Baccara Collection Band 409

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UNGEZÄHMTES VERLANGEN NACH DIR von GARBERA, KATHERINE
In Texas soll er einen IT-Erpresser fassen. Nach einem Schicksalsschlag kommt dem Software-Experten Will Brady der Auftrag gerade recht. Nur darauf, sich in eine feurige Rodeo-Reiterin zu verlieben, ist er nicht vorbereitet. Denn eine Zukunft mit Amberley ist undenkbar…

GLAMOUR, RUHM UND LEIDENSCHAFT von FLETCHER MELLO, DEBORAH
Für die schönste Produzentin Hollywoods vor der Kamera stehen? Da sagt Filmstar Guy Boudreaux nicht Nein. Obwohl er weiß, dass Erfolg für Dahlia an erster Stelle kommt, verliebt er sich in sie. Ein Oscar ist ihm sicher. Aber wird der sexy Bad Boy auch Dahlias Herz gewinnen?

SINNLICHE KÜSSE, RISKANTE LÜGEN von HAILSTOCK, SHIRLEY
Bildschön, smart und sprühend vor Charme! Als Medien-Tycoon Carter Hampshire seine Ex-Freundin Renee wiedersieht, ist er genauso fasziniert von ihr wie damals. Für eine zweite Chance würde er alles tun. Doch zwischen ihnen steht nicht nur Renees Stolz, sondern auch eine Lüge…


  • Erscheinungstag 13.08.2019
  • Bandnummer 409
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725655
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera, Deborah Fletcher Mello, Shirley Hailstock

BACCARA COLLECTION BAND 409

KATHERINE GARBERA

Ungezähmtes Verlangen nach dir

Das Kapitel Männer ist für Amberley abgehakt. Für sie zählen Rodeo, wilde Pferde und der endlose Horizont von Texas. Klar, dass sie allergisch auf Will Brady reagiert. Dem smarten Software-Millionär Reitstunden geben? Okay! Aber sich in ihn verlieben? Niemals! Bis Will sie zärtlich küsst und ihr Vorsatz ins Wanken gerät …

DEBORAH FLETCHER MELLO

Glamour, Ruhm und Leidenschaft

Glamour, Ruhm und Megastars! Das ist der ganz normale Alltag von Oscar-Preisträgerin Dahlia Morrow. Für ihr Herzensprojekt engagiert sie den atemberaubenden Schauspieler Guy Boudreaux. Mit seiner Leidenschaft gewinnt ihre Arbeit eine neue Dimension, und privat genießen sie bald sinnliche Stunden. Doch ein Unglück stellt ihre Hollywood-Liebe auf eine harte Probe …

SHIRLEY HAILSTOCK

Sinnliche Küsse, riskante Lügen

Damals hat Medien-Tycoon Carter Hampshire sie verlassen, jetzt ist er Renees größter Konkurrent – und bietet ihr einen verlockenden Job an. Aber auch wenn ihr Herz noch immer für ihn schlägt, wird sie Carter nicht wieder verfallen! Erst als er sie in seine Arme zieht, will sie ihm eine zweite Chance geben. Dann jedoch macht Renee eine erschütternde Entdeckung!

1. KAPITEL

Amberley Holbrook war gar nicht erpicht darauf, neue Leute kennenzulernen. Sie zog die Gesellschaft ihrer Pferde vor und war gern bei ihnen im Stall. Normalerweise ließ Clay Everett, der Boss, ihr freie Hand bei der Arbeit, aber im Moment hatten sie einen Gast auf der Ranch. Clay hatte Amberley gebeten, sich bei dem Mann vorzustellen und anzubieten, mit ihm auszureiten.

Amberley war alles andere als begeistert von dem Auftrag. Der Kerl kam aus Seattle, und soweit sie wusste, war die Zahl der Cowboys dort mehr als überschaubar. Das hieß also, er war irgend so ein feiner Pinkel aus der Großstadt – genau die Art von Mensch, mit dem sie Probleme hatte. Dennoch wusste sie selbst, dass das nur an ihren albernen Vorurteilen lag. Ihr Daddy hatte ihr dringend ans Herz gelegt, sich in der Hinsicht am Riemen zu reißen, wenn sie diesen Job behalten wollte.

Sie seufzte stumm. Clays Wunsch auszuschlagen kam nicht infrage. Sie hatte definitiv keine Lust, auf die Ranch ihrer Familie in Tyler zurückzukehren.

Daran hatte ihr Daddy sie erinnert, als sie ihn angerufen und ihm von Clays Gast erzählt hatte. Sie und ihr Vater standen sich sehr nah. Amberleys Mom war gestorben, als sie gerade dreizehn gewesen war, und sie musste sich danach um vier jüngere Geschwister kümmern.

Sie und ihr Dad hatten wie ein Team gearbeitet und dafür gesorgt, dass die Arbeit auf der Ranch getan wurde und ihre Schwestern und Brüder im Alter zwischen vier und zehn Jahren gut versorgt waren. Manchmal sagte ihr Vater, er habe sie um ihre Kindheit betrogen, aber Amberley sah das nicht so. Sie hatte ihren Hengst Montgomery und ihre Familie. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr war das alles gewesen, was für sie zählte.

Amberley begriff, wieso dieser neue Gast sie nervös machte. Der Kerl hatte sich einen verdammten Ford Mustang gemietet, um hier auf dem Land herumzufahren. Sie sah den Sportwagen neben dem Gästehaus, das Clay ihm zugeteilt hatte.

Die Flying E war eine große Ranch, die Clay Everett sich während seiner Karriere als professioneller Rodeoreiter aufgebaut hatte. Er zählte zu den Besten, bis ein Bulle mit dem Namen Iron Heart ihn besiegte. Clay hatte danach ein paar Höhen und Tiefen durchlebt, war aber wieder auf die Füße gefallen und hatte Everest gegründet, eine Firma, die sich rasch weltweit einen Namen damit machte, Unternehmen einen abgesicherten Pool an Rechnerressourcen zur Verfügung zu stellen.

Amberley konnte sich darunter nicht viel vorstellen, aber die Idee hatte Clay ein hübsches Vermögen eingebracht und ermöglichte es ihm, sie als Horse Master zur Betreuung seiner Pferde einzustellen.

Sie kümmerte sich um die Ställe, gab Reitunterricht und sorgte dafür, dass jeder Gast sich der Pferde bedienen konnte. Das Hauptgebäude der Ranch war ein großes, weitläufiges Haus. Dazu kamen mehrere kleinere Gästehäuser. Amberley wohnte in einem Cottage, in dem sie sich ausgesprochen wohl fühlte. Sie hatte sich immer ein eigenes Haus mit viel Land gewünscht, aber das überstieg ihre finanziellen Möglichkeiten bei Weitem, auch wenn sie dabei war, sich im Barrel-Racing einen Namen zu machen. Mit dem Leben auf der Flying E Ranch und der Arbeit für Clay hatte sie nun das Beste aus beiden Welten.

Sie warf erneut einen Blick auf den Sportwagen. Feiner Pinkel!

Als Teenager hatte sie sich im Fernsehen Serien wie Gossip Girl angesehen und davon geträumt, in Manhattan zu leben. Sie wusste selbst, dass sie dort völlig deplatziert gewesen wäre, aber der Traum hatte ihr trotzdem gefallen.

Daher war es vielleicht nicht ganz so überraschend, dass dieser Mann ihre Neugier weckte, noch bevor sie ihn überhaupt gesehen hatte.

„Willst du den ganzen Tag hier stehen bleiben oder willst du anklopfen?“, fragte Cara, während sie vor dem Gästehaus standen, das Will zugeteilt war. Es handelte sich um eines der größeren Häuser mit drei Schlafzimmern, ganz aus Holz und Glas gebaut.

Cara war siebzehn und arbeitete auf der Ranch als Amberleys Lehrling. Amberley hatte sie mitgenommen, um zu verhindern, dass sie … nun ja, eine Dummheit machte.

„Ich wollte nur warten, bis die Musik etwas leiser wird.“

„Da kannst du lange warten“, bemerkte Cara trocken. „Ich dachte, er hat ein kleines Kind dabei. Ich verstehe nicht, wieso der alte Sack sich keine Kopfhörer aufsetzt.“

„Glaubst du, dass er alt ist?“

Cara sah Amberley mit hochgezogenen Brauen an. „Na klar. Er hat ein Kind, oder? Also muss er alt sein …“

„Genau. Zu meiner Zeit hatten wir noch einen großen alten DOS-Computer und mussten einen halben Tag warten, bis er endlich hochgefahren war.“

Die Stimme war tief und voll. Amberley spürte, wie sie rot wurde, als sie sich zu dem Mann herumdrehte. Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren dunkelgrün und erinnerten sie an die Wiese, an der sie jeden Morgen auf ihrem Hengst Montgomery vorbeiritt.

Er war nicht alt.

Ganz und gar nicht.

Er trug ein verblichenes T-Shirt, unter dem sich seine breite Brust und ein durchtrainierter Waschbrettbauch abzeichneten. Die verblichene Jeans saß ihm tief auf den Hüften, und dazu trug er Sneakers von Converse.

Er war genauso, wie sie es befürchtet und insgeheim erhofft hatte.

„Für Ihr Alter sehen Sie gar nicht so schlecht aus“, bemerkte Amberley. „Ich bin Amberley Holbrook, Horse Master, und das ist mein Lehrling Cara. Clay hat mich gebeten, Sie zu begrüßen und Ihnen zu sagen, dass die Pferde zu Ihrer Verfügung stehen.“

„Danke.“ Er reichte Cara die Hand. „Will Brady. Alter Sack.“

„Oh, Gott, wie peinlich! Es tut mir leid. Ich habe wieder mal das Maul aufgerissen. Meine Mom hat mich immer deswegen ermahnt“, bekannte Cara kleinlaut.

„Das ist schon in Ordnung. Für einen Teen bin ich wohl tatsächlich schon uralt.“

Amberley atmete tief durch, bevor sie ihm die Hand reichte. Seine Haut war nicht trocken und rau wie die vieler Männer hier auf der Ranch. Seine Hand war weich, und ihr fiel auf, dass seine Fingernägel sauber und gepflegt waren.

