Zwischen Sünde und Skandal

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"Wir tun so, als wären wir ein Paar." Tatiana muss den arroganten Vorschlag von Jean-Pierre Reynaud annehmen, um einen Skandal aus der Welt zu räumen. Doch das falsche Spiel mit dem frechen Spitzensportler weckt nicht nur ihr Verlangen. Ihr größtes Geheimnis droht aufzufliegen …


  • Erscheinungstag 05.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738884
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Gut gespielt, Reynaud.“ Der Sportreporter, der über das gerade beendete Spiel der New York Gladiators berichtet hatte, wartete mit einem Mikrofon in der Hand, als der Starting-Quarterback der Mannschaft, Jean-Pierre Reynaud, den Presseraum im Coliseum Sports Complex betrat.

Jean-Pierre war auf die Fragen des Journalisten nach seinem dritten gewonnenen Heimspiel vorbereitet. Vor dem voll verglasten Presseraum wartete eine Unmenge von Fans im Coliseum’s Coaches Club. Hier konnten sie die Pressekonferenz miterleben und entspannt einen Drink an der Bar nehmen, bis sich der Verkehr nach dem Sonntagsspiel gelegt hatte.

Nachdem er mit der rechten Hand, mit der er eben noch den siegbringenden Pass geworfen hatte, ein kleines Mikrofon an seine Jacke geklippt hatte, winkte Jean-Pierre der Menge kurz zu. Er würde das Interview geben und in weniger als dreißig Minuten von hier verschwunden sein. Früh genug, um heute Abend noch in einem Privatflieger nach New Orleans zu fliegen. Zum einen musste er sich um eine Familienangelegenheit kümmern.

Und zum anderen? Er plante, unbemerkt das Team seines Bruders, die New Orleans Hurricanes, auszukundschaften, bevor es zum vielfach angekündigten Bruder-gegen-Bruder-Showdown in der zwölften Woche der regulären Spielzeit kam. Das Team gehörte Gervais, dem ältesten der vier Reynaud-Brüder. Der zweitälteste, Dempsey, trainierte die Hurricanes. Und Henri Reynaud, der Bayou-Bomber, wie seine Fans ihn nannten, war der Quarterback des Vereins.

Als das jüngste Mitglied von Louisianas reichster Familie und Miteigentümer des Schifffahrtunternehmens hatte Jean-Pierre die Leidenschaft für das Spiel von seinem Vater und Großvater geerbt, genau wie seine Brüder. Aber er war der Spieler, den die Presse in New Orleans gern „den Verräter von Louisiana“ nannte, weil er es gewagt hatte, eine Karriere außerhalb seines Heimat-Bundesstaates zu starten – und außerhalb des Einflussbereichs seiner Familie.

Bisher hatte es kein NFL-Club geschafft, die Position des Starting-Quarterbacks zwischen zwei Spielern aufzuteilen. Und Jean-Pierre war nicht der Typ, der im Schatten seines Bruders spielte. Also war es ihm egal, was die Sportkritiker dazu sagten.

Als die Gladiators ihm ein Angebot machten, hatte er es freudig angenommen – natürlich erst, nachdem er sich von dem Schock erholt hatte. Der Cheftrainer der Gladiators, Jack Doucet, war ein Feind der Reynauds, nachdem es zum Krach zwischen den Familien im Zusammenhang mit Football gekommen war. Jack war damals stellvertretender Trainer im Texas Team gewesen, das Jean-Pierres Großvater gehört hatte. Die Trennung war nicht nur bitter gewesen, sie hatte auch Jean-Pierres kurze Schulromanze mit Jacks Tochter beendet, als sie nach New York zogen.

Deshalb … ja, es war eine Überraschung gewesen, als Jacks Team Jean-Pierre einen Vertrag bei den Gladiators anbot.

„Sind Sie bereit?“, fragte ein Reporter von einem New Yorker Radiosender, während sich die Zahl der Journalisten um ihn herum vervielfachte.

Jean-Pierre nickte. Er strich sich das noch feuchte Haar aus der Stirn und rückte seine Krawatte zurecht.

