Baccara Extra Band 16

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NUR ZWEI WOCHEN - ODER FÜR IMMER? von MARSH, NICOLA
Heiß wie die Sonne an Sydneys blauem Himmel brennt auch die Lust auf Bogart in Tahnee. Sie kann der Versuchung nicht widerstehen und nimmt sein Angebot an: zwei Wochen Leidenschaft - ganz ohne Verpflichtungen. Doch Tahnee hofft, dass Bogart für immer bei ihr bleibt...

SÜßE MOMENTE DER LUST von TEMPLETON, KAREN
Taylor weiß: Joe wird nicht lange in ihrer Heimatstadt bleiben. Doch diese Zeit will sie nutzen! Sie hat sich rettungslos in den dynamischen Bauleiter verliebt und zeigt ihm, wie sehr sie ihn begehrt. Versuchung pur - wie lange kann Joe ihr widerstehen?

HEIßE HOCHZEIT IN LAS VEGAS von GARBERA, KATHERINE
Er hat ein Kind - Jacob Danforth ist schockiert! Wie konnte Larissa ihm die Folgen ihrer einzigen Liebesnacht vorenthalten? Spontan schlägt er ihr eine Scheinehe vor. Regel Nummer eins: kein Sex! Nicht leicht, wenn man in Las Vegas heiratet und die Braut so sinnlich ist …

MEIN VERFÜHRERISCHER RETTER von STEPHENS, SUSAN
Wer ist der sexy Fremde? Plötzlich taucht der geheimnisvolle Galem auf, als Caz eine Autopanne hat. Ungeahnt sinnlich ist das Prickeln, das er in ihr auslöst. Und nach einem heißen Kuss sehnt sie sich sofort nach mehr. Auch wenn sie ahnt: Ihr Retter verschweigt ihr etwas …


  • Erscheinungstag 05.06.2018
  • Bandnummer 0016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725174
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicola Marsh, Karen Templeton, Katherine Garbera, Susan Stephens

BACCARA EXTRA BAND 16

1. KAPITEL

Billy, der Biber, trippelte hinaus in den Sonnenschein und blinzelte. Dies war kein guter Tag für ihn. Seine Freundin Mandy, die Maulwurfdame, hatte geheiratet und ihn ganz plötzlich verlassen. Nein, so konnte es nicht weitergehen. Er musste ganz schnell eine neue Freundin finden, die ihm half, den ganzen Tag zu graben und zu wühlen.

(Bo Bradfords Blog, Sonntag)

„Ach, ist das süß!“

Tahnee Lewis sah vom Computerbildschirm auf und richtete den Blick auf Nina, ihre beste Freundin. „Du findest das also süß? Dann warte nur, bis du die Zeichnungen siehst, mit denen ich den geheimnisvollen Bo Bradford beeindrucken werde.“

Nina lächelte und setzte sich auf den Stuhl neben sie. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass du diesen Mann beeindrucken und weltberühmt werden wirst. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er mit Billys Geschichte in Wirklichkeit seine eigene beschreibt. Ich meine, sie ist zwar niedlich, aber irgendwie doch auch traurig.“

Tahnee zuckte die Schultern. Sie wandte den Blick wieder auf den Bildschirm mit den bunten Illustrationen und komischen Tierfiguren. Meine Illustrationen wären natürlich um einiges besser, dachte sie in einem Anflug von Unbescheidenheit. „Ich weiß überhaupt nichts von diesem Mann“, sagte sie. „Im Internet konnte ich nicht viel über ihn finden. Sein Blog ist noch das Brauchbarste. Die Website enthält nur eine Liste seiner Veröffentlichungen. Da ist noch nicht einmal eine Biografie von ihm drin.“

„Aber die meisten Autoren haben doch eine Biografie auf ihrer Website.“

„Genau. Ich finde es sehr mysteriös, dass Bo Bradford keine hat.“

Seit Beginn ihrer Karriere als Buchillustratorin würde Tahnee ihre beste Zeichenkohle dafür geben, mit einem Mann wie Bo Bradford zu arbeiten. Er war Australiens bekanntester Kinderbuchautor. Jedes seiner Bücher war ein Bestseller. Obwohl Tahnees Arbeit mittlerweile auch sehr anerkannt war, würde eine Zusammenarbeit mit ihm ihre Existenz sichern.

„Also, du willst wirklich zwei Wochen mit diesem Mann verbringen? Auch wenn du gar nichts über ihn weißt?“, fragte Nina mit kritischem Stirnrunzeln. Es war dasselbe Stirnrunzeln, mit dem sie ihre Tochter Marian und ihren Sohn Callum ansah, wenn einer von beiden Dummheiten anstellte.

„Entspann dich. Mein Verleger hat mich mit Bo Bradfords Agenten bekannt gemacht. Der hat das Ganze organisiert. Ich werde in einem Gästeapartment in Bos Haus untergebracht. Bei dieser Sache können wir beide nur gewinnen. Er sucht eine neue Illustratorin, ich suche einen neuen Job. Wenn alles gut läuft, engagiert er mich auf Dauer.“

Tahnee setzte große Hoffnungen auf diese Zusammenarbeit. Sie war so nahe daran, ihren Traum zu verwirklichen, dass nicht einmal die geschäftlichen Schwierigkeiten ihres Verlegers sie davon abbringen konnten.

Ninas Stirn blieb beharrlich gerunzelt. „Ja, aber ihr werdet immerhin zusammen wohnen. Mr. Bradford könnte ebenso ein gemeingefährlicher Irrer sein.“

Dieser Gedanke war Tahnee auch schon gekommen. Die Welt der Literatur war jedoch klein, und sie hatte diskrete Erkundigungen über den rätselhaften Bo Bradford eingezogen. Zu ihrer Erleichterung war nichts Nachteiliges über ihn bekannt.

„Er schreibt Kinderbücher. Hast du je davon gehört, dass Billy, der Biber, sexuelle Perversionen auslebt?“

Nina blickte unwillkürlich auf den Bildschirm. Ihr Stirnrunzeln verschwand. „Das ist ein Argument. Wahrscheinlich kann jemand, der sich den ganzen Tag Geschichten über den putzigen Billy ausdenkt, kein schlechter Mensch sein.“

„Genau. Also, hilfst du mir jetzt beim Packen?“

„Was willst du denn bloß alles mitnehmen? Ein paar von deinen alten Jeans, deine abgewetzte Jeansjacke und einen Stapel T-Shirts?“

Tahnee stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und sah an ihren Lieblingsjeans herab. „Kritisierst du etwa gerade meine Garderobe?“

Nina grinste. „Das versuche ich seit unserer Schulzeit.“

„Oh ja, ich weiß. Weil deiner Meinung nach die meisten Männer nicht auf Jeans stehen. Da habe ich aber Neuigkeiten für dich. Die Männer, mit denen ich mich verabrede, mögen Jeans.“

„Ach ja? Und wann genau war dein letztes Date?“

Tahnee senkte den Blick. Ihre kluge, glücklich verheiratete Freundin hatte einen wunden Punkt getroffen. Es war eine Weile her. Um genau zu sein, zehn Monate. Nicht dass sie so genau mitzählte …

„Du kennst den Mann doch gar nicht. Es kann also nicht schaden, ein paar hübsche Sachen einzupacken, oder?“ Ninas Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an, den sie sonst nur hatte, wenn sie über ihren Ehemann sprach. In Karl, einen Automechaniker aus dem Ort, hatte sie sich auf den ersten Blick verliebt. „Ich meine, wer weiß? Vielleicht erwartet er, dass du dich zum Abendessen umziehst.“

Tahnee lachte und schüttelte den Kopf. „In welchem Jahrhundert lebst du? Seit du verheiratet bist, benimmst du dich manchmal merkwürdig.“

Nina lächelte vielsagend. „Es ist doch nicht verkehrt, wenn ich meine Freundin glücklich sehen will.“

„Ach, so ist das. Na warte, ich erzähle allen ledigen Männern in Stockton, dass du mich verkuppeln willst.“

„Du musst wohl immer das letzte Wort haben.“

„Allerdings. Aber jetzt muss ich meine alten Jeans zusammenlegen. Kann ich auf deine Hilfe zählen?“

Nina warf ein Kissen nach ihr, und Tahnee duckte sich. Nina würde ihr fehlen, das war ihr klar. Auch wenn es nur für zwei Wochen war.

Vor sechs Jahren hatte Tahnee ihre Schwestern Carissa und Kristen nach langer Suche wiedergefunden. Die Geschwister waren nach dem Tod der Eltern als Kinder getrennt worden. Ihre richtige Familie kennenzulernen war für Tahnee ein einschneidendes Erlebnis gewesen. Aber die langjährige Freundschaft mit Nina war durch nichts aufzuwiegen.

Die ersten Jahre in Stockton und in der Pflegefamilie waren dank der engen Bindung zu Nina viel leichter gewesen. Seit der Grundschulzeit waren sie unzertrennlich, jedenfalls bis Karl auftauchte und ihre beste Freundin in die Rolle der liebenden Ehefrau schlüpfte. Aber auch nach Ninas Hochzeit hatte Tahnee viel Zeit mit ihr und später auch mit ihren wundervollen Kindern verbracht.

Familie und Freunde waren Tahnee wichtig, genauso wie finanzielle Sicherheit. Wenn sie also zwei Wochen mit einem exzentrischen Fremden verbringen musste, um ihre Karriere voranzutreiben, dann würde sie das tun.

Sie wusste, sie konnte es schaffen.

Zwei Wochen in Sydney bedeuteten eine willkommene Abwechslung. Sie würde alles daransetzen, um den verschlossenen Mr. Bradford für sich zu gewinnen. Falls er sich doch als Psychopath herausstellen sollte, würde sie ihn eben mit ihrem spitzesten Bleistift erstechen.

Bo Bradford stand mit technischen Geräten auf Kriegsfuß. Widerwillig verschwendete er jeden Tag kostbare Stunden damit, zu Werbezwecken sein Blog zu aktualisieren.

Er hasste Telefone und Faxgeräte, die seine Konzentration störten und Denkprozesse unterbrachen. Ganz besonders lästig war ihm in diesem Moment die verdammte Gegensprechanlage, die mit einem Signalton die Ankunft der neuen Illustratorin verkündete.

Er stand von seinem Schreibtisch auf und ging zu der teuren Anlage, die er vor fünf Jahren hatte installieren lassen. Dieser Schritt war notwendig gewesen, um seine Privatsphäre zu schützen.

Er drückte auf die Sprechtaste. „Ja?“

„Hier ist Tahnee Lewis und meldet sich zum Dienst.“

Bo zuckte zurück, als ob die Frau ihren Finger durch die Sprechanlage gesteckt und ihn ins Auge gestochen hätte.

Sie hatte also Sinn für Humor? Na großartig.

Eine Ulknudel war nun wirklich nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Er brauchte eine fähige Illustratorin. Obwohl Tahnee Lewis ihm sehr empfohlen worden war, hielt er sich fest an sein Motto, nur zu glauben, was er sah. Ihre früheren Arbeiten zählten nicht. Man würde sehen, welche Leistungen sie in Bezug auf seine Bücher erbrachte.

Wieder drückte er die Sprechtaste. „Fahren Sie durch. Ich erwarte Sie am Hintereingang.“

„Am Hintereingang? Ach so.“

Ein statisches Knistern erinnerte ihn daran, dass er wie erstarrt dastand. Etwas in der Stimme der Frau hatte seine Aufmerksamkeit erregt.

Sie hörte sich jung an. Viel zu jung. Er wollte eine gestandene Fachkraft und niemanden, der noch grün hinter den Ohren war. Moira war nicht leicht zu ersetzen.

Außerdem lag in ihrem Ton etwas Herausforderndes, das er gar nicht mochte. Sie hatte sich angehört, als hätte er sie gebeten, den Dienstboteneingang zu benutzen. Nicht dass er Dienstboten hätte. Er selbst ging immer durch die Hintertür, weil sie in die Küche und ins Wohnzimmer führte. Diese beiden Räume waren die gemütlichsten im ganzen Haus.

Ich sollte kein vorschnelles Urteil fällen, dachte er. Aber seitdem Moira ihn so plötzlich im Stich gelassen hatte, war er in ziemlich schlechter Stimmung. Die stille, unscheinbare Frau hatte ihn zwar vorgewarnt, dass sie ginge, sobald sie einen Ehering am Finger tragen würde. Aber sie blickte immerhin auch auf die längste Verlobungszeit der Geschichte zurück.

Trotz allem musste er einen Abgabetermin einhalten. Er hatte große Hoffnungen in Tahnee Lewis gesetzt. Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllte.

Von der Hintertür her ertönte ein rhythmisches Klopfen. Schnell speicherte er das Word-Dokument, das er gerade bearbeitete, und ging in die Küche.

Er hatte sich schon immer auf seinen ersten Eindruck verlassen können. Als er die Tür öffnete, wusste er sofort, dass er in Schwierigkeiten war.

„Bo Bradford? Ich bin Tahnee Lewis. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Mechanisch schüttelte er der großen, attraktiven Blondine auf seiner Türschwelle die Hand.

Er hatte eine Frau in geschäftsmäßiger Garderobe mit verbindlichem Lächeln erwartet. Nun sah er sich einer in Jeans gekleideten Frau gegenüber, die an eine Studentin erinnerte. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, und in ihren tiefblauen Augen stand ein herausfordernder Ausdruck.

Diese Frau sah überhaupt nicht danach aus, als würde sie bescheiden auf die Anweisungen eines verdrießlichen Schriftstellers warten und klaglos seine kreativen Launen ertragen.

Ihr bezauberndes Gesicht und ihre atemberaubende Figur konnten nur eines bedeuten: Ärger.

„Ich störe Sie doch wohl hoffentlich nicht?“

Bo verfluchte im Stillen seine Unbeholfenheit, ließ hastig ihre Hand los und trat beiseite. „Nein, kommen Sie herein. Ich habe gerade gearbeitet. Da bin ich oft etwas zerstreut.“

„Ich weiß genau, was Sie meinen. Mir geht es auch so. Neulich habe ich mich derartig auf einen Sketch konzentriert, dass ich nicht merkte, wie meine Küche sich langsam mit Qualm füllte, weil ein Stück Brot im Toaster stecken geblieben war.“

Sie lächelte, und sein Herzschlag setzte für einen Moment aus.

