Baccara Exklusiv Band 164

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DER PRINZ, DER MICH VERFÜHRTE von BARBARA DUNLOP
Raif Khouri ist außer sich. Als Kronprinz eines Wüstenstaates ist er selbstbewusste Frauen wie Ann nicht gewohnt. In New York will er die schöne Kunsthändlerin zur Rede stellen, doch das ist gar nicht so leicht! Denn am liebsten würde er sie an sich ziehen - und nie wieder gehen lassen …

DER TRAUMMANN MEINER SCHWESTER von HEIDI BETTS
Mit gemischten Gefühlen plant Kara die Hochzeit des Jahres: Ihre Schwester heiratet den Hotelmagnaten Eli Houghton - Karas heimlichen Traummann, der alles in ihr in Flammen setzt. Doch selbst als Karas Schwester die Verlobung löst, ist der Weg in Elis Arme für sie noch lange nicht frei …

KALTE SCHULTER, HEIßE KÜSSE von SANDRA HYATT
Chastity wollte Gabe Master nur von ihrer Schwangerschaft erzählen, doch was er ihr eröffnet, erschüttert sie zutiefst: Nicht ihr verstorbener Mann, sondern er sei der Vater ihres Kindes! Ihn nur mit einem Besuchsrecht abzuspeisen, ist ebenso unmöglich, wie seinem Sex-Appeal zu widerstehen …


  • Erscheinungstag 09.02.2018
  • Bandnummer 0164
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725044
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara Dunlop, Heidi Betts, Sandra Hyatt

BACCARA EXKLUSIV BAND 164

1. KAPITEL

Vermutlich hätte Ann Richardson dankbar dafür sein müssen, dass die Interpolagenten sie nicht einer Leibesvisitation unterzogen und in Handschellen abgeführt hatten. Doch nach sechs Stunden in dem kleinen, stickigen Befragungszimmer der Bundesbehörde war sie mit ihrer Geduld trotzdem am Ende.

Agentin Heidi Shaw kehrte gerade mit einem halb vollen Kaffeebecher in der Hand und einem Ordner unter dem anderen Arm zurück. Agent Shaw spielte den bösen und Agent Fitz Lydall, dessen Aussehen Ann unwillkürlich an eine untersetzte Bulldogge denken ließ, den guten Cop.

Da Ann bereits einige Detektivfilme gesehen hatte, wusste sie genau, worauf die beiden aus waren. Allerdings machte die Tatsache, dass Ann unschuldig war, den Agenten einen Strich durch die Rechnung, denn Psychotricks und Fangfragen führten nicht zu dem gewünschten Erfolg – Ann tat ihnen nicht den Gefallen und gestand, dass sie gerade im Begriff war, eine gestohlene antike Statue im Auftrag ihres Arbeitgebers, des Waverly Auktionshauses, zu verkaufen.

Vor einigen Monaten hatte sie zum ersten Mal von Rayas’ Goldherz-Statue gehört. Um 1700 hatte König Hazim Bajal drei solcher Statuen in Auftrag gegeben, die seinen drei Töchtern Glück bringen sollten. Eine dieser Statuen war noch im Besitz der Familie Bajal, eine andere ging angeblich bei dem Untergang der Titanic verloren, und die dritte war vor fünf Monaten aus dem Palast von Raif Khouri, des Kronprinzen von Rayas, entwendet worden.

Prinz Raif war fest davon überzeugt, dass Roark Black die Statue im Auftrag von Waverlys gestohlen hatte – eine ungeheuerliche Anschuldigung. Doch der Kronprinz war ein mächtiger und zu allem entschlossener Mann, der sich sogar nicht davor scheute, Interpol und FBI zur Wahrung seiner Interessen einzuschalten.

Heidi legte den Ordner auf den Schreibtisch und setzte sich auf den Metallstuhl gegenüber von Ann. „Erzählen Sie mir von Dalton Rothschild.“

„Lesen Sie denn keine Zeitung?“, fragte Ann zurück, um etwas Zeit zu gewinnen. Dalton war der Chef vom Auktionshaus Rothschild, Waverlys Konkurrent.

„Ich habe gehört, dass Sie beide sich sehr nahegestanden haben sollen.“

„Wir sind Freunde gewesen“, erwiderte Ann. „Die Betonung liegt auf dem Wort gewesen.“ Sie würde Dalton sein hinterhältiges Verhalten sowie die Tatsache, dass er ihren guten Ruf als Geschäftsfrau gefährdet hatte, niemals verzeihen. Es war eine Sache, Lügen über eine vermeintliche Affäre zu verbreiten, doch eine ganz andere, Anns Integrität in Zweifel zu ziehen.

„Freunde?“, hakte Heidi skeptisch nach.

„Sie lesen also die Zeitung.“

„Ich lese alles. Deswegen weiß ich auch, dass Sie nie bestritten haben, eine Affäre mit Dalton gehabt zu haben.“

„Möchten Sie gerne, dass ich das bestreite?“

„Ich möchte, dass Sie meine Frage beantworten.“

„Das habe ich bereits“, entgegnete Ann.

„Warum weichen Sie meinen Fragen so aus?“

Unbehaglich rutschte Ann auf dem unbequemen Metallstuhl hin und her. Sie war einfach nur ehrlich, doch die Fragen der Agentin behagten ihr ganz und gar nicht. „Wir sind Freunde gewesen. Er hat Lügen über mich verbreitet. Wir sind nicht länger miteinander befreundet.“

Heidi erhob sich.

Zu gern hätte Ann es ihr gleichgetan, doch jedes Mal, wenn sie den Versuch unternommen hatte aufzustehen, hatte man sie barsch aufgefordert, gefälligst sitzen zu bleiben. Allmählich begannen ihre Beine einzuschlafen und ihr Po zu schmerzen.

„Wo ist die Statue?“, fragte Heidi.

„Ich weiß es nicht.“

„Wo ist Roark Black?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Aber er arbeitet doch für Sie.“

„Er arbeitet für Waverlys.“

„Wortklauberei“, erwiderte Heidi lächelnd.

„Wohl kaum – es ist vielmehr die Wahrheit. Ich weiß nicht, wo er ist.“

„Sie wissen, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie Interpol belügen.“

„Und Sie wissen, dass ich jederzeit einen Reporter der New York Times anrufen könnte.“

Heidi stützte sich auf dem Tisch ab und beugte sich vor. „Soll das etwa eine Drohung sein?“

Da Ann klar wurde, wie dicht sie davor stand, endgültig die Geduld zu verlieren und sich um Kopf und Kragen zu reden, beschloss sie zu handeln. „Ich würde gerne meinen Anwalt anrufen.“

„Das sagen schuldige Menschen immer.“

„Das sagen Frauen, denen man seit fünf Stunden verbietet, auf die Toilette zu gehen.“

„Ich kann Sie vierundzwanzig Stunden festhalten“, erklärte Heidi und grinste selbstsicher.

„Ohne mich auf die Toilette zu lassen?“

„Nehmen Sie diese Angelegenheit hier etwa auf die leichte Schulter?“

„Ich finde die ganze Situation einfach nur lächerlich. Ich habe bereits sechsmal auf all Ihre Fragen geantwortet. Roark Black genießt mein volles Vertrauen. Die Statue, die bei Waverlys versteigert werden soll, ist nicht die aus dem Palast von Rayas. Waverlys handelt nicht mit Hehlerware.“

„Sie haben also die Titanic geborgen?“

„Ich habe keine Ahnung von den Umständen, unter denen Roark an die Statue gelangt ist, ich weiß nur, dass es sich auf keinen Fall um die gestohlene handelt.“

Außerdem hatte Roark eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben, in der er dem geheimnisvollen Besitzer der Statue versichern musste, seine Identität um jeden Preis zu bewahren. Verstieß er gegen diese Abmachung, würde er seine eigene Karriere und den Ruf von Waverlys zerstören. Noch nicht einmal Ann gegenüber konnte er etwas verraten.

„Gibt es Beweise dafür?“, wollte Heidi wissen.

„Kann ich meinen Anwalt anrufen?“, konterte Ann.

„Sie wollen es also wirklich auf die harte Tour, ja?“ Heidi atmete tief aus.

Allmählich war es um Anns Geduld endgültig geschehen. „Wollen Sie eigentlich Karriere machen?“

Fragend runzelte Heidi die Stirn.

„Dann sollten Sie sich endlich mal nach einem neuen Verdächtigen umsehen“, fuhr Ann fort. „Denn weder ich noch Roark Black sind schuldig. Vielleicht ist es ja Dalton. Der hat weiß Gott ein Motiv, Waverlys in Misskredit zu bringen. Doch falls er es wirklich war, dann habe ich nichts davon gewusst – und geholfen habe ich ihm auch nicht. Und von nun an werde ich nichts mehr sagen. Sie werden kein weiteres Wort mehr aus mir herausbekommen. Wenn Sie unbedingt eine Heldin sein wollen, dann sollten Sie endlich aufhören, mich zu verdächtigen und den wahren Täter ausfindig machen.“

Einen Augenblick lang sah Heidi sie sprachlos an. „Eine ziemlich beeindruckende Rede.“

Ann verkniff es sich, sich dafür zu bedanken.

„Allerdings sind ja die meisten Lügner gute Redner“, meinte die Agentin.

Falls man mir weiterhin verweigert, auf die Toilette zu gehen und meinen Anwalt anzurufen, dachte Ann entschlossen, dann gehe ich mit dieser Geschichte wirklich an die New York Times.

Kronprinz Raif Khouri war am Ende seiner Geduld angelangt. Zwar hatte er keine Ahnung, wie man in Amerika Nachforschungen anstellte, aber in seinem Land wäre Ann Richardson schon längst im Gefängnis gelandet. Nach ein paar Tagen würde sie dann darum betteln, ein Geständnis abzulegen.

Er hätte sie letzten Monat festnehmen lassen sollen, als sie in Rayas gewesen war. Allerdings hätte er sicherlich einen internationalen Konflikt heraufbeschworen, wenn er ihr Visum ausgesetzt und sie inhaftiert hätte. Außerdem hatte er zu jenem Zeitpunkt genauso viel Wert auf ihre Abreise gelegt wie Ann selbst.

„Eure Königliche Hoheit?“, fragte eine Stimme über das Interkom der Gulfstream. „Wir landen in paar Minuten in Teterboro.“

„Danke, Hari“, erwiderte Raif und streckte sich in dem weißen Ledersessel, um den Blutkreislauf in seinen Beinen wieder anzuregen.

„Ich kann dir die Stadt gerne zeigen, wenn wir da sind“, bot Raifs Cousin Tariq an, während er durch das Fenster die Skyline von Manhattan betrachtete. Er hatte drei Jahre lang an der Harvard Universität Jura studiert.

