Baccara Exklusiv Band 226

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VERTRAUEN IST GUT, VERFÜHREN IST BESSER von BARBARA DUNLOP
Ambers Welt steht kopf: Unerwartet wird sie Vormund für den neun Monate alten Zachary und seine beträchtliche Erbschaft. Gleichzeitig lässt sie auch den geheimnisvollen Cole Henderson in ihr Leben – und ihr Bett. Aber geht es ihm wirklich um sie? Oder will er nur den kleinen Zachary und sein Erbe?

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Er hat einen Sohn? Milliardär Aiden Langford ist verblüfft – und will Nanny Sarah unbedingt dazu bringen, bei ihm und dem kleinen Oliver zu wohnen. Aber wenn Aiden ehrlich ist, will er mehr von Sarah! Zehn Tage haben schließlich auch zehn Nächte, und so schmiedet er einen raffinierten Plan …


  • Erscheinungstag 18.11.2022
  • Bandnummer 226
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510318
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara Dunlop, Maureen Child, Karen Booth

BACCARA EXKLUSIV BAND 226

1. KAPITEL

Cole Henderson starrte ungläubig auf die Titelseite der Tageszeitung. In dem Artikel wurde von einem Flugzeugabsturz berichtet, bei dem zahlreiche Menschen ums Leben gekommen waren. Einer von ihnen war Samuel Henderson. Cole wusste, dass er irgendetwas empfinden sollte. Immerhin war Samuel sein leiblicher Vater. Doch er fühlte nichts.

Am anderen Ende des Hangars wurde die Tür aufgerissen, und ein Schwall eiskalter Luft und Schnee wehten in die Halle. Obwohl es bereits zehn Uhr morgens war, herrschte hier oben in Alaska noch tiefste Finsternis.

Luca Dodd lief an einer Passagiermaschine vorbei, die gerade gewartet wurde, und kam direkt auf ihn zu. Luca war sein Geschäftspartner. Gemeinsam leiteten sie Aviation 58, die Fluggesellschaft, die sich Cole vor Jahren selbst aufgebaut hatte.

„Hast du den Artikel gelesen?“, fragte Luca.

„Ja, hab ich.“

Luca zog sich seine Lederhandschuhe aus und streifte seine Wollmütze vom Kopf. „Und was denkst du?“

„Nichts.“ Cole faltete die Zeitung zusammen. „Der Typ ist tot. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

In der Halle hörte man das Dröhnen einer Bohrmaschine, dann sprang rasselnd der Luftkompressor an, während im Hintergrund zwei Techniker am Flugzeugmotor arbeiteten.

„Er war immerhin dein Vater“, beharrte Luca.

„Er wusste nicht einmal, dass ich existiere.“

„Trotzdem …“

Cole zuckte die Achseln. Die Ehe seiner Mutter Lauren mit dem Billionär Samuel Henderson war kurz und tragisch gewesen. Den Hendersons hatte Coast Eagle Airlines gehört, eine florierende Fluggesellschaft in Atlanta.

„Acht Tote“, las Luca vor. Die Schlagzeile prangte direkt auf der Titelseite.

„Klingt, als wäre in den letzten Sekunden alles zum Teufel gegangen.“ Als ausgebildeter Pilot empfand Cole Mitgefühl mit seinem Kollegen. Sicher hatte der Pilot der Unglücksmaschine bis zum letzten Atemzug gekämpft, um das Flugzeug notzulanden.

„Erste Spekulationen besagen, dass vermutlich eine Kombination aus Luftfahrzeugvereisung und Scherwinden schuld war. So etwas kommt in Atlanta verdammt selten vor.“

„So was kann leicht ins Auge gehen“, stimmte Cole ihm zu.

„Ein Pilot aus Alaska hätte das Flugzeug vielleicht retten können.“

Cole erwiderte nichts. Doch sein Freund hatte recht. Piloten in Alaska hatten auf alle Fälle mehr Erfahrung mit eisigem Wetter.

Erneut las er die Schlagzeile. Natürlich taten ihm die Passagiere leid, die ihr Leben verloren hatten. Doch persönlich bedeutete ihm der Tod von Samuel Henderson nichts. Er war lediglich ein Fremder, der das Leben seiner Mutter vor zweiunddreißig Jahren zerstört hatte.

Ganz anders war es gewesen, als seine Mutter im letzten Jahr an Krebs gestorben war. Damals hatte er tiefe Trauer empfunden.

„Sie haben ein Bild des Babys auf die Webseite gestellt“, sagte Luca.

Im Artikel war erwähnt worden, dass Samuel und seine Frau Coco Eltern eines neun Monate alten Sohnes gewesen waren. Glücklicherweise hatten sie ihn nicht auf die Reise mitgenommen. Doch Samuels Mutter und mehrere leitendende Führungskräfte der Fluggesellschaft waren mit an Bord gewesen.

„Niedlicher Junge“, stellte Luca fest.

Cole warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild. Die Tragödie der Hendersons ging ihn nichts an.

Durchdringend sah Luca ihn an. „Du verstehst, was das bedeutet, oder?“

„Was gibt es da zu verstehen?“ Cole drehte sich auf dem Absatz um und steuerte auf sein Büro zu. Obwohl der November zu den ruhigsten Monaten für Aviation 58 gehörte, gab es immer eine Menge zu tun.

Luca folgte ihm. „Der kleine Zachary ist ihr einziger Nachkomme. Er hat keine Familie mehr.“

„Ich bin mir sicher, dass er gut versorgt ist.“ Auch wenn er nicht stolz darauf war, empfand Cole einen Anflug von Neid.

Kurz nach der heimlichen Hochzeit seiner Eltern in Las Vegas hatte sich Samuel auf Druck seiner Eltern von Lauren scheiden lassen. Seine junge, schwangere Mutter war ganz auf sich allein gestellt gewesen. Mit nur ein paar tausend Dollar in der Tasche hatte sie ein Flugzeug nach Alaska bestiegen. So groß war ihre Angst gewesen, Samuels einflussreiche Familie könnte versuchen, ihr das Baby wegzunehmen.

Als Cole ein Kind gewesen war, hatte seine Mutter jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen. Er selbst hatte später Tag und Nacht geschuftet, um seine Pilotenausbildung zu finanzieren. Danach hatte er seine eigene Fluggesellschaft aus dem Boden gestampft. Zachary hingegen würde alles bekommen, was sich ein kleiner Junge nur wünschen konnte – Chauffeure, die besten Privatschulen, Kindermädchen, Skiurlaube in der Schweiz.

„Er ist ganz allein auf der Welt“, riss Luca ihn aus seinen Gedanken.

„Wohl kaum“, gab Cole säuerlich zurück.

„Immerhin ist er dein Halbbruder.“

Cole blieb ungerührt. Es gab nichts, was ihn mit Zachary verband.

„Er ist erst neun Monate alt“, sagte Luca, während sie die riesige Flughalle durchquerten. „Wenn die Hendersons wirklich so schlimm sind, wie Lauren erzählt hat …“ Luca verstummte. Schläge auf Metall und die Rufe der Arbeiter erfüllten die Stille.

„Die Hendersons sind alle tot.“ Cole beschleunigte seinen Schritt.

„Außer dir und Zachary.“

„Ich bin kein Henderson.“

Cole schob die schwere Eisentür auf, die zum Treppenhaus führte.

„Wahrscheinlich kreisen schon die Geier über dem armen Baby. Aber du willst dich aus allem raushalten.“

„Ich muss mich nicht raushalten, denn ich habe nicht das Geringste mit der Sache zu tun.“

In diesem Moment steckte Coles Betriebsleiterin Carol Runions den Kopf zur Tür ihres Büros hinaus. „Flug 172 steht in den Startlöchern.“

Cole warf einen Blick auf die Uhr. Flug 172 war eine Passagiermaschine mit neunzig Plätzen. In zwanzig Minuten sollte sie nach Seattle losfliegen. „Ist die Wartung abgeschlossen?“

„Die Techniker sind gerade auf dem Weg nach draußen. Es gibt ein Problem.“

„Was für eins?“, fragte Luca.

„Die Kontrollleuchte für den Kabinendruck blinkt.“

„Wahrscheinlich ein Fehler im Schaltsystem“, meinte Cole. „Lass die Maschine noch einmal überprüfen.“

„In Ordnung“, sagte Carol und verschwand wieder in ihrem Büro.

„Wir können in vier Stunden dort sein“, warf Luca ein.

Verwirrt starrte Cole seinen Partner an. „Was sollen wir in Seattle?“

„Ich spreche von Atlanta“, gab Luca zurück.

Kopfschüttelnd wandte sich Cole ab und ließ seinen Freund stehen.

„Du musst“, rief Luca ihm nach. „Du weißt ganz genau, dass die Geier schon über ihm kreisen.“

„Nicht mein Problem“, rief Cole zurück.

Die Hendersons aus Atlanta waren bislang wunderbar ohne ihn zurechtgekommen. Und das würden sie ohne Zweifel auch weiterhin.

Amber Welsley legte ihre Hände auf die kühle Marmorplatte des Konferenztisches. Im Herrenhaus der Hendersons hatten sich ein Dutzend Leute versammelt; sie alle blickten erwartungsvoll Max Cutter an, der am Kopf des Tisches saß. Max trug einen gut geschnittenen Anzug, hatte graue Haare und markante Züge. Wie immer war seine Miene undurchdringlich, als er einen Stapel Papiere aus seiner Aktentasche zog.

Ambers Freundin Destiny Frost, die auf dem Stuhl neben ihr saß, flüsterte ihr ins Ohr: „Sechs Anwälte in einem Raum. Das kann kein gutes Ende nehmen.“

„Sieben“, flüsterte Amber zurück. „Du bist auch Anwältin.“

„Ja, aber ich bin eine von den Guten.“

Amber lächelte. Sie wusste Destinys Versuch zu schätzen, die angespannte Stimmung ein wenig aufzulockern.

Max war im Begriff, Samuel Hendersons Testament zu verlesen. Für die anderen in diesem Raum stand eine Menge auf dem Spiel – die Leitung von Coast Eagle, um genau zu sein. Doch Amber interessierte nur, was mit Zachary geschehen würde. Sie hoffte, dass sie weiterhin Teil seines Lebens bleiben durfte.

Amber war zehn Jahre älter als ihre Stiefschwester Coco. Die beiden hatten sich nie besonders nahegestanden. Dabei war sie diejenige gewesen, die ihre Schwester und Samuel einander vorgestellt hatte. Erst während Cocos Schwangerschaft war ihr Verhältnis enger geworden. Und ihren Neffen hatte Amber von Anfang an ins Herz geschlossen.

Auf der anderen Seite des Tisches rutschte der Vizepräsident Roth Calvin nervös auf seinem Stuhl hin und her. Bei dem Flugzeugabsturz war auch der Firmenpräsident Dryden Dunsmore ums Leben gekommen. Seitdem hatten die drei Vizepräsidenten den Laden am Laufen gehalten. Samuels letzter Wille würde darüber entscheiden, wer von ihnen das Kommando bei Coast Eagle übernehmen würde.