Sie ließ ihren Daumen über seine Knöchel gleiten. Als sie begriff, was sie tat, ließ sie seine Hand schnell los.

„Wie auch immer … Sie können jederzeit in den Stall kommen. Ich muss mir einmal ansehen, wie Sie reiten, bevor ich Ihnen erlauben kann, allein auszureiten.“

„Kein Problem. Ich komme heute Nachmittag vorbei“, sagte er. „Heute Vormittag habe ich eine Konferenzschaltung mit dem Sheriff.“

„Geht es um Maverick?“, fragte Cara neugierig. „Ich habe gehört, dass Sie in der Stadt sind, um ihn zu stoppen.“

Will zuckte mit den Schultern. „Ich will mal sehen, was ich tun kann, um den Bastard zu finden.“

„Darüber wären wir mit Sicherheit alle froh“, sagte Amberley. „Ich bin fast immer im Stall, Sie können also jederzeit kommen.“

Sie gingen zurück zu den Ställen. Amberley redete sich ein, er wäre nur ein ganz normaler Mann – aber sie wusste instinktiv, dass er sehr viel mehr war.

Amberley war nicht die Art von Frau, die viel Zeit für Klatsch hatte oder dafür, heißen Männern nachzusehen. Dennoch ertappte sie sich dabei, dass sie schon den zweiten Morgen an Wills Haus vorbeiritt – in der Hoffnung, ihn zu Gesicht zu bekommen. Stattdessen unterhielt sie sich mit Erin Sinclair, der Nanny, und sie durfte sogar Faye auf den Arm nehmen, seine elf Monate alte Tochter.

Will hatte im Stall angerufen, um zu sagen, dass er zum Reiten kommen wollte, aber noch nicht wusste, wann sein Computerprogramm fertig durchgelaufen war. Es konnte irgendwann zwischen jetzt und dem Sonnenuntergang sein. Sie versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie musste noch einige Pferde zureiten, damit sie sich an den Sattel gewöhnten.

Sie mochte diese Arbeit. Sie hatte die Gesellschaft von Tieren schon immer der der Menschen vorgezogen. Das Verhalten der Tiere war leichter vorhersagbar, fand sie. Amberley war in einer großen Familie aufgewachsen, und die Vorstellung, ihre eigene zu haben … Nun ja. Alles hatte seine Vor- und Nachteile.

„Du musst zugeben, dass er scharf ist“, bemerkte Cara. „Und überhaupt nicht alt.“

„Er ist ein feiner Pinkel aus der Großstadt, der wahrscheinlich ein Pferd nicht von einem Bullen unterscheiden kann. Reine Zeitverschwendung“, seufzte Amberley.

Sie und Cara bereiteten gerade ein Pferd für den Gast vor, sodass er auf der Ranch herumreiten und sich das Land ansehen konnte.

Als Cara Amberley gefragt hatte, ob sie nicht als ihr Lehrling bei ihr arbeiten könnte, hatte das Bauchgefühl Amberley geraten, Nein zu sagen. Was konnte sie einem jungen Mädchen schon beibringen? Doch Cara war sehr hartnäckig, und eins kam zum anderen. Und nun hatte sie jetzt immer eine redselige Siebzehnjährige im Schlepptau.

„Ich will ja nur sagen, wenn mich ein Mann so ansähe …“

„Dann wäre dein Freund eifersüchtig“, unterbrach Amberley sie. Cara war mit einem Footballspieler aus der Schulmannschaft zusammen.

„Stimmt. Zumindest im Moment. Nächstes Jahr ist er weg, und ich … ich weiß nicht, wo ich dann bin. Hast du dir je gewünscht, aufs College zu gehen?“

Amberley überlegte. Mit siebzehn war ihr größter Wunsch gewesen, so weit wie möglich von Texas fortzukommen – von Texas, von ihren Geschwistern und dem Leben auf der Ranch. Sie wollte einfach eine Chance haben, auf eigenen Füßen zu stehen. Aber ihre Familie hatte nicht das Geld für ein College, und Amberley war ehrlicherweise auch nur eine mittelmäßige Schülerin gewesen. Niemand hatte ihr ein Stipendium angeboten. Dieser Job bei Clay war genau im richtigen Moment gekommen. Bei einer Rodeo-Veranstaltung hatte sie seinen Vorarbeiter kennengelernt, und er hatte ihr den Job angeboten.

Es war zwar nicht ihr Traumjob gewesen, aber es bedeutete für sie, endlich auf eigenen Füßen zu stehen – und das war es wert. Manchmal fiel es ihr leicht zu vergessen, dass sie sich einmal etwas anderes vom Leben erhofft hatte. Sie jammerte nicht und hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn. Alles war eben so, wie es war.

„Nicht wirklich. Ich habe meine Pferde, und Clay lässt mir im Stall mehr oder weniger freie Hand. Was sollte ich mir sonst noch wünschen?“ Amberley hoffte, dass Cara ihr die verborgenen Sehnsüchte nicht anmerkte.

„Ich hoffe, ich kann das eines Tages auch sagen.“

„Bestimmt. Du bist erst siebzehn. In dem Alter muss man noch nicht alles geplant haben.“

„Ja, vielleicht.“ Caras Handy klingelte.

„Geh nur ran, ich mache das andere Pferd allein fertig. Er hat ja gesagt, er weiß noch nicht, wann er kommt.“

„Hier bin ich“, sagte in dem Moment eine männliche Stimme hinter ihr. „Ich hoffe, ich störe nicht.“

Amberley spürte, wie sie rot wurde. Sie war froh, dass er nicht schon früher aufgetaucht war.

„Nein, durchaus nicht“, sagte sie rasch und setzte sich ihren Strohhut auf, bevor sie die Box verließ und den Hauptgang des Stalls betrat.

Irgendwie hatte sie gehofft, dass er nicht ganz so gut aussah, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte, aber sie wurde enttäuscht. Sein dichtes blond-braunes Haar wirkte noch dichter als zuvor, und sein Kinn war markant und glatt rasiert. Der Blick seiner grünen Augen war durchdringend. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.

Sie redete sich ein, dass er ihr Interesse sicher nur deshalb weckte, weil er so anders war als die anderen Männer auf der Ranch.

Würde er einfach eine Jeans und ein paar alte Stiefel tragen, hätte sie sich nicht die Bohne für ihn interessiert. Die Tatsache, dass er ein T-Shirt von Pearl Jam trug und eine gut sitzende Jeans, die all die richtigen Stellen betonte, erklärte, wieso sie sich zumindest vage für ihn interessierte.

Sie bemerkte, dass seine Lippen sich bewegten. Sie hätte nichts dagegen, sie an ihren zu spüren … Erst als Cara aus der Box kam und sie merkwürdig ansah, begriff Amberley, dass er etwas gesagt hatte.

„Entschuldigen Sie – was haben Sie gesagt?“

„Nur, dass es mir leid tut, wenn ich Ihren Zeitplan durcheinanderbringe. Falls Sie noch mehr Zeit brauchen, kann ich dort drüben warten.“

Sie schüttelte den Kopf. Er war so umgänglich. Trotzdem hatte sie einfach diese fixe Idee zu diesem Mann. Oder vielmehr: was alle Männer anging, die aus der Stadt kamen. Sie wünschte, er wäre nicht ganz so attraktiv. Wenigstens hätte seine Stimme irgendwie unangenehm sein können, aber ganz im Gegenteil: Sie war voll und wohltönend und strich über ihre Sinne wie eine warme Brise an einem Sommertag.

Verdammt. Sie musste sich zusammennehmen!

„Ich bin bereit. Cara, würdest du Mr. Brady sein Pferd zeigen?“, bat sie ihre Gehilfin, die sie mit einem Grinsen betrachtete, das nur Teenager so unnachahmlich zustande brachten.

„Natürlich, Ms. Holbrook“, sagte Cara sarkastisch.

„Sie können mich Will nennen“, sagte er zu Cara.

„Ms. Holbrook, kann Will Sie Amberley nennen?“

Dieses Mädchen! Sie reizte Amberley, weil Cara wusste, dass Amberley im Moment nichts tun konnte. „Natürlich.“

„Danke, Amberley“, sagte er.

Obwohl sie sich versuchte einzureden, dass es nichts Besonderes hatte, wie er ihren Namen sagte, ließ ihr der Klang dennoch einen Schauer über den Rücken laufen. Sie musste diese Reaktionen auf ihn im Keim ersticken. Denn Will würde eine Weile hier sein, um Max St. Cloud bei seiner Suche nach dem anonymen Erpresser Maverick zu unterstützen.

Der trieb bereits seit Monaten sein Unwesen in der Stadt, insbesondere mit den Mitgliedern des Texas Cattleman’s Clubs. Maverick veröffentlichte Videos und machte alle möglichen Informationen über seine Opfer publik, die er damit in private oder berufliche Schwierigkeiten brachte. Will war eher Max’ Geschäftspartner als sein Angestellter. Den Gerüchten zufolge waren sie alte Freunde.

„Kein Problem. Wie sind Sie eigentlich hier in Royal gelandet?“, fragte sie Will, während Cara sein Pferd holte.

„Chelsea Hunt und Max sind seit Jahren befreundet. Sie hat ihn gebeten, bei der Suche nach diesem Maverick zu helfen. Und er hat mich dann dazugeholt.“

„Ich mag Chelsea. Sie ist wirklich sehr souverän.“ Amberley bewunderte die Frau, die immer genau zu wissen schien, was sie tat, und die nach ihren eigenen Regeln lebte. Wenn Chelsea einen Mann mochte, dann musste sie sich bestimmt keine Gründe einfallen lassen, um ihm aus dem Weg zu gehen – so wie Amberley es immer tat.

Cara kam mit Wills Hengst zurück. Amberley holte Montgomery, der bereits auf sie wartete. Für einen Moment lehnte sie ihre Stirn gegen seinen Hals und fühlte sich merkwürdig getröstet, als er den Kopf zu ihr herumdrehte. Mit Pferden war sie schon immer besser zurechtgekommen als mit Menschen.

Normalerweise machte ihr das nichts aus. Aber es wäre doch schön gewesen, wenn sie in Gegenwart eines Mannes wie Will nicht immer gleich verlegen werden würde – und wenn sie sich nicht immer wie eine unbeholfene Landpomeranze fühlen müsste!