Raifs Vater, König Safwah, war überzeugt davon, dass eine internationale Erziehung der weitläufigen königlichen Familie das Königreich Rayas stärken würde. Raif selbst hatte zwei Jahre in Oxford verbracht, wo er sich dem Studium der Geschichte und Politik gewidmet hatte. Zwar hatte er zahlreiche europäische und asiatische Länder besucht, aber dieses war seine erste Reise nach Amerika.

„Wir sind aber nicht zum Sightseeing hier“, widersprach Raif.

Doch sein Cousin lächelte nur vielsagend. „Amerikanische Frauen sind aber nicht wie unsere in Rayas.“

„Und wir sind auch nicht hier, um Frauen hinterherzujagen.“ Nun, zumindest nur einer. Im Grunde waren sie ausschließlich hierhergeflogen, um eine bestimmte Frau ausfindig zu machen – und sie zum Reden zu bringen.

„Dort gibt es ein tolles Restaurant, von dem aus man einen großartigen Blick auf den Central Park hat, und …“

„Willst du, dass ich dich wieder nach Hause schicke?“, fragte Raif drohend.

„Ich wollte dich doch nur aufheitern.“

„Wir sind aber hier, um die Goldherz-Statue zu finden“, stellte Raif klar.

„Wir müssen aber auch was essen.“

„Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren.“

„Und das können wir viel besser mit etwas glasiertem Lachs und Matsutake-Pilzen.“

„Du hättest besser Prozessanwalt werden sollen“, meinte Raif und legte den Sicherheitsgurt an, als das Fahrwerk der Maschine ausgefahren wurde. Seit ihrer Kindheit war er mit Tariq befreundet und konnte sich nicht daran erinnern, seinen Cousin jemals in einem Wortgefecht geschlagen zu haben.

„Das wäre ich auch gerne“, erklärte Tariq. „Aber der König ist dagegen gewesen.“

„Wenn ich König bin, wirst du auf gar keinen Fall Prozessanwalt“, sagte Raif.

„Wenn du König bist, ersuche ich in Dubai um Asyl.“

Unwillkürlich musste Raif lächeln.

„Vielleicht kann ja eine Frau deine Laune ein wenig aufheitern“, schlug Tariq vor. „Da gibt es diesen Club in der Fifth Avenue …“

„Ich bin nicht wegen der Frauen in New York.“ Allerdings konnte Raif nicht anders, unentwegt musste er an Ann Richardson denken. Er war ein Narr gewesen, dass er sie geküsst hatte – und ein noch größerer, dass es ihm auch noch gefallen hatte. Und der größte aller Narren, dass der Kuss derart außer Kontrolle geraten war.

Wenn er abends die Augen schloss, dann sah er immer noch ihr blondes Haar, ihre zarte Haut und diese faszinierenden blauen Augen vor sich. Er glaubte, den Geschmack ihrer heißen, sinnlichen Lippen und den verführerischen Duft ihres Vanilleparfums wahrnehmen zu können.

Kurz nachdem die Maschine in den Hangar gerollt und die beiden Männer die Gangway heruntergestiegen waren, wurden sie vom Botschafter von Rayas begrüßt. Raif bevorzugte unauffällige Empfänge, denn er ahnte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis auch seine Privatreisen zu Staatsanlässen aufgebauscht werden würden.

„Eure Königliche Hoheit“, sagte der Botschafter und verbeugte sich förmlich. Er trug die traditionelle weiße Robe, wie sie in Rayas üblich war, und sein graues Haar wurde zum Teil von einer weißen Kappe bedeckt.

Raif entging nicht, dass der ältere Mann missbilligend die Stirn runzelte, als er Raifs westlichen Anzug sah, doch der Botschafter behielt seine Gedanken diesbezüglich für sich. „Willkommen in Amerika“, begrüßte er sie stattdessen.

„Vielen Dank, Fariol.“ Raif schüttelte ihm die Hand, anstatt ihn nach Landessitte zu umarmen und zu küssen. „Haben Sie sich um den Wagen gekümmert?“

„Selbstverständlich.“ Fariol wies auf eine riesige Stretchlimousine.

„Hat mein Büro denn nichts von unauffällig gesagt?“, fragte Raif skeptisch nach.

Fariol runzelte die Stirn. „Es gibt keine Flaggen, kein königliches Siegel auf den Türen und keine anderen Hinweise, die auf Rayas hindeuten könnten.“

Raif entging nicht, wie Tariq zur Seite schaute, vermutlich, um ein Lächeln zu verbergen.

„Ich habe damit aber eine ganz normale Limousine gemeint, eine, die nicht so auffällt – und die ich selbst fahren kann.“

Verwirrt trat Fariol einen Schritt zurück, um sich von seinem jungen Assistenten etwas ins Ohr flüstern zu lassen. „Ich könnte etwas arrangieren, Herr Botschafter“, erklärte der jüngere Mann.

„Dann tun Sie das“, wandte Raif sich direkt an den Assistenten, woraufhin er einen weiteren vernichtenden Blick vom Botschafter erntete.

Der Assistent nickte und zog ein Telefon aus der Tasche.

Fariol richtete sein Interesse nun auf Tariq. „Scheich Tariq“, sagte er. Es war zwar nur ein kleiner Verstoß gegen die Etikette, aber es war eigentlich üblich, dass der Kronprinz eine Unterhaltung beendete, nicht der Botschafter.

Entschuldigend sah Tariq zu seinem Cousin hinüber. Ihm war der Protokollbruch also auch aufgefallen. „Herr Botschafter, vielen Dank, dass Sie uns willkommen heißen.“

„Wissen Sie schon, wann Sie nach Rayas zurückkehren?“

Einen Augenblick stockte Tariq überrascht, bevor er antwortete: „Natürlich dann, wenn der Kronprinz entscheidet, dass es an der Zeit ist abzureisen.“

Jetzt musste Raif ein Grinsen unterdrücken.

Der Assistent des Botschafters hatte sein Telefonat beendet. „Der Wagen ist in wenigen Minuten hier. Ein Mercedes. S-Klasse. Ich hoffe, das ist zur Zufriedenheit Eurer Königlichen Hoheit.“

„Ja, vollauf“, erwiderte Raif und sah zu seinem Cousin. „Kannst du die Adresse herausbekommen?“

Tariq wandte sich an einen der Sicherheitsleute. „Jordan?“

Der Mann trat einen Schritt vor. „Wir können aufbrechen, Sir.“

Jordan Jones war ein amerikanischer Sicherheitsexperte, mit dem Tariq sich in Harvard angefreundet hatte. Zwar war Raif ihm vorher noch nie persönlich begegnet, aber er hatte bereits so zahlreiche Geschichten über diesen Mann gehört, dass er von seinen Fähigkeiten überzeugt war.

Kurz darauf wurden die Türen des Hangars geöffnet, und ein stahlgrauer Mercedes rollte hinein. Sobald der Wagen vor Raif hielt, begann die Crew des Flugzeugs, das Gepäck umzuladen.

„Das wäre dann alles, Fariol.“ Raif entließ den Botschafter mit einem knappen Nicken und ging zur Fahrerseite des Mercedes. Tariq und Jordan folgten ihm.

„Ich fahre“, sagte Raif zu dem Chauffeur, der gerade ausgestiegen war.

„Nein, du willst nicht fahren, Raif“, widersprach Tariq leise, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Botschafter sie nicht hören konnte.

„Doch, das will ich.“

„Nein, willst du nicht.“

Verwirrt sah der Fahrer von einem zum anderen.

„Wer von uns ist hier eigentlich der Prinz?“, fragte Raif.

„Wer von uns ist schon mal in Manhattan gefahren?“, gab Tariq zurück.

„Ich fahre“, mischte Jordan sich ein und nahm dem überraschten Fahrer die Schlüssel aus der Hand, bevor er die hintere Tür öffnete und Raif auffordernd ansah. „Fremde königliche Hoheiten auf den Rücksitz und Einheimische aus Brooklyn ans Steuer.“

„Sie sind ganz schön dreist“, meinte Raif zu ihm.

„Da haben Sie völlig recht, … Sir.“

Raif folgte Tariq zum hinteren Teil des Wagens. „In meinem Land hätte ich Sie dafür einen Kopf kürzer machen können“, log er.

„Und in meinem könnte ich Sie dafür einfach so im schlimmsten Stadtviertel von New York aussetzen“, entgegnete Jordan. „Was auf dasselbe herauskommt.“

Unwillkürlich musste Raif lächeln, als er ins Auto stieg. Vermutlich hatte der andere Mann recht – als eingefleischter New Yorker würde Jordan sie schneller zu Ann Richardsons Apartment fahren können als er.

„Ich habe gehört, dass Sie im Plaza wohnen“, sagte Jordan, nachdem er hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte. „Toller Service und strenge Sicherheitsrichtlinien.“

„Niemand weiß, dass ich hier bin“, erklärte Raif.

„Interpol schon“, widersprach Jordan. „Ihr Pass hat bestimmt die Warnlampen in ihrem Büro in Manhattan aufleuchten lassen.“

„Interpol hat aber nichts gegen mich“, sagte Raif.

„Interpol befürchtet aber, dass jemand anderer etwas gegen Sie haben könnte.“

„Die einzige Person in Amerika, auf die das zutrifft, ist Ann Richardson. Und das auch nur, weil ich kurz davor bin, sie als Kriminelle zu entlarven.“

„Falls in Rayas irgendwas von politischer Bedeutung vorgefallen ist, was ich wissen müsste, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, mir davon zu erzählen“, schlug Jordan vor, während er den Wagen aus dem Hangar lenkte.

„Nur ein paar innenpolitische Probleme“, erwiderte Tariq. „Raifs Onkel und Aimee, ein entfernter Cousin von uns, sind vor dem Altar sitzen gelassen worden. Der Diebstahl der Goldherz-Statue ist der einzige internationale Skandal, den wir zurzeit haben.“

„Ich habe gehört, dass Ihr Vater krank ist“, sagte Jordan und sah Raif im Rückspiegel an.

„Ihm geht es schon wieder besser“, antwortete Raif automatisch.

„Die Wahrheit tut nichts zur Sache, aber der Anschein schon. Und es scheint, dass Ihr Vater im Sterben liegt. Das bedeutet, dass Sie kurz davor stehen, König zu werden. Und das wiederum hat zur Folge, dass irgendwer Sie irgendwo da draußen umbringen will.“

„Warum? Nur so aus Prinzip?“ Doch Raif wusste, dass Jordan recht hatte.

„Es ist ein Machtspiel. Ihre Cousine Kalila ist die Nächste in der Erbfolge?“

„Ja.“

„Wer steht ihr nahe? Besonders in der letzten Zeit?“

„Wissen Sie, ich bin doch nur für ein paar Tage hier“, entgegnete Raif etwas ungehalten. Der Mann war von ihnen als Fremdenführer angeheuert worden und nicht als neuer Chef seines Sicherheitsteams.

