gelegenheiten an ihr festgestellt hatte. „Dabei sah alles gut aus. José sagte, er hätte einen festen Job und eine Wohnung. Aber er hat mich sitzen lassen.“

Jack kannte den Jungen. Er mochte ihn sogar. José war ein guter Schüler gewesen, fleißig und zielstrebiger als die meisten anderen. Letzten Sommer war er mit der Schule fertig geworden. Jack berührte vorsichtig Marias Wange. „Und was ist mit deiner Familie?“

Sofort begannen Marias Augen vor Wut zu funkeln. „Ich gehe nicht mehr nach Hause“, sagte sie. „Das ist nicht mehr mein Zuhause.“

Jack fragte nicht nach. Er wusste, dass Marias Mutter wieder geheiratet hatte. „Wann hast du José denn zum letzten Mal gesehen?“

Allein bei dem Gedanken an ihn traten ihr die Tränen in die Augen. „Vor ein paar Wochen.“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst in die Küche und kochst dir einen Tee, und ich werde sehen, ob ich José irgendwie ausfindig machen kann.“

„Okay.“ Sie schniefte. Dann erhob sie sich mühsam und ging mit schwerfälligen Schritten Richtung Küche. „Danke, Mr Riley.“

„Wir finden schon einen Weg, Maria.“ Als er ihr nachsah, stieg ein seltsames Gefühl in ihm auf. Maria war selbst noch fast ein Kind, und sie bekam ein Baby. Ein Baby. Jack Riley hatte eine geheime Schwäche. Seine unverfälschte, reine Liebe zu Babys. „Es wird alles gut“, sagte er, obwohl Maria bereits verschwunden war.

„Hoffen können wir immer“, hörte er eine weibliche Stimme hinter sich sagen.

Er drehte sich um. Schwester Doyle, die Leiterin des Zentrums, stand in der Tür zu ihrem Büro. Sie wirkte ernster als sonst. Ihre Lesebrille war bis zur Nasenspitze heruntergerutscht. Sie trug Jeans und ein Baumwollhemd. Der einzige Hinweis auf ihre Berufung war das Kruzifix, das an einer langen Silberkette um ihren Hals hing.

Sie hielt einen Brief in der Hand. „Unsere Mittel sind gestrichen, Jack. Wir stecken in der Klemme. Der Langston-Trust hat alle Geldmittel gestrichen, mit sofortiger Wirkung. Wir sind Geschichte, Jack. Dieses Heim wird noch dieses Jahr geschlossen, einen Tag nach Weihnachten.“

Am Montagmorgen, als Madeleine an ihrem Schreibtisch saß, legte sie verstohlen die Hand auf ihre Brust, um ihr Herz zu fühlen. Komisch, dachte sie. Es fühlte sich nicht anders an. Aber es hatte sich verändert. Es war gebrochen und vielleicht nie wieder zu reparieren.

Als ihr Vater starb, hatte sie auch gelitten. Aber wenigstens hatte sie gewusst, dass sie über ihren Kummer hinwegkommen würde. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie geliebt. Im Laufe ihres Lebens hatte sie viele Erinnerungen gesammelt, die sie in Ehren hielt und die ihr nun Trost spendeten.

Johns plötzliches Verschwinden dagegen hatte sie in den Grundfesten ihres Glaubens erschüttert. Im Nachhinein erkannte sie, dass es dumm gewesen war, all ihre Hoffnungen und Träume auf eine Nacht mit einem Mann zu setzen, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Es war dumm gewesen, dass sie einem Mann diese Macht über sich gegeben hatte.

Zum zehntausendsten Mal blickte sie auf das Farbfoto von sich selbst und John, das im Gesellschaftsteil ihrer Zeitung abgedruckt war. Was für ein Mann! Niemand konnte es ihr verübeln, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.

„Mysteriöser Cowboy erobert Verlagserbin“, lautete die Überschrift.

Ja, er hatte sie eingefangen. Er hatte ihr Herz erobert. Und ihren Körper. Selbst in diesem Moment spürte sie trotz ihrer Enttäuschung eine quälende Sehnsucht. Sie hatte ihn berührt, wie sie noch nie einen Mann berührt hatte. Mit ihm hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben die wahre Leidenschaft kennengelernt. Es war wie eine Wiedergeburt. Als würde sie aus einer Schwarz-Weiß-Existenz in die Technicolor-Welt hinaustreten.

Es war das erste und sicherlich auch letzte Mal, dass sie einen Mann schon am ersten Abend mit nach Hause genommen hatte. Die Erfahrung hatte sie in ihren Grundfesten erschüttert. Sie war einfach nicht dafür geschaffen.