Für Amber selbst stand nicht so viel auf dem Spiel. Dafür befand sie sich als stellvertretende Direktorin der Buchhaltung mehrere Sprossen zu tief auf der Karriereleiter.

„Zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass die Verlesung des Testaments erst jetzt stattfindet“, eröffnete Max die Sitzung. Langsam ließ er den Blick durch den Raum schweifen. „Aber in diesem Fall gibt es aufgrund der Anzahl der Todesfälle mehrere Aspekte, die die Sache verkomplizieren.“

Auf einmal war Ambers Kehle wie zugeschnürt. Die arme Coco war erst einundzwanzig Jahre alt gewesen.

„Ich werde mit Jackie Hendersons letztem Willen anfangen“, erklärte Max. „Danach widme ich mich dem Testament ihres Sohnes Samuels das er gemeinsam mit seiner Frau Coco aufgesetzt hat. Zusätzlich gibt es noch einen Nachtrag zu berücksichtigen, der von Coco allein stammt. Ich möchte Sie alle warnen, keine vorzeitigen Schlussfolgerungen zu ziehen, bis ich alle drei Testamente verlesen habe.“

Max räusperte sich. „Abgesehen von ein paar kleineren Summen, die an langjährige Freunde und Angestellte gehen, sowie einer großzügigen Spende an den Kunstverein von Atlanta hat Jackie Henderson ihr gesamtes Vermögen ihrem Sohn Samuel hinterlassen. Das beinhaltet auch die fünfundzwanzig Prozent Teilhaberschaft an Coast Eagle.“

Keiner im Raum wirkte erstaunt. Es war keine Überraschung, dass Mrs. Hendersons Vermögen in erster Linie an ihren Sohn ging. Sie war eine arrogante, launenhafte alte Frau gewesen. Aber immerhin eine Kunstmäzenin.

„Kommen wir nun zu Samuel Hendersons letztem Willen …“, fuhr Max fort.

Sofort wurde es still im Raum.

„Mr. Hendersons Testament sieht ebenfalls Spenden an verschiedene wohltätige Zwecke vor. Unter anderem an den Kunstverein von Atlanta. Außerdem stiftet er der Pilotenvereinigung von Georgia ein Stipendium im Wert von zehn Millionen Dollar.“

Max nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. „Was den Hauptteil von Mr. Hendersons Vermögen angeht, so werde ich ab jetzt direkt aus dem Dokument vorlesen: Mein gesamtes Vermögen soll in einen Fonds gehen, der in gleichen Teilen an meine leiblichen Kinder verteilt wird. Bis zum Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit wird meine Frau Coco Henderson die Vormundschaft über meine Kinder haben. Alle Geschäftsentscheidungen, die den Anteil meiner Kinder an Coast Eagle Airlines betreffen, sind von Dryden Dunsmore zu treffen.“

Im Raum erhob sich Gemurmel.

„Da haben wir die Komplikation“, flüsterte Destiny Amber ins Ohr.

Samuel hatte nicht wissen können, dass Dryden Dunsmore mit ihm zusammen sterben würde.

„Sollte meine Frau vor mir sterben“, las er vor, „soll Roth Calvin die Vormundschaft für meine Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit übernehmen.“

Alle Blicke waren auf Roth gerichtet. Volle zehn Sekunden gelang es ihm, keine Miene zu verziehen. Doch dann verzogen sich seine dünnen Lippen zu einem selbstzufriedenen Lächeln, und in seinen hellblauen Augen blitzte Genugtuung.

Roth wandte sich an den Anwalt zu seiner Rechten. Obwohl er leise sprach, konnte Amber jedes Wort hören. „Jetzt, wo Dryden tot ist, gehören mir seine Anteile.“

Der Anwalt nickte.

Roths Lächeln wurde noch breiter.

„Kommen wir zum Nachtrag“, fuhr Max fort.

„Dazu muss ich ein bisschen ausholen … Es tut mir leid, dass ich so sachlich über eine Angelegenheit sprechen muss, die viele der hier Anwesenden sicher schmerzlich berührt. Samuel Henderson wurde bereits am Unfallort für tot erklärt. Coco Henderson starb auf dem Weg in die Klinik.“

Amber zog sich der Magen zusammen. Man hatte ihr zwar versichert, dass Coco ihr Bewusstsein nach dem Absturz nicht wiedererlangt hatte. Trotzdem musste sie immer wieder daran denken, welche Angst ihre Stiefschwester in ihren letzten Minuten ausgestanden haben musste.

„Somit ist – technisch gesehen – Samuel vor seiner Frau verstorben. Deswegen ist der Nachtrag von Coco Henderson rechtskräftig. Er modifiziert das gemeinsame Testament in einem Punkt.“ Er las vor: „Ich übertrage die Vormundschaft für mein Kind oder meine Kinder an meine Stiefschwester Amber Welsley.“

Amber konnte förmlich die Schockwelle spüren, die den Raum durchlief. Auf einmal waren alle Blicke auf sie gerichtet. Die Feinseligkeit in Roths Blick traf sie mit voller Wucht.

Unter dem Tisch griff Destiny nach ihrer Hand.

„Was ist mit den geschäftlichen Entscheidungen?“, stieß Roth zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Diese Frau ist nicht in der Lage, die Firma zu leiten. Sie ist nur eine Stellvertreterin.“

„Stellvertretende Direktorin der Buchhaltung“, korrigierte Destiny ihn.

Immerhin war Amber in einer leitenden Führungsposition und keine Bürohilfskraft.

Roth verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen. „Samuel wollte jemanden, der in der Lage ist, qualifizierte Geschäftsentscheidungen für seinen Sohn zu treffen.“

„Ganz genau“, pflichtete Max ihm bei. „Für den Moment hat Amber Welsley die Vormundschaft für Zachary. Somit fällt diese Aufgabe ihr zu.“

„Aber …“, begann Roth.

Doch Max ließ sich nicht unterbrechen. „Für jede Änderung des Testaments ist die Entscheidung eines Richters nötig.“

„Wir ziehen vor Gericht“, stieß Roth hervor. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Beherrschung zu wahren.

„Was hat das alles zu bedeuten?“, flüsterte Amber ihrer Freundin zu.

„Es bedeutet, dass du gerade einen neuen Todfeind gewonnen hast. Und dass du das Sorgerecht für Zachary hast.“

Amber atmete auf. Zachary würde bei ihr bleiben. Nichts anderes spielte im Moment eine Rolle.

Cole blickte sich im überfüllten Festsaal des Hotels um, in der die jährliche Spendengala der Pilotenvereinigung ausgerichtet wurde. Heute fand die offizielle Würdigung des neuen Samuel-Henderson-Stipendiums statt. Folglich würde alles, was bei Coast Eagle Rang und Namen hatte, im Saal versammelt sein.

Luca trug einen eleganten Anzug und wirkte sehr aufgeregt: „Du wirst mir noch dankbar sein, dass du auf mich gehört hast.“

„Ich werde dir dankbar sein, wenn du endlich die Klappe hältst.“

Luca hatte ihm volle drei Wochen lang mit der Sache in den Ohren gelegen.

Schließlich hatte Cole nachgegeben und den Artikel zu Ende gelesen. Dabei hatte er erfahren, dass bereits ein Streit um die Vormundschaft für Zachary entbrannt war.

Widerstrebend hatte er sich auf den Weg nach Atlanta gemacht. Selbstverständlich hatte er nicht vor, sich als lange verlorener Sohn zu erkennen zu geben. Er kam inkognito. Und sobald er sicher war, dass Zachary gut versorgt war, würde er guten Gewissens nach Alaska zurückkehren.

„Das da drüben ist Amber Welsley.“ Luca zeigte auf eine junge Frau mit langen braunen Haaren, die direkt am Bühnenrand saß.

Ihr Diamantschmuck blitzte im Licht der Kristalllüster. Sie hatte weiche, angenehme Gesichtszüge, fand Cole. Ihr klassisch geschnittenes schwarzes Kleid hatte einen tiefen Ausschnitt und betonte ihre schlanke Taille. Überhaupt sah sie ganz anders aus, als er sie sich vorgestellt hatte.

Sie war jung, hübsch und ziemlich sexy.

„Willst du nicht rübergehen und Hallo sagen?“, fragte Luca.

Die ehrliche Antwort lautete Nein. Was Cole wirklich wollte, war, in ein Flugzeug zu steigen und nach Alaska zurückzufliegen.

Doch er konnte es ebenso gut hinter sich bringen. Schließlich war er extra hergekommen, um Amber unter die Lupe zu nehmen. Genau wie die anderen Figuren, die in diesem Familiendrama eine Rolle spielten.

„Okay“, sagte er.

„Roth Calvin sitzt am Nebentisch“, raunte Luca ihm zu, während sie auf Amber Welsley zusteuerten. „Er spricht gerade mit dem rothaarigen Kerl im grauen Anzug.“

„Ich glaube, du hast deinen Beruf verfehlt. Du hättest Spion werden sollen.“

Luca grinste. „Vielleicht. Übrigens möchte ich schon mal mein Interesse an Destiny anmelden.“

„Wer ist Destiny?“

„Sie stand auf ein paar Fotos neben Amber Welsley und ist absolut heiß. Außerdem sollte man einer Frau mit so einem Namen definitiv eine Chance geben.“

„Sie gehört ganz dir, Kumpel“, erwiderte Cole kopfschüttelnd. „Ich bin nur hier, um sicherzugehen, dass es dem Kind gut geht.“

„Deinem kleinen Bruder.“

„Diese Bezeichnung sollten wir in der Öffentlichkeit besser vermeiden. Ebenso wie meinen Namen. Nenn mich Cole Parker. Parker ist mein zweiter Vorname.“

„Kein Problem, Cole Parker.“

An den Tischen vorm Bühnenrand hatte sich die Belegschaft von Coast Eagle versammelt. Je näher sie kamen, desto schöner erschien ihm Amber. Ihr Haar war nicht einfach braun, sondern von einem leuchtenden Kastanienton. Es schimmerte im Licht der Scheinwerfer. Und ihr Ausschnitt enthüllte ihre zarte milchig weiße Haut.

Unwillkürlich fragte er sich, wie sie wohl nackt aussah.

Amber schenkte ihm ein offensichtlich geübtes Lächeln, als er auf sie zutrat. In den vergangenen Wochen hatten ihr vermutlich Tausende Leute ihr Beileid ausgesprochen.

„Amber Welsley?“, fragte er und streckte ihr die Hand hin.

„Genau die bin ich.“

„Ich bin Cole Parker von Aviation 58. Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.“

„Vielen Dank, Mr. Parker“, sagte sie und schüttelte seine Hand.

Bei der Berührung richteten sich die Härchen an seinen Armen auf. Es zuckte um ihre Mundwinkel. Kurz fragte er sich, ob sie es auch gespürt hatte.

„Das hier ist Luca Dodd, mein Geschäftspartner“, erklärte Cole schnell, bevor sie sich dem Nächsten zuwenden konnte.

„Aviation 58 möchte gerne einen Beitrag zum Samuel-Henderson-Fond leisten“, sagte Luca.