Mit ihrem Lächeln hätte sie Werbung für Zahnpasta machen können. Ihr Lächeln, die schimmernden blauen Augen, der sinnliche Schmollmund und das von langem blondem Haar umrahmte herzförmige Gesicht ergaben eine verhängnisvolle Kombination.

„Haben Sie noch mehr Gepäck?“ Er deutete auf ihren kleinen Trolley und einen Rucksack. Vermutlich hatte sie noch eine Ladung Koffer und Taschen im Auto. Die Frauen aus seiner Vergangenheit waren nie ohne mindestens fünf Koffer verreist. Das war einer der Gründe, warum er lieber allein lebte und reiste.

„Nein, das ist alles.“

Er versuchte, sein Erstaunen zu verbergen. Offenbar gelang ihm das nicht, denn in ihren Mundwinkeln zeichnete sich erneut ein Lächeln ab.

Dieser Mund! Unwillkürlich schaute er auf ihre verführerischen, schön geschwungenen Lippen. Er schaffte es kaum, den Blick zu lösen.

„Bo?“

Er riss sich zusammen und sah ihr wieder in die Augen. Verwirrt fragte er sich, ob sein zurückgezogenes Singledasein nicht auch Nachteile hatte. Es war immerhin verwirrend, dass der Mund seiner neuen Illustratorin eine solche Wirkung auf ihn hatte.

Für Verabredungen hatte er keine Zeit. Frauen bedeuteten Ablenkung, und auf die konnte er gut verzichten. Seine Arbeit war für ihn das Wichtigste. Er hatte ein Buch fertigzustellen, und zwar termingerecht.

„Ja?“

„Für eine Tasse Kaffee würde ich alles tun“, sagte sie und warf einen bedeutungsvollen Blick zu der Espressomaschine auf der Arbeitsplatte hinter ihm. „Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Kein Problem. Wie mögen Sie ihn am liebsten?“

Für einen langen, spannungsgeladenen Moment trafen sich ihre Blicke. Die Luft schien mit sexueller Energie aufgeladen wie kurz vor einem Gewitter.

Abrupt wandte er sich ab und wünschte sich, sie würde ihn nicht so ansehen mit ihren großen bestürzend blauen Augen. Energisch nahm er zwei Becher aus dem Regal und stellte sie auf die Arbeitsplatte.

„Stark, heiß und süß“, sagte sie.

Während er noch ihren Blick auf sich spürte, machte er sich an der Espressomaschine zu schaffen. Er konnte nur hoffen, dass es kein Fehler war, ihr einen Kaffee anzubieten.

Seine Arbeitsmoral war sehr ausgeprägt. Er hatte wenig Verständnis für Inkompetenz und fehlende Disziplin. Obwohl Tahnee die besten Empfehlungen hatte, mochte er die Atmosphäre der Vertrautheit, die von ihr ausging, nicht besonders. Ihr amüsiertes Lächeln und der Ausdruck in ihren Augen gaben ihm das Gefühl, sie machte sich insgeheim lustig über den arbeitswütigen Schriftsteller, der nicht viel unter Leute kam.

„Wie viel Zucker?“

„Zwei Löffel, bitte. Keine Milch.“

Er hörte, wie sie mit Papier raschelte, und hoffte, dass nicht noch mehr Überraschungen auf ihn warteten. Die letzten Minuten reichten ihm in dieser Beziehung völlig.

Moira war die perfekte Mitarbeiterin gewesen. Sie war ruhig, geduldig und nicht zu eigenständig. Mit ihrem hellbraunen Haar, den regelmäßigen Gesichtszügen und ihren marineblauen Kostümen hatte sie so gar nichts Ablenkendes an sich gehabt. Jedenfalls war er nie in Versuchung gekommen, die Form ihres Mundes näher zu betrachten.

In Moiras Gegenwart konnte er sich hundertprozentig auf seine Arbeit konzentrieren. Sie beide hatten ein hervorragendes Team abgegeben. Nun kam ihm der schreckliche Verdacht, dass eine Zusammenarbeit mit dieser wunderschönen Blondine seine Gedanken in alle möglichen Richtungen lenken würde, nur nicht darauf, Kindergeschichten zu schreiben.

„Kann ich Sie in Versuchung führen?“

Bo zuckte zusammen, als Tahnee dicht neben ihm auftauchte und ihm eine geöffnete Papiertüte mit Croissants hinhielt. Das buttrige Aroma des Gebäcks vermischte sich mit dem Blumenduft, den er schon in dem Moment wahrgenommen hatte, als Tahnee den Raum betrat.

„Danke“, murmelte er, nahm ein Croissant und wandte sich wieder der Espressomaschine zu.

Das alles war lästig, kindisch und überhaupt nicht produktiv.

Er brauchte Tahnee Lewis, um sein Buch zu beenden. Das Lächeln in ihrem Gesicht störte ihn ebenso sehr, wie es ihn ablenkte.

Resigniert seufzend drehte er sich wieder um und blickte sie an. Sie lächelte verschmitzt, als wüsste sie genau, was in ihm vorging. Es kam ihm vor, als würde sie es genießen, ihn zu ärgern.

Diese Frau war eine Nervensäge.

Diese Frau war geradezu ein Fluch.

Aber er brauchte sie, um seinen Termin einhalten zu können. Also würde sie erst einmal bleiben.

Tahnee nippte an ihrem Kaffee und gab sich Mühe, ihren neuen Chef nicht allzu auffällig zu mustern.

Sie wurde das dumme Gefühl nicht los, dass die ganze Geschichte einen denkbar schlechten Anfang genommen hatte.

Der berühmte Bo Bradford hatte weder eine Biografie noch ein Foto auf seine Website gestellt. Kein Wunder, denn hätte er es getan, würde seine Site wohl so oft aufgerufen werden, dass ein Netzzusammenbruch drohte.

Sie beobachtete, wie er die Küche nach einer Platte für die Croissants absuchte. Es waren Mandelcroissants, Ninas erklärtes Lieblingsgebäck. Ihre Freundin hatte sie ihr bei der Abfahrt ins Auto gereicht. Unterwegs war Tahnee zu aufgeregt gewesen, um sie aufzuessen.

Das war ein Glück, denn es schien, als gäbe es hier einiges an Eis zu brechen. Bo war vermutlich der attraktivste Mann an Australiens Ostküste, aber er hatte noch kein einziges Mal gelächelt. Vielleicht hatten die Croissants ja eine aufheiternde Wirkung.

„Die riechen gut“, sagte er, stellte die Platte auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. „Michel’s“, bemerkte er mit Blick zur Aufschrift auf der leeren Croissanttüte. „Davon habe ich noch nie gehört.“

„Das ist eine kleine Bäckerei in Stockton, meinem Wohnort.“

Sie wohnte jedoch nicht nur in Stockton, es war ihre Heimat. Sie gehörte dorthin. Sie kannte fast jeden und mochte die gemütliche Atmosphäre. Dort fühlte sie sich sicher. Sicherheit gehörte zu den Dingen, die sie nicht missen wollte.

„Macht es Ihnen Probleme, für zwei Wochen hierzubleiben?“

Sie verbiss sich ein Lächeln. Dieser neugierige Mensch wollte doch nur wissen, ob es einen bestimmten Mann in Stockton gab, der sie vermissen würde.

Ein Chef hatte eigentlich das Recht, solche Dinge zu erfahren. Tahnee ertappte sich bei dem Wunsch, dass es bei seiner Frage um mehr als nur berufliches Interesse ging. Sie fand Bo Bradford wirklich ungemein attraktiv.

Allerdings waren Schwierigkeiten vorprogrammiert, falls ihr mürrischer Chef es auf eine Affäre mit ihr anlegen sollte, während sie um den wichtigsten Job ihrer Karriere kämpfte.

„Das ist schon in Ordnung. Ich habe eine ausgesprochen fürsorgliche beste Freundin, die mich eingehend über meinen Aufenthalt hier ausgefragt hat. Außerdem zwei Schwestern, die eine ist für ein paar Monate außer Landes, die andere lebt in Singapur. Davon abgesehen bin ich frei wie ein Vogel.“

Erschrocken legte Tahnee die Hand auf den Mund. Was ist nur in mich gefahren, so etwas zu sagen?, fragte sie sich bestürzt. Der Mann ihr gegenüber könnte das durchaus als Einladung auffassen. Sie musste dringend an ihrem Auftreten arbeiten. Andernfalls würde sie hier samt Skizzenblock und Zeichenkohle in hohem Bogen rausfliegen.

Er sah sie über den Rand seines Kaffeebechers hinweg an. Seine Augen waren blaugrün. „Gut. Wir können uns keine Ablenkungen leisten. Ich muss mein aktuelles Buch so schnell wie möglich fertigstellen.“

„Aha. Also haben Sie einen festen Abgabetermin?“

Sein Blick wurde kalt. Das passte zur Farbe seiner Augen, die Tahnee an die eines Gletschers aus einem Fotoband über Alaska erinnerte.

„Genau“, antwortete er in gereiztem Ton. „Wenn Sie Ihren Kaffee ausgetrunken haben, zeige ich Ihnen das Apartment.“

Jetzt habe ich offensichtlich schon wieder etwas falsch gemacht, dachte sie resigniert.

Dieser Mann war wirklich launisch. Sehr sexy, aber ausgesprochen launisch. Sie hasste es, sich ständig wie auf rohen Eiern bewegen zu müssen. Sie war ein aufrichtiger, geradliniger Mensch. Es war ihr zuwider, Spielchen zu spielen. Das erklärte vermutlich, warum sie noch immer Single war und es mit einem Mann nie weiter als bis zu ein paar Verabredungen brachte.

Diese Tatsache war eigentlich sehr traurig. Denn Tahnee hatte durchaus etwas übrig für die Vorstellung von einem Ehemann, zwei Kindern und einem Häuschen mit weißem Zaun um den Garten. Größere Sicherheit als die einer eigenen Familie konnte es wohl nicht geben.

Mit großen Schlucken trank sie ihren Kaffee aus, stand auf und ging zur Spüle, um ihren Becher abzuwaschen. „Ich bin bereit.“

Sie würde alles tun, um die seltsame Spannung zwischen ihnen abzubauen.

Die Atmosphäre war schon bei ihrer Ankunft eher ungemütlich gewesen. Und nun, da sie ihn nach seinem Buch gefragt hatte, schien er vollends eingeschnappt. Na toll, beglückwünschte sie sich, das hat mir gerade noch gefehlt. Ein launischer Schriftsteller, von dem meine berufliche Zukunft abhängt.

Als sie sich umdrehte, ertappte sie ihn dabei, wie er auf ihren Po schaute. Hastig hob er den Blick und sah sie verlegen an. Sie musste ein Kichern unterdrücken.

Ihr neuer Chef war wechselhafter als ein Apriltag. Erst ließ er sie eiskalt abblitzen, dann wiederum betrachtete er sie mit einem Ausdruck, der alles andere als kalt war. Sie musste zugeben, dass sein Interesse ihr eigentlich nicht unangenehm war. Immerhin hatte er alles, was sie an einem Mann mochte. Seine Schultern waren breit, die Hüften schmal. Die Beine in den ausgewaschenen Jeans waren lang und muskulös. Er war sehr groß, hatte schöne, ungewöhnliche Augen und ein gut geschnittenes Gesicht.

Das ist eine enorme Untertreibung, korrigierte sie sich. Seine hohen Wangenknochen, die gerade, gut proportionierte Nase und das markante Kinn gaben seinem Gesicht zusammen mit den Augen und den symmetrischen Zügen Modelqualitäten. Aber es half nichts, sie musste sich auf die Arbeit konzentrieren und nicht auf die äußeren Vorzüge ihres Chefs.

„Gehen wir. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit“, sagte er barsch.

Diesmal konnte Tahnee ein Lächeln nicht unterdrücken. Als Strafe für seinen bissigen Ton überließ sie es ihm, das Gepäck zu tragen. Während sie ihm folgte, riskierte sie ihrerseits einen Blick auf seinen Po. Sie war nicht überrascht, dass dieser Körperteil ganz hervorragend zur übrigen Figur des Mannes passte.

Möglicherweise, überlegte sie, finde ich hier in den nächsten zwei Wochen ganz unerwartete Inspirationen für meine Arbeit.

2. KAPITEL

Billy betrachtete seine neue Freundin, Kaz, die Kängurudame. Jemanden wie sie hatte er noch nie getroffen. Ihr Lächeln war freundlich, und ihr Schwanz war wirklich sehr lang. Aber er war sich noch nicht sicher, ob sie ihm tatsächlich beim Graben helfen würde. Es sah aus, als ob sie nur reden könnte. Und er wollte doch arbeiten.

(Bo Bradfords Blog, Sonntag)

„Oh, das ist ja wundervoll!“

Bo stellte Tahnees Taschen ab und blickte auf. Endlich schien mal was zu klappen.

Wenn ihr die Wohnung gefiel, verbrachte sie hoffentlich während ihres Aufenthalts möglichst viel Zeit hier. Er würde sie morgens mit Arbeit versorgen und damit allein lassen. Dann hätte er seine Ruhe.

Keine Ablenkung. Das war der Schlüssel zu seinem Erfolg.

„Ich kann es kaum abwarten, Ihr Arbeitszimmer zu sehen“, sagte Tahnee, ohne den Blick von dem Panoramafenster zu lösen. Es bot einen atemberaubenden Ausblick auf den Pool und den Hafen von Sydney. „Ich wette, es ist ein sehr inspirierender Raum.“

Bo unterdrückte ein Seufzen. Seine Chancen auf ungestörte Arbeit schwanden.

„Mir gefällt er. Möchten Sie einen Rundgang machen?“

„Sehr gern.“

Sie strahlte wie ein Kind, auf das eine aufregende Überraschung wartet. Er fragte sich, ob sie immer so überschwänglich war. Sie schien wirklich glücklich darüber, hier zu sein. Ihre anhaltende Fröhlichkeit ging ihm jetzt schon auf die Nerven.

