Berauschende Nächte mit dem Boss

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Alles würde Marguerite tun, um das Weingut im Napa Valley wieder in ihren Besitz zu bringen! Doch ihre Eltern haben es leichtfertig verkauft, und nun gehört es dem mächtigen IT-Milliardär Evan Fletcher. In einer letzten heimlichen Aktion versucht Marguerite, ihre kostbarsten Weine zu retten. Aber der Fahrstuhl aus dem Gewölbekeller bringt sie direkt in die Wohnräume des neuen Besitzers. Der unverschämt gut aussehend ist – und ihr spontan den Job als Kellermeisterin anbietet! Nie erschien ihr die Kunst des Weinmachens so verführerisch …


  • Erscheinungstag 29.03.2022
  • Bandnummer 2231
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508964
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ein Kinderspiel, in den privaten Weinkeller der St. Isadore Winery zu gelangen. Die Seitentür wurde nur selten genutzt und klemmte ein wenig, aber sie öffnete sich direkt auf die Treppe, die Marguerite zu ihrem Ziel ein paar Stockwerke tiefer führte. Der Rückweg allerdings …

Noch einmal versuchte sie, die beiden schweren Weinkisten anzuheben – vergeblich. Sie rieb sich die schmerzenden Arme und überlegte, wie sie am schnellsten hier wegkam. Was um elf Uhr abends nach einer – okay nach zwei – Flaschen chilenischem Rotwein mit ihrer Freundin Aracely Contreras noch wie eine großartige Idee klang, hatte bei der Durchführung nachts um eins doch den ein oder anderen Haken. Zum einen das Gewicht der Flaschen: Sie waren zu schwer, um sie alle auf einmal hochzutragen. Doch Marguerite fehlte die Zeit, um sie nacheinander nach oben zu bringen.

Im Schein der Handy-Taschenlampe ließ sie den Blick durch den kühlen Raum mit den hohen Weinregalen schweifen. Was sie sah, bestätigte nur, was sie ohnehin wusste: Die einzige Alternative war der Aufzug. Das war riskant. Dass es nicht einfach werden würde, hatte sie gewusst. Nichts war einfach auf St. Isadore.

Marguerite Delacroix stammte aus einer alten französischen Winzerfamilie. Ihre Vorfahren waren zur Zeit des Goldrauschs nach Kalifornien ausgewandert, um in dem aufstrebenden Land Wein anzubauen. Schon bald besaßen sie nicht nur einen Weinberg, sondern fünf, und wenig später legten sie den Grundstein von St. Isadore. Das Gebäude war einem Loire-Schloss nachempfunden und gehörte zu den wenigen noch original erhaltenen Weingütern im Napa Valley.

Das Gut hatte nicht nur den Angriff der Reblaus überlebt, dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts fast alle Rebstöcke im Tal zum Opfer gefallen waren, sondern auch die Prohibition. Kritisch wurde es erst, als das Weingut nach dem Zweiten Weltkrieg an zwei Brüder ging, die sich über die Geschäftsführung nicht einigen konnten. Schließlich übernahm der eine Bruder den Kellereibetrieb, während der andere die Weinberge erhielt. Vor zehn Jahren dann verkaufte Marguerites Vater die Weinberge an den inzwischen verstorbenen Linus Chappell, dem bereits das Gut gehörte, obwohl Marguerite ihre Eltern auf Knien angefleht hatte, die Anbauflächen zu behalten, bis sie sie selbst übernehmen konnte. Leider interessierten sich die beiden kein bisschen für Weinbau, dafür umso mehr für einen Alterssitz in Arizona. Als Marguerite nach dem Studium nach Hause zurückkehrte, befanden sich die Weinberge also zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte nicht mehr im Besitz der Familie Delacroix.

Zu seinem alten Glanz fand St. Isadore allerdings auch nicht zurück, nachdem Weingut und Weinberge wieder in einer Hand waren, im Gegenteil: Je bekannter und beliebter das nordkalifornische Weinbaugebiet wurde, desto tiefer sank der Stern von St. Isadore.

