Das Fest der Liebe

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Mit jedem Tag, den Carly bei dem attraktiven Piran auf seiner zauberhaften Karibikinsel Conch Cay ist, wird die Leidenschaft zwischen ihnen heftiger. Aber als er sie in einer heißen Nacht zur Liebe verführen will, sagt Carly Nein. Sonst bricht ihr das Herz, da sie die Insel bald verlassen muss…


  • Erscheinungstag 03.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776428
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Nichts deutete darauf hin, dass Weihnachten vor der Tür stand.

Carly ließ interessiert den Blick über die winzige Insel mit den Palmen und den unregelmäßig verteilten, in Pastelltönen gestrichenen Häusern schweifen, als sich das Motorboot dem kleinen Anleger von Conch Cay näherte. Das Boot mit dem Außenbordmotor war die einzige Fährverbindung zur kleinen Inselstadt, die sich über die sanft geschwungenen Hügel erstreckte.

Zu Hause in New York wurden jetzt an jeder Straßenecke Weihnachtsbäume verkauft. Und die Fassade des koreanischen Lebensmittelladens, wo Carly immer ihr Abendessen einkaufte, war mit Lametta geschmückt. Hier dagegen waren die Häuser schmucklos. Nicht einmal die Heilsarmee sang Weihnachtslieder wie vor dem New Yorker Verlagsgebäude, in dem Carly beschäftigt war. Es hätte ebenso gut Juni sein können.

Glücklicherweise werde ich hier nicht an Weihnachten erinnert, dachte Carly erleichtert. Es hatte also doch etwas Gutes, nach Conch Cay gereist zu sein.

Bisher hatte sie sich eigentlich immer auf die festliche Weihnachtsstimmung gefreut, doch in diesem Jahr war das anders, denn vor drei Monaten war ihre Mutter gestorben. Es hätte Carly sehr wehgetan, die Festtage mit ihrem Stiefvater und ihren Stiefschwestern in Colorado zu verbringen. Sie hatte die Einladung abgesagt, weil sie nicht an das wunderschöne vergangene Weihnachtsfest erinnert werden wollte. Eines Tages würde es ihr vielleicht nichts mehr ausmachen, daran zu denken, wie glücklich ihre Mutter mit Roland, ihrem neuen Ehemann, gewesen war. Und wie schnell das Glück sie verlassen hatte.

Doch noch war die Erinnerung zu frisch.

„Warum kommst du Weihnachten nicht zu mir?“, hatte John gefragt, als sie versucht hatte, ihm ihre Gefühle zu erklären. John wollte sie heiraten, doch Carly war dagegen, denn sie liebte ihn nicht. Sie hatte seine Einladung abgelehnt, Weihnachten bei seiner Familie in Buffalo zu verbringen, um ihm keine unnötigen Hoffnungen zu machen.

Und nun war sie in Conch Cay – und zwar mit sehr gemischten Gefühlen.

Aber was tat man nicht alles, um seinen Job zu behalten!

„Ich erwarte von dir nur, dass du Piran St. Just dabei hilfst, sein Buch zu Ende zu schreiben“, hatte Diana, ihre Chefin, erklärt.

Die Vorstellung überwältigte sie noch immer.

Sie hatte zu träumen geglaubt, als Pirans jüngerer Bruder Desmond vergangene Woche im Büro aufgetaucht war. Und er war völlig verblüfft gewesen, als er erfahren hatte, dass seine Ex-Stiefschwester in der Redaktion arbeitete und das letzte Buch der Brüder redigiert hatte.

Allerdings war es ihm gelungen, umgehend Kapital aus diesem Umstand zu schlagen.

„Eine Fügung des Schicksals!“ Des hatte sie begeistert umarmt, bevor er sich Diana, der Cheflektorin, zugewandt hatte. „Finden Sie nicht auch? Ich könnte mir keinen besseren Ersatz vorstellen als Carly. Sie soll statt meiner Wenigkeit in Conch Cay mit Piran an dem Buch arbeiten. Unsere Schwester …“

„Stiefschwester“, korrigierte Carly schnell. „Eigentlich sogar nur Ex-Stiefschwester.“

„Gar nicht wahr“, widersprach Des. „Sie waren ja nicht geschieden. Dad ist gestorben.“

„Wir sind trotzdem nicht verwandt.“ Carly wollte vermeiden, dass Diana ihre Beziehung zu den Brüdern St. Just missverstand.