Während der Arbeit brauchte er Einsamkeit, Ruhe und Frieden. Moira hatte das gewusst und sich seinen Bedürfnissen perfekt angepasst. Bei dieser Frau jedoch hatte er das grässliche Gefühl, sie würde ihn schon nach der ersten Stunde die Wände hochtreiben. Vor seinem geistigen Auge sah er sie bereits um seinen Schreibtisch herumhüpfen wie seine neueste Kreation Kaz, das Känguru.

Er schreckte auf, als sie die Hand auf seinen Arm legte.

„Hören Sie, es geht mich vermutlich nichts an, aber Sie scheinen nicht gerade froh über meine Anwesenheit hier zu sein. Falls Sie Ihre Meinung geändert haben, sollten wir unser Vorhaben überdenken. Es besteht die Möglichkeit, unsere Arbeit schriftlich zu erledigen. Ich meine, Sie könnten mir vielleicht Ihre Texte mailen, und ich faxe Ihnen meine Entwürfe zu.“

Stumm blickte er auf ihre Hand mit den kurzen, unlackierten Fingernägeln. Am Mittelfinger hatte sie durch das ständige Halten von Stiften eine kleine Schwiele. Es war die Hand eines schöpferischen Menschen, der künstlerischer Arbeit Verständnis entgegenbrachte. Plötzlich erschien ihm eine Zusammenarbeit durchaus vorstellbar. Wenn er nur endlich seine schlechte Laune, die ihn seit ihrem Eintreffen quälte, hinter sich lassen könnte.

Es war nur verständlich, dass das Auftauchen einer quirligen, lebhaften Person wie Tahnee ihm in seiner Abgeschiedenheit erst einmal auf die Nerven fiel.

Er zwang sich zu einem Lächeln, das ihre Bedenken zerstreuen sollte. „Ich brauche Sie hier. Ich möchte ein Gefühl für Ihre Arbeit bekommen. Mit E-Mails und Faxen kann ich das nicht erreichen. Wissen Sie, Moira zu verlieren hat mich wirklich hart getroffen. Es ist schwer, sie zu ersetzen.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Moira war brillant. Ihre Zeichnungen von Billy sind hinreißend. Ich hoffe nur, dass ich ihr das Wasser reichen kann.“

„Sie haben es nicht nötig, jemandem das Wasser zu reichen. Ich habe Ihre bisherigen Arbeiten gesehen. Sie sprechen für sich selbst. Deshalb sind Sie hier. Wie wäre es nun mit dem Rundgang?“

„Ja, natürlich“, sagte sie rasch.

Bo bemerkte eine gewisse Unsicherheit in ihren Augen. Ihre Mundwinkel waren nachdenklich nach unten gezogen. Tahnee Lewis war nicht so selbstsicher, wie sie sich gab.

Gut, dachte er. Damit sind wir schon zu zweit.

Tahnee hatte das Gefühl, eine andere Welt zu betreten, als sie Bo durch die am Hafen gelegene Villa folgte. Sie musste den Blick förmlich von den geschmackvollen Möbeln, den großen Fenstern mit der unglaublichen Aussicht und vor allem von ihrem Begleiter losreißen.

Das war alles viel zu schön, um wahr zu sein.

„Es ist fantastisch hier. Kein Wunder, dass Sie an einem Ort wie diesem so kreativ sein können.“

„Ich muss zugeben, dass mir das Haus auch sehr gut gefällt.“ Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft lag Wärme in seiner Stimme.

„Wie lange leben Sie schon hier?“

„Seit fünf Jahren“, antwortete er kurz angebunden.

„Oh, dann haben Sie das Haus vor Ihrem ersten Bestseller gekauft.“

Er hatte es vor vier Jahren zum ersten Mal auf die Bestsellerliste geschafft. Das hieß, er musste einen äußerst großzügigen Vorschuss bekommen haben. Oder er hatte ganz einfach reiche Verwandte.

Abrupt drehte er sich um. Sie bremste scharf ab, um nicht in ihn hineinzulaufen. Dabei war ihr die Vorstellung von direktem Körperkontakt zu ihm ganz und gar nicht unangenehm. Ob seine Muskeln sich wohl so gut anfühlten, wie sie aussahen?

„Sind Sie immer so neugierig?“

„Sind Sie immer so zugeknöpft?“

Er blickte ihr in die Augen. Er war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Sie fühlte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Sie musste nur die Hand ausstrecken …

„Soll ich Ihnen jetzt mein Arbeitszimmer zeigen?“

„Haben Sie dort Ihre Briefmarkensammlung?“

Für einen Moment dachte sie, dass sie nun endgültig zu weit gegangen war. Denn er sah ziemlich schockiert aus. Die Redewendung, dass ein Mann einer Frau seine Briefmarkensammlung zeigen wollte und dabei eigentlich die Absicht verfolgte, sie in sein Bett zu zerren, war offenkundig bei ihm angekommen. Doch bis auf die Tatsache, dass er sich ihren Po angeschaut hatte, benahm er sich eher so, als wäre sie ein unwillkommener Gast. Jedenfalls ganz und gar nicht so, als könnte er vor Verlangen nach ihr kaum an sich halten.

Gerade als sie zerknirscht zu einer Entschuldigung ansetzen wollte, begann er zu lachen. Es war ein tiefes, ein wenig heiseres Lachen, das ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

„Sie sind völlig anders, als ich erwartet habe“, sagte er. Sein Lächeln war atemberaubend. Urplötzlich war er nicht nur attraktiv, sondern ein wunderschöner, hinreißender Mann.

„Danke gleichfalls“, erwiderte sie.

Das meinte sie völlig ernst. Sie hatte einen bärtigen, wunderlichen Einsiedler erwartet. Stattdessen sah sie sich einem unerhört schönen, muskulösen Bild von einem Mann gegenüber.

Tahnee konnte der Versuchung kaum widerstehen, ihre Zeichenkohle zu holen und Bos Züge auf Papier zu bannen.

„Sehen Sie, ich komme nicht viel unter Leute. Vermutlich habe ich mich hier einfach zu lange in meine Arbeit vergraben. Es tut mir leid, wenn ich unfreundlich zu Ihnen war.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich bin ein Mädchen vom Lande und hart im Nehmen. Meine Freundin Nina sagt immer, ich wäre viel zu direkt. Aber ich halte nun mal nicht viel davon, um den heißen Brei herumzureden.“

„Ich auch nicht.“

Sie konnte den Blick nicht von seinem immer noch lächelnden Gesicht abwenden. Er wirkte um fünf Jahre jünger als vorher. Für einen langen, spannungsgeladenen Moment sahen sie einander in die Augen.

Er durchbrach den Zauber, indem er schwungvoll die Tür aufstieß, vor der sie standen. „Und das hier ist also Billys Reich.“

„Du meine Güte!“, rief sie, während sie ihm in den hellen, hohen Raum folgte. Er war so groß wie ihre gesamte Wohnung. Und das nennt Bo ein Arbeitszimmer, dachte sie bei sich.

Sonnenlicht flutete durch die riesigen Fenster, die auch hier einen atemberaubenden Blick auf den Hafen boten. Tahnee drehte sich langsam um und betrachtete die vielen Bücher in den Regalen, die antiken Möbel und die hellen Teppiche. Von einem geöffneten Fenster her wehte eine sanfte Meeresbrise in das Zimmer. Schließlich fiel ihr Blick wieder auf den Mann, der sie hierher geführt hatte. Er passte in diesen Raum und schien hier mehr zu Hause zu sein als irgendwo sonst in der Villa.

„Wenn ich so ein Arbeitszimmer hätte, würde ich es überhaupt nicht mehr verlassen.“ Sie ging zu dem großen Schreibtisch an einem der Fenster. Als sie die kleinen Kunststoffmodelle seiner Tierfiguren auf dem Tisch erblickte, musste sie unwillkürlich lächeln.

„Die meiste Zeit verbringe ich auch hier.“ Er trat neben sie. Sein Duft und seine Körperwärme hatten eine verheerende Wirkung auf sie.

Ich brauche ganz dringend ein Date, dachte sie. Sonst falle ich noch über meinen Chef her. Wenn ich mich doch nur an den Namen dieses Kerls aus Sydney erinnern könnte, mit dem ich neulich ausgegangen bin.

„Ich nehme an, Sie kennen die kleinen Lümmel hier?“, fragte er und deutete auf die Tierfiguren.

Tahnee ergriff Billy, den rundlichen kleinen Biber, mit dem Bos Karriere begonnen hatte. „Natürlich. Aber es wäre mir ein Vergnügen, wenn Sie mir die ganze Gesellschaft noch einmal vorstellen würden.“

„Meinen absoluten Favoriten halten Sie in der Hand. Dann ist da noch Sue, das Schnabeltierweibchen. Und hier haben wir Kevin, den Koala.“

Sie lachte, als er die beiden niedlichen Figuren auf dem Tisch auf sie zuspazieren ließ. „Der stachelige Geselle dort ist bestimmt Andy.“

„Andy, der Ameisenigel, stets zu Ihren Diensten.“ Bo stellte Andy zu den anderen Figuren am Rand des Tisches.

Sie nahm Andy in die Hand, bewegte ihn auf Sue zu und drückte Andys Schnauze zu einem Kuss auf die des Schnabeltierweibchens.

„Aber, aber! Davon steht nichts in meinen Büchern.“

„Schade.“ Sie stellte Andy und Sue an ihren ursprünglichen Platz zurück und drehte sie mit dem Rücken zueinander. „Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben. Jetzt haben die beiden einen Streit unter Liebenden.“

Er hob die Augenbrauen. „Vielleicht sollten Sie die Geschichten schreiben. Es scheint, als hätten Sie eine ausgeprägte Fantasie.“

Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Wenn er wüsste, wie ausgeprägt ihre Fantasie tatsächlich war! Gerade hatte sie sich vorgestellt, dass sie und Bo das Gleiche täten wie kurz zuvor Sue und Andy. Nur dass der Kuss in ihrer Fantasie nicht unterbrochen worden war.

Wenn es jemals zu einem Kuss zwischen ihr und Bo käme, würde sie ihn ganz bestimmt nicht unterbrechen. Sie würde es auch nicht beim Küssen belassen. Sie war nicht leichtfertig und oberflächlich, sie war nur sehr neugierig. Denn die wenigen sexuellen Begegnungen, die sie bisher gehabt hatte, waren ziemlich leidenschaftslos, um nicht zu sagen langweilig gewesen. In Büchern las man über berauschende Höhepunkte, endloses Vorspiel und die geduldige Erforschung erogener Zonen. Nichts davon hatte Tahnee je erfahren. Solche Dinge spielten sich nur in ihren Träumen ab.

Es war also kein Wunder, dass vor allem ihre sexuellen Fantasien sehr ausgeprägt waren. Romantik war etwas für Menschen, die an Magie glaubten. Menschen wie Nina, die seit ihrer frühen Jugend jeden Liebesroman verschlang, den sie in die Finger bekam. Aber Tahnee hatte mit Romantik nichts im Sinn. Sie sehnte sich nach einer leidenschaftlichen Affäre, die ihr den Atem nahm und ihre Sinne verwirrte. Und das möglichst sofort.

Hör auf damit, rief sie sich zur Ordnung. Dieser Mann ist dein Chef und außerdem unberechenbar. Es ist wirklich keine gute Idee, mit ihm in die Kissen zu sinken. Ganz abgesehen davon, dass er vermutlich keine weiteren Absichten hat, als dir Arbeitsanweisungen zu erteilen.

„Eine ausgeprägte Fantasie ist Voraussetzung für Kreativität“, sagte sie und lehnte sich an die Tischkante. „Das wissen Sie doch am besten.“

„Das ist wahr. Da wir gerade davon sprechen, ich hoffe sehr, Sie können Ihre Fantasie auf Abruf in Gang setzen. So schnell wie möglich.“

„Das hoffe ich auch.“

„Ich habe zwei neue Figuren entworfen. Sie müssen in das laufende Buch eingearbeitet werden. Abgabetermin ist in zwei Wochen. Können Sie das schaffen?“

„Leicht“, antwortete sie, obwohl sie wusste, dass es nicht leicht werden würde. Dazu hatte sie in seiner Nähe zu viele ablenkende und verwirrende Gedanken. „Wie arbeiten Sie am liebsten?“

In einer perfekten Welt hätte seine Antwort zwei Liegen am Pool und kühle Drinks eingeschlossen. Oder auch das breite Bett in seinem Schlafzimmer, auf das sie vorhin beim Rundgang einen kurzen Blick erhascht hatte.

„Wie wäre es, wenn ich Ihnen das Szenenlayout als Ausgangspunkt geben würde?“

„Gut. Ich bin es gewohnt, so zu arbeiten.“

„Bezüglich der neuen Figuren werde ich noch einige Kommentare und Anmerkungen dazu schreiben. Damit Sie eine Idee davon bekommen, was ich will.“

„Kein Problem.“

Das war nicht die Wahrheit. Natürlich gab es ein Problem. Wie sollte sie konzentriert arbeiten, wenn sie mit ihm im selben Raum war?

In der Vergangenheit hatte sie solche Sorgen nicht gehabt. Sie hatte immer zu Hause gearbeitet und dabei die Freiheit genossen, ihr eigener Chef zu sein. Wenn sie wollte, konnte sie ihrer Tätigkeit sogar im Schlafanzug nachgehen. Hier schien das undenkbar.

„Sie können in diesem Zimmer arbeiten, wenn Sie möchten.“

„Dann bin ich Ihnen doch im Weg. Ich kann überall zeichnen, wenn ich genug Licht habe.“

„Das geht schon in Ordnung. Arbeiten Sie hier.“ Er klang alles andere als begeistert. „Auf die Art bekommen wir beide ein Gefühl für die Arbeitsweise des anderen.“

„Gut. Wann fangen wir an?“

Er schaute auf seine Uhr, ein silbernes Designerstück, das vermutlich mehr gekostet hatte als Tahnees Jahresmiete. „Nach dem Mittagessen?“

„Das klingt gut.“ Abwartend sah sie ihn an. Sie war sich nicht sicher, ob er ein gemeinsames Essen im Sinn hatte.