Obwohl der technische Fortschritt auch vor St. Isadore nicht haltgemacht hatte, stammte der Aufzug im Keller noch aus den Dreißigerjahren. Er war mit wunderschönen Jugendstilornamenten verziert, doch furchtbar klapprig und entsetzlich laut. Die Antriebstechnik befand sich in einem kleinen Raum direkt unter der Wohnung des Gutsbesitzers, und wenn der Motor lief, hörte – und fühlte – man die Vibrationen durch den Boden hindurch. Das war eigentlich praktisch: Auf diese Weise bekam Linus es sofort mit, sollte sich jemand Zutritt zu seiner privaten Sammlung von seltenen und teuren Weinen verschaffen.

Vertrauenswürdig war die Klapperkiste, das wusste Marguerite. Und wer sollte etwas hören? Linus war vor einem halben Jahr gestorben, ohne ein Testament geschrieben zu haben, weswegen sein gesamter Besitz an die nächsten Verwandten gefallen war, zwei Großneffen, die nichts Besseres zu tun hatten, als das Gut wie auch die Weinberge sofort zu veräußern. Letzte Woche war der Verkauf über die Bühne gegangen, der neue Eigentümer, eine große Nummer bei einer der Tech-Firmen im Silicon Valley, war aber noch nicht eingetroffen, wenn man dem lokalen Klatsch und Tratsch trauen konnte. Und das konnte man. Ganz Napa fieberte seiner Ankunft entgegen, weil der Typ angeblich a) unglaublich gut aussah und b) außerdem Single war.

Was Marguerite persönlich am meisten interessierte, war jedoch die Tatsache, dass der Wachdienst abgezogen worden war, nachdem der Verkauf in trockenen Tüchern war. Das war ihre Chance!

Mit einem Stück Holz klemmte sie die äußere Tür des Aufzugs auf, öffnete das kunstvoll verzierte Sicherheitsgitter und lud die Flaschen in die enge Kabine. Aller Voraussicht nach betrat sie diesen Keller heute Nacht zum letzten Mal, denn wenn die Gerüchte stimmten, sollten die Gebäude abgerissen werden, um Platz zu machen für Luxusapartments. Schon die Vorstellung tat ihr so weh, dass sie kaum atmen konnte.

Wenigstens den Wein wollte sie retten. Ihren Wein. Wein, mit dem es ihr hoffentlich gelang, den Namen Delacroix in der Weinwelt wieder bekannt zu machen. Die meisten Flaschen befanden sich, für sie unerreichbar, im Lager, aber Linus hatte eine Flasche von jeder Abfüllung für seine private Weinsammlung abgezweigt. Diese Flaschen waren alles, was Marguerite aus den vergangenen acht Jahren geblieben war. Acht Jahre, in denen sie sich mit Leib und Seele dem Weingut verschrieben hatte. Per Handschlag hatte sie mit Linus einen Deal besiegelt. Er zahlte ihr lediglich fünfzehn Prozent ihres Gehalts aus. Die restlichen fünfundachtzig Prozent behielt er als Anzahlung auf den Weinberg ein, mit dem für die Delacroix alles begonnen hatte. Das Lesegut von diesen Rebstöcken durfte Marguerite in Eigenregie ausbauen und die Flaschen über St. Isadore vertreiben. Sie würde nicht zulassen, dass der Name Delacroix unterging.

Und sie hatte es fast geschafft. An ihrem letzten Geburtstag hatte sie die Schlussrate bezahlt, und Linus hatte ihr versprochen, die Überschreibung in die Wege zu leiten. Kurz danach hatte er einen Schlaganfall erlitten und war verstorben. Das ledergebundene Kassenbuch, in dem er Marguerites Zahlungen akribisch notiert hatte, war wie vom Erdboden verschluckt. Seine Großneffen hatten sie ausgelacht, als sie ihre Forderung geltend machen wollte, und gedroht, den Sheriff zu rufen, falls sie das Anwesen nicht freiwillig verließ.

Dieser Wein war also alles, was ihr blieb, und sie würde den Teufel tun und ihn im Keller versauern lassen.

Die letzte Flasche. Trotz der Kälte stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Es roch nach altem Wein und feuchtem Gemäuer. Ihre Hände waren staubverschmiert, und sie wischte sie an der Jeans ab, bevor sie den Aufzug per Knopfdruck nach oben schickte. Vom Erdgeschoss aus war es nur ein kurzer Weg zum Haupteingang. Ihre Freundin Aracely wartete ganz in der Nähe auf Marguerites Anruf. Gemeinsam würden sie den Wein in Aracelys SUV laden und sich dann aus dem Staub machen.

