Das erste Mal ist für immer

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Sam ist wieder in London? Glamourmodel Amber DuBois weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Damals hat der Journalist sie verlassen, weil er in New York Karriere machen wollte. Jetzt möchte er sie interviewen. Amber ist bereit - unter einer rachesüßen Bedingung …


  • Erscheinungstag 05.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736453
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Amber DuBois schloss die Augen und rang um Gelassenheit. „Ja, Heath, natürlich gebe ich auf mich acht. Nein, ich komme nicht zu spät nach Hause.“

Der Chauffeur lenkte die Limousine in die Einfahrt eines noblen Londoner Privatclubs und hielt vor dem großen Portal, das von eindrucksvollen Steinsäulen umgeben war. „Wir sind da, ich muss auflegen. Mach’s gut.“

Seufzend verstaute sie das Handy in ihrem winzigen Designerhandtäschchen. Ihr Stiefbruder meinte es gut mit ihr, hielt sie aber offenbar immer noch für ein dummes Kind, um das er sich kümmern musste.

Immerhin sorgt er sich um mich, dachte sie. Sie konnte sich auf ihn verlassen, was in schwierigen Zeiten wie diesen ungemein wichtig war.

Am liebsten wäre sie gar nicht ausgestiegen, sondern direkt wieder nach Hause zurückgekehrt. Ehe sie dem Fahrer die Anweisung dazu erteilen konnte, kam eine mollige Blondine in einem viel zu engen violetten Kleid aus dem Club gerannt, riss die Wagentür auf und zerrte Amber geradezu aus dem Auto.

Sie ähnelte immer noch dem hochnäsigen resoluten Mädchen, das in der Highschool den Ton angegeben hatte. Als ihr Blick auf den Gips an Ambers rechtem Unterarm fiel, erblasste sie sichtlich.

„Meine Liebe.“ Sie neigte sich vor und hauchte zwei Küsse neben ihren Wangen in die Luft. „Wie schön, dass du zu unserem Jahrgangsstufentreffen kommst, wo du doch so ein aufregendes Leben als Konzertpianistin führst. Du musst uns alles darüber erzählen.“

Sie griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich in das altehrwürdige Gebäude. Amber, die hohe Plateaupumps trug, hatte alle Mühe, ihr über den blank polierten Marmorboden zu folgen. Sie durchquerten das Foyer und betraten einen großen eleganten Saal mit cremefarbenen Seidentapeten, raumhohen Spiegeln und vergoldeten Kronleuchtern. Gelangweilt dreinblickende Frauen standen in Grüppchen beieinander und hielten Weingläser und Cocktailteller in den Händen.

Schlagartig verstummten alle Gespräche. Neugierig wandten sich die Frauen zur Tür und starrten Amber an. Für einen Augenblick herrschte Totenstille.

Die frostige Atmosphäre, die ihr hier entgegenschlug, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„Seht mal alle her: Amber DuBois hat schließlich doch noch zu uns gefunden. Ist das nicht toll?“, rief ihre Begleiterin affektiert.

Sie führte Amber zum Buffet und reichte ihr einen Teller voller köstlicher Häppchen und ein Glas Mineralwasser. Dabei blickte sie sich immer wieder nervös um und zupfte an ihrer Unterlippe herum, bis Amber sich erkundigte: „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich. Ich muss mich nur rasch um etwas kümmern. Misch dich doch unter die Leute, Liebes.“ Mit diesen Worten stürzte sie sich geradezu auf eine der ehemaligen Vertrauensschülerinnen, packte sie beim Arm, gestikulierte erst zu Amber hinüber, dann in die entgegengesetzte Ecke des Raums.

Allein gelassen, sah Amber sich um. Die in Grüppchen beieinanderstehenden Frauen warfen ihr verstohlene Blicke zu, kamen aber nicht auf sie zu oder sprachen sie gar an.

Beinahe hätte sie deswegen laut losgelacht, gleichzeitig war ihr elend zumute. In den vergangenen Jahren hatte sie sich einen Ruf als exzellente Konzertpianistin erarbeitet, innerlich war sie aber dieselbe geblieben wie zu ihrer Schulzeit: das schüchterne, ein wenig linkische Mädchen, auf dem die anderen gern herumhackten.

Zufällig fiel ihr Blick auf den glänzenden schwarzen Konzertflügel, der ihr gegenüber strategisch geschickt unter einem Panoramafenster platziert war. Jetzt wurde ihr klar, weshalb die Jahrgangsstufensprecherin sich die Mühe gemacht hatte, sie ausfindig zu machen und ihr sogar eine ganz persönliche Einladung zum zehnjährigen Ehemaligentreffen zuzusenden.

Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Manche Dinge ändern sich nie, dachte sie.

Während ihrer Highschoolzeit hatten die anderen Mädchen keinerlei Interesse an ihr gezeigt. Ihrer ausgezeichneten gesellschaftlichen Stellung zum Trotz hatte weder die elitäre Clique der In-Girls sie akzeptiert, noch hatte sie unter den ehrgeizigen Schülern – zu denen sie zugegebenermaßen nicht gehörte – Anschluss gefunden. Beim Essen hatte sie meist am letzten Tisch gesessen, im Bus ganz hinten bei den anderen Außenseitern.

An diesem Abend jedoch erwartete man von ihr offenbar einen Auftritt – gratis. Ihr wollt die Diva sehen? dachte sie wütend. Das könnt ihr haben. Sie richtete sich zu ihrer vollen, nicht unbeachtlichen Größe auf und schritt im Blitzlichtgewitter mehrerer Kameras hoch erhobenen Hauptes, Teller und Glas geschickt im Gleichgewicht haltend, elegant über den schimmernden Parkettboden – zum Waschraum der Damen.

Glücklicherweise gelang es ihr, die Tür mit dem Ellbogen aufzudrücken. Als sie hinter ihr ins Schloss fiel, hörte sie, wie jemand im Saal zweimal auf das Mikrofon klopfte. Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür und schloss für einen Moment die Augen.

Gerade noch rechtzeitig! dachte sie. In ihrem Versteck konnte sie den langweiligen Reden entgehen. Vielleicht entdeckte sie sogar eine Möglichkeit zur Flucht.

Als sie sich aufmerksam umsah, ertönte ein Geräusch aus dem angrenzenden Raum, gefolgt von einem unterdrückten Fluch.

Sie schlich zu der nur angelehnten Tür und spähte vorsichtig um die Ecke. Eine kleine Brünette balancierte auf Knien auf dem steinernen Waschtisch. Mit ausgestrecktem Arm versuchte sie, den Griff des Fensters hoch über ihr zu erreichen. Ein roter Plastikeimer, der ihr offenbar als Stufe gedient hatte, lag umgekippt auf dem Boden.

„Dass ich das noch erlebe: Kate Lovat flüchtet von einer Party!“

Die Brünette wirbelte herum, schrie entzückt auf und winkte so begeistert, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

Hastig stellte Amber Teller und Glas auf dem Waschtisch ab und schlang ihr den linken Arm um die Taille.

Kate war eine der wenigen wahren Freundinnen, die sie auf der Highschool gefunden hatte, ein kleines Temperamentbündel mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein. In einem atemberaubend sexy kirschroten Cocktailkleid, das dunkle kurze Haar asymmetrisch geschnitten, wirkte sie zugleich elegant und exzentrisch.

„Kate, ich habe so gehofft, dich heute hier zu treffen! Du siehst toll aus.“

„Danke, dasselbe lässt sich von dir sagen.“ Sie betrachtete die Freundin von Kopf bis Fuß, wo ihr Blick hängen blieb. „Oh, mein Gott … diese Schuhe! Ich muss sie haben. Wenn wir dieselbe Größe hätten, würde ich sie dir von den Füßen reißen und damit davonlaufen.“

Dann trat sie einen Schritt zurück und runzelte besorgt die Stirn. „Du bist seit unserer letzten Begegnung sehr schmal geworden … Weißt du eigentlich, dass ich unter die Wahrsager gegangen bin? Ich sehe Berge von Schokolade, die nur auf dich warten.“

Mit einer Geste deutete sie auf den Gips an Ambers rechtem Arm und drückte die Fingerspitzen der anderen Hand gegen die Stirn, als würde sie erneut Gedanken lesen: „Sag nichts: Du bist auf einer wahnsinnig exklusiven Party auf einem Eiswürfel ausgerutscht. Oder war es auf einer Jacht in der Karibik? Kannst du damit überhaupt Klavier spielen?“

„Ganz so romantisch war es leider nicht. Ich bin vor einigen Wochen über meinen Koffer gestolpert. Es wird eine Weile dauern, bis mein Handgelenk ausheilt. Sämtliche Konzerte für die nächsten sechs Monaten sind abgesagt.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Wieso unterhältst du dich eigentlich nicht mit unseren ehemaligen Klassenkameradinnen, sondern versuchst, durchs Fenster zu flüchten?“