Doch Diana hatte sie gar nicht beachtet, sondern nur Ohren für Desmond gehabt. Schließlich gehörten er und sein Bruder zu den Bestsellerautoren des Verlages, während Carly nur eine einfache Lektorin war.

„Sie versteht viel mehr davon als ich“, hatte Des behauptet. „Und Sie wissen ja, wie gern Sie als Nächstes ein Buch über die Fidschiinseln herausbringen würden.“

Das hatte Diana überzeugt.

Im Gegensatz zu Carly. Sie wollte nicht nach Conch Cay fahren. Und sie wollte ihre – ehemalige – Beziehung zu den Gebrüdern St. Just nicht ausnutzen. Als ihre Mutter mit Des’ und Pirans Vater verheiratet gewesen war, hatte ihr die neue geschwisterliche Beziehung zu Des nichts ausgemacht, aber nach dem Tod seines Vaters hatte sie Des nicht wieder gesehen. Von seinem älteren Bruder ganz zu schweigen. Und das war auch gut so gewesen.

Als Teenager hatte sie sich nämlich heftig in Piran St. Just verliebt und ihn für die große Liebe ihres Lebens gehalten. Sein Name hatte nur beiläufig erwähnt werden müssen, dann waren ihr vor Aufregung schon Schauer über den Rücken gelaufen.

Jetzt schauderte ihr eher bei dem Gedanken an ihn.

„Komm schon, Carly, sag Ja!“ Des hatte sie bestürmt.

Doch sie tat es nicht Des zuliebe, sondern weil sie ihren Job behalten wollte.

„Sie arbeiten doch gern hier, Carly, oder?“, hatte Diana wie nebenbei gefragt. Was sie damit meinte, war unmissverständlich.

„Also gut, ich mache mich auf den Weg nach Conch Cay.“ Carly hatte schließlich nachgegeben.

Und da war sie nun. Nach neun langen Jahren würde sie Piran wieder gegenüberstehen. Wie er wohl reagiert haben mochte, als Des ihm erzählt hatte, wer ihn vertreten würde? Wahrscheinlich genauso widerwillig wie sie selbst.

Doch sie würden sich schon vertragen. Schließlich waren sie inzwischen beide erwachsen. Dieser Gedanke war ihr einziger Trost. Ja, er erfüllte sie merkwürdigerweise sogar mit Freude. Piran sollte wissen, dass sie nicht mehr das dumme, unschuldige Kind war, das sie mit achtzehn Jahren gewesen war.

„Sind Sie sicher, dass er Sie erwartet?“, fragte Sam, der Fährmann, als er den Motor drosselte und anlegte. Außer zwei Männern, die im Schatten saßen und Domino spielten, wartete niemand am Anleger.

„Ganz sicher“, antwortete Carly. Natürlich erwartete er sie. Hatte Des denn niemanden beauftragt, sie abzuholen? „Ich bin sicher, dass Mr. St. Just angerufen hat.“

„Mr. St. Just hat kein Telefon“, erklärte Sam.

„Ich meine den anderen Mr. St. Just“, sagte Carly. „Desmond.“

„Ach so.“ Sam nickte und grinste. „Mr. Desmond. Dieser Schuft. Wo ist er?“

„Auf den Fidschiinseln, glaube ich.“ Carly griff nach ihrem Seesack. „Aber er wollte vorher bei Ihnen anrufen, damit Sie seinem Bruder Bescheid sagen.“

Sam kletterte an Land, nahm Carly den Seesack ab und half ihr aus dem Boot. Dann rief er den spielenden Männern zu: „He, Ben! Hat Mr. Desmond dich angerufen?“

Der Mann sah auf und schüttelte den Kopf, bevor er mitfühlend lächelte. „Nee, mich hat er nicht angerufen. Dich vielleicht, Walter?“

Auch der andere Mann schüttelte den Kopf. „Nee. Ich habe nicht mit Mr. Desmond gesprochen. Aber das macht nichts“, sagte er zu Carly. „Sie wollen zu Mr. St. Just – kein Problem. Wir fahren Sie hin.“

„Ja, aber …“

Es ging ja nicht um die Fahrt, sondern darum, unangemeldet aufzutauchen. Carly hatte nicht erwartet, dass Piran sie abholen würde, so höflich war er nicht. Aber sie hatte erwartet, dass er von ihrem Besuch in Kenntnis gesetzt worden war. Danach sah es nicht gerade aus.