„Sie sind natürlich herzlich eingeladen.“

Seinem Tonfall nach zu urteilen, war sie ihm ebenso willkommen wie eine Giftschlange beim Picknick.

„Vielen Dank. Aber ich möchte erst einmal auspacken. Ich werde später eine Kleinigkeit essen.“

Er nickte und wandte sich ohne weitere Worte seinem Schreibtisch zu.

Tahnee zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg in ihr Apartment.

Vielleicht war es doch nicht so schwierig, mit diesem Mann zusammenzuarbeiten. Wenn sie sich mehr auf seine Launen als auf sein gutes Aussehen konzentrierte, würde ihr die Arbeit leichter von der Hand gehen.

3. KAPITEL

Billy kratzte sich am Bauch, setzte sich hin und beobachtete, wie Kaz mit ihrem langen Schwanz hin und her wedelte. Er war sich ziemlich sicher, dass sie das mit Absicht tat. Nur, um ihn abzulenken. Und es funktionierte. Mit einem ärgerlichen Brummen drehte er sich um und fing an zu graben. Aber er kam gar nicht gut voran.

(Bo Bradfords Blog, Montagabend)

„Darf ich Ihnen meine neuesten Freunde vorstellen? Hier haben wir Kaz, die Kängurudame, und Kenny, den Kookaburra.“

Bo öffnete die oberste Schreibtischschublade und nahm zwei kleine Tierfiguren heraus. Lächelnd betrachtete Tahnee das entzückende Känguru und den hübschen Vogel, dessen Ruf in der Natur wie Gelächter klang. Niedlichere Tiernachbildungen hatte sie noch nie gesehen.

„Die beiden sind wirklich bezaubernd!“

„Das werden sie sein, wenn Sie sie richtig zeichnen“, sagte er und legte ihr die Figuren in die ausgestreckte Hand. „Kaz ist Billys neue Freundin. Ich habe so das Gefühl, als ob sie auf dem besten Wege ist, Billys großer Schwarm zu werden. Kenny ist der Spaßvogel der ganzen Bande. Er stiftet die anderen zu allem möglichen Unsinn an, und dann lacht er sie aus.“

„Ich finde sie hinreißend“, sagte Tahnee und fragte sich, wie ein so ernsthafter Mann eine derart lebendige Vorstellungskraft haben konnte. „Die Kinder werden die neuen Figuren lieben.“

„Nur darauf kommt es an.“ Er überreichte ihr mehrere Pappdeckel, auf die er Papier geklebt hatte. „Hier sind die ersten drei Szenen, die illustriert werden müssen. In der ersten Szene lernt Billy Kaz kennen und mustert sie misstrauisch, weil sie frech ist und vor Selbstvertrauen strotzt. In der zweiten gibt Kaz mächtig an, Billy versucht, Langeweile vorzutäuschen, und Kenny lacht sich währenddessen kaputt. In der dritten Szene wirft ein ziemlich schüchterner Billy Kaz verstohlene Blicke zu. Sie genießt diese Aufmerksamkeit offensichtlich. Sind das fürs Erste genug Informationen für Sie?“

„Das wird sich herausstellen“, antwortete sie und ging mit den Layouts in der Hand zu der großen königsblauen Ledercouch in der Ecke. Sie konnte es kaum erwarten, mit dem Zeichnen anzufangen.

„Dort drüben ist noch ein zweiter Schreibtisch. Den können Sie benutzen. Moira hat immer dort gearbeitet.“

Tahnee blickte zu dem ordentlichen grauen Schreibtisch mit Drehstuhl und Computer hinüber und ließ sich auf die bequeme Couch fallen.

„Ich bleibe lieber hier. Ich habe es beim Zeichnen gern gemütlich.“

„Wie Sie mögen.“ Er zuckte die Schultern und wandte sich mit einem erstaunten Gesichtsausdruck wieder seiner Arbeit zu.

Dass ihn die Wahl ihres Arbeitsplatzes irritierte, verwunderte sie nicht. Mit einem zufriedenen Seufzen sank sie in die Kissen. Ja, auf dieser Couch konnte sie es aushalten. Sie war noch bequemer als ihre eigene zu Hause.

„Ist alles in Ordnung?“

Sie sah auf und bemerkte Bos noch immer erstaunten Blick. „Ja, danke. Die Couch ist wirklich sehr behaglich.“

„Gut“, sagte er und verschwand wieder hinter seinem Bildschirm.

Sie betrachtete seinen großen aufgeräumten Schreibtisch mit der Glasplatte, den Stifthaltern und dem ergonomischen Drehstuhl dahinter.

Sie konnte nicht arbeiten, wenn alles ordentlich und aufgeräumt war. In einem späteren Stadium vielleicht, wenn es um die endgültige Präsentation ging. Aber nicht zu Beginn, wenn alles erst Gestalt annahm und sie Ideen sammeln musste.

Sie stellte Kaz und Kenny auf einen Stuhl neben der Couch. Dann begann sie, in ihrer Tasche nach Skizzenblock und Zeichenkohle zu kramen.

„Warum haben Sie keine Biografie auf Ihrer Website?“ Diese Tatsache war ihr gerade in den Sinn gekommen und hatte sie von Anfang an interessiert. Der jetzige Zeitpunkt schien ihr ebenso geeignet wie jeder andere, um diese Frage zu stellen.

„Für die Art von Büchern, die ich schreibe, spielt das keine Rolle. Die Kinder wollen nichts über mich erfahren. Für sie ist nur interessant, wann die nächsten Abenteuer von Billy und Co. veröffentlicht werden.“

Er kam nicht hinter seinem Bildschirm hervor und blickte sie nicht an. Tahnee fand das grässlich. Ihre Pflegemutter Doris hatte sie gelehrt, dass man einer Person, mit der man sprach, immer in die Augen sehen sollte. Dieser Mann war nicht nur launisch, er hatte auch schlechte Manieren.

„Aber die Website ist auch ein wichtiger Bestandteil Ihrer Werbemaßnahmen. Sie ist doch zum Beispiel für Verleger und Agenten interessant, oder?“

„Ich lasse meine Arbeit für mich sprechen.“

„Tragen Sie beim Büchersignieren eine Maske? Ich meine, um Ihre Arbeit für sich sprechen zu lassen?“

Diese Frage schien seine Aufmerksamkeit zu erregen, denn er hob den Kopf und sah sie an. „Ich verkleide mich als Billy. Jetzt würde ich gern weiterarbeiten.“

„Das mit der Verkleidung ist ein Scherz, nicht wahr?“

Dieser Mann hatte entweder eine Persönlichkeitsstörung oder etwas zu verbergen. Tahnee würde eine Jahresration Mandelcroissants darauf verwetten, dass es das Letztere war.

„Ich schütze meine Privatsphäre, und den Kindern ist es egal. Ende der Geschichte.“

„Das wollen wir doch mal sehen“, murmelte sie vor sich hin, während er wieder hinter seinem Bildschirm verschwand. „Das meinen Sie ernst, stimmt’s?“, fragte sie laut.

Er gab ein Brummen von sich, dem deutlich zu entnehmen war, dass er allmählich die Geduld verlor.

„Sie sind kein Verbrecher auf der Flucht?“

„Nein.“

„Und Sie leiden auch nicht unter Platzangst?“ Dass er sich so ungern in der Öffentlichkeit zeigte, war immerhin ein Hinweis darauf.

„Nein.“

Wenn er sie auch nicht ansah, so antwortete er doch immerhin. Sie nahm das als ermutigendes Signal.

„Jetzt habe ich es! Sie werden von einer Stalkerin verfolgt.“

Er hob den Kopf und blickte sie entsetzt an. „Nein, natürlich nicht. Sind Sie eigentlich niemals still?“

„Doch, wenn ich die Wahrheit herausgefunden habe. Wenn wir zusammenarbeiten wollen, muss ich wissen, wer Sie sind. Ich muss Ihre Vorlieben kennen, Ihre Abneigungen, Ihre Persönlichkeit. Dann bekomme ich ein Gefühl für die Arbeit und kann die Art von Zeichnungen anfertigen, die Sie wollen.“

„Das ist ziemlich viel verlangt.“ Er stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Moira hat jahrelang mit mir gearbeitet und war nur halb so neugierig wie Sie.“

„Immer diese Moira! Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, ich bin nicht Moira. Und ich werde mich auch nicht in sie verwandeln. Ich brauche andere Arbeitsbedingungen, um mein Bestes zu geben. Können Sie sich darauf einlassen?“

Seine Augen wurden schmal. „Sind Sie sich darüber im Klaren, dass ich Sie jederzeit entlassen kann?“

Tapfer ignorierte sie den Anflug von Panik, der sie überkam. Sie hatte den Eindruck, dass er zu den Menschen gehörte, die bellen, aber nicht beißen. „Ich glaube nicht, dass Sie mich wirklich loswerden wollen. Sie haben in zwei Wochen Abgabetermin, und ich habe die erforderlichen Qualifikationen. Ganz abgesehen von den zwei neuen Figuren, die in Ihr Buch eingearbeitet werden müssen.“

„Ich wünschte nur, Sie würden endlich damit anfangen.“ Er ging wieder zu seinem Schreibtisch und verschwand hinter dem Bildschirm. Der Blick, den er ihr dabei zuwarf, signalisierte unmissverständlich das Ende der Unterhaltung.

Also gut, dachte Tahnee, diese Schlacht habe ich verloren. Aber der Krieg ist noch nicht vorbei. Sie nahm ihren Skizzenblock zur Hand und studierte die beiden Tierfiguren auf dem Stuhl.

Sie war sehr gut darin, anderer Leute Geheimnisse zu lüften. Und bei Bo Bradford würde ihr das letztendlich auch gelingen.

Es kostete Bo übermenschliche Anstrengung, sich auf den Text zu konzentrieren. Ob die Sätze, die er in den PC eingab, Sinn machten oder nicht, war ihm im Moment gleichgültig. Er brauchte seine gesamte Willenskraft, um sich daran zu hindern, zur Couch zu gehen und Tahnee zu erwürgen.

Er hatte von Anfang an gewusst, dass es schwierig werden würde, mit ihr zu arbeiten. Allerdings hatte er keine Ahnung gehabt, wie schwierig.

Sie war neugierig, fordernd, frech und viel zu selbstbewusst. Außerdem hatte sie die ärgerliche Angewohnheit, ihre Unterlippe zwischen die Zähne zu nehmen, wenn sie sich konzentrierte. Das trieb ihn fast in den Wahnsinn.

„Wie geht es voran?“

Er runzelte die Stirn, stand auf und streckte sich. Dabei unterdrückte er mühsam eine bissige Bemerkung wegen ihres fortwährenden Geredes in den letzten Stunden.

„Ganz gut. Ich habe vier Seiten geschafft. Wie ist es bei Ihnen? Darf ich mal sehen?“

„Natürlich.“

Sie reckte die Arme seitwärts über den Kopf, um die Muskeln zu lockern. Dabei spannte sich das T-Shirt über ihren Brüsten und legte einen Streifen Haut ihrer schmalen Taille frei. Er schloss kurz die Augen. Ihre Anwesenheit war schon störend genug, wenn er ihre beeindruckenden körperlichen Vorzüge nicht beachtete.

Sie sammelte einige Skizzenblätter zusammen und klopfte mit einem einladenden Lächeln auf den Platz neben sich. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu setzen.

„Und? Was sagen Sie?“

Aufmerksam blätterte er durch ihre Skizzen. Sie ist gut, dachte er ebenso erleichtert wie anerkennend. Sehr gut sogar. Besser als Moira, und das wollte etwas heißen.

„Ich würde wirklich gern Ihr Urteil hören.“

Er blickte auf und bemerkte mit Erstaunen die Unsicherheit in ihrem Gesicht. Unwillkürlich legte er die Hand auf ihren Arm. Es war eine beruhigende Geste, die im Normalfall bei ihm keine nennenswerten Reaktionen ausgelöst hätte. Dies war jedoch kein Normalfall. Denn es war Tahnee, die er berührte. Eine schöne, lebendige junge Frau, die ihn mehr verwirrte, als er es je für möglich gehalten hätte.

Rasch ließ er die Hand sinken. „Ihre Entwürfe sind großartig. Ich bin sehr beeindruckt.“

„Wirklich?“

Die Freude in ihren Augen beschämte ihn fast. Er war wohl vorher doch zu unfreundlich zu ihr gewesen.

„Wirklich“, sagte er und nickte nachdrücklich. „Was halten Sie von einem gemeinsamen Abendessen? Das Kochen übernehme ich.“

„Oh, sehr gern“, antwortete sie mit einem Lächeln.

Ein gemeinsames Abendessen war keine große Sache. Er kochte fast jeden Abend. Außerdem war es an der Zeit für ein Friedensangebot.

„Diese Fettuccine carbonara sind sensationell“, sagte Tahnee, während sie geschickt die Pasta auf die Gabel wickelte und sie in die cremige Soße stippte. „Wo haben Sie gelernt, so zu kochen?“

Bo hob sein Weinglas und trank einen Schluck. „Vor Jahren habe ich sechs Monate in Italien verbracht. Seitdem bin ich süchtig nach italienischem Essen.“

„Oh, Italien. Das muss aufregend gewesen sein.“ Sie schob die Gabel in den Mund und seufzte zufrieden.

Sie liebte es zu essen. Dank ihrer Größe und eines regen Stoffwechsels konnte sie ihrem Appetit fast ungezügelt nachkommen.

„Ja, das war es. Mein Bruder und ich haben das ganze Land bereist.“ Er hielt inne, als hätte er schon zu viel gesagt.

Langsam wurde sie seiner Geheimniskrämerei ein wenig überdrüssig. Es schien, als müsste sie ihm jede noch so kleine Information mühsam entlocken.