Will hatte nicht erwartet, sich in Texas so fehl am Platze zu fühlen. Er war schon früher in Dallas gewesen und fand, dass das Klischee von Stiefeln, Stetsons und Pferden der Vergangenheit angehörte oder nur noch in der Fantasie von Fernsehproduzenten lebte. Der Aufenthalt auf der Flying E bewies ihm das Gegenteil.

Amberley war süß und eine wunderbare Abwechslung. Sie lenkte ihn ab von Seattle und allem, was er dort zurückgelassen hatte. Von allem, was er verloren hatte. Vielleicht war dieser Abstecher nach Texas genau das, was er gebraucht hatte. Seine kleine Tochter schlief in der Obhut ihrer Nanny, und er befand sich in einer ganz neuen Welt.

Max hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als Will ihm sagte, er müsse seine Tochter und ihre Nanny mit nach Royal bringen. Sein Freund wusste, dass er ein alleinerziehender Vater war, der seine Pflichten sehr ernst nahm.

Natürlich hatte er einen Auftrag zu erledigen, aber vor langer Zeit war er ein guter Reiter gewesen, und vielleicht würde es ihm guttun, wieder im Sattel zu sitzen. Als Zeichen dafür, dass das Leben auch nach dem Tod seiner Frau weiterging.

Es war erstaunlich, aber nach Lucys Tod hatten ihn alle getröstet und ihn in Ruhe trauern lassen. Aber nachdem jetzt so viele Monate vergangen waren und er immer noch trauerte, begannen sie zu reden. Am schlimmsten waren seine und Lucys Mom mit ihren ständigen Ermutigungen, endlich wieder zu leben. Manchmal gaben sie ihm auch zartfühlende Hinweise dahin gehend, dass er ja noch ein langes Leben vor sich hatte.

Lucy hatte wenige Wochen vor dem Entbindungstermin eine Hirnblutung bekommen. Die Ärzte hielten sie bis nach Fayes Geburt am Leben. Dann stellten sie die Maschinen ab. Er hatte darum gebeten, bis zu einer Woche nach der Geburt zu warten, weil er nicht wollte, dass der Geburtstag seiner Tochter gleichzeitig auch der Todestag ihrer Mutter war.

„Alles in Ordnung?“

„Ja. Tut mir leid. Ich war nur gerade abgelenkt“, sagte er.

„So etwas kommt vor.“ Sie sprach mit einem deutlich texanischen Akzent. Er war so ganz anders als Lucys, dass er … Verdammt, er musste aufhören, an sie zu denken. Er war hier, um einem Freund zu helfen, und jetzt wollte er ausreiten, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dabei sollte er es bewenden lassen.

„Stimmt. Tut mir leid, ich bin im Moment keine besonders gute Gesellschaft. Ich dachte …“

„Hey! Sie brauchen mich nicht zu unterhalten. Wenn es mir mal nicht so gut geht – womit ich nicht behaupten will, es ginge Ihnen nicht gut –, dann nehme ich mir meinen Hengst und reite aus. Dabei denkt man an nichts anderes als an das Pferd und den Weg. Ideal, um den Kopf freizubekommen.“

Ihm war gerade aufgefallen, wie hübsch ihre Lippen waren. Wenn sie ihn anlächelte, schien ihr ganzes Gesicht zu leuchten. „Genau das, was ich brauche.“

„Bevor wir loslegen, muss ich wissen, auf welchem Niveau Sie reiten“, sagte sie. „Wir suchen die Route danach aus.“

„Ich war im College-Polo-Team“, erklärte er. „Ich habe erst vor drei Jahren aufgehört zu spielen. Ich bin ein ziemlich guter Reiter und habe auch heute noch ein Pferd in einem Stall in der Nähe meiner Wohnung. Aber seit der Geburt meiner Tochter bin ich nicht mehr zum Reiten gekommen.“

„Klingt, als könnten Sie etwas eingerostet sein, aber die Grundlagen sind auf jeden Fall da“, überlegte sie. „Wir fangen einfach an und sehen dann, wie es geht.“

„Ganz zu Befehl.“

„Zu Befehl? Ich weiß nicht, ob ich je etwas mit zwei Beinen unter meinem Befehl gehabt hätte.“

Er warf den Kopf zurück und lachte. Die Frau hatte doch wirklich Humor! Er war sich nicht sicher, ob es eine Anmache gewesen war, aber sie hatte etwas Unschuldiges an sich, also vermutete er, dass dem eher nicht so war. Sie war so ganz anders als Lucy, seine verstorbene Frau. Der Stich, den er jedes Mal verspürte, wenn er an sie dachte, überschattete auch diesen Augenblick.

„Lassen Sie uns anfangen“, bat er.

Sie nickte. „Dort drüben ist ein Aufsitzblock, falls Sie Hilfe brauchen. Ich lasse Ihnen den Vortritt.“

„Danke.“ Er führte den Hengst zum Block und schwang sich behände in den Sattel. Er rutschte ein wenig hin und her, bis er die richtige Position gefunden hatte. Das Pferd, das sie für ihn ausgesucht hatte, ließ sich leicht lenken und schien zufrieden mit seinem Reiter.

„Wieso sind Sie hier?“, erkundigte sie sich, als sie sich selbst in den Sattel schwang.

Er wollte den Blick abwenden, konnte es aber nicht. Ihre Jeans schmiegten sich eng an ihren Po, und alle ihre Bewegungen hatten etwas Natürliches. Im Sattel schien sie sich wohler zu fühlen als vorher im Gespräch mit ihm.

„Äh … Ich bin hier, um diesen Maverick aus seinem Versteck zu locken. Ich bin gut darin, Cyber-Footprints zu finden.“

Sie schüttelte den Kopf und machte ein klickendes Geräusch für ihren Hengst, während sie ihm leicht die Fersen in die Weichen drückte. „Ich weiß nicht einmal, was ein Cyber-Footprint ist.“

„Die meisten Menschen denken gar nicht darüber nach, aber mit jeder Aktivität im Internet hinterlassen wir Spuren im Netz – und diesen Spuren kann man folgen.“

„Das ist nachvollziehbar.“ Sie nickte. „Sind Sie bereit für einen Galopp oder möchten Sie es lieber langsam angehen lassen?“, erkundigte sie sich, als sie das offene Land erreichten.

Die freie Landschaft erstreckte sich, soweit er sehen konnte. Es war Oktober. In Seattle war es jetzt regnerisch und wurde kälter, aber hier in Texas war es warm. Er hielt das Gesicht in die Sonne und atmete tief durch. Es war ein schöner Tag, um zu leben.

Plötzlich musste er an Lucy denken. Er schüttelte den Kopf. Nein, weder wollte er jetzt um die Frau weinen, die er verloren hatte, noch um die Familie, die durch ihren Tod zerbrochen war. Nicht jetzt und nicht vor diesem starken, sonnigen Cowgirl.

„Galopp“, sagte er.

„Genau die Antwort, die ich mir erhofft hatte. Folgen Sie mir. Ich fange langsam an und werde dann schneller. Das Gelände ist ideal dafür.“

Sie gab dem Pferd die Sporen. Für einen Moment sah er ihr einfach nur nach, bis sie einen Blick über die Schulter warf, sodass ihr langer Zopf zur Seite flog. Sie lächelte ihn an.

„Kommen Sie?“

„Ich komme!“

Das Reiten war immer Amberleys wichtigstes Mittel der Ablenkung gewesen. Aber jetzt, mit Will an ihrer Seite, fühlte sie sich eher eingeengt als frei. Clay hatte alle auf der Ranch gebeten, Will willkommen zu heißen, und sie versuchte, sich einzureden, dass sie nur das machte. Er war ein ganz normaler Gast der Ranch, zudem ein Mensch aus der Stadt. Er war nur vorübergehend hier. Sie dachte nicht gern an ihre Vergangenheit und den Mann, in den sie sich zu schnell verliebt hatte. Aber Will hatte etwas an sich, das sie an diese Zeit erinnerte.

Dabei war ihr durchaus klar, dass der Vergleich absolut oberflächlich war. Beide Männer waren mit ihrer Art zu leben nicht vertraut gewesen. Sam Pascal hatte nach etwas wie einer Western-Fantasie gesucht, während Will … Er suchte einerseits nach einem Kriminellen, war aber auch vor etwas auf der Flucht. Sie erkannte Trauer in seinem Blick, und wenn er glaubte, dass niemand es sah, spürte sie, wie er mit seinen inneren Dämonen kämpfte.

Etwas, das sie selbst nur allzu gut kannte.

Sie hörte seinen Hengst hinter sich galoppieren und warf einen Blick über die Schulter. Will saß gut im Sattel und bewegte sich wie ein geborener Reiter. Es war schwer, ihn weiterhin als feinen Pinkel zu betrachten, wenn sie ihn so auf dem Hengst sah. Sie drehte sich wieder herum und sah das freie Feld vor sich. Ein goldener Oktobertag.

Ein schöner Tag, um zu leben.

Sie bremste ihren Hengst und wartete darauf, dass Will sie einholte.

Einen Moment später war er an ihrer Seite. Er lächelte breit.

Das habe ich gebraucht!“

2. KAPITEL

„Nicht schlecht für einen Stadtmenschen“, sagte Amberley, während sie die Pferde Schritt gehen ließen. „Es tut mir leid, dass ich Vorurteile hatte, was Ihre Fähigkeiten zu reiten anging.“

Es ließ sich nicht leugnen: Will mochte sie. Sie war offen und ehrlich. Erfrischend. Im Büro behandelten ihn alle wie ein rohes Ei, und zu Hause mit der Nanny sprach er nur über Faye. Aber Amberley war anders. Sie behandelte ihn wie einen ganz normalen Menschen.

Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie dringend er es gebraucht hatte, mit Menschen zusammen zu sein, die die Details seines Lebens nicht kannten. Es hatte etwas Befreiendes an sich, an diesem sonnigen Oktobertag mit dieser Frau auszureiten. Für einen Moment fühlte er sich wieder ganz wie er selbst. Vor der Sache mit Lucy.

Der Gedanke verursachte ihm Gewissensbisse. Er verdrängte ihn rasch.

„Ich wusste nicht, dass Sie mich in eine Schublade gesteckt haben“, sagte er.

