Affäre mit Mr. Right

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Nach dem Ende ihrer ersten Ehe hat Stevie sich geschworen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nie wieder zu heiraten. Mit ihrem Hotel in den Bergen baut sie sich ein neues Leben auf. Doch dann taucht ein Gast auf – es ist Fletcher, der beste Freund ihres verstorbenen Mannes! Stevie fühlt sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen, und die Nächte mit ihm sind unglaublich leidenschaftlich … Als es jedoch überraschend ernst wird zwischen ihnen, muss sie sich entscheiden: War es nur eine Affäre oder ist Fletcher ihr Mr. Right?


  • Erscheinungstag 16.08.2022
  • Bandnummer 2251
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509169
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ein letztes Mal zupfte Stevie die Tagesdecke auf dem Himmelbett zurecht, bevor sie einen Schritt zurücktrat und das Zimmer zufrieden betrachtete.

Sie liebte das Wohlfühl-Ambiente, das die nostalgische Weihnachtsdekoration verströmte. Jedes einzelne Familienerbstück war bis vor Kurzem noch in einer Kiste auf dem Dachboden aufbewahrt worden. Nun fügte sich endlich eins zum anderen. Das Leben war gut. Nein, es war sogar fantastisch. Endlich hatte sie sich ihren Traum erfüllt, die hundertvierzigjährige Familienvilla im Queen-Anne-Stil mit ihren zwölf Schlafzimmern in ein komfortables Bed and Breakfast zu verwandeln.

Die vergangenen achtzehn Monate waren hart gewesen, doch nicht nur für sie, sondern für jeden, der in der Tourismusbranche tätig war. Streng genommen eigentlich für alle Menschen in jedem Bereich – hier und auf der ganzen Welt.

Doch sie hatte sich während dieser Zeit irgendwie über Wasser halten können und war jetzt bereit dazu, endlich loszuschwimmen. Sobald sie die endgültige Zusage ihrer Bank für einen weiteren Kredit hatte, konnte sie durchstarten.

Das unverkennbare Dröhnen eines leistungsstarken Motors kündigte die Ankunft eines Besuchers an. Stevie wunderte sich, denn sie konnte sich gar nicht daran erinnern, dass jemand bei ihr ein Zimmer gebucht hatte. Doch vielleicht hatte Elisa die Buchung entgegengenommen, bevor sie ihren Urlaub angetreten hatte. Stevie beschäftigte zwei Angestellte in ihrem kleinen Hotel. Elisa, die ihr beim Saubermachen half und geführte Touren in die Berge für die Gäste anbot, und Penny, die in der Küche das Sagen hatte. Es schien nichts auf der Welt zu geben, was diese Frau nicht kochen oder backen konnte.

Mit einem glücklichen Lächeln sah Stevie aus dem Fenster. Ja, alles entwickelte sich wie geplant. Allerdings verflog ihre gute Laune abrupt beim Anblick des schnittigen zweitürigen Sportwagens, der in diesem Moment vor dem Haupteingang hielt. Das war nämlich genau die Art von Wagen, mit der ihr verstorbener Mann seinen Wohlstand zur Schau gestellt hatte, dachte Stevie verbittert. Schon seit Wochen hatte sie nicht mehr an Harrison denken müssen, doch manche Kleinigkeiten genügten, um ihn wieder zum Mittelpunkt ihrer Gedanken werden zu lassen – und damit verbunden die Gefühle, nicht zu genügen und unselbstständig zu sein. Gefühle, die Harrison ihr jahrelang eingeflüstert hatte.

Rasch wandte sie sich vom Fenster ab und rief sich selbst zur Ordnung. Schon längst war sie nicht mehr diese hilflose Frau an Harrisons Seite, sondern wieder ihr altes Selbst. Stevie Nickerson, stolze Besitzerin von Nickerson House. Seit dem späten neunzehnten Jahrhundert war dieses Gebäude im Besitz ihrer Familie. Einer ihrer Urahnen hatte das Haus mit Holz aus der lokalen Nickerson Mill und Lumber Company gebaut. Hier waren Stevies Wurzeln. Dies war der Ort, an den sie gehörte und an dem sie glücklich war. Gleichgültig, was sie jetzt erwartete, sie würde ihren ersten Gast mit einem glücklichen Lächeln begrüßen.