Unwillkürlich schloss sie die Augen und erinnerte sich. Die galante Art, wie er ihr seinen Smoking um die Schultern gehängt hatte. Der köstliche Irish Coffee. Die Fußmassage. Wie sie den Christbaum geschmückt hatten und wie er sie getröstet hatte, als sie weinte. Wie sie sich geliebt hatten, bis ihr aus ganz anderen Gründen die Tränen in die Augen traten.

In dieser Nacht hatte sie intensiver gelebt und tiefere Gefühle gehegt als je zuvor.

Übrig blieb nichts anderes als ein gebrochenes Herz und ein Cowboystiefel von Lucchese, Größe zwölf, der, wie das Etikett verriet, aus europäischem Ziegenleder gefertigt war. Ziege. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Sie schüttelte den Kopf. Das war wirklich zu ironisch. Der Stiefel war der einzige Hinweis, den er hinterlassen hatte. Nicht ganz so ausgefallen wie ein Schuh aus Glas, aber ebenso lächerlich.

Die Haushälterin hatte ihn am Samstagmorgen unter dem Bett gefunden, und sie hatte noch heute Morgen darüber gekichert, als Madeleine ihre Wohnung verlassen hatte, um ins Büro zu fahren.

Noch einmal blickte sie auf das Foto. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Vorstellung, dass er mitten im Winter mit nur einem Schuh bekleidet in die Parkgarage geschlichen war, war einfach zu komisch.

Hoffentlich war er erfroren.

Hoffentlich kam er zu ihr zurück.

„In die Arbeit versunken, Miss Langston?“, fragte eine sarkastische Stimme.

Seine Stimme. Natürlich, das war seine … Dann blickte sie auf, und die Seifenblase zerplatzte. Wütend betrachtete sie Jack Riley in seiner ganzen fragwürdigen Pracht. Eine zerknitterte Yankee-Mütze. Um zehn Uhr morgens schon tiefe Ringe unter den Augen, was auch die dicke Brille nicht verbergen konnte. Ein Sweatshirt mit einem provokanten Slogan auf der Brust.

Aus unerklärlichen Gründen wurde sie plötzlich dunkelrot im Gesicht. „Ich habe Sie nicht anklopfen hören, Mr Riley.“

„Ich habe nicht geklopft.“ Er verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln, als sein Blick auf ihren Schreibtisch fiel. „Ich wusste nicht, dass ich Sie bei irgendetwas störe.“

Entsetzt streckte sie den Arm aus, um die Zeitung von ihrem Schreibtisch zu entfernen. Er war mit schnellen Schritten bei ihr und legte seine Hand auf die Zeitung.

Als er so dicht vor ihr stand, wanderte ihr Blick unwillkürlich zu seiner engen, zerschlissenen Jeans. Schließlich zwang sie sich, ihm in die Augen zu sehen. Auch wenn sie sich dagegen sträubte, sie konnte eine gewisse Erregung nicht leugnen. Jack Riley besaß Charme, gestand sie sich ein. Den Charme des Naturburschen.

„Madeleine“, begann er in einem Tonfall, als würde er ihr einen Antrag machen.

„Ja?“ Sie war nervös. Am Freitag hatte er sie provoziert und bloßgestellt. Aber dies klang anders. Noch nie hatte er sie Madeleine genannt.

Er beugte sich vor. Eine aggressive und zugleich zweideutige Geste. Sie war auf alles gefasst. „Was gibt es, Mr Riley?“

„Ich möchte …“ Er benetzte seine Lippen. „Ich möchte, dass Sie mich von der Bestechungsstory freistellen. Setzen Sie Brad oder Derek darauf an.“

„Nein.“ Schlagartig war sie auf dem Boden der Tatsachen zurück. Und sie hasste ihn für sein Benehmen. „Sie sind der beste Mann für diese Story.“

„Es tut mir leid“, sagte er, während er sich mit beiden Armen auf den Schreibtisch stützte und sich noch weiter zu ihr beugte. „Ich glaube, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich werde diese Story nicht schreiben.“

„Vielleicht habe ich mich auch nicht klar genug ausgedrückt“, gab sie zurück. „Sie werden diese Story schreiben. Sie haben keine Wahl.“

„Wollen wir wetten?“

„Sie würden verlieren.“

„Ach. Was wollen Sie tun? Mich entlassen?“

Sie zögerte. Ihr war klar, dass man sich bei der Times oder beim Trib um ihn reißen würde. Im Grunde wunderte sie sich darüber, dass er nicht schon längst zu einem größeren Blatt gewechselt war.