„Ich muss mir trotzdem einen Überblick verschaffen.“

„Sie hat seit Neuestem einen englischen Freund“, warf Tariq ein, woraufhin Raif ihn missbilligend ansah, weil er nicht wollte, dass in Anwesenheit von Dritten über familiäre Dinge gesprochen wurde.

„Name?“, fragte Jordan.

„Sie sollen uns zu Ann Richardson fahren und nicht unsere Familienchronik schreiben“, mischte Raif sich ein.

„Niles“, antwortete Tariq. „Das ist alles, was sie uns verraten wollte. Kalila ist die Erste, die der Fluch getroffen hat. Und jetzt ist auch noch Mallik sitzen gelassen worden.“

„Es gibt keinen Fluch.“ Raif verdrehte die Augen.

„Meinst du den Fluch der Goldherz-Statue?“, erkundigte sich Jordan.

„Nichts weiter als eine närrische Legende.“ Allmählich war es um Raifs Geduld geschehen.

„Und dieser Niles?“, fragte Jordan unbeirrt weiter. „Ist der aus dem Nichts aufgetaucht?“

„Er ist Student“, informierte Tariq ihn.

„Arabischer Abstammung.“

„Durch und durch britisch“, warf Raif ein. „Wir haben übrigens einen Auftrag zu erfüllen, schon vergessen? Während unseres Aufenthaltes in New York gilt unser Interesse ausschließlich Ann Richardson.“

„Hast du das gesehen?“, fragte Anns Nachbarin Darby Mersey und lief auf dem Flur hinter Ann her, als diese auf dem Weg zu ihrem Apartment war.

Ann konnte Darby wirklich sehr gut leiden, aber heute Abend wollte sie einfach nur allein sein. Nach dem zermürbenden Gespräch bei Interpol sehnte sie sich nach einer langen, heißen Dusche, einer Tasse Kräutertee und wenigstens zwölf Stunden Schlaf.

„Was denn?“, erkundigte sie sich, während sie ihr Apartment betrat und inständig hoffte, dass die Antwort kurz ausfallen möge.

„Den Inquisitor von heute.“

„Ich hatte leider noch keine Gelegenheit dazu.“

„Es steht auf der Titelseite“, erzählte Darby aufgeregt, und ihrem Tonfall nach zu urteilen, kam Ann zu dem Schluss, dass ihr nicht gefallen würde, was auf der Titelseite stand.

„Dein Bild.“

„Um was geht es dieses Mal?“, wollte Ann wissen und beschloss kurzerhand, den Kräutertee durch ein Glas Wein zu ersetzen.

Darby setzte sich auf einen der Küchenstühle und breitete die Zeitung auf dem Tisch aus, bevor sie den Artikel vorlas.

Ständiger Meinungswechsel scheint in der feinen Gesellschaft großer Auktionshäuser in Mode zu kommen. Obwohl sie nicht in der Lage ist, weder ihren noch den Namen ihres Auktionshauses reinzuwaschen, hat Ann Richardson anscheinend beschlossen, auf altbewährte Weise weiterzumachen.

„Und wie sieht diese altbewährte Weise aus?“, fragte Ann nach.

„Sex.“

„Mit Dalton?“ Ann wusste nicht, was der Reporter eigentlich wollte. Seit Monaten schon wurde über sie und Dalton geschrieben – die Sache war Schnee von gestern.

„Mit Prinz Raif Khouri.“

„Was?“, fragte Ann entgeistert.

„Du hast mich schon richtig verstanden.“

„Das ist wirklich unter der Gürtellinie, selbst für dieses Revolverblatt.“

„Aber sie haben ein Foto von dir abgedruckt“, erklärte Darby.

„Ja, und?“ Das hatten sie schon Hunderte Male. Ihr persönlicher Favorit war das Foto, auf dem sie zu sehen war, nachdem sie sich eine Tasse Kaffee auf die Bluse geschüttet hatte.

„Auf dem hier küsst du den Prinzen.“

Plötzlich hatte Ann das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

„Und es sieht nicht nach Fotoshop aus.“

Ungläubig ging sie um den Tisch herum. Es hatte nur ein einziges Mal gegeben, an dem sie … „Verdammt!“, rief sie.

Es bestand kein Zweifel daran. Das war sie, die Arme um Raifs Nacken geschlungen, die Lippen leidenschaftlich auf seine gepresst.

„Teleobjektiv?“, vermutete Darby.

„Da bin ich in Rayas gewesen.“ Wer hätte gedacht, dass es in Rayas auch Paparazzi gab?

„Dann stimmt es also?“, hakte Darby nach und lächelte anzüglich. „Du hast mit Prinz Raif geschlafen?“

„Natürlich nicht!“, protestierte Ann. „Ich habe ihn geküsst, wie man sehen kann. Aber mehr ist nicht passiert. Es war nur ein einziges Mal. Am anderen Ende der Welt. Im abgeschirmten Garten des Valhan-Palastes.“

Einen Augenblick wanderten ihre Gedanken zurück zu jenem berauschenden Kuss an ihrem letzten Tag während ihrer letzten Stunde in Rayas. Schon Tausende Male hatte sie daran zurückgedacht.

„Du hast mir gar nicht erzählt, dass du dich in ihn verliebt hast“, sagte Darby.

„Ich habe mich auch nicht in ihn verliebt. Er ist ein arroganter Kerl, der mich für eine kriminelle Lügnerin hält.“

Darby nahm die Zeitung in die Hand. „Na, das ist aber ein ganz schön leidenschaftlicher Kuss für einen arroganten Kerl.“

„Ich küsse ihn auch gar nicht“, log Ann. „Er küsst mich.“

Zwar hatte Raif den Kuss begonnen, doch es hatte lediglich einen Herzschlag gedauert, bis sie beide diesem Zauber der Leidenschaft erlegen gewesen waren.

„Dann hat er sich also in dich verliebt?“

„Das ist kein romantischer Kuss gewesen“, erklärte Ann. „Er hat lediglich etwas klarstellen wollen.“

Darby lächelte noch breiter. „Zum Beispiel, dass er ziemlich sexy ist?“ Kritisch betrachtete sie das Foto. „Du siehst aber nicht gerade so aus, als würdest du dich wehren.“

Unglücklicherweise hatte Darby recht. Raif mochte eigensinnig und arrogant sein, aber er war zweifelsohne ungemein sexy – und verstand verdammt gut zu küssen. In dem Moment, in dem ihre Lippen sich berührt hatten, schien die Welt auf einmal in Flammen gestanden zu haben, doch das musste Darby nicht notwendigerweise erfahren. Ann hatte schon genug damit zu tun, selbst nicht mehr daran zu denken.

„Er hat klarstellen wollen, dass er in seinem Land alles tun kann, worauf er Lust hat – ohne dass ich etwas dagegen unternehmen könnte. Ich bin mit dem nächsten Flugzeug abgereist.“

„Was denn?“, fragte Darby.

„Wie, was denn?“

„Du hast gesagt, er kann alles tun, worauf er Lust hat. Was denn?“

Ann zuckte mit den Schultern, während sie eine Flasche Rotwein entkorkte. „Was weiß ich. Steuern für die Armen erheben, Fabriken privatisieren oder Unschuldige ins Gefängnis werfen.“

„Er wollte dich ins Gefängnis werfen?“

„Das weiß ich nicht so genau“, erwiderte Ann zögernd.

„Und stattdessen hat er dich geküsst?“

„Ich glaube schon. Wahrscheinlich ist er nicht davon ausgegangen, dass es ihm gefallen würde. Das hat ihn eine Minute außer Gefecht gesetzt, und ich hatte genug Zeit, um zu fliehen.“

Darby holte zwei Weingläser aus dem Hängeschrank und stellte sie auf den Küchentisch. „Und warum hast du mir nichts davon erzählt?“

„Es fällt leichter, etwas zu vergessen, wenn man es nicht ständig mit der besten Freundin diskutiert.“

„Zu dumm für dich, dass ich heute das Foto gefunden habe.“

Nachdenklich betrachtete Ann das Bild und konnte nicht anders – sie musste sich vorstellen, wie es sich angefühlt hatte, von ihm umarmt zu werden. Sie meinte, immer noch seine Lippen auf ihren spüren und den würzigen Duft der exotischen Pflanzen wahrnehmen zu können. Die sanfte Meeresbrise, die mit ihrem Haar gespielt hatte. Unwillkürlich erschauerte sie wohlig.

„Du solltest besser Wein einschenken“, unterbrach Darby ihre sinnlichen Träumereien und schob die beiden Gläser zu ihr hinüber.

Doch bevor Ann ihrer Aufforderung nachkommen konnte, klingelte es an der Tür.

„Geh nicht hin“, warnte Darby. „Könnte ein Reporter sein.“

„Oder Edwina Burrows“, entgegnete Ann und ging zur Gegensprechanlage. Die ältere Frau war Mitglied im Vorstand von Waverlys und schaute gelegentlich kurz am frühen Abend bei Ann vorbei, wenn sie mit ihrem Cockerspaniel spazieren ging. „Hallo?“

„Ann? Hier spricht Prinz Raif Khouri“, sagte ein Mann mit starkem Akzent. „Wir müssen reden.“

„Ja, ja“, sagte Ann kopfschüttelnd. „Richten Sie Ihrem Herausgeber aus, dass der Trick nicht funktioniert hat.“

In der Zwischenzeit füllte Darby die beiden Weingläser.

„Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen, Ann“, entgegnete der Mann. „Aber ich bin für dieses Gespräch sehr weit gereist.“

Wieder presste Ann den Knopf der Gegensprechanlage. „Halten Sie mich eigentlich für blöd?“

„Ms. Richardson, was lässt Sie glauben, dass ich aufgeben würde?“, fragte der Mann mit der tiefen Stimme.

Ann hatte das Gefühl, dass ihr Herzschlag aussetzte. Jetzt erkannte sie die Stimme. Sie hatte Angst vor ihr – und der Himmel mochte ihr beistehen, aber diese Stimme brachte auch ihre Leidenschaft zum Entflammen.

„Was ist los?“, fragte Darby verständnislos.

Ann schluckte schwer. „Das ist er.“

„Prinz Raif?“

Langsam nickte Ann. Raif war in Amerika – und er wusste, wo sie wohnte.

„Lass ihn bloß nicht rein!“, rief Darby besorgt.

Beinahe hätte Ann laut aufgelacht. „Wo denkst du hin? Niemals!“

2. KAPITEL

Raif hatte noch nie verstanden, weswegen die Amerikaner selbst bei Nichtigkeiten stets so ein Aufheben um Legalität machten. Trotzdem war er Tariqs und Jordans Ratschlag gefolgt und hatte vierundzwanzig Stunden abgewartet, um sich Ann ganz legal auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung nähern zu können.