Um ihn herum wurde es still. Die Türen waren gesichert worden. Während er darauf wartete, dass die ersten Fragen in seine Richtung abgefeuert wurden, schaute er an den Journalisten vorbei zu den Fans im Coaches Club. Auf riesigen Fernsehbildschirmen, die normalerweise das Spiel übertrugen, wurde jetzt das Geschehen im Presseraum gezeigt. Jean-Pierres Blick wanderte zum Teambesitzer, der an einem Ende der Bar vor einer Handvoll weniger bekannter Promis Hof hielt.

Und gerade als er sich am meisten konzentrieren musste, da sah er sie.

Die Tochter des Cheftrainers, Tatiana Doucet.

Sexy. Und absolut tabu.

Ihr spontaner One-Night-Stand im letzten Jahr hatte jede Chance zunichtegemacht, die frühere Freundschaft zu erneuern. Aber verdammt, er musste sie nur ansehen, und sein Körper stand in Flammen.

Groß und schlank und in einem Kleid, das endlos lange Beine zeigte. Um den Kopf hatte sie einen seidenen Schal wie ein Haarband gewickelt, vermutlich, um die dunkle, lockige Mähne zu bändigen, die ihr bis auf die Schultern fiel. Eine Mähne, in die er seine Hände getaucht hatte, als er den besten Sex seines Lebens hatte. Sie stand im hinteren Teil des Raumes, in der Nähe des Ausgangs, als wollte sie sich die Möglichkeit offenhalten, flüchten zu können, sobald sie ihn sah.

Er verstand dieses Gefühl nur zu gut.

Der Druck auf seine Brust allein bei ihrem Anblick war so stark, dass er die erste Frage verpasste. Wie lange war es her, dass sie sich bei einem Spiel der Gladiators gezeigt hatte?

In dieser Saison noch nicht. Seit jener unbesonnenen Nacht, als sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen hatten, hatte Jean-Pierre sie nicht mehr gesehen.

Jean-Pierre ignorierte, dass sich seine Lungen beim Anblick der Frau, die ihm einst so wichtig gewesen war, unangenehm mit Luft füllten – einer Frau, die ihre Seele gegen ihren Job als Strafverteidigerin eintauschte. Stattdessen konzentrierte er sich auf den Mann, der das Mikrofon hielt.

„Könnten Sie die Frage bitte wiederholen?“ Er hakte den Absatz seines Schuhs auf die Metallstrebe des Stuhls und versuchte, sich zu entspannen und das Interview locker über sich ergehen zu lassen, auch wenn sein Puls wie verrückt hämmerte und seine Körpertemperatur angestiegen war.

Ein leises Lachen seitens der Journalisten sagte Jean-Pierre, dass er etwas verpasst hatte. Die Presseleute drängten sich um ihn, Handmikrofone kamen näher, das Schwenkmikrofon über ihm senkte sich herab. Die plötzliche Spannung im Raum war greifbar.

„Ohne Zweifel ist es eine Frage, die überraschend kommt.“ Der Reporter von Gladiators TV, eine beliebte App für Smartphone-Nutzer, grinste ihn an. „Doch ich muss Sie fragen, was Sie von Tatiana Doucets Bemerkung halten, dass sie nicht gegen den Bayou-Bomber wetten würde, wenn Sie in Woche zwölf gegen das Team Ihres Bruders antreten?“

Das hatte Tatiana gesagt? Das implizierte, dass sie gegen die Gladiators wetten würde, gegen das Team, das ihr Vater trainierte? Oder, noch präziser, sie würde gegen Jean-Pierre wetten.

Ihr Vater würde ausrasten, wenn er das hörte. Nicht nur, weil jemand aus seiner Familie überhaupt auf ein Spiel wettete, was in seiner Familie strikt verboten war. Jack Doucet würde auch toben, weil seine eigene Tochter einen Medienhype zugunsten des Gegners generierte.

Jean-Pierre sah nicht in Richtung Trainer, um dessen Reaktion live mitzuerleben. Er gab schon zu lange Interviews, als dass er sich zweimal hintereinander dabei erwischen lassen würde, unaufmerksam zu sein. Er würde sich von der Presse nicht wegen einer gedankenlosen Bemerkung vorführen lassen, die Tatiana ohne Rücksicht darauf von sich gegeben hatte, wer sie hören könnte. Nein, verdammt. Stattdessen sagte er das Erstbeste, das ihm zur Schadensbegrenzung einfiel.