„Es ist auf jeden Fall für eine gute Sache.“ Amber lächelte. Doch dann bemerkte sie Coles Gesichtsausdruck. „Stimmt irgendetwas nicht?“

„Nein, nein“, erwiderte er schnell.

Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Finden Sie nicht, dass das Pilotenstipendium eine gute Sache ist?“

„Ich glaube, was Luca eigentlich sagen wollte, war, dass wir überlegen, einen eigenen Fonds auf die Beine zu stellen. Für Piloten aus Georgia, aber nicht notwendigerweise …“

„Nicht notwendigerweise zu Ehren von Samuel Henderson?“, beendete Amber seinen Satz.

Cole schwieg. Er wollte sie weder anlügen noch beleidigen.

„Können Sie wie Coast Eagle einfach so zehn Millionen lockermachen?“

„Das ist nicht ganz meine Preisklasse“, gab Cole zu.

Sie musterte ihn mit scharfem Blick. „Haben Sie Samuel gekannt?“

„Ich bin ihm nie begegnet.“

Trotz ihres argwöhnischen Gesichtsausdrucks fand er sie noch immer wunderschön. Zum Küssen, um genau zu sein.

„Also mögen Sie ihn nicht, obwohl sie ihn nicht kannten.“ Es war eine Feststellung.

„Ich habe nicht gesagt …“ Dieses Gespräch wurde von Minute zu Minute schlimmer.

„Amber?“, sagte da plötzlich ein Mann, der an ihrer Seite aufgetaucht war. „Fünf Minuten für jeden.“

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Cole zu. „Es sieht so aus, als müsste ich mich verabschieden. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Cole Parker.“

Cole ärgerte sich über sich selbst. „Ich wollte nicht, dass unser Gespräch so verläuft.“

„Vielleicht können wir es ja ein andermal erneut versuchen.“

„Haben Sie später noch etwas vor?“ Seine Frage klang zweideutiger, als er beabsichtigt hatte.

„Ja“, sagte sie, ohne zu zögern. „Ich werde einen Krabbencocktail essen und Hühnchen Kiev. Dann werde ich eine kurze, aber tiefschürfende Rede im Namen der Henderson-Familie halten und das Kindermädchen erlösen.“

„Würden Sie später noch mit mir tanzen?“

Belustigt lächelte sie ihn an. „Meinen Sie, Sie können da noch Punkte gutmachen?“

„Ich werde mir zumindest die größte Mühe geben, den verstorbenen Ehrengast nicht zu beleidigen.“

„Setzen Sie sich nicht zu hohe Ziele.“

In diesem Moment legte ihr der Mann von eben mahnend die Hand auf den Arm. „Amber?“

„Ich muss mich verabschieden“, sagte sie.

„Was, zum Teufel, war denn das?“, murmelte Luca, als sie sich zum Gehen wandten.

„Du willst, dass wir uns an seinem Stipendium beteiligen?“, fragte Cole. „Das werde ich ganz sicher nicht tun.“

„Ja, das hast du klargestellt.“

2. KAPITEL

Amber konnte es kaum abwarten, endlich die Feier zu verlassen. Am liebsten wäre sie am Samstagabend zu Hause bei Zachary geblieben und hätte es sich mit einer heißen Schokolade vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Aber sie war nun einmal das einzig verbliebene Mitglied der Henderson-Familie; jemand musste den Dank der Pilotenvereinigung entgegennehmen.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester war Amber Anlässe wie diese nicht gewohnt. Folglich war jedes einzelne Kleidungsstück, das sie heute Abend trug, brandneu. In dem engen Kleid, das Destiny für sie ausgesucht hatte, konnte sie sich kaum bewegen. Das Schlimmste aber waren die Schuhe. Diese absurd hohen Absätze brachten sie beinahe um.

Endlich war auch die letzte Rede gehalten und der Applaus verklungen. Die Musik spielte auf, und es durfte getanzt werden.

Mit einem erleichterten Seufzer erhob sich Amber. Jetzt musste sie sich nur noch möglichst unauffällig auf den Weg zum Ausgang machen. Dann konnte sie sich ein Taxi nehmen.

Eine Frau in den Fünfzigern, deren Gesicht ihr vage bekannt vorkam, ergriff Ambers Hand. „Eine schöne Rede, Miss Welsley.“

„Vielen Dank.“

Das Gesicht der Frau nahm einen feierlichen Ausdruck an. „Trotz der tragischen Umstände hat die Henderson-Familie noch immer einen positiven Einfluss auf uns alle.“

„Samuel war ein sehr großzügiger Mensch“, spulte Amber ihre Standardantwort ab. In Wahrheit hatte sie so ihre eigene Meinung über Samuels Charakter. Immerhin hatte er ihre hübsche, impulsive Schwester geheiratet, als sie erst neunzehn gewesen war.

Damals hatte Amber ihre Entscheidung bereut, Coco zur Firmenfeier mitgebracht zu haben. Nachdem sie und Samuel dann ein Paar gewesen waren, hatte sich Amber stets bemüht, Abstand zu ihnen zu halten. Doch dann wurde Coco schwanger, und schon bald steckte Amber bis zum Hals in Cocos kompliziertem Leben.

„Entschuldigen Sie, Miss Wesley“, erklang da eine Männerstimme direkt neben ihr.

„Guten Abend.“ Amber lächelte, doch innerlich fluchte sie. In diesem Tempo würde es ewig dauern, bis sie den Ausgang erreichte. Und sie konnte sich schon jetzt kaum noch auf den Beinen halten in diesen verdammten Schuhen.

„Ich bin Kevin Mathews von Highbush Unlimited. Ich habe mich gefragt, ob ich Ihnen meine Karte geben darf.“

Amber lächelte ihn an. „Aber natürlich, Mr. Mathews.“

„Wir sind eine Wohltätigkeitsorganisation und haben uns auf den Umweltschutz konzentriert.“

Amber bezweifelte stark, dass Samuel sich in seinem Leben viele Gedanken um die Umwelt gemacht hatte. Er war mit einem Privatjet durch die Gegend geflogen, hatte eine ständig auf Hochtouren laufende Klimaanlage in seinem Haus gehabt und ein halbes Dutzend benzinschluckender Luxuskarossen besessen.

Dennoch nahm sie die Karte des Mannes mit verbindlichem Lächeln entgegen. „Ich gebe sie gerne an die Presseabteilung von Coast Eagle weiter.“

Das Lächeln des Mannes erstarb. „Wenn Sie jetzt ein paar Minuten für mich Zeit hätten, könnte ich Ihnen erklären …“

„Da sind Sie ja“, ertönte da eine tiefe männliche Stimme hinter ihr. „Ich glaube, es ist Zeit für unseren Tanz.“

Es war Cole Parker.

Amber zögerte. Würde auch er versuchen, ihr etwas zu verkaufen? Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, dass die Tanzfläche zumindest ein ganzes Stück näher am Ausgang lag. Das gab den Ausschlag.

„Bitte, entschuldigen Sie mich“, sagte sie zu Kevin, dessen Miene sich schlagartig verdüsterte.

Cole führte sie durch die Menge an den Rand der Tanzfläche. Er lief so zügig, dass niemand es wagte, sie anzusprechen. Ambers Zehen schmerzten in den engen Schuhen, und sie hatte Mühe mitzuhalten.

„Bin ich gerade vom Regen in die Traufe gekommen?“, fragte sie.

„Ich will Sie sicher nicht um eine Spende bitten, wenn Sie das meinen“, erwiderte er.

„Gut zu wissen.“ Doch irgendetwas musste er von ihr wollen. Sonst wäre er nicht so hartnäckig.

„Ich habe Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht“, sagte er.

„Sie wollen mich bestechen?“ Misstrauisch sah sie ihn an.

Er hielt etwas in den Händen, das wie ein Paar Socken aussah.

„Ballettschläppchen. Ich habe sie aus dem Münzautomaten in der Lobby.“ Er warf einen abschätzigen Blick auf ihre goldenen Pfennigabsätze. „Was Sie da an den Füßen haben, nennt man Zwei-Stunden-Schuhe.“

Sie schnitt eine Grimasse. Das war auf jeden Fall eine sehr passende Bezeichnung.

Obwohl sie wusste, dass sie ihm nicht vertrauen durfte, war sie dankbar.

Er zeigte auf ein paar leere Stühle am Rand der Tanzfläche. „Setzen Sie sich.“

Erleichtert schlüpfte sie aus ihren Schuhen.

„Ich habe die mittlere Größe gewählt.“ Cole reichte ihr die schwarzen Schläppchen.

Amber hätte am liebsten laut aufgestöhnt vor Dankbarkeit.

„Sie fühlen sich so weich an.“

Kopfschüttelnd blickte er auf ihre goldenen High Heels. „Was haben Sie sich nur dabei gedacht?“

Amber erhob sich. „Meine Freundin Destiny meinte, sie würden meine Beine optisch verlängern.“

„Ich finde, Ihre Beine haben eine perfekte Länge.“

„Sie haben sich meine Beine nicht einmal angeschaut.“

„Das schließe ich aus Ihrer Größe.“ Galant bot er ihr den Arm. „Sollen wir?“

„Ich schätze, das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Aber Sie müssen mir eins versprechen.“

„Sicher.“

„Nach dem Tanz begleiten Sie mich zum Ausgang. Aus irgendeinem Grund belästigt mich niemand, wenn Sie bei mir sind.“

„Hat man Sie vorher belästigt?“

„Den ganzen Abend lang.“ So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. „Es ging um Spenden, Jobs, Bilder. Warum, um Himmels willen, sollte sich irgendjemand auf der Welt mit mir zusammen fotografieren lassen?“

„Weil Sie schön sind?“

„Ha, ha.“ Coco war eine Schönheit gewesen, aber nicht sie. Dazu war sie zu, wie sollte man es ausdrücken, bodenständig.

Sie hatte kein Problem mit ihrem Aussehen. Sie hatte schöne blaue Augen, eine hübsche Nase. Mit ihrem leicht gelockten Haar hatte sie an manchen Tagen zu kämpfen. Heute war es von einem Team professioneller Haarstylisten stundenlang bearbeitet worden und sah ziemlich gut aus. Auch wenn sie das klebrige Gefühl von all den Haarpflegeprodukten nicht mochte, die man bei Chez Philippe benutzte.

„Das war kein Scherz“, beteuerte Cole.

„Wir beide wissen, dass Sie eine Menge gutzumachen haben. Wegen vorhin.“ Sie schloss die Augen und überließ sich ganz dem Rhythmus der Musik.

„Das ist wahr“, pflichtete er ihr bei.

„Folglich werde ich allem, was Sie sagen, erst mal misstrauen.“

„Es ist nicht gerade leicht, Ihnen Komplimente zu machen, wissen Sie das?“

„Im Übrigen ist es auch gar nicht nötig. Es macht mir nichts aus, dass Sie Samuel nicht mochten.“

Eine Weile tanzten sie schweigend. „Sie bewegen sich sehr gut auf dem Parkett.“

Sie fragte sich, ob er sich über sie lustig machte. Wollte er sich bei ihr einschmeicheln?