Die Feierlichkeit fand im traditionsreichen Crystal Sky Restaurant in zahlreichen Räumen statt, von denen jeder anders nach dem Motto eines europäischen Landes dekoriert war. Dazu gab es landestypische Speisen und Getränke, doch Raif interessierte sich weder fürs Essen noch dafür, soziale Kontakte zu pflegen. Bei seiner Ankunft spendete er im Namen der königlichen Familie eine großzügige Summe, wurde dem Vorstandsvorsitzenden des Hospitals vorgestellt, machte dessen Frau ein Kompliment wegen ihres Kleides und begab sich danach auf die Suche nach Ann.

Im schwedischen Raum wurde er schließlich fündig. Sie stand neben einem gigantischen Rentier vor einem Raumteiler mit strahlend bunten Sternen. Raif verharrte für einen Moment und atmete den Duft von Schokolade und Muskatnuss ein, wobei er unverwandt zu Ann schaute, die in ihrem trägerlosen Ballkleid aus rotem Satin atemberaubend schön aussah.

Sie scherzte mit dem Mann, der neben ihr stand, und trank einen Schluck Champagner. Als ihre roten Lippen den Rand des Glases berührten, musste Raif unwillkürlich daran denken, wie sie sich geküsst hatten. Dieser Gedanke erregte ihn ungemein, aber er kämpfte dagegen an, bevor er auf Ann zuging. Er lehnte ein Glas mit Eierpunsch ab, das ihm ein vorbeilaufender livrierter Kellner anbot. Auf gar keinen Fall wollte er Ann aus dem Blick verlieren.

Ann verabschiedete sich von dem anderen Mann und schien nach draußen gehen zu wollen. Raif war nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, als sie ihn schließlich bemerkte. Überrascht sah sie ihn an.

„Gehen Sie wieder!“, raunte sie ihm zu, als sie die Fassung wiedergewonnen hatte.

„Wir müssen reden.“

„Nicht in der Öffentlichkeit. Auf gar keinen Fall.“

„Dann lassen Sie uns irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind.“ Das käme ihm sowieso entgegen.

„Gehen Sie, Raif. Ich will bestimmt nicht wieder mit einem Foto auf der Titelseite vom Inquisitor landen.“ Besorgt schaute sie sich im Raum um.

„Wer hat denn was von einem Foto gesagt?“

„Sie haben doch bestimmt den Inquisitor gelesen?“

Jordan hatte ihn auf die gestrige Ausgabe aufmerksam gemacht. „Ich lese keine Boulevardpresse.“

„Ich auch nicht“, entgegnete Ann scharf. „Und ich habe auch nicht vor, mich wieder in so einem Blatt wiederzufinden.“

„Dann ist es ja nur gut, dass ich nicht vorhabe, Sie zu küssen.“

Misstrauisch sah sie ihn an und ging um ihn herum. „Man darf uns nicht zusammen sehen.“

Rasch umfasste er ihren Arm. „Oh, nein, so kommen Sie mir nicht davon.“

„Lassen Sie mich los!“

„Erst, wenn wir gesprochen haben.“

„Sie tun mir weh.“

„Nein, tue ich nicht.“ Er fasste viel sanfter zu, als er eigentlich gern gewollt hätte. Außerdem kümmerte er sich nicht um die Presse. Ihm war es egal, ob man sie verdächtigte, eine Affäre zu haben. Und auf gar keinen Fall würde er sich von der öffentlichen Meinung sein Handeln vorschreiben lassen.

„Haben Sie etwa vor, mein Leben zu ruinieren?“, fragte sie.

„Haben Sie dasselbe mit meinem vor?“

„Ich habe nichts mit Ihrer gestohlenen Statue zu tun.“

„Das behaupten Sie zumindest.“ Nicht eine Minute hatte er ihr geglaubt. Es beleidigte ihn sogar, dass sie annahm, er wäre so naiv. Die Beschreibung seines Onkels, Prinz Mallik, ließ nur wenig Zweifel daran, dass es sich bei dem Dieb um Roark Black gehandelt hatte.

„Raif, bitte. Nicht hier. Nicht jetzt“, bat sie ihn inständig, und gegen seinen Willen empfand er plötzlich Mitgefühl für sie. Vergeblich versuchte er dagegen anzukämpfen. Schließlich war er dieser Frau nichts schuldig. Doch etwas in ihren blauen Augen berührte ihn zutiefst. Er zog sie hinter den Raumteiler.

„Ist das privat genug?“, fragte er ungehalten.

„Nein.“

Raif erspähte eine Tür nicht weit von ihnen. Ann wollte Diskretion. Bitteschön! Er drehte den Türknauf, stieß die Tür auf und schob Ann in das benachbarte Zimmer.

„Hey“, protestierte sie, als er die Tür hinter ihnen schloss. „Sie können doch nicht …“

„Doch, kann ich“, unterbrach er sie, während er sich umsah. Eine Frau sollte vorsichtig mit ihren Wünschen umgehen.

Sie befanden sich in einem kleinen, privaten Esszimmer. Durch zwei Erkerfenster konnte man in den festlich beleuchteten Garten sehen.

Ann ging wieder auf die Tür zu. „Lassen Sie mich raus hier.“

Doch Raif stellte sich ihr in den Weg. „Wieso? Hier sieht uns doch keiner“, erwiderte er sarkastisch.

„Darum geht es nicht.“

„Und um was geht es dann, Ann? Haben Sie etwa Angst, mich nicht länger belügen zu können?“

Wütend blickte sie ihn an. „Ich lüge nicht.“

Forschend betrachtete er ihr Gesicht auf der Suche nach Anzeichen dafür, dass sie die Unwahrheit sagte, doch ihre Schönheit schlug ihn in ihren Bann. Am liebsten hätte er ihre zarten Wangen berührt, ihre nackten Schultern gestreichelt und ihre sinnlichen Lippen erkundet.

„Ann“, stieß er hervor.

„Was wollen Sie mir denn sagen, Raif?“, fragte sie müde. Plötzlich schien jeder Ärger aus ihrer Stimme verschwunden zu sein.

Es ging eigentlich gar nicht um das, was er ihr sagen wollte, sondern vielmehr darum, dass er sich inständig wünschte, sie hätte nichts mit dem Verschwinden der Goldherz-Statue zu tun.

„Wie kann ich Sie nur überzeugen?“, hakte sie nach.

„Indem Sie mir die Statue geben.“ Nur mühsam gelang es ihm, sich wieder auf das eigentliche Thema zu konzentrieren.

„Das ist unmöglich.“

„Dann sagen Sie mir, wo sie sich befindet.“

„Das weiß ich nicht.“

„Dann bringen Sie mich zu Roark Black.“

„Roark hat Ihre Statue nicht.“

Wütend trat er einen Schritt näher. „In Rayas würden wir Sie nicht so höflich fragen.“

Erschreckt holte sie Luft, schwieg aber weiterhin verbissen.

Raif kämpfte gegen das Verlangen an, sie zu küssen.

„Wir sind aber nicht in Rayas“, konterte sie schließlich.

„Zu schade.“

„Warum?“, fragte sie. „Würden Sie mich dann in ein Verlies werfen lassen?“ Ihre Augen schimmerten dunkel im Schein der Weihnachtsbeleuchtung aus dem Garten.

Er beschloss, es mit Ehrlichkeit zu versuchen. „Wenn wir in Rayas wären, würde ich Sie an mein Bett fesseln.“

Überrascht sah sie ihn an.

„Vor hundert Jahren“, fuhr er fort, „hätte ich Sie schon an dem Abend an mein Bett gefesselt, als Sie mich geküsst haben.“

„Dann kann ich ja von Glück sagen, dass die Zeiten sich geändert haben. Übrigens haben Sie mich geküsst.“

„Vielleicht.“ Erregt betrachtete er ihren sexy Körper. „Aber ich hätte Sie sicher sehr glücklich gemacht.“

„Ihr Ego ist ja prächtig entwickelt.“

„Man sagt mir nach, ein hervorragender Liebhaber zu sein.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, was unglücklicherweise ihr ohnehin schon entzückendes Dekolleté noch mehr betonte. „Wer sagt das? Die Frauen, die Sie ins Verlies sperren könnten, wenn Sie wollten?“

„Überwiegend“, entgegnete er achselzuckend und konnte nur mühsam den Blick von ihren Brüsten abwenden. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass seine Liebhaberinnen vielleicht aus Furcht vor möglichen unangenehmen Konsequenzen in ihrer Meinungsäußerung gehemmt gewesen sein könnten.

„Sie sollten es eines Tages mal mit jemandem versuchen, über dessen Leben Sie keine Macht haben.“

„Vielen Dank für den Ratschlag.“ Er wünschte, dieser Jemand würde Ann sein. Und am besten gleich jetzt und hier.

„Dann sehen Sie ja, ob Sie immer noch Bestnoten erhalten“, fügte sie ironisch an.

„Falls Sie nicht vorhaben, sich um diesen Job zu bewerben, schlage ich vor, dass wir das Thema wechseln.“

„Wie bitte?“

Er runzelte die Stirn und bedachte sie mit einem bedeutungsvollen Blick.

„Oh“, stieß sie hervor und schluckte hart.

„Genau.“ Raif beschloss, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. „Mein Vater ist schwer krank, und der Diebstahl der Statue geht ihm sehr zu Herzen.“

„Das tut mir leid“, entgegnete Ann leise.

Überrascht stellte Raif fest, wie ihm schwer ums Herz wurde, und er versuchte, seiner Stimme nichts von der Traurigkeit anmerken zu lassen. Das war seltsam. Normalerweise gelang es ihm, über seinen Vater zu sprechen, ohne dass es ihn berührte. „Wenn die Statue wieder in den Palast käme, könnte der König seinen Frieden schließen.“

Sanft berührte Ann seinen Arm. „Ich würde Ihnen helfen, wenn ich könnte.“

Er sah ihr ins Gesicht. Ihr Blick war aufrichtig und voller Mitgefühl, und es fiel Raif schwer zu glauben, dass sie eine Diebin sein sollte.

„Dann machen Sie das“, sagte er scharf.

„Ich kann aber nicht.“ Sie schüttelte den Kopf, und er sah Tränen in ihren Augen. Er umschlang ihre Taille und beugte sich zu ihr herunter. „Doch, Sie können.“

„Raif …“, flüsterte sie.

Er spürte ihren schlanken Körper und ihre sinnlichen Rundungen, als sie sich fest an ihn schmiegte. Ihr zarter Lavendelduft schien seine Sinne zu streicheln, und heftiges Verlangen erwachte in ihm.

Er würde sie küssen, und keine Macht der Welt würde ihn davon abhalten. Zärtlich umfasste er ihren Kopf und genoss das seidige Gefühl ihres Haars, bevor er sich erneut zu ihr herunterbeugte – begierig darauf, endlich wieder ihre vollen Lippen zu spüren.

„Kalifornien“, stieß sie hervor.