„Ich vermute, dass Miss Doucet mit ihrer Bemerkung den Gladiators Dampf machen will, damit wir alles geben.“ Er grinste sorglos, auch wenn er sich fühlte, als hätte sie ihm die Zähne ausgeschlagen.

Zehn Journalisten stellten ihre Fragen gleichzeitig, und das Stimmengewirr machte es schwer, etwas zu verstehen. Sie ließen schließlich dem Reporter von der New York Post den Vortritt, einem streitsüchtigen älteren Mann, der alle Journalisten vergraulte, die nicht bereits seit dem Zeitalter der Schreibmaschine ihren Job machten.

„Kommen Sie, Reynaud“, knurrte er mit mürrischem Gesichtsausdruck, während er sich handschriftliche Notizen machte. „Das klang nicht, als hätte sie es scherzhaft gemeint. Wenn nicht einmal die Tochter des Trainers an Sie glaubt …“

„He. Es reicht.“ Jean-Pierre schnitt dem Mann das Wort ab. „Tatiana und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Ich kenne sie sehr gut und weiß, dass sie gescherzt hat.“ Er spürte die Unsicherheit im Raum. Solche Bemerkungen gehörten zu den Dingen, die Spiele überschatteten. Spieler. Eine ganze verdammte Spielzeit. Er würde nicht zulassen, dass eine oberflächliche Bemerkung den Gladiators das Rampenlicht stahl.

Deshalb log er.

„Tatsächlich ist es so“, fuhr er fort, „dass Tatiana während der spielfreien Woche als Special Guest meiner Familie mit mir nach New Orleans kommen wird. Sie kann es kaum erwarten, mal wieder dort zu sein.“

Er blickte durch die Scheibe dahin, wo sie eben noch gestanden hatte, doch sie war verschwunden. Ohne Zweifel hatte sie weitere Fragen der Journalisten nicht beantworten wollen. Oder die ihres Vaters.

Oder wollte sie ihn nicht sehen? Das ärgerte ihn mehr, als es sollte. Doch er konnte nicht leugnen, dass er sie vermisste.

Tatiana hatte zwei Jahre an einer Privatschule verbracht, die eine halbe Stunde vom Anwesen der Reynauds entfernt lag. Infolgedessen war sie häufig bei ihm zu Hause am Lake Pontchartrain gewesen, als sie jünger waren.

Das Schweigen, das Jean-Pierres Ankündigung folgte, wäre zum Lachen gewesen, wenn er nicht die Zeit gebraucht hätte, sich für die nächste Runde Fragen zu wappnen, die nichts mit dem gerade beendeten Spiel zu tun hatten.

„Ein Gast der Familie? Oder Ihr Gast?“

„Ärgert es Sie, dass sie Ihren alten Teamkameraden letzten Winter wegen sexueller Belästigung angeklagt hat?“

„Ist sie zur Hochzeit Ihres Bruders eingeladen?“

Die Journalisten bombardierten ihn mit Fragen, doch dieses Mal konnte Jean-Pierre sich aussuchen, welche er beantwortete. Er hatte nicht die Absicht, über die Wochen zu sprechen, die Tatiana und er auf gegenüberliegenden Seiten in einem Gerichtssaal gesessen hatten, während sie als Strafverteidigerin ihr ganzes Talent einsetzte, einen Prozess gegen seinen alten Freund zu gewinnen. Und was die Hochzeit betraf, Gervais plante, seine Prinzessin während der spielfreien Woche in New Orleans zu heiraten – die Woche, in der weder die Gladiators noch die Hurricanes spielten. Aber da Gervais und seine Verlobte alles darangesetzt hatten, die Details geheim zu halten, würde auch diese Frage unbeantwortet bleiben. Er hatte jedoch nichts dagegen, dass die Presse vermutete, Tatiana wäre bei dieser Feier sein Gast.

Das bedeutete, dass er dafür sorgen musste, dass sie ihn wirklich zu der Hochzeit begleitete. Das Interesse der Medien an ihnen würde nicht nachlassen.