Carly fühlte sich immer unbehaglicher. Sie bereute zutiefst, Desmonds Bitten und Dianas Erpressung nachgegeben zu haben. Sie befeuchtete ihre Lippen. „Hat Ihnen niemand etwas von meiner Ankunft gesagt?“

„Kein Mensch, Missy. Wir hatten Mr. Desmond erwartet. Mr. St. Just beschwert sich schon seit einer Woche, dass er nicht da ist.“ Ben lachte und schüttelte den Kopf.

„Er ist auf Fidschi“, erklärte Sam. „Wie findest du das? Wenn das keine Überraschung für Mr. St. Just ist!“

Und genau davor fürchtete sich Carly. Aber was sollte sie tun? Sie konnte kaum wieder ins Boot steigen und zurückfahren. Irgendjemand musste an dem Buch mitarbeiten, und Des war nicht aufzutreiben. Also musste sie in den sauren Apfel beißen. Wenn sie ohne das fertige Manuskript nach New York zurückkehrte, wäre sie ihren geliebten Job los.

„Soll ich Sie jetzt hinfahren?“, fragte Ben, stand auf und ging langsam zu einem knallbunten Lieferwagen, auf dem in großen Lettern „Taxi“ stand.

Am liebsten hätte Carly sein Angebot abgelehnt, doch sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie mochte gar nicht daran denken, was Piran sagen würde, wenn sie plötzlich vor der Tür stand.

„Okay, auf geht’s“, sagte sie schließlich fröhlicher, als ihr zumute war.

Auf ein Wiedersehen mit Piran hätte sie zwar gern verzichtet, aber sie hatte sich gefreut, wieder nach Conch Cay zurückzukehren. Als Ben sie auf den engen, holprigen Straßen den Hügel hinauffuhr, nahm sie der alte Zauber sofort gefangen. Die Insel war noch genauso wunderschön, wie sie sie in Erinnerung hatte. Als Arthur sie alle das erste Mal mit auf die Insel genommen hatte, hatte Carly geglaubt, im Paradies zu sein. Und in den neun Jahren ihrer Abwesenheit hatte sich daran nichts geändert.

Schon nach wenigen Minuten hatten sie die kleine Stadt, wo die meisten Inselbewohner lebten, hinter sich gelassen. Die schmale geteerte Straße schlängelte sich durch üppige tropische Vegetation zur Luvseite der Insel. Von Zeit zu Zeit erhaschte Carly einen Blick auf Häuser, die hinter den Bäumen verborgen lagen. Aus der Entfernung hörte sie die Ozeanwellen an den Sandstrand schlagen.

Mit gemischten Gefühlen hielt sie nach der Abzweigung Ausschau, die sie zum Blue Moon Cottage, dem Haus der Familie St. Just, führen würde.

„Mr. St. Just wird ganz schön überrascht sein“, sagte Ben, als sie schließlich auf dem Kiesweg zum Haus fuhren. „Aber er wird bestimmt nicht allzu ärgerlich sein. Schließlich sind Sie wesentlich hübscher als Mr. Desmond.“

Als ob Piran davon je Notiz genommen hätte, dachte Carly und seufzte unterdrückt beim Gedanken an ihre letzte Begegnung. Doch beim ersten Blick auf das eisblaue Haus, das von Bäumen umgeben war, riss sie sich zusammen und ließ die Vergangenheit ruhen. Jetzt war sie erwachsen und wusste genau, was sie wollte.

Sowie der Wagen hielt, wurde die Haustür geöffnet, und ein Mann erschien auf der breiten Terrasse.