Kate atmete tief ein. Ihre Unterlippe bebte, und sie schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Stattdessen deutete sie schief lächelnd auf die Tür. „Das habe ich bereits hinter mir. Es war einfach nur grässlich. Ich habe mich nach einem Fluchtweg umgesehen, aber sämtliche Türen sind verschlossen. Inzwischen ist mir allerdings eine bessere Idee gekommen.“ Sie hob das Kinn und wies mit dem Kopf auf ein rotes Sofa am anderen Ende des Waschraums. Ihre grünen Augen blitzten vergnügt. Auf dem Boden vor der Couch standen zwei Teller, hoch beladen mit Häppchen und Partyspießen.

„Wozu brauchen wir die anderen? Wir haben ein Sofa, etwas zu essen, und Saskia ist gerade unterwegs, um Getränke und Kuchen zu organisieren. Lass uns zu dritt unsere eigene Party feiern. Was meinst du?“

Amber umarmte ihre Freundin mit dem gesunden Arm. „Du bist ein Genie! Ihr beide habt mir schrecklich gefehlt. Ich dachte, Saskia wäre noch in Frankreich?“

„Nicht mehr. Hier hat sich in letzter Zeit viel getan. Du wirst staunen, was wir dir zu erzählen haben.“

Sie schlang Amber den Arm um die Taille. „Es tut gut, dich wiederzusehen. Komm, setz dich. Was hat dich aus dem erlesenen Kreis hierher getrieben – oder sollte ich fragen, wer?“ Erschrocken schlug sie sich eine Hand vor den Mund. „Sag bloß nicht, Petra, die falsche Schlange, hat es gewagt, hier aufzukreuzen?“

Überrascht schnappte Amber nach Luft. „Gesehen habe ich sie nicht. Ich bin sicher, ich hätte sie wiedererkannt.“

„Bestimmt. Zehn Jahre reichen nicht, um dieses Gesicht zu vergessen. Man spannt der besten Freundin nicht den Freund aus, schon gar nicht an ihrem achtzehnten Geburtstag. Es gibt Dinge, die sind unverzeihlich. Oh … sind da etwas Pilze drin?“

„Bedien dich.“ Amber hielt Kate ihren Teller hin. Die Bemerkung über die ehemalige Freundin hatte ihr den Appetit verschlagen. „Zum Fremdgehen gehören immer zwei“, murmelte sie. „Soweit ich mich erinnere, hat Sam Richards sich nicht gewehrt, als Petra sich auf ihn gestürzt hat. Ganz im Gegenteil.“

„Wie auch? Sie hat ihn überrumpelt und geblendet. Er hatte keine Chance. Von dem Moment an, als sie sich auf ihn eingeschossen hatte, war er erledigt.“ Kate hustete und wischte sich Teigkrümel von den Fingern. „Übrigens, Sam ist kürzlich nach London zurückgekehrt. Er fängt bei der Zeitung an, von der er immer geschwärmt hat.“

„Soll ich den Herausgeber anrufen und ihn warnen, dass sein neuer Reporter sich leicht überwältigen lässt?“ Amber war froh, dass ihre Stimme so fest klang.

„Lieber nicht, sonst heißt es noch, ich hätte einen schlechten Einfluss auf dich.“

„Das wollen wir wirklich nicht riskieren“, kam es von der Tür her. „Hallo, Amber.“

„Saskia!“ Kate stutzte. „Um Himmels willen! Was ist mit deinem Kleid passiert?“

Saskia kam zum Sofa und stellte eine Flasche Chardonnay und zwei Gläser auf dem Boden ab, ehe sie Amber vorsichtig umarmte. Vom Ärmel ihres cremefarbenen Seidenkleids tropfte eine rote Flüssigkeit. Es sah aus, als hätte jemand ein Glas Rotwein darübergeschüttet.

Vielleicht ist doch nicht alles beim Alten, dachte Amber. Die dunkelhaarige Saskia verkörperte seit jeher die zurückhaltende klassische englische Schönheit. Eine Szene hatte sie noch nie verursacht.

„Entschuldigt mich einen Moment.“ Saskia nahm sich eines der Papierhandtücher vom Waschtisch, riss es zornig der Länge nach in schmale Streifen und dann in winzige Quadrate. Schließlich atmete sie tief durch und schob die Fetzen mit einer Handbewegung in den Papierkorb. „Jetzt geht es mir besser.“ Sie lächelte und rieb sich die Hände.