Leichtfüßig lief sie die Haupttreppe hinunter, wobei sie mit einer Hand über das mit weihnachtlichen Girlanden verzierte Treppengeländer aus glatt poliertem Holz strich. Sie kannte dieses Haus wie ihre Westentasche und hätte sich mit geschlossenen Augen darin zurechtgefunden. Es war ihr Zuhause, das sie nun mit anderen Menschen teilen würde. Sie erreichte gerade den Empfangsbereich, als die Eingangstür aufgestoßen wurde. Durch den Sonnenschein geblendet, der den Neuankömmling in das Foyer begleitete, konnte Stevie im ersten Moment das Gesicht ihres Gastes nicht erkennen. Sie nahm lediglich seine hochgewachsene, muskulöse Gestalt wahr, die müde nach vorne gezogenen Schultern und den Duffle Bag, den die Person in den Händen hielt.

„Willkommen in Nickerson House. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise“, begrüßte sie den Mann, während sich die Tür hinter ihm schloss.

Jetzt konnte Stevie ihn auch besser erkennen. Die Haare waren aus der Stirn gestrichen, stahlgraue Augen unter dunkelblonden Augenbrauen und markante Wangenknochen, die durch den Dreitagebart besonders gut zur Geltung kamen. Unwillkürlich starrte Stevie auf die Lippen des Fremden, deren männliche Sinnlichkeit sie faszinierte. Etwas an dem Mann kam ihr seltsam vertraut vor, und plötzlich verspürte sie ein flaues Gefühl in der Magengegend.

Es war Fletcher Richmond, der beste Freund ihres verstorbenen Mannes … hier in ihrem Haus! Seit Harrisons Tod hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und schon vorher schienen sich die beiden auseinandergelebt zu haben, worüber Stevie im Grunde genommen ziemlich froh gewesen war. Denn das bedeutete, dass sie nicht mehr hatte vortäuschen müssen, Fletcher würde sie kaltlassen, wenn er das Ehepaar gelegentlich besucht hatte. Sie hatte nie aufgehört, sich zu fragen, weshalb sich die Freundschaft der beiden Männer abgekühlt hatte. Seit dies jedoch geschehen war, hatte Stevie deutlich gespürt, wie erschüttert ihre Ehe mit Harrison tatsächlich war. Auf der Beerdigung war Fletcher anwesend gewesen und hatte ihr kurz sein Beileid ausgesprochen. Es schockierte sie zutiefst, ihn jetzt hier zu sehen.

Fassungslos griff sie sich an die Kehle, die sich mit einem Mal wie zugeschnürt anfühlte. Sie brachte keinen Ton mehr heraus. Ganz sicher lag hier ein Fehler vor. Sie räusperte sich mehrmals, um ihre Sprache wiederzufinden.

„Stephanie?“ Er klang genauso fassungslos, wie sie sich fühlte.

„Ich nenne mich inzwischen wieder Stevie.“

Harrison hatte nämlich darauf bestanden, sie mit ihrem vollen Namen anzusprechen, denn dieser war ihm passender für die Frau eines Mannes vorgekommen, der die Karriereleiter nach ganz oben erklimmen wollte. Seines Erachtens nach war Stevie das perfekte Accessoire für ihn, um seinen politischen Ambitionen nachzugehen – vorausgesetzt, sie legte ihren Spitznamen ab, ließ sich die Zähne richten, nahm Sprechunterricht und kleidete sich angemessen. Töricht, wie sie gewesen war, hatte sie alles gemacht, was Harrison von ihr gewollt hatte, und darüber hinaus ihren Abschluss als Hotelmanagerin nicht weiter verfolgt. All das, weil sie geglaubt hatte, Harrison zu lieben, und, was noch viel naiver gewesen war, zu glauben, dass er sie ebenfalls liebte.

