Baccara Exklusiv Band 115

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DER MILLIONÄR UND DIE TÄNZERIN von GARBERA, KATHERINE
Holt er sie endlich auf die Sonnenseite des Lebens? Kein Mann hat Roxy je mit so viel Leidenschaft auf Händen getragen wie der Millionär Max, den sie im glitzernden Las Vegas kennenlernt. Doch als rauskommt, dass sie als Revuegirl oben ohne getanzt hat, scheint alles aus …

VORSICHT, FRAUENHELD! von SULLIVAN, MAXINE
…… denkt Kia sofort, als sie auf den australischen Millionär Brant Matthews trifft. Der Mann ist aber auch unglaublich sexy. Um selber nicht in Versuchung zu geraten, spielt sie ihm vor, sie sei die Verlobte seines Freundes. Eine Idee, die sich als Spiel mit dem Feuer entpuppt …

HEIß WIE DER SOMMERWIND von GREENE, JENNIFER
Liegt es am Sommerwind, der den Lavendelduft übers Land trägt? Oder wieso reagiert Violet so stürmisch auf Gavins ersten Kuss?Der französische Parfümeur weckt Gefühle in ihr, die sie auf keinen Fall zulassen kann. Denn Gavin wird bald wieder abreisen …


  • Erscheinungstag 04.04.2014
  • Bandnummer 0115
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721688
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera, Maxine Sullivan, Alison Hart

BACCARA EXKLUSIV BAND 115

KATHERINE GARBERA

Der Millionär und die Tänzerin

Eine Oben-ohne-Tänzerin gehört nicht in unsere Kreise … Der angesehene Millionär Max Williams ist wie vor den Kopf geschlagen. Noch nie hat er eine Frau so begehrt wie die schöne Roxy. Doch sein wichtigster Geschäftspartner findet die Beziehung so anstößig, dass er sogar einen Millionendeal platzen lassen will. Nun muss Max sich entscheiden: Geld oder Liebe?

MAXINE SULLIVAN

Vorsicht, Frauenheld!

Wieso fällt es ihm nur so schwer, die Finger von dieser Frau zu lassen? Schockiert muss Brant sich eingestehen, dass er sich auf eine Weise zu Kia Benton hingezogen fühlt, die selbst einen Frauenhelden wie ihn schreckt. Denn die hinreißende Sekretärin hat sich soeben mit seinem besten Freund verlobt. Und Frauen von Freunden sind tabu. Eine echte Herausforderung für Brant!

ALISON HART

Heiß wie der Sommerwind

Auf der Suche nach Inspirationen trifft der Parfümeur Gavin auf die hübsche Gärtnerin Violet, die auch Lavendel züchtet. Eigentlich ist in seinem Leben kein Platz für eine Beziehung – doch nun hat es ihn erwischt. Gavin ist ganz verrückt nach Violet, die mit ihrem Duft seine erotische Fantasie anheizt. Es gibt nur ein Problem: Er muss wieder zurück in die Heimat …

1. KAPITEL

Roxy O’Malley betrachtete sich kritisch im Spiegel. Wie immer in den letzten Wochen störte sie, was sie dort sah. Sie kniff leicht die Augen zusammen und strich langsam über ihre vollen Brüste, die von einem Sport-BH verhüllt waren. So weit war noch alles gut.

Am liebsten hätte sie hier innegehalten, denn sie wusste, was jetzt kam. Deshalb wünschte sie, die letzten drei Monate hätte es nie gegeben und sie könnte sie aus ihrem Gedächtnis streichen. Denn dann würde auch der Rest ihres Körpers glatt und makellos sein und ihr Leben in Ordnung.

„Hallo, sexy Lady! Genießt du den Anblick?“

Roxy sah zur Seite und erblickte ihren Chef und Freund, Hayden MacKenzie. Sie lächelte leicht gezwungen und bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall. „Hallo, Hay! Was gibt’s denn?“

Hayden war groß und sah sehr gut aus mit dem dunklen Haar und den blauen Augen. Immer, wenn Hayden sie ansah, hatte Roxy das Gefühl, er wisse genau, was in ihr vorging.

Schnell ließ sie die Hände sinken und griff nach dem T-Shirt, das sie über das Geländer des Laufbands gehängt hatte. Bevor sie sich nicht etwas übergezogen hatte, konnte sie dem Freund nicht in die Augen sehen. Sie traute sich nicht, ihm den Rücken zuzuwenden, während sie sich das Hemd anzog, denn ihr Rücken hatte auch etwas abbekommen. Alan Technety hatte damals ganze Arbeit geleistet. Weil Roxy sich von ihm getrennt hatte, wollte er sicherstellen, dass kein Mann sie in Zukunft mehr begehren würde.

Außerdem hatte er dafür gesorgt, dass sie nicht mehr tanzen konnte. Ihr linkes Bein war durch einen tiefen Messerstich so stark verletzt worden, dass ein Muskelschaden zurückgeblieben war. Roxy hinkte leicht, was für sie schlimmer war als jede Narbe. Denn nun hatte sie ihre Bewegungen nicht mehr ganz unter Kontrolle, etwas, worauf sie sich früher immer hundertprozentig verlassen konnte. Die völlige Beherrschung ihres Körpers hatte ihr Halt gegeben in ihrem Leben, das im Übrigen nicht besonders geradlinig verlaufen war.

Alan hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und offensichtlich erreicht, was er wollte. Roxy hatte nach seinem Angriff nicht nur ihr positives Verhältnis zu ihrem Körper, sondern ebenso ihre Lebensfreude verloren. Auf ihr Gesicht war sie nie besonders stolz gewesen. Das wusste Alan und hatte sich ganz auf ihren schlanken Körper konzentriert, den Roxy mit einer sorgfältigen Diät und viel Training in Form hielt.

„Ich wollte dich um einen Gefallen bitten. Aber du sollst es nur tun, wenn du dich dazu auch wirklich in der Lage fühlst“, sagte Hayden zögernd.

„Kein Problem. Worum geht es denn?“ Roxy ging zu dem kleinen Kühlschrank in dem Fitnessraum für die Angestellten und nahm eine Flasche Wasser heraus. Es war erst fünf Uhr morgens. Normalerweise war sie hier um diese Zeit ganz allein. Was trieb Hayden schon so früh aus dem Bett? Er war jungverheiratet, und jeder im Kasino wusste, dass er und seine Frau Shelby auf ihr Frühstück im Bett immer besonderen Wert legten.

„Ich möchte nicht mehr, dass du weiter an den Spieltischen arbeitest.“

Sie blickte ihn irritiert an. Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und das war jetzt einen Monat her, hatte sie an den Blackjack-Tischen gearbeitet. Hier die Karten auszugeben, machte ihr keinen besonderen Spaß, aber es war etwas, das sie tun konnte, seit sie nicht mehr in der berühmtesten Tanzrevue von Las Vegas tanzen konnte. Zwar strengte sie das Stehen sehr an, und ohne Schmerztabletten konnte sie den Tag kaum hinter sich bringen, aber einen anderen Job konnte sie im Kasino nicht finden. Hayden hatte ihr zwar angeboten, sich erst einmal zu Hause gründlich auszukurieren, aber sie wollte nicht von seiner Großzügigkeit abhängig sein.

„Was soll ich denn dann tun? Ich kann doch nicht mehr tanzen. Und meine nächste Operation steht erst in sechs Monaten an.“

Hayden legte ihr die Hand auf die Schulter und zwang Roxy, ihn anzusehen. „Darum geht es auch gar nicht. Ich möchte gern, dass du für mich als VIP-Hostess arbeitest. Du sollst dafür sorgen, dass sich meine gut betuchten Gäste in meinem Hotel wohlfühlen und möglichst alles finden, was sie suchen.“

Sie blickte ihn verwirrt an und trat dann ein paar Schritte zurück, vorsichtig, damit ihr Hinken nicht so auffiel. Hayden behandelte sie immer wie seine kleine Schwester, und manchmal wünschte sie sich, einen Bruder wie ihn zu haben.

„Wann soll ich denn anfangen?“ Sie bückte sich, um ihn nicht ansehen zu müssen, nahm ihr Handtuch vom Boden auf und legte es sich um den Nacken.

„Heute Abend.“

„Und um wen soll ich mich kümmern?“

„Um Max Williams. Er ist ein guter Freund von mir, und seine Gesellschaft wird dir sicher gefallen.“

„Das ist wohl nicht entscheidend, Hay. Hier geht es doch um meinen neuen Job, oder?“

Hayden schwieg und zuckte nur kurz mit den Schultern.

Sie sah ihn misstrauisch an. „Du willst mich doch nicht verkuppeln?“

„Nein, natürlich nicht. Das ist eine ganz normale Aufgabe. Aber wenn Max dir sympathisch ist …“

„Du alter Kuppler! Irgendwie gefällt mir das nicht“, sagte sie, musste aber lächeln. Denn tief im Innern war sie auch gerührt von seiner Fürsorge. „Ich bin sicher, ich werde das wirklich nur als Job betrachten.“

„In Ordnung. Ich werde Kathy bitten, dir Informationen über Max zu geben. Kannst du um drei in meinem Büro sein? Ich möchte Max gleich bei seiner Ankunft in Empfang nehmen.“

Sie nickte, und Hayden wandte sich um und ging in Richtung Tür. „Weiß er über mich Bescheid?“

Hayden blieb stehen. „Inwiefern?“

„Dass ich ein leicht bekleidetes Revuegirl war, das von einem Verrückten angegriffen wurde“, stieß sie leise hervor.

Mit wenigen Schritten war Hayden neben ihr und nahm sie in die Arme. Er schwieg. Erst als sie fragend zu ihm aufsah, sagte er mit seiner tiefen, beruhigenden Stimme: „Was heißt Revuegirl? Du warst Toptänzerin in einer berühmten Show. Außerdem rede ich nicht über meine Angestellten.“

Er meinte, was er sagte, und das tat ihr gut. Aber da sie von Männern nie Hilfe erfahren hatte, blieb ihr Misstrauen wach. „Ich weiß. Aber ich weiß auch, dass Max dein Freund ist.“

„Ich rede auch mit meinen Freunden nicht über meine Angestellten.“

„Danke.“

Er verabschiedete sich, und sie ging in den Umkleideraum. Duschen wollte sie hier allerdings nicht. Denn sie konnte das Risiko nicht eingehen, dass eine andere Frau hereinkam und ihre Narben sah. Deshalb fuhr sie immer in ihr kleines Haus am anderen Ende der Stadt und duschte dort. Als sie noch der Star der Revue war, hatte sie natürlich ihre eigene Garderobe mit Bad gehabt.

Diese Zeiten waren endgültig vorbei.

Sie dachte über das nach, was Hayden ihr angeboten hatte. Es war ein guter Job, der ihren Fähigkeiten entgegenkam. Zumindest war sie früher charmant, witzig und unterhaltsam gewesen. Aber traf das heute noch zu?