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, sagte sie. „Woher, sagten Sie, kommen Sie doch gleich?“

„Alaska. Wechseln Sie das Thema?“

„Ich will Ihnen nur helfen. Ihnen müssen langsam die Komplimente ausgehen. Es sei denn, Ihnen gefällt meine Frisur.“

„Das tut sie.“

„Umso besser. Es hat nämlich eine Menge Geld gekostet, meine Haare so hinzukriegen. Reden wir über Sie.“

„Ich besitze eine Fluggesellschaft in Juneau. Aviation 58.“

„Ich habe nie von ihr gehört.“

„Wir beschränken uns auf die Region.“

Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen. „Und was führt Sie nach Atlanta, Cole Parker?“

Er zuckte die Achseln. „Es ist Dezember. Haben Sie sich mal den Wetterbericht von Alaska angesehen?“

„In letzter Zeit nicht.“

„Es ist ziemlich kalt da oben.“

„Also sind Sie im Urlaub?“

Jetzt, da sie zum ersten Mal Gelegenheit bekam, sein Gesicht gründlicher zu betrachten, wurde ihr bewusst, wie unglaublich attraktiv er war – mit seinen grauen Augen, der geraden Nase und dem kantigen Kinn. Sein dunkles Haar trug er kurz, und obwohl sie weder den Duft von Aftershave oder Shampoo an ihm wahrnahm, roch er angenehm frisch.

Er war breitschultrig, und sein Körper wirkte muskulös. Sie spürte seine starken Hände im Rücken. Schlagartig fühlte sie sich zu ihm hingezogen.

„Amber?“ Auch der angenehm tiefe Klang seiner Stimme gefiel ihr.

„Ja?“

„Ich habe gefragt, ob es eine besondere Sehenswürdigkeit gibt, die ich mir anschauen sollte.“

Amber riss sich zusammen. „Der botanische Garten ist immer einen Besuch wert. Oder Sie können Schlittschuhlaufen gehen. Mir gefällt das Atlantic Station. Man kann dort shoppen, sich die Weihnachtsdekoration ansehen und heiße Schokolade trinken.“ Unwillkürlich musste sie an Zachary denken. Sobald er ein bisschen älter war, würde er Weihnachten lieben.

Sie hatte ihn bereits liebgewonnen. Abends war er ein bisschen anstrengend, aber der arme Kerl hatte auch eine Menge durchgemacht.

Sie gab sich alle Mühe, ihm die Eltern zu ersetzen. Allmählich hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, ein Kind aufzuziehen. Dennoch bekam sie es manchmal mit der Angst zu tun, wenn sie an die Zukunft dachte. War sie dieser Aufgabe überhaupt gewachsen? Zumindest musste sie es versuchen. Zachary zuliebe. Schließlich war sie alles, was er noch hatte.

„Sind wir in der Nähe des Ausgangs?“, fragte sie Cole. Vielleicht war ja jetzt eine gute Gelegenheit, um unbemerkt aus dem Saal zu schlüpfen.

„Sind Sie müde?“, wollte Cole wissen.

„Ja. Anlässe wie diese liegen mir nicht sonderlich.“

„Ich dachte, so vertreiben sich die Reichen die Zeit. Krabbencocktails, Partys und Champagner.“

„Ich bin nicht reich.“ In letzter Zeit schienen alle davon auszugehen, dass sie die Vormundschaft für Zachary schlagartig zur Billionärin gemacht hatte.

„Ja, sicher“, erwiderte er gedehnt.

Sie wollte nicht mit ihm streiten. „Es war nett, mit Ihnen zu tanzen, Cole.“

„Bin ich schon wieder ins Fettnäpfchen getreten?“

„Überhaupt nicht. Ich bin nur müde. Danke, dass Sie mich durch den Saal begleiten.“

„Ich begleite Sie auch gern bis zum Ausgang“, bot er an. „Und werde dabei jeden verscheuchen, der es wagt, Sie anzusprechen.“

Eigentlich kein schlechter Plan. Das Foyer war voller Leute, die sie kannten. Schließlich war ihr Bild in den letzten drei Wochen durch alle Zeitungen gegangen.

„Dann danke ich Ihnen“, sagte sie.

Nachdem er sie durch den Empfangsbereich geleitet hatte, betraten sie gemeinsam den Fahrstuhl. Die Leute starrten sie an, doch niemand wagte es, sie anzusprechen. Ihr kam der Gedanke, dass Cole einen guten Bodyguard abgeben würde.

Schließlich standen sie draußen vor dem Hotel. „Der Portier wird ein Taxi für mich rufen“, sagte sie.

„Nicht nötig. Mein Wagen parkt direkt hier.“

„Cole …“

„Ich habe einen Chauffeur, der Sie fahren kann“, unterbrach er sie. „Ich will nur, dass Sie sicher nach Hause kommen.“

Als sie auf den Bürgersteig hinaustraten, spürte Amber den kalten, harten Asphalt unter ihren dünnen Ballettschläppchen. „Ich habe meine Schuhe oben vergessen.“

„Ich hole sie. Dann müssen Sie nicht noch einmal zurücklaufen.“

„Wünschen Sie ein Taxi, Sir?“, fragte der Portier.

„Ich habe einen eigenen Wagen“, antwortete Cole. Er gab dem Mann ein Trinkgeld. „Die Limousine von Aviation 58.“

„Ich kann nicht in Ihrer Limousine fahren“, warf Amber ein. Wie war das alles nur so kompliziert geworden?

„Wohin müssen Sie?“, fragte Cole.

„Fifth Avenue, Ecke Neunundachtzigste.“

„Das ist eine Fahrt von knapp zehn Minuten.“

In diesem Moment hielt eine schwarze Limousine vor ihnen. Galant öffnete Cole ihr die Tür.

Amber gab sich geschlagen. Je eher sie sich auf den Weg machte, desto eher war sie wieder bei Zachary.

Zu ihrer Überraschung stieg Cole zu ihr in den Wagen.

„Ich dachte, Sie wollten meine Schuhe holen?“

„Ja. Aber erst nachdem ich Sie sicher nach Hause gebracht habe. Fifth Avenue, Ecke Neunundachtzigste“, wies er den Fahrer an.

„Das ist lächerlich.“

Was wollte er von ihr? Überhaupt war er den ganzen Abend über so hartnäckig gewesen und hatte sie mit Komplimenten überschüttet. Was bezweckte er damit?

Im nächsten Moment wusste sie es. Der Mann besaß eine kleine Fluggesellschaft. Vermutlich wollte er expandieren.

„Sie sind hinter unseren Pazifikrouten her“, sagte sie.

„Entschuldigung?“

„Jetzt weiß ich es. Sie denken, dass Coast Eagle sich nach Samuels Tod verkleinern will. Sie wollen mit Aviation 58 expandieren.“

Einen Moment lang starrte er sie verständnislos an.

„Sie waren zu nett. Das war ihr Fehler“, sagte sie. „Sie haben übertrieben.“

„Vielleicht fühle ich mich einfach zu Ihnen hingezogen.“

Amber war sich zwar bewusst, dass sie heute – für ihre Verhältnisse – außergewöhnlich gut aussah. Doch Cole spielte in einer ganz anderen Liga. „Heute Abend liefen viel schönere Frauen herum als ich.“

„Ich habe nur Sie gesehen.“ Sein Blick wirkte aufrichtig.

„Netter Versuch. Aber es geht Ihnen um die Pazifikrouten.“

„Das ist für Sie die einzig denkbare Erklärung?“

„Ja.“

„Okay. Sie haben recht. Wollen Sie verkaufen?“

Amber lehnte sich in ihrem Sitz zurück. „Ich weiß nicht, warum jeder glaubt, ich hätte so viel Macht. Ich bin nur die stellvertretende Direktorin der Buchhaltung. Es gibt einen Aufsichtsrat. Bis ein neuer Präsident ernannt wird, sind die Vizepräsidenten für alle geschäftlichen Entscheidungen zuständig.“

„Als Zacharys Vormund haben Sie das letzte Wort bei allen Entscheidungen des Aufsichtsrats.“

„Theoretisch.“

„Nicht nur theoretisch“, widersprach Cole. „Sie können tun, was immer Sie wollen.“

„Ich habe schon einen Job. Ich werde mich ganz sicher nicht in Bereiche einmischen, von denen ich nichts verstehe.“

„Sie tragen nun einmal die Verantwortung.“ Eine überraschende Härte lag in Coles Tonfall. „Und Sie schulden es Zachary, sich ihr zu stellen.“

Sie erwiderte seinen Blick. „Ich schulde es Zachary, dafür zu sorgen, dass die Firma in guten Händen ist. Das heißt nicht, dass ich selbst geschäftliche Entscheidungen treffen muss.“

„Doch.“

„Okay, Mr. Parker aus Alaska, Sie haben zweifellos das Recht auf Ihre eigene Meinung. Und ich habe das Recht, sie zu ignorieren.“

Erstaunt sah Cole sie an.

„Hier muss ich raus“, erklärte Amber. „Joyce Roland ist die Planungsleiterin“, sagte sie zu Cole. „Wegen der Pazifikstrecken müssen Sie sich an sie wenden.“

Der Wagen hielt am Straßenrand. Der Fahrer sprang heraus und öffnete ihr die Tür.

„Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben“, sagte sie. „Gute Nacht, Cole.“

Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie sind sehr höflich.“

„Das sagt man mir oft.“

„Gute Nacht, Amber. Danke für den Tanz.“

Unwillkürlich glitt ihr Blick zu seinen vollen Lippen. Und eine flüchtige Sekunde lang stellte sie sich vor, ihn zu küssen.

Wie um den abwegigen Gedanken zu vertreiben, schüttelte sie den Kopf. Zachary wartete auf sie, und Roth bereitete sich vermutlich schon darauf vor, sie mit seinen Anwälten auseinanderzunehmen. Amber hatte keine Zeit für Traummänner aus Alaska.

Auf dem Weg zurück zum Ballsaal durchquerte Cole die Hotellobby.

Schnell hatte er Luca entdeckt, der sich angeregt mit einer hübschen Blondine unterhielt.

„Da bist du ja“, begrüßte Luca ihn. „Ich habe mich schon gefragt, was mit dir passiert ist.“

„Ich habe etwas im Ballsaal vergessen“, erklärte Cole.

„Darf ich dir Destiny Frost vorstellen? Sie ist eine gute Freundin von Amber Welsley.“

Cole spielte mit. „Nett, Sie kennenzulernen.“ Lächelnd schüttelte er Destiny die Hand.

„Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite.“

„Ich habe Destiny angeboten, sie nach Hause zu fahren“, sagte Luca. „Willst du mitkommen?“ Es war ein halbherziges Angebot, das konnte Cole an seinem Tonfall hören. Und er wollte auf keinen Fall das fünfte Rad am Wagen sein.

Daher wies er mit dem Kinn Richtung Fahrstuhl. „Ich muss eben noch was holen. Du kannst mich ja später abholen.“

Luca wirkte erleichtert. „Natürlich.“

„Luca sagt, Sie kommen aus Alaska?“, wollte Destiny wissen.