Abrupt verharrte er. „Was?“

„Roark hat gesagt, dass er nach Kalifornien will.“

Nur mühsam gelang es ihm, sich von ihr zu lösen. „Sie müssen schon ein wenig genauer sein.“

„Los Angeles.“ Sie löste sich aus seiner Umarmung. „Normalerweise wohnt er im Santa Monica Reginald.“

„Sie lügen.“

Doch sie schüttelte den Kopf.

„Sie geben mir Roark?“

„Ja.“

„Um einem Kuss aus dem Weg zu gehen?“

„Der letzte hat mir eine Menge Ärger eingebracht.“

Er strich ihr übers Haar. Der letzte Kuss hatte ihm eine Menge Ärger ganz anderer Art eingebracht. Er konnte Ann einfach nicht mehr vergessen.

„Santa Monica?“

Sie nickte und sah ihm in die Augen. „Im Reginald.“

„Und er hat die Statue?“

„Er wird Ihnen mehr darüber erzählen.“

„Das ist zu leicht gewesen“, stellte Raif zögernd fest.

„Mir ist es aber nicht im Geringsten leichtgefallen.“

Er betrachtete sie prüfend.

„Lassen Sie mich gehen, Raif. Sie machen sich in meinem Land strafbar damit, wenn Sie mich gegen meinen Willen festhalten.“

„Ich tue Ihnen doch nichts.“

„Sie benötigen mein Einverständnis, wenn Sie mich so anfassen, wie Sie es gerade tun.“

„Das ist doch lächerlich.“

„Vielleicht in Rayas. Aber hierzulande ist das Kidnapping und Freiheitsberaubung.“

„Ich habe Sie lediglich ein paar Schritte hierhergeführt.“

„Aber Sie wollen mich nicht gehen lassen.“

Natürlich wusste er, dass sie gewaltig übertrieb. Doch immerhin hatte sie ihm einen Hinweis gegeben, und er sollte sie jetzt wirklich gehen lassen.

Sobald er den Arm von ihrem Rücken fortgezogen hatte, trat sie ein paar Schritte zurück.

„Es steht Ihnen frei zu gehen“, erklärte er.

„Wie außerordentlich großzügig von Ihnen.“ Hastig ging sie zur Tür und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Einen Augenblick lang befürchtete Raif, er habe sie möglicherweise wirklich in Angst und Schrecken versetzt. Dabei hatte er sie nur küssen und ihr keinerlei Schaden zufügen wollen. Das würde ihm niemals in den Sinn kommen.

Doch dann besann er sich eines Besseren. Sie war eine Diebin, die sich nicht im Mindesten um das Wohl seiner Familie scherte. Falls er sie also ein wenig nervös gemacht haben sollte, dann hatte sie sich das selbst zuzuschreiben. Ihr Geständnis hatte lediglich bewiesen, dass er die ganze Zeit mit seinem Verdacht richtig gelegen hatte.

Jetzt würde er nach Kalifornien reisen und Roark Black ein bisschen auf den Zahn fühlen.

„Hast du eigentlich vor gar nichts Angst?“, fragte Darby und wischte sich das feuchte Haar aus der Stirn.

Seite an Seite trainierten die beiden Frauen auf Hometrainern, von denen etwa dreißig Stück in einer Reihe im Obergeschoss des Blackburn Fitnessclubs standen. Ann war bei ihrem achtundzwanzigsten Kilometer angelangt, doch sie befürchtete, dass Darby bereits mehr geschafft hatte. Auf den Bildschirmen vor ihnen war eine Nachrichtensendung zu sehen, der Ton war auf stumm geschaltet.

„Er weiß ja nicht, dass ich es gewesen bin“, sagte Ann schwer atmend, während sie weiter in die Pedalen trat. „Und es hat doch schließlich funktioniert.“

„Das ist ziemlich kurzsichtig gedacht von dir“, widersprach Darby.

„Ich habe auf Roarks Namen drei Nächte im Reginald gebucht“, erklärte Ann. „Raif und seine Mannen werden ziemlich schnell herausbekommen, dass er dort eingecheckt hat. Dann beobachten sie das Gebäude in der Hoffnung, dass Roark auftaucht.“

„Und wenn die drei Nächte um sind?“

Ann zuckte mit den Schultern. „Dann wird Raif denken, dass Roark entweder aufgefallen ist, dass man ihn beobachtet oder er seine Pläne geändert hat. Wenn ich Glück habe, bleibt er noch eine Weile auf der Suche nach Roark in Kalifornien.“

„Du hast Prinz Raif in ein aussichtsloses Unternehmen geschickt.“

„Na, ich konnte ihn ja schlecht hier lassen, wo er mir die ganze Zeit auf den Fersen ist.“ Davon abgesehen, wäre sie ständig in Gefahr gewesen, von Paparazzi aufgelauert zu werden. Dabei musste Ann sich hundertprozentig auf die bevorstehende Jahresabschlussauktion heute Abend konzentrieren. Um ein Haar hätte sie Raif auf dem Wohltätigkeitsball nämlich wieder geküsst, und auf gar keinen Fall durfte sie jemals wieder so weit gehen.

„Hast du irgendeine richtige Spur von Roark?“

Ann schüttelte den Kopf. „Ich habe ihm bestimmt schon ein Dutzend Nachrichten hinterlassen. Entweder ist er im Moment wirklich nicht zu erreichen, oder er hat Angst davor, mir zu antworten.“

„Ist das FBI immer noch hinter ihm her?“

„Sie sind immer noch an ihm interessiert – Interpol übrigens auch. Aber sie haben nichts gegen ihn in der Hand – und dabei wird es wohl auch bleiben.“

„Weil er seine Spuren so gut verwischt hat, oder weil er es nicht gewesen ist?“

„Weil er es nicht gewesen ist.“

„Du bist ja optimistisch.“

„Ich kenne Roark schon lange. Im Augenblick kann ich ihn zwar nicht erreichen, aber er ist dabei, Waverlys guten Ruf zu retten – darauf würde ich mein Leben verwetten.“

Zwar liebte Roark das Risiko, doch er war nicht nur durch und durch ein Profi, sondern auch ein Mann mit Prinzipien. Er hatte Ann versichert, dass es sich bei seiner Goldherz-Statue nicht um Diebesgut handelte, und Ann glaubte ihm. Allerdings wünschte sie, dass er endlich den Beweis dafür erbringen würde.

„Und wenn du dich täuschst?“, fragte Darby leise.

„Dann bin ich meinen Job und meinen guten Ruf los, und Waverlys wird vermutlich von Rothschild übernommen.“

Ann hatte mittlerweile den dreißigsten Kilometer erreicht und hörte auf zu treten, bevor sie nach ihrem Handtuch griff. „Ich muss jetzt nach Hause und mich auf die Arbeit vorbereiten“, sagte sie. „Heute ist der große Abend.“

„Was versteigert ihr denn?“ Darby stieg ebenfalls von ihrem Trainingsgerät.

„Lauter Luxusartikel für Millionäre, die noch auf die Schnelle ein Weihnachtsgeschenk brauchen“, scherzte Ann. Die Weihnachtszeit war in jedem Jahr Waverlys letzte Gelegenheit, die jährlichen Verkaufszahlen doch noch zu erreichen. Am heutigen Abend würden erlesene Antiquitäten von ehrwürdigen Familien diesseits und jenseits des Atlantiks versteigert werden. Waverlys war schon lange genug im Geschäft, um zu wissen, was reiche Männer ihren Freundinnen und Frauen zu Weihnachten schenken wollten. Präsente mit Stammbaum waren im Auktionsgeschäft einfach unerlässlich.

„Oh, oh“, sagte Darby und nickte in Richtung der Monitore.

Ann folgte ihrem Blick und sah das Bild von sich und Raif, als sie sich im Garten geküsst hatten. Dazu hörte man die Stimme von Dalton Rothschild.

„Glauben Sie, dass die Aktionäre das Angebot von Rothschild akzeptieren werden?“, fragte der Journalist.

„Wenn man die Ereignisse der vergangenen Tage berücksichtigt, gehe ich von einer Empfehlung des Vorstands aus“, erwiderte Dalton.

„Dieser Mistkerl“, zischte Darby.

„Er kämpft eben mit harten Bandagen“, erwiderte Ann und überlegte, worauf Dalton eigentlich hinauswollte. Hatte sich irgendetwas geändert? Bisher hatte sie geglaubt, vom Vorstand voll und ganz unterstützt zu werden. Zumindest hatten die Chancen fünfzig zu fünfzig gestanden. Vielleicht log Dalton ja auch – das hoffte sie zumindest. Falls das nicht der Fall sein sollte, dann sollte sie ihre verbliebenen Ersparnisse nehmen und sich einen günstigen Strand irgendwo in der Karibik suchen und ihren Rücktritt erklären – denn mit ihrer Karriere wäre es dann vorbei.

„Was willst du jetzt tun?“, wollte Darby wissen, als der Beitrag vorbei war.

„Ich muss mit Edwina sprechen“, erklärte Ann, nahm ihr Handtuch und ging zu den Umkleideräumen. Sie musste unbedingt wissen, ob die Vorstandsmitglieder Dalton tatsächlich unterstützten.

„Und was ist mit Roark?“ Darby lief neben ihr.

„Ich weiß, die Sache ist kompliziert“, gestand Ann. „Aber wenn er nicht bald den Beweis dafür bringt, dass unsere Statue nicht gestohlen ist, dann bedeutet das möglicherweise das Aus für Waverlys.“

„Wirst du jetzt gefeuert?“

„Ich schätze, das weiß ich nach der Auktion heute Abend.“ Ann wusste, dass sie zwar bisher einen guten Job gemacht hatte, aber durch die Skandale allmählich zu einer Belastung für Waverlys geworden war. „Verdammt seiest du, Raif Khouri“, murmelte sie. Wenn der Kerl doch nicht so versessen auf diese Statue wäre und nicht gleich Interpol auf sie angesetzt hätte! Wenn er sie doch nicht beschuldigen würde oder geküsst hätte …

Raif betrachtete die abendliche Silhouette Manhattans von seiner Royal Suite im Plaza Hotel. Er ärgerte sich darüber, zwei kostbare Tage wegen Anns falschem Spiel verloren zu haben. Roark war nicht in Kalifornien – und war es vermutlich auch nie gewesen. Zwar gab es eine Hotelreservierung unter seinem Namen, aber Jordans Recherchen hatten ergeben, dass das Zimmer auf Anns Kreditkarte lief.

Raif hatte gewusst, dass die Frau clever war. Doch jetzt hatte er den Beweis dafür, dass sie außerdem gerissen war. Nun, sie hatte es ja so gewollt und ihm den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Und er wusste genau, was er wollte.

Die Tür zur Suite wurde geöffnet, und kurz darauf stand Tariq neben ihm. „Alles klar“, sagte er.

„Ist sie darauf reingefallen?“, fragte Raif, ohne sich umzudrehen.

„In zwanzig Minuten wird Ann hier sein.“

„Gut.“ Raif lächelte grimmig.