„Sie haben einen Bruder?“

„Ja.“

Abwartend sah sie ihn an, legte die Gabel zur Seite und nahm sich ein Stück Brot, um den letzten Soßenrest in ihrem Teller aufzutunken. „Und?“

Er nahm bedächtig einen Schluck Wein und schaute in sein Glas, bevor er es zur Seite stellte. „Wir stehen uns nicht sehr nah.“

„Aha. Ein Fall von Rivalität unter Geschwistern?“

„Zumindest kein sehr interessanter Fall, würde ich sagen. Wir haben uns einfach unterschiedlich entwickelt.“

„Aber zum Zeitpunkt Ihrer gemeinsamen Reise müssen Sie sich doch nahegestanden haben.“

Er sah sie aus zornigen blaugrünen Augen an. „Werden Sie es eigentlich niemals leid, Ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken?“

„Nein“, sagte sie und lächelte ihn strahlend an.

Seufzend lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme. „Wir haben früher beide im Finanzunternehmen meines Vaters gearbeitet. Es ist eine der größten Firmen dieser Art in Australien. Brennan und ich standen uns damals sehr nahe. Aber mittlerweile haben wir unterschiedliche Werte und Interessen. Er ist darauf aus, so viel Geld wie möglich zu verdienen und einen hohen Lebensstandard zu halten. Ich dagegen habe meinen Traum verwirklicht und bin Schriftsteller geworden. Er ist der Liebling meines Vaters, aber damit kann ich leben. Mein Vater respektiert im Gegensatz zu meinem Bruder mein Bedürfnis nach Einsamkeit. Brennan kann es nicht verstehen, dass ich so zurückgezogen lebe und arbeite, anstatt auf Partys zu gehen und das wilde Leben zu genießen.“

Verblüfft schaute Tahnee ihn an. Er hatte nicht nur mehr als zehn Wörter am Stück von sich gegeben, sondern auch sehr private Details enthüllt. „Sie waren im Finanzwesen, bevor Sie mit dem Schreiben begannen? Das nenne ich eine Veränderung.“

„Allerdings. Jetzt kann ich meine Kreativität und Fantasie ausleben und muss mich nicht mehr mit Zahlen und Fakten befassen.“

Er lächelte, und Tahnees Herzschlag beschleunigte sich.

„Was hat Sie zu dieser Veränderung veranlasst?“

Sein Lächeln verschwand. „Kay.“

„Und wer ist das?“

„Eine Exfreundin. Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt. Für eine Weile ging es gut, aber wir waren zu verschieden. Sie beschwerte sich immer öfter, dass ich an meinen Notizen, die ich mir fortwährend machte, mehr interessiert war als an ihr. Sie hatte recht. Aber es gab keine hitzigen Auseinandersetzungen. Ich war fast erleichtert, als sie mich wegen eines anderen verließ. Ich nahm meine Notizen, schrieb mein erstes Buch, suchte einen Agenten, und den Rest kennen Sie ja.“

Sie nickte. Bos unerwartete Redseligkeit machte sie sprachlos. Diese Kay musste ein ziemlich dummes Frauenzimmer sein, wenn sie einen so intelligenten, begabten und obendrein attraktiven Mann verlassen hatte.

„Möchten Sie noch etwas Wein?“

„Nein, vielen Dank.“

Der Wein, den sie bisher getrunken hatte, machte sich bereits bemerkbar. Angesichts der Anziehungskraft, die der Mann ihr gegenüber auf sie ausübte, war es besser, einen klaren Kopf zu behalten.

„Aber darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

„Haben Sie immer noch nicht genug davon?“ Er lächelte, und sein Ton war nicht unfreundlich.

„Sie haben gesagt, die Firma Ihres Vaters sei eine der größten des Landes. Aber ich habe den Namen Bradford noch nie gehört.“

„Bradford ist ein Pseudonym.“

„Oh. Es hat wohl keinen Sinn zu fragen, wie Ihr richtiger Name lautet?“

Er nahm sein Weinglas, während ein amüsiertes Lächeln um seine Lippen spielte.

„Kommen Sie, Bo! Sie wissen doch inzwischen, wie neugierig ich bin.“

„Sie sind mehr als neugierig, und Sie haben von einer Frage gesprochen.“

„Das zählt nicht. Das war keine richtige Frage. Wenn Sie mir Ihren richtigen Namen sagen, höre ich für heute auf mit der Fragerei. Ich verspreche es.“ Sie hielt zwei Finger zum Schwur in die Höhe.

„Bogart.“

Sie lehnte sich vor, unsicher, ob sie sich verhört hatte. „Wie bitte?“

„Mein richtiger Name ist Bogart.“

„Das ist Ihr Vorname, oder?“

Er nickte. „Meine Mutter schwärmte damals sehr für Humphrey Bogart.“

„Du meine Güte! Und Ihr Vater hatte nichts dagegen?“

Er winkte ab. „Sie haben Ihre Zuteilung an Fragen für heute ausgeschöpft, Miss Naseweis. Wie wäre es jetzt mit einem Kaffee?“

Er stand auf und ging zur Spüle. Die Unterhaltung war offenbar beendet. Aber Tahnee konnte sich nicht beklagen. Auch wenn es anfangs sehr mühsam gewesen war, hatte sie doch erstaunlich viele Informationen aus ihrem neuen Chef herausgeholt. Außerdem hatte er sich zum Ende hin sehr freundlich und zugänglich gezeigt. Sie war bereit, ihm eine Pause zu gönnen.

Mit diesen versöhnlichen Gedanken stand sie ebenfalls auf und stellte ihren Pastateller in die Spüle. „Sie spülen, und ich trockne ab, in Ordnung?“

„Wunderbar.“

Ihre guten Vorsätze wurden jedoch beim Anblick seiner wieder sehr verschlossenen Miene zunichtegemacht. Sie nahm ein Geschirrtuch vom Haken und schlug es mit spielerischer Leichtigkeit auf seinen verführerischen Hintern.

Er fuhr herum. „Was zur Hölle soll das?“

Ihre Unschuldsmiene machte keinen Eindruck auf ihn.

„Haben Sie mir gerade auf den Hintern geschlagen?“

Sie bemühte sich um einen ebenso ernsten wie unschuldigen Gesichtsausdruck. „Als ich das Geschirrtuch vom Haken nahm, habe ich Sie wohl gestreift. Aus Versehen natürlich.“

„Ich sollte wohl dankbar dafür sein, dass es nicht Ihre Hand war.“ Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf seinem grimmigen Gesicht ab.

„Glauben Sie mir, Sie würden es merken, wenn meine Hände je den Weg zu diesem Körperteil finden würden.“ Sie ging hinüber zum Esstisch und machte sich geschäftig daran, ihn abzuwischen.

Wieder einmal konnte sie sich nur fragen, was in sie gefahren war. In Zukunft musste sie unbedingt jeglichen Alkohol in seiner Nähe vermeiden. Der Gedanke an ihre Hände auf seinem Po ließ sie nicht los.

„Tahnee?“

„Ja?“ Sie hob ihren Blick nicht vom Tisch und ordnete angestrengt Salz- und Pfefferstreuer und das Fläschchen mit Olivenöl. Dabei wünschte sie sich, der Boden würde sich auftun und sie verschlingen.

„Sie sind, wie ich mehrfach feststellen konnte, ein sehr neugieriger Mensch. Ich wette, Sie wissen bereits ziemlich viel über mich. Zum Beispiel, dass ich meine Privatsphäre hüte und die letzten fünf Jahre wie ein Einsiedler gelebt habe.“

„Ja.“ Sie wusste noch immer nicht ein noch aus vor Verlegenheit und unterdrückte den Impuls, einfach wegzurennen.

„In letzter Zeit hatte ich auch nicht besonders viele Verabredungen.“

„Aha.“

„Sie sollten sich einem Mann gegenüber nicht so benehmen.“

„Ich weiß wirklich nicht, was da über mich gekommen ist“, sagte sie mit brüchiger Stimme, den Blick noch immer auf den Tisch gesenkt.

Sie spürte, wie er näher kam. Als er dicht hinter ihr stand, legte er die Hände um ihre Taille und drehte sie sanft zu sich um. Ernst blickte er ihr in die Augen.

„Gut. Dann wissen Sie ja, wie das ist. Ich weiß nämlich im Moment auch nicht, was da über mich kommt“, flüsterte er und senkte seine Lippen auf die ihren.

4. KAPITEL

Als Billy und Kaz mit dem Abendessen fertig waren, machten sie es sich am Lagerfeuer gemütlich. Sie tranken heißen Tee und erzählten sich Geschichten. Aber Billy war nicht richtig bei der Sache. Kaz lächelte ihn immerzu an, und das gefiel ihm nicht. Es verwirrte ihn. Er wollte zu Bett gehen und sagte Kaz Gute Nacht. Da küsste sie ihn plötzlich. Verwirrt wankte er davon, und sein Magen fühlte sich komisch an.

(Bo Bradfords Blog, Montagnacht)

So war Tahnee noch nie geküsst worden.

Sie kannte pflichtbewusste Gutenachtküsse, freundschaftliche Küsse, Küsse, die Leidenschaft vortäuschten, und schließlich routinierte, vertraute Küsse.

Aber niemals zuvor in ihren fünfundzwanzig Jahren hatte sie bei einem Kuss solche Empfindungen gehabt wie gerade jetzt. Ihr ganzer Körper schien vor Hitze zu glühen, ihr Hormonhaushalt geriet in Wallung, und es schien nichts anderes mehr zu existieren als Bos Lippen auf ihren. Dieser Kuss war ein erotischer Anschlag auf ihre Sinne.

Die Art, wie sie ihm entgegenkam, wie sie sich seinem Kuss öffnete, versetzte sie selbst in Erstaunen.

Als sie glaubte, jeden Moment mit weichen Knien zu Boden zu sinken, wurde der Kuss noch intensiver. Mit spielerischer Leidenschaft begann Bo, sanft in ihre Unterlippe zu beißen. Sie konnte kaum noch atmen und schmiegte sich Halt suchend an seinen warmen, muskulösen Körper. Ohne nachzudenken, ließ sie ihre Hände unter den Saum seines T-Shirts gleiten und streichelte seine glatte Haut.

Sie hörte Bo aufstöhnen und wurde mutiger. Sie ließ ihre Hände abwärtswandern und schob die Finger unter den Bund seiner Jeans.

Abrupt beendete er den Kuss, bog den Kopf zurück und sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Ernüchtert ließ sie die Arme sinken. Das war nicht fair, fand sie. Immerhin hatte er mit der Küsserei angefangen und nicht sie.

Allerdings war sie diejenige mit den vorwitzigen Händen gewesen. Sie musste sich energisch davon abhalten, die Erkundung seiner warmen, seidigen Haut nicht auf der Stelle fortzusetzen.

„Das nenne ich einen Gutenachtkuss“, sagte sie und schlüpfte aus seiner Umarmung. Vorsichtshalber steckte sie die Hände in die Hosentaschen. Sie lächelte ihn an, als ob nichts weiter vorgefallen wäre.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, knurrte er und strich sich verlegen durch die Haare.

Zufrieden stellte sie fest, dass seine Hände zitterten. Sie war also nicht die Einzige hier, die durch diesen Kuss etwas mitgenommen war.

„Du solltest dem nicht zu viel Bedeutung beimessen“, sagte sie in leichterem Tonfall, als ihr zumute war. Sie konnte nur hoffen, dass er ihr das Du nicht übel nahm. Aber nach einem derartigen Kuss war es wohl angebracht, dachte sie. „Solche Dinge passieren kreativen, impulsiven Menschen eben. Es ist doch keine große Sache.“

Das war eine glatte Lüge. Ihr Herz raste immer noch.

„Ich bin nicht impulsiv. Und ich laufe normalerweise nicht herum und küsse Frauen, die ich kaum kenne.“

Sein Mund wurde schmal, und er sah sie distanziert, fast böse an. Sie fragte sich, wie er diesen plötzlichen Sinneswandel zustande brachte. Ihr selbst war eher danach zumute, sich auf ihn zu stürzen und da weiterzumachen, wo sie gerade aufgehört hatten.

Mit einem Schulterzucken spähte sie zur Tür. Es war Zeit für einen einigermaßen würdevollen Abgang. „Wie ich schon sagte, solche Dinge passieren nun mal zwischen erwachsenen Leuten.“

„Nein, das tun sie nicht. Jedenfalls nicht mir. Tut mir leid.“

Er tat fast so, als wäre alles ihre Schuld. Nun ja, irgendwie traf das ja auch zu, denn sie war es gewesen, die ihm mit dem Geschirrtuch eins übergezogen hatte. Aber sie hatte nur die Atmosphäre etwas auflockern wollen. Dass er sie fast besinnungslos geküsst hatte, dafür konnte sie nun wirklich nichts.

„Nun ja, es ist vermutlich an der Zeit, den Abend zu beenden“, sagte sie und rührte sich nicht vom Fleck.

„Das ist es wohl.“ Auch er machte keine Anstalten, den Raum zu verlassen.

Für einige Augenblicke standen sie da und sahen einander schweigend an.

Tahnee trat schließlich einen Schritt zurück. „Ich wünsche dir eine gute Nacht. Wann möchtest du morgen mit der Arbeit anfangen?“

„Ich bin ein Frühaufsteher. Passt es dir um neun Uhr?“

„Ja, aber das ist nicht besonders früh.“

„Um neun bin ich bereits einige Bahnen geschwommen und habe zwei Stunden gearbeitet.“

Sie zog eine Grimasse. Sie war alles andere als eine Frühaufsteherin. „Also dann, um neun.“ Nach einem letzten Blick wandte sie sich zur Tür.

„Dieser Kuss war ein Fehler. So etwas wird nie wieder vorkommen“, sagte er.

„Nie ist eine sehr lange Zeit“, erwiderte sie, ohne sich umdrehen, und schloss die Tür hinter sich.

Bo ging eine Weile in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Dann fuhr er seinen Computer hoch und versuchte zu arbeiten. Es war aussichtslos.

Er nahm den neuesten Science-Fiction-Roman seines Lieblingsautors zur Hand. Er las denselben Absatz sechsmal, ohne den Sinn zu erfassen.