Sie setzte den Stetson wieder auf und sah zu ihm hinüber. Ihr Gesicht lag jetzt im Schatten der Hutkrempe, aber er verstand ihre Körpersprache. Sie war frech und witzig, dieses Cowgirl.

Faszinierend.

„Ich hatte Vorurteile, und das war nicht fair. Es ist nur so, als ich das letzte Mal mit Leuten aus der Stadt zu tun hatte, war es auf einer Ferienranch in Tyler. Die meisten waren miserable Reiter. Also habe ich bei Ihnen nichts anderes erwartet. Ich hätte wissen sollen, dass Clay mir nicht umsonst gesagt hat, ich solle Ihnen freie Hand lassen.“ Sie hielt die Zügel locker in der einen Hand, während sie mit der anderen den Stetson zurückschob.

Das tiefe Braun ihrer Augen erinnerte ihn an Kaffee. Ihr Blick war offen und direkt, und er war sich fast sicher, dass er auch einen Sturm der Gefühle zeigte, wenn sie wütend war. Wie mochte er bei der Liebe sein?

Er schüttelte über sich selbst den Kopf.

Es war das erste Mal seit Lucys Tod, dass er wieder Lust verspürte. Es überraschte ihn.

„Offen gestanden, bin ich mir nicht sicher, ob er etwas von meinen Fähigkeiten als Reiter weiß. Ich nehme an, Max hat ihn gebeten, mir das volle Texas-Programm zu zeigen.“

„Möglich. Dann gehört das dazu.“ Sie machte eine weit ausholende Bewegung über das Land.

Er ließ seinen Blick umherschweifen und lehnte sich im Sattel zurück. Es erinnerte ihn an seine Kindheit. Seine Familie hatte etwas Land in Montana, und dort verspürte er immer dasselbe Gefühl von Freiheit.

„Ich bin sicher, ein Ausritt über das weite Land ist nicht das einzig Besondere in Texas“, sagte er. „Sie haben Tyler erwähnt. Haben Sie die Ferienranch einmal besucht?“

„Nein.“ Sie wandte den Blick ab, aber nicht schnell genug, um den Ausdruck der Traurigkeit vor ihm zu verbergen. „Ich habe dort während der Highschool-Zeit im Sommer gearbeitet. Clay hat mir den Job hier angeboten, als ich … als ich bereit war, die Ranch meiner Familie zu verlassen. Mein Daddy fand, dass es auch etwas anderes in meinem Leben geben sollte, als mich immer um meine Geschwister zu kümmern. Er wollte mir eine Chance auf ein eigenes Leben geben. Mein Daddy hat eine mittelgroße Ranch in Tyler. Und Sie? Woher stammen Sie? Aus dem Nordwesten, richtig?“

„Ja, aus Bellevue. Das ist ein Vorort von Seattle.“ Er hatte nie woanders leben wollen. Er liebte die Berge und sein Grundstück am Wasser, aber nach Lucy … Es fiel ihm jetzt schwer, Bellevue wieder zu seinem Zuhause zu machen.

„Lebt dort nicht auch Bill Gates?“

„Wir sind keine Nachbarn.“ Will lachte.

Sie stimmte mit ein. „Das werde ich mir merken. Möchten Sie jetzt zurückreiten oder möchten Sie noch mehr sehen?“

„Was gibt es denn noch?“

„Dort ist die Südweide mit einem Bach. In der Richtung …“

„Lassen Sie mich raten – die Nordweide?“

„Ha! Ich wollte sagen, dort ist der Stall zum Kastrieren. Das machen wir im Frühling.“

Er schüttelte den Kopf. „Auf den Anblick kann ich verzichten.“

„Komisch, das sagen Männer immer.“

Sie neckte ihn, und er bemerkte, dass sich ihr ganzer Ausdruck verändert hatte. Ihr entspanntes Lächeln zeigte volle, üppige Lippen, und die Art, wie sie den Kopf auf die Seite legte und auf seine Antwort wartete, weckte den spontanen Wunsch in ihm, etwas Impulsives zu tun.

Wie, sich zu ihr hinüberzubeugen und sie zu küssen.

Er verwarf die Idee energisch und lehnte sich weiter im Sattel zurück, um etwas mehr auf Distanz zu ihr zu gehen. Aber irgendetwas lag in der Luft – und es war nicht nur ihr Lächeln und der leichte Wind, der über das Land strich. Er saß im Sattel, war in Texas, so weit entfernt von seiner gewohnten Welt, dass er Lust verspürte, jemand anderes zu sein. Ein Mann, der nicht immer erschöpft war von Schlafmangel und den beständigen Zweifeln daran, ob er die richtigen Entscheidungen traf.

Er wusste, dass nichts dabei herauskommen konnte, wenn er Amberley küsste. Er war nicht hier, um eine Affäre zu haben. Er war hier wegen eines Jobs. Davon abgesehen, war er noch nicht bereit für etwas Neues. Das wusste er, aber für einen Moment wünschte er sich, es wäre anders.

„Ich glaube, ich möchte zurück zur Ranch.“

Sie rührte sich nicht. Sah ihn einfach nur an. Ihre Miene hatte sich verschlossen. „Sorry, ich wollte nicht vorwitzig sein. Folgen Sie mir. Galopp oder Schritt?“

„Amberley …“

„Meine Bemerkung war unangemessen. Ich nehme an, ich habe für einen Moment vergessen, dass Sie ein Gast sind.“

„Für wen haben Sie mich denn gehalten?“

„Einfach nur für einen Mann.“ Sie wendete ihren Hengst und ritt den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Will galoppierte Amberley nach und griff ihr in die Zügel. Beide Pferde blieben stehen.

Sie entriss ihm die Zügel und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. „Tun Sie das nie wieder!“

„Ich wusste nicht, wie ich Sie sonst stoppen sollte“, keuchte er. Er war sich nicht sicher, was er falsch gemacht hatte, aber er spürte, dass sich etwas geändert hatte und dass er der Grund war.

„Wieso wollten Sie das?“, fragte sie. „Sie wollen zurück zur Ranch, und ich bringe Sie dorthin.“

„Seien Sie doch nicht so“, bat er. „Es tut mir leid. Mein Leben ist kompliziert.“

Sie nickte. „Jedes Leben ist kompliziert. Nur, weil wir hier auf der Ranch leben, heißt das nicht, dass wir schlichte Hinterwäldler sind.“

Es war nicht seine Absicht gewesen, sie zu verletzen.

Plötzlich fühlte er sich uralt. Nicht wie achtundzwanzig oder wie ein junger Vater, sondern wie Methusalem. Er hasste es. Er war immer … anders gewesen. Sein Vater hatte gesagt, er wäre ein Glückspilz, aber irgendwann würde sein Glück vorbei sein. Er wusste, dass sein Vater keine Freude daran haben würde, recht behalten zu haben. Der Verlust Lucys hatte ihn verändert, und einige sagten, nicht zum Besseren.

„Es tut mir leid.“ Die Worte klangen rau und gezwungen, aber das waren sie nicht. Sie hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden, wie er sie behandelt hatte. Er wollte sie, und er wusste, dass er nichts deswegen unternehmen würde. Er hatte nicht die Absicht, einen anderen Menschen in das Chaos hineinzuziehen, welches sein Leben im Moment war.

„Was genau?“

„Das klang irgendwie blöd, oder? Als ob ich sagen wollte, Ihr Leben sei nicht kompliziert. Das habe ich nicht gemeint. Ich bin im Moment total neben der Spur, und dieser Ritt war schön. Sie sind wunderbar …“

Er verstummte. Was sonst sollte er sagen? Er fand sie süß. Vielleicht hätte er sie gern geküsst, wenn er nicht in diesem Morast von Schuld und Trauer festgesteckt hätte. Dabei wuchsen die Schuldgefühle, weil er spürte, dass seine Trauer abnahm. Es war ja nicht so, dass Lucy von ihm lebenslange Trauer erwartet hätte, aber ein neues Leben zu beginnen war wie ein zweiter Abschied.

„Soweit würde ich nicht gehen“, sagte sie.

„Was?“

„Zu sagen, ich sei wunderbar. Ich meine, ich habe meine Fehler wie jeder andere.“ Sie sagte es leichthin. Wollte ihm damit offensichtlich eine Möglichkeit geben, aus der Dunkelheit zurückzukehren, in die er abgedriftet war. Er erkannte eine Müdigkeit in ihrem Blick, die ihm verriet, dass sie nicht so ganz unbeschadet war, wie er zunächst angenommen hatte.

„Von hier aus sieht es aber so aus“, sagte er schließlich.

„Dann will ich die Illusion nicht zerstören.“

Da sie das Thema jetzt angeschnitten hatte, wollte er herausfinden, was es damit auf sich hatte. Sie wirkte unkompliziert. Er musste daran denken, wie er in ihrem Alter gewesen war. Damals war das Leben noch unbeschwert gewesen.

„Erzähl es mir“, bat er und war dabei unwillkürlich auf das vertraute Du übergegangen.

Sie schien es nicht bemerkt zu haben oder akzeptierte es stillschweigend, denn sie ging nicht weiter darauf ein.

„Was soll ich dir erzählen?“

„Was an dir nicht wunderbar ist.“

„Ah, das ist schnell getan. Ich bin unbeherrscht. Ich glaube, das habe ich ja gerade bewiesen.“

„Stimmt.“ Er lachte. „Aber das könnte man auch als Schlagfertigkeit bezeichnen. Ich mag schlagfertige Frauen.“

„Tatsächlich?“ Sie schüttelte den Kopf. „Und wie sieht es bei dir aus? Was hast du für Fehler?“

„Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll.“ Er wusste auch nicht, ob er das überhaupt wollte. Er fühlte sich in letzter Zeit wie erdrückt von Schuldgefühlen. Nur wenn er mit Faye zusammen war oder wenn er arbeitete, konnte er sich davon freimachen. „Ich bin nicht so clever, wie ich einmal gedacht habe.“

Sie lachte. „Ich glaube, das gilt für uns alle. Wollen wir ein Wettrennen zurück zum Stall machen?“

„Gern, aber da ich ja eine Weile nicht im Sattel gesessen habe, habe ich einen kleinen Vorsprung verdient.“

„Ha, was für ein Blödsinn! Hätte ich dich nicht reiten sehen, wäre ich ja vielleicht darauf hereingefallen.“

„Es war einen Versuch wert.“

Ein leichter Windzug löste eine Strähne aus ihrem roten Haar und wehte sie ihr ins Gesicht. Will umklammerte die Zügel fester, um sich davon abzuhalten, die Hand auszustrecken und sie zu berühren.