„Bist du hungrig?“, fragte Tariq.

„Überhaupt nicht.“

„Ich habe gedacht, dass wir vielleicht später …“

„Dann habe ich zu tun.“

Tariq zögerte einen Augenblick. „Will ich wissen, was?“

„Nein. Ist Jordan schon weg?“

„Ja.“

„Und du verschwindest jetzt auch besser.“

„Raif, du wirst doch nicht …“

„Was?“, unterbrach er seinen Cousin scharf, der daraufhin verstummte.

„Ich mache mir einfach nur Sorgen um dich“, gestand Tariq.

„Und ich mache mir Sorgen um Rayas.“ Raif fand, dass es Zeit für einen Themenwechsel war. „Kalila hat übrigens heute angerufen.“

„Ist sie endlich zur Vernunft gekommen?“

„Nicht im Geringsten. Sie ist eine verwöhnte Göre.“

„Sie ist doch noch jung“, meinte Tariq entschuldigend.

„Ich finde, sie hätte nie nach Istanbul zur Schule gehen dürfen.“

Tariq trat neben ihn ans Fenster. „Aber es ist wichtig, dass sie die Welt kennenlernt.“

„Sie sollte besser auf ihre Pflichten achten.“

„Meinst du, das liegt an dem Fluch von der Goldherz-Statue?“ Tariq klang nachdenklich.

„Es gibt keinen Fluch.“

„Und warum verliebst du dich dann in Ann Richardson?“

„Verlieben? Am liebsten würde ich sie erwürgen.“

„Und sie vorher um Sinn und Verstand küssen.“

Dagegen ließ sich nichts einwenden. „Hier geht es nicht um Liebe. Es ist nur Lust.“ Schließlich war Raif ein Mann voller Lebensfreude und Ann eine bezaubernd schöne Frau. Da war es ja nicht weiter verwunderlich, dass er an Sex dachte, wenn er sie sah, oder?

„Wenn du es zu bunt treibst, schicken sie dich ins Exil“, warnte ihn Tariq.

„Ich treibe es nicht zu bunt, wie du es nennst. Und jetzt solltest du besser gehen.“

„Nur zu gerne.“ Tariq machte einen Schritt zurück. „Ich kenne da einen fantastischen Club in der Fifth Avenue mit toller Musik, großartigem Cognac und schönen Frauen. Warte nicht auf mich.“

„Das mache ich doch nie“, erwiderte Raif gedankenverloren, weil er bereits darüber nachdachte, wie er sich gleich verhalten würde, wenn Ann hierherkam.

Nachdem sein Cousin gegangen war, begab sich Raif ins Wohnzimmer, um dort auf Ann zu warten. Er stellte sich in eine Nische, die man von der Eingangstür aus nicht einsehen konnte, denn er wollte, dass Ann ihn nicht vorzeitig entdeckte.

Wie geplant, führte ein paar Minuten später ein Butler Ann in den Raum, und sie setzte sich auf das große Sofa in der Mitte des Wohnbereichs. Raif wartete, bis der Butler wieder gegangen war, bevor er aus der Nische trat.

Als Ann die Bewegung bemerkte, stand sie sofort auf. „Hallo? Mr. Oswald?“

„Hallo, Ann.“ Er ging auf sie zu.

Verwirrt sah sie ihn an. „Raif? Was machen Sie denn hier? Ich bin verabredet mit Mr. …“

„Leopold Oswald. Ja, ich weiß.“

„Er hat Interesse bekundet, ein paar seiner Gemälde versteigern zu lassen.“

Raif blieb vor ihr stehen. „Ich fürchte, das trifft nicht zu. Ich sollte Roark treffen“, erklärte er. „Und Sie Leopold …“ Er wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass Ann verstand.

„Leopold kommt also nicht“, stellte sie schließlich fest.

„Hundert Punkte für den Kandidaten.“

„Dann haben Sie mich belogen.“

„Sie haben mich auch belogen“, erinnerte er sie.

„Ich habe aber gedacht, dass Roark in Santa Monica sei“, behauptete sie.

„Aber Sie haben die Reservierung vorgenommen und für die drei Nächte bezahlt“, sagte Raif vorwurfsvoll.

Sie gab sich geschlagen. „Okay, das haben Sie also herausgefunden. Aber ich musste es tun. Sehen Sie mal, es ist eine kritische Zeit für Waverlys und für meine Karriere.“

„Und das rechtfertigt Ihrer Meinung nach eine Lüge?“

„Wenn man im Recht ist, dann ja.“

„Gut.“ Er nickte. „Dann verstehen Sie ja sicherlich, was ich gleich tun werde.“

Überrascht trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihn misstrauisch. „Was werden Sie denn gleich tun?“

„Ich werde Roark Black anrufen und ihm einen Deal anbieten.“ Er zog sein Telefon hervor. „Betrachten Sie sich bitte als gekidnappt, Ann.“

Sie blinzelte. „Das ist ja wohl lächerlich.“

Lächelnd beobachtete Raif, wie sie zur Tür ging. „Da draußen steht ein Wachmann. Er ist aus Rayas und ein treuer Untergebener.“

Zögernd öffnete sie die Tür und sah zu dem riesenhaften und muskelbepackten Ali Geensh auf, der sie stirnrunzelnd musterte.

Rasch schloss sie die Tür wieder und griff in ihre Tasche nach dem Telefon.

Sofort war Raif bei ihr und nahm es ihr weg. „Danke. Ich hätte nicht gewusst, wie ich sonst an Roarks Privatnummer rankommen sollte.“ Er öffnete das Telefonbuch in ihrem Handy. „Er ist doch unter Ihren Kontakten zu finden, oder?“

„Geben Sie mir das wieder.“ Sie versuchte, es ihm wegzunehmen, doch er hielt es aus ihrer Reichweite.

„Sparen Sie lieber Ihre Kräfte.“

„Sie haben kein Recht …“

„Genauso wenig wie Sie das Recht hatten, mich in die Irre zu führen. Ihretwegen habe ich drei Tage verloren.“

„Ich habe nichts Unrechtmäßiges getan.“

„Und können Sie nachts gut schlafen?“

„Ich habe keine Probleme.“

„Ich auch nicht.“ Raif durchsuchte Anns Kontaktliste und wählte dann Roarks Nummer.

„Das können Sie sich sparen. Ich habe ihm schon ein Dutzend Nachrichten hinterlassen“, erklärte sie.

„Aber nicht so eine“, erwiderte Raif, als Roarks Mailbox am anderen Ende der Leitung ansprang.

„Roark“, sagte er. „Hier spricht Prinz Raif. Ich habe Ann. Rufen Sie mich an.“

Mit großen Augen sah sie ihn an. „Man wird Sie verhaften. Im Ernst, Raif. Das ist Kidnapping.“

„Die verhaften mich schon nicht.“ Er baute darauf, dass Roark alles tun würde, um Ann zu befreien.

„Was um Himmels willen denken Sie sich dabei?“

„Ich will, dass Roark mir die Goldherz-Statue bringt.“

„Ja, zusammen mit einem SWAT-Team. Rufen Sie ihn noch mal an, Raif, und sagen Sie ihm, dass es nicht so gemeint war. Lassen Sie mich gehen.“

Raif schüttelte den Kopf. „Sie hatten Ihre Chance, das Ganze auf ehrliche Weise zu regeln.“

„Dafür kann man Sie zwanzig Jahre ins Gefängnis stecken, Raif.“

„Ach, das glaube ich nicht“, entgegnete er. „Sie wissen es immer noch nicht, oder, Ann?“

„Was denn?“, fragte sie verwirrt.

„Wer ich bin und was ich tun kann. Ich bin der Kronprinz eines fremden Staates und besitze diplomatische Immunität. Ich komme mit allem davon, wenn es sein muss.“

Sie schluckte. „Diplomatische …“

„Tja, sieht so aus, als wären Sie mir ausgeliefert.“

3. KAPITEL

„Auf gar keinen Fall spiele ich da mit, Raif.“ Einen Augenblick lang dachte Ann ernsthaft darüber nach, durch die Hotelzimmertür zu fliehen, doch sie bezweifelte, es mit dem Sumo-Ringer davor aufnehmen zu können.

„Wer spricht denn hier von einem Spiel?“, fragte Raif, der gefasst wirkte. Sein dunkler Anzug saß tadellos, und sein makellos weißes Hemd sowie die stahlgraue Krawatte unterstrichen seine männliche Ausstrahlung. Noch nie hatte Ann ein Foto von ihm gesehen, auf dem er nicht perfekt rasiert oder frisiert gewesen war. Sie hatte den Verdacht, dass er einen eigenen Friseur beschäftigte.

„Ich soll Ihnen also wirklich glauben, dass Sie mich hierbehalten wollen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, oder etwa nicht?“

„Ich gehe jetzt.“

„Das dürfen Sie gerne versuchen“, erwiderte er sanft.

Vorsichtig ging sie auf den nächsten Telefonapparat zu und hob den Hörer ans Ohr. Stille. „Sie haben die Telefonverbindung unterbrochen, stimmt’s?“, fragte sie ungläubig.

Raif entgegnete nichts.

„Wieso habe ich nur das Gefühl, dass dies nicht Ihre erste Entführung ist?“

„Es ist das erste Mal, dass jemand versucht zu fliehen.“

„Was?“, rief sie ungläubig. „Werfen Ihre Opfer sich Ihnen normalerweise unterwürfig vor die Füße?“

„Das kommt vor.“

„Sie leben in einer Seifenblase, das wissen Sie sicherlich.“

„Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich ein privilegiertes Leben führe.“

„Privilegiert?“ Wütend warf sie den Hörer zurück auf den Apparat. „Wissen Sie, was ich von Ihnen denke? Sie sind ein unausstehlicher kleiner Machthaber, der dringend mal in seine Schranken verwiesen werden müsste.“

„Und Sie sind eine hinterhältige kleine Heuchlerin, die dringend an einen Lügendetektor angeschlossen werden müsste“, konterte er stirnrunzelnd.

„Na, wenn Sie einen hier haben, dann nur her damit.“

„Ich muss gestehen, dass ich daran nicht gedacht habe.“

„Zu schade. Dann hätten wir das Problem auf der Stelle lösen können.“

„Wir lösen es, sobald Roark zurückruft.“

„Roark ruft nicht zurück.“

Ein welterfahrener Mann wie Roark Black würde keine Verhandlungen mit einem Kidnapper aufnehmen.

„Ich habe heute Abend eine Auktion“, erklärte sie. „Ich muss zur Arbeit.“

„Warum sagen Sie das denn nicht gleich?“, fragte Raif sarkastisch. „In diesem Fall gebe ich natürlich auf. Sie dürfen gehen.“

„Mistkerl“, murmelte Ann und verschränkte die Arme.

„Hungrig?“, fragte er.