Und dann? Marguerites Leben drehte sich um St. Isadore, eigentlich wollte sie nicht weg von hier. Auch das sollte das Geschäft mit Linus ja absichern. Sie blinzelte ein paar Tränen weg. St. Isadore war ihr Zuhause. Und das wollte der neue Besitzer plattmachen.

Evan Fletcher rieb sich die Augen, aber es half nichts. Die Zahlen auf dem Bildschirm blieben unverändert mies.

Er hatte geglaubt, ein echtes Schnäppchen zu machen, als er St. Isadore mit allem, was dazugehörte, erwarb: Die Kellerei war mit allem Nötigen ausgestattet, die Wohnung des Besitzers möbliert. Doch als er vor ein paar Stunden angekommen war, um sein Eigentum in Augenschein zu nehmen, musste er feststellen, dass er wohl, geblendet vom goldenen Sonnenschein auf den wunderschönen Maklerfotos, unzählige Mängel, ja regelrechte Schäden übersehen hatte. Egal. Der Betrieb funktionierte trotzdem, und das war alles, was er wollte, der Rest war Kosmetik.

„Ich verkneife mir ein ‚Ich hab’s ja gleich gesagt‘ . Erstens ist es spät, und zweitens kann ich es mir nicht leisten, Sie zu vergraulen“, sagte seine Vermögensverwalterin am anderen Ende des Telefons und gähnte vernehmlich.

„Schon gut, Pia, tun Sie sich keinen Zwang an. Wenn jemand um diese Uhrzeit noch anruft, hat er es nicht anders verdient. Eigentlich wollte ich auf Ihren AB sprechen.“

„Die Erfahrung hat mich gelehrt, dranzugehen, wenn Sie anrufen, sonst machen Sie irgendeine Dummheit, kaufen zum Beispiel ein komplettes Weingut, ohne es zu besichtigen.“

„Es ist die erste ruhige Minute heute“, verteidigte er sich. „Hier war eine Menge zu erledigen, und in der Firma kündigt sich schon die nächste Krise an.“

„Ich dachte, wenigstens an dieser Front wird es ruhiger.“

„Wie man’s nimmt.“ Evan war Gründer und Vorstandsvorsitzender von Medevco, einem Technologie-Start-up, das medizinische Geräte entwickelte, die mit künstlicher Intelligenz arbeiteten. Geschätzter Unternehmenswert: eine Milliarde Dollar. „Einhorn“ nannten die Insider im Silicon Valley solche Firmen wegen ihrer Seltenheit. Aber wo es Wachstum gab, da gab es auch Wachstumsschmerzen. Von der kostspieligen Art. Und nicht wenige.

Er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Immer hübsch eines nach dem anderen, sagte er sich, gerade in kritischen Situationen. Zuerst also das Weingut. „Danke, dass Sie die Zahlen noch mit mir durchgegangen sind. Wie kann ich es wiedergutmachen, dass ich Sie so lange wachhalte?“

Pia lachte. „Kein Problem. Aber wenn es Ihr Gewissen erleichtert, schicken Sie mir einen Karton Chardonnay – nur bitte nicht von St. Isadore.“

„Haha! Sie werden schon sehen: Nächstes Jahr um diese Zeit werden Sie mich um ein Fläschchen aus St. Isadore anbetteln.“

„Sie betreten völlig neues Terrain, mein Lieber. Das ist ein kleines Weingut, das schon unter seinen Möglichkeiten geblieben ist, bevor die erfahrenen Leute gekündigt haben. Diesmal wird Sie Ihr glückliches Händchen im Stich lassen.“

Evan kratzte sich am Kopf, aber er schwieg.

„Moment mal, Sie verheimlichen mir doch was“, sagte Pia.