Er war gerade auf Distanz zu ihr gegangen. Ein kluger Mann würde es dabei belassen. Ein kluger Mann würde daran denken, dass Amberley keine Frau war, mit der man spielen sollte. Aber in diesem Moment fühlte Will sich nicht klug. Er fühlte sich einsam. Es war so lange her, dass er frei geatmet und dabei keinen Krankenhausgeruch in der Nase gehabt hatte. Er wollte hierbleiben, bis es dunkel wurde. Wollte darüber nachdenken, wie er das Leben zurückhaben konnte, das er einmal gehabt hatte. Er wollte …

Er wollte etwas haben, das er nicht haben konnte. Das wusste er.

„Hey, Will?“

Er sah auf und begriff, dass sie ihn die ganze Zeit angesehen hatte.

„Ja?“

„Mach dir keinen Kopf. Ich habe ein Problem mit Stadtmenschen, und es ist deutlich, dass du noch ein Problem mit der Mama des Babys hast. Du bist ein heißer Typ, und die Art, wie du reitest, weckt Gefühle in mir, über die ich lieber nicht sprechen möchte, aber das war’s dann auch schon. Du bist auf der Flying E, um zu arbeiten. Du bist ein Gast, und genauso werde ich dich auch behandeln. Glaub also nicht …“

„Was sind das für Gefühle?“, unterbrach er sie.

Will fühlte sich plötzlich kühn und verwegen, und er würde jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Er wollte sie küssen. Er wollte sie vom Pferd holen, sie in seine Arme nehmen und sehen, wohin das führte.

„Wie schon gesagt: Darüber möchte ich lieber nicht sprechen.“

Er sprang aus dem Sattel und ließ die Zügel zu Boden fallen. Ein prüfender Blick verriet ihm, dass das Pferd so stehen blieb.

Er ging zu Amberley und blieb neben ihrem Pferd stehen. Er konnte ihr jetzt in die Augen sehen, und er war sich nicht sicher, wie er ihren Ausdruck deuten sollte. Er wollte glauben, dass es Verlangen war. Dasselbe Verlangen, das auch er spürte. Aber vielleicht machte er sich etwas vor.

„Komm runter“, bat er. „Lass uns nur für diesen Nachmittag einmal so tun, als wären wir nicht die Menschen, die wir sind. Ich bin kein Gast, und du arbeitest nicht auf der Ranch. Wir sind einfach nur ein Mann und eine Frau, und wir haben diesen wunderbaren Nachmittag, den wir zusammen verbringen dürfen.“

Amberley konnte sich nicht erinnern, wann sie sich mehr danach gesehnt hatte, aus dem Sattel zu kommen. Aber ihr Bauchgefühl sagte Nein. Dies war keine unbeschwerte, unkomplizierte Angelegenheit. Das letzte Mal, als sie sich von einem Mann hatte einlullen lassen, hatte es nicht gut geendet. Es spielte keine Rolle, dass sie jetzt älter und klüger war. Oder dass sie es sein sollte.

Das Reiten hatte ihr damals nicht geholfen, als sie achtzehn gewesen war, allein und schwanger, und es half ihr jetzt nicht. Will stand vor ihr, nicht in der aufgesetzten Cowboy-Manier so vieler Städter, sondern ganz natürlich, als würde er dazugehören. Er spielte ihr nichts vor, sondern war nur hier, um seinen Job zu machen.

Und ihr Job war es, es ihm möglichst angenehm zu machen.

Was konnte angenehmer sein, als die Zeit hier draußen zu verbringen?

Es war dumm. Einfach nur dumm.

Sein Haar war dick und gewellt. Er trug keinen Stetson, daher konnte sie sehen, wie er es zerzaust hatte, als er mit seinen Fingern hindurchgefahren war. Sie wollte nicht absteigen. Sie wollte vernünftig bleiben.

Bitte, Amberley, sei vernünftig!

Aber das war sie noch nie gewesen. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie schon in so jungen Jahren so viel Verantwortung übernommen hatte. Sie hatte sich immer um ihre jüngeren Geschwister kümmern müssen. Aber das war in Tyler gewesen, und dort war sie nicht mehr. Jetzt musste sie sich nur um sich selbst kümmern.

Und dies hier war sicher. Er wollte einfach nur den Nachmittag mit ihr verbringen. Einen einzigen Nachmittag.

Das konnte sie doch wohl machen, ohne dass es gleich eine Katastrophe gab.

Sie bewegte sich, um abzuspringen. Dabei sah sie Wills Lächeln und den Ausdruck der Erleichterung in seinem Gesicht.

Er war unsicher. Genau wie sie.

Nur, dass er nicht wie sie war. Er hatte Bindungen. Es gab so vieles, was sie nicht wusste. Wo war die Mutter seines Babys? Das Kind war noch zu klein, um nur mit seinem Vater und einer Nanny zu leben. Konnte es hier wirklich nur um einen Nachmittag gehen?

Falls ja, dann spielte die Mom keine Rolle. Es sei denn, sie waren noch zusammen. Das wäre dann …

„Hey, ich will ja nicht neugierig sein, aber wo ist die Mutter deines Babys? Du bist nicht mehr mit ihr zusammen, oder?“, fragte sie.

Er wich zurück. Geriet fast ins Stolpern. Plötzlich wünschte sie, den Mund gehalten zu haben.

Er war kreidebleich geworden und wandte sich mit einem leisen Fluch von ihr ab.

„Nein, sind wir nicht.“ Er schwang sich in den Sattel. „Sie ist tot.“ Er schnalzte mit der Zunge und gab seinem Pferd die Sporen, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Amberley erstarrte. Sie spürte eine Woge der Trauer über sich hinwegrollen. Ein Teil von ihr war gestorben, als sie die Fehlgeburt erlitten hatte. Wenn sie Will jetzt so betrachtete, dann wurde ihr bewusst, dass sie wie zwei Seiten einer Medaille waren: Sie hatte kein Baby und keine Familie, während er ein Baby hatte, aber keine Mutter für das Kind. Er versuchte wie sie, irgendwie mit diesem Verlust fertigzuwerden.

Sie wusste, dass Reiten gelegentlich half, aber es war ihr nie gelungen, den Schmerz dadurch richtig loszuwerden. Die Erinnerungen und die Wahrheit ihres Lebens warteten mit gnadenloser Beharrlichkeit auf sie. Sobald sie sich aus dem Sattel geschwungen hatte, waren sie wieder da.

Sie folgte Will so dicht, dass sie ihn hätte warnen können, falls er einen Weg wählte, der nicht sicher war, aber er machte keine Fehler.

Sie ließ ihr Pferd Schritt gehen, als Will mit seinem Hengst im Stall verschwand. Vielleicht sollte sie ihm einfach Zeit lassen zu gehen, bevor sie den Stall betrat.

Ihr Blick fiel auf den Platz, den sie sich hergerichtet hatte, um für das Barrel-Racing zu trainieren. Sie ritt hinüber. Wenn die Arbeit auf der Ranch ihr die Zeit ließ, nahm sie ihren Hengst und trat bei Rodeo-Veranstaltungen an.

3. KAPITEL

Will hatte die letzten zehn Minuten im Stall verbracht, um einer Konfrontation mit Amberley aus dem Weg zu gehen. Er war ja förmlich vor ihr davongelaufen – eine dumme Reaktion auf ihre harmlose Frage nach Fayes Mutter.

Er gab es ja nur ungern zu, aber es sah ganz so aus, als würde er schon mit achtundzwanzig so wie sein Vater. Und das lag nicht an Faye, sondern allein an ihm. Es war, als hätte er den Funken verloren, der ihn immer angetrieben hatte. Die Therapeutin, die er auf Wunsch seiner Mutter zweimal aufgesucht hatte, sagte nur, die Trauer brauche einfach ihre Zeit.

Als er den Stall verließ, sah er Amberley mit ihrem Pferd im Ring. Offenbar trainierte sie für das Barrel-Racing. Sie war eins mit dem Tier, als sie um die Tonnen herumritt. Der Zopf flog hinter ihr her, wenn sie sich in die Kurven lehnte und sich tief über den Hals des Pferdes beugte. Wahrscheinlich spornte sie den Hengst mit Rufen an.

Er sah ihr zu. Sah ihr zu und begehrte sie. Es war Lust. Unverkennbar. Auch wenn er trauerte, hieß das nicht, dass er tot war.

Amberley stoppte den Hengst am Ende der Runde und sah zum Stall hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Er kam sich dumm vor, einfach nur so da zu stehen.

Er applaudierte. Das erschien ihm dann allerdings auch dumm.

Sah ganz so aus, als hätte er seinen Verstand in Seattle gelassen. Hier war irgendwie alles anders. Er versuchte, seine Gefühle zu rechtfertigen. Als ob er eine Entschuldigung dafür brauchte, eine Frau hübsch zu finden und von ihr angeturnt zu sein.

Aber das war sein Problem, nicht Amberleys. Es war ihr gegenüber nicht fair, sie in das Chaos der Gefühle zu bringen, das er im Moment durchlebte.

Sie nickte ihm zu und wandte sich ab. Hakte ihn ab.

Er hatte seine Chance gehabt, und er hatte sie vermasselt.

Vielleicht war es am besten so. Er musste sich um Faye kümmern und einen Cyberkriminellen überführen. Er sollte sich wieder an die Arbeit machen. Ohne Amberley einen weiteren Blick zu schenken, machte er kehrt und fuhr mit dem Golfwagen, der ihm hier auf der Ranch zur Verfügung stand, zu seinem Haus. Clay Everett hatte sich in jeder Hinsicht sehr großzügig gezeigt. Ihm lag erkennbar viel daran, dass Will herausfand, wer sich hinter diesem Maverick verbarg.