„Das stimmt“, antwortete Cole.

„Ich bin noch nie da gewesen. Es muss sehr kalt dort sein.“

Luca lächelte. „Ich habe schon angeboten, sie zu wärmen.“ Destiny musterte ihn kopfschüttelnd, lächelte aber. „Er ist schamlos.“

„Aber harmlos“, gab Cole zurück. Er meinte es ernst. Sein Freund war durch und durch ein Gentleman.

Nachdem er sich von den beiden verabschiedet hatte, machte er sich auf den Weg zum Fahrstuhl.

Die meisten Gäste waren gerade dabei, die Feier zu verlassen. Zielstrebig bahnte sich Cole seinen Weg an ihnen vorbei und ging auf den Stuhl zu, auf dem Amber ihre Schuhe hatte liegen lassen.

Doch sie waren fort.

Suchend blickte Cole sich im Saal um. Wer würde bei einem Anlass wie diesem ein Paar Schuhe stehlen?

Plötzlich sah er etwas Goldenes in den Händen eines Kellners aufblitzen. Das waren definitiv Ambers Schuhe. Der Mann steuerte auf einen der Seiteneingänge zu.

Cole war erleichtert. Der Kellner wollte sie wahrscheinlich an der Lobby hinterlegen.

Er folgte ihm durch denselben Ausgang und trat in einen schummrigen Korridor. Die eine Tür führte offensichtlich zur Küche, der andere in ein enges Treppenhaus. Es kam ihm unwahrscheinlich vor, dass sich die Lobby in der Küche befand, also entschied er sich für die Treppe.

„Die Schuhe“, rief Cole dem Kellner zu, der den Fuß der Treppe erreicht hatte.

Der Mann drehte sich zu ihm um. Doch bevor Cole noch ein Wort sagen konnte, sprang er die letzten Stufen hinunter und stürmte nach draußen.

„Soll das ein Witz sein?“, schrie Cole ihm nach und setzte sich ebenfalls in Bewegung.

Er riss die Tür auf und fand sich in einer düsteren Gasse wieder. Ohne groß nachzudenken, rannte er dem Mann hinterher. Als er ihn eingeholt hatte, packte er ihn am Arm und wirbelte ihn herum.

„Was läuft hier?“, stieß Cole keuchend hervor. „Sie stehlen ein Paar Schuhe?“

„Die gehören meiner Freundin.“ Der Mann schnappte ebenfalls nach Luft.

„Sie gehören meiner Freundin.“ Cole musterte den Mann. Er war unrasiert und hatte einen wilden Blick. „Sie sind kein Kellner.“

In diesem Moment zückte der Mann ein Klappmesser und hielt es ihm an die Kehle.

„Es sind nur Schuhe“, sagte Cole. Adrenalin durchströmte seine Adern. Gut, es waren zugegebenermaßen schöne Schuhe, und vermutlich waren sie auch sehr teuer. Aber was würde der Typ auf dem Schwarzmarkt schon dafür bekommen?

„Tu dir selbst einen Gefallen, und hau ab“, stieß der Mann wütend hervor.

Aber das würde Cole auf keinen Fall tun. Er würde Amber ihre Schuhe zurückbringen. „Gib sie mir.“

„Willst du ein Messer in der Brust?“

Plötzlich hörte Cole ein leises Knurren neben sich. Als er nach unten sah, entdeckte er einen ziemlich verwahrlosten Hund.

„Er springt dir an die Kehle“, log Cole.

Der Mann starrte den Hund an.

Er knurrte erneut.

„Lass das Messer fallen, oder ich hetz ihn auf dich.“

Scheppernd fiel das Messer zu Boden, zusammen mit den Schuhen. Der Mann wich langsam zurück, dann drehte er sich um und rannte los.

Ungläubig sah Cole den Hund an. Er war mittelgroß und wedelte mit dem Schwanz, offenbar sehr zufrieden mit sich.

„Gut gemacht“, sagte er und tätschelte ihm den Kopf. Sein Fell fühlte sich klebrig und verfilzt an.

Bei genauerem Hinsehen fiel ihm auf, wie erschreckend dünn das Tier war. Doch seine braunen Augen blickten freundlich und weise.

„Bist du ein Streuner?“, fragte Cole.

Er hob die Schuhe auf. Der Hund blickte ihn erwartungsvoll an.

„Du hättest wahrscheinlich gerne eine Belohnung. Das ist nur fair.“ Das Mindeste, was er für den Hund tun konnte, war, ihm einen Burger zu kaufen.

„Dann komm.“ Gehorsam trottete der Hund hinter ihm her.

Cole legte einen kurzen Zwischenstopp im Hotel ein, wo er den Portier bat, jemanden vom Personal loszuschicken, um das Messer sicherzustellen. Anscheinend hatte es schon vorher Vorfälle dieser Art gegeben, bei denen sich ein verkleideter Dieb als Kellner ausgegeben hatte. Vielleicht fand man auf dem Messer ja Fingerabdrücke.

Anschließend machte sich Cole mit dem Hund auf den Weg zum nächsten Burgerladen.

Er wusste nicht, ob der Hund noch da sein würde, wenn er zurückkehrte. Doch er ging das Risiko ein. Drinnen kaufte er zwei extra große Burger. Nach den winzigen Häppchen heute Abend beim Empfang knurrte auch ihm der Magen.

Draußen sprang der Hund freudig auf, als er ihn sah. Den ersten Burger hatte er in zwei Bissen hinuntergeschlungen. Daraufhin gab ihm Cole auch den zweiten.

Sein Telefon summte. Es war eine SMS von Luca, der ihm mitteilte, dass er ihm den Chauffeur schicken würde. Destiny und er würden noch einen kleinen Schlummertrunk zu sich nehmen.

Lächelnd machte sich Cole auf den Weg zum Hotel. Der Hund folgte ihm.

„Geh nach Hause“, befahl Cole.

Verständnislos sah der Hund ihn an.

Cole gab sich Mühe, seine Stimme streng klingen zu lassen. „Nun hau schon ab.“

Der Hund ließ den Kopf hängen und blickte ihn mit traurigen Augen an.

Cole wurde das Herz schwer.

Schließlich kniete er sich hin und streichelte sein verfilztes Fell. „Ich weiß nicht, was du von mir erwartest.“

Der Hund rieb seine Schnauze an Coles Schenkel.

„Die Hose ist nur geliehen“, sagte Cole vorwurfsvoll. „Außerdem lebe ich in Alaska.“

Der Hund wedelte mit dem Schwanz.

„Mist.“

„Mr. Parker?“ Aus dem Augenwinkel sah er den Chauffeur auf sich zukommen. „Sind Sie bereit loszufahren, Sir?“

Seufzend erhob sich Cole. „Wir sind bereit.“

„Wir?“

„Der Hund kommt auch mit.“

Der Fahrer warf einen zweifelnden Blick auf das verwahrloste Tier. Nach einem kaum merklichen Zögern sagte er: „Natürlich, Sir.“

Seufzend schüttelte Cole den Kopf.

Und das alles nur wegen dieser blöden Schuhe.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen machte sich Cole auf den Weg zum Penthouse-Apartment der Hendersons, um Amber ihre Schuhe zurückzubringen. Den Hund nahm er mit. Auf dem Rückweg konnte er ihn immer noch beim Tierheim abgeben.

Das Tier sah mittlerweile einigermaßen vorzeigbar aus, fand Cole. Seit er ihn in der Autowaschanlage des Hotels abgeschrubbt hatte, roch er auch deutlich besser.

Sein Benehmen war ebenfalls tadellos. Brav stand er neben ihm, während Cole an der Tür klingelte.

Kurz darauf machte Amber ihnen auf, den brüllenden Zachary auf dem Arm. Sie trug verwaschene Jeans, ein fleckiges T-Shirt und war barfuß. Irgendetwas klebte in ihrem Haar. Es sah aus wie Haferbrei.

„Der Portier meinte, hier wäre jemand mit einer Lieferung“, sagte Amber. Sie musste laut sprechen, um Zachary zu übertönen.

Cole hielt die Schuhe hoch. „Das stimmt auch.“

Ihr Blick fiel auf die goldenen High Heels in seiner Hand. „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, sie wären gestohlen worden.“

„Sie machen Witze.“

„Nur halb“, gab sie zu. Erstaunt musterte sie seinen vierbeinigen Begleiter. „Sie haben einen Hund?“

„Jetzt schon.“

„Okay.“ Zachary zappelte noch immer in ihren Armen. „Könnten Sie die Schuhe vielleicht reinbringen und irgendwo auf den Boden legen?“

„Sicher.“ Cole trat ein. Im Flur entdeckte er einen Wandschrank. Er öffnete ihn und legte die Schuhe hinein.

Die Schreie des Babys waren in ein leiseres Wimmern übergegangen.

Er drehte sich zu ihr um. „Sie müssen wissen, dass ich praktisch mein Leben riskiert habe, um Ihre Schuhe zu retten.“

Plötzlich erstarrte Zachary in Ambers Armen. Er drehte den Kopf und sah Cole an, einen Ausdruck von Verzückung in den Augen.

„War die Feier so wild?“, fragte Amber.

Unverwandt und ohne zu blinzeln, blickte er in Coles graue Augen.

Dann fing er wie wild an zu strampeln.

„Hey.“ Amber hätte ihn beinahe fallen gelassen.

Zachary streckte seine Ärmchen nach Cole aus und fing an zu weinen.

„Das ist verrückt.“ Verwirrt runzelte Amber die Stirn.

Cole hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte.

„Macht es Ihnen etwas aus, ihn kurz zu halten?“

Er nahm ihr Zachary ab. Sofort schlang Zachary die Ärmchen um seinen Hals und schmiegte sein tränennasses Gesichtchen an seine Schulter. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.

Coles Herz schlug schneller. Aus irgendeinem rätselhaften Grund vertraute ihm sein kleiner Bruder instinktiv.

„Das ist Zauberei“, flüsterte Amber. „Was immer Sie da machen, hören Sie nicht damit auf.“

„Aber ich mache ja gar nichts.“

„Bevor Sie kamen, hat er beinahe eine Stunde lang geweint.“

„Wahrscheinlich hat er sich müde geweint.“

„Ich glaube, er vermisst seine Eltern“, sagte Amber leise. Mitleidig strich sie über Zacharys flaumweiches Babyhaar und schenkte Cole ein warmes Lächeln. „Bleiben Sie doch noch einen Moment.“

Der Hund schien die Einladung verstanden zu haben. Jedenfalls trottete er gehorsam ins Wohnzimmer.

Cole nickte. Alles kam ihm ein bisschen unwirklich vor. Ambers zerzaustes Haar, der Duft des Babypuders und das Geräusch der Hundepfoten auf dem Holzboden.

Immerhin war dies die perfekte Gelegenheit, mehr über sie zu erfahren.