„Der Global Leadership Summit im Sommer findet in Napa statt.“

Pia schnappte so laut nach Luft, dass man es durchs Telefon hörte. „O je, ich glaube nicht, dass ich das hören will!“

„Als durchsickerte, dass ich ein Weingut kaufe, hat man mich gefragt, ob ich bereit wäre, die Kickoff-Veranstaltung dort zu organisieren. Ich habe natürlich zugesagt.“

Pia stöhnte. „Evan, da treffen sich die einflussreichsten Geschäftsleute der Welt.“

„Ja, und?“

„Es hat nicht zufällig etwas damit zu tun, dass Angus Horne Ihre Anrufe nicht beantwortet? Meines Wissens nimmt er immer an dem Gipfel teil. Und er gilt als ausgewiesener Weinkenner.“

„Glauben Sie im Ernst, dass ich ein komplettes Weingut kaufe, um einen Investor zu ködern?“

„Sie würden den Mond kaufen, wenn Ihnen das ein persönliches Gespräch mit Horne ermöglichen würde. Vergessen Sie nicht, dass ich Ihren Kontostand genau kenne, und ich muss Ihnen leider sagen: Von Ihrem Kapital ist so viel bei Medevco gebunden, dass Sie nach dem Kauf dieses Weinguts über praktisch keine liquiden Mittel mehr verfügen.“

„Das Gut wirft Gewinn ab.“

Er hörte das Klappern einer Tastatur. „Ertrag ja, Gewinn – abwarten. Außerdem müssen Sie erst einmal gehörig investieren. Länger als ein Jahr dürfen Sie aber keine roten Zahlen schreiben, sonst wachsen mir graue Haare.“

„Ich gebe mir Mühe.“ So sehr Evan Pias umsichtige Art schätzte, vertraute er doch vor allem auf seine eigenen Fähigkeiten und sein Urteilsvermögen. Wie sonst hätte er es geschafft, schon vor seinem dreißigsten Geburtstag drei Firmen zu gründen und gewinnbringend abzustoßen, um anschließend Medevco zu gründen und zu leiten? Was Pia sein glückliches Händchen nannte, bezeichnete er selbst lieber als kreative Risikobereitschaft, kombiniert mit der kompromisslosen Entschlossenheit, Verluste gering zu halten. „Vielen Dank, Pia. Jetzt lasse ich Sie aber endlich schlafen.“

Er beendete den Anruf und lehnte sich im Stuhl zurück. Immerhin, die Wohnung war sauber, es gab heißes Wasser – sein Haar war noch feucht von der Dusche –, und sein Bett war nagelneu und frisch bezogen. Gleich würde er testen, ob die Matratze so bequem war, wie sie aussah.

Er stand auf und reckte sich, als er ein merkwürdiges Rumpeln hörte und das ausgetretene Holzparkett unter seinen Füßen bebte. „Was …?“ Blitzschnell scannte er den Raum. Nach vielen Jahren im erdbebengeplagten Kalifornien war ihm das Verhalten im Ernstfall in Fleisch und Blut übergegangen. Aber das Grummeln wurde nicht schlimmer, sondern verwandelte sich in ein gleichmäßiges Brummen. Ein Motor!

Natürlich, der Aufzug! Der in den privaten Keller führte. Sein Puls beruhigte sich – nur um gleich wieder in die Höhe zu schießen: Außer ihm war doch kein Mensch mehr wach. Sein einziger Mitbewohner hatte sich vor Stunden schlafen gelegt.

Evan glaubte nicht an Gespenster, obwohl das Ambiente im Haupthaus ein wenig an ein Spukschloss erinnerte. Der Aufzug stammte aus dem letzten Jahrhundert und hatte vermutlich so seine Macken. Er seufzte. Da musste er wohl oder übel nachsehen. Ein Kabelbrand hätte ihm gerade noch gefehlt.

Auf dem Weg nach unten kam er an der Küche vorbei. Auf dem altmodischen Herd entdeckte er eine schwere, gusseiserne Bratpfanne, die er sich sicherheitshalber schnappte. Nur für den Fall, dass er sich getäuscht haben sollte und es doch Gespenster gab. Bewaffnete Gespenster.

Ächzend kam der Aufzug zum Stillstand. Marguerite schob das Eisengitter zur Seite, bückte sich nach den letzten drei Flaschen und drückte die Außentür mit dem Po auf. Mission erfüllt! Niemand würde je herausfinden, dass sie hier gewesen war. Sie richtete sich auf, drehte sich um … und sah sich einem halbnackten Mann gegenüber, der mit einer gusseisernen Bratpfanne direkt auf ihren Kopf zielte.