Max Williams war müde und frustriert. Diese Gespräche zogen sich stets sinnlos in die Länge. Immer wenn er kurz davor war, das Geschäft abzuschließen, hatten seine Geschäftspartner wieder neue Einwände, die erst aus dem Weg geräumt werden mussten, bevor der Vertrag geschlossen werden konnte. Jetzt schienen sie sich daran zu stoßen, dass Max Junggeselle und offenbar mit seinem Job verheiratet war.

Daraufhin hatte sein Assistent Duke ihm geraten, ein paar Tage auszuspannen und ihm die nächsten Verhandlungen zu überlassen. „Du musst mal raus aus Vancouver“, hatte er gesagt. „Wie wär’s mit ein paar Tagen Las Vegas?“

Max hatte sich einverstanden erklärt, obgleich Las Vegas für ihn keinen besonderen Reiz mehr hatte. Denn zwei seiner engsten Freunde hatten kürzlich geheiratet und waren wohl kaum mehr bereit, ihn zu begleiten und wie früher die Nächte durchzumachen. Und allein machte ihm das keinen Spaß.

Es war sowieso seltsam, wie um ihn herum Ehen anscheinend immer bedeutungsvoller wurden. Weil er nicht verheiratet war, verzögerte Harron den Geschäftsabschluss, und weil sie verheiratet waren, hatten seine Freunde nicht mehr so viel Zeit für ihn.

Sein Vater Harrison Williams hatte fünfmal geheiratet und sagte immer, eine Ehe sei ein Wettkampf zwischen Mann und Frau. Und der, der es am schlauesten anfing, gewann. Max jedoch hatte keine Lust, auch noch in seinem Privatleben hart zu kalkulieren und sich kämpferisch auseinanderzusetzen. Deshalb war er engeren Bindungen immer geschickt aus dem Weg gegangen.

Als die große Limousine vor der eleganten Fassade des Hotels Chimera zum Stehen kam, blieb Max sitzen. Er fluchte leise. Worauf hatte er sich nur eingelassen, was wollte er hier? Doch dann zwang er sich zu einem leicht überlegenen Lächeln, der Maske, die er gewöhnlich aufsetzte, wenn er Menschen gegenübertrat. Seine Mutter hatte ihm eingebläut, dass erfolgreiche Menschen immer eine selbstbewusste und heitere Miene zur Schau stellen sollten.

Als der Chauffeur die Tür öffnete, stieg Max lächelnd aus und ging mit federnden Schritten auf den Eingang zu. Sowie er die Tür zu der gekühlten Hotelhalle aufstieß, kam Hayden MacKenzie auf ihn zu. Sie gaben sich die Hand und umarmten sich flüchtig. Max ließ sogleich seine Maske fallen und blickte den Freund unter gerunzelten Brauen an.

Doch Hayden strahlte ihn an. „Wie schön, dass du da bist. Shelby freut sich auch schon, dich zu sehen. Wie ist es, hast du Lust, heute zu uns zum Dinner zu kommen?“

„Danke. Aber ich muss leider passen, denn ich habe bereits eine Verabredung am Pokertisch.“

„Ach, Max, wann wirst du mal für etwas anderes Zeit haben als für Geschäft und Glücksspiel?“

Max grinste kurz. „Wahrscheinlich nicht so bald.“

Hayden legte ihm die Hand auf die Schulter. „Okay, wenn ich dich nicht daran hindern kann. Aber ich möchte dir jemanden vorstellen. Sie ist wirklich wunderbar und wird dir sicher gefallen.“

„Soll ich eine Rose als Erkennungszeichen mitbringen?“

„Nein, sie ist deine Hostess.“

„Warum werde ich dann den Eindruck nicht los, du willst mich verkuppeln?“

„Keine Ahnung. Vielleicht will ich das ja auch. Ich mag euch beide sehr, und ihr seid …“

„Hör auf. Ich bin hier, um zu spielen, und nichts weiter.“

Hayden nickte bedächtig. „Ja, ich weiß. Ich möchte dir trotzdem Roxy O’Malley vorstellen.“

Hayden drehte sich um und wies auf eine hinreißende Blondine, dem Inbegriff einer verführerischen Frau. Sie machte in perfekter Haltung einen Schritt auf sie zu. Der zweite Schritt wirkte jedoch unsicher, und Max sah, dass sie leicht hinkte und dabei kurz die Lippen zusammenpresste.

„Roxy, dies ist Max Williams. Max, das ist Roxy O’Malley.“

Automatisch setzte Max wieder sein Lächeln auf, während er der jungen Frau die Hand reichte. Andrea, seine zweite Stiefmutter, hatte ihm gesagt, dass seinem Lächeln keine Frau widerstehen könne.

„Angenehm“, sagte er mit einer leichten Verbeugung. Ihre Hand war glatt und kalt, und als er Roxy in die Augen sah, bemerkte er ihre Nervosität. Und das, obgleich sie wunderschön war und sich die meisten Männer bei ihrem Anblick bestimmt nichts anderes wünschten, als diesen Körper möglichst bald zu besitzen.

Er behielt ihre Hand länger in der seinen, als angemessen war, und strich ihr mit dem Daumen sanft über die Fingerknöchel, bis Roxy errötete.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr Williams“, sagte sie leise.

„Bitte, sagen Sie Max zu mir.“

„Okay, Max. Ich bin Roxy.“

„Ich überlasse euch jetzt eurem Schicksal.“ Hayden verschwand.

Sie entzog Max die Hand. „Ihr Gepäck wird in Ihre Suite gebracht. Wollen Sie erst hinaufgehen oder gleich ins Kasino?“

„Ich möchte …“, dich, vervollständigte er lautlos den Satz. Wieso war er von ihr so angezogen? Er verstand sich selbst nicht mehr. Schon lange hatte er kein derartig spontanes Verlangen empfunden. Normalerweise ging er nicht gleich mit einer Frau ins Bett und konnte sich sehr gut kontrollieren. Weshalb war das bei ihr anders?

„Ja?“

„Ich möchte … gleich ins Kasino“, meinte er schließlich. Spielen war seine zweite große Leidenschaft, die erste sein Beruf.

Sie lächelte ihn an. „Gut, dann wollen wir gehen.“

„Was, meinen Sie, ist mein Lieblingsspiel?“

„Poker. Und das wahrscheinlich immer schon.“

Er blickte sie überrascht an. Wie hatte sie das erraten können? Aber er wusste, man sollte Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen. Wie oft hatte er es selbst erlebt, dass man ihn für einen verwöhnten Playboy hielt, der nie einen einzigen Tag in seinem Leben gearbeitet hatte. Na ja, vielleicht nicht sehr oft, aber es war doch hin und wieder vorgekommen.

Sie lachte, als sie seinen erstaunten Blick sah. „Es war keine Kunst. Ich habe in Ihren Unterlagen gestöbert. Sie haben das letzte Mal fast 50.000 Dollar beim Pokern gewonnen.“

„Was haben Sie denn sonst noch über mich erfahren?“ Max wusste, dass Hayden über die Spieler mit Höchsteinsätzen Buch führte, selbst über die Freunde. Das beunruhigte ihn auch nicht weiter.

Sie legte den Kopf zur Seite, sodass ihr langes Haar über ihre Schulter fiel. Ob es sich so weich und seidig anfühlte, wie es aussah? „Das kann ich Ihnen nicht verraten, Sie würden sonst zu viele Geheimnisse erfahren, auch über mich.“

Er nahm ihre Hand, und Roxy blieb stehen. Verdammt, sie hatte die weichste Haut, die er je berührt hatte. „Geheimnisse? Das glaube ich nicht. Ich würde nur die erfahren, die mich betreffen. Und das sind ja nun mal nicht Ihre Geheimnisse.“

Er flirtete, und das war schon lange nicht mehr vorgekommen. Als sie ihn lächelnd unterhakte und zu dem Saal führte, in dem mit hohen Einsätzen gespielt wurde, fiel die Erschöpfung der letzten Wochen von Max ab. Das Klingeln und Rattern der Spielautomaten war hier kaum noch zu hören.

Roxy blieb in der Tür zu dem eleganten Saal stehen. Als sie Max schließlich in eine ruhige Ecke zog, anstatt ihn gleich an den Pokertisch zu führen, wunderte er sich. Offenbar war der Job der VIP-Hostess neu für sie.

„Möchten Sie meine Geheimnisse wirklich erfahren?“, fragte sie, und ihre Stimme klang dunkel und rau.

Ja, dachte er, sagte aber nichts. Er wusste nicht, warum er so heftig auf sie reagierte. Das sah ihm nicht ähnlich und beunruhigte ihn. Er musste sich unbedingt wieder in den Griff bekommen. Denn er hatte keine Lust, eine neue Affäre anzufangen, er hatte diese flüchtigen Beziehungen gründlich satt. Und er war hergekommen, um zu spielen.

Als er schwieg, errötete sie leicht und trat einen Schritt zur Seite. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht aufdringlich sein. Dahinten ist ein Platz an einem Tisch frei. Ich hole schon mal Ihren Lieblingsdrink.“

Sie wandte sich um, aber er ließ sie nicht gehen, sondern legte seine Hand auf ihre Schulter. Als sie ihn fragend ansah, bemerkte er die Verletzlichkeit in ihrem Blick. „Doch, ich möchte Ihre Geheimnisse kennenlernen“, sagte er nachdrücklich, ging dann an ihr vorbei und setzte sich an den Tisch. Einige der Mitspieler kannte er, aber anstatt sich auf das Spiel und seine Karten zu konzentrieren, musste er immer an Roxys große blaue Augen denken.

Roxy versuchte, sich Haydens Worte ins Gedächtnis zu rufen. Sie sollte freundlich und charmant sein, aber nie vergessen, worin ihre Aufgabe bestand. Der Spieler sollte sich wohlfühlen und den Spieltisch möglichst nicht verlassen.

Max machte es ihr nicht leicht. Immer, wenn sie neben ihn trat, um ihm einen neuen Drink zu bringen oder aber nach seinen Wünschen zu fragen, fing er an zu flirten. Und zum ersten Mal, seit sie im Krankenhaus aufgewacht war, gezeichnet fürs Leben, hatte sie Lust, ein Flirten zu erwidern.

Er spielte beinahe vier Stunden lang und gewann meistens. Als er schließlich Anstalten machte, sich zu erheben, wusste sie nicht, ob sie ihn daran hindern sollte. War es nicht ihre Aufgabe als Hostess, ihn möglichst lange am Tisch zu halten?

„Wollen Sie wirklich aufhören? Sie scheinen doch eine Glückssträhne zu haben.“

„Ich will trotzdem aufhören. Denn ich möchte gern mit meiner Hostess zum Essen gehen und sehen, ob meine Glückssträhne vielleicht noch anhält.“

„Ich weiß nicht, ob das zu meinem Aufgabenbereich gehört“, entgegnete sie. Sie wollte sich nicht auf etwas einlassen, dessen Ausgang mehr als ungewiss war. Wie oft hatte sie gehofft, endlich auf der Sonnenseite des Lebens angekommen zu sein, und immer wieder war sie enttäuscht worden. Sie hatte einfach kein Glück.