Sie kannte sich in der Sportwelt gut genug aus, um zu wissen, dass ein Kommentar wie der ihrige nicht einfach stehen bleiben konnte. Sie würde helfen müssen, das Feuer zu löschen, das sie entzündet hatte. Nur Gott allein wusste, warum sie es getan hatte, denn eigentlich war sie im Privatleben genauso umsichtig wie im Gerichtssaal.

„Haben Sie noch irgendwelche Fragen zum Spiel?“, fragte Jean-Pierre.

Sein Blick wanderte zum Coaches Club, und er bemerkte, dass beide, Jack und seine Tochter, verschwunden waren. Vermutlich machte er Tatiana gerade die Hölle heiß. Ihr alter Herr hatte den Sport immer über seine Familie gestellt. Es war okay, für ihn zu spielen, doch ein guter Vater war er nicht.

Jean-Pierre beantwortete noch ein paar Fragen zum Spiel, dann sprang er auf und übergab das Mikrofon dem nächsten Spieler. Tevon Alvarez, Pro-Bowl Star der Gladiators.

„Du hast es wieder geschafft, unter Druck Haltung zu bewahren“, murmelte Tevon in Jean-Pierres Ohr, als er ihm auf die Schulter schlug. „Ich bewundere es, wie du mit der Journaille umgehst.“

„Ich bin daran gewöhnt, jede Woche den gemeinsten Angriffen in der NFL zu begegnen“, erwiderte er. „Diese Pressetypen sind bei Weitem nicht so Furcht einflößend.“

Jean-Pierre trat in den privaten Tunnel, der zur Lounge der Spieler führte, kehrte auf halbem Weg aber um zum Coaches Club. Er würde durch den Privateingang eintreten, dort, wo die Administration der Gladiators ihre Büroräume hatte.

Auf keinen Fall würde er das Stadion verlassen, ohne mit Tatiana gesprochen zu haben. Sie mochte ihm seit dem letzten Winter erfolgreich aus dem Weg gegangen sein, doch mit ihrer heutigen Bemerkung zur Presse hatte sie sich zurück in seine Welt katapultiert. Jetzt würde sie dort bleiben müssen, egal, wie lange es dauerte, bis dieser neue Skandal wieder vergessen war.

Im Berufsleben war Tatiana Doucet oft für ihren kühlen Kopf gelobt worden und die Fähigkeit, ihre Gedanken zu ordnen und eine vernünftige, intelligente Diskussion zu führen. Deshalb war es unfair, dass sie ausgerechnet an dem Tag, an dem sie die wichtigste und privateste Ankündigung ihres Lebens machen musste, dummes Zeug redete. Und dazu noch vor einem Journalisten. In aller Öffentlichkeit.

Tatiana wischte sich mit einer Cocktailserviette über die Stirn. Was hatte sie sich dabei gedacht, an der Eiscremebar solch eine impulsive Bemerkung einem Fremden gegenüber zu machen? Sie hatte das Presseschild des Reporters nicht gesehen – er musste es abgenommen haben. Sein Aufnahmegerät hatte er ganz offensichtlich aber nicht abgeschaltet. Im Nachhinein war ihr klar, dass der Mann sie geködert hatte, eine Bemerkung über das bevorstehende Spiel der Hurricanes zu machen.

Und sie hatte ihm direkt in die Hände gespielt, weil sie wegen Jean-Pierre nervös gewesen war. Unbeabsichtigt hatte sie einen markigen Spruch von sich gegeben, über den die Sportwelt wochenlang reden würde. Ihr Vater würde ihr an die Kehle gehen, sobald er sie fand. Bis jetzt hatte sie ihm entkommen können. Die unterirdischen Gänge des Coliseum waren eng und hallten, was es leicht machte, einem Trainer, der wie ein wütender Bulle tobte, einen Schritt voraus zu bleiben.

Die Konfrontation mit ihrem Vater konnte sie aufschieben, doch die Unterhaltung mit einem anderen Mann, der jeden Grund haben würde, wütend auf sie zu sein, konnte nicht warten.

Mit dem Starting-Quarterback der Gladiators, Jean-Pierre Reynaud.