Carly hatte Piran seit neun Jahren nur im Fernsehen und auf Fotos gesehen. Aber sie erkannte ihn sofort wieder.

Er war groß, sonnengebräunt und unrasiert. Sein Haar war schwarz wie die Nacht und zu lang – wie immer. Und er verzog das markante Gesicht, als er bemerkte, dass es nicht Desmond war, den Ben abgesetzt hatte. Verärgert wirkte er allerdings nicht. Noch nicht.

Carly atmete tief durch und lächelte kühl. Dann stieg sie aus und sah Piran in die Augen. Sie war froh, dass ihre dunkle Sonnenbrille verbarg, wie sehr Pirans Anblick sie auch nach all diesen Jahren immer noch aufwühlte. Es ärgerte sie, dass er noch immer diese Wirkung auf sie hatte.

„Hallo, Piran“, sagte sie. „Wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen.“

Erst jetzt erkannte er sie. „Carlota?“, fragte er ungläubig.

Carlota! Niemand nannte sie Carlota. Nicht einmal ihre Mutter hatte diesen Namen je benutzt, obwohl sie ihn doch ausgesucht hatte!

Es tröstete Carly, dass es Piran offensichtlich die Sprache verschlagen hatte. Er musste sich an einem der Terrassenpfosten festhalten.

„Wie ich sehe, erinnerst du dich an mich.“

Er stieß die Luft durch die Nase. „Was, um alles in der Welt, tust du hier?“

„Hat Des dir denn nichts erzählt?“

„Des?“ Er runzelte die Stirn. „Wieso?“

„Er hat mich geschickt. Man könnte sagen, er hat meinen Boss praktisch dazu gezwungen.“

„Was? Wovon redest du? Warum sollte er dich schicken? Wo hat er dich überhaupt gefunden?“ Piran war wütend. „Was soll das? Wo ist Des?“

„Auf dem Weg zu den Fidschiinseln“, erklärte Carly unsicher.

„Wie bitte?“ Er musterte sie ungläubig.

Vor neun Jahren wäre sie vor Angst fortgelaufen, doch jetzt straffte sie sich und sah ihm in die Augen. „Du erinnerst dich doch noch an Jim Taylor? Er war der alte Kapi…“

„Natürlich erinnere ich mich an Jim Taylor.“ Piran unterbrach sie aufgebracht.

„Er hat ein neues Boot gekauft und …“

„Das ist mir völlig egal. Wo ist Des?“

„Ich versuche gerade, es dir zu erklären“, entgegnete Carly wütend. „Aber du lässt mich ja nicht ausreden.“

Piran wollte etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders und musterte sie nur zornig. „Also gut, dann klär mich auf, Carlota.“ Er schob die Hände in die Taschen seiner Shorts.

Carly atmete tief durch, befeuchtete sich die Lippen und versuchte es von vorn. „Jim hat sich ein neues Boot gekauft, mit dem er zu den Fidschiinseln segeln will. Er hat Des eingeladen, ihn zu begleiten und …“

„Und Jim hat die Einladung angenommen?“ Piran sah sie ungläubig an.

„Er sagte, du würdest verstehen, dass er sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen könnte.“

„Von wegen! Wir haben Termine. Wir haben einen Vertrag unterschrieben. Bildet er sich vielleicht ein, das Buch würde sich von selbst schreiben?“ Piran ging aufgebracht auf der Terrasse auf und ab.

„Nein, er glaubt, ich würde dir helfen.“

„Wie bitte? Du? Du sollst mir beim Schreiben helfen?“ Piran sah sie verblüfft an.

Carly hörte, wie jemand hinter ihr leise lachte. Ben! Sie hatte ihn völlig vergessen. Nun würde er auf der ganzen Insel herumerzählen, was er gehört hatte.

„Lass uns im Haus darüber sprechen“, sagte sie leise. „Ich hole nur meine Tasche aus dem Wagen.“

„Ich denke nicht daran, dich ins Haus zu lassen.“

„Piran!“

„Du hast richtig gehört. Ich weiß nicht, was Des vorhat, aber du wirst dich jetzt wieder in den Wagen setzen und dorthin fahren, wo du hergekommen bist.“

Ben schien sich köstlich zu amüsieren. Wütend funkelte Carly Piran an. „Mach dich nicht lächerlich! Du kannst mich nicht einfach wieder wegschicken.“ Sie drehte sich um und holte ihre Tasche aus dem Wagen. „Was schulde ich Ihnen?“, fragte sie Ben.