Sie kreischte auf, ließ zwei der Flaschen fallen, die mit einem dumpfen Plumps auf dem zerschlissenen Linoleumboden des Aufzugs landeten, packte instinktiv die dritte beim Hals, holte damit aus wie mit einem viel zu kurzen Baseballschläger und … schlug zu. Der Mann riss die Pfanne hoch, um sein Gesicht zu schützen. Glas traf auf Gusseisen und zerschellte unter lautem Getöse.

Erst als etwas Kaltes über Marguerites Hände rann, setzte ihr Verstand wieder ein. Sie blinzelte. Was um alles in der Welt tat sie da? Schüttete das Ergebnis ihrer Arbeit, ihre letzte Verbindung zu St. Isadore, einfach auf den Boden! Sofort stellte sie die Flasche senkrecht, den Hals nach unten gerichtet. Im Dunklen war es schwer zu sagen, aber schätzungsweise ein Drittel des Inhalts war verloren. Nun, vielleicht ließ sich der Rest noch retten.

Der Typ ließ die Pfanne sinken. Vor lauter Angst um ihren Wein hatte Marguerite fast vergessen, dass sie nicht allein war. Einen Augenblick lang starrten sie sich an. Beide atmeten schwer und beinahe im Gleichklang. Das war also der gutaussehende neue Besitzer. Sie erkannte das markante Kinn und den Dreitagebart, die dichten, dunklen Augenbrauen und den festen Blick aus den Online-Nachrichten. Weder den Fotos noch der Gerüchteküche war jedoch zu entnehmen gewesen, wie unglaublich breit seine Schultern waren und was für eine Kraft und Energie er ausstrahlte, selbst wenn er nichts trug als eine Jogginghose, die ihm fast von den schmalen Hüften rutschte.

„Haben Sie vor, das Ding zu benutzen?“, krächzte sie und deutete auf die Pfanne.

Er schüttelte den Kopf. Seine Lippen bewegten sich, doch auf einmal fing er an zu brüllen: „Verdammt noch mal!“, schrie er. „Wer sind …?“

Er war stinksauer. Völlig zu Recht. Doch Marguerite hatte gerade andere, größere Sorgen. „Ich kann alles erklären, aber zuerst brauche ich eine Flasche, einen Kanister, irgendwas.“ Sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben, ohne noch mehr von dem wertvollen Inhalt der Flasche zu verschütten, aber der Typ packte sie am Arm. Nach der Kälte im Keller fühlte sich seine Hand heiß an.

„O nein“, knurrte er. „Erst die Erklärung.“

Wein spritzte auf ihr Shirt, und ihr war klar: Wenn sie sich losriss, würde sie das den letzten Rest Wein aus der Flasche kosten – und alle übrigen Flaschen obendrein. „Nur, wenn Sie mich loslassen.“

Er zog die Brauen hoch. „Loslassen? Nachdem Sie mich fast erschlagen hätten?“

„Doch nur, weil Sie mich bedroht haben.“ Sie wies mit dem Kinn auf die Bratpfanne in seiner Hand. „Was fällt Ihnen ein, mich so zu erschrecken?“

„Junge Frau, Sie sind in mein Haus eingebrochen.“

„Genau genommen wollte ich es gerade verlassen. Will ich immer noch. Aber zuerst brauche ich irgendein Behältnis, in das ich diesen Wein gießen kann. Bitte!“ Zum ersten Mal sah sie ihm in die Augen. Sie glitzerten in dem schwachen Licht. „Bitte!“

Er runzelte die Stirn, lockerte den Griff aber so weit, dass sie seine Hand abschütteln konnte. Wie der Blitz verschwand sie durch eine Tapetentür, die nur für Eingeweihte sichtbar war und hinter der ein enger Dienstbotengang zur Küche führte.

Die Wärme seiner Finger spürte sie noch lange auf der Haut.

Evan rieb sich verdutzt die Augen. War die Einbrecherin wirklich in der Wand verschwunden?