Das war sie, aber sie wollte es keinesfalls zugeben. Und auf gar keinen Fall wollte sie etwas von ihm annehmen, schließlich hatte sie von dem Stockholm-Syndrom gelesen.

„Überhaupt nicht“, erwiderte sie bestimmt und setzte sich, da sie seit dem Verlassen des Fitnessclubs in High Heels steckte und das Gefühl hatte, dass ihre Füße sie noch umbrachten.

Sie hatte sich bereits für die Auktion heute Abend angezogen, doch es störte sie nicht, was Raif von ihr halten mochte. Hätte sie gewusst, dass so etwas passieren würde, dann hätte sie sich für ein weniger körperbetontes Outfit entschieden. So saßen Rock, Bluse und Blazer äußerst figurbetont, und dieser neue Spitzen-BH war nicht unbedingt die optimale Wahl gewesen. Der hatte zwar im Geschäft großartig ausgesehen, fühlte sich beim Tragen jedoch leider äußerst unbequem an.

„Sind Sie immer so stur?“, fragte er und setzte sich in den Sessel.

„Es tut mir leid“, antwortete sie säuerlich. „Benehme ich mich etwa nicht so vorschriftsmäßig, wie es sich für ein Entführungsopfer gehört?“

Er streckte die Beine aus. „Sie brauchen lediglich zu kooperieren, und die Sache ist vorbei, ehe Sie sich versehen.“

„Ach, ja? Und wieso ist es dann noch nicht vorbei?“

„Kooperieren Sie, Ann“, ermahnte er sie schwach lächelnd.

„Ich soll also zugeben, Ihre Statue gestohlen zu haben.“ Allmählich war sie es leid, dass alle Welt versuchte, sie dazu zu bewegen.

„Korrekt“, erwiderte Raif, zog sein Telefon aus der Tasche und drückte einen Knopf. „Ali? Dinner for one.“

Ann verdrehte die Augen.

„Haben Sie Ihre Meinung etwa geändert?“, fragte Raif.

„Nein.“ Sie stand wieder auf. „Darf ich ins Bad?“

„Dort entlang.“ Er nickte in Richtung eines breiten Flurs, der hinter dem Flügel zu sehen war.

Ann hatte den Flur halb durchquert, als sie das Bad auf der linken Seite erreichte. Am Ende des Ganges sah sie Doppeltüren, durch die man in das Schlafzimmer mit Kingsize-Doppelbett gelangte, über das eine dunkelgrüne Tagesdecke drapiert war.

Sie schluckte, als sie das Bad betrat und versuchte, die Vorstellung von sich und Raif in diesem Bett aus ihren Gedanken zu verbannen.

Das würde er nicht wagen. So weit würde selbst er nicht gehen. Er mochte zwar diplomatische Immunität genießen, doch er hatte doch sicher einen Ehrenkodex – das hoffte sie zumindest. Und wenn er einen hatte, dann hoffentlich einen, der ihn nicht glauben ließ, dass jede Frau ihm zu Willen zu sein hatte. Sie verriegelte die Badezimmertür und lehnte sich erschöpft von innen dagegen. Vielleicht sollte sie einfach hierbleiben, bis Raif wieder zu Verstand gekommen war.

Das war das größte Bad, das sie je gesehen hatte. In einem Erker befand sich eine Badewanne, in der vier Personen Platz gehabt hätten. Sie war von Grünpflanzen und weißen Kerzen umgeben.

Falls Raif glaubt, dass ich hysterisch werde oder einen Nervenzusammenbruch erleide, dann hat er sich geirrt, dachte sie grimmig. Diplomatische Immunität hin oder her – sie würde dafür sorgen, dass sein ungeheuerliches Verhalten Konsequenzen für ihn haben würde. Doch bis dahin blieben ihr nicht viele Möglichkeiten. Entweder kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und versuchte ihn doch noch zur Vernunft zu bewegen, während sie ihm, hungrig wie sie war, beim Essen zusah. Oder sie blieb einfach hier und genoss die Annehmlichkeiten dieses Luxusbadezimmers.

„Das hast du jetzt davon, Raif Khouri“, flüsterte sie und drehte probehalber einen Zulauf oberhalb der Wanne auf. Augenblicklich begann warmes Wasser daraus hervorzuströmen, und Ann betätigte den Hebel, der den Stöpsel aktivierte.

Doch während sie dem einströmenden Wasser zusah, wurde sie nervös. Wollte sie sich wirklich ausziehen, wenn auf der anderen Seite der Wand Raif wartete? Sollte sie nicht besser ins Zimmer zurückkehren und ihn noch einmal um ihre Freiheit bitten? Wenn sie heute Abend unentschuldigt auf der Auktion fehlte, wäre es nicht unwahrscheinlich, dass der Vorstand sie feuerte.

Vielleicht hätte Raif ja Verständnis für ihre Notlage. Allerdings bezweifelte sie das. Er hatte ihr ja bereits gesagt, dass er sie nur dann gehen lassen würde, wenn sie den Diebstahl zugab. Wahrscheinlich käme es ihm sogar sehr entgegen, wenn sie unter zusätzlichen Druck geriet.

Sie schaute auf das einlaufende Wasser, während sie überlegte, wie lange er sie kidnappen würde. Den Abend vielleicht. Möglicherweise noch bis morgen. Was wohl das FBI oder die Polizei unternehmen würde, wenn ihre Freunde sie als vermisst meldeten? Würde man sofort nach ihr suchen oder zunächst die üblichen vierundzwanzig Stunden abwarten? Niemand wusste, dass sie heute Abend zum Plaza Hotel gefahren war. Und Interpol ging möglicherweise sogar davon aus, dass sie aus den USA geflohen war und betrachtete ihr Verschwinden als Schuldeingeständnis.

Nachdem sie akzeptiert hatte, dass sie kaum mit der Kavallerie zu ihrer Rettung rechnen konnte, setzte sie sich auf den Wannenrand. Die Wahrscheinlichkeit, dass Roark anrufen würde, war genauso gering wie die, dass Raif vernünftig mit sich reden ließ.

Sie streifte die Schuhe ab und wackelte erleichtert mit den Zehen. Auf dem Vorsprung neben sich fand sie ein kleines Fläschchen mit Lavendelbadeöl – ihrem Lieblingsduft. Nachdem sie etwas davon in das Badewasser geschüttet hatte, atmete sie tief ein und spürte sofort die beruhigende Wirkung des Aromas. Dann fand sie Streichhölzer und zündete nacheinander die Kerzen an, bevor sie das Wasser wieder abdrehte, als die Wanne nahezu voll war.

Beherzt schlug sie ihre Bedenken in den Wind und begann sich auszuziehen. Als sie gerade den Slip heruntergestreift hatte, bemerkte sie unter dem Waschtisch einen Minikühlschrank, dessen Inhalt sie sofort erkundete. Erfreut registrierte sie eine Reihe kleiner Weinflaschen, etwas Importbier, Gin, Wodka, Scotch und einige entzückend kleine Flaschen Champagner.

Oh, das hatte sie sich redlich verdient!

Kurz darauf hatte sie die dazugehörigen Kristallkelche entdeckt und entkorkte eine der Flaschen mit einem lauten Knall. Der Korken landete im dampfenden Badewasser, und zum ersten Mal seit Stunden musste Ann lächeln.

Raif, entschied sie, konnte definitiv warten, während sie sich ein Glas Champagner einschenkte, es auf dem Wannenrand absetzte und sich mit einem glücklichen Seufzen in das duftende Wasser gleiten ließ.

In dem Moment klopfte es an der Tür. „Ann?“

„Ich bin beschäftigt.“

„Was machen Sie da drin?“

Ann führte das Glas an die Lippen und trank genüsslich einen Schluck. Sehr angenehm.

„Ann?“

„Ich bin beschäftigt“, wiederholte sie und lehnte sich zurück.

„Womit denn?“

„Das ist eine ziemlich unhöfliche Frage.“

„Haben Sie Wasser in die Wanne gelassen?“

„Haben Sie gewusst, dass es hier eine Minibar gibt?“

Verdutzt schwieg Raif. „Nein, wusste ich nicht“, gestand er schließlich.

„Ich trinke gerade Champagner. Er ist ziemlich gut.“

„Dann nehmen Sie ihn doch mit nach draußen.“

„Nein.“

„Roark hat eben angerufen.“

Darauf würde sie bestimmt nicht hereinfallen. „Nein, hat er nicht.“

„Er sagt, dass er mir die Statue bringt.“

Sie ließ sich tiefer ins Wasser sinken, bis es wohltuend ihren Nacken umspülte. „Gehen Sie, Raif. Sie halten mich hier fest. In Ordnung. Sie halten mich von der Arbeit ab. Auch in Ordnung. Aber könnten wir wenigstens ehrlich zueinander sein?“

„Morgen Nachmittag.“

Warum hatte sie nur vergessen, das Licht zu dimmen? „Und dann lassen Sie mich gehen?“

„Nein, dann treffen wir Roark.“

Da sah sie einen Schalter in ihrer Nähe. Sie beugte sich vor und dimmte das Licht. Schon viel besser. Sie spürte die anregende Wirkung des Champagners und schloss die Augen.

„Ann?“

Sie schwieg.

Eine Weile sagte Raif nichts, doch dann brach es aus ihm heraus. „Sie sind einfach unmöglich“, beschwerte er sich.

„Ich bin einfach nur erschöpft.“ Das war sie tatsächlich – körperlich wie seelisch. Die vergangenen fünf Monate waren sehr anstrengend gewesen, und sie begann beinahe zu hoffen, dass man sie feuerte. Dann wäre es wenigstens endlich vorbei.

„Irgendwann müssen Sie ja wieder herauskommen.“

Das wusste sie auch, aber jetzt würde sie das noch nicht tun. Diesen kleinen Augenblick gönnte sie sich einfach zum Ausspannen.

„Ann?“, fragte Raif und musste sich vorstellen, wie sie nackt in der großen Badewanne lag, der Dampf ihr blondes Haar umspielte und das Wasser auf ihrer elfenbeinfarbenen Haut glänzte.

„Verschwinden Sie!“, erklang ihre Stimme gedämpft durch die geschlossene Tür.

Er wusste, dass er das tun sollte, doch er war wie gebannt von ihr. Nur wenige Männer und so gut wie keine Frau würden es wagen, ihn auf diese Weise herauszufordern. „Ich gehe aber nicht.“

„Wollen Sie die Tür bewachen?“

„So was in der Art.“

„Sie lassen mich nicht zur Arbeit gehen. Wahrscheinlich sind Sie verantwortlich dafür, wenn man mich entlässt.“

„Und Sie halten mich von meiner Familie fern“, konterte er.