Kate starrte sie mit offenem Mund fasziniert an.

„Möchtest du darüber reden?“, bot Amber an.

Saskia setzte sich neben sie auf das Sofa und tupfte beiläufig mit einem Papiertuch an dem Flecken herum. „Ich habe mich geweigert, dem Ehemaligenkomitee Elwood House kostenlos zur Verfügung zu stellen für die wöchentlichen Treffen, zu denen ich nicht eingeladen war. Seither gelte ich als Spielverderberin. Ihr hättet ihre Gesichter sehen sollen, als ich ihnen den Mietpreis genannt habe! Damit fing alles an. Es war grässlich.“

Kate hob angriffslustig das Kinn. „Wo sind sie? Niemand beleidigt meine Freundin ungestraft.“

„Ich komme mit“, pflichtete Amber ihrer Freundin bei. „Wenn ich die Diva herauskehre, erstarren alle vor Angst.“

Aber Saskia winkte ab. „Das hieße, ihnen in die Hände spielen. Sie warten nur auf eine Szene, über die sie tratschen können, um damit ihrem langweiligen hohlen Leben Würze zu verleihen. Nein, ich stehe über den Dingen.“ Unvermittelt lächelte sie. „Außerdem gefällt mir unsere Privatparty. Kate, würdest du die Flasche öffnen? Ich will alles über euch erfahren und fange deswegen freiwillig an. Das Wichtigste aus meinem Leben ist schnell erzählt: Mein Liebesleben liegt auf Eis, bis Elwood House als Veranstaltungsort etabliert ist. Was ist mit dir, Kate?“

„Ich scheine etwas an mir zu haben, das die Männer abschreckt – ganz im Gegensatz zu dieser Dame hier: Amber, erzähl uns von dem heißen Bergsteiger, mit dem du in sämtlichen Klatschmagazinen abgebildet warst.“

„Das ist längst vorbei.“ Amber trank einen Schluck Wein, den Kate ihr reichte, ehe sie das Glas an Saskia weitergab. „Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Sollte ich jemals aus diesem Waschraum entkommen, betätige ich mich als Spendensammlerin für ein Wohltätigkeitsprojekt meiner Freundin Parvita. Vielleicht lerne ich dabei jemanden kennen.“ Gedankenverloren erklärte sie: „Sie kümmert sich um ein Waisenhaus in Indien, das ich vor einigen Monaten besucht habe. Es liegt wunderschön, direkt am Strand. Ich habe den Mädchen dort versprochen zurückzukehren.“ Sie räusperte sich. „Ich sollte mir besser nichts vormachen. Heath dreht durch, wenn er erfährt, dass ich eine Rückkehr auch nur in Erwägung ziehe.“

„Dein Stiefbruder? Was hat er dagegen?“, wollte Kate wissen.

„Auf dem Rückweg von Indien bin ich nicht einfach über meinen Koffer gestolpert und habe mir das Handgelenk gebrochen. Ich bin regelrecht kollabiert, weil ich mich angesteckt hatte mit …“

Lautes Gelächter ließ sie innehalten. Eine Horde aufgedrehter Frauen stürmte ihren Zufluchtsort, schrille Stimmen hallten in den gekachelten Räumen wider.

Amber presste sich die Hände auf die Ohren. „Sieht aus, als wären die Reden vorüber. Sollen wir versuchen, durch einen Seiteneingang zu entwischen? Zu meinem Apartment ist es nicht weit. Dort erzähle ich euch, was mir zugestoßen ist.“

2. KAPITEL

Frank Evans stürmte in sein Büro und hielt Sam Richards, der ihn bereits erwartete, die neueste Ausgabe des Starmagazins unter die Nase. „Was wissen Sie über Amber DuBois?“

Vor Schreck verschluckte sich Sam an seinem Kaffee. Sein neuer Chef galt als einer der schärfsten Köpfe in der Zeitungsbranche, leider aber auch als schwierig im persönlichen Umgang.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Frank, und vielen Dank für den herzlichen Empfang im Londoner Büro.“

„Ja, ja. Setzen Sie sich.“ Er deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. „Sie wissen ja, wie das ist. Der übliche Montagmorgen-Wahnsinn: Es ist noch nicht einmal neun Uhr, und der Boss sitzt mir schon im Nacken. Lassen Sie hören, was Sie über Amber wissen. Beweisen Sie mir, dass Sie nach zehn Jahren in der Wildnis den Kontakt zur Londoner Szene nicht ganz verloren haben.“ Er ließ sich in seinen Ledersessel sinken, fuhr sich mit den Händen durch das schüttere graue Haar und betrachtete den jungen Journalisten abschätzend.