Er sah sich die Flaschen, die noch im Aufzug lagen, genauer an. Sie waren nicht etikettiert, aber jemand hatte mit Edding etwas aufs Glas geschrieben. Merkwürdig. Im Keller lagerte eine beeindruckende Sammlung von seltenen und sehr wertvollen Weinen. Ein gewöhnlicher Dieb hätte doch wohl die mitgenommen, mit denen er den höchsten Preis erzielte. Was hatte diese Frau vor?

Ungefähr an der Stelle, wo sie verschwunden war, strich er über die Wand und erspürte tatsächlich die Umrisse einer Tapetentür. Auf einmal fiel ihm auch wieder ein, dass der Makler enthusiastisch von angeblichen Geheimgängen erzählt hatte. Evan hatte das als maklertypische Übertreibung abgetan, als Versuch, ihm eine Hintertreppe oder eine Zwischendecke auf dem Dachboden als etwas Besonderes zu verkaufen. Aber offenbar gab es in diesem Haus tatsächlich verborgene Durchgänge und Korridore. Und seine nächtliche Besucherin kannte sie.

Er lauschte in den Gang hinein und folgte dem leisen Rascheln, das zu ihm drang. Nach wenigen Schritten erreichte er eine Tür und landete in der Küche, einem riesigen Raum mit Gerätschaften, wie man sie aus Sitcoms kannte, die in den Fünfzigerjahren spielten. Nur waren die meisten Schranktüren aufgerissen, und auf dem Abtropfgestell neben der Spüle stand kopfüber eine Weinflasche.

„Wo haben Sie die Karaffen versteckt?“, fragte ihn die Diebin, während sie ungeniert in einem der Schränke wühlte. „Linus hat sie immer hier drinnen aufbewahrt.“

Evan tastete nach seinem Handy, um die Polizei zu rufen, aber seine Hosentaschen waren leer. „Wer sind Sie? Und was wollen Sie hier?“

Sie kam hinter der Schranktür hervor, und endlich, in dem gleißenden Licht der Deckenlampe, konnte er sie genauer betrachten. Das dunkle Haar, eher schwarz als braun, hatte sie auf dem Kopf zu einem losen Knoten zusammengebunden, aus dem sich zahllose Strähnchen ringelten. Im Zusammenspiel mit der dunklen Kleidung – schwarzes Shirt und dunkle Skinny Jeans – wirkte ihre helle Haut beinahe durchscheinend. Die Frau hatte lange, schlanke Beine und eine gute Figur, soweit er das beurteilen konnte, denn das weit geschnittene Oberteil verbarg das meiste.

„Die Karaffen?“, wiederholte sie. Ihr eisiger Blick gab ihm sehr deutlich zu verstehen, dass sie ihn beim Gaffen ertappt hatte.

„Anscheinend begreifen Sie nicht, wer ich bin und in welchem Schlamassel Sie stecken. Ich stelle hier die Fragen.“

Ihre Mundwinkel zuckten. „Ich weiß sehr wohl, dass Sie der neue Hausherr sind, der Computerfritze. Ganz Napa wartet gespannt auf Ihr Erscheinen. Deshalb habe ich, wie Sie sich denken können, auch nicht damit gerechnet, dass Sie schon eingezogen sind. Ich hätte eher darauf gewettet, dass Sie gar nicht kommen. Also, wo finde ich die Karaffen? In der Geschirrkammer?“

Er schüttelte den Kopf. Im Moment verstand er nur Bahnhof, er würde später versuchen, sich alles zusammenzureimen. „Hier drinnen war ich noch nie, hier ist alles unverändert.“ Sie warf einen vielsagenden Blick auf die Bratpfanne, die er immer noch in der rechten Hand hielt, und verlegen stellte er die Pfanne auf die rußgeschwärzte Oberfläche des altmodischen Herds zurück. Unwahrscheinlich, dass er sie noch benötigte. „Außer um mich zu bewaffnen“, korrigierte er sich. „Sie dagegen scheinen sich gut auszukennen. Wer sind Sie?“

„Wenn Sie die Küche genauso gründlich abgecheckt hätten, wie Sie das mit Frauen tun, wüssten Sie, wo was steht.“ Unbeirrt kramte sie weiter im Schrank.