„Acht Dollar.“ Er grinste noch immer übers ganze Gesicht.

Carly übersah sein Grinsen geflissentlich, nahm einen Zehndollarschein aus ihrem Portmonee und gab ihn Ben.

Er steckte das Geld in seine Brusttasche. „Danke, Missy“, sagte er, bevor er sich wieder ans Steuer setzte.

„Wohin willst du?“, fragte Piran. „Bleib gefälligst hier!“

„Mr. St. Just ist ziemlich wütend.“ Ben lehnte sich aus dem Seitenfenster. „Wollen Sie wirklich hier bleiben?“

Carly war sich überhaupt nicht sicher, doch sie hatte ja keine Wahl. Diana hatte sich klar ausgedrückt: Entweder käme Carly mit dem Manuskript zurück, in dem das neueste archäologische Abenteuer der Brüder St. John beschrieben war und das sicher wieder auf den Bestsellerlisten landen würde, oder …

Deshalb musste sie Piran helfen. Denn Des würde sie so schnell nicht aufspüren können. Und überhaupt … Was fiel Piran eigentlich ein, sie wie einen Störenfried zu behandeln?

„Ja, ich bleibe hier“, sagte sie mit fester Stimme.

Ben zuckte die Schultern. „Ich habe Sie gewarnt, Missy.“

Carly atmete tief durch. „Mir wird schon nichts passieren.“

Ben winkte ihr zu und fuhr rückwärts vom Grundstück, als Piran die Treppe herunterkam.

„Ben! Was fällt dir ein? Komm sofort zurück!“

Doch Ben dachte gar nicht daran. Der Wagen verschwand hinter der Kurve.

Es dauerte eine Minute, bis Piran sich von seinem Schock erholt hatte und Carly ansah. „Es hat sich wirklich nichts geändert, Carlota“, sagte er langsam und ließ den Blick über sie gleiten.

Carly ließ sich nicht beirren. „Was willst du damit sagen?“

„Du bist doch immer noch das gleiche hinterhältige kleine Biest.“

Das war eine Kampfansage. Er hatte wirklich keine Zeit verloren. Carly nahm die Herausforderung an. Dem werde ich es zeigen, dachte sie. Dabei hatte er ihr eben noch fast Leid getan!

Er hatte seine Meinung über sie also nicht revidiert. Dabei hatte sie das so sehr gehofft.

Ganz früher hatte er sie sogar einmal verteidigt. Es war bei ihrer ersten Begegnung gewesen. Sie hatte damals noch nicht gewusst, wer er war. Es war einen Monat nach der Hochzeit von Carlys Mutter und Pirans Vater in Santa Barbara gewesen. Sie hatte Des bei der Hochzeitsfeier kennen gelernt, doch Arthurs älteren Sohn, auf den er so stolz war, hatte sie nicht gesehen, weil er an der Ostküste studierte. Carly wusste es noch wie heute, was damals passiert war.

Piran hatte Semesterferien und wurde für den Abend erwartet. Carly sollte ihn endlich kennen lernen. Sie hatte es nicht eilig, sondern trödelte herum und blieb so lange wie möglich am Strand, weil sie hoffte, die betrunkenen Collegestudenten, die an der Treppe zu den Klippen standen, würden vor ihr gehen. Doch die dachten gar nicht daran, sondern beobachteten sie, pfiffen anerkennend und machten anzügliche Bemerkungen.

Sie versuchte, sie zu ignorieren, dann versuchte sie, schnell an ihnen vorbei die Treppe hochzugehen. Dabei stolperte sie, und einer der betrunkenen Studenten fing sie auf und zog sie an sich.

„Bitte nicht“, sagte sie ängstlich. „Lassen Sie mich los.“

Er rieb sich an ihr. „Warum denn, Puppe?“, hauchte er ihr ins Ohr.