„Ist das alles? Um Himmels willen, dann kehren Sie doch zu Ihrer Familie zurück.“

Unwillkürlich musste er leise lachen. Wenn man die Umstände einmal unberücksichtigt ließ, war Ann eine amüsante Gesprächspartnerin. Er räusperte sich und setzte sich auf einen Stuhl. „Was würden Sie tun?“

„Wo?“

„Auf der Arbeit? Womit müssten Sie sich noch so spät am Abend beschäftigen?“

„Man erwartet von mir, dass ich auf einer Auktion anwesend bin. Antike Schmuckstücke von erlesener Herkunft.“

„Vielleicht würde ich ja auch ein Geschenk für Kalila dort finden“, überlegte er laut.

„Wollen Sie hingehen?“, fragte Ann. „Ich könnte Sie bestimmt an der Sicherheit vorbeischmuggeln.“

Raif lachte. „Netter Versuch.“

„Wir versteigern dort sehr wertvolle Dinge. Zum Beispiel eine Tiara vom Hofe Ludwig des Sechzehnten. Die würde Kalila bestimmt gefallen. Leisten könnten Sie sich das bestimmt auch. Das bezahlen Sie wahrscheinlich aus der Portokasse. Ich schätze, Sie könnten es sich sogar leisten, mir noch so eine Flasche Champagner wie die hier zu kaufen.“

Entsetzt richtete er sich auf. „Sie haben eine ganze Flasche Champagner getrunken?“

„Es sind nur ganz, ganz kleine Flaschen.“ Er hörte, wie sie sich im Wasser bewegte.

„Ann, ich kann nicht zulassen, dass Sie sich in der Wanne betrinken.“

„Ich wüsste nicht, wie Sie mich davon abhalten wollen. Die Tür ist verriegelt.“

Als ob ihn das aufhalten könnte. „Sie werden noch ertrinken.“

„Ihre Sorge um meine Sicherheit rührt mich zutiefst. Oder brauchen Sie mich einfach nur lebend, um mich gegen die Statue eintauschen zu können?“

„Ich werde Ihnen nichts tun.“ Raif begann allmählich sich wirklich Sorgen um Ann zu machen. Zu viel Alkohol vertrug sich nicht besonders gut mit warmem Badewasser.

Er hörte, wie Ann eine weitere Flasche entkorkte. „Bollinger“, sagte Ann. „So etwas kann ich mir normalerweise nicht leisten. Vielen Dank dafür.“

„Sie sagen Bescheid, wenn Sie ertrinken? Muss ich dann reinkommen, um Sie zu retten?“

Sie lachte. „Das wäre doch mal was zur Abwechslung.“

„Ich scherze nicht, Ann. Ich lasse nicht zu, dass Sie sich in meiner Badewanne ertränken.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, Raif“, erwiderte sie. „Man wird Sie schon nicht wegen Mordes anklagen. Schließlich genießen Sie diplomatische Immunität.“

„Schön und gut, aber sobald Sie aufhören zu reden, komme ich rein.“

„Ich möchte eigentlich lieber meine Ruhe haben und nicht die ganze Zeit mit Ihnen reden müssen.“

„Pech gehabt.“

Sie schwieg.

„Ann?“

„Ich lebe noch.“

„Es wäre ein Leichtes für mich, das Schloss zu knacken.“

„Schön“, entgegnete sie verärgert. „Worüber wollen Sie also mit mir reden?“

„Ich würde mich schon mit einer detaillierten Beschreibung des Verstecks der Goldherz-Statue zufriedengeben.“

„In Ordnung … warten Sie. Also, wenn Sie das Hotel verlassen haben, fahren Sie auf der 60th Street und nehmen die Ausfahrt auf die 3rd. Dann biegen Sie auf die 37th ab, passieren den Tunnel Richtung JFK Airport. Dann weiß ich leider nicht mehr weiter.“

„Sehr witzig.“

„Ich hatte schon immer einen ausgeprägten Sinn für Humor.“ Wasser plätscherte gegen den Wannenrand, als sie sich offensichtlich bewegte. „Seitdem ich Sie kenne, Raif, gehen Sie mir ehrlich auf die Nerven.“

„Das gehen Sie mir schon, bevor wir uns überhaupt getroffen haben.“

„Ja, ja, ich weiß. Weil ich Ihre Statue gestohlen habe.“

„Roark hat sie gestohlen, damit Sie sie verkaufen können.“

„Ihre tolle Theorie hat leider nur einen großen Haken.“

„Und der wäre?“

„Waverlys kann sich gar nicht leisten, Hehlerware zu versteigern. Denn dann würden wir unsere Lizenz verlieren und von Rothschild übernommen werden. Weswegen sollten wir also so etwas Dummes machen?“

„Weil Sie nicht davon ausgegangen sind, dass man Ihnen auf die Schliche kommt.“

„Wir haben die Auktion beworben.“

„In westlichen Zeitschriften.“

„Und im Internet.“

„Vielleicht haben Sie ja geglaubt, dass wir in Rayas gar kein Internet haben. Oder Sie sind Roark Black auf den Leim gegangen. Wie auch immer.“ Er zuckte mit den Schultern. „Sie hätten sofort reagieren müssen, nachdem Sie erfahren haben, dass es sich um Diebesgut handelt.“

„Es ist wirklich nur ein Zufall, dass wir eine Goldherz-Statue versteigern und Ihnen eine gestohlen worden ist.“

„Ich glaube aber nicht an Zufälle. Ann?“

Sie antwortete nicht.

Er sprang auf und rüttelte am Türknauf. „Ann?“

Immer noch keine Antwort. Hastig zog er ein zusammenklappbares Multifunktionswerkzeug aus der Tasche und klappte es auf.

„Mir geht’s gut“, erklang Anns Stimme, und kurz darauf öffnete sie die Tür. Sie hatte sich in einen weißen Bademantel gehüllt, und ihr Haar sowie ihre Haut glänzten feucht. „Kein Grund zur Panik“, sagte sie und zog die Aufschläge des Bademantels ein Stückchen zusammen, sodass ihm der Blick auf ihren verführerischen Hals verwehrt blieb.

Raif biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er sie an den Schultern gepackt und geschüttelt, doch andererseits verspürte er auch das unbändige Verlangen, sie in die Arme zu ziehen und das Gesicht an ihre weiche, nach Lavendel duftende Haut zu schmiegen.

„Eigentlich wollte ich ja von Ihnen nichts annehmen“, erklärte sie. „Aber ich habe meine Meinung geändert. Bestellen Sie mir etwas Teures. Japanisches Rindfleisch oder schottischen Hummer. Wachteleier oder weiße Trüffel.“

„Ist das Ihre Vorstellung von einer kleinen Rebellion?“

„Ja“, antwortete sie und schürzte die Lippen, was wiederum den Wunsch in ihm weckte, sie zu küssen.

Er zögerte. „Sie wissen aber, dass Sie mich so nicht finanziell ruinieren können?“

„Dann hätte ich gerne ein paar rote Diamanten.“

„Zwei Millionen ein Karat. Gute Wahl.“

„Woher kennen Sie den Preis so genau?“

„Queen Elizabeth hat meiner Mutter mal einen aus den Argyle-Minen in Australien überreicht.“

„Sie sind Queen Elizabeth begegnet?“

„Ja.“

„Der Königin von England?“

„Genau der. Ich habe zwei Jahre die Schule in Oxford besucht.“

„Das haben tausend andere Menschen auch – und die sind nicht gleich der englischen Königin begegnet.“

„Die Sache mit dem roten Diamanten war noch vor meiner Zeit in Oxford. Queen Elizabeth hat die Königsfamilie von Rayas in Sydney empfangen, weil das Commonwealth Interesse an unseren Lanthan-Vorräten hatte.“

„Dann hat Ihre Mutter also einen roten Diamanten dafür bekommen, dass andere Länder Handelsabkommen mit Rayas abschließen durften?“

„So könnte man es ausdrücken.“

Sie neigte den Kopf zur Seite. „Gibt es eigentlich irgendwas, was Sie nicht bekommen, Raif Khouri?“

Dich, dachte er und verwarf den Gedanken gleich darauf wieder. Irgendwie schien die Anziehungskraft zwischen ihnen beiden plötzlich greifbar zu sein.

Sanft blickte sie ihm in die Augen. Ihre Wangen erröteten, und ganz leicht öffnete sie den Mund.

Unwillkürlich berührte er den Aufschlag ihres Bademantels. Deutlich zeichnete sich seine gebräunte Hand von dem Weiß des flauschigen Materials ab, als er es umfasste, um Ann dichter an sich zu ziehen. Dann beugte er sich zu ihr herunter und berührte mit seinen Lippen die ihren.

Sie stöhnte leise auf, bevor sein Kuss sie zum Verstummen brachte, und als er ihren Geschmack wahrnahm, hatte er das Gefühl, wie elektrisiert zu sein von ihrem verführerischen Aroma, das sich mit dem süßen Geschmack des Champagners vermischte. Bereitwillig erwiderte sie seinen Kuss, und kurz darauf vollführten ihre Zungen einen erotischen Tanz.

Erregt umfasste er ihre Taille und zog sie an sich, bis er ihren warmen Körper ganz fest an seinem spürte. Wie sehr hatte er das vermisst! Seitdem sie sich in Rayas geküsst hatten, hatte er davon geträumt, sie wieder in den Armen halten zu dürfen.

Doch dann stieß sie ihn gegen die Schulter und wich vor ihm zurück. „Raif, nein.“

„Aber wir sind allein. Niemand kann uns fotografieren.“ Das Verlangen, das ihn erfasste, wollte sich nicht von ihrem Protest beschwichtigen lassen.

„Darum geht es gar nicht.“

„Worum denn dann?“ Nur zögernd ließ er sie los und stützte sich am Türrahmen ab. Er wollte verhindern, dass Ann ihn einfach stehen ließ.

„Weil ich Ihre Gefangene bin.“

„Dadurch wird es doch aber nur noch erregender.“

Wieder stieß sie ihn gegen die Schulter. „Wir sind hier nicht in Rayas.“

Ihm entging nicht, dass sie leicht belustigt klang. „Wenn wir in Rayas wären, dann wären wir beide längst in meinem Bett.“

„Und ich soll jetzt vermutlich dankbar für Ihre Zurückhaltung sein?“

Er ließ den Aufschlag des Bademantels los und fasste zärtlich unter ihr Kinn. „Ja, das sollten Sie, Ann Richardson, denn Sie sind die bezauberndste, aufregendste und schönste Frau, der ich jemals begegnet bin“, gestand er.

„Sehr komisch.“

„Vielleicht liegt es daran, dass Sie mich zurückweisen“, überlegte er laut. „Oder es gibt tatsächlich einen Fluch der Statue, der bewirkt, dass ich Sie so sehr begehre.“

„Ich habe gehört, dass Sie nicht an einen Fluch glauben.“

„Das stimmt auch“, gab er zu. „Aber trotzdem kann ich nur an Sie denken.“

„Hören Sie auf mit diesen Scherzen, Raif.“

„Ich scherze nicht.“

Autor

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