Während er sich immer weiter vom Stall und dem Cowgirl entfernte, blieben seine Gedanken bei ihr. Er malte sich aus, wie der Nachmittag auch hätte verlaufen können …

Die Nanny, Erin Sinclair, wartete schon an der Tür auf ihn.

„Faye schläft, und ich muss rasch in die Stadt, um noch Babynahrung zu kaufen. Ist es okay, wenn ich jetzt fahre?“, fragte sie.

Er hatte Erin bereits vor Lucys Tod für das Baby eingestellt. Seine verstorbene Frau hatte als Repräsentantin eines großen Pharmazieunternehmens gearbeitet und war daher viel unterwegs. Will arbeitete viel von seinem Büro in der Wohnung aus, aber dabei war er meist sehr konzentriert und bekam nichts mit, was um ihn herum passierte. Es war also klar, dass Lucy und er Hilfe brauchten, wenn das Baby da war.

„Ja, fahren Sie nur“, sagte er.

Er ging in das Schlafzimmer, das sie für Faye hergerichtet hatten, und betrachtete das Gesicht seiner schlafenden Tochter. Er versuchte, Lucy in ihren Zügen zu erkennen, aber er fing an zu vergessen, wie sie aussah. Natürlich hatte er Fotos von ihr, aber er wusste schon nicht mehr, wie sie aussah, wenn sie ihn anlächelte. Oder wie das Gefühl war, das sie mit einem einzigen Blick in ihm erregen konnte. Mit einem Blick, den kein Foto einfangen konnte.

Verdammt.

Er verließ das Zimmer. Er hatte eine Monitor-App auf seinem Handy und immer ein Fenster auf einem der vielen Monitore in seinem Büro von ihr geöffnet, sodass er sie im Blick haben konnte.

Er betrat das große Schlafzimmer, das er für die Dauer seines Aufenthaltes in Royal zu seinem Arbeitszimmer umfunktioniert hatte. Vier große Monitore waren an verschiedene Rechner angeschlossen und ließen diverse Programme laufen, die reagieren würden, sollte Maverick wieder online gehen.

Fast alle Angriffe waren über das Netz gekommen. Daraus hatte Chelsea geschlossen, dass sich dieser Maverick – wer auch immer sich dahinter verbergen mochte – mit dem Internet gut auskennen musste. Das konnte ihnen durchaus helfen, denn es gab nicht viele ausgefuchste Software-Experten in Royal. Andererseits würde ein Hacker seine Kenntnisse nicht unbedingt an die große Glocke hängen.

Will wusste, wie er den digitalen Fingerabdruck in einem Code erkannte. Maverick hatte seine Gewohnheiten wie jeder andere, und eben danach suchte Will. Diese Gewohnheiten waren eine Spur, die zu dem Kriminellen führen konnte.

Er öffnete seinen Laptop, nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle Programme auf dem Rechner noch wie gewünscht liefen. Ohne lange nachzudenken, rief er Amberley Holbrook auf. Es überraschte ihn nicht, ihren Namen bei diversen Rodeo-Veranstaltungen von Texas bis Oklahoma und Arkansas zu sehen. Oft war sie die Siegerin oder war wenigstens unter den ersten dreien im Barrel-Racing. Es gab ein Foto von einem ihrer letzten Siegläufe. Er klickte es an, um auf ihr Gesicht zu zoomen. Ihre Miene verriet höchste Konzentration, zeigte aber auch das strahlendste Lächeln, das er je gesehen hatte.

Die Frau war eindeutig am glücklichsten auf dem Rücken ihres Pferdes.

Wieso eigentlich? Er dachte darüber nach, wie sie war, wenn sie nicht auf einem Pferd saß. Immer wachsam und abwartend. Da er selbst sich auch so zu verhalten begann, fragte er sich, was passiert sein mochte, das sie dazu gebracht hatte, solche Mauern um sich herum zu errichten. Denn Mauern waren es, das war unschwer zu erkennen.

Warum nur? Und wieso interessierte es ihn überhaupt?

Weil sie ihn faszinierte. Sie war anders. Witzig, sexy, frech. Sie ließ ihn an Dinge denken, die ihm schon lange nicht mehr in den Sinn gekommen waren.

Und ausgerechnet ihr hatte er gerade den Rücken zugekehrt. Er hatte selbst zu viele Probleme, um sich auf eine Frau einzulassen, die an Texas und diese Ranch gebunden war. Er war nur hier, um diesen Maverick zu finden, dann ging es zurück nach Seattle. Dort konnte er dann langsam an Schuld und Trauer eingehen.

Das klang doch wirklich erbärmlich. Er hatte nie zu den Menschen gehört, die sich in Selbstmitleid ergingen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass Faye einen solchen Mann zum Vater haben wollte.

Er wusste, dass er sich ändern musste.

Er war hierhergekommen, weil Max ihn um Hilfe gebeten hatte, aber auch, weil Will fortkommen wollte von den Erinnerungen, von der Trauer und von seinen Schuldgefühlen. Aber er war noch nicht in der Lage, wieder neu durchzustarten. Zuerst einmal musste er herausfinden, was er überhaupt wollte. Amberley war eine Ablenkung gewesen. Aber auch etwas mehr. Sie war offen und ehrlich. Das gefiel ihm.

Sie gefiel ihm.

Wäre er an einem anderen Punkt seines Lebens, dann hätte er auf dieses gewisse Etwas reagiert, das da zwischen ihnen war. Aber unter den jetzigen Umständen? Da wäre es ihr gegenüber nicht fair.

Wer behauptete denn, dass das Leben fair war? Die Worte seiner Therapeutin gingen ihm durch den Sinn. Er hatte die Tatsache beklagt, dass Faye ihre Mutter nie kennenlernen würde und dass das nicht fair sei.

Gut, das Leben mochte nicht fair sein, aber er wusste, er konnte Amberley nicht einfach ausnutzen und dann gehen. Das wäre nicht richtig.

Dennoch faszinierte sie ihn.

Amberley ließ die Musik der Rockband My Chemical Romance in voller Lautstärke dröhnen, während sie sich fertigmachte. Es war Freitagabend, und zwei Tage waren vergangen, seit … seit dieser wie auch immer gearteten Begegnung mit Will. Sie versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, dass er ein Stadtmensch war. Sie hätte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen sollen, aber die Erkenntnis konnte nicht verhindern, dass er seit zwei Nächten durch ihre Träume geisterte.

Als ihre Cousine aus Midland anrief und sagte, sie wäre Freitagabend in Royal und hätte Lust, etwas mit ihr zu unternehmen, stimmte Amberley sofort zu. Normalerweise liebte sie es, es sich im Pyjama vor dem Fernseher gemütlich zu machen und ihre Lieblingsserien auf Netflix anzusehen, aber an diesem Abend musste sie einfach auf andere Gedanken kommen.

Sie hatte genug Zeit, um zu lauter Countrymusik zu tanzen, zu viel Tequila zu trinken und zu flirten. Es war lange her, seit sie das letzte Mal wirklich Dampf abgelassen hatte, und es war Wochenende. Auch wenn sie sich manchmal so benahm, als stände sie kurz vor der Rente, war sie doch noch jung.

Nur dass sie sich nicht so fühlte. Sie hatte eine Last auf dem Herzen, wodurch sie sich älter vorkam, als sie eigentlich war. Als Will sagte, sein Leben wäre kompliziert, hatte sie es nachvollziehen können, weil sie diesen Zustand kannte.

Sie wusste, wie es war, ein totales Chaos zu sein und so tun zu müssen, als wäre alles normal. Das hatte sie ein ganzes Jahr lang getan, nachdem sie das Baby verloren und die erschütternde Nachricht erhalten hatte, dass sie nie mehr in der Lage sein würde, ein Kind zu haben. Sie hätte sich freuen sollen, dass er nur gesehen hatte, was sie ihn hatte sehen lassen wollen: ein Cowgirl, das gut mit Pferden umgehen konnte.

Aber diese innere Verbindung, die sie zu ihm gespürt hatte, hatte den Wunsch in ihr geweckt, ihn mehr von sich sehen zu lassen.

Doch das hatte er nicht. Er hatte es nicht gesehen.

Sie trug ihre gute Jeans. Eine Dark Wash, die saß wie eine zweite Haut. Dazu ein Paar handgefertigter Stiefel, das ihre Geschwister ihr zu Weihnachten geschenkt hatten. Darüber kam ein leichtes Top. Sie hatte sich die Zeit genommen, sich das Haar zu föhnen und ließ es offen über ihre Schultern fallen, statt es wie sonst einfach zu einem Zopf zu binden.

Sie legte noch etwas Lipgloss auf, bevor sie sich ihre Tasche schnappte und das Haus verließ. Sie war schon auf halbem Weg zu ihrem Wagen, als sie merkte, dass jemand auf ihrem Hof war. Nicht, dass es wirklich ihr Hof gewesen wäre, denn es gehörte ja alles Clay, aber sie meinte damit den kleinen Bereich direkt vor ihrem Haus.

Amberley sah hinüber und erkannte, dass es sich bei diesem Jemand um einen Hund handelte. Ein abgemagerter, struppiger Hund, der klagende Laute von sich gab, die sie nicht ignorieren konnte. Sie warf die Tasche auf die Kühlerhaube ihres Wagens und ging langsam auf das Tier zu, um es nicht zu verschrecken. Als sie nahe genug herangekommen war, ging sie in die Hocke und hielt ihm ihre Hand hin, damit er sie beschnüffeln konnte.

Das Tier winselte und kam langsam näher. Sie bemerkte, dass der Hund hinkte. Eines seiner Beine war verletzt. Genau die Ablenkung, die sie brauchte. Tiere waren das einzige Gebiet, in dem sie wirklich gut war.

Sie wartete, bis der Hund nähergekommen war. Jetzt fiel ihr auf, dass er um einen Hinterlauf Dornengestrüpp hatte. Als sie nach dem Bein griff, knurrte er leise und wich zurück.

„Alles gut, Junge. Alles gut. Aber wir müssen damit zum Tierarzt“, sagte sie und zog dabei schon das Smartphone aus der Tasche, um ihre Cousine zu informieren, dass sie etwas später kommen würde. Dann ging sie ins Haus, holte eine Decke, eine Schale und eine Flasche Wasser.

