Baccara Exklusiv Band 221

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ZÄRTLICHE TRÄUME VON DIR von KATHERINE GARBERA
Gabi träumt immer noch von dem einen Kuss und von Kingsley. Er war ihr Mr. Right – bis er wegen Mordes verhaftet wurde. Sie glaubte an seine Unschuld, doch er schickte sie weg. Nun bittet er sie um Hilfe. Gibt es eine neue Chance für ihn – und sie?

ZURÜCK IN DEN ARMEN DES MILLIARDÄRS von JANICE MAYNARD
Devlyn ließ Gillian früher deutlich spüren, dass er zu den "besseren Kreisen" gehörte und sie nicht. Die Schmach seiner Ablehnung schmerzt immer noch! Jetzt steht er wieder vor ihr: groß, attraktiv und an ihr interessiert. Hat er sich wirklich geändert?

VERFÜHR MICH TROTZDEM, LIEBLING! von KAT CANTRELL
Diese Frau bringt ihn zur Weißglut! Trotzdem ist Logan von der wilden Trinity fasziniert. Um ihr zu beweisen, dass er kein Langweiler ist, küsst er sie vor laufender Kamera. Eine heiße Affäre beginnt – dabei sucht er doch eine Frau fürs Leben …


  • Erscheinungstag 01.07.2022
  • Bandnummer 221
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510264
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katherine Garbera, Janice Maynard, Kat Cantrell

BACCARA EXKLUSIV BAND 221

1. KAPITEL

Als der Summton der Gegensprechanlage ertönte, stellte Gabriella de la Cruz ihre Teetasse ab und nahm den Hörer auf. „Was gibt es, Melissa?“

„Es ist jemand hier, der dich persönlich sprechen möchte“, erwiderte ihre Assistentin aufgeregt. Vermutlich war eine der Berühmtheiten, deren Leben Melissa im Internet mitverfolgte, auf der Suche nach einem Kindermädchen in der Agentur vorbeigekommen.

Gabi hatte vor sieben Jahren ihre Nanny-Vermittlung gegründet, nachdem sie für einige Zeit die Kinder des Hollywoodregisseurs Malcolm Jeffers betreut hatte. Er und seine Frau waren so begeistert von Gabi gewesen, dass sie ihr vorgeschlagen hatten, doch eine eigene Agentur zu eröffnen, sobald ihre Kleinen alt genug waren und keine Nanny mehr brauchten.

„Ich habe in dreißig Minuten eine Besprechung“, sagte Gabi. „Kannst du ihm einen Termin geben?“

„Ich bin ziemlich sicher, dass du ihn sofort sehen willst“, erwiderte Melissa.

Gabi bezweifelte das. Sie war wirklich sehr beschäftigt, und es kam ihr so vor, als wollte in den letzten Wochen alle Welt etwas von ihr. Ihre Eltern wollten, dass sie am kommenden Wochenende bei ihnen vorbeikam. Ihre Klienten planten die Sommerferien und hatten wegen der Reisedokumente ihrer Kindermädchen unzählige Fragen. Außerdem musste Gabi ihre Kolumne zu Ende schreiben, die in einem Elternmagazin erscheinen sollte.

„Wer ist es denn?“, fragte sie schließlich. Melissa würde ihn offensichtlich nicht einfach abwimmeln.

„Es ist Kingsley Buchanan, der ehemalige NFL-Quarterback.“

Kingsley.

Natürlich musste er ausgerechnet an dem Tag in ihr Leben zurückkehren, an dem auch sonst alles schieflief. Verdammt. Schon allein sein Name jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Ich habe jetzt keine Zeit“, sagte Gabi und legte auf.

Sie war Kingsley wirklich nichts schuldig. Ihr erster Liebhaber, oder besser gesagt: One-Night-Stand, hatte sie am Morgen nach ihrer gemeinsamen Nacht verlassen und war noch vor dem Mittagessen verhaftet worden. Gabi hatte ihn anschließend nur noch einmal wiedergesehen, und zwar bei einem Besuch im Gefängnis. Bei dieser Begegnung hatte er ihr eröffnet, sie sei naiv zu glauben, dass zwischen ihnen jemals mehr sein könnte als das, was geschehen war.

Idiot.

Gabi war nicht sicher, ob sie ihn oder sich selbst meinte.

Warum war er in ihrer Agentur aufgetaucht?

Und warum interessierte sie das?

Sie strich sich das Haar zurück und zog ihren Laptop näher zu sich heran, dann starrte sie auf den Bildschirm und tat so, als lese sie eine E-Mail ihrer Mutter. Doch sie war nicht wirklich bei der Sache.

Was wollte Kingsley von ihr?

Plötzlich öffnete sich ohne Vorwarnung die Tür ihres Büros, und eine breitschultrige Gestalt tauchte im Türrahmen auf. Gabi stockte der Atem. Natürlich hatte sie Kingsley in den vergangenen Jahren immer wieder im Fernsehen gesehen – um dann schnell den Kanal zu wechseln. Verdammt, die Zeit hatte es wirklich gut mit ihm gemeint.

Er trug das dichte braune Haar etwas länger, und seine blauen Augen kamen ihr eisiger vor als zu ihrer Zeit am College. Sein Bart war sorgfältig gestutzt, und er hielt das markante Kinn trotzig nach vorne gereckt.

„Kann ich dir helfen?“

„Deshalb bin ich ja hier.“ Ganz selbstverständlich betrat er den Raum und schloss die Tür hinter sich.

„Ich habe Melissa doch gebeten, dir für diese Woche einen Termin zu geben. Ich bin völlig ausgebucht.“

„Du kannst doch sicherlich einen Moment für einen alten Freund erübrigen?“

Doch es war nichts Freundliches an der Art, wie er auf ihren Schreibtisch zukam und sich lässig gegen die Tischplatte lehnte. Er erinnerte sie an einen Tiger, der seine Beute jagte, und Gabi rief sich ins Gedächtnis, dass sie keinerlei Ähnlichkeit mit einer Maus besaß.

Übernimm die Kontrolle.

Das hatte sie in den vergangenen Jahren mit schwierigen Eltern und aufmüpfigen Kindern gelernt.

Gabi stand auf und streckte Kingsley die Hand entgegen. Höchste Zeit, die Situation auf eine sachliche Ebene zu bringen. Sie würde ihn höflich begrüßen, zur Tür begleiten und hinauskomplimentieren.

Ein guter Plan.

Sie war ein Genie.

„Es ist schön, dich wiederzusehen, Kingsley. Aber ich fürchte, ich habe heute Morgen wirklich keine Zeit.“

Er nahm ihre Hand, doch statt sie zu schütteln, hielt er sie sanft umfasst und strich mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel, sodass Gabi eine Gänsehaut bekam. Als sie ihm die Hand entzog und seinen amüsierten Blick bemerkte, hätte sie ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben.

Doch sie war nicht mehr jung und impulsiv, also trat sie einfach einen Schritt zurück. „Warum bist du hier? Ich denke, wir haben alles gesagt, was gesagt werden musste.“

„Ich suche ein Kindermädchen.“

„Ich fürchte, meine Agentur ist nur auf echte Kinder spezialisiert, nicht auf die im Körper eines Mannes.“

Lachend schüttelte er den Kopf. „Ich hatte vergessen, wie schlagfertig du sein kannst.“

Er hatte ja keine Ahnung. „Du kennst mich nicht“, erwiderte sie langsam. „Und so wie ich das sehe, haben wir nichts mehr zu besprechen. Würdest du also bitte gehen?“

„Tut mir leid, aber nein“, erwiderte er. „Und ich bin keiner deiner ungezogenen Klienten, die man mit ruhigem, aber bestimmtem Tonfall kontrollieren kann.“

Sie musterte ihn neugierig. Woher kannte er ihre Methoden? Sie hatte genau diese Worte erst letzten Monat in ihrer Kolumne geschrieben.

„Zum letzten Mal, Kingsley, was willst du hier?“

„Das habe ich dir doch gerade erklärt, Gabriella. Ich brauche dich.“

Die Art und Weise, wie er mit tiefer Stimme ihren Namen aussprach, ließ sie ihren Wunsch vergessen, ihn so schnell wie möglich aus ihrem Büro zu befördern. Außerdem hatte er gesagt, dass er sie brauchte … Die Worte, nach denen sie sich vor zehn Jahren so sehr gesehnt hatte.

„Zu schade. Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als sei ich eine aufdringliche Frau, die nicht merkt, wenn ihr Liebhaber genug von ihr hat.“

Kingsley hatte gewusst, dass seine Rückkehr nach Kalifornien nicht einfach werden würde, doch er war noch nie vor einer Herausforderung davongelaufen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass alles, was einen nicht umbrachte, nur stärker machte. Natürlich war das ein Klischee, doch vor zehn Jahren hatte man ihn sechs Monate lang als Mörder behandelt, bevor das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde und man ihn und den zweiten Verdächtigen – seinen besten Freund Hunter Carruthers – freiließ.

Über die Jahre hatte Kingsley gelernt, seine Gefühle hinter einer eiskalten Fassade zu verbergen, sodass niemand ihn aus der Fassung bringen konnte. Doch all das schien sich in Luft aufzulösen, sobald er wieder mit Gabi de la Cruz allein in einem Raum war.

Sie hatte sich zu einer richtigen Schönheit entwickelt. Ihr langes karamellfarbenes Haar fiel ihr in dichten weichen Wellen über die Schultern, und ihre dunkelbraunen Augen gaben nicht mehr wie früher all ihre Gefühle preis, sondern verbargen ihre Gedanken. Nun musterte sie ihn misstrauisch, so als könnte er sich jeden Moment auf sie stürzen.

Er wusste, er verdiente es nicht besser. Und er würde lügen, wenn er behauptete, dass sie ihn nicht immer noch anmachte.

Sie war schon damals anders als alle anderen Frauen gewesen. Deshalb hatte er sich auch so schnell von ihr distanziert, nachdem Stacia Krushnik tot aufgefunden worden war. Doch all das lag in der Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die Gabi dank der herzlosen Art, mit der er sie damals aus seinem Leben verbannt hatte, eigentlich nichts mehr anging. Doch er war zurück in Kalifornien, um sich zu rächen, und brauchte jemanden, der seinen Sohn vor dem Pressewirbel beschützte, den er und Hunter Carruthers vermutlich in der Öffentlichkeit auslösen würden.

„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Geliebten, Gabi. Ich suche eine Nanny für meinen Sohn.“

„Deinen Sohn?“

„Ja.“ Kingsley hatte Gabis Leben über die Jahre in der Presse und den sozialen Netzwerken verfolgt. Daher verletzte es sein Ego ein wenig, dass sie nicht das Gleiche bei ihm getan hatte. „Conner ist drei und braucht dringend ein Kindermädchen.“

Damit hatte er sie aus dem Konzept gebracht. Sehr gut, denn nun fühlte er sich ihr gegenüber wieder ein wenig im Vorteil.