„Aber Sie sollen doch dafür sorgen, dass es mit gut geht.“

Sie wollte lachen über die Art und Weise, wie er das sagte, konnte es aber nicht. „Gut, dann gehe ich mit Ihnen essen. Wo wollen Sie denn hin?“

„Darum kümmere ich mich.“ Max nahm sie beim Arm und zog sie aus der Menschenmenge.

Sie wusste, dass sie ihm nicht die Führung überlassen durfte. Dies war ihr Job, das durfte sie nicht vergessen, so verführerisch es auch sein mochte. Sie wollte nicht wieder an den Blackjack-Tisch zurückkehren, und so musste sie alles tun, was dieser neue Job erforderte. „Nein, das werden Sie nicht. Das ist meine Aufgabe.“

„Und Sie nehmen Ihre Aufgaben ernst?“ Er hob fragend eine Augenbraue.

Das war spaßhaft gemeint, aber Roxy war nicht zum Scherzen zumute, nicht, wenn es um ihre Arbeit ging. Wer jemals von der Großmut anderer abhängig gewesen war, hatte schwer um seinen Stolz zu kämpfen. „Selbstverständlich.“

„Ich hatte den Eindruck, Sie sind neu hier.“

„Neu als Hostess. Aber ich arbeite schon fast zehn Jahre hier im Chimera.“

„Was haben Sie denn früher gemacht?“

„Ich war Tänzerin …“ Das klang sehnsüchtig, und Roxy ärgerte sich, dass sie ihre Gefühle nicht besser verbarg. Auf diese Frage hätte sie vorbereitet sein sollen. Aber die meisten Menschen, denen sie hier begegnete, kannten ihre Geschichte oder aber interessierten sich nicht für ihr Schicksal. Max war der erste Fremde, der …

„Warum haben Sie aufgehört?“

Sie zögerte und schloss kurz die Augen. Eine hart erarbeitete Karriere, ein Beruf, den sie liebte, stolz auf ihren Körper und ihr Können, alles war in Minutenschnelle vorbei gewesen. Und zwar nur, weil sie einen Mann und seine Absichten falsch eingeschätzt hatte. Nie wieder.

„Ich habe mich verletzt.“ Die Lüge fiel ihr leicht, und sie hasste sich dafür. Hatte sie sich nicht geschworen, nie so zu werden wie ihre Mutter, für die es auf eine Lüge mehr oder weniger nicht ankam? „Aber das ist Schnee von gestern. Bitte, gedulden Sie sich ein paar Minuten, ich will uns nur eben einen Tisch reservieren lassen.“

Sie wandte sich ab und rief mit dem Handy das VIP-Büro an. Eine halbe Minute später war alles arrangiert, und die beiden machten sich auf den Weg zu dem Fünf-Sterne-Restaurant im vierten Stock.

„Haben Sie hier schon mal gegessen?“, fragte Roxy. Hoffentlich kannte Max das Restaurant noch nicht, sodass sie ihrer Aufgabe als Hostess gerecht werden konnte und er sich ihrer Führung überließ. Sie ging auf den Geschäftsführer zu, der am Eingang die Gäste begrüßte, und spürte nur zu deutlich Max’ Blick im Rücken.

„Ja“, sagte er jetzt. „Ich bin mit dem Restaurantbesitzer gut befreundet.“

Sie lächelte dem Geschäftsführer zu. Sie kannte Henry gut und entspannte sich ein wenig, als er ihr jetzt freundlich zunickte. Dieser Job war irgendwie anders, als sie erwartet hatte. Oder sollte sie lieber sagen, ihr erster Gast Max war anders, als sie erwartet hatte? „Mr Williams und ich haben einen Tisch bestellt.“

„Sehr wohl, Miss O’Malley. Bitte, folgen Sie mir.“

Max legte die Hand auf Roxys Rücken, während sie zu ihrem Tisch geführt wurden. So sehr Roxy sich auch bemühte, die Wärme seiner großen Handfläche zu ignorieren, es gelang ihr nicht. Im Gegenteil, sämtliche Sinne sprangen sofort auf die Berührung an, und eine derart intensive Erregung machte sich in ihrem Körper breit, wie sie sie schon lange nicht verspürt hatte. Obwohl es ein berauschendes Gefühl war, kam es in dieser Situation höchst unpassend und erschreckte sie sehr.

Erleichtert atmete sie auf, als sie endlich an ihrem Tisch Platz nehmen konnten. Max bat um die Weinkarte, und der Sommelier trat an ihren Tisch.

„Haben Sie irgendwelche besonderen Vorlieben?“ Nachdem der Weinkellner einige Weine vorgeschlagen hatte, sah Max Roxy fragend an.

„Ich kaufe meinen Wein normalerweise in Kartons im Supermarkt“, gestand sie, errötete dann aber, weil ihr klar wurde, wie sich das anhörte. „Ich meine …“

Max lachte leise. „Verwandte von mir besitzen ein Weingut im Napa Valley. Denen darf ich nicht erzählen, dass es in den Staaten immer noch Menschen gibt, die billigen Wein trinken.“

„Tut mir leid.“

„Das braucht Ihnen nicht leidzutun. Haben Sie mal südafrikanischen Wein probiert?“

„Gibt’s den auch in Kartons abgepackt?“

Max lachte und wandte sich dann an den Weinkellner. „Wir nehmen eine Flasche Thelema Chardonnay 1998.“

„Sehr wohl.“ Der Kellner ging.

Max richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Roxy. Ihr war unbehaglich zumute, wenn er sie so ansah, als sei sie nackt. So intensiv war sein Blick, dass sie das Gefühl hatte, sie könne vor ihm nichts verbergen. Er starrte sie an, als versuche er, wie bei einem Puzzle die verschiedenen Teile zusammenzusetzen, die Roxy O’Malley ausmachten. Sie hoffte, es würde ihm nicht gelingen, denn sie wusste kaum selbst, wer sie war – jedenfalls keine Tänzerin mehr mit einem verführerischen Körper. Aber wer war sie dann?

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Was ist?“

„Was soll sein?“

„Warum sehen Sie mich so an?“

„Weil Sie eine sehr schöne Frau sind.“

Seine Worte taten ihr weh, aber das konnte er nicht wissen. Früher hätte sie in einer solchen Situation das Haar zurückgeworfen und ihm ein Lächeln geschenkt, dass ihm die Knie weich würden. „Nicht mehr.“

Das hätte sie wohl nicht sagen sollen. „Wie lange bleiben Sie in Las Vegas?“, lenkte sie schnell ab.

„So lange, bis ich Sie davon überzeugt habe, dass Sie schön sind.“

„Aber deshalb sind Sie wohl kaum hierhergekommen.“ Wie alle alleinstehenden Männer wollte er sicher das berühmte Flair von Las Vegas genießen, die unverbindlichen Flirts, das Glücksspiel. Die Flucht aus der Realität und einem anstrengenden Leben.

„Meine Pläne haben sich soeben geändert.“

„Gut, dann brauchen Sie meine Gesellschaft sicher nicht mehr. Ich werde Hayden darüber informieren.“

Wieder nahm er ihre Hand und strich, wie bei der Begrüßung, langsam über ihre Fingerknöchel. „Doch, ich brauche Sie, Roxy.“

Sie versuchte, sich einzureden, dass das nichts mit ihr als Privatperson zu tun hatte, sondern dass er sie in ihrer Rolle als Hostess ansprach. Aber sie konnte sich nichts vormachen.

In seinen Augen stand so etwas wie ein Versprechen, das sie gern auf sich beziehen wollte, etwas schwer Fassbares, Verführerisches, das sie beim besten Willen nicht übersehen konnte.

2. KAPITEL

Nach dem Essen trennte Max sich von Roxy. Er müsse noch ein paar geschäftliche Telefonate führen, hatte er gemeint. Jetzt saß er in seiner Suite und dachte über sein Leben nach. Er war vierzig und erfolgreich, aber allein.

Allein, weil er es nicht anders wollte, ja, aber dennoch allein. Er hatte momentan noch nicht einmal eine Geliebte. Denn er hatte zu oft erlebt, dass selbst Beziehungen, über die es klare Abmachungen gab, nicht so einfach zu lösen waren.

Harron MacNeil, mit dem er gerade ein großes Geschäft abschließen wollte, hatte immer wieder bemängelt, dass Max nicht verheiratet war und keine Familie hatte. Aber Max hatte seine „Familie“: seine Angestellten und eine kleine Anzahl wirklich guter Freunde.

Jemand klopfte. Vielleicht war es Roxy, aber nicht sicher. Max öffnete die Tür. Es war der Portier mit einem Päckchen von FedEx, Unterlagen aus seinem Büro.

Er nahm das Päckchen mit zur Minibar und goss sich einen Scotch ein. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass er einsam war und wie in einem Vakuum lebte. Der Grund lag wahrscheinlich darin, dass er keinesfalls den Anschein erwecken wollte, in seines Vaters Fußstapfen zu treten. Sein Vater hatte fünfmal geheiratet, da ging Max lieber jeder Bindung aus dem Wege.

Verdammt, kein Grund zum Selbstmitleid. Er stürzte den Drink hinunter, unterschrieb die Papiere und steckte sie in den dafür mitgeschickten Umschlag.

Er sehnte sich nach Roxy.

Er wollte mehr Zeit mit dieser schönen Frau verbringen, die so charmant sein konnte. Wenn die Rede allerdings auf sie persönlich kam, reagierte sie seltsam und war sehr zurückhaltend. Aber warum? Wahrscheinlich würde sie ihr Geheimnis nicht mit ihm teilen wollen. Noch nicht.

Auf keinen Fall aber wollte er ihren Job gefährden, von dem sie offenbar abhängig war. Er rief Hayden an und bat ihn, Roxys Aufgabengebiet zu verändern. Mit seinen Erklärungen, warum, war er allerdings sehr sparsam. „Sie wird dem Kasino morgen nicht zur Verfügung stehen, wenn du nichts dagegen hast.“

Hayden lachte kurz auf. Er war bekannt für seine schnelle Auffassungsgabe. „Ich hoffe, die Erfordernisse meines Unternehmens stehen deinen privaten Plänen nicht entgegen.“

„Aber du bist doch derjenige, der sie mir so angepriesen hat.“

„Das stimmt. Aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass deine persönlichen Interessen meinen Geschäftsinteressen in die Quere kommen könnten.“

„Das wird nicht passieren.“ Max beendete das Gespräch und wählte dann die Nummer des Empfangs. Er fragte nach Roxy. Es war zwar schon fast Mitternacht, aber er wusste, dass sie zu sprechen sein würde. Alles war möglich in Las Vegas, wenn Max Williams es wollte. Eigentlich wurde ihm nie etwas abgeschlagen, wo auch immer er sich auf seinen Reisen aufhielt.