Carly versuchte, sich zu befreien. „Hören Sie auf! Lassen Sie mich in Ruhe.“

Er schüttelte den Kopf. „Du willst es doch auch. Gib es zu“, sagte er, als sie sich losreißen wollte.

Die anderen Männer grölten und pfiffen. „Ich mag es, wenn sie Temperament haben“, rief einer von ihnen.

„Bitte“, flehte Carly und versuchte wieder, sich zu befreien. Doch er hielt sie nur noch fester an sich gepresst. Und dann tauchte wie aus dem Nichts plötzlich ihr Retter auf.

Der junge Mann, der fantastisch aussah, zog den Betrunkenen von ihr fort. „Hast du nicht gehört?“, fragte er ärgerlich. „Du sollst die Lady in Ruhe lassen.“

„Lady? Wer sagt denn, dass sie eine Lady ist?“

Carlys schwarzhaariger Retter baute sich vor dem betrunkenen Studenten auf. „Ich sage das“, erklärte er mit gefährlich ruhiger Stimme.

Der Student lachte nervös. „Und wer bist du? Der Rächer der Enterbten?“ Er stieß Piran so hart von sich, dass er selbst zu schwanken begann.

Im nächsten Moment lag der Mann im Sand, und ihr Retter rieb sich die rechte Faust.

„Es spielt keine Rolle, wer ich bin“, behauptete er. „Entschuldige dich jetzt bei der Lady.“

Der Mann richtete sich auf und spuckte Blut in den Sand, bevor er sich nach seinen Freunden umsah, die verlegen den Blick abwandten. Offensichtlich dachten sie gar nicht daran, ihrem Kommilitonen zu helfen. Einige gingen die Treppe hinauf, die anderen drehten sich um und liefen den Strand entlang. Schließlich war Carly allein mit ihrem Retter und dem am Boden liegenden Mann.

Dann rappelte sich der Student hoch und funkelte den schlanken, sonnengebräunten Mann wütend an.

Er wich keinen Zentimeter zurück. „Los, mach schon!“

Der Betrunkene warf Carly einen unsicheren Blick zu. „Entschuldigung“, sagte er undeutlich und suchte das Weite.

Carly sah ihm nach. Sie schauderte vor Ekel.

„He, alles in Ordnung?“ Der junge Mann sah ihr in die Augen und lächelte aufmunternd. Er hatte die schönsten blauen Augen und das wunderbarste Lächeln der Welt.

„Ja, danke“, antwortete sie stockend.

„Jetzt ist alles vorbei“, sagte er und legte den Arm um sie, bis sie zu zittern aufhörte.

Seine Nähe hätte sie eigentlich ängstigen müssen. Schließlich war er ihr genauso fremd wie die betrunkenen Studenten. Aber sie hatte keine Angst, sondern fühlte sich ganz sicher und behütet.

Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass sie mit diesem Mann den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Ihre Mutter hatte ihr immer erzählt, dass sie eines Tages so einem Mann begegnen würde.

„Danke“, sagte sie zögernd.

Er lächelte und strich ihr zärtlich über die Wange. „Gern geschehen. Wenn eine junge Frau in Not ist, bin ich sofort zur Stelle.“ Er zwinkerte ihr zu und fragte, ob er sie nach Hause bringen dürfe.

Und so fand er heraus, wessen Tochter sie war.

„Wo wohnst du?“, fragte er ungläubig, als sie auf das Haus auf dem Hügel zeigte.

„In der großen rosa Villa. Ist sie nicht hübsch? Meine Mutter und ich sind gerade eingezogen. Sie hat einen Professor geheiratet …“

„Arthur St. Just.“ Sein Tonfall war plötzlich kühl.

„Ja. Kennst du ihn?“

„Das habe ich jedenfalls bisher gedacht“, antwortete ihr Retter mürrisch. „Er ist mein Vater. Ich bin Piran St. Just.“

Ihr neuer Stiefbruder. Sie fand schnell heraus, dass er nicht zur Hochzeitsfeier gekommen war, weil er dagegen gewesen war, dass sein Vater wieder heiratete.