„Stevie also? Wieso?“

Fletcher kam wie immer ohne Umschweife auf den Punkt. Sie erinnerte sich noch gut daran – und auch daran, dass er der einzige Mann war, der es stets geschafft hatte, sie mit nur einem Blick aus der Fassung zu bringen. Selbst jetzt spürte sie, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte und ihre Nippel hart wurden und erregend an der zarten Spitze ihres BHs rieben. Ein erwartungsvolles Verlangen erwachte zwischen ihren Schenkeln. Mühsam zwang sie sich, all diese Reaktionen zu ignorieren, so, wie sie es immer getan hatte.

„Ich habe mich eigentlich schon immer so genannt. Zumindest, bevor ich Harrison begegnet bin. Es tut mir leid, aber haben Sie res…“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass das hier dein Hotel ist. Obwohl Harrison irgendwann einmal erwähnt hatte, dass deine Familie im Hotelgewerbe tätig ist.“

Sie wettete darauf, dass Harrison das getan hatte. Er war ein Meister darin gewesen, alles so darzustellen, dass es ihn in ein positives Licht rückte.

„Ich habe gestern angerufen und für zwei Wochen ein Zimmer gebucht“, erklärte Fletcher.

Für zwei Wochen? Das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich.

„Lassen Sie mich mal nachsehen“, sagte sie leise und fuhr den Computer hoch, um das Reservierungsprogramm einsehen zu können. Es bestand kein Zweifel, da stand Fletchers Name neben einer Randbemerkung von Elisa, dass er an einigen Ausflügen in die Umgebung teilnehmen wollte.

Wie hatte ihr das nur entgehen können? Wenn sie gewusst hätte, dass Fletcher hierherkommen wollte, hätte sie … Ja, was hätte sie denn dann gemacht? Seine Buchung storniert? Eine lange Schiffsreise unternommen, um erst nach Fletchers Abreise wiederzukehren? Sie schüttelte innerlich den Kopf. Das war doch lächerlich. Sie war erwachsen und vom Erfolg ihres Hotels abhängig. Sie summte leise vor sich hin, wie früher, wenn sie nervös gewesen war. Harrison hatte diese Angewohnheit verabscheut, und seit seiner Beerdigung hatte sie es nicht mehr getan. Bezeichnend, dass ausgerechnet Fletchers Anwesenheit sie wieder dazu brachte.

„Ah, ja“, sagte sie mit fester Stimme. „Hier habe ich Sie ja. Sie haben die Beaumont Suite. Haben Sie Gepäck, Mr. Richmond?“

„Fletcher, bitte. Schließlich sind wir doch alte Freunde.“

Freunde? So weit wäre sie nicht gegangen. Er und Harrison waren auf dem College sehr eng befreundet gewesen, und in der ersten Zeit ihrer Ehe war sie von Harrison präsentiert worden, wann immer Fletcher in der Stadt gewesen war. Doch nie hätte sie ihn als Freund betrachtet, zumal sein Anblick sie jedes Mal in diesen unbehaglichen Zustand verbotener Erregung versetzte.

Mit einem gezwungenen Lächeln sah sie ihn an. „Dann also Fletcher. Also, hast du Gepäck?“

„Nur meine Tasche hier“, erwiderte er und hob besagten Gegenstand ein Stück an. Dabei warf er Stevie ein umwerfendes Lächeln zu, das sie sofort in ihren Grundfesten erschütterte.

Er sah einfach gnadenlos umwerfend aus, egal, ob unrasiert oder müde oder beides. Wenn er darüber hinaus jedoch auch noch lächelte, war er wie eine Waffe, der keiner Frau etwas entgegenzusetzen hatte. Allerdings hatte Stevie gelernt, dass gutes Aussehen keinerlei Aussagen bezüglich des Charakters zuließ. Sie maß einen Mann lieber daran, wie respektvoll er andere Menschen behandelte. Unwillkürlich fuhr sie all ihre Schutzschilde hoch. Zweifellos würde Fletcher jeden Augenblick damit beginnen, auf wichtig zu tun – genau so, wie es Harrisons Art gewesen war. Hatte ihr verstorbener Ehemann nicht immer behauptet, dass er und Fletcher aus demselben Holz geschnitzt seien?