„Ich musste mich zwischen dem Penthouse und dem Herrenhaus entscheiden“, sagte Amber, die sich offensichtlich genötigt fühlte, sich für ihre luxuriöse Behausung zu entschuldigen. „Außerdem haben wir Zacharys alte Nanny Isabel behalten, damit ihm zumindest eine Vertrauensperson bleibt. Ab und zu übernachtet sie hier. In meinem Ein-Zimmer-Apartment wäre das nicht möglich gewesen.“

Cole sah sich um. Die teuren Möbel waren mit Babydecken, Rasseln und buntem Kinderspielzeug bedeckt.

„Entschuldigen Sie die Unordnung“, sagte sie.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen.“

„Und entschuldigen Sie meinen Aufzug.“ Reuevoll blickte sie an sich hinunter. „Das ist der Beweis. So sehe ich normalerweise aus.“

„Im Ernst, Amber. Sie sehen großartig aus.“

Sie lachte spöttisch.

„So ernst nehmen wir es mit der Etikette in Alaska nicht.“

„Kann ich Ihnen etwas bringen?“

„Nein, vielen Dank.“

Er wollte ihr nicht noch zusätzlich Arbeit machen. Andererseits war Zachary, seinen regelmäßigen Atemzügen nach zu schließen, gerade eingeschlafen. Somit gab es für ihn, Cole, keine Entschuldigung, länger zu bleiben. Vielleicht war eine Erfrischung also doch keine schlechte Idee.

„Oder hätten Sie zufällig einen Kaffee für mich?“

„Natürlich.“ Sie verließ den Raum durch einen Bogeneingang, der offensichtlich in die Küche führte.

Um keine wertvolle Gesprächszeit zu verschwenden, folgte er ihr.

Die Küche war riesig, mit hohen Decken und einer großen Kücheninsel in der Mitte. Die Arbeitsflächen waren aus Granit, es gab blitzende Stahlapplikationen und Küchenschränke aus Ahornholz. Durchs Fenster hatte man einen wunderbaren Blick auf den Park.

„Sehr hübsch.“

„An die Größe muss ich mich noch gewöhnen.“ Sie schaltete die Kaffeemaschine an. „Es ist verrückt, in die Wohnung eines anderen zu ziehen. In ein fremdes Leben – hier sind noch immer ihre Möbel, ihr Geschirr, ihre Handtücher.“

„Sie sollten mehr von ihrem eigenen Zeug herbringen.“

Sofort verdüsterte sich ihr Gesicht.

„Tut mir leid“, sagte er. „Ist es noch zu früh?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nicht so tun, als hätten meine Stiefschwester und ich uns sonderlich nahegestanden. Samuel kannte ich kaum. Vielleicht liegt es am Prozess. Ich will nichts beschreien.“

Cole nahm an der Kücheninsel Platz. Zachary schlief noch immer ruhig in seinen Armen. Seltsamerweise fühlte es sich völlig natürlich an, ihn zu halten. „Erzählen Sie mir von dem Prozess.“

„Lesen Sie keine Klatschblätter?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Ich bin in einen Sorgerechtsstreit mit Roth Calvin verwickelt. Er ist der Vizepräsident von Coast Eagle und Samuels bevorzugte Wahl als Vormund.“

„Das habe ich gehört.“

„Doch Coco wollte mich. Roth ficht das an.“

„Steht Roth Zachary nahe?“

Amber nahm zwei dunkelgrüne Steinguttassen aus dem Regal. „Roth steht Coast Eagle nahe. Und wie Sie gestern Abend so richtig feststellten, wer Zachary hat, leitet die Firma.“

„Also können Sie mir doch meine Pazifikrouten besorgen.“ Es war die perfekte Ausrede. Es gab ihm einen Vorwand, alle möglichen Fragen zu stellen, ohne dass sie Verdacht schöpfte.

„Ich habe nicht vor, die Leitung von Coast Eagle zu übernehmen.“

„Darüber haben wir doch schon gestern Abend gestritten, nicht wahr?“ Es war seitdem so viel geschehen, dass er beinahe vergessen hatte, wie wütend sie auf ihn gewesen war.

„Das nennen Sie einen Streit?“

„Ich habe bezweifelt, dass Sie sich in angemessener Weise um Zacharys Erbe kümmern.“

„Mir geht es vor allem um Zachary. Und ich kenne meine Grenzen. Bei Coast Eagle gibt es eine Menge engagierter, fähiger Führungskräfte.“

„Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel.“

„Ich bin nur stellvertretende Direktorin der Buchhaltung, Cole.“

Er mochte die Art, wie sie seinen Namen aussprach. „Immerhin sind Sie für das Wohlergehen des Firmenbesitzers verantwortlich.“

Ihr Blick ruhte auf Zachary, und ihr Tonfall wurde zärtlich, als sie sagte: „Armer Kerl.“

„Armer kleiner reicher Junge?“ Das klang sarkastischer, als er beabsichtigt hatte.

„Ich wünschte ehrlich, er hätte nicht so ein riesiges Vermögen geerbt. Dann würde niemand versuchen, ihn mir wegzunehmen.“

„Also haben Sie Angst, ihn zu verlieren?“

Amber konzentrierte sich ganz darauf, den frisch gebrühten Kaffee in die Steinguttassen zu füllen. „Ich versuche, nicht darüber nachzudenken.“ Lächelnd drehte sie sich zu ihm um. „Ich kann immer noch nicht fassen, dass Sie es geschafft haben, ihn zum Schlafen zu bringen.“

„Er hat sich in den Schlaf geweint.“

„Vielleicht mag er ihre Stimme.“

„Vielleicht“, räumte Cole ein.

Ihm gefiel der Gedanke nicht, aber vielleicht ähnelten sich seine Stimme und die seines Vaters.

Jedenfalls vertraute sein Bruder ihm. Der Gedanke weckte seltsame Gefühle in ihm.

Herbert Nywall, Ambers Boss, verließ Ambers winziges, vollgestopftes Büro, das sich im siebten Stock des Coast-Eagle-Gebäudes befand.

Er hatte keine Wahl. Max Cutter, der Topanwalt der Firma, wollte Amber unter vier Augen sprechen. Verständlicherweise wirkte Herbert verärgert.

„Kann das nicht warten, Max?“, fragte sie.

„Ich fürchte, nein. Tut mir leid, Herbert.“

„Kein Problem“, erwiderte Herbert gezwungen fröhlich.

„Ziemlich viel zu tun heute“, bemerkte Amber, nachdem ihr Boss die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Du kannst nicht so tun, als wäre nichts geschehen.“ Max zog sich einen Stuhl an ihren winzigen Konferenztisch. Er stand eingepfercht zwischen ihrem Schreibtisch und einem Bücherregal. Ihr Büro war so winzig, dass es nicht einmal ein Fenster besaß.

„Glaub mir, das tue ich nicht.“ Die vergangenen Wochen hatten ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt.

Nichts war mehr normal. Und nun war auch noch dieser Cole Parker aufgetaucht, aus dem sie nicht schlau wurde.

Wie Zachary auf ihn reagiert hatte, war einfach erstaunlich. Und auch sie sehnte sich danach, ihm zu vertrauen, was noch viel erstaunlicher war.

Max kam direkt zum Punkt. „Roth setzt den Aufsichtsrat unter Druck. Er will, dass sie ihn zum Präsidenten ernennen.“

Das waren schlechte Nachrichten. „Ich dachte, der Aufsichtsrat würde den Präsidenten erst später wählen“, warf Amber ein.

„So war es vereinbart. Doch Roth will es unbedingt. Und die Hälfte des Aufsichtsrats ist ohnehin davon überzeugt, dass er den Rechtsstreit gewinnen wird. Als Präsident kann er entscheiden, wer im Aufsichtsrat bleibt. Keiner will es sich mit ihm verscherzen.“

Amber verstand ihr Dilemma. Wenn Roth erst das Sorgerecht gewonnen hatte, würde er mit den Mitgliedern des Aufsichtsrats, die gegen ihn gestimmt hatten, nicht viel Federlesen machen.

„Außerdem“, fuhr Max fort, „meinen einige von ihnen tatsächlich, dass er einen guten Präsidenten abgeben wird.“

„Das glaube ich nicht“, platzte es aus Amber heraus.

Max lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. „Das war deutlich. Ist es wegen Zachary?“

„Roth verschleudert leichtfertig Firmengelder. Er möchte die gesamte Flotte ersetzen. Er ist kaufsüchtig, und das im großen Stil.“

Ein Lächeln umspielte Max’ Lippen. „Interessante Bezeichnung, aber nicht unzutreffend.“

„Sie dürfen ihn nicht zum Präsidenten ernennen.“

„Unter den Meinungen des Vorstands herrscht ein Unentschieden. Wir müssen ein weiteres Vorstandsmitglied ernennen, damit der Gleichstand aufgehoben wird.“

Amber schüttelte den Kopf.

„Sie wissen, dass ich keine Aufsichtsratsmitglieder ernennen möchte.“

„Das weiß ich.“

„Ich möchte Coast Eagle nicht leiten.“

„Da sind Sie so ziemlich die Einzige.“

Amber sprang auf und begann, hin und her zu laufen. Dummerweise stieß sie dabei sofort gegen ihren Schreibtisch. Ihr Büro war einfach zu klein.

„Wenn Sie den richtigen Kandidaten wählen, wird Roth zurückstecken müssen“, ergriff Max erneut das Wort. „Wenn Sie keinen ernennen, wird MacSweeny auf jeden Fall umkippen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und dann wird Roth Präsident.“

„Und der Kaufrausch beginnt.“ Amber sprach mehr zu sich selbst als zu Max.

Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Cole Parker und zu dem, was er im Wagen zu ihr gesagt hatte.

Entschlossen versuchte sie sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Zugegeben, wenn sie zuließ, dass Roth die Firma in Schulden stürzte, war das nicht in Zacharys Interesse. Und im Moment war sie die Einzige, die berechtigt war, ein neues Vorstandsmitglied zu ernennen.

Sie wagte einen Vorstoß. „Wenn ich jemanden ernennen würde, wer könnte das sein?“

Es musste jemand sein, dem sie vertrauen konnte. Außerdem durfte derjenige nichts von Roth zu befürchten haben, falls dieser den Sorgerechtsstreit gewann. Es musste jemand sein, der die Fluggesellschaft bestens kannte und in unsicheren Zeiten Stärke zeigte.

Doch leider fiel ihr nicht eine einzige Person ein, auf die all dies zutraf.

„Sie“, sagte Max leise.

„Nein.“ Instinktiv umklammerte Amber die Stuhllehnen. „Nein.“ Das war undenkbar.

„Sie unterschätzen sich, Amber.“

„Coco wollte mich als Vormund haben, weil sie wusste, wie sehr ich Zachary liebe. Sie hatte keine Ahnung, in welche Position mich das innerhalb der Firma bringen würde.“

„Coco hatte von den meisten Dingen keine Ahnung.“

Amber wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihre Schwester war stets impulsiv und gefühlsbetont gewesen. Im Grunde war sie nie richtig erwachsen geworden.

„Es muss noch jemand anderen geben“, wich sie aus.