Gabi ging an ihm vorbei, und der schwache Duft ihres blumigen Parfüms stieg ihm in die Nase. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und griff nach einem Blatt Papier mit ihren Initialen.

„Conner ist drei?“, fragte sie. „Nach welcher Art von Kindermädchen suchst du?“

„Ich will dich. Ich habe mit Malcolm Jeffers gesprochen, und er sagt, du seiest die Beste. Außerdem habe ich deine Artikel über Kindererziehung gelesen – mir gefallen deine Theorien.“

„Danke“, erwiderte sie ein bisschen geschmeichelt. „Nimm doch Platz, während wir das hier besprechen?“

„Ich stehe ganz bequem.“

Sie schenkte ihm ein knappes Lächeln, und er musste sich ein Lachen verkneifen. Er machte sie nervös, und das fand er gut.

„Nimmt deine Frau auch an dem Auswahlverfahren teil?“

„Sie ist tot.“

„Oh, das tut mir leid, Kingsley.“

„Schon in Ordnung“, erwiderte er. „Conner erinnert sich überhaupt nicht mehr an sie. Er war damals erst sechs Monate alt.“

„Wie hast du bisher seine Betreuung organisiert?“

Kingsley hatte seine Assistentin Peri eingespannt, doch die arbeitete seit ihrer Heirat im vergangenen Monat nicht mehr für ihn. „Meine Assistentin hat sich um ihn gekümmert. Wie schnell kannst du anfangen?“

„Gar nicht.“

„Wie bitte?“

„Ich arbeite nicht mehr als Nanny. Nächste Woche beenden jedoch einige meiner Kindermädchen ihre Einsätze. Ich kann ein paar Interviews organisieren, wenn du möchtest. Außerdem würde ich gerne deinen Sohn kennenlernen. Wo ist er?“

„Bei Hunter“, antwortete Kingsley. Er und Hunter waren während ihrer Collegezeit auf dem Spielfeld ein großartiges Team gewesen. Als Sohn einer wohlhabenden Familie hatte Hunter nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen müssen und in den letzten Jahren stattdessen an seinem Image als Playboy gearbeitet. Die Mordanklage hatte sein Ansehen in der Öffentlichkeit nicht gerade verbessert.

„Hm … darüber müssen wir noch reden. Er hat einen ziemlich schlechten Ruf. Ich kann keines meiner Kindermädchen bei dir im Haus einsetzen, wenn er häufig dort ist.“

„Das dürfte kein Problem sein“, sagte Kingsley. „Ich will keine von deinen Nannys. Ich will dich, Gabi.“

„Ich kann nicht.“

„Warum nicht?“

„Ich arbeite nicht mehr als Nanny.“

„Es wird sich für dich lohnen.“ Wenn er eine Sache von seinem Vater Jeb Buchanan gelernt hatte, dann, dass jeder Mensch einen Preis hatte. Gerüchte besagten, dass sein Vater Kingsleys Freiheit und das Schweigen von Zeugen gekauft hatte. Doch Jeb besaß einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, dem niemand, nicht einmal sein eigensinniger jüngerer Sohn, entging. Sein Vater war immer noch nicht vollends überzeugt, dass Kingsley an Stacias Tod unschuldig war.

Doch wenn Kingsley mit seinem Rachefeldzug fertig war, würde jeder wissen, wer ihren Tod auf dem Gewissen hatte.

„Ich bin nicht käuflich.“

„Nein? Was, wenn ich dir anbiete, den neuen Kinderspielplatz zu finanzieren, den du errichten willst?“

Gabi würde nichts für sich selbst annehmen, doch er erinnerte sich daran, dass sie ein weiches Herz hatte und alles für einen guten Zweck tat. Er fragte sich, ob sie sich in dieser Hinsicht geändert hatte.

Sie nagte unschlüssig an ihrer Unterlippe und blickte auf das Blatt mit ihren Notizen.

Offensichtlich nicht. Bei dieser Frau konnte er sich immer noch auf sein Bauchgefühl verlassen.

„Wir reden hier von einer sechsstelligen Summe, Kingsley. Ist es dir so viel wert, dass ich Conners Betreuung übernehme?“

Das war es. Sie musste nicht nur auf seinen Sohn aufpassen, sondern er brauchte auch ihre Erinnerungen an die Party und die Nacht, in der Stacia gestorben war. Wenn sie bei ihm wohnte, würde das die Sache sehr erleichtern.

Es gab über die Tatnacht widersprüchliche Informationen, und jeder, mit dem Hunter und er gesprochen hatten, erzählte etwas anderes. Daher war es Kingsley egal, ob es ihn eine sechs- oder neunstellige Summe kostete. Er musste endlich die Geister der Vergangenheit zu Grabe tragen, und Gabi war die einzige Frau, die ihm dabei helfen konnte.

„Ja, das ist es“, sagte er fest. „Ich erwarte dich heute Abend bei mir zu Hause. Ich habe deiner Assistentin schon meine Adresse gegeben.“

„Ich habe zugestimmt, für dich als Conners Kindermädchen zu arbeiten, aber ich werde nicht bei dir wohnen.“

„Doch, für die Summe, die ich dir zahle, wirst du das.“

Er wandte sich von ihr ab und ging auf die Tür zu. Er hatte erledigt, was er sich vorgenommen hatte, und nun wurde es Zeit, dass er sich wieder um seine anderen Aufgaben kümmerte.

So ein arroganter Bastard!

Blitzschnell schoss Gabi hinter ihrem Schreibtisch hervor und schnitt Kingsley den Weg ab, bevor er die Tür erreichen konnte. Sie baute sich im Türrahmen auf und blickte ihn durchdringend an. Sie musste ihn unbedingt in seine Schranken weisen.

„Wir sind noch nicht fertig miteinander.“

„Ich wüsste nicht, was wir noch zu besprechen hätten.“

Kingsley blieb nicht wie erwartet stehen, sondern trat so dicht vor sie hin, bis nur noch wenige Zentimeter Abstand zwischen ihnen bestanden. Dann stützte er die Hände neben ihrem Kopf an der Tür ab.

Er hatte sie regelrecht gefangen. Sie konnte die grünen Flecken in seinen eisblauen Augen und die Narbe an seiner linken Augenbraue sehen, die sie schon damals bei ihrem ersten Kuss bemerkt hatte. Gabis Lippen fühlten sich wie ausgetrocknet an, und das Atmen fiel ihr schwer. Am liebsten hätte sie sich mit einem Klaps zur Besinnung gebracht.

Lass dich nicht von ihm einwickeln.

Das hier war schließlich Kingsley Buchanan, ein Mann, der die Frauen liebte und dann ganz schnell verließ. Bestimmt nicht die Sorte Mann, die für sie infrage kam.

Doch ihr Körper sagte etwas anderes. Jeder Nerv reagierte auf ihn, so als wüsste sie nicht, dass er nichts als Ärger bedeutete. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch so gut wie zugestimmt, mit ihm unter einem Dach zu leben. Das war wie ein Pakt mit dem Teufel.

Gabi hatte die vergangenen achtzehn Monate mit der Gemeindeverwaltung herumgestritten, um den Bau des Spielplatzes durchzusetzen. Daher war Kingsleys Angebot einfach zu gut, um es abzulehnen. Doch sie gehörte ihm nicht und durfte nicht die Kontrolle über die Situation verlieren.

Auch wenn sein Rasierwasser noch so gut roch.

„Wir haben eine Menge zu besprechen“, sagte sie und hörte selbst, wie furchtbar atemlos und piepsig ihre Stimme klang.

„Zum Beispiel?“

„Ich werde nicht in deinem Haus wohnen.“

„Das ist nicht verhandelbar.“

„Alles ist verhandelbar“, widersprach sie.

„Dieser Punkt nicht. Ich bin wegen meiner Arbeit viel unterwegs und brauche für Conner eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.“

„Die kann ich dir nicht garantieren. Ich habe noch eine Agentur zu leiten.“

„Ich kann dir in meinem Haus ein Büro einrichten, und wenn du mit deinen Bürostunden flexibel bist, dann komme ich dir entgegen und gebe dir die Zeit frei, die du benötigst. Aber du musst bei uns wohnen.“

Gabi wusste, dass das unmöglich war. Doch er hatte etwas unglaublich Überzeugendes an sich, und sie merkte, dass sie weich wurde. Außerdem war er ein Klient, und diese Absprache war etwas rein Geschäftliches.

„Na gut, wir können es ja mal versuchen. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht funktioniert, dann müssen wir eine andere Lösung finden.“

„Ich bin sicher, es wird funktionieren.“

Natürlich sagte er das.

„War das alles?“, fragte er.

Er kam ihr noch näher, und sein Atem streifte ihre Wange. Sie öffnete die Lippen, und ihr wurde klar, dass ihr Verhältnis nie rein geschäftlich sein würde.

„Da wäre noch etwas“, antwortete sie.

„Ach ja?“

„Ich möchte einen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen“, sagte sie. „Ich möchte nicht, dass du mir noch einmal so nah kommst.“

„Du bist doch diejenige, die mir den Weg versperrt.“

Sie musterte ihn aus schmalen Augen. Dieser Punkt ging an ihn. „Ich meine es ernst. Unsere Absprache ist rein geschäftlich.“

Kingsley strich ihr mit den Fingern durchs Haar, und Gabi spürte ein Prickeln auf der Kopfhaut, das sich langsam in ihrem ganzen Körper auszubreiten begann.

„Wir werden nie eine rein geschäftliche Beziehung haben, Gabi. Die Vergangenheit wird immer da sein, zusammen mit dieser einen Frage.“

Frag nicht.

„Welche Frage?“

Er kam noch näher, und sie musste den Impuls unterdrücken, vor ihm zurückzuweichen. Doch sie würde ihn auf keinen Fall merken lassen, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Sie musste standhaft bleiben. Er war nur ein Mann.

Nein, er war mehr als ein Mann. Er war ihr ganz persönlicher Dämon, den sie in all den Jahren nicht hatte vertreiben können.

„Ob diese eine gemeinsame Nacht nur eine Ausnahme war“, sagte er.

Inzwischen war er ihr so nah, dass ihre Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Natürlich erinnerte sie sich an ihre gemeinsame Nacht, doch die Bilder waren nach der langen Zeit verschwommen und von Wut und Bedauern gefärbt.

Gabi legte die Hände auf seine Schultern und ging auf die Zehenspitzen, sodass sie auf gleicher Augenhöhe mit ihm war. Es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Kingsley war schon immer in der Lage gewesen, eine völlig undurchdringliche Miene aufzusetzen, wenn er wollte, doch nun wirkte sein eiskalter Blick wie eine unüberwindbare Barriere.

Sie musste unbedingt versuchen, ihre Beziehung rein geschäftlich zu halten, um nicht verrückt zu werden. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte endlich das Gefühl, dass ihr Leben in den richtigen Bahnen verlief. Sie würde nicht zulassen, dass ein Mann wie Kingsley all das wieder zerstörte.