„Wenn du mir dann folgen würdest, zeige ich dir deine Suite“, erklärte sie förmlich und trat aus dem Schutz des Empfangstresens heraus.

Im selben Augenblick begann sie, sich hilflos zu fühlen. Obwohl sie nicht klein war, überragte Fletcher sie um gut zehn Zentimeter, was ihr ein Gefühl des Kontrollverlusts verlieh. Vielleicht sollte sie damit beginnen, auf der Arbeit hochhackige Schuhe zu tragen. Nein, ermahnte sie sich in Gedanken. Das wäre ja noch schöner. Sie hatte sich selbst versprochen, sich nie wieder wegen eines Mannes besonders zurechtzumachen. Auf der Arbeit trug sie meist ein schlichtes, aber dennoch elegantes schwarzes Kleid. Im Sommer war es kurzärmelig, im Winter mit langen Ärmeln versehen. Dazu flache Pumps und fertig. Stevie straffte die Schultern und ging zu dem breiten Treppenaufgang hinüber, der in die erste Etage führte. Sie sah sich nicht um und spürte, dass Fletcher ihr folgte.

„Es ist nett hier“, meinte er.

„Danke. Dieses Haus gehört schon seit fünf Generationen meiner Familie.“

„Interessant. Harrison hat nie etwas davon erwähnt.“

Nein, das hatte er ganz bestimmt nicht. Obwohl Stevies Familie nicht arm war, gehörte sie längst nicht zu dem elitären Kreis, zu dem sich Harrison gezählt hatte. Seiner Meinung nach hatte Stevie ihm dankbar sein müssen, von ihm aus dem Mittelstand in vollkommen neue Sphären emporgehoben worden zu sein und ein neues Leben geschenkt bekommen zu haben. Ja, dachte sie ironisch, ihr Leben hatte er in der Tat komplett verändert.

„Hier ist es“, sagte sie, als sie das Ende des Flurs erreicht hatten. Sie öffnete die Doppeltür, die in die ehemalige Mastersuite des Herrenhauses führte. „Eigentlich sollte hier so gut wie kein Wunsch offenbleiben. Falls du aber doch noch irgendetwas wünschen solltest, zögere bitte nicht, mir Bescheid zu geben. Wähle dafür einfach die Null auf dem Zimmertelefon.“

„Fünf Generationen?“, fragte Fletcher, als Stevie schon den Rückzug antreten und die Tür von außen schließen wollte.

Etwas in ihr sträubte sich dagegen, ihm ihre Familiengeschichte anzuvertrauen. Da sie jedoch auch im Gästebuch, das am Fenster lag, ausführlich beschrieben war, beschloss sie, Fletcher die Kurzversion zu erzählen.

„Einer meiner Ahnen väterlicherseits hat dieses Haus für seine Braut gebaut. Schon immer haben hier Nickersons gelebt.“

„Aber es ist nicht immer ein Hotel gewesen, oder?“

„Das stimmt. Doch nach dem Tod meines Großvaters hat meine Grandma hier ein Wellness-Retreat im Hippie-Stil eröffnet. Das hat die Einheimischen ziemlich irritiert, denn sie befürchteten, sie würde hier eine Art Sekte gründen. Sie hat sich aber nicht viel aus den Gerüchten gemacht, weil sie schließlich mit irgendetwas Geld für sich und Dad verdienen musste. Die baulichen Änderungen, die sie damals am Gebäude vorgenommen hatte, um Gäste beherbergen zu können, haben es mir leicht gemacht, ein Luxushotel daraus zu machen.“

Fletcher lachte leise, was Stevie plötzlich Schmetterlinge in ihrem Bauch empfinden ließ. Sie erinnerte sich daran, dass es ihr schon öfter so mit ihm ergangen war. Mit seinem Lachen konnte er einen ganzen Raum voller Menschen zum Strahlen bringen. Seine Freunde hingen schon immer wie gebannt an seinen Lippen, wenn er eine Geschichte erzählte und dann in Heiterkeit ausbrach. Selbst Stevie hatte sich damals diesem Zauber nicht entziehen können.