„Hallo?“

Ihre Stimme klang weich und süß, aber man hörte auch eine gewisse Erschöpfung heraus. Wenn er nett wäre, würde er einfach auflegen und sie schlafen lassen. Aber heute Nacht hatte er keine besondere Lust, nett zu sein.

„Hier ist Max.“

„Wissen Sie schon, wann ich Sie morgen im Kasino treffen soll?“ Ihre Stimme klang ein wenig atemlos.

Glücksspiel war nicht länger der Grund für seinen Aufenthalt in Las Vegas. Aber das sollte er vielleicht vorläufig noch für sich behalten. „Nein, aber ich gehe jetzt gleich noch mal zurück an den Spieltisch und würde Sie dort gern treffen.“

Sie zögerte kurz. „Sicher, Max, natürlich komme ich. Allerdings bin ich jetzt zu Hause, und wahrscheinlich brauche ich etwa eine halbe Stunde bis zum Kasino.“

„Warum wohnen Sie denn nicht im Hotel?“ Er hatte angenommen, dass sie hier im Hotel ein Zimmer hatte, solange sie für ihn als Hostess arbeitete. So wie Jack, der ihm früher vom Hotel als Begleiter zugeteilt worden war.

„Hayden hat es mir nicht angeboten. Ehrlich gesagt, bin ich auch nicht auf die Idee gekommen, Sie könnten mich mitten in der Nacht brauchen.“

Wenn sie wüsste, wie sehr er sie brauchte, gerade in der Nacht.

„Am besten bringen Sie einen gepackten Koffer mit“, sagte er.

„Warum das denn?“

„Damit Sie für die Zeit meines Aufenthalts hier wohnen können.“

„Ich weiß nicht, ob die Kosten durch meinen Job gedeckt sind.“

„Wenn nicht, komme ich dafür auf.“ Er hatte keine Lust, mit ihr am Telefon ihr verändertes Tätigkeitsfeld zu diskutieren.

„Max, fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte sie vorsichtig. Ihre Stimme klang sanft wie immer, aber es schwang ein bestimmter Unterton mit. Offenbar nahm sie äußerst ungern Befehle entgegen Zum ersten Mal fiel Max auf, dass sie eben nicht nur die charmante, hübsche Hostess war. Dass sie ein bisschen verärgert war, wunderte ihn nicht, denn die meisten Menschen hassten Befehle. Dennoch hatte er festgestellt, dass man mit direkten Anweisungen immer noch am weitesten kam.

„Doch, mir geht es blendend. Wir treffen uns dann in einer halben Stunde in der Hotelhalle.“

„In einer halben Stunde kann ich unmöglich da sein.“

„Warum denn nicht?“

„Ich muss erst noch duschen und dann meine Sachen zusammenpacken.“

„Wieso? Wobei habe ich Sie denn unterbrochen?“ War sie etwa mit einem Mann zusammen? Eifersucht durchfuhr ihn wie ein scharfer Stich. Sie sollte sich doch um ihn kümmern.

Und er war der Meinung, dass zwischen ihnen die Möglichkeit zu mehr bestand als nur eine Beziehung zwischen Kasinobesucher und Hostess. Hoffentlich wurde er nicht so wie sein Vater, der immer gleich die große Liebe witterte, wo überhaupt nichts war.

Max rieb sich nervös den Nacken. Das Ganze ist doch nur ein kleiner Flirt, versuchte er sich zu beruhigen, aber das klappte nicht ganz. Roxy war ihm alles andere als gleichgültig, ob es ihm nun gefiel oder nicht.

„Beim Workout.“

„Geht das denn trotz Ihrer Verletzungen?“

Sie zögerte wieder, und Max spürte, es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen. Wann das wohl passiert war?

„Ja, kein Problem.“

Aber irgendetwas in ihrer Stimme sagte ihm, dass dieses Thema alles andere als problemlos war. „Sie haben mir noch nicht erzählt, was für Verletzungen Sie haben.“

„Das werde ich auch nicht tun. Ich treffe Sie dann also in etwa einer Stunde in der Hotelhalle.“

„Warum weichen Sie mir aus?“

„Weil es Sie nichts angeht. Gibt es nicht auch in Ihrem Leben etwas, worüber Sie nicht sprechen wollen?“

Allerdings, aber er war immer interessiert daran gewesen, dass Menschen sich ihm gegenüber öffneten. Das war einer der Gründe, warum er ein so guter Verhandlungsführer bei Firmenübernahmen war. Er fand immer heraus, welche Bedenken den Verhandlungspartner zögern ließen, und konnte sie zerstreuen.

„Max?“

„Ja, es gibt auch bei mir Dinge, über die ich nicht mit anderen spreche. Aber ich habe mich nur nach Ihren Verletzungen erkundigt und erwarte nicht, dass Sie mir Ihre Seele offenbaren.“

„Leider haben meine Verletzungen auch meine Seele verwundet und mich sehr verändert.“

Er wünschte, er säße ihr gegenüber. Dann könnte er in ihren Augen lesen, was ihre Stimme nicht preisgab. Nicht mehr tanzen zu können, musste ihr Selbstbild vollkommen verändert haben. Er kannte auch andere Tänzer und wusste, dass Tanz und Körperarbeit ihr Leben war. Sie lebten quasi im Tanzstudio und trainierten ständig, um in Form zu bleiben.

„Inwiefern?“, bohrte er nach.

Sie schwieg, blieb aber am Telefon. Sie versuchte, ihn dazu zu bringen aufzulegen. Doch Max wusste, wie wichtig Geduld war, und zwar schon seit seinem zehnten Lebensjahr. Denn mit zehn hatte er begriffen, dass er für seine Ungeduld zahlen musste. Wenn er damals nur eine halbe Stunde länger gewartet hätte, hätte er mit seinem Vater das Wochenende zusammen verbringen können. Kostbare Tage, denn er sah seinen Vater viel zu selten und litt darunter. Aber er war so sauer über die Unpünktlichkeit seines Vaters gewesen, dass er weglief und letztlich das Wochenende im Internat mit langweiligen Schulkameraden verbringen musste.

Seit dieser Erkenntnis hatte er eine Engelsgeduld und wartete Tage, wenn nicht Wochen, wenn er etwas wirklich erreichen wollte. „Ich bin noch da.“

„Ich weiß, aber ich kann nicht tun, was Sie von mir erwarten. Ich bin nur Ihre Hostess und habe keine Lust, Ihr Ferienflirt zu werden.“

Er fluchte leise. „Wie kommen Sie dazu, mich so einzuschätzen? Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Stimmt, ich kenne Sie nicht.“

„Dann kommen Sie bitte mit mir heute Nacht ins Kasino. Damit ich Ihnen den echten Max Williams zeigen kann.“

„Gut.“ Sie legte auf.

Max verließ seine Suite und ging ins Kasino. Vielleicht würden die vielen Menschen ihn von seinem Verlangen nach Roxy ablenken.

Aber er hatte sich getäuscht.

Roxy besaß drei Kleider und vier klassische Hosenanzüge, die zur Ausstattung einer Hostess gehörten und die Hayden ihr hatte schicken lassen. Aber da sie sich normalerweise in einem anderen Stil kleidete, fühlte sie sich in den Sachen nicht wohl, sondern wie verkleidet.

Sie nahm eine Anzughose vom Bügel und zog dazu eins ihrer seidenen Lieblingstops an. Statt der geliebten Pumps musste sie seit der Muskelverletzungen flache Schuhe tragen, was ihr überhaupt nicht gefiel. Schnell packte sie die kleine Reisetasche und verließ das Haus, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sie hatte noch den Wagen, den sie während ihrer Karriere als Tänzerin gefahren hatte, ein BMW Cabrio. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie nicht dieses beklemmende Gefühl, dass sie alles verloren hatte und ihr Leben vorbei war. Im Gegenteil, sie fuhr mit offenem Verdeck, ließ den kühlen Nachtwind durch ihr Haar streichen und summte zu ihrer Lieblings-CD.

Sie war fröhlich, geradezu ausgelassen, und das hatte mit einem ganz bestimmten Mann zu tun. Mit Max. Und mit seinem Telefonanruf.

Sie konnte nachts sowieso kaum schlafen, aber das konnte er nicht wissen. Sein Anruf war das Beste, was ihr hatte passieren können. Denn er hatte sie damit vor diesen quälenden Stunden bewahrt, in denen sie immer wieder vergeblich versuchte einzuschlafen. In denen sie immer wieder Alans Gesicht vor sich sah. Oder sich selbst, wie sie auf der Bühne stand und das Publikum vor Entsetzen stöhnte, wenn es ihre Narben sah.

Ihr Fuß glitt fast vom Gaspedal. Warum hatte sie gerade jetzt wieder an diese albtraumhaften Bilder denken müssen?

Schnell bog sie auf den Parkplatz des Kasinos ein und stellte den Motor ab. Aber sie konnte sich nicht dazu entschließen, das Auto zu verlassen. Plötzlich war alles wieder da. Entsetzen, Angst und Mutlosigkeit. Gefühle, vor denen sie davongerannt war und die sie hoffte in ihrem kleinen Haus zurückgelassen zu haben.

Sie legte den Kopf auf das Lenkrad und versuchte, die Lebensfreude wiederzufinden, die sie noch vor Minuten empfunden hatte. Aber es war nicht möglich. Die CD spielte noch, aber sie erinnerte sie nur an glückliche Zeiten, die endgültig vorbei waren. Schnell schaltete sie die Musik aus.

Langsam öffnete sie die Fahrertür und zwang sich auszusteigen. Sie schloss das Verdeck und ging dann mit schleppenden Schritten auf das hell erleuchtete Chimera zu. Alles Illusion, dachte sie. Sie hatte schon früh lernen müssen, dass Illusionen manchmal notwendig waren, um überleben zu können.

Sie straffte die Schultern, setzte ein Lächeln auf und trat in die Hotelhalle. Sie würde es schon schaffen. Denn die meisten Menschen waren mit einem Lächeln und einem kurzen „mir geht es gut“ zufriedenzustellen. Sie wollten sich gar nicht so genau mit unangenehmen Dingen wie Verletzungen und Narben beschäftigen.

„Roxy.“

Sie blieb stehen und sah Max an. Er hielt eine Zigarre in seiner linken Hand und musterte sie ernst. Seine ganze Haltung drückte Überlegenheit und Selbstbewusstsein aus, Eleganz und Reichtum sowieso. Er brauchte sich nicht zu verstellen, sondern konnte sich geben, wie er wirklich war.

Sie ging langsam auf ihn zu, unsicher, was sie als Nächstes tun sollte. Was hätte die alte Roxy getan? Sie hätte ihn untergehakt und geflirtet, was das Zeug hielt, unabhängig davon, was sie tief im Innern empfand.