„Oh, ich dachte, du meintest, ob ich dich immer noch will“, sagte sie leichthin.

„Und, tust du das?“

Sie duckte sich unter seinem Arm weg. „Ich mache mir nichts mehr aus bösen Jungs.“

„Ach nein?“

„Das geht allen Mädchen so, wenn sie erwachsen werden“, erwiderte sie. „Melissa wird dir den Vertrag zuschicken. Guten Tag, Kingsley.“

2. KAPITEL

Kingsley war sich nicht sicher, ob er den Kampf mit Gabi verloren oder gewonnen hatte. Sie war schon damals auf dem College in der Lage gewesen, ihn ganz schnell aus dem Konzept zu bringen. Doch er hatte sich in den letzten zehn Jahren verändert. Und so sehr er es auch genoss, mit ihr zu flirten – er war schließlich ein heißblütiger Mann –, war Gabi nicht der Grund für seine Rückkehr nach Kalifornien. Daher musste er sich wieder auf sein Ziel konzentrieren.

Er stieg in seinen Porsche 911 und fuhr ein wenig schneller als erlaubt zu dem Haus zurück, dass er vor Kurzem gekauft hatte. Das Anwesen befand sich hoch oben auf einer Klippe über dem Pazifik; ein privater Pfad führte zum Strand hinunter. Kingsley wollte ihn so oft es ging mit seinem Sohn Conner benutzen.

Sein Telefon begann zu klingeln, und er nahm den Anruf auf seiner Freisprechanlage entgegen. „Was gibt’s, Hunter? Ist mit Conner alles in Ordnung?“

„Dem kleinen Satansbraten geht es bestens, aber ich bin völlig erledigt. Ich glaube, er hat das Zeug zu einem guten Running Back“, sagte Hunter. „Aber wie lief es bei dir? Hat Gabi zugestimmt?“

Hunter war in Wahrheit nicht der Playboy, als den ihn die Medien darstellten. Kingsley war überzeugt, dass sie auch beste Freunde geblieben wären, wenn man sie nicht gemeinsam wegen Stacias Ermordung angeklagt hätte. Er stand Hunter näher als seinem eigenen Bruder.

„Ja, hat sie. Ich habe Stacia aber nicht erwähnt. Ich möchte Gabi unauffällig ein paar Fragen stellen, wenn sie hier ist“, erklärte er.

„Hey, es ist dein Plan, und du bestimmst das Tempo. Ich will nur endlich ein paar Antworten bekommen.“

Hunter konnte sich kaum an den Verlauf der Mordnacht erinnern. Das war ein bisschen seltsam, da sein Freund im College nie viel getrunken hatte. Daher hegten sie den Verdacht, dass jemand Stacia etwas in den Drink gemischt hatte. Sie und Hunter waren damals ein Paar gewesen, also hatte Hunter im Laufe des Abends eventuell etwas davon abbekommen.

„Wann bist du zu Hause? Ich habe in fünfundvierzig Minuten ein Meeting.“

„Ich bin in zwanzig Minuten da“, sagte Kingsley.

„Klingt gut“, sagte Hunter. „Ich bin froh, dass wir wieder hier sind. Es ist höchste Zeit, dass Stacias Geist zur Ruhe kommt.“

Kingsley beendete den Anruf und versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, doch seine Gedanken schweiften unwillkürlich zu Gabi ab.

Sie hatte sich verändert.

Ach wirklich, du Idiot?

Doch besser konnte er es nicht beschreiben. Sie hatte sich verändert. Sie war nicht nur reifer geworden, sondern besaß viel mehr Selbstbewusstsein als mit achtzehn. Ein Selbstbewusstsein, das es ihr ermöglichte, sich ihm gegenüber zu behaupten.

Das bewunderte er.

Er wünschte … Verdammt, in den vergangenen zehn Jahren war nicht ein einziger Tag verstrichen, an dem er nicht seine grausamen Worte bei ihrer letzten Begegnung im Gefängnis bedauert hatte. Es tat ihm jedoch nur leid, dass er sie verletzt hatte, nicht, dass er sie zum Gehen veranlasst hatte, bevor die Presse vor dem Gefängnis angerückt war. Damit hatte er sie vor dem Skandal bewahrt, der über ihn und Hunter hereingebrochen war.

Kingsley parkte den Wagen auf der großen kreisförmigen Auffahrt vor seinem Haus und schaltete den Motor aus. Als er aus dem Auto stieg, öffnete sich die Haustür.

Conner kam lachend die Treppe hinuntergelaufen.

„Daddy!“

Kingsley nahm seinen Sohn auf den Arm und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel. Conner hatte Kingsleys blaue Augen, aber Jades rotblondes Haar geerbt.

„Komm zurück, du kleiner Teufel“, rief Hunter und blieb abrupt in der Tür stehen.

„Warum läuft mein Sohn hier draußen herum?“, fragte Kingsley.

„Weil er ein verwöhnter Bengel ist“, erwiderte Hunter.

„Das bin ich“, sagte Conner stolz.

Kingsley war davon überzeugt, dass Conner keine Ahnung hatte, was verwöhnt bedeutete. Doch sein Sohn und Hunter standen sich sehr nah, und Conner stimmte seinem Lieblingsonkel in den meisten Dingen zu.

„Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte Kingsley.

„Nichts. Aber er ist wirklich schnell. Ich habe ihm nur eine Sekunde lang den Rücken zugedreht …“

Kingsley lachte. Sein Sohn war ihm auch schon häufig genug auf die gleiche Weise ausgebüchst. Der Junge würde eines Tages wirklich einen guten Footballspieler abgeben. Doch das war nur dann eine Option, wenn es Kingsley gelang, den Mord an Stacia aufzuklären. Schließlich wollte er nicht, dass Conner irgendwann bei einer Pressekonferenz mit Fragen über seinen Vater konfrontiert wurde.

„Und du machst dich jetzt auf den Weg?“, fragte er Hunter.

„Ja, ich wohne die nächsten Wochen in meinem Strandhaus in Malibu. Doch sobald du neue Informationen hast, komme ich her.“

„Ich halte dich auf dem Laufenden. Gabi wird bei uns wohnen, und ich vermute, wir wissen schon bald mehr.“

„Gut. Je eher wir dieser Geschichte mit Stacia auf den Grund gehen, desto besser.“

Hunter fuhr zu seinem Meeting, und Kingsley sah seinem Freund nach, bis Conner ihn an der Hand zog.

„Wer ist Stacia?“

„Eine alte Freundin von Daddy. Ich habe gute Neuigkeiten, Conner. Wir bekommen eine Nanny, die bei uns wohnen wird.“

„So wie Peri?“

Nein, ganz bestimmt nicht wie Peri. Die Aussicht, dass seine ehemalige Assistentin bei ihm einzog, hätte Kingsley niemals so in Erregung versetzt.

Nachdem Kingsley gegangen war, lief Gabi einen Moment lang unruhig in ihrem Büro auf und ab. Sie wusste nicht, wie es dazu gekommen war, aber scheinbar würde sie nun wieder als Nanny arbeiten. Obendrein würde sie einen Dreijährigen betreuen, den sie noch nie getroffen hatte, und dabei im Haus des Mannes wohnen, den sie nie hatte vergessen können.

Großer Gott!

„Melissa, bitte setze einen Vertrag für Mr. Buchanan auf“, sagte Gabi zu ihrer Assistentin.

„Ich wette, du bist froh, dass ich ihn nicht abgewimmelt habe“, sagte Melissa. „Der ist ja im richtigen Leben noch aufregender als im Fernsehen.“

Das stimmte. Eine Fernsehkamera würde niemals in der Lage sein, Kingsleys Anziehungskraft einzufangen.

„Sehr aufregend“, erwiderte sie trocken. „Und er will, dass ich noch heute Abend anfange.“

„Du? Aber du übernimmst doch keine Einsätze mehr“, sagte Melissa. „Was ist in deinem Büro passiert?“

Das kam davon, wenn man zu freundschaftlich mit seinen Angestellten umging. Melissa hatte keinerlei Hemmungen, sie nach allen möglichen Sachen zu fragen.

„Wir kennen uns von früher“, erklärte Gabi. „Er hat angeboten, den Spielplatz zu finanzieren, wenn ich dafür seinen Sohn betreue. Außerdem will er, dass ich bei ihm wohne, und er ist der Meinung, dass ich für die Summe, die er mir zahlt, heute noch anfangen sollte.“

Melissa stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich neugierig vor. „Oh mein Gott. Hat er dir etwa ein unmoralisches Angebot gemacht? Wirst du seine Geliebte?“

„Was? Nein! Woher hast du nur solche Ideen?“

„Ich lese viel und schaue gerne Seifenopern“, erwiderte Melissa mit einem Augenzwinkern. „Also kein Tauschgeschäft mit deinem Körper?“

Gabi schüttelte den Kopf. „Ganz bestimmt nicht. Nur der Spielplatz und meine Zusage, dass ich bei ihm einziehe und die Agentur von dort aus leite. Das bedeutet, dass wir beide uns gut abstimmen müssen und du dich hier im Büro um alles kümmerst. Denkst du, du schaffst das?“

„Ja, das weißt du doch.“

Das stimmte. „Es bedeutet auch, dass du eine Gehaltserhöhung bekommst. Und ich überlege, dich zur stellvertretenden Geschäftsführerin zu machen. Außerdem müssen wir wohl eine neue Assistentin einstellen.“

„Danke Gabi. Ich werde dich nicht enttäuschen“, sagte Melissa.

„Sehr gut. Ich werde jetzt beim Gemeindeausschuss anrufen und mir die genauen Budgetzahlen für den Spielplatz geben lassen. Bitte setze einen ganz normalen Vertrag für eine Vollzeit-Nanny auf, und verweise bitte anstelle des Honorars auf den Anhang. Ich ergänze den dann später.“

„Und du musst heute Abend schon dort sein?“

Äußerlich gelang es Gabi, gelassen zu bleiben, doch innerlich zog sie eine Grimasse. Kingsley hatte ihr Arbeitspensum an diesem Tag verdoppelt. „Ja. Wenn ich dir die Maße meines neuen Büros schicke, kannst du mir ein paar Möbel bestellen?“

„Ja, natürlich. Aber bist du sicher?“, fragte Melissa. „Wir haben immer noch die Pläne für die Spendenaktion, um das Geld für den Spielplatz zusammenzubekommen. Ich glaube, wir könnten es auch schaffen, ohne dass du alle möglichen Sonderwünsche erfüllst.“

Gabi war froh, dass Melissa nicht nur ihre Assistentin, sondern auch eine Freundin war. „Es würde Jahre dauern, die Summe zusammenzubekommen. So geht es leichter. Außerdem könnte ich neues Material für meine Kolumne gebrauchen. Meine letzten praktischen Erfahrungen liegen schon etliche Jahre zurück.“

„Du siehst auch immer die positiven Seiten, oder?“

„Bis jetzt bin ich damit ganz gut gefahren.“

Gabi kehrte in ihr Büro zurück und fühlte sich wegen des Treffens mit Kingsley schon etwas besser. Dann machte sie sich an die Arbeit. Sie hinterließ Rupert Green, dem zuständigen Mitglied des Gemeindeausschusses, eine Nachricht. Dann schickte sie Kingsley eine Textnachricht und bat ihn um die Maße für ihr Büro, die er ihr umgehend durchgab. Bei der Gelegenheit bot er ihr an, den Raum für sie einzurichten. Sie wollte schon ablehnen, doch sie musste auch noch ihre Geschäftsunterlagen und ihre persönlichen Sachen zusammenpacken. Daher beschloss sie, ihm diese Arbeit zu überlassen.