„Das klingt, als wäre deine Grandma eine starke Persönlichkeit. Lebt sie immer noch hier?“

„Sie ist leider vor ein paar Jahren gestorben. Ich vermisse sie noch immer. Vielleicht hat dir Harrison erzählt, dass sie mich aufgezogen hat, nachdem meine Eltern in einer Lawine ums Leben gekommen waren.“

„Das tut mir leid.“

Aus seinem Mund klangen diese Worte keineswegs abgedroschen, man hatte das Gefühl, dass er aufrichtig empfand, was er sagte.

„Danke. Also, wie ich schon sagte, du findest hier eigentlich alles, was das Herz begehrt. Das Frühstück kannst du wahlweise in der Suite oder im Essraum einnehmen. Sag uns einfach vor zweiundzwanzig Uhr des Vortages Bescheid.“

„Die Dame, bei der ich telefonisch gebucht habe, hat erwähnt, dass es hier geführte Touren gibt.“

„Ja, das stimmt, aber im Augenblick ist sie nicht hier. Ich kann dir aber welche von einem anderen Veranstalter anbieten.“

„Oder du führst mich einfach selbst“, schlug er mit sanfter Stimme vor.

„Ich habe wirklich zu viel um die Oh…“

„Wenn ich mich recht entsinne, gehören zu eurem Angebot Touren, die von jemandem aus dem Nickerson House geleitet werden.“

Stevie stöhnte leise auf. „In Ordnung“, stimmte sie zu. „Ja, ich kann dich selbst führen. Du musst mich lediglich rechtzeitig informieren. Wenn es weiter nichts gibt …“

Entschlossen drehte sie sich um, nur, um ein weiteres Mal von Fletchers Stimme aufgehalten zu werden.

„Leiste mir heute Abend beim Dinner doch Gesellschaft. Wir könnten über alte Zeiten sprechen.“

Einen kurzen Moment lang schloss Stevie die Augen und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Unglücklicherweise führte das dazu, dass sie Fletchers betörend frischen Duft nach Citrus und Sandelholz noch tiefer einatmete, als gut für sie gewesen wäre. Einen warmen, maskulinen Duft, den sie seit damals nicht hatte vergessen können. Ein Duft, der heute genauso verboten für sie war wie damals, als sie noch mit Fletchers bestem Freund verheiratet gewesen war.

„Fletcher“, sagte sie seufzend. „Heute Abend habe ich bereits etwas vor. Ehrlich gesagt lege ich aber auch nicht besonders viel Wert darauf, über alte Zeiten zu plaudern, an die zu denken ich, in den vergangenen anderthalb Jahren, vermieden habe, um sie vergessen zu können.“

Mit diesen Worten zog sie die Tür fest ins Schloss und ging hastig durch den Flur bis zur Treppe. Mit zitternden Händen berührte sie das Geländer. Weshalb hatte sie sich von Fletcher nur so aufregen lassen? Das hier war ihr Unternehmen und ihr Zuhause. Er war nicht mehr als ein Gast hier. In zwei Wochen würde er wieder fort sein. Sie konnte es kaum erwarten, dass es so weit war, aber in der Zwischenzeit musste sie sich an die Gastregeln halten, die sie selbst für Nickerson House aufgestellt hatte. Fletchers Aufenthalt hier sollte zu seiner vollsten Zufriedenheit ausfallen … selbst, wenn es sie um den Verstand bringen würde.

2. KAPITEL

Verwundert starrte Fletcher auf die Tür und fragte sich, was er gesagt hatte, um Stephanie – nein, Stevie – so sehr zu verärgern. Dabei hatte er doch nur in Erinnerungen schwelgen wollen. Das war doch nichts Unziemliches, oder? Bestimmt vermisste sie Harrison, der eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen war. Möglicherweise empfand sie den Verlust noch als zu schmerzhaft, um über ihren verstorbenen Ehemann zu reden. Schließlich war es erst anderthalb Jahre her.