„Roxy?“

Sie schüttelte leicht den Kopf, wie um ihre Gedanken zu klären. Wenn sie es nicht schaffte, ihre Gefühle zu verbergen, würde sie Hayden enttäuschen. Er rechnete damit, dass sie Max dazu brachte, sein Geld möglichst hier im Chimera zu verspielen. Auf keinen Fall wollte sie Hayden im Stich lassen. „Entschuldigen Sie, Max. Ich war mit meinen Gedanken eben ganz woanders. Lassen Sie uns ins Kasino gehen.“

„Noch nicht“, sagte er, legte ihr die Hand fürsorglich unter den Ellbogen und führte sie aus der Halle hinaus in den üppig gestalteten Garten. Unter anderem gab es ein Labyrinth aus dichten Hecken, das nur durch den Mond und kleine Lämpchen beleuchtet wurde.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie.

„Irgendwohin, wo es ruhig ist.“

„Warum?“ Sie schloss die Augen und atmete tief den Duft von blühendem Jasmin ein, der sich mit dem Geruch der aromatischen Zigarre mischte. Vorübergehend fühlte sie sich, als sei sie woanders und ganz jemand anderes. Aber wer?

Max blieb stehen, und als er ihr mit dem Finger sanft über den nackten Arm strich, sträubten sich die feinen Härchen. Es überlief sie heiß, und sie öffnete die Augen.

Max’ Blick war direkt auf sie gerichtet, und er musterte sie mit einer Intensität, die sie innerlich erbeben ließ. Gleichzeitig war sie sich ihrer Sinnlichkeit so bewusst wie noch nie in ihrem Leben. Sie standen sich gegenüber, ein Mann und eine Frau, die so unterschiedlich waren und doch einander brauchten, um vollkommen zu sein. Roxy legte die Hand auf seinen Bizeps und genoss das Gefühl der erregenden Stärke.

Dies war ein Mann, der sicher mit allem fertig wurde, was das Leben ihm auferlegte. Ob sie wohl von ihm lernen konnte, wie man das tat? Vielleicht konnte sie herausfinden, welche Fähigkeiten man dazu brauchte, und konnte sie dann zur eigenen Lebensbewältigung einsetzen.

Als ob es ihr darauf ankam. Sie wollte ihn einfach näher kennenlernen, das war der eigentliche Grund. Sie wollte sich an ihn lehnen und ihn küssen, wollte herausfinden, ob seine Umarmung genauso leidenschaftlich war wie sein Blick. Und ob er genauso gut küsste, wie sie vermutete. Aber er war doch immer noch ein Fremder für sie, und sie sollte sich hüten, ihn zu schnell zu nah an sich herankommen zu lassen.

Er strich sanft über ihre Wange und zeichnete kurz den Schwung ihrer Oberlippe nach. „Wir sind hier draußen, weil ich hier draußen sein will. Und weil du alles tun musst, was ich will.“

Was er will? „Ich weiß nicht, was Sie … was du damit andeuten willst. Aber zu dieser Art Mädchen habe ich nie gehört.“

„Ich weiß. Ich will gar nichts andeuten. Ich möchte nur nicht, dass du weiter als Hostess für mich arbeitest.“

Sie musste schlucken. „Okay.“

„Ich will meine Zeit mit dir so verbringen, wie ich es möchte. Auch außerhalb des Hotels und des Kasinos.“

Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Nur zweierlei war ihr klar. Bereits nach einem Tag hatte sie ihren Job als Hostess verloren. Und sie würde auf keinen Fall wieder an die Blackjack-Tische zurückkehren. Also gab es für sie keine Aufgabe mehr im Hotel. Wovon sollte sie leben? Sie würde ihr Auto verkaufen müssen.

„Ich möchte gern, dass wir uns besser kennenlernen“, sagte Max.

Roxy schüttelte den Kopf. Sie musste eine andere Arbeit finden, sonst würde sie auch ihr Haus nicht halten können. „Ich möchte momentan keine neue Beziehung anfangen.“

„Oh doch“, sagte er leise. Unwillkürlich lehnte sie sich gegen ihn. Wenn er sie doch nur küssen würde. Sie sehnte sich danach, seine Lippen zu spüren, und wusste, er würde sie küssen, wie sie noch nie geküsst worden war. Die Gefahr, dem typischen Las-Vegas-Traum zu verfallen, war groß, das spürte sie ganz genau. Reicher Mann trifft schöne Frau, Liebe wie im siebten Himmel … nein, auch das war eine reine Illusion.

Sie ließ ihn los, wandte sich ab und machte ein paar Schritte auf die nächste Bank zu. „Es geht nicht alles nur nach deinen Wünschen.“

Er folgte ihr nicht, sondern blieb mitten auf dem Weg stehen, sog an seiner Zigarre und betrachtete Roxy mit diesem unergründlichen Blick. „Ich bin es gewohnt, zu befehlen.“

„Aber hier ist nicht dein Konferenzraum, und ich bin nicht eine deiner Angestellten.“

„Das weiß ich. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht bestimme, was passiert.“

Max wollte zu schnell zu viel, und das wusste er selbst. Also nahm er sich etwas zurück. Denn er wollte, dass Roxy an seiner Seite blieb, und das nicht nur in Las Vegas. Sie war die richtige Frau zur richtigen Zeit. Er brauchte dringend eine Verlobte, und sie war dazu ausgezeichnet geeignet.

Aber er bewegte sich auf dünnem Eis. Denn sie war nicht nur irgendein Anhängsel, das er in Las Vegas auflas, mit nach Vancouver nahm und wieder fallen ließ, wenn es ihm passte.

„Komm mit ins Kasino“, bat er. „Du bist mein Talisman und bringst mir bestimmt Glück, und danach können wir zusammen frühstücken und uns in Ruhe unterhalten.“

„Ich habe noch nie jemandem Glück gebracht“, entgegnete sie.

„Vielleicht ist es dir nur nicht bewusst geworden“, sagte er, schob sie durch die Tür und dann durch die Menge, die sich auch zu dieser Stunde noch im Kasino aufhielt. Dass sie leicht hinkte, fiel ihm kaum noch auf.

„Ich glaube, ich würde wissen, wenn ich jemandem Glück gebracht oder selbst Glück hätte.“

„Vielleicht hast du Glück und merkst es nicht, weil du es für selbstverständlich hältst“, fing er wieder an. Das Glück musste man manchmal erzwingen, das wusste Max genau. Es kam nicht, wenn man die Hände in den Schoß legte, sondern nur, wenn man darum kämpfte.

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um. „So? Vielleicht hast du recht. Ich wollte in der Lotterie gewinnen, und es ist nichts passiert. Ich wollte tanzen und kann es nicht mehr.“

„Entschuldige, ich wollte nicht an traurige Erinnerungen rühren.“

„Schon gut.“ Sie schüttelte den Kopf, sodass ihr glänzendes blondes Haar flog. Max konnte den Blick nicht davon lösen. Er wusste, er sollte sich auf ihre Worte konzentrieren, aber stattdessen sehnte er sich nur danach, in diese seidige Haarflut zu greifen, Roxys Kopf festzuhalten und sie tief und lange zu küssen.

„Mir ist gerade aufgefallen, dass ich in vielen kleinen Dingen vielleicht doch Glück habe“, sagte sie.

Er holte tief Luft und bemühte sich um korrekte Haltung. Doch dann ergriff er Roxys Handgelenk und zog sie auf den Flur in eine schmale Nische. „In welchen kleinen Dingen?“

Sie knabberte kurz an ihrer vollen Unterlippe, und vorbei war es mit Max’ Konzentration. Wie sie wohl küsste?

„Das sage ich nicht. Es ist zu albern.“

„Ich habe dich als meinen Talisman bezeichnet, ist das nicht auch albern?“

„Hattest du das ernst gemeint?“, fragte sie leise.

„Ja.“

Sie warf ihm ein scheues Lächeln zu, das ihm fast das Herz zerriss. „Das war nicht albern, Max. Das war sehr süß.“

„Der Himmel bewahre mich davor, süß zu sein!“ Er lachte. „Du sollst bei meinem Anblick nicht denken, wie süß, sondern was für ein aufregender sexy Mann.“ Aber insgeheim gefiel ihm ihre Bemerkung. Noch nie hatte ihn jemand als süß bezeichnet. Im Gegenteil, er galt als rücksichtslos, entschlossen und erfolgreich.

„Kannst du nicht beides sein?“

„Keine Ahnung. Was meinst du?“ Er legte ihr den Arm um die Taille und zog sie dichter zu sich heran. Sie hatte gesagt, sie wolle keine neue Beziehung anfangen. Das galt eigentlich auch für ihn – aber wie er sie jetzt so in den Armen hielt, fühlte er sich überhaupt nicht mehr einsam, und das tat unendlich gut.

„Ich bin nicht sicher, ob das meiner Arbeitsplatzbeschreibung als Hostess entspricht“, stieß sie leise hervor.

„Dein Chef ist einer meiner besten Freunde, das regele ich schon.“

„In deinem Sinn? Das wäre wohl nicht fair.“

Wieder wurde ihm bewusst, dass er zu hastig vorging. Ihre kurze Frage ärgerte ihn, denn mangelnde Fairness hatte ihm noch niemand vorgeworfen. „Nein, Roxy, auch in deinem. Für diese Unterstellung solltest du dich eigentlich entschuldigen.“

„Tut mir leid, das ist mir so herausgerutscht. Ich bin besser im Small Talk oder beim Tanzen auf einer Bühne, da komme ich nicht in die Verlegenheit, etwas Unpassendes zu sagen.“

„Es war nichts Unpassendes.“

„Doch, ich habe dich beleidigt.“

„Das ist nichts Besonderes, das passiert mir jeden Tag.“

„Wieso?“

„Die Investoren der Konkurrenzfirmen haben meist viel an mir auszusetzen. Oder der Vorstand eines Unternehmens, das ich übernehmen will. Manchmal auch mein Assistent, meine rechte Hand sozusagen. Aber er behauptet, er mache das nur, damit ich nicht größenwahnsinnig werde.“

„Bist du mit ihm befreundet?“

Mit Duke? Max nickte. „Ja. Er hat mir einmal das Leben gerettet.“

„Hast du dich dafür revanchiert?“, hakte sie sofort nach.

Sehr schlau, ein bisschen zu schlau für seinen Geschmack. „Allerdings. Ich könnte es nicht ertragen, in seiner Schuld zu stehen.“

„Ist dir das jemals passiert?“

„Nein, ich will niemandem etwas schulden. Ich bin für Ausgeglichenheit und Gleichberechtigung“, sagte er leichthin. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn ihm war es lieber, wenn der andere ein wenig in seiner Schuld stand, sodass er, Max, das Heft in der Hand behielt.

„Aber du bist sehr bestimmend. Insofern vermute ich, dass du immer das letzte Wort haben willst.“

Er hob lächelnd die Schultern. „Was soll ich dazu sagen? Ich muss ein internationales Firmenkonsortium führen. Da muss ich schon eher ein A-Typ von der Persönlichkeit her sein.“

„Nur im Geschäftsleben?“

Er schüttelte unwillig den Kopf, denn dieses Thema wurde ihm zu unbequem. „Wolltest du mir nicht erzählen, in welchen kleinen Dingen du vielleicht doch Glück hast?“

„Wollte ich das?“

„Ja.“

„Ist das ein Befehl?“ Sie grinste ihn frech an.