„Es geht doch nur um die Wahl des Präsidenten“, beschwor Max sie. „Sie übernehmen den Posten, lassen abstimmen, und dann kann ein neuer Präsident das Ruder übernehmen.“ Er ließ den Blick durch ihr winziges Büro schweifen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Nase gerümpft. „Und dann können Sie hierher zurückkommen.“

Er stieß einen unwilligen Laut aus. „Es gibt sicher nicht viele Billionäre, die freiwillig in diesem Büro bleiben würden.“

„Ich bin keine …“

„Ich bitte Sie. Ich verstehe, dass Sie bescheiden sind. Aber Sie sind Zacharys Vormund und haben die Kontrolle über eine billionenschwere Firma.“

„Vorübergehend.“

„Das kann niemand wissen.“

„Ich darf Zachary einfach nicht verlieren.“

„Die Zukunft von Coast Eagle hängt davon ab, dass Sie sich Ihrer Verantwortung stellen.“

Dasselbe hatte Cole zu ihr gesagt.

„Wie lange habe ich Zeit, um darüber nachzudenken?“

„Vierundzwanzig Stunden. Dann könnte McSweeny umkippen.“

„Max ist ein sehr gerissener Anwalt.“ Destiny hatte alle Mühe, Zacharys Gebrüll zu übertönen.

Beide Frauen standen in der Küche des Penthouse. Amber wiegte Zachary auf dem Arm, während Destiny den Tisch deckte.

„Du bist auch eine gerissene Anwältin“, hielt Amber dagegen.

„Sicher, aber mir geht es in erster Linie um deine Interessen, Max um Coast Eagle. Das Beste für die Firma wäre, wenn du dem Vorstand beitreten würdest.“

„Und was wäre das Beste für mich?“

„Wenn du es tust, wirst du dir mit Roth einen Feind fürs Leben machen.“

„Das bin ich in seinen Augen sowieso schon.“

Destiny grinste, während Zacharys Schreie lauter wurden.

Amber wiegte ihn, auch wenn sie allmählich erschöpft war. „Ich schwöre, wenn ich Cole Parkers Telefonnummer hätte, würde ich ihn anbetteln herzukommen.“

„Du meinst den anderen Typen aus Alaska?“

„Ja, er hat Zachary am Sonntagmorgen zum Einschlafen gebracht, ohne dafür einen Finger krumm zu machen.“ Amber wusste, wie bitter sie klang. Aber das Ganze war wirklich nicht fair.

Destiny griff zum Telefon. „Ich habe Lucas Nummer.“

„Ja, sicher.“

Doch Destiny hatte bereits gewählt. „Luca? Hier ist Destiny.“

Warnend schüttelte Amber den Kopf.

„Nein, deswegen rufe ich nicht an“, sagte Destiny. „Wirklich nicht. Ich würde gerne mit Cole sprechen.“

Ambers Kopfschütteln wurde heftiger.

„Nicht einmal annähernd“, sagte Destiny. „Sag ihm, Amber braucht ihn, um Zachary zum Schlafen zu bringen.“

„Das meint sie nicht ernst“, rief Amber. Doch Zacharys Gebrüll wurde noch lauter. Schnell drehte sie sich um und lief mit ihm ins Wohnzimmer. „Schsch“, flüsterte sie. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Hi, Cole“, hörte sie Destiny munter sagen. „Ja, Amber braucht die Baby-Kavallerie.“

Amber hätte im Boden versinken mögen. Man konnte doch keinen Fremden bitten, alles stehen und liegen zu lassen, damit er ihr Kind ins Bett brachte. Hoffentlich sagte er Nein.

„Sie sind schon auf dem Weg“, rief Destiny ihr zu, nachdem sie aufgelegt hatte.

„Du hast den Verstand verloren.“

Ihre Freundin schlenderte zum Weinregal, das in die Küchenwand eingelassen war.

Nachdem sie die Etiketten auf den Flaschen sorgfältig studiert hatte, entschied sie sich für einen Merlot.

Destiny fand den Korkenzieher, löste die Folie und schraubte den Korken aus der Flasche. Dann stellte sie zwei Gläser auf die Kücheninsel und schenkte ihnen ein. Die beiden Teller mit Linguini standen bereits dampfend auf dem Tisch.

Nervös lief Amber in der Küche auf und ab.

Sie wusste, dass es zwecklos war, sich hinzusetzen. Zachary schien ein eingebautes Höhenmessgerät zu besitzen. Am zufriedensten war er, wenn seine Füße einen halben Meter über dem Boden baumelten. Jede Abweichung rief lautstarken Protest hervor.

Glücklicherweise war sie mittlerweile multitaskingfähig, und so wickelte sie ein paar Linguini mit Meeresfrüchte auf die Gabel und führte sie zum Mund.

„Nehmen wir mal an, ich wähle mich selbst in den Aufsichtsrat“, sagte sie nachdenklich. „Könnte mir das bei dem Sorgerechtsstreit schaden? Ich meine, wirkt das nicht so, als würde ich Zachary benutzen, um die Kontrolle über Coast Eagle zu gewinnen?“

„Vielleicht“, sagte Destiny nach kurzem Nachdenken. „Ich meine, wir würden es natürlich so drehen, dass du es tust, um dich aktiv für Zacharys Interessen einzusetzen.“

„Würde der Richter uns das glauben?“

„Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, würde ich sagen. Andererseits könnte ein Richter dich auch für ungeeignet halten, wenn du dich weigerst, dem Aufsichtsrat beizutreten.“

„Das Problem ist, dass beide Angelegenheiten nicht voneinander zu trennen sind.“ Frustriert griff Amber nach ihrem Weinglas.

Sofort begann Zachary heftig zu zappeln. Beinahe hätte er ihr das Glas aus der Hand geschlagen.

„Wenn du es tust“, sagte Destiny, „wird Roth dich als machthungrig darstellen. Wenn du es nicht tust, als unfähig. Aber Coco wollte dich zum Vormund, und das ist wichtig.“

„Aber Samuel wollte Roth. Und was Charakterstärke oder Intelligenz angeht, war Samuel meiner Schwester auf jeden Fall überlegen.“

Neidisch sah Amber zu, wie ihre Freundin an ihrem Wein nippte. Sie selbst musste sich mit einer weiteren Gabel Linguini zufriedengeben.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

„Das ging aber schnell.“ Amber steuerte aufs Wohnzimmer zu, den quengelnden Zachary noch immer auf dem Arm.

„Sie wohnen am East Park.“

Amber warf einen prüfenden Blick durch den Spion, bevor sie Cole und Luca die Tür öffnete.

Beim Anblick des Hundes zu Coles Füßen musste sie lächeln. Sie wusste, dass Cole vorgehabt hatte, ihn im Tierheim abzugeben. Es war irgendwie rührend, dass er es doch nicht übers Herz gebracht hatte.

Cole warf einen mitfühlenden Blick auf den herzzerreißend schluchzenden Zachary.

„Ich habe gehört, es gibt Probleme?“, erkundigte er sich.

Beim Klang seiner Stimme richtete sich Zachary sofort auf und blinzelte ihn mit tränennassen Augen an. Schon begann er heftig zu strampeln und wäre Amber beinah aus den Armen gerutscht.

Cole fing ihn reflexartig auf. „Hey, vorsichtig, Partner.“

„Es fällt mir schwer, das nicht persönlich zu nehmen“, sagte Amber. Trotzdem war sie erleichtert, ihn wenigstens kurz abgeben zu können.

Aus irgendeinem Grund musste Luca beim Anblick von Cole und Zachary bis über beide Ohren grinsen. „Schön, Sie wiederzusehen, Amber.“

„Hallo, Luca. Es tut mir leid, dass Destiny Sie beide genötigt hat herzukommen.“

„Überhaupt kein Problem“, erwiderte Luca. „Ist sie da?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er an Amber vorbei.

„Sie ist in der Küche“, rief Amber Luca hinterher.

Tief aufseufzend vergrub Zachary das Gesicht an Coles Schulter.

„Reagieren Babys immer so auf Sie?“ Amber konnte sich die Frage nicht verkneifen.

„Ich weiß nicht. Ich habe normalerweise selten mit Babys zu tun.“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich eine Kleinigkeit esse, während Sie ihn auf dem Arm halten?“

„Überhaupt nicht.“ Cole streifte sich das Jackett ab und hängte es an den Mantelständer. „Tun Sie, was immer Sie wollen. Nehmen Sie ein Bad. Halten Sie ein Nickerchen.“

„Klingt verführerisch. Aber da drin steht ein Glas Merlot mit meinem Namen.“

Cole und der Hund folgten ihr in die Küche, wo Destiny Luca bereits Linguini servierte.

„Es ist plötzlich so ruhig und friedlich“, sagte sie mit überraschtem Blick auf Zachary.

Amber wandte sich an Cole. „Haben Sie Hunger?“

„Essen Sie ruhig zuerst. Aber schenken Sie mir ein Glas Wein ein.“ Er nahm an der Kücheninsel Platz. Der Hund rollte sich zu seinen Füßen zusammen.

Genussvoll nippte Amber erst an ihrem Wein, dann nahm sie einen weiteren Bissen Linguini. Es war wunderbar, endlich wieder beide Hände benutzen zu können.

„Wie heißt der Hund?“, wollte Destiny wissen.

„Keine Ahnung“, antwortete Cole. „Wir kennen uns noch nicht lange. Eigentlich hatte ich nicht vor, ihn zu behalten.“

„Ich glaube, er hat vor, Sie zu behalten“, erklärte Amber.

„Cole hat eine Menge Platz in Alaska.“ Luca grinste.

„Sie nehmen ihn mit nach Hause?“ Diese Aussicht schien Destiny zu gefallen.

Cole wirkte nachdenklich. „Ich schätze schon. Im Tierheim hat er vermutlich keine sonderlich guten Chancen neben all den niedlichen Welpen. Wer würde sich ihn schon freiwillig aussuchen.“

„So hässlich ist er nun auch wieder nicht.“ Amber musterte die hellbraune Schnauze, die hängenden Schlappohren und das borstige Fell. „Na ja“, gab sie widerstrebend zu. „Vielleicht ist Alaska doch keine so schlechte Idee.“

„Sehr diplomatisch.“ Cole lächelte.

„Er braucht einen Namen“, sagte Amber.

„Rover?“, fragte Cole, an den Hund gewandt.

Er reagierte nicht.

„Spot?“

Wieder keine Reaktion.

Amber lächelte.

„Lucky? Butch? Otis?“

Abrupt hob der Hund den Kopf.

„Im Ernst?“, fragte Cole. „Otis?“

Der Hund wedelte mit dem Schwanz.

„Dann eben Otis.“ Cole tätschelte ihm den Kopf.

Otis begann an Zacharys nacktem Fuß zu schnüffeln.

Neugierig blickte Zachary zu ihm hinunter. Die beiden sahen sich tief in die Augen.

„Sieht aus, als wollte er die Konkurrenz abschätzen“, sagte Destiny.

„Welcher von beiden?“, fragte Amber.

Zachary warf Otis einen misstrauischen Blick zu, den Otis ebenso misstrauisch erwiderte. Die Erwachsenen lachten.