Sie war den gesamten Tag so beschäftigt, dass sie gar nicht zum Nachdenken kam. Doch als sie zu Kingsleys Haus hinausfuhr, hatte sie Schmetterlinge im Bauch, und ihr ganzer Körper prickelte vor Aufregung. Warum war sie so nervös?

Kingsley.

Die Sache zwischen ihnen war noch nicht zu Ende, und es hatte keinen Zweck, es zu leugnen. Ihre letzte Begegnung lag zwar zehn Jahre zurück, doch als er in ihr Büro spaziert war, hatte sie sich wieder wie eine Erstsemesterin gefühlt, die beim Anblick des gut aussehenden Quarterbacks dahinschmolz.

Gabi schüttelte den Kopf. War sie etwa immer noch verknallt in ihn? Besaß Kingsley Buchanan immer noch Macht über sie, obwohl er sie damals so grausam abserviert hatte und heute auf so arrogante Weise in ihrem Büro aufgetaucht war?

Jedenfalls rief er Wünsche und Leidenschaften in ihr wach, die sie in die hinterste Ecke ihrer Seele verbannt hatte, damit sie nie wieder ein Mann so verletzen konnte.

Sie durfte auf keinen Fall vergessen, wie willenlos sie sich bei ihm gefühlt hatte. Inzwischen war sie stärker. Zumindest hoffte sie das.

Sie musste auch an den kleinen Conner denken. Abgesehen davon, dass er drei Jahre alt war und Kingsley ein paar ihrer Erziehungstheorien bei ihm angewandt hatte, wusste sie rein gar nichts über den Jungen.

Großartig.

Sie tat genau das, wovor sie ihre Kindermädchen immer wieder warnte. Sie trat einen Job an, ohne richtig vorbereitet zu sein.

Sie konnte Melissa gegenüber argumentieren, dass Kingsley den Spielplatz finanzierte, den die finanziell schlecht aufgestellte Gemeinde so dringend benötigte. Sie könnte ihrer Mutter gegenüber anführen, dass ihr der Einsatz als Nanny wieder einen besseren Einblick in die praktischen Abläufe lieferte.

Doch diese Rechtfertigungen klangen in ihren Ohren wie Lügen. Als Gabi vor Kingsleys Anwesen im spanischen Kolonialstil anhielt, musste sie sich eingestehen, dass sie nur aus einem einzigen Grund hier war.

Kingsley hatte sie darum gebeten, und sie hatte nicht Nein sagen können.

Kingsley hatte versucht, Möbel zu besorgen, die genauso aussahen wie die in Gabis Büro. Bei einigen Teilen handelte es sich jedoch um Einzelstücke, und so musste er sich mit Alternativen begnügen. Im Großen und Ganzen war er jedoch zufrieden mit der Einrichtung, die er so kurzfristig beschafft hatte.

Nun kniete er unter dem Tisch und schloss den Drucker und den Computer an, während sein Sohn auf dem Boden lag und sich mit seinem Malbuch beschäftigte.

Kingsley war sieben Jahre jünger als sein Bruder und ein Nachzügler gewesen. Als er auf die Welt gekommen war, hatten seine Eltern bereits wieder an ihren Karrieren gefeilt und eine neue Phase in ihrem Leben begonnen. Daher hatte sich meistens ein Kindermädchen um ihn gekümmert. Kingsley wollte sich gar nicht darüber beschweren, doch er hatte nie viel Zeit mit seinem Vater verbringen können. Daher gab er sich große Mühe, es bei Conner anders zu machen.

„Daddy? Wie gefällt dir das?“ Conner zeigte ihm ein Stück Druckerpapier, auf dem er mit seinen Buntstiften etwas gemalt hatte. Die farbenfrohen Kritzelstriche sollten ihren Garten darstellen. Kingsley hatte bereits drei Zeichnungen dieser Art gerahmt in seinem Büro hängen.

Als Kingsley begonnen hatte, das Büro für Gabi einzurichten, hatte Conner darauf bestanden, ihr auch ein Bild zu malen.

„Toll. Das gefällt ihr bestimmt.“

Kingsley hörte ein Räuspern und entdeckte Gabi, die im Türrahmen stand.

„Deine Haushälterin hat mich reingelassen und mir gesagt, wo ich euch finde.“

Er ließ seinen Blick von unten nach oben über ihren Körper wandern. Sie hatte sich umgezogen und trug nun eine weiße Jeans, die ihre schlanken Beine zur Geltung brachte, eine hübsche türkisfarbene Bluse aus einem weichen, fließenden Stoff und flache Sandalen. Das karamellfarbene Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Sie ging in die Hocke und lächelte Conner an. „Kann ich das Bild mal sehen?“

„Ja.“ Der Kleine ging mit dem typischen Watschelgang eines Dreijährigen auf sie zu und gab ihr das Blatt Papier. Dann trat er noch näher an sie heran und legte eine Hand auf ihr Bein, während er mit der anderen auf die Zeichnung zeigte.

Kingsley musste schlucken, als ihn ein Gefühl überkam, das er nicht näher definieren wollte. Manchmal versetzte es ihm regelrecht einen Schlag in die Magengrube, so glücklich war er, wenn er Conner einfach nur beobachtete.

„Das ist das Meer, und das ist der Himmel. Und das ist Daddy mit Onkel Hunter.“

„Ich bin Gabi“, sagte sie. „Ich helfe jetzt deinem Daddy, auf dich aufzupassen.“

„So wie Peri.“

Gabi warf Kingsley flüchtig einen fragenden Blick zu, bevor sie Conner antwortete. „Ja, genau wie Peri. Hast du deinem Daddy geholfen, mein Büro einzurichten?“

Conner nickte nur. Er fasste nicht so schnell Vertrauen zu Fremden. Seit seiner Geburt hatte er nur zu wenigen Menschen engen Kontakt gehabt. Eigentlich nur zu Hunter und Peri und natürlich zu Jades Eltern, die verrückt nach ihrem Enkelsohn waren. Sie lebten in Brasilien und sahen Conner nur, wenn sie im Sommer für einen Monat zu Besuch kamen.

Gabi stand auf, und Kingsley präsentierte ihr ihren neuen Schreibtisch. Sie zog überrascht eine Augenbraue in die Höhe, als sie das Papier mit ihren Initialen sah.

„Wie hast du all das geschafft?“

„Ich habe so meine Methoden.“ Er freute sich, dass es ihm gelungen war, sie zu überraschen. Schließlich sollte sie sich in seinem Haus wohlfühlen. Doch wenn Kingsley ehrlich war, dann hatte er sich die ganze Mühe mit ihrem Büro und dem Schlafzimmer hauptsächlich gemacht, um ein bisschen vor ihr anzugeben.

Er wollte Gabi zeigen, dass er etwas aus seinem Leben gemacht hatte, und er wollte das Bild zerstören, das sie womöglich all die Jahre mit sich herumgetragen hatte. Das Bild von ihm in Handschellen hinter einer Glasscheibe.

„Es ist Zeit für dein Abendessen, Conner“, sagte Kingsley. „Komm, wir suchen Mrs. Tillman, während sich Gabi in ihrem Büro einrichtet. Ich komme sofort zurück und zeige dir den Rest des Hauses“, fügte er an sie gewandt hinzu.

„Ist gut. Ich habe noch ein paar Kisten im Auto“, erklärte Gabi.

„Ich helfe dir, sobald Conner versorgt ist.“

„Tschüss“, sagte Conner zu Gabi, bevor er mit seinem Vater das Büro verließ.

Als Vater und Sohn die Küche betraten, stellte Mrs. Tillman gerade Conners Teller auf den großen rustikalen Esstisch in der Frühstücksecke. Zu dem Tisch gehörte eine gepolsterte Sitzbank, auf der Conner nun Platz nahm.

Kingsley versuchte, so oft es ging mit Conner zu essen, wenn er zu Hause war, doch an diesem Abend passte ihr Zeitplan einfach nicht zusammen. Kingsley wollte später zusammen mit Gabi zu Abend essen, damit er sie über Conners Tagesablauf informieren konnte. Außerdem wollte er die Gelegenheit nutzen, sie wieder etwas besser kennenzulernen.

„Brauchen Sie mich heute auch noch den ganzen Abend?“, fragte Mrs. Tillman.

„Ja. Ich möchte Gabi Zeit geben, sich einzurichten. Hatten Sie schon Gelegenheit, sich miteinander bekannt zu machen?“

„Ja. Ich habe ihren Koffer in ihr Schlafzimmer gebracht und werde ihn nach Conners Bad für sie auspacken.“

„Das ist nicht nötig, Mrs. Tillman“, sagte Gabi, die mit einer großen braunen Kiste unter dem Arm im Türrahmen erschien. „Das kann ich selbst. Kingsley, hast du vielleicht eine Sackkarre, mit der ich die anderen Kisten reinbringen kann?“

„Nein, aber ich helfe dir tragen.“

„Ach, nicht nötig“, erwiderte Gabi. „Ich kann ja mehrmals gehen.“

Kingsley schaute ihr unschlüssig nach.

„Na, gehen Sie schon, Kingsley. Ich passe auf den Kleinen auf, bis er gegessen hat“, sagte Mrs. Tillman.

„Ist das in Ordnung für dich, Con?“

„Ja, klar.“

Kingsley zerwuschelte seinem Sohn das Haar und folgte Gabi nach draußen.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen wurde Gabi durch laute Kinderlieder aus dem Nebenraum geweckt. Sie vermutete, dass es Conners und nicht Kingsleys Zimmer war.

Am Vorabend hatte sie es erfolgreich vermieden, mit Kingsley allein zu sein, doch es war schwieriger gewesen als erwartet. Er war ihr zum Auto gefolgt, um ihre Sachen auszuladen, und nur Hunters Anruf hatte sie davor bewahrt, mit ihm auf der vom Mond beschienenen Terrasse zu Abend essen zu müssen. Der Anruf hatte ihr die Gelegenheit gegeben, sich ins Haus und unter die Dusche zu flüchten und Kingsley für den Rest des Abends aus dem Weg zu gehen.

Doch mit diesem Wecklied um sechs Uhr morgens war für sie ein neuer Tag angebrochen. Als Nanny gehörte es zu ihren Aufgaben, nach Conner zu sehen. Also sprang sie aus dem Bett und ging in sein Zimmer hinüber. Er saß ganz friedlich mit einem Buch auf dem Schoß auf seinem Bett.