Er dachte an das, was Stevie gesagt hatte, bevor sie gegangen war. Etwas darüber, dass sie vergessen wollte? Nachdenklich runzelte er die Stirn. Da stimmte doch etwas nicht. Die beiden waren vollkommen vernarrt ineinander gewesen. Die Frau jedoch, die er heute wiedergetroffen hatte, war zwar immer noch faszinierend, doch ansonsten eine vollkommen andere Person als damals. Beispielsweise die Sache mit ihrem Namen … Stevie. Seltsamerweise passte er tatsächlich besser zu ihr als das förmliche Stephanie. Sie schien es auch eilig gehabt zu haben, Harrisons und ihr gemeinsames Haus zu verlassen, um an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Es wirkte beinahe so, als hätte sie es nicht erwarten können, ihr altes Leben hinter sich zu lassen.

Auf der anderen Seite … was konnte er schon darüber sagen, wie man mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen richtig umging? Er selbst hatte vor einem Jahr den Tod seines Vaters hinnehmen müssen und sehr darunter gelitten. Doch es war unwahrscheinlich, dass Harrison ein ähnliches Doppelleben wie Fletchers Vater geführt hatte. Ein Leben mit zwei Familien, in denen es jeweils zwei Söhne und eine Tochter sowie zwei nahezu identische Firmen gegeben hatte. Eine in Norfolk, Virginia, die andere in Seattle, Washington. Fünfunddreißig Jahre lang! Die Familien hatten erst voneinander erfahren, nachdem Douglas Richmond in seinem Büro in Seattle zusammengebrochen und gestorben war. Glücklicherweise hatten die Halbgeschwister ihren Schock und ihre Trauer gemeinsam überwinden können. Sie hatten sogar zusammengearbeitet, als es einen Fall von Industriespionage bei Richmond Developments in Seattle gegeben hatte. Doch obwohl er seine neue Familie sehr mochte, erinnerte sich Fletcher nur zu gut an den Schock, den er erlebt hatte. Sein Dad, der sein ganzes Leben lang ein zuverlässiger und hingebungsvoller Familienvater gewesen war, war in Wirklichkeit ein Betrüger gewesen. Noch jetzt hatten die Folgen seines komplizierten Doppellebens ungeahnte Auswirkungen auf die Familien.

Gerade diese Auswirkungen und die Tatsache, dass er sich mit ihnen beschäftigen musste, hatten Fletcher dazu veranlasst, Richmond Construction für einen zweiwöchigen Urlaub in den Bergen den Rücken zu kehren. Er hoffte, hier abschalten und sich von dem turbulenten Jahr erholen zu können. Von allen Menschen auf der Welt hatte er am wenigsten erwartet, ausgerechnet Stephanie Reed in Asheville anzutreffen.

Natürlich hatte er seit Harrisons Verscheiden bei dem Flugzeugabsturz an sie denken müssen. Ihm war ihr zutiefst geschockter Gesichtsausdruck auf der Beerdigung einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Alles in ihm hatte sich danach gesehnt, ihr Trost zu spenden, doch er hatte sich nur zu gut daran erinnern können, dass sie ihm gegenüber nie besonders herzlich gewesen war. Ein Gast, den sie tolerierte, jedoch nicht willkommen hieß. Vielleicht war sie ja eifersüchtig auf die Freundschaft gewesen, die Harrison und ihn verbunden hatte. Harrison und Fletcher hatten immer versucht, den jeweils anderen mit ihren Leistungen zu übertreffen – beim Studium, im Sport oder bei der Frage, wer die hübscheren Frauen traf. Fletcher war schließlich Jahrgangsbester geworden, und Harrison hatte nur wenige Punkte hinter ihm gelegen. Doch den größten Preis hatte Harrison dann doch gewonnen, denn er hatte Stephanie zuerst gesehen und sie geheiratet.

Sie hatte sich seitdem unglaublich verändert. Designerschuhe und – kleidung gehörten offenbar ebenso wie das glatte, schulterlange Haar und das sorgfältig aufgetragene Make-up der Vergangenheit an. Stattdessen trug sie das Haar inzwischen lockig und länger als früher. Fletcher wettete, dass es ihr bestimmt bis zur Taille reichte, wenn man es glatt strich. Er musste sich beherrschen, es nicht zu berühren, um herauszufinden, ob es sich so seidig anfühlte, wie es aussah.