Das gefiel ihm, aber er sah sie trotzdem streng an. Bei diesem Blick geriet normalerweise sein komplettes Vorzimmer in Panik.

„Du kannst mich nicht einschüchtern“, sagte sie. „Aber ich will dir freiwillig sagen, worin ich Glück habe.“

Sie hielt inne, und er wartete gespannt.

„Ich habe Glück, am Leben zu sein. Wenn ich nur wüsste, wofür.“

3. KAPITEL

Max spielte noch einmal vier Stunden lang und bestand darauf, dass Roxy an seiner Seite blieb. Sie hatte auch nichts dagegen, nur setzten ihr der Zigarren- und Zigarettenrauch tüchtig zu. Ihr dröhnte der Kopf.

„Ich muss mal ein paar Minuten an die frische Luft“, flüsterte sie Max ins Ohr.

„Nur noch ein Spiel, dann komme ich mit dir, und wir gehen frühstücken.“

Ein sehr zeitiges Frühstück, dachte sie. Es war noch kaum sechs Uhr morgens. Aber ihr war es recht. Allerdings bezweifelte sie, dass er wirklich nur noch ein Spiel machen würde.

Die meisten Männer, mit denen sie näher bekannt gewesen war, waren Spieler. Sie hatte sie immer in einem Kasino kennengelernt. Und nie hatten sie wie versprochen nach „nur einem Spiel“ den Spieltisch verlassen.

Doch es hatte sich viel verändert für sie. Vor sechs Monaten noch wäre sie etwa um diese Zeit zu einem intensiven Morgentraining in den Proberaum gekommen und hätte sich anschließend die Aufzeichnung der letzten Show kritisch angesehen.

Jetzt, ein halbes Jahr später, holte sie für einen Mann Drinks und ermunterte ihn weiterzuspielen, obgleich er diese Aufforderung gar nicht brauchte. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie sich nicht so verloren gefühlt. Damals musste sie, weil sie nun volljährig war, das Heim verlassen, in dem sie lebte und sich so wohl gefühlt hatte. Dabei waren es nur noch zwei Monate bis zu ihrem Schulabschluss. Doch ab da war sie völlig auf sich allein gestellt.

„Roxy?“

Sie drehte sich um und sah Tawny und Glenda, die quer durch das Kasino in Richtung Proberaum gingen. Sie lächelte, wenn auch etwas gezwungen.

„Hallo, ihr zwei, wie läuft die Show?“ Beide Mädchen waren hübsch und sehr durchtrainiert. Roxy musterte sie und vermisste das Zugehörigkeitsgefühl von früher. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und versuchte so zu tun, als könne sie jederzeit wieder in die Show einsteigen.

„Ohne dich nicht so gut“, erwiderte Glenda. „Roger ist in letzter Zeit richtig gemein. Bei dem kleinsten Versehen kriegt er einen Tobsuchtsanfall und lässt einen die Schrittfolge ewig wiederholen.“

„Na ja, es fällt ja auch auf ihn zurück, wenn etwas nicht klappt“, entgegnete Roxy.

„Ich habe dich gestern nicht mehr bei den Blackjack-Tischen gesehen“, meinte Tawny. „Hoffentlich bedeutet das, dass du bald wieder auftreten kannst.“

„Noch nicht. Ich muss noch ein paar Operationen über mich ergehen lassen, bevor ich wieder anfangen kann.“ Aber das war nicht die Wahrheit. Roxy wusste, dass sie nie wieder tanzen konnte. Die Belastung durch das dauernde Training und dann durch die abendlichen Shows, bei denen sie auch noch den schweren Kopfschmuck balancieren musste, war mehr, als ihr Körper ertragen konnte. Der Arzt hatte ihr nach der letzten Operation klipp und klar gesagt, dass Showtanzen in Las Vegas für Roxy nicht mehr infrage kam.

„Gute Besserung.“ Glenda umarmte sie herzlich, und die beiden Frauen winkten ihr zum Abschied zu.

Erschöpft lehnte Roxy sich gegen die Wand. Am liebsten wäre sie unsichtbar gewesen, um Zeit zu haben, sich zu sammeln. Die Begegnung mit den ehemaligen Kolleginnen hatte ihr wieder zu deutlich bewusst gemacht, auf was sie verzichten musste. Aber dann riss sie sich zusammen, sie durfte sich nicht gehen lassen.

Als sie die warme Hand eines Mannes auf dem Rücken spürte, fuhr sie erschreckt zusammen. Doch sie wusste sofort, wer es war. Sie blickte sich um. Max.

„Alles in Ordnung?“

„Ja.“ Sie nickte.

Er strich ihr sanft über den Arm und fasste sie dann bei der Hand. Sie gingen aus dem Kasino durch die Hotelhalle und dann in den Garten. „Wer war das?“

„Freundinnen von mir“, sagte sie.

„Tänzerinnen?“

„Ja.“

Sie wollte offenbar nicht über diese Zeit ihres Lebens sprechen, und Max fragte auch nicht weiter. Er spürte, dass Begegnungen mit früheren Kolleginnen für sie schwer erträglich waren und sie selbst nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.

„Wohin gehen wir?“, unterbrach sie seine Gedanken.

„Zum Frühstück. Hatte ich nicht gesagt, dass wir nach meinem letzten Spiel frühstücken gehen wollten?“

Die Röte stieg ihr in die Wangen, und sie blickte zu Boden. Wieder hatte sie ihn falsch eingeschätzt, denn sie war sicher gewesen, dass er sich nicht vom Spieltisch würde lösen können.

„Was ist denn los?“

„Wieso?“ Sie hob den Blick.

„Du siehst so verlegen aus.“

„Ich hatte nicht gedacht, dass du tatsächlich nach einem Spiel aufhörst.“

„Was ich verspreche, halte ich auch.“ Er blieb mitten auf dem Weg stehen und zog sie etwas näher zu sich heran.

Roxy legte den Kopf in den Nacken und sah Max an. Er erwiderte gelassen ihren Blick, und ihr war plötzlich klar, ein Mann wie er war ihr noch nie begegnet. Und wahrscheinlich würde sie auch einen wie ihn nie wieder treffen. Er sagte, was er meinte, und war durch und durch solide und zuverlässig, ganz anders als die anderen Männer in Las Vegas.

„Entschuldige. Die meisten Spieler bringen es nicht fertig aufzuhören.“

„Ich spiele wirklich nur zum Vergnügen und um mich zu entspannen.“

Nur dass sein Vergnügen sehr viel kostspieliger war als das, was ihr Freude machte. Mit manchen der Jackpots, um die es in den letzten vier Stunden ging, hätte sie ihr Häuschen abzahlen können.

„Erzähl mir von deinem Beruf“, bat sie.

„Später. Erst einmal wollen wir sehen, dass wir an unser Frühstück kommen.“

„Bleiben wir nicht hier im Hotel?“

„Nein.“ Er zog sie den Weg hinunter, der zu Haydens Privatgarage führte.

„Aber es gibt hier wirklich sehr gute …“

Er hob abwehrend die Hand. „Ich weiß. Du machst deine Sache gut. Aber ich habe bereits mit Hayden darüber gesprochen, ob er auf dich als Hostess nicht mal vorübergehend verzichten kann.“

„Was?“ Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Was bildete der Mann sich eigentlich ein? Meinte er, er könne tun, was immer ihm in den Sinn kam?

„Deshalb brauchst du doch nicht ärgerlich zu werden.“

„Zu spät. Glaubst du denn, dass ich dein Eigentum bin? Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich bin nicht deine Angestellte.“

„Doch, ich habe gehört, was du gesagt hast. Genau deshalb habe ich mit Hayden gesprochen. Ich habe etwas anderes mit dir vor.“

„Vielleicht habe ich dazu keine Lust.“

Er stand dicht vor ihr, und obgleich er sie nicht in die Arme nahm, hatte sie das Gefühl, ganz von ihm umgeben zu sein. „Normalerweise verhalte ich mich nicht so, aber du hast irgendetwas an dir, das mich ungeheuer anzieht.“

„Sex-Appeal?“

„Ja, das auch.“ Er grinste. „Aber es ist nicht nur das. Es ist etwas zwischen uns. Wenn du es nicht spürst, dann brauchst du es nur zu sagen, und ich höre sofort auf.“

„Und was ist dieses es?“ Sie wollte nicht zugeben, wie stark seine Wirkung auf sie war. Ein Mann wie er war sowieso eine Nummer zu groß für sie.

„Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich dich nicht gehen lassen will. Ich möchte gern den Tag mit dir verbringen, um das herauszufinden.“

Sein Blick war so leidenschaftlich, dazu seine Worte … sie konnte einfach nicht widerstehen. Obgleich sie wusste, dass sie dafür würde büßen müssen, denn sie waren zu verschieden. Trotzdem sehnte sie sich danach, mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

Santa Barbara in Kalifornien war das ideale Ziel. Roxy sagte kein Wort, während Max zu dem Privatflugplatz fuhr, wo er seinen kleinen Learjet stehen hatte.

„Wohin willst du?“, fragte sie schließlich.

„Ich möchte mit dir am Strand frühstücken. Ich möchte mit dir zusammen beobachten, wie der Tag erwacht.“

Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an und war offenbar so überwältigt, dass er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Auch er war überwältigt … von der Sehnsucht, mit ihr zusammen zu sein – und das von der ersten Stunde an.

„Die Sonne geht auch in Las Vegas auf“, sagte sie leise.

„Aber nicht so schön. Vertrau mir.“

„Machst du das immer so?“, fragte Roxy, als sie das Flugzeug bestiegen.

Aber er kam nicht dazu zu antworten, denn eine junge Frau erwartete sie in der Tür.

„Herzlich willkommen, Mr Williams und Miss O’Malley.“ Die junge Frau lächelte sie freundlich an.

„Roxy, das ist Lourdes, unsere Pilotin. Sie arbeitet schon seit fünf Jahren für mich.“

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen. Bitte geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie bereit zum Start sind, Mr Williams.“

„Okay.“

Lourdes verschwand im Cockpit und ließ sie allein.

Max ging zur Bar und schenkte Sekt und Orangensaft in zwei hohe, schmale Gläser ein. Roxy blickte sich staunend um. Die kleine Maschine war sehr luxuriös mit einem weichen Teppich und Ledersitzen ausgestattet. Dann wandte sie sich kopfschüttelnd zu Max um. „Das kann nicht klappen.“

Er wusste genau, worauf sie anspielte. Aber Max war von Anfang an so von Roxy fasziniert gewesen, dass er einer Beziehung wenigstens eine Chance geben musste. Und wenn es wirklich nur sexuelles Verlangen war, was er empfand, so wollte er auch das mit ihr ausleben. Doch irgendwie hatte er das bestimmte Gefühl, dass das nicht alles war. Roxy tat ihm gut. Die Rastlosigkeit, unter der er normalerweise litt, war verschwunden, wenn er mit Roxy zusammen war.