Einen ruhigen Einstand im neuen Job kann ich vergessen, seufzte Sam innerlich, ehe er fieberhaft darüber nachgrübelte, was er seinem Chefredakteur über sie erzählen konnte. Von diesem Mann hing seine weitere Karriere ab. Allerdings hatte er sich seinen Traumjob anders vorgestellt.

Bedächtig stellte er die Tasse auf die Untertasse zurück. „Meinen Sie die blonde Pianistin mit den langen Beinen? Die Modedesigner reißen sich darum, dass sie bei Konzerten ihre Roben trägt. War sie nicht kürzlich das Gesicht einer Kosmetikkampagne? Übrigens würde ich Los Angeles nicht gerade als Wildnis bezeichnen.“

Frank schob ihm das Magazin über den Tisch zu. „Es war die größte Kosmetikkampagne in ganz Asien. Eine Kleinigkeit ist Ihnen allerdings entgangen. Sehen Sie hier.“

Sam griff nach dem Blatt des stärksten Konkurrenten seines Arbeitgebers. Vom Cover lächelte ihm Amber entgegen, in einem exquisiten blauen Kleid mit juwelenbesetztem Oberteil. Aus dem schüchternen ungelenken Mädchen, das er einmal gekannt hatte, war eine wunderschöne elegante Frau und Künstlerin ersten Ranges geworden.

Sie saß an einem schwarzen Konzertflügel, die schlanken Beine ausgestreckt, hochhackige Sandalen an den schmalen Füßen. Von ihrem Anblick gefesselt, bemerkte er erst nach einer Weile, dass sein Chef mit dem Finger auf die Schlagzeile wies:

Mit ihrer Ankündigung, sich im Alter von achtundzwanzig Jahren zur Ruhe zu setzen, erschüttert Amber DuBois die Welt der klassischen Musik. Einen Grund für ihre Entscheidung nennt sie nicht.

„Ich wittere eine Story. Ein Profi wie sie, auf dem Gipfel des Ruhmes, wirft nicht ohne Grund das Handtuch. Es heißt, unsere Amber tut es anderen Stars gleich und engagiert sich für ein Wohltätigkeitsprojekt. Ihr Agent verweigert jeden Kommentar dazu.“ Frank schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und deutete mit dem Finger auf Sams Brust. „Meiner Meinung nach will sie mit ihrem Rücktritt lediglich Aufmerksamkeit erregen und sich – gegen ein fürstliches Honorar – zu einem Comeback überreden lassen. Wir werden der Geschichte nachgehen und sie als Erste bringen.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dazu beschaffen Sie mir ein Exklusivinterview mit ihr. Das ist Ihr erster Auftrag.“ Er zuckte mit den Achseln. „Sie können mir später für diese einmalige Chance danken.“

Das ist nicht dein Ernst! schoss es Sam durch den Kopf. Unterzog Frank ihn gerade einem bizarren Initiationsritus, den jeder Neuling im Londoner Büro von GlobalStar Media durchlaufen musste? Befand sich an der Wand hinter ihm vielleicht eine versteckte Kamera, die seine Reaktion aufzeichnete?

Es erforderte seine gesamte Selbstbeherrschung, nicht die Zeitschrift zu packen und sie Frank an den Kopf zu werfen. Stattdessen legte er sich rasch Argumente zurecht, weshalb ein anderer diesen Auftrag übernehmen musste.

Seit zehn Jahren arbeitete er von den USA aus für den Medienriesen. Den Transfer aus Los Angeles zu bewerkstelligen, hatte ihn drei volle Monate gekostet. Dort hatte er sich mühsam vom Postjungen nach oben gearbeitet und dabei auf Beziehungen und alles verzichtet, was einem gesellschaftlichen Leben auch nur nahekam.

Mit dem Wechsel hatte er nicht nur eine weitere Stufe auf der Karriereleiter erklommen, er hatte den Job, von dem er schon als Teenager geträumt hatte. Niemand würde ihm den Posten eines Investigativjournalisten streitig machen, nicht, nachdem er so weit gekommen war.