Sie war nicht lange genug im Coaches Club geblieben, um die Antwort zu hören, die Jean-Pierre dem Reporter gab. Sie hatte sich auf dem Absatz umgedreht und aus dem Staub gemacht. Doch irgendwie musste sie Jean-Pierre finden, bevor sie heute Abend abreiste. Was sie zu sagen hatte, war nur für seine Ohren bestimmt.

Sie hatte sich zu Recht nach der einzigen Nacht, die sie jemals gemeinsam verbracht hatten, von ihm ferngehalten, da ihre Trennung genauso leidenschaftlich wie der Sex gewesen war, wenn auch nicht so erfüllend. Als sie sich ein paar Jahre nach ihrer – dank ihrer Eltern – gescheiterten Romanze wiedertrafen, standen sie auf entgegengesetzten Seiten in einem Prozess wegen sexueller Belästigung, den sie vor einem Jahr gegen Jean-Pierres früheren Teamkameraden geführt hatte. Jean-Pierre war fast täglich im Gericht gewesen, bis sie den Fall gewonnen hatte. Sie hatte sich über den Sieg gefreut, bis ein zorniger Jean-Pierre sie damit konfrontierte, dass sie den Ruf eines unschuldigen Mannes ruiniert hatte.

Selbst jetzt konnte sie noch nicht verstehen, wie aus dem Streit die leidenschaftlichste Begegnung geworden war, die sie je erlebt hatte. Was sie jedoch genau verstanden hatte, waren seine eisigen Worte am nächsten Morgen.

Dieser Fehler wird sich nicht wiederholen.

Sie hatte ihm Frühstück zubereitet und gehofft … ja, was? Dass sie die Chance auf gegenseitiges Verständnis hatten, obwohl ihre romantische Vorgeschichte gezeigt hatte, dass sie nicht zusammenpassten? Stolz und Scham angesichts ihrer Dummheit hatten sie monatelang schweigen lassen. Aber heute Abend musste sie über den alten Verletzungen stehen und ihm ein letztes Mal gegenübertreten.

Je schneller sie es hinter sich brachte, desto besser, denn sie musste nach Hause. Tatiana überlegte, wo sie Jean-Pierre finden könnte. Ganz sicher nicht im Coaches Club. Vielleicht sollte sie die Security vor der Spielerlounge nach Jean-Pierres Verbleib fragen. Oder sollte sie sich besser auf die Suche nach seinem Wagen in der Tiefgarage machen? Dann würde sie ihn auf keinen Fall verpassen.

Sie lief den Weg zurück, den sie gekommen war, schoss um eine Ecke und stieß fast mit dem Gesuchten zusammen.

„Oh!“ Mit einem überraschten Aufschrei griff sie nach seinem Arm.

„Pst“, warnte Jean-Pierre, zog sie an sich und legte den Finger an ihre Lippen. „Dahinten im Gang lauert ein Kamerateam.“ Er deutete in Richtung Rampe, die rechts vor ihm lag.

Tatiana verkrampfte bei seiner Berührung. Seinem Duft. Seiner Männlichkeit. Sie war ihm so lange aus dem Weg gegangen, doch aller Logik zum Trotz − er ließ sie nicht kalt. Mit seinen ein Meter neunzig war er so groß, dass er zu ihr herabblicken musste. In seinen Augen funkelten grüne und goldene Pünktchen. Zu Schulzeiten hatte sie sich schwer in ihn verliebt, eine junge Liebe, die an der Feindschaft zwischen den Familien zerbrochen war. Das Leben war weitergegangen, natürlich. Und die zweitausend Meilen, die sie voneinander trennten, erwiesen sich als ein ebenso effektives Abschreckungsmittel wie der öffentlich ausgetragene Kleinkrieg. Doch als er zu den Gladiators wechselte und sie ihn gelegentlich auf Partys traf, fühlte sie sich zu ihm hingezogen wie eh und je. Diese Anziehungskraft beruhte aber offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit, seinen kalten Worten nach dem Prozess nach zu urteilen.

Sie nickte nur, wusste, dass sie auf jeden Fall der Presse aus dem Weg gehen mussten. Auf keinen Fall durften die Journalisten hören, was sie Jean-Pierre zu sagen hatte.