„Schenke mir diesen Morgen“, bat er leise. „Auf dem Rückweg können wir dann darüber sprechen, was uns trennt und was uns verbindet. Auch davon gibt es eine ganze Menge.“ Er stellte die Sektgläser ab und zog Roxy in die Arme. Sie holte tief Luft und blieb steif. Dennoch genoss er es, sie so nah zu spüren.

„Das geht ein bisschen zu weit, findest du nicht?“

Er ließ sie sofort los. „Entschuldige. Manchmal vergesse ich meine guten Manieren. Bitte, schlag mir das Frühstück nicht ab.“

„Gut, ich bin einverstanden.“

„Dann setz dich. Ich sag Lourdes, dass sie starten soll.“

Er drückte den Knopf der Sprechanlage. „Alles klar. Wir können los.“ Dann setzte er sich neben Roxy und reichte ihr ein Glas.

„Die meisten Menschen fliegen mal kurz zum Grand Canyon, wenn sie einen Tagesausflug machen wollen.“

Er sah sie aufmerksam an. „Warst du schon einmal dort?“ Er versuchte, sie zu analysieren, wie er es mit Firmen machte, die er übernehmen wollte. Wo lagen ihre Stärken? Was für Schwächen hatte sie? Dann musste er unbedingt herausfinden, wie er sie dazu bringen konnte, sein Verlangen zu stillen.

Wenn er es geschickt anfing, konnte sie ihm auch bei dem Geschäft mit Harron von Nutzen sein. Harron war sicher begeistert von ihr, und dann war es für Max ein Leichtes, endlich zum Abschluss zu kommen. Er wusste genau, dass Harron von ihr sehr angetan sein würde, denn ihm selbst war es auf Anhieb nicht anders gegangen.

„Ja. Und zwar mit einem Gast, der mich hatte tanzen sehen. Als er eine halbe Million am Spieltisch gewann, lud er mich zu einem Hubschrauberflug über den Grand Canyon ein.“

Max war froh, dass er sich für Santa Barbara entschieden hatte. Denn er hatte keine Lust, mit irgendeinem anderen Spieler verglichen zu werden. „Und dann behauptest du, du hättest nie Glück im Leben.“ Nur mühsam unterdrückte er eine scharfe Bemerkung. Wieder spürte er den Stich der Eifersucht.

Sie blickte ihn nur vielsagend an und nahm einen Schluck. „Habe ich auch nicht, zumindest bringe ich anderen kein Glück. Als wir nach Las Vegas zurückkamen, bat er mich, neben ihm am Spieltisch zu sitzen, und verlor prompt den Rest des Geldes, und das war nicht wenig.“

Max strich ihr liebevoll über die Wange. Das Glück, das sie brachte, hatte sicher nichts mit Gewinnen und Verlieren im Kasino zu tun. „Vielleicht konntest du nur ihm kein Glück bringen.“

„Aber dir?“, stieß sie leise hervor. Sie schmiegte sich an seine Hand, und ihr kühles seidiges Haar kitzelte seine Haut.

„Irgendwie schon. Bist du in der Revue im Chimera aufgetreten?“ Er musste unbedingt mehr Einzelheiten über ihr Leben erfahren. Noch nie hatte er eine dieser berühmten Shows gesehen. Wenn er nach Las Vegas kam, dann zum Spielen. Da war für Shows keine Zeit.

„Ja, in der vordersten Reihe. Allerdings war ich nicht Solistin.“

Er spürte, wie sie sich verkrampfte, während sie sprach. Schnell stellte er sein Glas ab und nahm ihre Hand. „Dazu gehört eine eiserne Disziplin, oder?“

„Allerdings, aber Tanzen ist mein Leben oder vielmehr: war es. Nun muss ich mich darauf konzentrieren, eine gute Hostess zu sein.“

„Aber das macht dir nicht so viel Spaß?“

„Ehrlich gesagt, nein.“

„Wie schwer sind deine Verletzungen?“

„Nicht sehr schlimm. Ich muss nur noch ein paarmal operiert werden, dann bin ich so gut wie neu.“

Er blickte sie nachdenklich an. In ihren Augen war deutlich zu lesen, dass sie selbst große Zweifel hatte, jemals wieder auftreten zu können.

„Aber nun zu dir“, sagte sie mit gespielter Munterkeit. „Was ist es für ein Gefühl, eine leitende Funktion im Wirtschaftsleben innezuhaben?“

„Ein angenehmes.“ Er grinste. „Zum Beispiel wird mir normalerweise jeder Wunsch erfüllt, den ich äußere.“

„Aber du brauchst jemanden, der dir auch mal Kontra gibt. Du bist zu sehr daran gewöhnt, dass immer alles nach deiner Nase geht.“

„Das kann sein. Dennoch ist es ein aufregender Beruf. Seit mehr als zehn Jahren leite ich die Pryce Holding.“

„Warum heißt das Unternehmen Pryce und nicht Max oder Williams?“

„Pryce ist der Mädchenname meiner Mutter.“

Roxy fragte ihn über die Holding aus, und während er von seinem Berufsleben erzählte, wurde ihm deutlich, dass sie sich über ihre Zukunft überhaupt nicht im Klaren war. Das kam ihm nur entgegen, denn so konnte er seine Pläne leichter durchsetzen.

Mit einer großen Limousine fuhren sie zum Strand, und Roxy war überwältigt von dem Luxus, der für Max vollkommen selbstverständlich zu sein schien. Direkt auf dem Sand war unter einer Überdachung ein niedriger Tisch für sie vorbereitet, umgeben von weichen, großen Kissen. Auf dem Tisch stand eine Vase mit rosa und weißen Rosen, und daran lehnte ein kleines blaues Kästchen mit einer weißen Schleife. Noch nie hatte ihr jemand etwas von Tiffany geschenkt.

Max versuchte, sie in großem Stil zu verführen, das war offensichtlich, aber er tat es mit so viel Geschmack, dass Roxy ihm nicht böse sein konnte. Es war die große Kunst der romantischen Verführung, und sie hatte nie geglaubt, dass so etwas überhaupt möglich war. Aber sie durfte nicht vergessen, dass das Ganze eine fantastische Inszenierung war. Max war es gewohnt, mit Geld um sich zu werfen und alles zu erreichen. Der Mann hatte schließlich einen Learjet, das war ja wohl deutlich genug.

Was auch immer er gesagt hatte, dies war mehr als nur ein Frühstück, und er versprach sich sicherlich einiges davon. Es ging ihm nicht nur darum, sie besser kennenzulernen. Auch wenn ihre Erfahrungen mit Männern begrenzt waren, Roxy erkannte sehr gut, was hier gespielt wurde. Das Problem war nur, dass sie es trotzdem genoss.

„Woran denkst du gerade?“, fragte er, und wieder hatte sie das Gefühl, er könne Gedanken lesen. Trotz all der Schutzmauern, die sie um sich herum errichtet hatte, schien er ihr direkt ins Herz zu sehen.

„Es kann nicht klappen mit uns“, sagte sie ohne ihn anzusehen. Sie würde nie zu seiner Welt gehören. Sie war geradlinig und ohne Illusionen – das hatte das Leben in Las Vegas sie gelehrt – und nicht der Typ Frau, der zu ihm passte. Was erhoffte er sich von ihr? Eine kleine billige Affäre?

„Warum nicht?“

„Wir kommen buchstäblich aus verschiedenen Welten, Max. Siehst du das nicht?“

„Doch. Aber ich möchte dir beweisen, dass wir uns ähnlicher sind als du glaubst. Obwohl ich nicht so tun will, als sei ich ein Leben wie dieses hier nicht gewohnt.“

„Fliegst du immer zum Frühstück irgendwohin?“

„Ein Flugzeug ist nur ein Transportmittel. Du bist doch sicher auch schon mit dem Auto irgendwo hingefahren, um jemanden zum Essen zu treffen.“

Er wollte daraus keine große Sache machen, aber sie wollte ihm und sich selbst an diesem Beispiel erklären, dass es das Geld war, das den Unterschied machte. Dass dieser Unterschied es war, der sie davon abhielt, auf ihn zuzugehen. Allerdings begann der in Max’ Umarmung zu schmelzen.

„Das kann man wohl kaum miteinander vergleichen“, wehrte sie ab.

„Darüber können wir uns unterhalten, wenn du dich umgezogen hast.“ Er wies auf eine Art Zelt von der Größe eines Umkleideraums.

Wo hatte er das alles in der kurzen Zeit hergezaubert? Sicher, er hatte ein paar Telefongespräche geführt, bevor sie an Bord des Learjets gegangen waren, aber dennoch. Sie legte den Kopf zur Seite und betrachtete diesen Mann, der alles in kürzester Zeit möglich machen konnte. „Ich habe nichts anderes mitgebracht.“

„Aber ich. Du findest alles, was du brauchst. Geh nur.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schob sie in Richtung Zelt.

Sie trat ein und fand zwei Schachteln eines berühmten Bekleidungshauses vor. Sie öffnete sie. In der einen Schachtel lagen Kleidungsstücke für sie, in der anderen für Max. Sie ließ sich auf der kleinen Bank nieder und schloss die Augen.

Was bedeutete das alles? Was tat sie hier? Sie sollte im Trainingsraum sein und ihr Morgenworkout absolvieren. Und wenn es ihr noch so schwerfiel, sie sollte versuchen, ihr Leben wieder neu aufzubauen, das Alan zerstört hatte. Außerdem sollte sie sich auf all das hier nicht einlassen und Max gegenüber misstrauisch sein. Aber sie konnte es nicht.

Sie wollte nicht mehr mit der Furcht leben, dass ihr Leben vorbei war. Und sie wollte auch nicht mehr so tun, als habe sich nichts geändert, obgleich Alans Angriff sie doch völlig aus der Bahn geworfen hatte. Sie wollte keine Angst mehr haben.

Sie zog sich aus und nahm die Sachen aus der Schachtel mit der Damenkleidung. Als erstes zog sie eine Caprihose heraus, die ihr so tief auf den Hüften saß, dass die Narben zu sehen waren. Sie suchte weiter. Da war ein hübsches T-Shirt, das farblich genau zu der Hose passte. Aber leider reichte es nur bis zum Bauchnabel, sodass es die Narben nicht verdeckte. Ihr wurde ganz elend bei der Vorstellung, Max könne sie so sehen.

Das durfte nicht sein. Das war eins der vielen Dinge, die sie vor Max geheim halten musste. Vielleicht würde er in der Lage sein, auch diesem Unterschied zwischen ihnen kein Gewicht beizumessen, aber sie konnte es nicht. Er hatte einen vollkommenen Körper, das wusste sie, auch ohne ihn nackt gesehen zu haben.