Der Hund war an genau der Stelle geblieben, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Er wartete auf sie.

„Guter Junge. Du bist doch ein Junge, oder?“, fragte sie.

Der Hund antwortete nicht – nicht, dass sie es erwartet hätte. Sie stellte die Schale vor ihn und gab ihm etwas Wasser. Während er trank, schickte sie dem Tierarzt eine Nachricht, um ihn zu informieren, dass sie mit einem Hund vorbeikommen würde. Natürlich war es außerhalb der Praxiszeiten, aber Clay hatte eine Vereinbarung mit dem Arzt, dass er rund um die Uhr für die Ranch bereitstand.

Die nächste Stunde verbrachte sie mit dem Hund beim Arzt. Am Halsband befand sich ein Chip, über den sie die Besitzer des Tieres erreichten. Sie waren sehr froh darüber, ihren Liebling wiedergefunden zu haben. Amberley wartete bis zu ihrem Eintreffen, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Cousine machte. Eigentlich hatte sie gar keine Lust mehr, noch auszugehen.

Der Hund, Barney, erinnerte sie daran, wie einsam sie war. Sogar er hatte noch ein Zuhause und Besitzer, die sich freuten, ihn wiederzuhaben. Amberley war ihnen dankbar dafür, aber ein Teil von ihr hatte gehofft, dass er niemanden hatte. Dass er vielleicht sie brauchte.

Sie hasste diese Depressionen. Sie hatte endlich alles abgehakt, was ihr mit achtzehn passiert war, und nun brachte so ein Stadtmensch sie dazu, über ihre Situation ins Grübeln zu kommen. Kein anderer Typ war ihr bisher so unter die Haut gegangen. Aber er hatte etwas an sich, das in ihr den Wunsch weckte, mehr für ihn zu sein. Etwas, das sie sich schon lange nicht mehr gewünscht hatte.

Aber so war es.

Sie hätte ihn gern wiedergesehen.

Ihre Cousine wartete auf dem Parkplatz des Wild Boar. Das war ein Lokal, in dem man gut essen und trinken konnte und in dem es am Wochenende auch eine kleine Tanzfläche mit Livemusik gab. Hinten im Raum gab es Billardtische und einen mechanischen Bullen. Wenn man nicht gerade zu den ersten Kreisen von Royal gehörte und Mitglied im Texas Cattleman’s Club war, dann war dies der Ort, um einen netten Abend zu verbringen.

„Hey, Mädchen! Hast du Lust, Dampf aus dem Kessel zu lassen?“

Sie nickte. Vielleicht machte ihr ein Abend hier wieder einmal klar, wohin sie gehörte und zu wem – definitiv nicht zu einem heißen Typen aus Seattle.

Mitternacht war Wills liebste Zeit. Dann war sein Kopf am klarsten, und das war in dieser Nacht nicht anders. Faye war wie er eine kleine Nachteule. Sie spielte auf dem Boden zu seinen Füßen, während er zusah, wie die Computercodes über die Monitore liefen.

Sie war weinend aufgewacht. Erin war müde, weil Faye gerade Zähne bekam und daher den ganzen Tag über sehr anstrengend gewesen war. Da Will ohnehin bis spät in die Nacht arbeitete, waren sie übereingekommen, dass er die Nachtschicht bei Faye übernahm.

Maverick mochte nicht der cleverste Hacker sein, aber wer auch immer dahintersteckte: Er wusste das Internet zu nutzen und seine Spuren zu verwischen. Er hätte jemanden mit weniger Erfahrung täuschen können, aber Will hatte bereits in seinen Highschoolzeiten für eine Softwarefirma gearbeitet, an der sein Vater beteiligt war, und nach Hackern gesucht. Er hatte Jahre damit verbracht, Menschen zu finden, die nicht gefunden werden wollten.

„Dada.“

„Ja?“ Er sah zu Faye hinunter. Sie hielt ihm einen großen runden Bauklotz hin.

Er nahm ihn ihr ab.

Gleich griff sie nach einem anderen und hielt ihm auch den hin. Das war im Moment ihr Lieblingsspiel. Sie gab ihm alles, was um sie herum lag, und dann musste er ihr alles zurückgeben, damit sie es vor ihm aufbauen konnte.

Als sie fertig war, setzte er sich zu ihr auf den Boden, und sie kroch auf seinen Schoß. Er drückte sie an sich. Das Herz lief ihm über, wenn er seine Tochter so hielt. Sie roch süß und nach Babypuder. Er wusste, dass Süße kein Duft war, aber wenn er Faye so hielt, war es das einzige Wort, das alles erfasste.

Er ging mit ihr auf dem Arm durch das Haus, während sie etwas vor sich hin brabbelte. Da er die PCs so eingerichtet hatte, dass sie ihm ein Signal auf das Handy schickten, sobald die Scripts durchgelaufen waren, zog er Faye eine Jacke über, um mit ihr nach draußen zu gehen. Er war in Bellevue am Wasser aufgewachsen, und einige seiner ersten Erinnerungen betrafen ihn und seine Mom, wie sie nachts draußen waren und den Himmel betrachteten.

Er wusste, dass Kinder um diese Zeit eigentlich im Bett sein sollten, aber Faye war noch nicht müde. Wahrscheinlich war es seine Schuld, weil er am Nachmittag lange mit ihr zusammen geschlafen hatte. Seit sie in Royal waren, war seine innere Uhr irgendwie durcheinander geraten.

Während er mit Faye zum Stall ging, erzählte er ihr die Geschichten, die er von seiner Mom gehört hatte. In ihrer Familie fuhren viele Männer zur See. Der Himmel und das Wasser spielten eine wichtige Rolle in ihrem Leben.

Er hörte ein Motorengeräusch und drehte sich um. Ein großer Pick-up bog um die Ecke. Vorsichtshalber trat er beiseite, um dem großen Wagen nicht im Weg zu sein.

Der Wagen verlangsamte die Fahrt, und das Fenster auf der Beifahrerseite wurde heruntergelassen. Will trat näher und erwartete, Clay Everett zu sehen. Hätte er eine Frau wie Sophie zu Hause, würde er mit Sicherheit nicht die Nacht damit verbringen, die Ranch zu inspizieren.

„Hey, Will! Alles in Ordnung?“ Es war Amberley.

Er war überrascht, sie zu sehen. Sie war offensichtlich aus gewesen, denn sie roch leicht nach Rauch. Das Haar fiel offen auf ihre Schultern herab und wirkte so ganz anders als sonst mit dem straff gebundenen Zopf. Es juckte ihn, seine Finger hindurchgleiten zu lassen.

Er bedauerte, dass er neulich am Nachmittag gegangen war. Ein Kuss. Wäre das wirklich so schlimm gewesen? Nicht einmal Lucy hätte ihm das missgönnt. Aber er hatte es nicht dazu kommen lassen.

Stattdessen wuchs sein Verlangen. Mit jedem Tag schien es größer zu werden, und er wusste, er verlor langsam die Kontrolle.

„Alles in Ordnung. Faye ist eine Nachteule wie ich, deswegen habe ich einen Spaziergang mit ihr gemacht.“

Faye hörte ihren Namen und begann wieder zu brabbeln.

„Möchtest du Gesellschaft?“ Amberley sah ihn fragend an.

„Gern.“

Sie stellte den Motor ab und kam zu ihm herum. Der Duft ihres Parfums stieg ihm in die Nase. Es erinnerte ihn an Frühlingsblumen. Es ging eine leichte Brise. Amberley legte den Kopf zurück und sah zum Himmel auf.

„Als ich klein war, hat mein Dad uns immer erzählt, wenn wir richtig brav wären, würden wir einen ganz besonderen Engel am Himmel sehen.“

„Und? Hast du je einen gesehen?“

„Da ist er.“ Amberley deutete zur Venus.

„Das ist die Venus.“

„Nun lass mal deine Fantasie spielen, Brady. Das ist mein besonderer Engel. Er wacht nachts über mich.“

„Wirklich?“

Amberley nickte. Aber sie sah nicht mehr nach oben, sie sah Faye an. „Über dich wird er auch wachen, Süße.“

Faye bestätigte es mit langem Gebrabbel. Amberley hörte ihr zu. Als die Kleine fertig war, nickte sie. „Ich weiß. Es ist schwer zu glauben, dass dort oben jemand über dich wacht, aber es ist so.“

Faye brabbelte weiter.

„Deine Mama?“, fragte Amberley, als sie fertig war.

Faye brabbelte, und es endete mit „Mamamam.“

„Meine auch. Wahrscheinlich sind sie Freundinnen“, sagte Amberley.

Faye streckte die Ärmchen nach ihr aus. Amberley sah Will fragend an. Als er zustimmend nickte, nahm sie ihm die Kleine ab. Er sah zu, wie die beiden miteinander redeten. Sie war gut mit dem Baby. Es hatte ihn überrascht, dass Faye zu ihr wollte. Für gewöhnlich war sie bei Fremden sehr zurückhaltend.

Plötzlich bemerkte er, dass die beiden ihn ansahen.

„Normalerweise ist sie nicht so zutraulich bei Fremden“, sagte er.

„Wir sind ja keine Fremden“, erklärte Amberley. „Wir haben uns lang und breit unterhalten, während du sie gehalten hast.“

„Das habt ihr wirklich.“

Erst jetzt spürte er, wie seine Anspannung wich. Ihm lag daran, dass Faye Amberley mochte. Denn ganz gleich, wie viele Schuldgefühle er später haben mochte: Er würde sie gern näher kennenlernen.

4. KAPITEL

Der Nachthimmel war klar. Man konnte viele Sterne und den abnehmenden Mond sehen. Amberley legte den Kopf zurück und spürte, wie die Emotionen der vergangenen Woche von ihr abfielen. Das Baby in ihren Armen war weich und süß. Die Kleine gurrte vor sich hin und zeigte nach oben, als sie weitergingen. Amberley kämpfte gegen einen Schmerz in ihrem Herzen. Einen Schmerz, den sie überwunden zu haben meinte.

Sie liebte Babys. Liebte ihr Lächeln und ihr Lachen. Liebte ihre Art zu kommunizieren, wenn man sich nur die Mühe machte, ihnen zuzuhören.