Er sah sie finster an, bewegte sich nicht.

„Was ist?“

„Wir könnten uns von ihnen finden lassen“, schlug er vor und ließ seinen Blick über sie wandern, während er den Gedanken abzuwägen schien. „Sie könnten uns dabei fotografieren, wie wir uns küssen.“

Der Gedanke an einen Kuss sollte nicht wie ein Blitz bei ihr einschlagen. Vor allem nicht, da Jean-Pierre über diese Idee eher leidenschaftslos nachdachte.

„Spinnst du?“ Ihre Stimme schnellte eine Oktave höher, als sie nach seinem Ärmel griff und ihn in die andere Richtung zog.

Er bewegte sich nicht vom Fleck.

„Es würde den Spekulationen ein Ende setzen, dass wir verfeindet sind“, überlegte er laut. Sie sahen sich einen Moment schweigend an, bis sie Schritte am anderen Ende des Gangs hörte.

„Wir sind Feinde“, erinnerte sie ihn und zog noch fester an seinem Arm. „Nur weil du und mein Vater den Riss so weit gekittet habt, dass du in New York spielen kannst, bedeutet es nicht, dass die Reynauds und die Doucets plötzlich Freunde sind. Als dein Großvater meinen Vater feuerte, kam das einer Kriegserklärung gleich.“

Ihr Vater war mit der ganzen Familie von New Orleans nach New York gezogen, hatte sie aus der Schule genommen und verlangt, dass sie ihre Beziehung mit Jean-Pierre beendete. Mit ihren damals siebzehn Jahren hatte Tatiana sich dem Willen der Eltern gebeugt … und Jean-Pierre hatte der Vergangenheit angehört. Bis zu dem Tag, als er sich ihr nach der Urteilsverkündung näherte und ihre alten Gefühle eine leidenschaftliche Nacht lang außer Kontrolle geraten waren.

„Denkst du, das weiß ich nicht?“ Er lief neben ihr her, wobei er sie tiefer in die nicht öffentlichen Bereiche des Stadions führte. „Ich würde uns Opfer dieses Krieges nennen, nicht Feinde. Aber egal wie, es wäre mir lieber gewesen, diese Feindseligkeiten wären vor der Presse nicht erwähnt worden.“

Er nickte einer der Wachen vor den Umkleidekabinen zu, als sie den gesicherten Bereich passierten.

„Das ist mir klar.“ Ihr Herz raste, auch wenn sie sich mahnte, einen kühlen Kopf zu behalten. Und seine Hand an ihrer Taille zu ignorieren, als er sie durch die schwere Eisentür zur Tiefgarage schob. „Ich habe keine Übung mehr im Umgang mit der Presse, sonst wäre ich bei einem Fremden nie so gedankenlos gewesen. Es war dumm von mir. Tut mir leid.“

Er nickte nur.

„Mein Wagen steht dort drüben.“ Er drückte die Funkfernbedienung an seinem Schlüsselbund, und die Lichter eines grauen Aston Martin blitzten zweimal auf. „Ich kann dich nach Haus fahren, und unterwegs … reden wir.“

„Danke.“ Die Zeit, es ihm zu sagen, lief ab. „Ich bin mit dem Taxi zum Spiel gekommen lassen, deshalb wäre es nett, wenn ich mit dir fahren könnte.“

Sie hatte ihre Ankunft so gelegt, dass sie erst wenige Minuten vor Spielschluss im Stadion eintraf. Sie hoffte, ihrem Vater nicht zu begegnen, und wollte so wenig Zeit wie möglich außer Haus verbringen.

Jean-Pierre hielt ihr die Tür zu seinem Sportwagen auf. Sie ließ sich auf den bequemen Ledersitz fallen. Kaum saß auch er, fuhr er schon los. Der Verkehr ums Stadion herum hatte sich gelegt, und sie erreichten schnell den Highway. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie in zehn Minuten vor ihrer Haustür stehen. Ihr wurde flau im Magen, als ihr bewusst wurde, wie wenig Zeit ihr blieb, ihre kühle, ruhige Ansage zu machen.