Er hielt Carlys Mutter – eine Tänzerin ohne andere Ausbildung – für unter Arthur St. Justs Würde und machte keinen Hehl daraus. Piran war überzeugt, dass sie es nur auf das Geld seines Vaters abgesehen hatte.

Des hatte seine neue Stiefmutter inzwischen akzeptiert, obwohl auch er der Meinung war, sein Vater hätte eine ganz andere Frau finden können. Doch Piran kannte kein Pardon.

Sowie er herausgefunden hatte, dass Carly die Tochter seiner neuen – in seinen Augen geldgierigen – Stiefmutter war, behandelte er sie kühl und distanziert.

Sue, eine unverbesserliche Optimistin, ermunterte ihre Tochter, Geduld mit ihm zu haben.

„Er versteht das nicht“, sagte sie immer wieder zu Carly. „Piran ist jung und idealistisch. Die Scheidung seiner Eltern hat ihm wehgetan. Und er weiß nicht, was Liebe ist. Lass ihm etwas Zeit, Carly.“

Sie beherzigte den Ratschlag. Doch Piran behandelte sie mit kühlem Gleichmut. Nichts erinnerte an den sanften Beschützer, der ihr zur Hilfe geeilt war.

Immer wieder sagte sie sich, dass Sue Recht hatte. Mit der Zeit würde sie Piran schon dazu bringen, ihre Liebe zu erwidern.

Und dann kam der Tag, als sie achtzehn wurde und ernüchtert feststellen musste, dass Piran St. John nicht zu helfen war.

Carly kehrte wieder in die Gegenwart zurück und sah Piran in die Augen. „Von mir aus kannst du denken, was du willst, Piran. Ich werde mich nicht mit dir streiten.“

„Das ist auch besser so.“

„Sieh dich vor, sonst kannst du das Buch allein schreiben.“

„Ach ja, was soll das eigentlich heißen – du sollst mir beim Schreiben helfen?“

„Ich arbeite bei Sloan Bascombe im Lektorat.“

„Nie im Leben!“ Er musterte sie ungläubig.

Schließlich nickte Carly und hob ihre Tasche auf. Pirans Blick hatte Bände gesprochen. „Wie du willst“, sagte sie, drehte sich um und machte sich auf den Rückweg in die Stadt.

Sie war keine zwanzig Meter gegangen, als Piran hinter ihr her rief. „Erzähl mir, was Des gesagt hat.“

Sie blieb stehen und drehte sich um, kehrte jedoch nicht zurück. Täuschte sie sich, oder machte Piran plötzlich wirklich einen besorgten Eindruck? „Das habe ich dir doch schon gesagt. Glaubst du mir jetzt vielleicht?“

Er zuckte nur ärgerlich die Schultern.

„Also gut.“ Carly gab sich möglichst unbeteiligt. „Des kreuzte im Verlag auf, weil er um eine Verlängerung bitten wollte, damit er mit zu den Fidschiinseln segeln kann. Diana erzählte ihm, dass ich euer letztes Buchmanuskript redigiert habe.“

„Das hat Sloan gemacht.“

„Sloan hat es abgezeichnet, redigiert habe ich. Er betreut vierzig Autoren und kann nicht alles allein machen. Und ich habe mehr Ahnung von Archäologie als er.“ Es bereitete ihr große Genugtuung, Piran das zu erzählen. Sie wartete nur darauf, dass er ihr widersprechen würde, doch er schien es sich anders überlegt zu haben.

„Und weiter?“

„Den Rest kennst du schon. Sowie Des das herausfand, bat er mich, hier mit dir zusammenzuarbeiten.“

„Und die Chance konntest du dir natürlich nicht entgehen lassen.“

„So ein Blödsinn!“

„Wieso? Schließlich bist du hier.“

„Ich hatte keine Wahl. Diana hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich meinen Job los bin, wenn ich nicht mit dem Manuskript zurückkomme. Mit dir hat das gar nichts zu tun, das kannst du mir glauben, Piran.“

„Dann bist du also endlich über deine Verliebtheit hinweg, Carlota?“ Er lächelte unangenehm. „Oder vielleicht war es so, wie ich immer gedacht hatte: Du warst gar nicht in mich verliebt, sondern nur hinter meinem Geld her, wie deine Mutter hinter dem Geld meines Vaters.“

Carly hätte ihn am liebsten geohrfeigt. Abrupt drehte sie sich um und machte sich wieder auf den Weg in Richtung Stadt. Sie hatte die Hauptstraße erreicht, als sie Schritte hinter sich hörte.