Sie drehte die Lautstärke an seinem Radio herunter, bevor sie zu ihm ging.

„Guten Morgen, Kleiner. Was machst du denn da?“

„Ich lese.“

Gabi setzte sich auf den Bettrand und betrachtete den Buchdeckel. Es war ein Bilderbuch mit bunten Fischen, das Kinder an das Lesen heranführen sollte. Lächelnd bemerkte Gabi, dass Conner nur mit dem Finger über die Bilder fuhr. Doch er war auch erst drei Jahre alt und noch ein bisschen zu jung fürs Lesen.

„Gefällt dir das Buch?“, fragte sie ihn.

„Ja. Daddy war letzten Sommer mit mir angeln.“

„Hast du einen roten oder einen blauen Fisch gefangen?“

Conner musste lachen. „Nein, die waren alle braun.“

Sie zerwuschelte ihm das Haar. „Das sind sie meistens.“

Sein Zimmer war aufgeräumt, und sie sah, dass jemand seine Sachen für den Tag auf einem Stuhl vor dem Fenster zurechtgelegt hatte. Sie nahm an, dass Conner die Vorhänge aufgemacht hatte, da sie nur am unteren Ende offen standen, oben aber noch geschlossen waren.

„Was möchtest du heute machen?“

Er blickte zu ihr hoch, und es war merkwürdig, den unschuldigen Ausdruck in seinen Augen zu sehen, die denen seines Vaters so ungeheuer ähnlich waren. Kingsley war sicher niemals so unschuldig gewesen.

„Können wir zum Strand gehen? Daddy und ich gehen jeden Morgen nach dem Frühstück zum Strand.“

Sie nickte lächelnd. „Wo frühstücken wir denn?“

„In der Küche bei Mrs. Tillman. Ich muss aber zuerst mein Buch auslesen.“

„Willst du es mir vorlesen?“

Conner nickte. „Onkel Hunter hat mir einen Rap beigebracht.“

Hunter steckte ja scheinbar voller Überraschungen. Doch dann tadelte sich Gabi für diesen Gedanken, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie ihn nie wirklich kennengelernt. Vor Stacias Tod hatte er den Ruf eines charmanten, witzigen Romeos gehabt, der ungeheuer viel Sex-Appeal besaß. Erst nach seiner Verhaftung waren Gabi Zweifel an seinem Charakter gekommen.

„Den würde ich wirklich gerne hören“, sagte sie und verdrängte die Gedanken an jene Zeit.

Conner grinste sie begeistert an, schob dann die Decke beiseite und stellte sich auf das Bett. „Gib mir einen Beat.“

Sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte, doch er wartete, und sie wollte ihn nicht enttäuschen.

Sie machte ein paar komische Geräusche und hörte hinter sich an der Tür jemanden lachen.

„Und so entdecken wir die eine Sache, die Gabi nicht kann“, sagte Kingsley. Sein Haar war noch feucht vom Duschen, und er trug ausgebleichte Jeans und ein abgetragenes Buffalo-Bills-Shirt. Seine Füße waren nackt.

„Daddy, kannst du mir einen Beat geben?“

Kingsley nickte. Gabi tat so, als bemerke sie nicht, wie das T-Shirt seine muskulösen Oberarme umspannte, als er lässig zum Bett hinüberschlenderte.

Conner sprang auf dem Bett auf und ab und rappte die bekannten Reime aus dem Bilderbuch, und Gabi musste zugeben, dass sie sich in diesem Moment ein bisschen in den Kleinen verliebte.

Zum ersten Mal seit dem katastrophalen Gefängnisbesuch spürte sie so etwas wie echte Emotionen. Nach der Erfahrung mit Kingsley war sie nicht mehr in der Lage gewesen, einen Mann wirklich an sich heranzulassen. Natürlich wäre es klug, weiter Vorsicht walten zu lassen, doch sie war versucht, ihr Misstrauen in den Wind zu schießen und ein wenig von Conners Unschuld in ihr Leben zu lassen.

Seit der Geburt seines Sohnes war Kingsley jeden Morgen mit dem Wunsch aufgewacht, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen. So auch an diesem Morgen. Er hatte im Bett gelegen und zugesehen, wie die Sonne Kaliforniens durch einen schmalen Spalt in den Jalousien ins Zimmer drang. Und wieder hatte ihn der vertraute Gefühlsmix aus Wut und Entschlossenheit übermannt.

Kingsleys ganzes Leben war durch die Tat eines anderen Menschen aus der Bahn geworfen worden, doch er hatte hart dafür gekämpft, es wieder auf Kurs zu bringen. Und nun wollte er Antworten – und Rache an der Person nehmen, die Stacia getötet hatte. Doch dieser Moment mit Gabi und Conner vermittelte ihm für einen flüchtigen Augenblick ein Gefühl des Friedens, das er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte. Und plötzlich sah er das Leben vor sich, das er hätte haben können, wenn ihm das Schicksal nicht so grausam mitgespielt hätte.

Verdammt, jetzt fing er an, sich selbst leidzutun. Doch das ging auf keinen Fall.

Als Conner am Ende seines Rap-Songs über den Fisch die typische Gangster-Pose einnahm, klatschte Gabi begeistert Beifall. Sein Sohn strahlte über das ganze Gesicht. Auch er schien nicht immun gegen ihren Charme zu sein.

„Ich kann Conner fertigmachen, wenn du dich erst anziehen möchtest. Anschließend frühstücken wir zusammen.“

„Juhu“, rief Conner und hopste begeistert auf und ab.

„Gerne, aber wäre das nicht meine Aufgabe?“, fragte Gabi.

Kingsley nickte. „Wir müssen deinen Zeitplan ausarbeiten. Ich habe heute Nachmittag ein Meeting und muss danach ein paar Tage verreisen. Aber das könnten wir beim Frühstück besprechen. Ich habe dir außerdem versprochen, dass du Zeit für deine Arbeit haben wirst.“

Gabi verschränkte die Arme unter der Brust. Kingsley versuchte zu ignorieren, wie sexy sie in ihrem ärmellosen blauen T-Shirt und den weiten Pyjamahosen aussah, doch dabei war er nicht sehr erfolgreich. Er wusste natürlich, dass es ein Klischee war, mit der Nanny des eigenen Sohnes zu flirten, doch in diesem speziellen Fall hatte er Gabi schon gekannt, bevor sie den Job als Conners Kindermädchen übernommen hatte.

Trotzdem war es keine gute Idee, jetzt einen Annäherungsversuch zu starten. Außerdem war ihm das viel zu plump, egal wie gern er sie in diesem Moment geküsst hätte. Sie sah an diesem Morgen ohne Make-up aus wie das Mädchen, das er auf dem College gekannt hatte, nicht wie die beherrschte Geschäftsfrau vom Vortag.

„Warum starrst du mich so an?“, fragte sie, als Conner in seinem Schrank nach seinen Strandschuhen suchte.

„Weil ich dich küssen will.“

„Diesen Wunsch wirst du dir aber bitte verkneifen. Der Vertrag, den ich dir geschickt habe, verbietet ausdrücklich jeden privaten Kontakt zwischen der Nanny und allen anderen Bewohnern des Hauses.“

„Diese Klausel habe ich gestrichen. Was immer auch zwischen uns passieren wird, hat schon vor langer Zeit begonnen.“

In dem Moment tauchte Conner wieder aus seinem Kleiderschrank auf.

„Darüber können wir später reden. Du wirst aber nicht jedes Mal deinen Willen durchsetzen, wenn wir über etwas verhandeln.“

„Das sehen wir noch.“

Gabi ging in ihr Zimmer hinüber und machte entschlossen die Verbindungstür hinter sich zu.

„Ich mag sie“, sagte Conner.

„Ich auch“, gab Kingsley seinem Sohn gegenüber zu. Er half Conner beim Anziehen und sah ihm dann dabei zu, wie er sich die Zähne putzte und das Gesicht wusch.

Wieder einmal fiel ihm auf, wie schnell Conner heranwuchs. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte Kingsley beides für ihn erledigen müssen, und nun schaffte der Kleine es schon allein.

„Daddy?“

„Ja?“

„Bist du fertig fürs Frühstück?“

„Ja, Conner. Gehen wir.“ Kingsley streckte seinem Sohn die Hand hin, woraufhin dieser seine kleine Hand vertrauensvoll in seine legte. Was auch immer in den nächsten Monaten passieren würde, es war ungeheuer wichtig, dass Conner und Gabi dabei keinen Schaden nahmen. Er und Hunter würden darauf achten.

Hunter hatte gehört, dass ihr alter Footballtrainer inzwischen pensioniert war und in Carmel in der Nähe von Kingsleys neuem Haus lebte. Hunter wollte ihn besuchen und fragen, ob er sich noch an etwas erinnerte. Er war auch auf der Party erschienen, in deren Verlauf Stacia gestorben war.

„Wann fährst du heute los?“, fragte Gabi, als er in die Küche kam. Sie hatte für Conner eine Schüssel mit Müsli und frischem Obst vorbereitet.

Conner kletterte auf die Sitzbank und fing an zu essen.

„Nicht vor heute Nachmittag.“

„Ich muss noch einmal in der Agentur vorbei und ein paar Papiere unterschreiben. Außerdem würde ich gerne meiner Assistentin Melissa den Weg hierher zeigen. Sie kommt nicht so gut mit dem GPS-Gerät zurecht.“

Kingsley war verärgert, denn er wollte Gabi in seinem Haus wissen. Schließlich bezahlte er ihr dafür ein großzügiges Gehalt. Doch er wusste, dass dieser Gedanke bestimmt nicht so gut bei ihr ankommen würde. Er brauchte sie und war daher bereit, ihr die Stunden freizugeben.

„Na gut, aber ich möchte mit dir zu Mittag essen. Mrs. Tillman kann auf Conner aufpassen. Wir müssen noch ein paar Details klären, bevor ich wegfahre.“

„Welche Details?“

„Das können wir beim Mittagessen besprechen.“ Aus einem unerklärlichen Grund, den er nicht hinterfragen wollte, musste er mit Gabi allein sein. Er wollte unbedingt ihre kühle, distanzierte Fassade durchbrechen und die junge, temperamentvolle Frau von damals zum Vorschein holen.

Gabi hatte sich die größte Mühe gegeben, Kingsley aus dem Weg zu gehen, sich dabei jedoch wie ein Feigling gefühlt. Als sie nun am Rand der Terrasse stand und den Sonnenschein sowie den wunderschönen Ausblick auf den Pazifik genoss, war sie beinah froh, hier zu sein. Sie hatte den Job als Conners Kindermädchen nicht nur angenommen, um den Spielplatz zu verwirklichen, sondern auch, um endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu setzen. Ihre Mutter warf ihr oft genug vor, dass sie die Männer zu sehr auf Abstand hielt.