„Ich muss schließlich in der Lage sein, der Polizei den Einbrecher genau zu beschreiben.“

„Ich bin nicht eingebrochen, ich habe einen Schlüssel.“ Sie riss die nächste Schranktür auf. „Normalerweise tauscht man die Schlösser aus, wenn man neu einzieht.“

Sie hatte einen Schlüssel? Die nächste Überraschung. „Ich kann mich aber nicht erinnern, Sie eingeladen zu haben. Also ist es doch ein Einbruch.“

„In Kalifornien gilt das als unbefugtes Betreten.“ Plötzlich hielt sie einen kleinen, zerkratzten und von jahrelangem Gebrauch verfärbten Plastikkrug in der Hand. „Leihen Sie mir den?“

„Ich bin zwar kein Jurist, aber wenn ich eines aus ‚Law and Order‘ gelernt habe, dann, dass unbefugtes Betreten – wobei es sich im Übrigen genauso um einen Gesetzesverstoß handelt – voraussetzt, dass Sie keine verbrecherischen Absichten hegen. Da sprechen die Flaschen im Aufzug aber eine ganz andere Sprache.“

Inzwischen lief sie durch die Küche und riss eine Schublade nach der anderen auf. „Haben Sie den … ha!“ Triumphierend schwenkte sie einen Korkenzieher. „Was für ein Verbrechen sollte das denn sein – abgesehen von unbefugtem Betreten? Ein Dieb bin ich nämlich nicht!“ Sie ging zum Abtropfgestell und nahm die Weinflasche genau unter die Lupe. „Sauberer Sprung, zum Glück. Komisch! So fest habe ich doch gar nicht zugeschlagen.“ Vorsichtig füllte sie den Inhalt der Flasche in den Krug. „Ein Jammer“, murmelte sie. „Dieser Wein hätte noch eine Weile liegen müssen. Na ja, jetzt kann ich ihn wenigstens verkosten.“ Sie wandte sich wieder an Evan. „Danke für Ihre Geduld. Und dafür, dass Sie den Sheriff nicht gerufen haben. Ich werde Ihnen alles erklären.“

Plötzlich blitzten blau-rote Blinklichter, man hörte Autotüren schlagen. Die Frau runzelte die Stirn. „Oder haben Sie ihn doch gerufen?“

Evan schüttelte den Kopf. Er war selbst irritiert. „Ich habe das Handy gar nicht bei mir. Rühren Sie sich nicht vom Fleck. Ich will Ihre Geschichte hören.“

Er ging zur Vordertür, schaltete die Innen- und die Außenbeleuchtung ein und öffnete einen der schweren hölzernen Türflügel. Eiskalte Januarluft strömte herein, aber Evan achtete nicht darauf, sondern interessierte sich nur für das Polizeiauto, das mit blinkendem Lichtbalken mitten in der Einfahrt parkte. Zwei Männer standen daneben und redeten miteinander. „Guten Abend“, rief Evan, obwohl es schon fast Morgen war. „Gibt es ein Problem, Officer?“

Der Größere der beiden, ein bulliger Kerl, stand stramm. „Alles okay. Entschuldigen Sie die Störung.“

Der Kleinere, Schlankere jedoch kam näher. Als Evan ihn erkannte, sank ihm das Herz in die Hose. Nico, sein jüngerer Bruder, stiefelte wortlos an ihm vorbei. „Was hat er ausgefressen?“, fragte Evan den Sheriff.

„Nico? Gar nichts. Wir mussten den Fahrer des Autos, in dem er mitgefahren ist, wegen Trunkenheit am Steuer aus dem Verkehr ziehen. Da Ihr Bruder keinen Führerschein besitzt, konnte er nicht weiterfahren, und weil meine Schicht gerade zu Ende ist, habe ich ihn nach Hause gebracht.“

„Mit Blaulicht?“ Diese Nacht wurde immer skurriler.

Der Sheriff ignorierte die Frage und hob stattdessen die Hand. „Hi, Marguerite.“

„Hallo, Deputy Franks.“

Hinter Evan, im Licht des prächtigen schmiedeeisernen Kronleuchters in der Eingangshalle, stand die Diebin.

„Ich wusste gar nicht, dass du noch hier wohnst“, meinte der Sheriff.