Schließlich probierte er die seltsamen chinesischen Metallkugeln aus, die Moira ihm zum Abschied geschenkt hatte. Sie in der Hand zu bewegen sollte angeblich Stress abbauen. Als er kurz davor war, die Kugeln frustriert gegen die Wand werfen, gab er auf.

Nichts half gegen seine Wut und die Enttäuschung über sich selbst.

Er hatte Tahnee geküsst.

Es war eine dumme, spontane Reaktion gewesen, und er konnte immer noch nicht glauben, dass er es wirklich getan hatte. Er hatte immer große Stücke auf seine Selbstbeherrschung gehalten. Überdies war er ein Mensch, der Prioritäten setzen konnte. Außer seinem neuen Buch gab es im Moment nichts anderes, das zählte. Dieses Buch sollte ihm einen noch nicht da gewesenen Erfolg bescheren.

Sein Ausrutscher war garantiert der ungewohnten Nähe zu einer Frau zuzuschreiben.

Er hatte sich die letzten Monate hindurch hier vergraben und vierzehn Stunden am Tag gearbeitet, um seinen laufenden Vertrag zu erfüllen. Es handelte sich um ein Buch, das ihm den internationalen Markt öffnen sollte. Aber auch davor hatte es nicht viel Abwechslung in seinem Leben gegeben. Kein Wunder, dass er sich der ersten attraktiven Frau, die ihm über den Weg lief, an den Hals warf.

Er hatte Glück, dass sie so verständnisvoll war. Aber es wäre gewiss nicht zu dem Kuss gekommen, wenn sie ihm vorher nicht mit diesem Geschirrtuch auf den Hintern geschlagen hätte. Es war eine herausfordernde Geste gewesen, die unzweifelhaft ihre Wirkung gezeigt hatte.

Er setzte sich auf die Couch, griff nach Tahnees Skizzen und schaute sich eine nach der anderen an. Unwillkürlich musste er lächeln. Sie hatte Kaz’ Charakter vollkommen erfasst und dargestellt. Das bezaubernde Lächeln, die großen, unschuldigen Augen mit den langen Wimpern, den zärtlichen und doch herausfordernden Blick. Der arme Billy hatte keine Chance.

Plötzlich fiel ihm ein, dass er noch sein Blog aktualisieren musste. Mit einem Seufzer stand er auf und setzte sich an den Schreibtisch. Er versuchte, nicht an Tahnee zu denken. Nicht daran, dass er sie geküsst hatte, und auch nicht daran, dass sie kaum zwanzig Meter von ihm entfernt vermutlich schon im Bett lag. Aber es gelang ihm nicht so recht, sich zu konzentrieren. Nach fünf unergiebigen Minuten fuhr er den Computer herunter und ging ärgerlich in sein Schlafzimmer.

Tahnee saß mit überkreuzten Beinen auf ihrem Bett und betrachtete nachdenklich das Handy auf ihrem Knie. Sollte sie Nina anrufen? Aber dann würde sie wahrscheinlich mit dem Kuss herausplatzen. Sie hatte doch eigentlich noch gar nicht begriffen, was da passiert war. Sie musste erst ihre Gedanken ordnen, bevor sie darüber sprechen konnte.

Sie hatte Bo zu diesem Kuss provoziert, so viel war sicher. Er hatte ihn nicht gewollt. Das konnte sie in seinen Augen sehen, als er den Kuss beendet hatte. Sie hatte nicht versucht, ihn zu einer Fortsetzung zu bewegen. Und zwar nur deshalb, weil sie diesen Job wirklich sehr dringend brauchte.

Ihr Chef war faszinierend, sexy und küsste unglaublich gut. Das alles sollte sie schleunigst vergessen. Sie musste sich auf die Arbeit konzentrieren. Und darauf, ihn davon zu überzeugen, dass er ohne sie sein Buch nicht fertigstellen konnte.

Aber es fiel ihr sehr schwer, sich zu konzentrieren.

Sie hatte ein ausgiebiges heißes Bad genommen, um sich zu entspannen. Das hatte nicht funktioniert.

Auch der Versuch, sich in einen wirklich guten Roman zu vertiefen, war missglückt.

Schließlich hatte sie es mit Meditation probiert. Nicht einmal das hatte etwas genützt. Immer wenn es ihr gelungen war, sich einen friedvollen, ruhigen Ort vorzustellen, tauchte Bo dort plötzlich auf. Und mit ihm die Erinnerung an den unvergesslichen Kuss, die Wärme seines muskulösen Körpers und das Gefühl, in seinen Armen zu liegen.

Je verzweifelter sie versucht hatte, die Begegnung zu vergessen, umso deutlicher wurde die Erinnerung. Mit dieser Erinnerung stellte sich eine heiße, aufwühlende Sehnsucht ein. Sie brauchte wirklich ganz dringend eine Verabredung.

Außerdem brauchte sie ein bisschen Schlaf. Sie legte sich zurück, zupfte sich die Decke zurecht und machte das Licht aus.

Aber sobald sie die Augen schloss, tauchte wieder Bos Gesicht vor ihr auf. Das Bild von Bo und ihr in inniger Umarmung. Das Gefühl von Bos Lippen auf ihren.

Damit endete es unglücklicherweise nicht. Ein wahres Feuerwerk erotischer Fantasien brannte in ihren Gedanken ab. Diese Fantasien hatten alle mit einem breiten Bett und wildem, leidenschaftlichem Sex zu tun.

Nein, so geht das nicht, dachte Tahnee entsetzt, fuhr hoch und atmete einige Male tief durch.

Das war verrückt, und es war gefährlich.

Ausgerechnet dieser Mann durfte nun wirklich nicht Gegenstand ihrer erotischen Träume sein.

Arbeit war die Lösung für ihr Problem. Wenn sie sich wirklich auf ihre Zeichnungen konzentrierte, würde ihr unsinniges und unangebrachtes Verlangen nach diesem Mann von ganz allein verschwinden. Sie könnte so tun, als ob es diesen Kuss niemals gegeben hätte.

Keine Geschirrtücher mehr, keine Blicke auf seinen Po, seine Muskeln oder seinen verführerischen Mund. Sie würde auch nicht mehr mit ihm flirten. Billy, Kaz und ihre Freunde waren die Einzigen, die sie jetzt noch interessierten. Sie würde Bo mit ihren Zeichnungen beeindrucken und den Job bekommen.

Das war ein guter Plan. Sie legte sich wieder hin, machte das Licht aus und kuschelte sich in die Kissen.

5. KAPITEL

Billy hatte sehr viel zu tun. Wegen Kaz und ihrem ständigen Geschnatter war er ins Hintertreffen geraten. Er war schlechter Laune und grantiger als gewöhnlich. Zu allem Überfluss war er auch noch zu einer völlig sinnlosen Party unten am Wasserloch eingeladen. Aber das Allerschlimmste war, dass er Kaz wohl oder übel dahin mitnehmen musste. Er durfte ja nicht unhöflich sein.

(Bo Bradfords Blog, Dienstag)

„Verdammt!“

Tahnee sah von ihrem Skizzenblock auf. Während der letzten Stunden hatte sie ihren Blick beharrlich darauf gesenkt gehalten. Es war ihr gelungen, kein einziges Mal in Bos Richtung zu schauen.

Er war ausgesprochen verdrießlich und hatte kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Wie ein Besessener hatte er auf seine Tastatur gehämmert und ihre seltenen Fragen nach zentralen Aspekten der Tiergestalten barsch und einsilbig beantwortet.

Sie sollte sich glücklich schätzen. Wenn dies seine Reaktion auf einen einzigen Kuss war, dann wollte sie gar nicht wissen, wie er sich nach einer wirklich intimen Begegnung benehmen würde.

„Was ist los?“

Er gab keine Antwort, und sie spielte mit dem Gedanken, ein Skizzenblatt zusammenzuknüllen und damit nach ihm zu werfen.

Er war tatsächlich der unfreundlichste, launenhafteste und unerträglichste Mann, den sie je getroffen hatte. Auf einmal konnte sie nicht mehr verstehen, wie sie ihn je hatte attraktiv finden können.

Zugegeben, er hatte einen wundervollen Körper und ein hinreißendes Lächeln. Was nützte das aber, wenn er sich benahm wie die Axt im Walde und sein Lächeln so gut wie nie zu sehen war?

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich habe diese langweilige Preisverleihung für Verleger heute Abend völlig vergessen. Mein Agent hat mich per Mail dazu verdonnert hinzugehen.“

„Ist das ein Problem?“

Sie kannte die Antwort eigentlich schon. Eine feierliche Veranstaltung mit vielen Menschen war ganz bestimmt nicht nach Bos Geschmack.

„Ich habe keine Zeit für solche Albernheiten.“

Sie hätte einfach nicken und sich wieder an ihre Arbeit machen können. Aber das entsprach nicht ihrem Charakter. Außerdem, fand sie, war es an der Zeit, sich wieder einen kleinen Spaß zu gönnen. Ihr war sehr danach zumute, ihn ein wenig zu ärgern.

„Vielleicht solltest du dir die Zeit nehmen. Es genügt als Schriftsteller nicht, kreativ zu sein. Man muss ebenso Werbung machen und sich sehen lassen. Das gehört dazu. Wenn dein Agent meint, dass diese Veranstaltung wichtig ist, dann wird es wohl stimmen.“

Seine Augen wurden schmal. „Ach, findest du? Würdest du denn hingehen?“

Sie schüttelte den Kopf und wünschte sich, er würde einfach verschwinden und sie für den Rest des Tages ungestört arbeiten lassen. Es fiel ihr nämlich schwer, sich mit diesem mürrischen Gegenüber auf ihre Zeichnungen zu konzentrieren.

„Ich bin keine Autorin. Niemand hat Interesse daran, mit einer Illustratorin zu plaudern. Sie wollen alle nur den Menschen kennenlernen, der sich die Geschichte ausdenkt und die Figuren zum Leben erweckt.“

„Da bist du aber im Irrtum.“

„Tatsächlich?“

Er gab einen Druckbefehl in den Computer, ging zum Drucker und entnahm ihm die gerade ausgedruckte Seite. Mit dem Blatt in der Hand kam er zu ihr und reichte es ihr. Es war die Mail seines Agenten.

„Die Leute im Verlagswesen sind ganz versessen auf Illustratoren. Bist du noch nie auf so einer Feier gewesen?“

„Ehrlich gesagt, nein. Aber ich habe auch nicht besonders viel Lust auf solche Veranstaltungen.“

Mit betont gleichgültiger Miene überflog sie die Mail. Tatsächlich war sie erst einmal zu einer Party eines großen Verlages eingeladen worden. Sie hatte sich jedoch kurz davor eine Magenverstimmung zugezogen und konnte nicht hingehen. Es war aber nicht so, dass sie dies besonders bedauert hätte. Da Jeans vermutlich nicht das passende Outfit gewesen wären, hatte sie nichts Passendes anzuziehen.

Er setzte sich neben sie und deutete auf das Papier. „Ich auch nicht. Aber ich muss mich dort zeigen, und du wirst mich begleiten.“

„Oh nein. Das werde ich nicht.“

„Solange du für mich arbeitest, erwarte ich professionelles Verhalten von dir. Das schließt ein, dass du heute Abend mit mir zu dieser Preisverleihung gehst.“

„Nein.“

Als ob er ihre Bemerkung nicht gehört hätte, deutete er erneut auf das Blatt. „Da findest du alle wichtigen Einzelheiten. Sogar Informationen über die angemessene Garderobe.“

Er musterte ihre ausgewaschenen Jeans und das einfache T-Shirt. „Falls du nichts zum Anziehen hast, kannst du heute Nachmittag zwei Stunden freinehmen und shoppen gehen.“

„Du bist ja verrückt!“ Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Sie brauchte unbedingt etwas Distanz zu ihm. Sonst kam sie womöglich auf dumme Ideen. Sie verspürte nämlich gerade das dringende Bedürfnis, ihm die ausgedruckte Mail in seinen teuren Kaschmirpullover zu stopfen.

„Noch nicht, aber wenn diese Diskussion noch lange dauert, werde ich es garantiert.“

Sie fuhr herum und funkelte ihn wütend an. Gerade wollte sie ihm gründlich ihre Meinung sagen, da breitete er beschwichtigend die Hände aus.

„Sieh mal, dieser Abend wird bestimmt langweilig. Aber er ist auch eine Gelegenheit, wichtige Verleger kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Das kann deiner Karriere auf lange Sicht nur nützlich sein. Egal wie unsere zwei Wochen ausgehen. Also, was denkst du?“

Er hat recht, dachte sie. Sie räusperte sich und versuchte, Begeisterung in ihre Stimme zu legen. „Du hast mich mit deinen logischen Argumenten überzeugt. Ich komme mit. Vielen Dank für die Einladung.“

„Gern geschehen.“

Mit einem ironischen Lächeln kehrte er zum Schreibtisch zurück. Sie ging zur Couch und nahm die Mail zur Hand. „Wie ist das mit den Cocktailkleidern gemeint?“

„Die Frauen tragen normalerweise keine langen Kleider. Knielang genügt vollkommen, würde ich sagen.“

„Vielen Dank für den Tipp. Ich besorge mir heute Nachmittag etwas Angemessenes.“

„Gut. Wir müssen um acht Uhr losfahren.“ Mit diesen Worten setzte er seine Arbeit fort, und das Gespräch war beendet.

Dachte er womöglich, sie wäre ein spießiges Landei, das eine Einführung in die große, elegante Welt brauchte?

Nun, sie würde es ihm zeigen.

Ein paar Stunden später war Tahnee kurz davor aufzugeben. Nicht einmal das fünfzehnminütige Telefonat mit Nina hatte geholfen. Ihr Einkaufsbummel gestaltete sich schwierig. Sie hatte nicht übel Lust, Löcher in eine große Mülltüte zu schneiden und sich darin ihrem verdrießlichen Chef zu präsentieren. Vielleicht gefiel ihm das ja besser als ihre Jeans.

Es konnte doch nicht so schwierig sein, ein einziges Kleid zu finden. Sie hatte bereits eine Reihe von Boutiquen durchstöbert. Fehlanzeige. Zu teuer, zu aufwendig, zu schrill.