Nicht, dass sie nicht mit Männern ausging.

Sie war schließlich eine Frau mit Bedürfnissen und hatte manchmal genug davon, allein zu sein. Also verabredete sie sich und ließ sich auch gelegentlich auf eine Affäre ein. Doch es wurde nie mehr daraus als eine Nacht. Man musste nicht Psychologie studiert haben, um in ihrem Verhalten ein Muster zu erkennen.

Kingsley hatte sie sehr verletzt, als er sie damals im Gefängnis abgewiesen hatte. Nun hoffte sie, dass die kommenden Wochen mit ihm ihr helfen würden, die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Sie wollte endlich über den One-Night-Stand hinwegkommen und in der Lage sein, eine echte Beziehung einzugehen und ihrer Mutter die Enkel zu schenken, nach der diese sich so sehr sehnte.

„Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest“, sagte er.

„Warum nicht? Ich muss wie jeder andere Mensch hin und wieder etwas essen.“

„Es geht hier nicht nur um eine Mahlzeit. Du bist mir aus dem Weg gegangen, seit du hier eingezogen bist.“

Kingsley trug perfekt gebügelte Anzughosen und ein maßgeschneidertes Hemd mit Button-down-Kragen. Er kleidete sich sehr stilsicher, und Gabi gefiel sein gepflegtes Äußeres. Sie hatte den Anblick der Männer, die ihr ständig in ausgebeulten Jeans auf der Straße begegneten, gründlich satt.

Gabi ihrerseits trug ein ärmelloses türkisfarbenes Etuikleid, das ihre Augenfarbe gut zur Geltung brachte. Das behauptete zumindest ihre Mutter, der es sehr wichtig war, dass ihre Tochter gut aussah.

Kingsley führte Gabi zum Tisch und rückte ihr den Stuhl zurecht. Es tat ihr beinah leid, dass sie am Vorabend Müdigkeit vorgeschützt und das Abendessen verpasst hatte, um stattdessen früh zu Bett zu gehen. Doch sie hatte die Zeit gebraucht, um ihre Schutzschilde in Stellung zu bringen und sich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig war. Dazu zählten die Kinder, die dank ihres Honorars den neuen Spielplatz bekommen würden, sowie Conner, der ein Kindermädchen brauchte, das sich auf ihn konzentrierte und nicht auf seinen aufregenden Dad. Nicht zu vergessen ihr lädiertes Selbstwertgefühl als Frau, das sie wiederaufbauen musste. Daher war sie ihrem Collegeschwarm am Vortag aus dem Weg gegangen. Doch während sie nun mit Kingsley, der beinah alles besaß, was sie sich bei einem Mann erträumte, in der Sonne saß, konnte sie sich kaum mehr an diese Gründe erinnern.

„Warum bist du nach Kalifornien zurückgekehrt?“, fragte sie. Sie musste mehr über ihn in Erfahrung bringen, damit sie ihn sich leichter aus dem Kopf schlagen konnte.

„Ich wollte, dass Conner mit dem Meer und der Sonne aufwächst. Außerdem haben mir meine Eltern noch nicht verziehen, was damals passiert ist.“

„Du meinst die Sache mit Stacia?“ Sie würde nicht so tun, als sei es nie geschehen. Schließlich hatte der Vorfall ihre Beziehung maßgeblich beeinflusst. Sie waren drei Wochen miteinander ausgegangen und hatten dann nur diese eine Nacht miteinander verbracht. „Was ist damals passiert?“

„Ich weiß nicht … Bist du sicher, dass du darüber sprechen möchtest?“, fragte er.

„Ja. Ich erinnere mich, dass du mich nach Hause gebracht hast und bei mir geblieben bist, bis meine Mitbewohnerin kam. Dann bist du gegangen. Was ist anschließend passiert?“

Er rieb sich den Nacken und trank einen Schluck Mineralwasser, bevor er die Ellbogen auf den Tisch stützte und sich vorbeugte. „Ich habe einen langen Spaziergang über den Campus gemacht. Ich wollte nicht zum Verbindungshaus und auf die Party zurück. Ich musste nachdenken.“

„Worüber?“

„Über dich, Gabi. Du hattest gerade erst mit dem Studium angefangen, während ich im letzten Semester war. Ich hatte schon ganz genaue Zukunftspläne und hoffte, in eine Profi-Mannschaft zu kommen. Doch dann kamst du, und die Dinge haben sich irgendwie verändert.“

„Warum?“

„Du warst anders, und ich habe deshalb eine Weile über andere Dinge als Football nachgedacht.“

Sie wollte ihm glauben. Er hatte in diesem Moment keinen Grund, sie anzulügen. Doch wenn er die Wahrheit sagte, warum war er im Gefängnis so grausam zu ihr gewesen? „Ja, klar“, sagte sie. „Hör zu, wir wissen beide, dass ich für dich nur eine naive Erstsemesterin und damit leichte Beute war. Du musst es jetzt nicht schönreden. Ich war mehr als bereit, an diesem Abend mit dir zu kommen.“

„Du kannst glauben, was du willst, aber diese Nacht war etwas Besonderes für mich. Du warst anders“, beharrte er.

„Warum hast du mich dann abserviert, als ich dich im Gefängnis besuchen kam?“

„Ich wollte dich beschützen. Ich konnte mich nicht mehr genau an den Rest der Nacht erinnern. Fest stand nur, dass sie mich zusammen mit Hunter und Stacia gefunden haben und sie tot war. Die Polizei versuchte, mir eine perverse Sex-Geschichte anzuhängen, und ich wollte dich so weit wie möglich von dem schmutzigen Skandal fernhalten.“

Gabi schluckte schwer. „Wirklich?“

„Warum sollte ich lügen? Ich bin sicherlich nicht von deinem Wohnheim zur Party zurückgekehrt, um Stacia umzubringen.“

„Weißt du denn, wie es passiert ist?“

„Nein. Irgendwann mussten sie die Anklage gegen Hunter und mich aus Mangel an Beweisen fallenlassen. Wir können uns beide nicht mehr erinnern, was in dieser Nacht passiert ist. Was ist mit dir?“

„Ich weiß nur noch, dass ich bei dir sein wollte“, sagte Gabi. Sie betrachtete ihn eingehend. Stacias Tod war immer noch wie eine frische Wunde für Kingsley. Das merkte Gabi an der Art und Weise, wie er über sie sprach. An dem wütenden Ton in seiner Stimme.

„Wenn dir noch irgendetwas einfällt, das dir an diesem Abend merkwürdig vorkam, dann lass es mich bitte wissen“, sagte Kingsley.

„Warum?“

„Hunter und ich haben ganz unterschiedliche Aussagen über den Abend zusammengetragen. Er und Stacia waren sehr verliebt ineinander, und er gibt sich die Schuld an ihrem Tod.“

„Hat er sie getötet?“

„Nein, das hat er nicht.“ Plötzlich konnte Kingsley das Thema offenbar nicht mehr ertragen. „Genug davon. Erzähl mir von deiner Agentur. Wie ist aus dir nach dem College eine Nanny geworden?“

Gabi legte ihre Hand auf seine und drückte sie. Seit sie damals erfahren hatte, dass ihr Geliebter für den Mord an einer anderen Frau verhaftet worden war, hatte sich tief in ihrem Innern ein kaltes Gefühl der Wut festgesetzt. Dieser Knoten begann sich nun langsam zu lösen. Es hatte lange genug gedauert, doch plötzlich glaubte sie, in Kingsley den Mann zu erkennen, der er sein konnte.

Sie wusste nicht, ob sie je wieder in der Lage sein würde, einem Mann zu vertrauen, doch sie spürte einen Funken Hoffnung.

4. KAPITEL

Jedes Mal, wenn er über die Umstände von Stacias Ermordung sprach, verspürte Kingsley eine unbändige Wut. Bis zu jener Nacht hatte die Welt ihm gehört. Er hatte sich unantastbar gefühlt. Seine Familie war sehr wohlhabend, das Lernen fiel ihm leicht, und er stand jedes Jahr auf der Bestenliste des Dekans. Außerdem gingen alle davon aus, dass er es sehr wahrscheinlich schon in der ersten Runde des Auswahlverfahrens in eine Profi-Footballmannschaft schaffen würde. Er war immer ein Glückspilz gewesen und hatte diesen Umstand als selbstverständlich angesehen.

Als er mit Gabi geschlafen hatte, war ihm durchaus bewusst gewesen, dass sie aus einer angesehenen Familie stammte. In seinen Augen war sie das ideale Beiwerk für das perfekte Leben, das er einmal führen wollte. Erst würde er den Super Bowl gewinnen und damit seinen älteren Bruder ausstechen, dann mit dem Spielen aufhören und eine Bilderbuch-Familie gründen. Er würde seinen Erfolg als Footballer in vollen Zügen genießen und nach Gabis Uni-Abschluss mit ihr glücklich werden.

Doch mit seiner Verhaftung hatten sich diese Pläne in Luft aufgelöst. Er war regelrecht geschockt gewesen, dass er der Polizei nicht hatte ausreden können, ihn und Hunter zu verdächtigen. Es war unvorstellbar für ihn gewesen, dass jemand glauben könnte, Hunter habe Stacia umgebracht. Sein Freund besaß einfach nicht die dafür notwendige Skrupellosigkeit und Härte.

Während Kingsley nun mit Gabi in der warmen Sonne auf seiner Terrasse saß, verstärkte sich sein Wunsch, Stacias Mörder zu finden und diese Person bezahlen zu lassen. Der Täter hatte nicht nur das Leben seines Opfers ausgelöscht, sondern auch Kingsleys Pläne durchkreuzt und ihn und Hunter jahrelang mit dem Stigma des Mörders leben lassen.

Gabi schob ihre Sonnenbrille hoch und beugte sich vor. „Du siehst zum Fürchten aus. Ist das dein Komm-mir-nicht-zu-nah-Gesicht?“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Du hast ja keine Ahnung, was alles nötig ist, um einen hundertfünfzig Kilo schweren Linebacker aufzuhalten.“

„Das möchte ich mir ehrlich gesagt gar nicht ausmalen. Es tut mir leid, dass ich Stacia erwähnt habe. Ich merke, dass es dir immer noch nachhängt.“

„Der Mörder wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Jemand hat wohl geglaubt, dass Hunter und ich die Sache ausbaden würden. Da hat er sich aber geirrt.“

„Vielleicht findet die Polizei den Mörder ja doch noch.“

Kingsley bezweifelte es. Schließlich glaubten die meisten Menschen, dass er und Hunter den Mord begangen hatten und nur wegen ihrer reichen Familien davongekommen waren. Doch darüber wollte er nicht mit Gabi reden. Hunter war überzeugt, dass ihnen auf der Party jemand unbemerkt Drogen in den Drink gemischt und Stacia anschließend ermordet hatte. Möglicherweise konnte sich Gabi daran erinnern, dass es in den Tagen danach auf dem Campus darüber Gerede gegeben hatte.