Und dann ihr Make-up … ihre Haut war frisch und klar und nicht länger unter einer Foundation versteckt. Sie trug, wenn überhaupt, nur einen Hauch von Wimperntusche, um ihre ausdrucksvollen braunen Augen zu betonen. Ihre Lippen und ihre Fingernägel schmückte ein dezenter Korallenton und nicht wie früher ein auffälliges Pink. Sie sprach sogar anders – der Tonfall ihrer leicht rauchigen Stimme klang längst nicht mehr so förmlich wie früher.

Es kam ihm so vor, als hätte sie sich neu erfunden, und Fletcher fand sie nach wie vor wahnsinnig attraktiv. Dieser Urlaub würde süße Torturen für ihn bereithalten. Vielleicht würde es ihm ja leichter fallen, wenn er ein wenig mehr Zeit mit ihr verbrachte. Doch andererseits hatte er es nicht nötig, sie davon überzeugen zu müssen. Er hatte das große Glück im Leben, dass die Menschen ihn normalerweise sofort mochten und sich zu ihm hingezogen fühlten. Bei Stephanie – nein, Stevie – war das jedoch schon früher anders gewesen. Vielleicht hatte er sie deswegen stets so faszinierend gefunden.

Fletcher warf seine Reisetasche auf einen Stuhl, streifte sich die Schuhe ab und ließ sich auf das Bett fallen. Sein Kopf sank in das dicke, weiche Daunenkissen, das zart nach Lavendel duftete. Er atmete tief ein und spürte erst jetzt, wie angespannt er auf der sechsstündigen Fahrt hierher gewesen war. Sein Körper ließ sich von der gemütlichen Weichheit des Bettes umfangen und entspannte sich zum ersten Mal wieder richtig.

Genau deswegen war er hierhergekommen; um eine Auszeit zu nehmen, nachzudenken und seine Gedanken zu ordnen. Einfach nur er selbst zu sein.

Von Kindesbeinen an war er daran gewöhnt gewesen, der Mann im Haus zu sein, wenn sein Vater ein halbes Jahr lang auf Geschäftsreise gewesen war. Inzwischen wusste er, dass er die Zeit mit seiner anderen Familie verbracht hatte.

In der Abwesenheit seines Vaters hatte Fletcher seine Mutter mit den Geschwistern unterstützt und sich um die Angelegenheiten der Firma gekümmert. Immer war er für andere da gewesen – bis er jäh aus seinem gewohnten Lebenstrott gerissen worden war. Weder den Betrug seines Vaters noch die Lügen seiner Mutter konnte er wieder in Ordnung bringen. Er wusste auch nicht, was er mit der Trauer seiner Familie und der Forderung seiner Verlobten anstellen sollte, diesen Skandal aufzuhalten. Im vergangenen Jahr hatte er seine Arbeit verrichtet, ohne Freude daran zu haben. Ihm war bewusst geworden, wie müde er eigentlich war.

Wann war es endlich so weit, dass sich mal jemand um ihn kümmerte und etwas für ihn tat? Er erhoffte sich von den kommenden zwei Wochen eine Antwort auf diese Frage.

Es dämmerte bereits, als er die Augen wieder aufschlug, und erschrocken stellte er fest, dass er gut zwei Stunden geschlafen hatte. Dabei schlief er tagsüber nie. Ehrlich gesagt, schlief er in letzter Zeit auch nachts nicht besonders gut und fühlte sich daher jetzt so frisch und munter wie schon lange nicht mehr. Außerdem war er vollkommen ausgehungert. Weil das Nickerson lediglich ein Bed and Breakfast war, musste sich Fletcher wohl oder übel in sein Auto setzen und ein nahe gelegenes Restaurant suchen. Er war zwar immer noch verletzt wegen Stevies Ablehnung, ihm beim Abendessen Gesellschaft zu leisten, doch er hoffte, dass sie ihm zumindest ein Lokal in der Nähe empfehlen würde.