Ihr Dad hatte ihr gesagt, sie sollte die Hoffnung auf eine Familie nicht aufgeben, aber durch die Totaloperation, die sie mit achtzehn gehabt hatte, hatte sich das Thema eigentlich erledigt. Sie konnte kein eigenes Kind haben, also verwöhnte sie alle kleinen Kinder, die sie traf.

„Du bist ziemlich schweigsam“, sagte sie, als sie begriff, dass Will mehrere Minuten lang nichts gesagt hatte. Sie hatte vorgeschlagen, sich auf die Ladefläche ihres Pick-ups zu legen und den Nachthimmel zu betrachten. Will hatte zugestimmt, aber nur, bis Faye schläfrig wurde.

„Ich versuche mal, die App in Gang zu bringen“, sagte er.

Er hatte erwähnt, dass er eine App hatte, die die Aktivitäten von Kometen und Meteoriten aufzeigte. Amberley breitete die Decke aus, die sie immer für ein Picknick dabei hatte, und spielte mit Faye, während er sich bemühte, das technische Problem zu lösen.

„Falls die App nicht funktioniert, können wir uns einfach Geschichten einfallen lassen“, schlug sie vor.

„Was für welche?“

„Der Stern dort drüben ist Lucky.“

„Lucky? Das heißt, er bringt Glück?“

„Nein, er heißt so. Manchmal fällt der Stern auf die Erde, und tagsüber tritt er dann als Superstar auf. Nachts verschwindet er wieder im Himmel und bleibt fest an seinem Platz, damit kleine Cowgirls und Cowboys, die so spät noch unterwegs sind, den Weg nach Hause finden.“ Eine solche Geschichte hatte ihr Vater ihr einmal erzählt, als sie zehn gewesen war.

„Dann will ich es auch einmal versuchen.“ Will lehnte sich gegen die Rückwand der Fahrerkabine. Faye krabbelte zu ihm, und er hob sie auf seinen Schoß. Sie drehte sich, sodass sie mit ihrem Rücken auf seiner Brust lag.

Die beiden waren so süß zusammen, fand Amberley. Die kleine Faye tat ihr leid. Auch wenn sie die Liebe und Aufmerksamkeit ihres Vaters hatte – eines Tages würde sie ihre Mom brauchen. Amberley fühlte sich den beiden so nah, weil sie sich selbst in ihnen sah.

„Siehst du die Konstellation?“ Er deutete zum Sirius.

„Ja.“

„Das ist Lobo. Er ist richtig gut darin, die Leute zu fangen, die sich in den Schatten herumdrücken. Jede Nacht sieht er auf die Erde herunter und sucht sie. Tagsüber verwandelt er sich dann in einen Computercode und hilft, die bösen Buben zu fangen.“

Sie lächelte. „Wie du.“

„Ja, wie ich.“

„Wie läuft es? Darf man danach fragen?“

Faye drehte sich in seinen Armen herum. Er hob sie etwas höher, und sie schmiegte ihr Gesichtchen an seinen Hals.

„Es läuft ganz gut“, sagte er leise, um seine Tochter nicht zu stören.

„Das freut mich. Wirst du lange bleiben?“

„Wahrscheinlich einen Monat.“

Einen Monat. Das war nicht genug Zeit für etwas Ernstes.

„Ich würde gern mehr über das erfahren, was du machst“, sagte sie. In der Bar war ihr klar geworden, dass keiner der Männer sie davon abhielt, an Will zu denken. Wahrscheinlich war es nicht sehr klug, aber sie hatte beschlossen, ihm nicht auszuweichen, solange er sie nicht dazu zwang.

„Komm mal vorbei, dann zeige ich es dir. Es klingt aufregender, als es ist. Meist sitze ich einfach in einem dunklen Zimmer, lasse die Rechner laufen und versuche, an den Codes etwas abzulesen.“

„Das ist mir so unglaublich fremd. Ich verbringe meine ganze Zeit draußen und mit Tieren. Ich meine, ich habe ein Smartphone, das mich mit der Welt verbindet, aber ich besitze nicht einmal einen Computer.“

„Bei deiner Arbeit brauchst du ihn nicht. Mit einem Smartphone kannst du das meiste auch ohne PC erledigen.“

„Soll ich euch beide nach Hause bringen?“, fragte sie.

„Ich habe keinen Kindersitz dabei, daher sollten wir es lieber lassen.“

Sie kam sich albern vor, weil sie es von Kindesbeinen an gewohnt gewesen war, hinten auf dem Truck mitzufahren. Es war wohl nicht besonders sicher, aber es gab hier nicht viel, das einen Unfall verursachen konnte. Dieser Punkt bewies ihr wieder einmal mehr, wie unterschiedlich sie waren.

Aber er war ja ohnehin nur für einen Monat hier.

Wieso versuchte sie, irgendwie einen Dreh zu finden, ihm näherzukommen?

Sie wusste, wieso. Sie war einsam. Seit dem letzten Mann in ihrem Leben war ein Jahr vergangen. Sie hatte Pete bei einer Rodeoveranstaltung kennengelernt, und anschließend hatten sie sich wieder getrennt. Aber jetzt spürte sie, wie sich etwas in ihr regte.

Vielleicht war es einfach nur Lust.

Sie seufzte.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Will sie anstarrte. Verdammt. „Tut mir leid. Ich nehme an, ich bin müde. Was hast du gesagt?“

Er schüttelte den Kopf und rückte beiseite, um Faye neben sich auf die Decke zu legen. Das kleine Mädchen rollte sich auf die Seite und gurrte leise, bevor es einschlief.

„Ich habe nichts gesagt. Ich habe dich nur betrachtet und bedauert, dich bei unserem Ausritt nicht geküsst zu haben.“

„Äh …“

Super! Es hatte ihr die Sprache verschlagen. „Ich dachte, wir waren uns einig, dass das eine schlechte Idee wäre.“

„Ich mag schlechte Ideen.“ Er beugte sich zu ihr. Er berührte sie nicht, aber er neigte den Kopf zur Seite, und sie wusste, er würde sie küssen.

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und kam ihm auf halbem Weg entgegen. Seine Lippen waren fest, aber weich, und er schmeckte … gut. Irgendwie richtig. Amberley schloss die Augen und genoss den Augenblick.

Will hatte sich bemüht, den Kuss zu vermeiden, aber gegen sein Verlangen nach Amberley war er machtlos. Als er mit ihr und Faye hinten auf dem Pick-up saß, war es eines der ersten Male, dass er mit seiner Tochter zusammen war, ohne an das zu denken, was sie verloren hatte.

Zum ersten Mal seit Langem verspürte er nicht mehr diese Mischung aus Schuld und Trauer. Und als seine Lippen die von Amberley berührten, hörte das Denken überhaupt auf.

Gott, wie hatte er das gebraucht! Einfach nur fühlen und an nichts anderes denken als daran, wie weich sich ihre Lippen unter seinen anfühlten.

Er blickte auf sie hinab. Im Mondlicht sah er, dass ihre Lippen feucht waren von dem Kuss und ihre Augen halb geschlossen. Sie hob eine Hand und fuhr sich mit dem Finger über den Mund.

„Verdammt, ich wünschte, du würdest nicht so küssen“, sagte sie.

Überrascht drehte er den Kopf zur Seite.

Sie zuckte mit den Schultern. „Es wäre einfacher gewesen, dich einfach als Schnösel aus der Großstadt abhaken zu können, der nicht weiß, was er tut.“

Er lachte auf. „Freut mich, dass ich dich nicht enttäuscht habe.“

Faye begann, sich im Schlaf zu regen, und er begriff, dass es sogar für Nachteulen spät wurde.

„Du hast mich nicht enttäuscht. Und ich?“

Die Frau, die ihr Pferd mit Elan um die Tonnen gelenkt hatte und eine Selbstsicherheit ausstrahlte, als könnte sie Riesen besiegen, fragte ihn, ob ihm ihr Kuss gefallen hatte! Er strich Faye über den Rücken und wartete, bis sie wieder fest schlief, bevor er sich Amberley zuwandte.

Ihr Haar war zerzaust, die Lippen noch leicht geöffnet. Er wusste, dass er später, wenn er allein in seinem Bett lag, sich wahrscheinlich noch andere Dinge mit ihr vorstellen würde.

„Du warst fantastisch“, sagte er. „Wären wir allein, wäre dieser eine Kuss nicht genug.“

Sie nickte. „Für mich auch nicht.“

„Gut. Ich sage es ja nur ungern, aber ich sollte Faye jetzt wirklich nach Hause bringen. Aber vielleicht können wir uns morgen sehen?“

Sie biss sich auf die Unterlippe. Er stöhnte auf.

„Was ist?“

„Du machst es mir verdammt schwer, dich nicht noch einmal zu küssen.“

„Tut mir leid, aber ich mag nun einmal deinen Geschmack.“

Er knurrte etwas Unverständliches, bevor er hinzufügte: „Es wäre besser, wenn du nicht ganz so ehrlich wärest, Cowgirl.“

„Ich kann nicht anders.“

„Das freut mich. Wie wäre es mit morgen Nachmittag?“

„Okay. Zwischen ein und drei Uhr gebe ich Reitstunden, aber danach geht es. In Ordnung?“

„Perfekt.“ Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr noch einen kleinen Kuss zu stehlen, denn er mochte ihren Geschmack auch. Dann sprang er vom Pick-up und nahm seine kleine Tochter auf den Arm. Als er einen Blick über die Schulter zurückwarf, sah er, dass Amberley ihm hinterhersah. Er winkte ihr zu, und sie winkte zurück.

„Gute Nacht, Will“, rief sie leise, und er konnte hören, dass sie dabei lächelte.

„Nacht.“ Er drückte seine Tochter fester an sich, während er zum Gästehaus zurückging.

Er hatte Amberleys Bild vor Augen, bis er das Haus betrat und sein Blick auf das Foto von Lucy auf dem Tisch im Korridor fiel.

Autor

Shirley Hailstock
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Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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Deborah Fletcher Mello
Deborah Fletcher Mello schreibt, seit sie denken kann, und sie kann sich nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 2009 den RT Reviewers’ Choice Award. Immer wieder erfindet sie originelle Geschichten und beeindruckende Heldinnen und Helden. Deborah ist in Connecticut geboren und aufgewachsen, fühlt...
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