Madeleine hasste sich selbst dafür, dass sie auf sein Spiel einging. „Wie wäre es, wenn Sie mir erklären würden, warum Sie diese Story nicht schreiben wollen.“

„Ich habe keine Zeit dazu. Ich muss eine andere Story schreiben.“ Er richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Selbst durch die dicken Gläser konnte sie sehen, dass sein Blick härter und kälter wurde. „Eine Story über das Santiago-Jugendzentrum in Brooklyn. Das Zentrum soll geschlossen werden, weil die Mittel dafür gestrichen sind.“

Er beobachtete sie so eindringlich, dass sie sich fragte, ob seine Erklärung ihr irgendetwas sagen musste. „Wir sind ein Manhattan-Blatt“, erwiderte sie achselzuckend.

„Sie sind wirklich eine üble Zeitgenossin, Miss Langston“, sagte er voller Überzeugung. Dann blickte er auf die Zeitung, die immer noch auf ihrem Schreibtisch lag. „Aber was kann man schon von einer Frau erwarten, die vor einem Kerl im Smoking und mit Cowboystiefeln dahinschmilzt?“

Sie sprang energisch auf. „Sie könnten vielleicht etwas über Takt und Umgangsformen lernen, Mr Riley.“

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass die Leute in den Büros draußen die Hälse reckten und zu ihnen herüberstarrten. Dann verließ er ihr Büro.

7. KAPITEL

Es war kurz vor Feierabend, als Madeleine schließlich den Mut fand, sich in die Redaktionsräume zu wagen. Unterwegs ging sie rasch in die Damentoilette, um einen Blick in den Spiegel zu werfen.

Sie sah aus wie immer. Perfekte Frisur. Zartes Make-up, ein leichter Glanz auf den Lippen. Schlanke Figur. Ein Anzug von Armani, weicher Angorapullover, dezente Perlenkette.

Und wie immer fehlte etwas an ihr.

Deswegen gefiel ihr das Foto, das sie mit John zeigte, so gut. Bei ihm war sie einfach mehr gewesen, und das hatte sich auch in ihrem Gesicht gespiegelt. Dieses Foto zeigte eine Frau mit Seele oder mit Feuer oder wie immer man es nennen wollte.

Das Einzige, was ihr Feuer verlieh, als sie den Redaktionsraum durchquerte, war ihre Wut. Die meisten Mitarbeiter waren bereits nach Hause gegangen. Derek, Brad und Jack saßen zusammen, tranken Soda und unterhielten sich.

Als sie sich ihnen näherte, wanderte ihr Blick zu ihren Füßen. Sie schaute sich ihre Füße an, um Himmels willen. Sie war besessen. Kein Zweifel, sie musste besessen sein, wenn sie nachschaute, ob einer von ihnen vielleicht Schuhgröße zwölf hatte.

Und einer von ihnen hatte Schuhgröße zwölf.

„Gibt es etwas Neues?“, fragte Jack Riley, während er ihrem Blick folgte. „Vielleicht ein Schuhfetischist?“

Sie starrte ihn an. Ja, Riley hatte große Füße. Aber er trug nie etwas anderes als seine berüchtigten Schnürstiefel, die wahrscheinlich aus alten Armeebeständen stammten.

Sie ignorierte seine Bemerkung. „Alles fertig?“, fragte sie.

Irgendwo klingelte ein Telefon. Derek stürzte darauf zu und klammerte sich an den Hörer wie an einen Rettungsring. Brad nutzte die Gelegenheit, um sich davonzuschleichen.

Jack nahm zwei Mappen, nach denen er nicht zu suchen brauchte, von seinem Schreibtisch. Die eine schob er zu ihr hinüber. „Hier. Ihr verdammter Abwasserskandal. Der Artikel ist fertig, komplett.“

Derek legte den Hörer auf und flüchtete.

„Und dies hier …“, er warf die zweite Mappe auf die erste, „… ist die Santiago-Story. Artikel und Kommentar.“

„Aber ich habe Sie nicht beauftragt …“

„Glauben Sie mir, das weiß ich, Sweetheart.“ Seine Stimme sprühte vor Gift. „Jetzt hören Sie mir genau zu. Die Story wird gedruckt, und zwar jedes Wort. Auf Seite eins der Stadtteilnachrichten. Mit Bildern und allem.“

Autor

Sherryl Woods
Über 110 Romane wurden seit 1982 von Sherryl Woods veröffentlicht. Ihre ersten Liebesromane kamen unter den Pseudonymen Alexandra Kirk und Suzanne Sherrill auf den Markt, erst seit 1985 schreibt sie unter ihrem richtigen Namen Sherryl Woods. Neben Liebesromanen gibt es auch zwei Krimiserien über die fiktiven Personen Molly DeWitt sowie...
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Susan Wiggs
<p>Susan Wiggs hat an der Harvard Universität studiert und ist mit gleicher Leidenschaft Autorin, Mutter und Ehefrau. Ihre Hobbys sind Lesen, Reisen und Stricken. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer Tochter und dem Hund auf einer Insel im nordwestlichen Pazifik.</p>
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Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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