Rasch duschte er und schlüpfte in frische Kleidung. Dann griff er nach seinem Jackett und verließ die Suite. Überrascht stellte er fest, dass unten alles ruhig war, eigentlich hatte er andere Gäste in der Lobby erwartet. Ein behagliches Feuer loderte in dem großen Kamin und verlieh dem kunstfertig geschmückten Weihnachtsbaum, der bestimmt drei Meter hoch war, einen festlichen Schimmer. Der perfekte Ort, um nach einem Wandertag oder auf der Skipiste mit einem Drink zu entspannen. Trotzdem war niemand außer Fletcher hier. Ob er gerade der einzige Gast war? Oder war er einfach zu früh dran?

Schulterzuckend ging Fletcher den Flur entlang und folgte den Geräuschen und dem Duft aus dem hinteren Hotelbereich. Was auch immer dort gekocht wurde, es duftete einfach himmlisch, und sein Magen knurrte erwartungsvoll. Die Tür am Ende des Korridors war nur leicht angelehnt, und Fletcher hörte, wie sich Stevie mit einer anderen Frau unterhielt. Höflich klopfte er an, bevor er eintrat, und beide Frauen drehten sich überrascht zu ihm um.

„Gibt es ein Problem, Mr. … ähm, ich meine, Fletcher?“, erkundigte sich Stevie. „Funktioniert das Zimmertelefon nicht?“

„Nein, kein Problem, und ich bin mir sicher, dass auch das Telefon in Ordnung ist. Ich wollte nur fragen, ob Sie mir ein Lokal empfehlen können, wo ich zu Abend essen kann.“

Die andere Frau trat einen Schritt auf ihn zu und wischte sich eine Hand an ihrer Küchenschürze ab, bevor sie ihm diese reichte. „Hi, ich bin Penny. Ich bin die Köchin hier und kann Ihnen heute Abend eine Menge anbieten. Da Sie im Augenblick unser einziger Gast sind, leisten Sie doch Stevie und mir Gesellschaft. Das heißt, wenn ein zwangloses Dinner in Ihrem Sinne ist.“

Fletcher entging der vernichtende Blick nicht, den Stevie der Köchin zuwarf.

„Ich bin mir sicher, dass Fletcher ein Essen in einem Restaurant unserer Gesellschaft vorzieht“, sagte sie rasch. „Ich hole schnell etwas zum Schreiben und notiere dir ein paar Adressen in der Nähe.“

„Nein, das ist schon okay. Ich würde mich sehr freuen, hier zu essen. Vielen Dank, Penny“, erwiderte er lächelnd.

Einen Augenblick lang wirkte Stevie verärgert, im nächsten nervös und schließlich vollkommen genervt. „Also gut“, gab sie nach. „Ich decke nur rasch ein.“

„Das mache ich schon“, beeilte sich Penny zu sagen und war schon dabei, ein Platzset aus einer Schublade zu holen und es auf den verschrammten Holztisch in der Mitte der Küche zu legen. „Nehmen Sie doch Platz. Das Essen ist gleich fertig. Vielleicht kann Stevie Ihnen ja in der Zwischenzeit einen Drink anbieten? Ein Glas von dem Merlot, den wir gestern Abend geöffnet haben, beispielsweise?“

„Das klingt einfach perfekt“, erwiderte Fletcher und grinste Stevie an. „Das heißt, wenn es nicht zu viele Umstände bereitet.“

Er spürte, wie sie mit sich kämpfte, doch schließlich ihre höfliche Seite die Oberhand gewann.

„Nein, ganz und gar nicht“, entgegnete sie in einem Tonfall, dem man nicht anmerkte, was sie gerade dachte.

Penny warf ihr einen fragenden Blick zu und ging durch die geräumige Küche, um ein Weinglas aus dem Regal zu nehmen. Sie befüllte es großzügig mit Rotwein und brachte das Glas und die Flasche an den Tisch, bevor sie auch in die beiden Gläser, die dort standen, Wein einschenkte.

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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