Entmutigt ging sie die Hauptstraße von Rose Bay entlang und haderte mit ihrem Schicksal. Da fiel ihr Blick auf ein Kleid in einem Schaufenster, und in diesem Moment war es um sie geschehen. Da hing ein blaugrüner schulterfreier Traum mit schmaler Taille und weitem Rock.

Aus Angst, das Kleid könnte plötzlich verschwinden, stürmte sie eilig in das Geschäft. Sie machte der verwirrten jungen Verkäuferin wilde Handzeichen zu dem ersehnten Kleid und verschwand in der Umkleidekabine. In weniger als einer halben Minute war sie ausgezogen.

Natürlich würde das Kleid ihr nicht passen.

Wenn doch, würde sie ganz bestimmt schrecklich darin aussehen.

Tahnees Befürchtungen waren grundlos. Das Kleid war perfekt.

Sprachlos betrachtete sie sich im Spiegel und musste immerzu lächeln. So etwas hatte sie noch nie besessen. Auf dem Kleid lag zweifellos ein Zauber, der bewirkte, dass sie unverschämt gut darin aussah. Der Schnitt brachte ihre Figur zur Geltung, und die Farbe ließ ihre Augen funkeln und ihre Haut schimmern. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin.

Mit klopfendem Herzen griff sie nach dem Preisschild und schluckte, als sie zwei Nullen sah. In einem solchen Geschäft in der Rose Bay waren die Preise üblicherweise unerschwinglich. Vor den Nullen stand jedoch eine Eins. Tahnee unterdrückte einen Jubelschrei. Nur einhundert Dollar für diesen Traum aus blaugrünem Satin!

Vorsichtig zog sie das Kleid aus und schlüpfte wieder in ihre Jeans.

„Ich nehme es“, erklärte sie der ängstlich dreinschauenden Verkäuferin.

Das arme Mädchen hatte vermutlich noch nicht allzu viele Frauen gesehen, die von einer Mission erfüllt ihr Geschäft erstürmten.

Nachdem das Kleid bezahlt, in Seidenpapier geschlagen und in eine Tüte verpackt war, verließ Tahnee die Boutique mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen.

Auf einmal freute sie sich auf den Abend. Ganz besonders freute sie sich auf Bos Gesicht, wenn er sie in diesem Kleid sah.

Tahnees Herzschlag setzte aus, als sie Bo in der Eingangshalle seiner Villa entdeckte. Er sah unglaublich gut aus in seinem weißen Seidenhemd und dem schwarzen Nadelstreifenanzug. Eine noch nicht gebundene schwarze Fliege gab seiner ansonsten vollkommenen Erscheinung eine aufreizende Lässigkeit. Sie hatte schon andere Männer in teuren Anzügen gesehen. Aber niemals zuvor hatte ein Mann in Abendgarderobe sie so in Wallung gebracht.

Sie straffte die Schultern und trat aus dem Schatten einer Säule, wo sie auf ihn gewartet hatte. Jetzt nur nicht nervös werden. Sie wollte seine Anerkennung. Für einen bewundernden Blick von ihm oder ein ehrlich gemeintes Kompliment hätte sie in diesem Moment alles gegeben.

Obwohl ihre Pflegeeltern, Doris und Stan, immer alles getan hatten, um ihr Sicherheit zu vermitteln, war Tahnees Bedürfnis nach Anerkennung von klein auf an bestimmend gewesen. Sie war ständig und überall auf Lob und Beifall durch ihre Pflegeeltern, Lehrer und Freunde aus gewesen. Es war das Gefühl der Geborgenheit durch einen gewachsenen Familienverband gewesen, das ihr gefehlt hatte.

Sie spürte den Moment, als Bo sie erblickte. Er blieb stehen, sein Gesicht nahm einen völlig überraschten Ausdruck an, und seine Augen wurden groß.

„Wow!“, flüsterte er heiser und betrachtete sie überwältigt. Die silbernen Sandaletten, die schlanken Beine, die schmale Taille, das atemberaubende Dekolleté und das bezaubernde, dezent geschminkte Gesicht. „Du siehst hinreißend aus.“

Sie schmolz fast dahin bei diesen Worten. Sie bedeuteten ihr mehr, als sie sich je würde eingestehen können. Für einen kurzen Moment war sie wieder das kleine Mädchen, das entsetzlich unter dem Verlust der leiblichen Eltern litt und in der ständigen Furcht lebte, ihre Pflegeeltern könnten sie auch verlassen. Ein Kind, das süchtig nach Anerkennung war und sich nie schön gefühlt hatte, ganz gleich wie sehr Doris und Stan sich auch um sie bemüht hatten.

Aber jetzt fühlte sie sich schön. So schön wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Auch wenn es sich nur um ein höfliches Kompliment handeln mochte, in diesem Augeblick war sie bereit, ihm jedes Wort zu glauben.

Lächelnd schlenderte sie auf ihn zu. „Du brauchst wirklich nicht so überrascht zu tun.“

„Ich hatte eigentlich nicht vor, einen Knüppel mitzunehmen.“

„Wie bitte?“

„Um die Kerle zu verprügeln, die sich an dich heranmachen werden. Und ich dachte, dieser Abend wird langweilig. Wo finde ich jetzt auf die Schnelle einen Knüppel?“

Sie blieb vor ihm stehen und lachte. „Ich kann es kaum erwarten, dich in einer zünftigen Prügelei zu sehen.“

Er lächelte und deutete verlegen auf seine Fliege. „Weißt du zufällig, wie man so ein Ding bindet? Bei mir ist das schon eine Weile her. Ich habe mir fast die Finger gebrochen.“

„Hmm. Mal sehen.“ Sie nahm ihm die Fliege vom Hals, um sie zu glätten, und hoffte dabei, dass ihre Hände nicht zitterten.

Sie legte ihm die Fliege um den Nacken und atmete verstohlen seinen Duft ein. Er roch wunderbar nach einem exquisiten Aftershave. Während sie ihm die Fliege band, hatte sie das Gefühl, ihre Hände würden plötzlich aus zehn Daumen bestehen. Seine Muskeln spannten sich an, als sie die glatte Haut seines Nackens streifte. Schließlich brachte sie aber doch eine ansehnliche Schleife zustande.

„Danke“, sagte er, zog eine Grimasse und steckte den Zeigefinger zwischen den Kragen seines Hemds und den Hals.

„Krawatten sind nicht deine Sache, oder?“

„Ganz und gar nicht. Darauf könnte ich gut verzichten. Und jetzt lass uns gehen. Es wird Zeit.“

Als sie ihm zum Wagen folgte, drückte sie sich selbst beide Daumen, damit sie mit ihren hohen Absätzen nicht etwa hinfiel. Sie hatte die große Hoffnung, dass dieser Abend der Beginn einer Freundschaft zwischen ihnen würde. Sie nahm sich vor, alles dafür zu tun, was ihr möglich war.

„Wer ist die Kleine?“

Unwillig blickte Bo auf und sah einen Verlagsdirektor, der sich gerade im Gespräch mit einem der hier zahlreich vertretenen Agenten befand, in Tahnees Richtung deuten. Bo musste sich eingestehen, dass ihn die respektlose Bezeichnung, die der Verlagsdirektor benutzt hatte, maßlos ärgerte. Er biss die Zähne zusammen und hörte dem Gespräch weiter zu.

„Ich glaube, das ist Tahnee Lewis, Buchillustratorin“, antwortete der Agent.

Beide Männer musterten Tahnee ausgiebig und wechselten dann einen ziemlich lüsternen Blick.

„Scharfe Puppe“, lautete der Kommentar des Verlagsdirektors.

Bo verspürte den dringenden Wunsch, dem Mann die Faust in sein grinsendes Gesicht zu schlagen. Er atmete tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben.

Immerhin war er nicht ganz unschuldig an dieser Situation, denn er hatte Tahnee hierher gebracht. Schlimmer noch, er hatte sie praktisch gezwungen, ihn zu begleiten.

Allerdings verlief der Abend ganz und gar nicht nach seinen Erwartungen. Er hatte damit gerechnet, mit seinem Verleger und dessen Partnern höflichen Small Talk zu machen, während Tahnee plaudernd und flirtend durch den Raum streifte wie ein aufgeregtes Kind.

Nun, insoweit hatte er nicht falschgelegen. Sie wusste, wie man sich in einer größeren Gesellschaft bewegte, so viel war sicher. Er war kaum dazu gekommen, sie jemandem vorzustellen, bevor verschiedene Verleger sie abgeschleppt, mit Drinks versorgt und in Gespräche verwickelt hatten. Vermutlich wurden ihr soeben verlockende berufliche Angebote unterbreitet.

Er wusste, dass ihr früherer Verleger Konkurs gemacht hatte. Möglicherweise brauchte sie dringender Arbeit, als sie bis jetzt hatte durchblicken lassen.

Aber das war ihre Angelegenheit und ging ihn nichts an.

In diesem Moment trafen sich ihre Blicke. Er deutete ein Nicken an, und sie winkte ihm kurz zu, bevor sie sich umdrehte und sich einer Gruppe von Menschen zugesellte. Nun konnte er nichts weiter von ihr sehen als ihren hinreißenden Rücken.

Dass der Abend nicht erwartungsgemäß ruhig und langweilig verlaufen würde, war ihm sofort klar gewesen, als er sie in diesem unglaublichen Kleid erblickt hatte. An seiner unmittelbaren Reaktion darauf hatte sich bis jetzt nicht viel geändert. Nach wie vor war ihm die Brust merkwürdig eng, und er hatte Mühe, Luft zu holen.

Es kostete ihn viel Überwindung, tatenlos dabei zuzusehen, wie sie mit einem älteren Herrn flirtete. Sie war so sexy, anmutig und charmant. Am liebsten wäre er nach Hause gefahren, um sich wieder in sein Buch zu vergraben.

Abgesehen von dem Kuss gestern Abend war es ihm bisher nicht schwergefallen, in Tahnee nur eine Person zu sehen, die für ihn arbeitete.

Aber dann war da dieses Kleid. Ihre aufregende Figur. Ihr raffiniert hochgestecktes Haar. Das dezente Make-up. Und die schimmernden blauen Augen.

Er konnte nicht länger leugnen, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.

Mit klopfendem Herzen beobachtete er, wie sie sich lächelnd von dem alten Herrn verabschiedete, den anderen in der Gruppe freundlich zunickte und sich umwandte, um auf ihn zuzugehen.

„Du scheinst dich nicht besonders zu amüsieren.“

„Ich bin zu sehr damit beschäftigt, auf dich aufzupassen“, sagte er und griff nach zwei Champagnerflöten, die ihm ein Kellner auf einem Tablett anbot.

Sie nahm ihm ein Glas ab, prostete ihm zu und nippte daran. „Eifersüchtig?“

„Ich muss sicherstellen, dass du dich nicht zu sehr mit der Konkurrenz anfreundest.“

„Aber du weißt doch, bis Ende nächster Woche gehöre ich nur dir.“

„Dann bin ich ein glücklicher Mann.“

Sie sah ihn erstaunt an. „Sei bloß vorsichtig, Chef. Das hört sich sehr nach Flirten an.“

„Ich und flirten? Da hast du etwas falsch verstanden.“

Er stellte sein Glas auf einem Tisch ab, trat neben sie und legte die Hand auf ihren nackten Rücken. Das hatte er schon den ganzen Abend über tun wollen. Er spürte ihre seidige, glatte Haut unter seiner Handfläche, unterdrückte ein Seufzen und führte Tahnee behutsam zur anderen Seite des Raumes.

„Dort ist mein Agent. Bitte entschuldige mich für einen Moment. Ich muss kurz mit ihm sprechen. Wollen wir danach gehen?“

Sie blickte ihn wortlos an und nickte.

Sie zu berühren war keine gute Idee gewesen, überlegte er, während er durch den überfüllten Raum eilte. Es war eine spannende Frage, zu welchen unüberlegten Taten er sich noch würde hinreißen lassen.

Tahnee floh in die Damentoilette und lehnte sich mit klopfendem Herzen an die Wand des Waschraums.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Den ganzen Abend lang hatte sie sich die allergrößte Mühe gegeben, die perfekte Angestellte zu spielen. Sie hatte geplaudert, Kontakte geknüpft und Bo mit ihrem professionellen Verhalten beeindruckt. Jedenfalls hatte sie das angenommen. Natürlich war das in der Hoffnung geschehen, Bo würde ihr einen Vertrag anbieten, wenn die zwei Wochen vorüber waren.

Und nun dies. Nicht nur dass er mit ihr geflirtet hatte, nein, er hatte sie auch noch auf eine ziemlich intime Art berührt.

In dem Moment, als seine Hand auf ihrem Rücken gelegen hatte, war ihr das Atmen schwergefallen.

Was um alles in der Welt hatte diese Berührung zu bedeuten?

Konnte es sein, dass er sich ebenso von ihr angezogen fühlte wie sie sich von ihm?

Und wenn es so war, wohin würde das führen?

Sie blickte auf das Champagnerglas, das sie noch immer in der Hand hielt, und stellte es auf die marmorne Einfassung eines Waschbeckens. Es würde schwierig werden, Bos Gefühlsleben zu erforschen, ohne dass er sich wieder in sich zurückzog und anfing, um sich zu beißen.

Nachdenklich studierte sie ihr Gesicht im Spiegel. Sie zog sich die Lippen nach und wünschte, sie hätte eine Idee, wie sie sich nun verhalten sollte. Dann steckte sie den Lippenstift wieder in ihre Handtasche und ging langsam zur Tür.

„Wenn so ein Einsiedler sich mal entschließt, das Haus zu verlassen, dann macht er wirklich einen drauf, was?“

Bo hielt auf den Stufen des Opernhauses inne und lächelte Tahnee amüsiert an. „Na ja, das geschieht nicht allzu oft. Ich versuche immer, das Beste aus einer Situation zu machen. Wollen wir noch irgendwo einen Kaffee trinken?“

„Einverstanden. Ich kenne mich hier nicht so gut aus, also folge ich dir vertrauensvoll“, antwortete Tahnee und deutete auf den Fußweg, der zu The Rocks führte. Es war Sydneys ältestes und schönstes Viertel.