„Passt alles?“

Sie griff hastig nach ihrem seidenen Top und hielt es sich vor. Hoffentlich verdeckte es die Narben.

Der Zelteingang klappte auf, und Max stand im Eingang, barfuß und mit offenem Hemdkragen. Die Seebrise fing sich in seinem Haar. Der Morgen am Meer war kühl, und Roxy zitterte.

„Ich kann das nicht anziehen.“

„Macht nichts.“

„Ich meine, ich finde es sehr nett von dir, aber …“

„Pst.“ Er legte ihr den Finger auf die Lippen und liebkoste sie sanft mit dem Daumen. Sie schloss die Augen. Wie gern hätte sie sich an diesen starken und zuverlässigen Mann gelehnt und sich vorgestellt, dass er sie akzeptierte, wie sie war. Dass ihm all das, was sie an sich störte, nichts ausmachte.

Aber gleichzeitig wusste sie, dass es ihm etwas ausmachen würde. Weil es ihr selbst nicht gleichgültig war.

„Ist da nicht auch noch ein Pullover in der Schachtel?“

Sie hatte die Schachtel nicht ganz ausgepackt, blieb auch jetzt sitzen und sah Max nur an.

Ohne etwas zu sagen, setzte er sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. Die Versuchung, sich an ihn zu schmiegen, war groß, aber Roxy widerstand ihr.

Doch dann erstarrte sie. Er fing an, mit dem Zeigefinger langsam an dem Saum des kurzen T-Shirts entlangzufahren. Gleich musste er die erste Narbe berühren … Roxy hielt den Atem an, aber Max streichelte sie weiter, als habe er nichts bemerkt.

Doch sie konnte es nicht mehr ertragen, rückte von ihm ab und wäre am liebsten weggelaufen, um sich irgendwo zu verstecken.

Max sah sie freundlich an. „Ich will mich nur eben umziehen, dann können wir frühstücken.

Hastig sprang Roxy auf, dankbar, entfliehen zu können. Eins war sicher, er kannte jetzt ihr Geheimnis, und sie wusste nicht, ob das gut oder schlecht war.

4. KAPITEL

Max starrte auf die Zeltleinwand, die hinter Roxy zufiel, und ballte die Fäuste. Nun wusste er mehr über ihre Verletzungen, als ihr wahrscheinlich lieb war. Verdammt, was war ihr nur widerfahren?

Wenn er Hayden anrief, würde er alle Einzelheiten erfahren. Denn Hayden behandelte seine Angestellten wie eine große Familie und wusste sicher, was damals passiert war. Doch Max wollte es lieber von Roxy selbst hören, das wäre ein echter Vertrauensbeweis.

Er zog sich schnell um und verließ das Zelt. Roxy saß nicht am Tisch, wie er erwartet hatte, sondern stand am Wasser und beobachtete, wie die Wellen kamen und gingen.

Als Max näher kam, drehte sie sich um und sah ihn an, als erwarte sie ihr Todesurteil. Sie tat ihm unendlich leid, und ihm war sofort klar, dass sie etwas oder jemanden brauchte, der sie die Narben und ihr früheres Leben vergessen ließ. Sie brauchte ihn, aber davon musste er sie erst einmal überzeugen.

Was sie empfand, das qualvolle Gefühl der Einsamkeit und der inneren Leere, wünschte er nicht einmal seinem ärgsten Feind. Er konnte sich so genau in sie hineinversetzen, weil er Ähnliches selbst durchgemacht hatte. Das war schon einige Zeit her, nämlich bevor er sich aufgerafft und sein Leben selbst in die Hand genommen hatte. Er hatte sich damals geschworen, nie wieder von jemandem abhängig zu sein.

„Ist das nicht besser als der Grand Canyon?“, fragte er lächelnd.

„Das ist tatsächlich etwas ganz Besonderes.“

„Dann hat die Mühe sich ja gelohnt. Wollen wir einen kleinen Spaziergang am Wasser machen? Am Ende des Strandes gibt es eine Stelle, wo sich die Wellen normalerweise stark brechen. Ich weiß nicht, ob sie es heute tun, aber wenn, ist das ein tolles Schauspiel.“

„Das würde ich gern sehen. Surfst du?“

„Ja, aber nicht in ganz hohen Wellen. Und du?“

„Nein, das Risiko, mich zu verletzen, kann … ich meine, konnte ich nicht eingehen.“

Wegen ihres Berufs als Tänzerin. Allmählich begriff er, was es für sie bedeuten musste, nicht mehr auftreten zu können. „Hattest du immer schon vor, Tänzerin zu werden?“

„Es war der Wunsch meiner Mutter.“

„Wollte sie sich damit eine eigene Sehnsucht erfüllen? Ich kenne das von meinem Vater. Er wollte unbedingt, dass ich Rudern als Leistungssport mache, weil er in seiner Jugend zu einem Weltklasseteam gehört hatte.“

„Nein, das war nicht der Grund. Ich war erst vier, als meine Mutter starb, und ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie sie im Tanzstudio in der ersten Reihe saß und mir zusah.“

Max fasste Roxy bei der Hand, und sie gingen den Strand entlang. Er achtete auf jeden Schritt, den sie machte, und ging bewusst langsam, damit sie nicht versehentlich stolperte.

Bereitwillig erzählte sie ihm jetzt von ihrem Leben, und ihm wurde klar, dass bis zu dem Überfall Tanzen ihr ein und alles war. Max war ein sehr guter Zuhörer, einer der Gründe, weshalb er ein so erfolgreicher Geschäftsmann war. Sehr bald hatte er begriffen, dass ihm diese Fähigkeit auch bei menschlichen Beziehungen von Nutzen sein konnte.

Doch im Augenblick fiel es ihm schwer, sich auf diese Stärken zu konzentrieren, denn er konnte an nichts anderes denken als daran, Roxy endlich in die Arme zu schließen. Schlimmer noch, er wollte sie in seinem Bett, wollte sie langsam entkleiden und die Narben so lange liebkosen, bis Roxy kaum mehr wusste, dass sie existierten.

„Was ist?“

Erst jetzt bemerkte er, dass er stehen geblieben war und auf ihre Taille starrte. „Was? Ach, nichts. Wollen wir zurückgehen?“

Sie blickte ihm ernst in die Augen. „Du hast die Narben gefühlt.“

„Ja.“

Sie schwieg, und er wusste nicht gleich, was er sagen sollte. Doch dann: „Ich möchte nur die Möglichkeit haben, dich besser kennenzulernen. Wenn du nicht willst, brauchst du mir nichts weiter zu erzählen und kannst deine Geheimnisse erst einmal für dich behalten. Ich werde dich nicht drängen.“

Schweigend gingen sie zu ihrem Picknickplatz zurück und setzten sich auf die weichen Kissen.

Roxy legte sich die Serviette auf den Schoß. „Wie hast du das alles nur so schnell organisieren können?“

„Meine Angestellten werden gut bezahlt und sind ihr Geld wert.“ Er gab den beiden Männern von der Catering-Firma ein Zeichen. Sie hatten geduldig im Hintergrund gewartet. Nachdem sie serviert und sich wieder zurückgezogen hatten, gab Max Roxy die Tiffany-Schachtel. „Eine kleine Erinnerung an den heutigen Tag.“

„Aber das war doch gar nicht nötig.“ Sie betrachtete die Schachtel ziemlich misstrauisch, als habe sie eine Bombe in der Hand.

„Mach sie auf.“

„Hör auf, mich herumzukommandieren!“, sagte sie, musste dabei aber lächeln.

„Nein, ich denke nicht daran.“

Sie verzog belustigt das Gesicht, streifte dann das weiße Seidenband ab und öffnete das Kästchen. Zögernd nahm sie eine Kette heraus. Max stand auf, kniete sich hinter Roxy und legte ihr die feinen Platinglieder um den Hals. Er konnte nicht widerstehen, er musste ihr einen Kuss auf den schmalen Nacken drücken. Wie gut sie duftete. Doch bevor er seinem Verlangen weiter nachgeben konnte, hatte Roxy sich zu ihm umgedreht und blickte ihn ernst an. Sie kam näher, und irgendetwas ging plötzlich in ihm vor. Irgendetwas, das er nie wissentlich vermisst oder gar gesucht hatte, wurde ihm plötzlich bewusst. Empfindungen, die er bei sich selbst nie vermutet hätte, machten sich bemerkbar. Eins war ihm auf einmal mit hundertprozentiger Gewissheit klar. Er würde Roxy nie wieder gehen lassen.

„Danke“, hauchte sie, und dann küsste sie ihn. Ihr Kuss war alles andere als scheu, sie küsste wie eine Frau, die genau wusste, was sie wollte. Erst kitzelte sie ihn mit der Zunge, drang dann vor, wieder und wieder, erst spielerisch, dann immer leidenschaftlicher.

Max konnte sich nicht länger zurückhalten, riss sie in die Arme und erwiderte den Kuss voller Verlangen. Roxy stöhnte leise auf und drückte sich an ihn.

In Max’ Umarmung vergaß Roxy vollkommen, dass sie nicht mehr wusste, wer sie eigentlich war, dass sie ihren Körper nicht mehr mochte und dass sie so etwas wie mit Max noch nie erfahren hatte.

Stattdessen lebte sie ganz für den Augenblick und genoss, was sich ihr bot. Das kühle Leinen seines Hemds zum Beispiel, das in aufregendem Kontrast stand zu dem warmen, muskulösen Körper darunter. Die Leidenschaft seines Kusses, die sie vollkommen überwältigte. Die Lust und das Verlangen, die sich heiß in ihrem Körper ausbreiteten. Sie stöhnte tief auf … da ließ Max sie los.

Verwirrt öffnete sie die Augen und sah, dass er wieder zu seinem Platz ging und sich setzte. Was sollte das? Sie war sich selbst nicht im Klaren darüber, ob sie von Max als Mann so angetörnt war oder von der Tatsache, dass er sich um die Narben nicht zu kümmern schien und sie sich endlich wieder als vollwertige begehrenswerte Frau fühlte? Ganz sicher aber hätte jeder andere Mann jetzt nicht aufgehört, sondern hätte ihren Kuss als sehr direkte Einladung verstanden weiterzumachen, auch wenn sie es nicht so gemeint hatte.

Wenn er die Situation ausgenutzt hätte, hätte sie gewusst, wie damit umzugehen war. Sie hätte ihn eindeutig abblitzen lassen,

„Das steht dir ausgezeichnet“, sagte er leise.

„Was meinst du? Die Röte auf meinen Wangen nach deinem Kuss?“

Autor

Jennifer Greene

Seit 1980 hat die US-amerikanische Schriftstellerin Jennifer Greene über 85 Liebesromane veröffentlicht, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Unter dem Pseudonym Jennifer Greene schreibt die Autorin Jill Alison Hart seit 1986 ihre Romane. Ihre ersten Romane wurden 1980 unter dem Namen Jessica Massey herausgegeben, das Pseudonym Jeanne Grant benutzte...

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