Amber beeilte sich mit dem Essen. Sie wollte Coles Großzügigkeit nicht überstrapazieren.

Nachdem sie ihren Teller in die Spüle gestellt hatte, sagte sie: „Ich sollte den kleinen Kerl mal baden.“

„Ich nehme an, Sie meinen Zachary, nicht Otis“, sagte Luca.

„Definitiv Zachary.“

„Otis habe ich schon in der Autowaschanlage des Hotels gereinigt“, erklärte Cole. „Er roch ziemlich übel. Ich musste den Portier bestechen.“

Amber konnte seinen Einfallsreichtum nur bewundern.

„Er riecht zwar ein bisschen nach Autopolitur, trotzdem ist es ein Schritt in die richtige Richtung.“

Zachary streckte seine kleinen Hände nach Otis’ Ohr aus und griff danach.

„Vorsicht.“ Sanft zog Cole den kleinen Jungen weg. Otis blickte zwar verblüfft auf, wirkte aber nicht allzu verstimmt.

Amber warf einen Blick auf die Uhr. Es wurde langsam spät.

„Zeit fürs Bad“, sagte sie und versuchte enthusiastisch zu klingen, um dem Baby zu verstehen zu geben, dass ein großer Spaß bevorstand.

„Willst du baden?“ Lächelnd streckte sie die Arme nach ihm aus.

Zachary schmiegte sich noch enger an Cole.

„Ich kann mitkommen“, erbot sich Cole.

„Das wäre feige“, gab Amber zurück. Sie fühlte sich schon so unfähig genug als Vormund.

Cole stand auf. „Es geht nur um ein Bad. Keine große Sache.“

Zugegebenermaßen klang das Angebot verführerisch. „Okay.“ Amber gab sich geschlagen. „Aber nur dieses eine Mal. Eigentlich wollte ich den Richter davon überzeugen, dass ich der beste Vormund für Zachary bin. Es wäre blöd, ihm sagen zu müssen, dass in Wahrheit Sie das sind.“

„Keine Sorge“, erwiderte Cole. „Ich kann das Kind schlecht baden, wenn ich wieder in Alaska bin.“

Sie führte ihn durch den Flur ins große Badezimmer.

Es war leicht zu erkennen, welche Räume von Samuel eingerichtet worden waren und welche von Coco. Das luxuriös, dabei dezent eingerichtete Wohnzimmer trug die Handschrift eines Innenarchitekten.

Das Schlafzimmer und die drei Badezimmer waren das krasse Gegenteil.

„Ich sollte Sie wohl besser vorwarnen“, sagte Amber.

„Unordnung macht mir nichts aus“, antwortete er.

Amber musste lachen. „Das ist es nicht.“

Dank der Haushälterin, die Samuel seit zehn Jahren beschäftigte, waren die Badezimmer blitzsauber. Zögernd legte sie die Hand auf die Türklinke.

„Es ist lila.“

„Und?“

„Sehr lila.“ Sie schaltete das Licht an.

Amber hatte nicht übertrieben. Die marmornen Bodenfliesen schimmerten in grellem Violett. Genau wie Dusche, Waschbecken und Badewanne. Die Tapeten waren in einem etwas blasseren Fliederton gehalten und mit violetten Streifen durchzogen.

An den Wänden hingen abstrakte Gemälde in schrillem Pink. Und auf kleinen Glastischen standen violette Duftkerzen und Nippesfiguren.

„Das ist wirklich sehr violett“, gab Cole zu.

„Wenigstens hat die Badewanne hier eine einigermaßen normale Größe.“

Amber krempelte die Ärmel hoch und drehte die Wasserhähne auf. „Die im Hauptbadezimmer ist so groß wie ein Swimmingpool.“

Cole grinste. „Ich schätze, wenn man genug Geld hat, kann man machen, was man will.“

Amber nahm ein paar flauschige Handtücher und einen Waschlappen aus dem Badezimmerschrank und legte sie neben eine pinke Porzellankatze. Trotz der Größe des Raumes war alles hoffnungslos unpraktisch. Der Badezimmerschrank war winzig, und es gab kaum freie Ablageflächen, weil alles mit Nippes vollgestellt war.

„Es war ziemlich aufschlussreich zu beobachten, was Coco getan hat, als sie plötzlich zu Geld kam.“

„Hat sie Sie bei der Einrichtung nie nach Ihrer Meinung gefragt?“ Cole schüttelte den Kopf.

„Bevor sie starb, habe ich diesen Raum nie betreten.“

Cole ließ sich auf den Rand der Badewanne nieder und begann, die Druckknöpfe an Zacharys Strampelanzug zu öffnen. „Sie finden nicht, dass Ihre Stiefschwester sonderlich gut mit ihrem Geld umgegangen ist?“

„Ich glaube, das Ganze hat sie überfordert. Sie ist in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Als sie Samuel kennenlernte, war sie gerade neunzehn.“

„Er muss fünfzig gewesen sein. Wenn nicht älter.“ Coles Stimme klang verächtlich.

„Sie war sehr hübsch. Umwerfend schön, um genau zu sein. Sie war lebenslustig und amüsierte sich gern. Coco hat Samuel angebetet. Ich wette, ein Psychologe hätte seine Freude an ihrer Beziehung gehabt.“

„Davon bin ich überzeugt“, stieß Cole zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Nachdem Amber die Wassertemperatur mit dem Handgelenk geprüft hatte, drehte sie die Hähne zu und warf ein paar bunte Plastikfische in die Wanne.

Behutsam setzte Cole das Baby in seinen Badering.

„Samuel hatte Angst, dass er niemals eigene Kinder haben würde. Coco war jemand, den er beschützen konnte.“

„Und Sex wird wohl auch eine Rolle gespielt haben“, sagte Cole grimmig.

„Immerhin hat er sie geheiratet“, wandte Amber ein. „Das muss man ihm hoch anrechnen.“

Zachary griff nach dem grünen Plastikfisch. Wasser spritzte über den Rand der Badewanne und auf Ambers Pullover.

„Fairerweise muss man sagen, dass er Zachary ehrlich geliebt hat. Ich glaube, er hätte gern noch mehr Kinder mit Coco gehabt.“

Gedankenversunken betrachtete Cole den kleinen Jungen.

„Mochten Sie Samuel?“, fragte er schließlich.

„Nicht wirklich. Ich meine, wir kannten uns kaum. Aber es ist schwer, einen Fünfzigjährigen zu mögen, der eine Neunzehnjährige heiratet. Besonders eine, die …“ Amber suchte nach den richtigen Worten. Sie wollte nicht schlecht über Coco sprechen.

Vorsichtig tauchte sie den Waschlappen ins Badewasser und gab ein wenig Rosenseife dazu.

„Wie kommt es, dass Sie und Coco Stiefschwestern waren?“ Neugierig sah Cole sie an.

Amber begann, Zacharys Rücken zu waschen. Das verschaffte ihr ein wenig Zeit. „Meine Mutter starb, als ich noch ein Baby war. Sieben Jahre später hat mein Vater dann wieder geheiratet. Kurz darauf kam er bei einem Autounfall ums Leben. Dann gab es nur noch Tara und mich.“

„Tut mir leid.“

„Danke.“ Der Verlust ihres Vaters hatte Amber schwer getroffen. Und Tara schien mit der Sorge für das kleine Mädchen überfordert. Amber hatte schnell erwachsen werden müssen.

„Kurz nach dem Tod meines Vaters“, fuhr sie fort, „hat Tara wieder geheiratet. Und bald war sie schwanger mit Coco.“

„Hatten Sie eine gute Beziehung zu Tara?“

Jauchzend spritzte Zachary mit dem Badewasser, während Amber ihn wusch.

„Wir haben uns nicht gestritten oder so. Als Kellnerin musste sie oft bis spät in die Nacht arbeiten. Ich wurde nach der Schule betreut. Sie hat dafür gesorgt, dass ich zu essen und ein Dach über dem Kopf hatte. Ich war ziemlich brav und ging ihr aus dem Weg.“

„Das klingt nach einer ziemlich einsamen Kindheit.“

Amber zuckte die Achseln. „Es war schon okay. Ich kannte es ja nicht anders. Bis Coco kam.“ Sie befeuchtete Zacharys Härchen und massierte ein wenig Babyshampoo hinein.

„Da habe ich erlebt, wie eine Eltern-Kind-Beziehung auch aussehen kann.“

„Lassen Sie mich raten: Coco war die verwöhnte Prinzessin.“

„Sie war ihr leibliches Kind. Ich war zehn und gehörte zu niemandem.“

„Das tut mir leid, Amber.“

Behutsam hob sie Zachary aus dem Badering. „Das alles ist lange her. Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das erzähle.“

„Weil ich gefragt habe.“

Sie legte sich Zachary über den Arm, um sein Haar auszuspülen. Er strampelte zwar, doch er weinte nicht.

„Ich habe meinen Vater nie kennengelernt“, hörte Cole sich selbst sagen.

„Haben Ihre Eltern sich scheiden lassen?“

„Ja. Noch vor meiner Geburt.“

„Hatten Sie denn gar keinen Kontakt zu Ihrem Vater?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Meine Mutter wollte nichts mit ihm zu tun haben und ich auch nicht.“

„Empfinden Sie das immer noch so?“

„Ja. Außerdem lässt es sich jetzt ohnehin nicht mehr ändern.“

Amber erriet, was Cole sagen wollte. „Weil er tot ist.“

„Ja.“

„Bereuen Sie es nicht?“

„Nein. Meine Mutter war wunderbar. Sie hat hart gearbeitet, sich liebevoll um mich gekümmert und mich in jeder Hinsicht unterstützt.“

„Das klingt schön.“ Amber hob Zachary aus der Badewanne und wickelte ihn in ein flauschiges blassviolettes Handtuch.

Erst jauchzte er vergnügt, doch dann sah er Cole und begann zu zappeln. Wimmernd streckte er die Ärmchen nach ihm aus.

„Das ist ziemlich verletzend“, sagte sie.

„Sie gehen toll mit ihm um.“

„Da bin ich mir nicht so sicher.“ Es war ihr Ernst. „Aber immerhin bin ich alles, was er noch hat. Und ich liebe ihn.“

Cole erhob sich vom Rand der Badewanne und nahm Zachary auf den Arm.

„Manchmal“, sagte er leise, „entstehen Familien ganz zufällig.“ Er legte ihr die Hand auf den Arm.

Seine Hand fühlte sich warm an und kräftig, sie konnte die Schwielen auf seiner Handfläche spüren.

Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Sie rührten sich nicht, sondern sahen sich einfach nur an. Coles Augen waren voller Gefühl. Mit seinen breiten Schultern und muskulösen Armen strahlte er eine unglaubliche Kraft aus.

Auf einmal überfiel sie die überwältigende Sehnsucht, sich in seine Arme zu stürzen.

„Amber.“ Er strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht.

Dann beugte er sich langsam vor und küsste sie.

Coles volle Lippen fühlten sich weich an und schmeckten nach Wein. Dampfschwaden stiegen um sie herum empor.

Schnell wurde der Kuss leidenschaftlicher.

Autor

Barbara Dunlop
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