„Carlota!“

Sie beschleunigte ihren Schritt. Es machte ihr nichts aus, sich von ihm beleidigen zu lassen, im Gegenteil. Vielleicht half es ihr dabei, endlich ihre kindischen Träume zu vergessen. Aber auf ihre Mutter ließ sie nichts kommen!

Natürlich hatte Sue ihre Fehler gehabt, aber sie war kein schlechter Mensch gewesen. Eigentlich war sie genauso idealistisch gewesen, wie Piran es war. Nur etwas verwirrt und töricht. Und glücklos.

Das wollte Carly gern alles zugeben. Denn wie sollte man eine Frau sonst nennen, die auf der Suche nach der ewigen Liebe sieben Mal geheiratet hatte?

Aber ihre Mutter war nicht bösartig oder berechnend gewesen. Niemals!

Allerdings war es zwecklos, mit Piran darüber zu reden. Sie hatte nicht die Absicht, ihre Mutter vor Männern wie Piran St. John in Schutz zu nehmen. Sollte er doch machen, was er wollte. Und sein Buch konnte er auch allein schreiben!

„Verflixt, Carlota. Komm sofort zurück.“

Carly eilte weiter. Für Dezember war es ziemlich heiß und stickig. Auf der Fahrt war ihr das gar nicht aufgefallen, doch jetzt klebte ihr die Bluse am Rücken. Kleine Schweißperlen rannen ihr zwischen den Brüsten hinab. Sie nahm die schwere Tasche in die andere Hand und ging weiter.

Hinter sich hörte sie schwere Schritte. Es war ihr egal.

„Carlota!“

Sie drehte sich nicht einmal um.

„Carly, du sture kleine Hexe. Bleib endlich stehen!“

Piran hatte sie eingeholt und packte sie am Arm.

Sie versuchte, sich loszureißen, doch Piran dachte nicht daran, sie gehen zu lassen. Carly musterte ihn neugierig. Er schien erschöpft zu sein. Sein schwarzes Haar klebte feucht an seiner Stirn. Seine Wangen waren gerötet, und er war außer Atem.

„Lass mich los!“ Wieder versuchte sie, sich zu befreien.

Er atmete schwer. „Nur wenn du versprichst, nicht weiterzugehen.“

Sie sah ihn schweigend an, versprach aber nichts.

Sein Griff wurde noch fester. So fest, dass Carly vor Schmerz zusammenzuckte. Piran warf einen Blick auf ihren Arm und runzelte die Stirn, lockerte den Griff jedoch nicht. „Wir müssen uns unterhalten.“

„Ich unterhalte mich mit niemandem, der meine Mutter beleidigt.“

Carly konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Er war sehr ärgerlich. Doch schließlich ließ er sie los und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Auch gut“, sagte er.

Sie presste die Lippen aufeinander. Am liebsten hätte sie sich den schmerzenden Arm gerieben, doch die Genugtuung gönnte sie Piran nicht. „Fang endlich an“, sagte sie kühl.

Piran holte tief Luft. Offensichtlich wusste er nicht recht, womit er beginnen sollte. Schließlich sah er ihr in die Augen. „Habe ich eben richtig gehört?“, fragte er, noch immer ungläubig. „Du arbeitest wirklich bei Bixby Grissom und du hast unser Buch redigiert?“

Autor

Anne Mc Allister
Anne Mcallister, Preisträgerin des begehrten RITA Award, wurde in Kalifornien geboren und verbrachte ihre Ferien entweder an kalifornischen Stränden, auf der Ranch ihrer Großeltern in Colorado oder bei Verwandten in Montana. Genug Gelegenheiten also, um die muskulösen Surfer, die braungebrannten Beach-Volleyballer und die raubeinigen Cowboys zu beobachten! Am Besten gefielen...
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