Er grinste verschmitzt. „Ein nächtlicher Kaffee ist allerdings nicht gerade das, was ich unter wildem Nachtleben so verstehe.“

„Es kommt wohl auf die Umstände an.“

Sie blickte Bo von der Seite her an. Er wirkte entspannt und heiter. Nachdem sie von der Damentoilette zurückgekehrt war, hatten sie die Veranstaltung ziemlich bald verlassen. Sie hatte damit gerechnet, dass sie unverzüglich zu Bos Haus fahren würden. Stattdessen hatte er sie zu einem Spaziergang durch The Rocks aufgefordert. Sie willigte sofort ein, denn sie wollte die gute Laune ihres sonst so mürrischen Chefs auskosten.

„Du bist auf einmal so still“, sagte er und nahm ihre Hand.

„Ich dachte, das würde dir gefallen“, erwiderte sie und versuchte, das unbeschreibliche Gefühl seiner Finger um ihre Hand zu ignorieren.

„Nun, ich muss zugeben, dass diese Stille eine angenehme Abwechslung ist. Jedenfalls bombardierst du mich im Moment nicht mit persönlichen Fragen.“

„Ich kann nicht über meinen Schatten springen. Ich bin nun einmal neugierig. Und du bist so geheimnisvoll und mundfaul.“

Er blieb stehen und sah sie an. „Mundfaul?“

„Ja, sehr.“

„Dem kann man abhelfen“, sagte er leise und beugte sich über sie.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, küsste er sie begierig und leidenschaftlich.

Sie konnte weder denken noch sich bewegen.

Ihr ganzer Körper schien zu einem eigenständigen Leben zu erwachen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und eine brennende Hitze breitete sich in ihr aus, während er mit seinen Lippen die ihren erkundete. Wie von selbst legte sie die Arme um seinen Hals und gab sich ganz den Gefühlen hin, die sein Kuss in ihr auslöste.

Als er sich behutsam von ihr löste, brannten ihre Lippen.

„Ich dachte, so etwas dürfte nicht mehr vorkommen“, flüsterte sie leise.

„Das dachte ich auch.“

„Hast du keine Angst, dass jemand den großen Bo Bradford dabei erwischt, wie er in der Öffentlichkeit knutscht?“

„Sehe ich so aus?“

Nein, dachte Tahnee. Er sah eher zornig und verärgert aus. Sie hatte gleich befürchtet, dass die unübliche gute Laune nicht lange halten würde.

Sie holte tief Atem und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. Wenn sie die nächsten zwei Wochen in ihrer Arbeit irgendetwas zustande bringen wollte, brauchte sie ein paar Antworten. Und zwar jetzt gleich.

„Ich finde, du bist ziemlich launisch und selbstgerecht. Und du versuchst immer, mich zurückzustoßen. Dabei weiß ich ganz genau, dass du mich willst.“

„Was soll ich darauf antworten? Dass du im Irrtum bist? Oder verrückt? Dass ich dich überhaupt nicht begehre? Also gut, ich sage es.“

„Du lügst“, entgegnete sie leise.

Er seufzte und blickte sie ernst an. „Vielleicht hast du recht. Aber ich will das nicht. Und ich wollte auch nicht, was gerade eben passiert ist.“

„Warum nicht? Es war doch nur ein Kuss.“

„Das ist nicht wahr, und wir beide wissen es.“

Nachdenklich strich er über ihren Arm. Sie schloss die Augen und wünschte sich, er würde niemals damit aufhören.

„Sieh mal, ich kann keine Komplikationen in meinem Leben gebrauchen. Ich habe meine Karriere, und sie bedeutet alles für mich.“

„Und?“

Sie hatte das Gefühl, er würde gleich etwas sehr Wichtiges sagen. Sie konnte nur hoffen, dass sie vorher nicht vor Neugierde platzte.

„Ich muss ständig an dich denken. Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, lenkst du mich von meiner Arbeit ab. Und dann heute Abend das Kleid …“

Er maß sie mit einem Blick, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich weiß, es ist verrückt. Ich weiß auch, dass es allem widerspricht, was ich vorher gesagt habe. Aber es ist wahr. Ich will dich. Wie du meine Küsse erwiderst, zeigt mir, dass du mich auch willst. Wir haben nicht einmal mehr zwei Wochen. Wie wäre es, wenn wir das Beste daraus machen würden?“

Tahnees Herz tat einen Satz. Er wollte sie, das hatte er endlich zugegeben. Aber wie waren seine Worte gemeint? Sie musste erst herausfinden, was es für ihn hieß, das Beste aus den zwei Wochen zu machen. Dann konnte sie eine Entscheidung treffen.

„Was schlägst du vor?“

Er schaute sie nachdenklich an. „Vielleicht sollten wir erst einmal ein paar Regeln festlegen.“

„Und die wären?“, fragte sie.

„Wir kommen überein, dass es während der Arbeitszeit rein platonisch zugeht.“

„Wann genau ist die Arbeitszeit?“

„Ich würde sagen, von neun bis fünf Uhr.“

Sie nickte. „Gut. Und weiter?“

„Was immer außerhalb dieses Zeitraums geschieht, hat keinen Einfluss auf unsere gemeinsame Arbeit. Weder jetzt noch in Zukunft.“

„Regel Nummer zwei bedeutet wohl, dass wir die Dinge leichtnehmen sollen. Keine Erwartungen an die Gegenseite?“

Als er zustimmend nickte, ballte sie instinktiv die Hände zu Fäusten. Das konnte doch nicht wahr sein! Was er da plante, war der Traum eines jeden Mannes auf diesem Planeten. Eine stressfreie, sexuelle Beziehung ohne Verantwortung und Verpflichtungen.

Sie straffte die Schultern. „Nun, dann sind wir bei Regel Nummer drei. Ich wette, du hast dir das Beste bis zum Schluss aufgehoben.“

„Regel Nummer drei besagt, dass nach zwei Wochen alles vorbei ist.“

Ziemlich fassungslos schaute sie ihn an. Sie sollte ihm eine runterhauen und ihm erklären, wohin er sich seine verdammten Regeln stecken konnte!

Sie zwang sich zur Ruhe. Es war doch immerhin möglich, dass es nicht so einfach sein würde, wie er sich das vorstellte. Die Intensität, mit der sie sich zu ihm hingezogen fühlte, warf die Frage auf, ob das alles wirklich nach knapp zwei Wochen beendet war. Sie hatten darüber hinaus noch vieles gemeinsam. Da war der Beruf, das Leben als Künstler, offensichtlich ein ähnlicher Geschmack und letztendlich auch der Humor.

Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie beide viel mehr verband, als ihm im Moment bewusst war. Diese Affäre, so sagte sie sich, würde vermutlich länger als zwei Wochen dauern.

Sie bemühte sich um einen lockeren Ton. „Und was, wenn dir zwei Wochen mit mir nicht genügen?“

Er lächelte ironisch. „Das wird nicht der Fall sein.“

Schweigend schaute sie ihn eine Weile an. Es war äußerste Vorsicht geboten, wenn sie ihren Job nicht gefährden wollte. Diesen Mann von seinem hohen Ross herunterzustoßen war ein riskantes Unterfangen.

Sie setzte ein unverbindliches Lächeln auf. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich fürchte, ich muss ablehnen.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon spät. Wir sollten jetzt nach Hause fahren. Es war ein langer Tag.“

Er senkte den Kopf. „Ich habe dich gekränkt.“

Sie wich seiner Hand aus, die nach der ihren greifen wollte. Ihre heftige körperliche Reaktion auf seine Berührung konnte sie im Moment nicht gebrauchen. Ein klarer Kopf war jetzt wichtiger als alles andere.

„Du hast mich überrascht.“

Es wäre Heuchelei, wenn sie sich wegen seines Angebots schockiert geben würde. Schließlich hatte er nur das getan, was sie sich insgeheim wünschte.

Nun hatte sie, was sie wollte. Aber es fühlte sich überhaupt nicht richtig an.

Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen. Aber sie brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.

„Lass es gut sein. Ich bin wirklich müde. Ich würde jetzt gern nach Hause fahren, okay?“

Verlegenheit und Bedauern standen in seinem Blick.

Sie wandte sich um und machte sich auf den Rückweg.

Dies würden sehr lange zwei Wochen werden.

6. KAPITEL

Billy mochte Wasser nicht besonders. Es war immer so kalt, und schwimmen konnte er auch nicht sehr gut. Aber das Wasserloch war frühmorgens der ruhigste Ort. Außerdem kam Kaz selten hierher. Es war schön, dass ihm seine neue beste Freundin bei der Arbeit half. Er konnte nur die seltsamen Blicke, die sie ihm zuwarf, überhaupt nicht leiden. Und dann diese Küsse wie gestern Abend. Du liebe Güte!

(Bo Bradfords Blog, Mittwochmorgen)

Tahnee hüpfte munter aus dem Bett. Sie hatte überraschend gut geschlafen. Sie konnte sich nicht erinnern, geträumt zu haben. Weder heiße, erotische Träume von Bo noch überhaupt. Das war seltsam, da sie eigentlich sehr oft träumte. Meistens von ihren Pflegeeltern. Es war im Grunde immer derselbe Traum.

Sie befand sich in der Küche und half Doris beim Backen eines Apfelkuchens, während Stan am Küchentisch saß und Zeitung las. Hin und wieder blickte er zu ihnen hinüber und lächelte über ihre Scherze und Gespräche.

Das kinderlose Paar, das sein ganzes Leben in Stockton verbracht hatte, gab wundervolle Eltern ab. Stan und Doris hatten ihr Möglichstes getan, um Tahnee Geborgenheit zu vermitteln. Sie hatten ihre Pflegetochter in allem unterstützt und waren dabei doch immer konsequent und geradlinig gewesen. Darüber hinaus hatten beide Tahnee sehr geliebt und ihr das auch zu zeigen versucht.

Tahnee war von ihnen immer wie ein leibliches Kind behandelt worden. Es war also nicht verwunderlich, dass sie selbst jetzt noch, sieben Jahre nach ihrem Tod, regelmäßig von ihnen und der Vertrautheit innerhalb der kleinen Familie träumte.

Tahnee vermisste die beiden immer noch schmerzlich. Als sie Doris und Stan innerhalb von sechs Monaten verloren hatte, war sie am Boden zerstört gewesen. Doris starb an einem Aneurysma, und Stan war den Folgen seiner langjährigen Diabetes erlegen. Der Tod ihrer Pflegeeltern hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass Tahnee mit der Suche nach ihren Geschwistern begonnen hatte.

So war, getreu Doris’ Motto, wieder Gutes aus Schlechtem entstanden. Tahnee hatte sich während der langen Suche nach ihren Schwestern oft an die Worte ihrer Pflegemutter erinnert. Doris hatte recht behalten. Die Wiedervereinigung mit Carissa und Kristen hatte vieles wiedergutgemacht. Aber noch heute sehnte sich Tahnee nach dem heimeligen Häuschen, der warmen Küche und dem liebevollen Paar darin.

Sie ging zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Erstaunt hielt sie inne und blinzelte. Das war jedoch nicht auf die helle Morgensonne zurückzuführen, sondern auf Bo. Er stand fast nackt, nur mit einer Badehose bekleidet, dicht vor ihrem Fenster am Rand des Pools und machte Anstalten, ins Wasser zu springen.

Atemlos schaute sie zu, wie er einige Bahnen durch das große Bassin zog, sich dann geschickt am Beckenrand hochhievte und nach einem Badelaken griff.

Bevor er begann, sich abzutrocknen, hatte sie etwa dreißig Sekunden lang eine atemberaubende Aussicht auf seinen muskulösen Körper. Wasserperlen glitzerten auf seiner bronzefarbenen Haut. Sie konnte den Blick nicht von seiner breiten Brust, den schmalen Hüften und den ausgeprägten Armmuskeln abwenden und beugte sich immer weiter vor.

Unvermittelt stieß sie sich heftig den Kopf an der Fensterscheibe, fuhr erschrocken zurück und rieb sich die Stirn. Bo, der durch das Geräusch des Aufpralls auf sie aufmerksam geworden war, hielt diese Bewegung offenbar für ein Winken und winkte freundlich zurück.

Na prima, dachte Tahnee. Nun hat er mich dabei ertappt, wie ich ihn heimlich beobachte.

Ärgerlich drehte sie sich um, machte sich auf den Weg ins Badezimmer und stieß sich den kleinen Zeh am Bein eines Sessels.

„Au!“, schrie sie, ließ sich in den Sessel fallen und rieb ihren Zeh. Ihre schmerzende Stirn war für den Moment vergessen.

„Nun ist es auch egal“, murmelte sie vor sich hin und humpelte zum Fenster, um einen letzten Blick auf Bo zu erhaschen. Der Grund für ihre Schmerzen war in ein Badetuch gehüllt und grinste sie an.

„Ha, wie witzig!“, schimpfte sie und hinkte ohne einen Blick zurück ins Badezimmer.

„Frühstück?“

Mit betont gleichgültiger Miene schlenderte Tahnee in die Küche. Sie ignorierte ihren heftig pochenden kleinen Zeh. Es war ihm nicht gut bekommen, als sie versucht hatte, in ihre roten Stiefel zu schlüpfen. Daher hatte sie sich für rosa Flipflops entschieden. Das Schöne an Jeans war, dass man darin auch barfuß gut aussah.

„Nur Kaffee, vielen Dank“, antwortete sie und ging zur Espressomaschine.

„Bist du sicher? Ich mache gerade ein Omelett. Schmerztabletten soll man nicht auf nüchternen Magen nehmen.“

Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. Er machte sich über sie lustig, das hörte sie an seinem Tonfall. Er klang nach unterdrücktem Gelächter.

Was war nur mit ihm los? Nach der schweigsamen Heimfahrt gestern Nacht und der kühlen Verabschiedung hatte sie damit gerechnet, ihn in denkbar schlechter Laune vorzufinden. Stattdessen wirkte er sehr aufgeräumt.

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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