Die Diebin – Marguerite – warf Evan einen fragenden Blick zu. Als er schwieg, holte sie tief Luft. „Tu ich auch nicht.“

Erst als die Blicke des Sheriffs wie Pingpongbälle zwischen Evan und Marguerite hin- und herhüpften, fiel Evan siedend heiß auf, dass er lediglich eine Jogginghose trug. Schließlich nickte der Sheriff. „Verstehe. Dann noch einen schönen Abend.“

„Vielen Dank, dass Sie Nico heimgebracht haben.“ Evan machte die Tür zu. „Ich will immer noch Ihre Geschichte hören“, sagte er zu Marguerite, „aber erst muss ich meinen Bruder finden.“

„Der sitzt in der Küche und wirkt ziemlich angefressen. Deshalb habe ich Sie gesucht.“

„Nico regt sich immer über irgendwas auf“, brummte Evan.

„Warum haben Sie mich nicht verraten?“ Sie legte den Kopf schief, sodass sich noch mehr dunkle Locken aus dem Knoten lösten und um die hohen Wangenknochen tanzten.

Evan wusste keine Antwort. „Erst mein Bruder, dann Sie“, wiederholte er und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie vorangehen sollte.

Nico saß an dem ausladenden Tisch, der eine Ecke der Küche einnahm. Er hatte einen Laib Brot vor sich, ein großes Glas Erdnussbutter, und er trank …

„Stopp!“ Energisch riss Marguerite ihm den Krug aus der Hand, doch es war nur noch ein winziger Schluck Wein darin. Falls Nico bei seiner Ankunft noch nicht beschwipst gewesen war, so hatte er es jetzt geschafft.

Evan reichte es. Er ließ die Fäuste auf die Tischplatte krachen. „Raus mit der Sprache!“ Er deutete auf Nico. „Du zuerst. Du bist vor Stunden ins Bett gegangen.“

„Es hat sich was anderes ergeben.“ Scheinbar ungerührt bestrich Nico eine Scheibe Brot mit Erdnussbutter. Das dunkelblonde Haar verbarg seine Augen, aber Evan wusste auch so, dass die nichts preisgeben würden. „Eine Bekannte hat gefragt, ob ich mit ihr und ihren Freunden noch ausgehe. Sie hat mich abgeholt, während du geduscht hast.“

„Du hättest Bescheid sagen müssen!“

„Ich bin einundzwanzig, schon vergessen? Ich muss niemandem Bescheid sagen.“ Nico biss in sein Sandwich. „Ich habe dir eine Nachricht geschickt, als wir vom Sheriff angehalten wurden. Vielen Dank fürs Abholen, übrigens. Es ist ja so was von gar nicht peinlich, vom Sheriff nach Hause kutschiert zu werden.“

„Ich …“ Mist! Evans Handy lag im Wohnzimmer. Das letzte Mal hatte er einen Blick darauf geworfen, ehe er sich vor gefühlt einem Jahrhundert, in Wahrheit aber vor vier Stunden, an den Papierkram gesetzt hatte. „Um mich geht es hier nicht. Es geht um dich.“

Statt einer Antwort biss Nico ein zweites Mal ins Brot. „Wer ist das?“, fragte er mit vollem Mund und deutete mit dem Daumen auf Marguerite.

„O nein“, protestierte Marguerite und drückte den Krug fest gegen die Brust. „Lassen Sie mich da raus. Ich packe nur schnell meine Sachen und verschwinde.“

„Damit meinen Sie aber nicht die vielen Weinflaschen, bei deren Diebstahl ich Sie erwischt habe, oder?“, fragte Evan.

Nico horchte auf. „Wein? Der von eben? Der war hervorragend.“

„Wirklich?“ Marguerite lächelte – zum ersten Mal, seit Evan sie gestellt hatte. Sie hatte ein umwerfendes Lächeln. Ihre ausdrucksvollen Augen, tiefblau wie der Abendhimmel, waren ihm bereits aufgefallen. Wenn sie lächelte, dann leuchteten sie, und es sah aus, als würde die ganze Frau von innen heraus strahlen. „Dabei war der noch ganz jung.“

„Ich fand ihn großartig.“ Nico räumte den Teller in die Spüle.

„Danke.“ Marguerite schnupperte an dem kläglichen Rest im Krug. „Ein Experte würde allerdings …“

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