Doch nun wollte er erst einmal sein Mittagessen mit ihr genießen.

Er hatte die Nacht zuvor einen heißen Traum von Gabi gehabt und konnte an nichts anderes mehr denken. Er begehrte sie und musste unbedingt herausfinden, ob Sex mit ihr wirklich so gut war, wie er es in Erinnerung hatte. Oder war es nur eine weitere Illusion, die der Realität nicht standhalten würde?

„Du starrst mich schon wieder an.“

„Ich habe mich gefragt, wie es wohl wäre, dich zu küssen.“

Gabi errötete unter ihrer Bräune und leckte sich die Lippen. Ihr Mund mit seinen vollen, sinnlichen Lippen hatte ihn von ihrer ersten Begegnung an fasziniert. Sie hatte im College nie Lippenstift getragen, und auch an diesem Tag schimmerten ihre Lippen unter einem farblosen Gloss.

„Dann hör auf, dir über diese Frage den Kopf zu zerbrechen. Ich bin als die Nanny deines Sohnes hier, nicht um deine Neugier zu stillen.“

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Meine Neugier stillen?“

„Hast du damit ein Problem?“

„Nein, überhaupt nicht. Ich dachte nur, weil du mit Kleinkindern arbeitest …“

„Muss ich auch wie sie reden?“

Er schüttelte den Kopf. Gabi brachte ihn aus dem Konzept und schien gegen seinen legendären Charme immun zu sein. Es war verwirrend und aufregend zugleich. Sie war immer noch anders als jede andere Frau, die er kannte.

„Meine Neugier ist noch nicht gestillt“, erklärte er lächelnd.

Entschlossen nahm sie die Wärmehaube von dem Teller, der vor ihr stand. „Ich muss zu meinem Meeting, also lass uns essen.“

„Redest du nicht gerne darüber, mich zu küssen?“, fragte er.

Als er die Haube von seinem Teller nahm, sah er, dass Mrs. Tillman Fisch-Tacos zubereitet hatte. Sein Lieblingsgericht. Gabi biss hinein und kaute genüsslich.

Verdammt, er musste sie unbedingt küssen, mit ihr ins Bett gehen und ein für alle Mal diese seltsame Besessenheit kurieren, die er ihr gegenüber empfand. Wie sollte er sich sonst den Umstand erklären, dass er ihr beim Essen zusah und das süß fand?

Er biss in seinen Taco und war froh, dass Hunter für ein paar Wochen nach Malibu gezogen war und nicht mitbekam, wie er Gabi anhimmelte.

„Kann ich während deiner Abwesenheit auch mal deine Haushälterin bitten, auf Conner aufzupassen, wenn ich eine Telefonkonferenz habe?“, fragte sie. „Ich erledige meinen ganzen Schreibkram entweder, wenn er sein Schäfchen hält, oder wenn er abends im Bett ist. Aber ich muss gerade zwei Kindermädchen bei sehr wichtigen Kunden platzieren, die ich nicht verlieren will.“

„Ja, kein Problem. Sie möchte nicht als Vollzeit-Betreuung eingespannt werden, hilft aber gerne aus.“

„Großartig. Also, wann bist du wieder zurück?“

„In einer Woche. Denkst du, du kommst mit Conner zurecht?“

„Ganz bestimmt. Er wirkt sehr entspannt. Du hast großartige Arbeit bei seiner Erziehung geleistet.“

„Ich hatte auch sehr gute Hilfe“, erwiderte er. „Ich habe dein Buch gekauft.“

Sie schüttelte den Kopf. „Viele Leute haben mein Buch gekauft, und trotzdem sind ihre Kinder völlig außer Rand und Band. Du scheinst ihm wirklich zuzuhören, was eigentlich das Wichtigste ist.“

„Nun, ich mag meinen Sohn“, sagte Kingsley.

„Das ist gut.“

„Dich mag ich auch.“

„Lass das. Unsere Beziehung ist rein geschäftlich.“

„Das weiß ich. Aber was sollte uns daran hindern, mehr daraus zu machen?“

„Der gesunde Menschenverstand“, gab sie zurück.

Vielleicht lag es daran, dass er sich wieder in Kalifornien befand, oder einfach nur daran, dass Gabi bei ihm war. Doch Kingsley fühlte sich wieder jung und spürte ein Gefühl der Freiheit, das er seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr gespürt hatte. Gabi löste in ihm den Wunsch aus, wieder Träume zuzulassen.

Doch der Träumer in ihm war ein für alle Mal gestorben. Er war jetzt ein Mann, der sich nahm, was er wollte.

Und er wollte Gabi.

Sie versuchte, ihn auf Abstand zu halten, doch das würde er ihr ganz bestimmt nicht durchgehen lassen. An diesem Wendepunkt in seinem Leben verfolgte er eigentlich ein ganz klares Ziel – sich an dem Menschen zu rächen, der ihn und Hunter in die Falle gelockt hatte. Doch in Gabis Anwesenheit konnte er sich nicht mehr voll und ganz darauf konzentrieren. Das war allein ihre Schuld.

Und nun saß sie ihm gegenüber und blickte ihn an, als wolle sie ebenfalls mehr von ihm. Vielleicht hatte sie nur darauf gewartet, dass er in ihr Leben zurückkehrte?

Ja, aber sicher, du Idiot.

Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sie womöglich mit jemandem zusammen war. Warum auch nicht?

„Hast du einen Freund?“, fragte Kingsley. „Bestehst du deshalb so auf deinem gesunden Menschenverstand?“

Gabi schüttelte amüsiert den Kopf. „Der einzige Grund, warum eine Frau bei dir nicht ihre beruflichen Regeln über Bord wirft, ist also, weil sie einen Freund hat?“

„Das fühlt sich jetzt an wie eine Fangfrage“, erwiderte Kingsley. „Ich wollte doch nur wissen, ob es einen Mann in deinem Leben gibt.“

„Da gibt es einige.“

Diese Behauptung passte nicht zu der Frau, die er zu kennen geglaubt hatte. Doch Kingsley musste auch zugeben, dass ihre Kolumne und ihr Buch ihm keinen sehr gründlichen Einblick in ihr Privatleben gewährt hatten.

„Aha.“

Sie lachte, aber auf eine nette Weise. Diesen Klang hatte er schon lange nicht mehr gehört. Frauen lachten in seiner Gegenwart normalerweise nicht.

„Was ist?“

„Du bist so leicht zu durchschauen“, erwiderte Gabi.

„Ach, tatsächlich?“

„Ja.“

„Und was siehst du?“ Er hatte den Eindruck, dass sie ihn ein wenig aufzog, und wieder fühlte er sich frei und ungezwungen. Es war schon lange her, dass jemand so mit ihm umgegangen war.

„Ich sehe einen Mann, der mich küssen möchte.“

„Das habe ich dir schon gesagt.“

„Aber du bist nicht die Sorte Mann, die in fremden Revieren wildert, also willst du wissen, ob ich vergeben bin.“

„Was ist daran verkehrt?“

„Nichts. Aber ich mag dich deshalb noch ein bisschen mehr.“

Das klang positiv, doch bei Gabi konnte man da nicht sicher sein. „Danke.“

„Keine Sorge, das ist etwas Gutes. Doch du bist in meinem Büro aufgetaucht und hast versucht, deinen Willen durchzusetzen, statt ganz normal zu fragen, ob ich für dich arbeite. Also warum verhältst du dich nun in dieser Sache so höflich?“

Verflucht.

Natürlich bemerkte sie Dinge, die anderen Menschen entgingen. Er rieb sich den Nacken. Das Gefühl der Freiheit verschwand, während sich erneut die Ketten der Vergangenheit um seinen Hals legten und ihn wieder an die schrecklichen Ereignisse von damals fesselten. Stacia war vor ihrer Ermordung vergewaltigt worden, und das konnte er einfach nicht vergessen. Die DNA-Analyse war ergebnislos geblieben, und er war sich sehr sicher, dass er in der Nacht nur mit Gabi geschlafen hatte. Doch seit dieser Sache wollte er keiner Frau auch nur ansatzweise einen Grund geben zu behaupten, er habe ihr seinen Willen aufgezwungen.

„Sagen wir einfach, dass gegenseitiges Einverständnis mir sehr wichtig ist“, antwortete er.

„Mir auch. Aber ein Kuss, Kingsley – das würde ich dir nicht übel nehmen.“

„Mag sein, aber vielleicht hinterher.“

Sie legte eine Hand auf seine. „Weißt du, warum ich so an meinem gesunden Menschenverstand festhalte?“

„Nein, das weiß ich nicht.“

„Du bringst mich in Versuchung, die Vorsicht über Bord zu werfen, die ich mir in den letzten zehn Jahren anerzogen habe. Du weckst in mir den Wunsch, mich wieder wie die junge dumme Studentin von damals aufzuführen, die einen Footballspieler mit auf ihr Zimmer nimmt. Ich halte mich jedoch für eine durchaus kluge Frau … und dich zu küssen, wäre ziemlich dumm.“

Kingsley begriff, dass sie sich mit ihren logischen Argumenten nur vor ihm schützen wollte. Dafür hatte er vollstes Verständnis, obwohl ihm sein männlicher Instinkt signalisierte, dass sie längst ihm gehörte.

Doch er hatte einen Sohn und eine Mission zu erfüllen. Er schuldete Hunter und sich selbst die Chance, ihre Namen reinzuwaschen.

Kingsley wusste, dass er dieses Vorhaben nicht verwirklichen konnte, wenn er wieder mit Gabi schlief. Sie lenkte ihn ab und brachte ihn dazu, Dinge zu wollen, ohne die er all die Jahre gut ausgekommen war.

Ein Kuss hingegen konnte nicht viel Schaden anrichten.

„Ein Kuss“, sagte er.

„Wie bitte?“

„Ich bitte dich nur um einen Kuss. Was kann das schon schaden? Wir fragen uns doch beide, ob das Feuer zwischen uns damals tatsächlich so heiß war.“

„Tun wir das?“, fragte sie, nahm jedoch ihre Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch.

„Ja. Und du weißt doch sicherlich, dass der gesunde Menschenverstand gegen die Neugier nicht gewinnen kann.“

„Du hast recht“, räumte sie ein, erhob sich langsam aus dem Stuhl und kam zu ihm herüber.

Kingsley schob seinen Stuhl zurück, doch bevor er aufstehen konnte, setzte Gabi sich auf seinen Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und vergrub die Finger in seinen Haaren. Als sie das letzte Mal in seinen Armen gelegen hatte, war sie ein verängstigtes, unsicheres Mädchen gewesen. Nun war sie eine Frau und wusste, was sie wollte.

„Ein Kuss, Kingsley. Sorg dafür, dass es sich lohnt.“

Das hatte er vor.

Gabi wusste, dass sie Kingsley zu dem Kuss herausgefordert hatte.