„Du hast meine Antworten in dem Interview nicht gehört, oder?“, riss Jean-Pierre sie plötzlich aus ihren Gedanken.

„Nein. Ich habe den Coaches Club in der Sekunde verlassen, als ich das Gesicht des Reporters auf dem großen Monitor über der Bar erkannte. Ich wusste, dass er dich damit, was ich ihm gerade gesagt hatte, in die Enge treiben würde. Deshalb bin ich gegangen, bevor mein Vater ausrasten und mich vor fünftausend Fans fertigmachen konnte.“

„Ich habe der Presse gesagt, dass es ein Scherz war.“ Er sah sie an, als sie sich der Ampel vor dem Lincoln Tunnel näherten.

„Natürlich war es ein Scherz. Ich dachte, ich spreche mit einem Gladiator Fan, und habe herumgealbert.“ Sie wusste aus Erfahrung, dass sie das Ego des Mannes nicht streicheln musste, aber ebenso wenig gefiel ihr der Gedanke, dass er glauben könnte, sie hätte es ernst gemeint. „Du und Henri, ihr spielt beide extrem gut. Bei zehn Spielen würde ich jedem von euch fünf Punkte geben.“

„Sehr großzügig von dir.“ Er schaltete runter, als die Autos vor ihm bremsten. „Zurück zu dem Interview. Ich habe nicht nur gesagt, dass du scherzt, sondern auch, dass du in der spielfreien Woche mein Gast bist und dass du es nicht abwarten kannst, mal wieder nach Louisiana zu kommen.“

Er sagte das so tonlos, dass sie hoffte, sich verhört zu haben. Das konnte er nicht gesagt haben. Er mochte sie nicht einmal mehr. Das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben, als er das letzte Mal ihr Haus verließ.

„Nein. Das hast du nicht getan.“

„Oh doch, das habe ich. Was hätte ich denn sonst sagen soll, Tatiana?“ Er nahm eine Hand vom Lenkrad und lockerte die Finger.

Oh Gott, wie hatte er in die ganze Welt hinausposaunen können, dass sie eine Woche zusammen verbringen würden?

„Es ist nur …“ Sie schluckte hart und versuchte, die Anwältin in sich zu befragen und einen vernünftigen Grund vorzubringen. Doch alle Gründe, die ihr in den Sinn kamen, waren Dynamit für ein Gespräch. „Es geht nicht“, sagte sie schließlich lahm.

„Oh doch, und wir werden eine super Show abziehen, denn deine Bemerkung könnte einen Medienaufruhr verursachen, der den Fokus vom Team nimmt. Und das kann ich mir im Moment nicht leisten.“ Er lockerte seine Krawatte. So unrasiert, wie er war, und in diesem sexy Wagen sah er für die ganze Welt wie ein Playboy mit ausschweifendem Lebenswandel aus.

Doch Äußerlichkeiten täuschten. Der Mann führte weder ein ausschweifendes Leben, noch war er ein Playboy. Jean-Pierre Reynaud war einer der ernsthaftesten und am härtesten arbeitenden Männer, die sie je kennengelernt hatte. Und er verfolgte gnadenlos seine Ziele. Deshalb verstand sie sofort, dass er nicht nachgeben würde, was die Show für die Presse betraf.

„Du verstehst nicht …“, begann sie, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.

„Du bist diejenige, die nicht versteht.“ Er verließ den Highway, und sie wünschte, sie könnte die Uhr zurückdrehen und für einen anderen Ausgang des Abends sorgen. Damit sie mehr Zeit hatte. Sie sah sein energisches Kinn, die angespannten Schultern. „Ich hatte keine Zeit, den Plan mit dir abzusprechen. Du hast mich vor meinem Team, der Liga, der Presse und den Fans in Verlegenheit gebracht. Ich stand unter Zugzwang.“

Autor

Joanne Rock
<p>Joanne Rock hat sich schon in der Schule Liebesgeschichten ausgedacht, um ihre beste Freundin zu unterhalten. Die Mädchen waren selbst die Stars dieser Abenteuer, die sich um die Schule und die Jungs, die sie gerade mochten, drehten. Joanne Rock gibt zu, dass ihre Geschichten damals eher dem Leben einer Barbie...
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