„Entschuldigen Sie, Frank. Habe ich etwas falsch verstanden? Ich habe in den USA zehn Jahre lang als Klatschreporter Berühmtheiten interviewt. Hier in London soll ich laut Jobbeschreibung als Enthüllungsjournalist arbeiten.“

Frank schnaubte abfällig und lachte. „Wissen Sie, wie Ihr hübsches Büro finanziert wird? Durch den Verkauf von Magazinen. Die Öffentlichkeit liebt Promiklatsch, besonders wenn es um schöne Frauen wie Amber DuBois geht. Sie können es im Internet nachlesen: Die Orchester stehen Schlange bei ihr und bieten ihr enorme Summen an, damit sie eine letzte Saison mit ihnen spielt, ehe sie sich aus dem Konzertbetrieb zurückzieht.“

Er streckte zwei Finger in die Höhe. „In den vergangenen zehn Jahren hat man sie lediglich mit zwei Männern in Verbindung gebracht – keine langweiligen klassischen Musiker, oh nein. Die Dame steht auf Action. Ihr erster Freund war ein italienischer Rennfahrer auf bestem Weg zum Weltmeistertitel, der zweite ein schottischer Bergsteiger, dem sie vom Basislager des Mount Everest aus zum Abschied hinterhergewinkt hat mit Tränen in den Augen. Sie ist sowohl Musikerin als auch Model, und ihre Fans lieben sie. Betrachten Sie es als Ihr erstes Prominenteninterview in London – und möglicherweise auch gleich als Ihr letztes. Lassen Sie den Charme spielen, für den Sie berühmt sind, dann ist die schöne Miss DuBois Butter in Ihren Händen.“

Nervös rieb Sam sich das Kinn. Wusste Frank etwas von seiner Beziehung mit Amber vor zehn Jahren? Damals hatten sie einander ihre Hoffnungen und Träume anvertraut. Er kannte ihre Vorliebe für eine Extraportion Anchovis auf der Pizza und die Stelle an ihrem Hals, wo er sie berühren musste, um sie förmlich dahinschmelzen zu lassen.

In der Nacht der Trennung hatte er sich geschworen, ihre gemeinsame Vergangenheit niemals ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, nicht für Geld und Ruhm. Bislang hatte er dieses Versprechen gehalten, so schwer es ihm gelegentlich auch gefallen war.

Im Lauf der Jahre hatte er oft genug erlebt, dass Musiker oder Schauspieler versuchten, mit ihren belanglosen persönlichen Dramen Aufmerksamkeit zu erregen. Amber hatte das nicht nötig. Fleiß und musikalisches Talent garantierten ihren beruflichen Erfolg, mit der fantastischen Figur und dem ausdrucksstarken Gesicht war sie der Liebling jedes Fotografen.

Frank, der ungeduldig auf seine Antwort wartete, trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Als Sam in das intelligente Gesicht blickte, sank ihm der Mut.

Was soll ich nur tun? überlegte er. Als neuester Mitarbeiter in der Redaktion war er nicht in der Position, Aufträge abzulehnen. „Vermutlich haben Sie recht, Frank. Allerdings hatten wir abgesprochen, dass ich mit den Recherchen zum sich abzeichnenden Finanzskandal in der EU beginnen soll. Ist das Thema vom Tisch?“

Frank öffnete eine Schreibtischschublade und zog einen Ordner hervor, den er Sam reichte. „Ganz im Gegenteil. Es stinkt geradezu nach Korruption. Sehen Sie sich das an. Wir haben Interviews mit Insidern zusammengetragen. Was uns fehlt, ist jemand, der jeden einzelnen Stein umdreht und nachsieht, was darunter zum Vorschein kommt.“

Sam überflog die ersten Seiten. Je mehr er las, desto aufgeregter wurde er. In seinem Kopf überschlugen sich die Ideen, wie er die Informationen in eine packende Story verwandeln konnte.

Das ist es! jubelte er innerlich. Damit würde er sich den Ruf als ernstzunehmender Journalist verdienen und sich die Stelle als Redakteur in London sichern.

„Besitzt Ihr Vater immer noch den Limousinenservice in Knightsbridge? Wir verwenden ihn gelegentlich. Gewiss ist er sehr stolz, wenn er Ihren Namen auf der Titelseite liest.“

Autor

Nina Harrington
Nina Harrington wuchs in der Grafschaft Northumberland in England auf. Im Alter von 11 Jahren hatte sie zuerst den Wunsch Bibliothekarin zu werden – einfach um so viel und so oft sie wollte lesen zu können. Später wollte sie dann Autorin werden, doch bevor sie ihren Traumberuf ausüben konnte, machte...
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