Es gab nicht viele Dinge, die sie wirklich wollte, doch Kingsley war eines davon. Sie konnte nicht leugnen, dass sie ihn trotz der kaltschnäuzigen Abfuhr im Gefängnis immer noch wollte. Ihn und seine Umarmung.

Er hatte sie so behandelt, um sie zu schützen, doch nun musste sie sich eingestehen, dass sie ihn auch ohne diesen Grund immer noch unglaublich heiß gefunden hätte. Er war der einzige Mann, dessen Anblick ein körperliches Sehnen in ihr weckte, das jegliche Vernunft auslöschte und sie dazu brachte, sich aufzuführen wie … Nun, so, wie sie es in diesem Moment tat. Zum Glück waren sie allein.

Während ihrer kurzen Beziehung hatte sie Kingsley nie für sich allein gehabt. Er war sehr beliebt gewesen, und die Leute hatten ihn überall auf dem Campus erkannt und angesprochen, um sich mit ihm zu unterhalten.

Da presste er seinen Mund auf ihren, und Gabi vergaß die Vergangenheit. Vergaß nachzudenken und die Situation zu rechtfertigen. Kingsleys Mund fühlte sich einfach zu gut an, wie für sie gemacht.

Als er die Lippen öffnete und sie seine Zunge schmeckte, klammerte sie sich an seinen Schultern fest. Mein Gott, der Mann schien nur aus Muskeln zu bestehen.

Seine maßgeschneiderten Anzüge und das enge T-Shirt am Vorabend hatten bereits erahnen lassen, dass er immer noch gut in Form war. Am liebsten hätte sie ihm das Hemd vom Körper gerissen und ihn ohne Kleidung betrachtet.

Gabi schloss die Augen, als er die Hände um ihr Gesicht legte und den Kuss vertiefte. Eine hitzige Begierde durchfuhr ihren Unterleib, und sie hatte das Gefühl, als würde das Blut schwerer durch ihre Adern fließen. Ihr Herz raste, und es kam ihr vor wie eine Warnung.

Sie wusste, dass sie sich eigentlich von ihm losmachen, aufstehen und weggehen sollte. Stattdessen strich sie mit den Händen über seinen Bart und ließ die Finger über sein Kinn gleiten.

Sie wollte, dass dieser Kuss niemals endete.

Sie musste ihn weiter auskosten und herausfinden, ob sie nur träumte. Denn kein Mann konnte so gut küssen. Kein Mann hatte solch eine Wirkung auf sie.

Gabi lehnte sich ein Stück zurück und blickte Kingsley an. Er hatte die Augen halb geschlossen, und doch konnte sie das intensive Blau sehen.

Er war ihre Achillesferse und der einzige Mensch, der sie dazu bringen konnte, alle Vernunft über Bord zu werfen. Er hatte schon immer gewusst, wie er ganz mühelos ihren Willen ausschalten konnte.

Warum nur? Welche Macht übte er auf sie aus?

Und warum zum Teufel besaß er diese Macht immer noch? Sie war davon ausgegangen, dass die zehn Jahre, die sie ihn nicht gesehen hatte, seine Anziehungskraft geschmälert hätten, doch sie irrte sich. Er wirkte sogar noch faszinierender auf sie, und sein Kuss war intensiver als damals am College.

Gabi legte die Arme um seine Schultern und schmiegte sich an ihn. Sie durfte ihn nicht ansehen und ihn auf keinen Fall noch einmal küssen.

„Kingsley“, murmelte sie.

„Gabriella.“ Der Klang seiner tiefen Stimme entfachte erneut das Feuer der Leidenschaft, das bereits in ihr schwelte. Sie schüttelte abwehrend den Kopf und machte Anstalten aufzustehen, doch er legte die Hände um ihre Taille.

Sie hätte sich ganz leicht von ihm losmachen können, aber im Grunde wollte sie das gar nicht. Seine Nähe und seine Berührungen waren einfach zu verführerisch.

„Das darf nicht noch einmal passieren“, sagte sie.

„War es nicht gut genug?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.

So ein Bastard. Er wusste genau, dass es mehr als gut gewesen war.

„Wir wissen wohl beide, dass es nicht besser geht.“

„Doch, wenn wir nackt wären“, widersprach er.

Gabi biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen. Wie sollte sie mit ihm unter einem Dach leben und der ständigen Versuchung widerstehen?

In den Jahren als Nanny war sie kein einziges Mal bei einem Vater schwach geworden oder hatte auch nur mit dem Gedanken gespielt, sich mit einem von ihnen einzulassen. Aber Kingsley war kein normaler Klient für sie. Sie kannte ihn und wusste sogar noch, wie er nackt aussah. Und sie wünschte sich verdammt noch mal nichts sehnlicher, als ihre Erinnerung aufzufrischen.

Plötzlich musste sie an Conner denken. Sie fühlte sich ihm gegenüber verantwortlich und wollte ihm die beste Nanny sein, die der Kleine haben konnte.

Es gab nur einen Weg, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Also stand sie auf und ging auf ihre Seite des Tisches zurück. Kein Flirten und keine Küsse mehr!

Kingsley ließ sie auch dann nicht aus den Augen, als sie sich die Sonnenbrille auf die Nase setzte.

„Nun, das war interessant“, sagte er.

Interessant? So konnte man es auch beschreiben. Gabi würde es eher gefährlich und berauschend nennen, und sie wusste, dass sie auf der Hut sein musste, um eine Wiederholung zu vermeiden.

„Kann sein“, erwiderte sie.

„Kann sein?“

Sie zuckte die Achseln. Sie bewegte sich hier auf dünnem Eis. Distanziertes Geschäftsgebaren hatte als Barriere gegen ihn versagt. Drohungen schienen auch nicht zu funktionieren. Also konnte sie nur auf die Selbstbeherrschung zurückgreifen, die ihre Mutter ihr eingetrichtert hatte, und lächelnd dasitzen und so tun, als sei nichts gewesen. Und das, obwohl sie innerlich in Flammen stand und überzeugt war, dass sie einen gefährlichen Fehler begangen hatte.

5. KAPITEL

Sein Telefon klingelte. Kingsley drückte den Anruf weg, als er sah, wer es war.

Gabi blickte ihn fragend an.

„Das war Hunter. Ich rufe ihn später an.“

„Ihr steht euch sehr nahe, oder?“

Sie versteckte ihre großen braunen Augen hinter ihrer Sonnenbrille, und Kingsley fragte sich, was sie dachte. Diese neue Gabi war sehr gut darin, ihre Gefühle zu verbergen. Ganz anders als das temperamentvolle Mädchen von damals, das ihm die Hölle heißgemacht hatte, wenn er es auch nur wagte, eine andere Frau anzusehen.

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob du mit jemandem zusammen bist“, sagte er.

„Hätte ich dich dann geküsst?“

Er zuckte die Achseln. Warum sollte er Vermutungen anstellen? Er wollte von ihr hören, dass sie Single war – und verfügbar.

„Ich weiß nicht. Zehn Jahre sind eine lange Zeit.“

„Das stimmt. Und ich habe mich tatsächlich ein bisschen verändert. Doch ich bin immer noch der Meinung, dass man eine Beziehung respektieren muss, wenn man sich darauf einlässt.“

„Das bin ich auch.“

Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. „Sag das nicht, wenn du es nicht ernst meinst. Es war nur ein Kuss …“

„Es war mehr als ein Kuss, Gabi. Es war der Beweis, dass wir immer noch unglaublich heiß aufeinander sind.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Verdammt.“

„Wie bitte?“

„Ich hatte gehofft, du hättest es nicht gespürt.“

„Ich hätte tot sein müssen, um das nicht zu spüren“, erwiderte er. „Aber warum willst du es leugnen?“

„Weil ich Conners Kindermädchen bin. Ich wohne in deinem Haus, weil ich für dich arbeite, nicht, weil ich etwas mit dir anfangen will“, erwiderte sie. „Ich war noch nie in Versuchung, Geschäftliches mit Privatem zu vermischen, und ich halte es auch jetzt für eine sehr dumme Idee.“

„Ich halte es für eine sehr gute Idee.“ Er setzte sein charmantestes Lächeln auf.

Sie schüttelte den Kopf. „Weil du ein Mann bist.“

„Hey, das ist nicht fair.“

„Aber es stimmt.“

Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. In Gabis Gegenwart fühlte er sich wieder lebendig. Das passierte ihm normalerweise nur mit Conner und anderen vertrauten Menschen wie Peri, Mrs. Tillman oder Hunter.

Waren seine Gefühle für Gabi echt, oder hing er nur der Vergangenheit nach? Schließlich hatte sie damals an seine Unschuld geglaubt, und das hatte ihm viel bedeutet.

„Ich denke, wir beide werden schon damit fertig. Ich bin überzeugt, du wirst Conner eine gute Nanny sein, egal, was zwischen uns passiert.“

„Ich bin nicht sicher, Kingsley. Wie wäre es, wenn wir eine Pause einlegen, solange ich in deinem Haus lebe? Ich muss den Frauen, die für mich arbeiten, mit gutem Beispiel vorangehen. Ich habe strikte Regeln, was den Umgang mit den Klienten angeht.“

Wieder wurde ihm bewusst, wie sehr sich Gabi verändert hatte. Er hatte diesen Unterschied bereits bei der ersten Begegnung in ihrem Büro bemerkt. Sie hatte sich aus dem Nichts ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut, obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie mit Verbindungen zum spanischen Königshaus stammte und eigentlich nicht arbeiten musste. Doch sie tat es, und das sehr hart.

Daher wollte er nichts machen, was ihrem Ruf schadete oder ihre Moralvorstellungen infrage stellte.

Doch er begehrte sie.

Er hatte sein ganzes Erwachsenenleben vergeblich nach einer Frau gesucht, die diese Gefühle in ihm auslöste. Eigentlich sollte er sich darauf konzentrieren, seinen und Hunters Namen reinzuwaschen und den Schuldigen an Stacias Tod für diese Tat bezahlen zu lassen. Doch während er mit Gabi in der warmen Sonne Kaliforniens saß, rückte dieses Ziel plötzlich in weite Ferne, und er konnte nur daran denken, Gabi noch einmal zu küssen und in den Armen zu halten, sie zu lieben, bis sie beide alles um sich herum vergaßen.

Sein Telefon piepste, und er sah, dass er eine Nachricht von Hunter bekommen hatte.

Hey, du flirtest doch wohl nicht mit der Nanny? Ich dachte, wir wollten die Vergangenheit in Ordnung bringen?

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
Mehr erfahren
Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
Mehr erfahren
Kat Cantrell
<p><em>USA Today</em>-Bestsellerautorin Kat Cantrell las ihren ersten Harlequin-Roman in der dritten Klasse und füllt ihre Notizbücher, seit sie Schreiben gelernt hat. Sie ist Gewinnerin des <em>So you think you can write</em>-Wettbewerbs und <em>Golden Heart</em>-Finalistin der <em>Romantic Writers Association</em>. Kat, ihr Mann und ihre beiden Jungen leben in Nordtexas.</p>
Mehr erfahren